T 0642/99 (Aerosolformulierung/SOLVAY) of 15.5.2002

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2002:T064299.20020515
Datum der Entscheidung: 15 Mai 2002
Aktenzeichen: T 0642/99
Anmeldenummer: 92121985.3
IPC-Klasse: A61K 9/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Medizinische Aerosolformulierung
Name des Anmelders: SOLVAY (Société Anonyme)
Name des Einsprechenden: (01) Sofotec GmbH & Co KG
(02) LES LABORATOIRES SERVIER
(03) SkyePharma AG
(04) AstraZeneca AB
(05) Rhône-Poulenc Rorer Ltd
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 102(3)
European Patent Convention 1973 Art 114(2)
European Patent Convention 1973 Art 113(1)
European Patent Convention 1973 Art 113(2)
European Patent Convention 1973 R 71a(1)
European Patent Convention 1973 R 71a(2)
European Patent Convention 1973 R 86(3)
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: Haupt- und erster Hilfsantrag - nein - kein wesentlicher Verfahrensmangel durch fehlerhaften Entscheidungstenor
Zweiter und dritter Hilfsasntrag - nein - unklare Anspruchsfassung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/93
T 0275/89
T 0323/97
T 1105/98
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 92 121 985.3 betreffend eine "Medizinische Aerosolformulierung" wurde das europäische Patent Nr. 0 550 031 auf der Grundlage von zwölf Ansprüchen erteilt. Anspruch 1 lautete wie folgt:

"Medizinische Aerosolformulierung, die wenigstens einen medizinischen Wirkstoff, druckverflüssigtes Heptafluorpropan sowie wenigstens einen oberflächenaktiven Stoff, ausgenommen monoactylierte oder diacetylierte Monoglyceride, enthält."

II. Gegen das erteilte Patent hatten die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechende 01 bis 05) mit Bezug auf Artikel 100 a) EPÜ wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit des Gegenstandes des Streitpatentes Einspruch eingelegt.

III. Die Einspruchsabteilung hat mit der am 16. April 1999 zur Post gegebenen Entscheidung das Patent im Rahmen von Artikel 102 (1) EPÜ widerrufen.

Die Einspruchsabteilung begründete ihre Entscheidung im wesentlichen damit, daß die zu Beginn der mündlichen Verhandlung am 2. März 1999 vorgelegten Anträge als verspätet zu betrachten seien. Sie hat dazu ausgeführt, daß die von der Patentinhaberin und jetzigen Beschwerdeführerin im Verfahren vor der Einspruchsabteilung geltend gemachten Gründe das verspätete Einreichen von geänderten Anspruchssätzen nicht rechtfertigten.

Insbesondere habe es keine nachvollziehbaren Gründe gegeben, die Gültigkeit der Priorität der Entgegenhaltung (3) (EP-A-0 588 897, Patentfamilienmitglied der als WO-92/22288 veröffentlichten internationalen Anmeldung) von vornherein in Zweifel zu ziehen. Einer mit dem Patentwesen vertrauten Person sei es durchaus geläufig gewesen, daß nach US-Patentrecht im Prioritätsdokument als Anmelder die Erfinder anzugeben seien und daß die Erfinder für eine Nachanmeldung regelmäßig ihre Rechte an der Anmeldung dem Anmelder der Nachanmeldung zedierten. Dieser Rechtsübergang sei von den Beschwerdegegnerinnen auch bereits im Verlaufe des Einspruchsverfahrens rechtzeitig hinreichend glaubhaft gemacht worden.

Die zusätzliche Rechtfertigung der Beschwerdeführerin zur Begründung der Zulässigkeit der in der mündlichen Verhandlung am 2. März 1999 neu eingereichten Ansprüche, nämlich daß der Einwand mangelnder Klarheit gegen den Unteranspruch 4 des früher gestellten Hauptantrags von der Einsprechenden 02 erst mit Schreiben vom 1. Februar 1999 geltend gemacht worden sei, überzeuge nicht. Die in Anspruch 1 zusätzlich aufgenommenen drei Disclaimer stellten eine Änderung dar, die weit über den Klarheitseinwand hinausgingen.

