T 0823/99 (Beschwerde gegen Zwischenentscheidung/GOLDSCHMIDT) of 12.2.2001

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:T082399.20010212
Datum der Entscheidung: 12 Februar 2001
Aktenzeichen: T 0823/99
Anmeldenummer: 92108260.8
IPC-Klasse: C09C 3/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Oberflächenmodifizierte plättchenförmige Pigmente mit verbessertem Aufrührverhalten
Name des Anmelders: MERCK PATENT GmbH
Name des Einsprechenden: BASF Aktiengesellschaft, Ludwigshafen
Th. Goldschmidt AG
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 106(1)
European Patent Convention 1973 Art 106(3)
European Patent Convention 1973 R 65(1)
European Patent Convention 1973 R 67
European Patent Convention 1973 R 68(1)
Schlagwörter: Beschwerde gegen Zwischenentscheidung ohne Zulassung der gesonderten Beschwerde - unzulässig
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - nicht möglich
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0013/82
T 0089/84
T 0371/92
T 0690/98
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1967/20

Sachverhalt und Anträge

I. In dem Einspruchsverfahren betreffend das europäische Patent Nr. 0 515 928, Anmeldenr. 92 108 260.8, fand am 14. April 1999 eine mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung statt.

II. Gemäß der als Blatt 92 der Einspruchsakten eingehefteten, vorformulierten Seite 2 des Teils der Niederschrift auf Form 2309 über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vom 14. April 1999 teilte der Vorsitzende nach Beratung der Einspruchsabteilung mit, der Patentinhaberin werde eine Frist von 2 Monaten zur Anpassung der Ansprüche und der Beschreibung gesetzt. Daran anschließend ist auf dieser Seite des Vordrucks der Niederschrift eingetragen, der Vorsitzende habe nach Beratung der Einspruchsabteilung die folgende Entscheidung verkündet:

"Das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, genügen unter Berücksichtigung der vom Patentinhaber vorgenommenen Änderungen den Erfordernissen des Europäischen Patentübereinkommens, und zwar in der unten angegebenen Fassung".

Gemäß Seite 2, Ziffer 12., der in der Einspruchsakte im Anschluß daran eingehefteten individuell formulierten Teile der Niederschrift auf Form 2906 reichte die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung fünf Hilfsanträge ein, die jeweils einen Patentanspruch 1 enthielten. Die Hilfsanträge sind der Niederschrift über die mündliche Verhandlung als Anlage beigefügt. Gemäß Seite 3, Ziffer 13., dieses Teils der Niederschrift beschloß die Einspruchsabteilung, daß der Hauptanspruch nicht neu sei, daß jedoch der Gegenstand des Hilfsantrages 4 neu und klar sei. Nach der Darstellung der Ausführungen der Parteien zur erfinderischen Tätigkeit ist in Ziffer 22., Seite 5, der Niederschrift vermerkt, die Einspruchsabteilung habe nach Beratung beschlossen, das Patent auf Basis von Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 aufrechtzuerhalten. Für die Anpassung der Ansprüche, insbesondere der Verfahrensansprüche 3 und 4, und der Beschreibung sei eine Frist von zwei Monaten gesetzt worden.

III. Die Niederschrift über die mündliche Verhandlung wurde der Beschwerdeführerin und Einsprechenden 02 mit Schreiben des EPA vom 10. Mai 1999 übersandt.

IV. Am 9. Juli 2000 legte die Beschwerdeführerin unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr Beschwerde gegen den Beschluß der Einspruchsabteilung, nach ihrer Auffassung verkündet am 10. Mai 1999, ein, das europäische Patent genüge unter Berücksichtigung der vorgenommenen Änderungen den Erfordernissen des EPÜ.