Der von der Inhaberin des Streitpatents zur Abgrenzung gegenüber der Entgegenhaltung (3) formulierte 3. Disclaimer könne keinesfalls als eine Verallgemeinerung der Beispiele 10 bis 12 und 17 dieses Standes der Technik angesehen werden, selbst wenn die in der Entgegenhaltung (3) genannten Tabellen zu prozentualen Bereichsangaben der Komponentenzusammensetzung mit in Betracht gezogen würden. Der Disclaimer finde daher keine Stütze in der Entgegenhaltung (3).

Darüber hinaus seien die Disclaimer unter anderem in unklarer Weise durch eine "oder" Verknüpfung nicht eindeutig formuliert und daher nicht zulässig.

Die Einspruchsabteilung kam zu dem Schluß, daß auch keiner der von der Patentinhaberin gestellten weiteren Anträge, einschließlich der vorgeschlagenen Änderungen zur Einfügung besagter bereits als solcher unzulässiger Disclaimer in die Anspruchssätze vom 27. November 1997 und 2. Februar 1999, gewährbar sei.

Da trotz mehrmaliger Hinweise auf diese Situation die Inhaberin des Streitpatents keine weiteren Anträge gestellt habe, seien die vorgelegten Anträge als verspätet zurückzuweisen (Artikel 114 (2) EPÜ und Regel 71a EPÜ).

In der Folge sei das Patent mangels einer von der Patentinhaberin gebilligten Fassung zu widerrufen (Artikel 102 (1) EPÜ in Verbindung mit Artikel 113 (2) EPÜ).

IV. Die Beschwerdeführerin hat gegen diese Entscheidung Beschwerde erhoben und mit der Beschwerdebegründung, datiert 11. August 1999, gemäß einem Hauptantrag und vier Hilfsanträgen mit jeweils unterschiedlichen Anspruchssätzen das Beschwerdeverfahren fortgesetzt.

In einem Bescheid, datiert 25. August 2000 und in einer Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung, datiert 30. Juli 2001, hat die Beschwerdekammer der Beschwerdeführerin unter anderem mitgeteilt, daß die Anträge nicht klar formuliert seien und insbesondere die Reihenfolge der Anträge bezüglich der jeweiligen Anspruchssätze nicht deutlich aufgezeigt sei.

In voranstehend erwähnter Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung hat die Kammer ferner den Parteien mitgeteilt, daß sich unter anderem die Frage der Erfordernisse der Artikel 84 und 123 EPÜ zu den zu erörternden Anspruchssätzen bzw. entsprechenden Anträgen stelle.

Im Fax-Schreiben vom 25. April 2002 führte die Beschwerdeführerin aus, daß die in der von den Beschwerdegegnerinnen zitierten Entscheidung T 323/97 aufgestellten Anforderungen an die Zulässigkeit eines Disclaimers auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar seien. Ferner beantragte sie für den Fall, daß die Beschwerdekammer ihrer Auffassung nicht folgen könne, die Vorlage der folgenden in französischer Sprache eingereichten und von der Kammer sinngemäß in die Verfahrenssprache übertragenen Rechtsfragen an die Große Beschwerdekammer:

"Welches seien die in Betracht zu ziehenden Kriterien, um festzustellen, ob ein einem Anspruch zu dessen Begrenzung hinzugefügtes Merkmal einen technischen Beitrag zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung im Sinne der Entscheidung G 1/93 hinzufüge oder nicht.

Könne insbesondere ein Disclaimer, der eine neuheitsschädliche Offenbarung ausschließen solle, die Teil des Standes der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ darstelle, einen technischen Beitrag zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung hinzufügen?"

Mit Fax-Schreiben, datiert 12. April 2002, hat die Beschwerdeführerin sechs neue Anspruchssätze eingereicht, die sie unter anderem zum Gegenstand von Haupt- und Hilfsanträgen machte.

V. Am 15. Mai 2002 hat eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer stattgefunden, an der die ordnungsgemäß geladene Beschwerdegegnerin 05 nicht teilgenommen hat.