In der Beschwerdebegründung sowie in Antwort auf einen Bescheid der Kammer, in dem diese die Auffassung geäußert hatte, bei der angefochtenen Entscheidung könne es sich um eine Zwischenentscheidung gemäß Artikel 106 (3) EPÜ handeln, die nur zusammen mit der noch nicht ergangenen Endentscheidung anfechtbar sei, da eine gesonderte Beschwerde von der Einspruchsabteilung nicht zugelassen worden sei, trug sie folgendes vor:

Dadurch, daß die Einspruchsabteilung unmittelbar nach Beratung über die vorgelegten Ansprüche 1 der Hilfsanträge den Beschluß gemäß Ziffer 22 des Protokolls verkündet habe, habe sie der Einsprechenden die Möglichkeit genommen, in der mündlichen Verhandlung zu Einwänden gegen die Patentfähigkeit von zu diesen Ansprüchen 1 gehörenden Verfahrensansprüchen Stellung zu nehmen, die jedoch zu diesem Zeitpunkt zu den jeweiligen Hilfsanträgen noch gar nicht vorgelegt gewesen seien. Deshalb stelle der verkündete Beschluß die abschließende Entscheidung nach Artikel 102 (3) EPÜ dar. Das ergebe sich auch daraus, daß der Vorsitzende bei der Verhandlung expressis verbis auf Artikel 102 (3) EPÜ Bezug genommen habe. Es habe sich somit bei der verkündeten Entscheidung nicht um eine Entscheidung gemäß Artikel 106 (3) EPÜ gehandelt. Die Wirksamkeit dieser Entscheidung werde durch die Verkündung und die Übermittlung der schriftlichen Begründung an die Parteien getragen, die in der ausführlichen Darstellung in der Niederschrift der in der mündlichen Verhandlung durch den Vorsitzenden der Einspruchsabteilung gegebenen Begründung der getroffenen Entscheidung zu sehen sei. Auf die Tatsache, daß die Entscheidung nur als "Protokoll" übermittelt worden sei, komme es in diesem Zusammenhang nicht an.

Durch die Entscheidung sei der Einsprechenden die Möglichkeit genommen worden, zur Patentfähigkeit noch einzureichender Verfahrensansprüche Stellung zu nehmen. Die Vorgehensweise verstoße gegen das Gebot der Wahrung des rechtlichen Gehöres nach Artikel 113 EPÜ. Die Beschwerdeführerin rügte außerdem verschiedene Mängel und Widersprüche der Niederschrift.

V. Die Beschwerdegegnerin erklärte, sich den Ausführungen im Bescheid der Beschwerdekammer anzuschließen.

VI. Die weitere Verfahrensbeteiligte, die Einsprechende 01, erklärte, sich den Ausführungen der Beschwerdeführerin anzuschließen. Sie wies ferner auf ihre Interessenlage und die Zusicherung durch den Formalprüfer der Einspruchsabteilung hin, für den Fall, daß die Sache nicht im Sinne der Einsprechenden entschieden und das Patent aufrechterhalten werde, werde eine erneute Entscheidung ergehen, gegen die die Einsprechende 01 dann selbst Beschwerde einlegen könne. Sie machte ferner auf eine ihrer Meinung nach gegebene Unstimmigkeit in der Niederschrift der mündlich verkündeten Entscheidung aufmerksam.

VII. Die Beschwerdeführerin hat beantragt,

die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent in dem nach Artikel 102 (3) EPÜ aufrechterhaltenen Umfang zu widerrufen,

hilfsweise, die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten,

hilfsweise, die Sache an die Einspruchsabteilung zur weiteren Verhandlung zurückzuverweisen,

höchsthilfsweise, eine andere Einspruchsabteilung mit der Sache zu beauftragen.

Die Beschwerdegegnerin und die weitere Verfahrensbeteiligte, die Einsprechende 01, haben keine ausdrücklichen Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

Zulässigkeit der Beschwerde

1. Die Beschwerde ist gemäß Artikel 106 (1) und (3), Regel 65. (1) EPÜ unzulässig.

1.1. Zwar ist der Beschwerdeführerin darin zuzustimmen, daß die Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung eine Entscheidung im Sinne von Artikel 106 (1) EPÜ verkündet hat.

Dazu bedarf es jedoch einer Würdigung des Textes der Niederschrift über die mündliche Verhandlung als Ganzes, da die Niederschrift verschiedene, von der Beschwerdeführerin gerügte gravierende Mängel aufweist. So ist der auf Seite 2 der vorformulierten Form 2309 als verkündete Entscheidung wiedergegebenen Feststellung, daß das Patent in der geänderten Fassung den Vorschriften des Übereinkommens genüge, unmittelbar nicht zu entnehmen, welche Fassung damit gemeint ist, weil dem Verweis auf die "unten angegebene Fassung" keine Angabe folgt.