Im Verlaufe der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin verschiedene Anspruchsänderungen vorgeschlagen. Die jeweiligen Ansprüche 1 der zuletzt gestellten und einzig aufrechterhaltenen beiden Anspruchssätze I und II lauten wie folgt:

Anspruchssatz I:

"1. Medizinische Aerosolformulierung, die wenigstens einen medizinischen Wirkstoff, druckverflüssigtes Heptafluorpropan, einen aliphatischen Alkohol sowie wenigstens einen oberflächenaktiven Stoff, ausgenommen monoactylierte oder diacetylierte Monoglyceride enthält, wobei medizinische Aerosolformulierungen ausgenommen sind,

(1) die eine therapeutisch wirksame Menge mikronisiertes Albuterolsulfat, 5 bis 15 Gewichtsprozent Ethanol, von 0.05. bis 0.5 Gewichtsprozent eines oberflächenaktiven Stoffes ausgewählt aus der Gruppe die aus Ölsäure und Sorbitan-Trioleat besteht und 1,1,1,2,3,3,3,-Heptafluorpropan als im wesentlichen einziges Treibmittel enthalten;

(2) die eine therapeutisch wirksame Menge mikronisiertes Pirbuterolacetat, von 5 bis 12 Gewichtsprozent Ethanol, von 0.05 bis 0.5 Gewichtsprozent Ölsäure und ein 1,1,1,2,3,3,3,-Heptafluorpropan enthaltenes Treibmittel enthalten;

(3) die aus Ethanol, Ölsäure und 1,1,1,2,3,3,3,-Heptafluorpropan mit Albuterolsulfat bestehen."

Anspruchssatz II:

"1.Medizinische Aerosolformulierung, die wenigstens einen medizinischen Wirkstoff, druckverflüssigtes Heptafluorpropan, einen aliphatischen Alkohol sowie wenigstens einen oberflächenaktiven Stoff, ausgenommen monoactylierte oder diacetylierte Monoglyceride enthält, wobei medizinische Aerosolformulierungen ausgenommen sind,

(1) die eine therapeutisch wirksame Menge mikronisiertes Albuterolsulfat, 5 bis 15 Gewichtsprozent Ethanol, von 0.05. bis 0.5 Gewichtsprozent eines oberflächenaktiven Stoffes ausgewählt aus der Gruppe die aus Ölsäure und Sorbitan- Trioleat besteht und 1,1,1,2,3,3,3,-Heptafluorpropan als im wesentlichen einziges Treibmittel enthalten;

(2) die eine therapeutisch wirksame Menge mikronisiertes Pirbuterolacetat, von 5 bis 12 Gewichtsprozent Ethanol, von 0.05 bis 0.5 Gewichtsprozent Ölsäure und ein 1,1,1,2,3,3,3,-Heptafluorpropan enthaltenes Treibmittel enthalten;

(3) die aus 1.00 Gew% Ethanol, 0.01 Gew% Ölsäure, 98.89 Gew% 1,1,1,2,3,3,3,-Heptafluorpropan und 0.10 Gew% Albuterol oder Albuterolsulfat bestehen;

(4) die aus 30.0 Gew% Ethanol, 0.1 Gew% Ölsäure, 69.8 Gew% 1,1,1,2,3,3,3,-Heptafluorpropan und 0.1 Gew% Albuterol oder Albuterolsulfat bestehen;

(5) die aus 25.0 Gew% Ethanol, 0.1 Gew% Ölsäure, 74.8 Gew% 1,1,1,2,3,3,3,-Heptafluorpropan und 0.1 Gew% Albuterol oder Albuterolsulfat bestehen."

VI. Das für die vorliegende Entscheidung wesentliche schriftliche und mündliche Vorbringen der Beschwerdeführerin kann wie folgt zusammengefaßt werden:

i) Der Einspruchsabteilung habe kein Ermessen zugestanden, die von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung am 2. März 1999 vorgelegten Anspruchssätze im Rahmen von Artikel 114 (2) EPÜ und Regel 71a EPÜ als verspätet zurückzuweisen.

Insbesondere seien der Beschwerdeführerin von der Einspruchsabteilung vor der mündlichen Verhandlung nicht die zur Vorgehensweise nach der Regel 71a (2) EPÜ geforderten Gründe in einem Bescheid unter Regel 58 (3) mitgeteilt worden, die der Erteilung oder Aufrechterhaltung des Patents entgegengestanden hätten. Hierzu sei unter anderem noch auf eine analoge Anwendung von Regel 86 (3) EPÜ zu verweisen.

ii) Ferner habe die von der Einspruchsabteilung in der Begründung zum Widerruf des Patentes unter anderem in Betracht gezogene Umkehr der Beweispflicht, was die rechtmäßige Beanspruchung der Priorität zu der Entgegenhaltung (3) betreffe, nicht bestanden. Den Beschwerdegegnerinnen, welche eine Entgegenhaltung erstmalig im Einspruchsverfahren einführten, obliege in jedem Fall die Beweispflicht für die Gültigkeit aller Daten und Angaben, die eine solche Entgegenhaltung erst als verfahrensrelevant erscheinen ließe. Die Beschwerdeführerin sei erstmals in der mündlichen Verhandlung von der Auffassung der Einspruchsabteilung informiert worden, daß für die Entgegenhaltung (3) zu Recht eine Priorität in Anspruch genommen werden könne.

iii) Schließlich könne die erst in der mündlichen Verhandlung von der Einspruchsabteilung vorgenommene Klärung der Prioritätsfrage zur Entgegenhaltung (3) als eine solche Änderung der Sachlage angesehen werden, die nicht nur die Zulässigkeit neuer Anträge in jedem Falle begründe, sondern die Gewährung einer Vorbereitungszeit zur Abgabe einer fundierten Stellungnahme erforderlich gemacht hätte. Die Nichtgewährung einer solchen Vorbereitungszeit begründe die Verletzung des rechtlichen Gehörs.

iv) Gleichermaßen seien die von der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung unter den Artikeln 84 EPÜ und 123 (2) EPÜ herangezogenen Einwände derart knapp und schnell in der mündlichen Verhandlung erörtert worden, daß nicht erkennbar gewesen sei, welches überhaupt die sachliche Grundlage der Einwände mit Bezug auf den Stand der Technik nach der Entgegenhaltung (3) gewesen seien und daß folglich eine fundierte Stellungnahme der Beschwerdeführerin erst gar nicht habe stattfinden können.

v) Nach alledem habe der Einspruchsabteilung nicht nur kein Ermessen zugestanden, die vorgelegten Ansprüche bzw. Anträge als verspätet zurückzuweisen, sondern die Entscheidung der Einspruchsabteilung sei auch wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ aufzuheben.

vi) Die in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorgenommenen Änderungen in den Anspruchssätzen I + II seien dadurch begründet, daß der behauptete Mangel der Spezifizierung des Treibmittels als 1,1,1,2,3,3,3,-Heptafluorpropan in der Abfassung der Disclaimer von der Beschwerdegegnerin 03 erstmalig am 8. Mai 2002, also eine Woche vor der mündlichen Verhandlung vorgetragen wurde und daß die Bedenken der Kammer zur Offenbarung einer "Medizinische Aerosolformulierung, die....wenigstens einen aliphatischen Alkohol...enthält", sogar erst während der mündlichen Verhandlung aufgezeigt worden seien.

vii) Die Vielzahl der von den Beschwerdegegnerinnen noch vorgetragenen Einwendungen unter den Artikeln 84 EPÜ und 123 EPÜ gegen die Abfassung der Disclaimer müßten ausnahmslos zurückgewiesen werden, da die beanstandeten Formulierungen klar und eindeutig seien und entweder dem Wortlaut nach oder im Sinne der jeweiligen Gesamtlehre der relevanten Entgegenhaltungen als offenbarten und damit in zulässiger Weise ausschließbaren Stand der Technik festlegten.

Insbesondere sei dem Einwand entgegenzutreten, daß der Ausschluß therapeutisch wirksamer Mengen von Albuterolsulfat sowie Pirbuterolacetat zu Unbestimmtheiten bezüglich der beanspruchten Zusammensetzungen führe. Die therapeutisch einzusetzende Menge der im Anspruch spezifizierten Medikamente sei dem allgemeinen Fachwissen zuzuordnen und hinge von klaren und eindeutigen Faktoren wie der zu behandelnden Krankheit, dem Alter und Gesundheitszustand des Patienten ab, Informationen, die dem Fachmann aber zu jedem Zeitpunkt genau definiert zur Verfügung stünden. Darüber hinaus seien die therapeutisch wirksamen Mengen in den Entgegenhaltungen, gegenüber denen die strittigen Disclaimer formuliert seien, eindeutig vorbeschrieben.