Gleichwohl kann der Niederschrift als Ganzer nach Auffassung der Kammer bei verständigem Lesen noch hinreichend klar entnommen werden, daß die Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung vor ihr gemäß Regel 68 (1), Satz 1 EPÜ die feststellende Entscheidung getroffen und verkündet hat, daß Anspruch 1 in der Fassung des in der mündlichen Verhandlung von der Patentinhaberin überreichten 4. Hilfsantrags den Erfordernissen des EPÜ genüge. Aus Punkt 22 des Protokolls ergibt sich klar, daß die Einspruchsabteilung die getroffene, im Sachverhalt der vorliegenden Beschwerdeentscheidung unter II. zitierte, und auf Seite 2 der Form 2309 über die Verhandlung vor der Einspruchsabteilung wiedergegebene Feststellung auf Anspruch 1 in der Fassung des vierten Hilfsantrags bezogen hat, daß sie jedoch über die Patentfähigkeit von an diesen geänderten Anspruch noch anzuschließenden und anzupassenden weiteren Ansprüchen gerade keine Entscheidung getroffen hat, was sich natürlicherweise daraus ergibt, daß ihr solche Ansprüche in der mündlichen Verhandlung noch gar nicht vorlagen. Im Gegenteil hat die Einspruchsabteilung der Patentinhaberin für die Vornahme dieser Anpassungen und zur Anpassung der Beschreibung eine Frist gesetzt, was ebenfalls die Annahme ausschließt, sie habe auch über diesen Teil des Patents schon eine Entscheidung treffen wollen.

1.2. Entscheidungen der Art, wie sie die Einspruchsabteilung hier getroffen hat, sind typische Zwischenentscheidungen, da sie das Verfahren nicht gegenüber einem Beteiligten insgesamt abschließen. Über die Zweckmäßigkeit der Entscheidung ist hier nicht zu befinden. Da die Einspruchsabteilung nur über die Patentfähigkeit des Anspruchs 1 des Hilfsantrages entschieden und das Verfahren im übrigen durch Fristsetzung fortgeführt hat, hat sie mit der verkündeten Entscheidung nur über einen Teilaspekt des Streitgegenstandes entschieden. Sie hat damit eine Zwischenentscheidung erlassen und gerade keine Entscheidung getroffen, die die Instanz vor ihr für die Beschwerdeführerin beendete. Die Annahme der Beschwerdeführerin, daß die Einspruchsabteilung mit ihrer Entscheidung über die Patentfähigkeit des Patentanspruchs 1 des vierten Hilfsantrages auch schon über die Patentfähigkeit der noch gar nicht vorgelegten weiteren Ansprüche entschieden habe, hinsichtlich deren der Patentinhaberin eine Frist zu ihrer Einreichung gesetzt wurde, ist nicht gestützt. Ebensowenig besteht ein Anhalt, daß die Einspruchsabteilung beabsichtigte, das Einspruchsverfahren ohne weitere Beteiligung der Beschwerdeführerin fortzuführen.

1.3. Kraft ausdrücklicher Bestimmung des Artikels 106 (3) EPÜ sind Zwischenentscheidungen nur zusammen mit der Endentscheidung anfechtbar, sofern nicht in der Zwischenentscheidung die gesonderte Beschwerde zugelassen ist. Das ist vorliegend nicht geschehen. Auch hat die Einspruchsabteilung noch keine Endentscheidung erlassen.