VII. Die Beschwerdegegnerinnen haben dem widersprochen und unter anderem vorgetragen, daß sehr wohl ein Ermessen der Einspruchsabteilung bestanden habe, alle Anspruchssätze mit den erstmalig in der mündlichen Verhandlung beantragten Änderungen als verspätet zurückzuweisen, da insbesondere die Ladung zur mündlichen Verhandlung unter ausdrücklichem Hinweis auf die Bestimmungen von Regel 71a (2) EPÜ eindeutig eine Frist zur Einreichung von "Unterlagen", wie von der genannten Regel gefordert, enthielte und weder besagte Regel, noch die entsprechende Mitteilung im Amtsblatt 1995, Seite 419 voraussetze, daß die Mitteilung der Gründe, die einer Aufrechterhaltung des Patents entgegenstünden, von Seiten der Einspruchsabteilung zu erfolgen habe. Und zwar seien im vorliegenden Fall sämtliche Gründe, die der Aufrechterhaltung des Patents tatsächlich entgegengestanden hätten, der Beschwerdeführerin in ausführlicher Weise durch die Einspruchsschriftsätze mitgeteilt worden.

Darüber hinaus habe die Beschwerdeführerin, obwohl ihr der konkrete neuheitschädliche Offenbarungsgehalt mehrerer Entgegenhaltungen, insbesondere der Entgegenhaltung (3), bereits im Verlauf des schriftlichen Einspruchsverfahrens lange vor der mündlichen Verhandlung bekannt gewesen sei, keinerlei Versuch unternommen, die beanstandete Breite der Disclaimerformulierungen sowie Klarheitsmängel gegenüber dem genannten Stand der Technik zu beseitigen. An dieser Sachlage ändere auch die von der Beschwerdeführerin lediglich konstruierte Prioritätsproblematik in der Entgegenhaltung (3) nichts, da im Hinblick auf die bekannten Bestimmungen zum gewerblichen Rechtschutz in den Vereinigten Staaten von Amerika nicht nur kein offensichtlicher Grund bestanden habe, die besagte Priorität anzuzweifeln, sondern auch vor Ablauf der Frist nach Regel 71a EPÜ entsprechende Beweismittel zur Glaubhaftmachung der Prioritätsbegründung der Entgegenhaltung (3) vorgelegen hätten.

Nach den mehrmaligen, ausdrücklichen Aufforderungen der Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung neue Anträge vorzulegen, habe auch genügend Zeit zur Formulierung entsprechend geänderter Anspruchssätze zur Verfügung gestanden, so daß sich die Frage einer Verletzung des rechtlichen Gehöres nach Artikel 113 (1) EPÜ überhaupt nicht stelle.

Im vorliegenden Fall eines Widerrufes des Patents mit Bezug auf Artikel 113 (2) EPÜ stelle sich auch generell die Frage in welchem Rahmen die Beschwerdeführerin beschwert sei und demzufolge überhaupt neue Ansprüche als Antwort auf die Gründe der Einspruchsentscheidung als zulässig anzusehen seien.

Da sich unabhängig von diesem Umstand auch im gesamten Beschwerdeverfahren die Sachlage bezüglich des Offenbarungsgehaltes des herangezogenen Standes der Technik nicht geändert habe, seien aber nicht nur die in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, sondern auch ausnahmslos alle in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereichten geänderten Anspruchssätze und Anträge als verspätet zurückzuweisen.

Insbesondere sei der Beschwerdeführerin der Mangel der Spezifizierung des Treibmittels als 1,1,1,2,3,3,3,-Heptafluorpropan sowie der Klarheitsmangel bezüglich der Formulierung "eine therapeutisch wirksame Menge" bei der Abfassung der Disclaimer in den jeweiligen Ansprüchen 1 der verbliebenen zwei Anspruchssätzen vor der mündlichen Verhandlung bekannt gewesen. Besagter Klarheitsmangel sei neben weiteren Einwänden unter Artikel 84 EPÜ von der Beschwerdegegnerin 04 sogar bereits im Schriftsatz vom 3. März 2000 eingehend dargelegt worden und müsse auch bei einer sachlichen Prüfung in jedem Fall zu einem Widerruf des Streitpatents führen. Beispielhaft für eine sachliche Beurteilung der mangelnden Klarheit der Formulierung "eine therapeutisch wirksame Menge" sei anzuführen, daß in der Behandlungspraxis die zu verabreichende Dosis für Kinder gegenüber erwachsenen Patienten stark variieren könnte. In jedem Fall sei eine nicht definierte Mengenangabe einer obligatorischen Komponente eines Produktanspruches ungeeignet, das Kriterium eines klar abgegrenzten, vom Schutzumfang auszuschließenden Gegenstandes, der präzise ausschließlich auf den Offenbarungsgehalt des neuheitsschädlichen Standes der Technik eingeschränkt ist, zu erfüllen.

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte gemäß Hauptantrag die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Einspruchsabteilung und Zurückverweisung an die erste Instanz auf Basis des Anspruchssatzes I, eingereicht am 15. Mai 2002, sowie Rückzahlung der Beschwerdegebühr wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers. Die Beschwerdeführerin beantragte ferner die Vorlage der in Punkt 3.4 ihres Schreibens vom 25. April 2002 formulierten Rechtsfragen an die Große Beschwerdekammer.

Gemäß erstem Hilfsantrag beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Einspruchsabteilung und Zurückverweisung an die erste Instanz auf Basis des Anspruchssatzes II, eingereicht am 15. Mai 2002, sowie Rückzahlung der Beschwerdegebühr wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers. Die Beschwerdeführerin beantragte ferner die Vorlage der in Punkt 3.4 ihres Schreibens vom 25. April 2002 formulierten Rechtsfragen an die Große Beschwerdekammer.

Gemäß zweitem Hilfsantrag beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Einspruchsabteilung und Aufrechterhaltung des europäischen Patents auf der Basis des Anspruchssatzes I vom 15. Mai 2002, sowie Vorlage der in Punkt 3.4 ihres Schreibens vom 25. April 2002 formulierten Rechtsfragen an die Große Beschwerdekammer.

Gemäß drittem Hilfsantrag beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Einspruchsabteilung und Aufrechterhaltung des europäischen Patents auf der Basis des Anspruchssatzes II, eingereicht am 15. Mai 2002, sowie Vorlage der in Punkt 3.4 ihres Schreibens vom 25. April 2002 formulierten Rechtsfragen an die Große Beschwerdekammer.

Die Beschwerdegegnerinnen beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

Zulässigkeit der Beschwerde

1. Die Beschwerde entspricht den Anforderungen der Artikel 106 bis 108 und der Regeln 1 (1) und 64 b) EPÜ.

Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung auch im Sinn des Artikels 107, Satz 1 EPÜ beschwert, da ihren Anträgen nicht entsprochen wurde. Die Begründung der Einspruchsabteilung zur Zurückweisung der Anträge als verspätet und der daraus folgende Widerruf des Patents mangels Vorliegens einer gebilligten Fassung entsprechend Artikel 113 (2) EPÜ läßt die Beschwer für die Beschwerdeführerin nicht entfallen, sondern kann nur Gegenstand der Prüfung der Begründetheit der Beschwerde sein.

Die Beschwerde ist daher zulässig.

Zulässigkeit der Vorlage neuer Patentansprüche

2. Die Beschwerdeführerin hat mit der Beschwerdebegründung neue Anspruchssätze vorgelegt, die als Antwort auf die sachlichen Einwände der Einspruchsabteilung zu werten sind. Deren Vorlage ist daher zeitlich und inhaltlich verfahrensgerecht. Dem steht nicht entgegen, daß die Einspruchsabteilung die Anspruchssätze als verspätet zurückwies, da die Zurückweisung, wie nachstehend ausgeführt, auf der Grundlage einer sachlichen Prüfung der Nichtgewährbarkeit der in Anspruchssatz I aufgenommenen Disclaimer erfolgte.

Die Beschwerdegegnerinnen haben nicht vorgetragen und die Kammer sieht auch hierfür keine Indizien für gegeben, daß die neuen Anspruchssätze im Beschwerdeverfahren aus Gründen der Verfahrensverzögerung erst in diesem Verfahrensabschnitt vorgelegt wurden. Eine Zurückweisung der Anspruchssätze wegen Verfahrensmißbrauch scheidet daher aus.

Schließlich unterscheiden sich die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten und zuletzt gestellten Anspruchssätze gegenüber den mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Anspruchssätzen nur durch die einschränkende Definition des vom beanspruchten Gegenstand auszuschließenden Treibmittels als 1,1,1,2,3,3,3,-Heptafluorpropan und die Streichung der Beifügung "wenigstens" bezüglich des Gehalts eines aliphatischen Alkohols in der beanspruchten Aerosolformulierung. Die Kammer sieht diese Änderung durch den Gang des Verfahrens für veranlaßt und in der Sache als geringfügig an.