Der Wortlaut des Artikels 106 (3) EPÜ ist zwingend. Artikel 106 (3) EPÜ trägt dem berechtigten Interesse der Beteiligten und der Allgemeinheit, besonders der Wettbewerber, Rechnung, daß die Verfahren vor dem EPA so geführt werden können, daß es innerhalb eines vertretbaren Zeitraumes zu einer endgültigen Klärung der Streitfragen und einer abschließenden Entscheidung über den Streitgegenstand insgesamt kommt. Einerseits kann es in einem anhängigen Verfahren im Einzelfall u. U. zweckmäßig sein, die Diskussion über eine Vorfrage mit dem Erlaß einer Zwischenentscheidung abzuschließen. Andererseits soll dadurch die abschließende Erledigung des Rechtsstreits nicht über Gebühr verzögert werden. In diesem Zusammenhang liegt Artikel 106 (3) EPÜ die Wertung zugrunde, daß es für den von einer Zwischenentscheidung Beschwerten grundsätzlich zumutbar ist, wenn er für die Möglichkeit, die Richtigkeit der ihn beschwerenden Zwischenentscheidung überprüfen zu lassen, auf den Zeitpunkt nach Erlaß der Endentscheidung verwiesen wird. Im Hinblick auf diesen Zweck der Vorschrift sieht die Kammer jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem aus der Fristsetzung der Einspruchsabteilung für die Anpassung der anderen Ansprüche und der Beschreibung hervorgeht, daß eine Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung noch, und zwar in überschaubarem Zeitraum, getroffen werden würde, weder Möglichkeit noch Veranlassung, die vorliegende Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung als zulässig zu werten.

Diese Beurteilung muß unabhängig davon Platz greifen, ob die verkündete Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung aufgrund der von der Beschwerdeführerin aufgezeigten Mängel als mit einem schweren Fehler behaftet oder u. U. gar als nichtig oder unwirksam angesehen werden müßte. Auch eine solche Entscheidung besteht und kann von der Beschwerdekammer nur nach Einlegung einer - zulässigen - Beschwerde aufgehoben werden, T 371/92, ABl. EPA 1995, 324, 1.4 der Entscheidungsgründe.

Die Beschwerdeführerin kann die von ihr hier vorgebrachten Gesichtspunkte sowie ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehöres zur Fassung der übrigen, von der Patentinhaberin eingereichten Ansprüche und der Beschreibung nach Erledigung dieser Beschwerde im Rahmen der Fortsetzung des Verfahrens vor der Einspruchsabteilung geltend machen. Gegen eine eventuelle Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang durch die Einspruchsabteilung kann sie dann Beschwerde einlegen. Im Rahmen einer solchen Beschwerde unterliegt die gesamte Verfahrensführung durch die Einspruchsabteilung, einschließlich der Beurteilung von Zwischenentscheidungen, die für die getroffene beschwerdefähige Entscheidung von Bedeutung geblieben sind, der Überprüfung durch die Beschwerdekammer. Auch der Beschwerdeführerin wird damit uneingeschränkt Rechtsschutz gewährt.

Rückzahlung der Beschwerdegebühr

2. Die Beschwerdeführerin hat hilfsweise, d. h. für den Fall, daß ihrem Hauptantrag, die von ihr angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen, nicht stattgegeben würde, die Rückzahlung der Beschwerdegebühr beantragt. Dieser Antrag ist zurückzuweisen.

Gemäß dem Wortlaut von Regel 67 EPÜ ist Voraussetzung für eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr, daß der Beschwerde abgeholfen oder ihr stattgegeben wird. Da die vorliegende Beschwerde als unzulässig zu verwerfen ist, fehlt es an dieser Voraussetzung. Es liegt nicht im Ermessen der Kammer, eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen, obwohl ein Rückzahlungstatbestand nicht gegeben ist. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern und einhelliger Meinung in der Literatur setzt die Anordnung der Rückzahlung der Beschwerdegebühr im Hinblick auf den klaren Wortlaut von Regel 67 EPÜ voraus, daß der Beschwerde - zumindest im wesentlichen oder teilweise - stattgegeben wird. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist deshalb insbesondere dann nicht möglich, wenn die Beschwerde als unzulässig verworfen wird, siehe dazu z. B. T 13/82, ABl. EPA 1983, 411, 7. der Entscheidungsgründe, T 89/84, ABl. EPA 1984, 562, 4. der Entscheidungsgründe und erneut T 690/98 vom 22. Juni 1999, 2. der Entscheidungsgründe, sowie Schulte, Patentgesetz mit EPÜ, 5. Aufl., Köln 1994, § 73 (Anhang), Rdnrn. 30 und 31 zu Artikel 108, und Joos in Singer/Stauder, Europäisches Patentübereinkommen, 2. Aufl., Köln 2000, Rdnr. 42 zu Artikel 111.

3. Da die Beschwerde unzulässig ist, sind die weiteren Hilfsanträge der Beschwerdeführerin gegenstandslos.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen

2. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

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