Die Kammer hält es im vorliegenden Fall nicht für sachgerecht, die Frage der Zulässigkeit der Anträge trotz deren später Vorlage zusätzlich mit der Frage der Gewährbarkeit der geänderten Ansprüche zu verknüpfen und bejaht deren zulässigen Einführung ins Verfahren allein aus der Feststellung, daß keine Verfahrensverzögerung zu erwarten war und den übrigen Verfahrensbeteiligten ein Eingehen auf diese Änderung in der mündlichen Verhandlung zugemutet werden konnte.

Rechtlicher Prüfungsrahmen in der Beschwerde

3. Der durch die Einspruchseinlegung eröffnete rechtliche Prüfungsrahmen gilt auch für die Beschwerdeinstanz. Die Behauptung der Beschwerdegegnerinnen, daß bei einem auf Artikel 113 (2) EPÜ gestütztem Widerruf des Patents mangels Vorliegens einer gewährbaren Fassung die Beschwerdeinstanz lediglich zu prüfen habe, ob die Vorentscheidung aufgrund der zum Zeitpunkt der Erstentscheidung bestehenden Sach- und Rechtslage zutreffend ergangen ist oder nicht und keine weitere Prüfung aufgrund einer neuen Sach- und Rechtslage mehr vornehmen dürfe, widerspricht sowohl dem Ermessen, das den Beschwerdekammern hinsichtlich der Berücksichtigung neuer Tatsachen und Beweismitteln gemäß Artikel 114 (2) EPÜ zukommt als auch der den Beschwerdekammern nach Artikel 111 (1), Satz 2, 1. Halbsatz EPÜ zugewiesenen Kompetenz, im Rahmen der Zuständigkeit des Organs, dessen Entscheidung angefochten wurde, tätig zu werden.

Verfahrensfehler der ersten Instanz

4. Die Beschwerdeführerin stützt sowohl den Hauptantrag als auch den ersten Hilfsantrag auf die Behauptung, die erste Instanz habe einen Verfahrensfehler begangen, der eine Zurückverweisung des Verfahrens rechtfertige.

Nachdem die Kammer sowohl Anspruchsatz I als auch Anspruchssatz II für zulässig ins Verfahren eingeführt hält, hat der Hilfsantrag 1 gegenüber dem Hauptantrag keine eigenständige Bedeutung mehr. Würde die Kammer einen Verfahrensfehler bejahen, müßte eine Zurückverweisung an die erste Instanz ohne Sachprüfung des Anspruchssatzes I erfolgen, anderenfalls der Verfahrensfehler nicht Grundlage für die Zurückverweisung sein könnte. Würde die Kammer einen Verfahrensfehler verneinen, könnte keinem Zurückverweisungsantrag stattgegeben werden, unabhängig welcher Anspruchssatz dem Antrag zugrunde liegt.

5. Die Beschwerdeführerin trug vor, daß die Einspruchsabteilung verfahrensfehlerhaft die am 2. März 1999 gestellten Anträge als verspätet zurückgewiesen habe, weil die Voraussetzungen der Regel 71a EPÜ nicht vorgelegen hätte und zuvor ein Bescheid gemäß Regel 86 (3) hätte erlassen werden müssen.

6. Die Kammer weist darauf hin, daß Regel 86 (3) EPÜ im inter partes Verfahren nicht unmittelbar zur Anwendung kommt. Die Vorschriften des Artikels 102 (2) und der Regel 58 (3) EPÜ können nicht dahin ausgelegt werden, daß die Einspruchsabteilung in jedem Fall verpflichtet ist, einen schriftlichen Bescheid zu möglichen Widerrufsgründen zu erteilen. Es genügt, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Widerrufsgründe der Beschwerdeführerin durch das Vorbringen der Einsprechenden bekannt sind und sie ihr Prozeßverhalten darauf einrichten kann (vgl. T 275/89; ABl. EPA 1992, 126). Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern zu Regel 71a EPÜ könnten die (durch Disclaimer) geänderten Ansprüche dann als verspätet zurückgewiesen werden, wenn diese formal nicht in Ordnung sind und sachlich nicht erfolgsversprechend geprüft werden können (vgl. T 1105/98, Ziff. 3.6; ABl. EPA 1998, 249). Ob diese Voraussetzungen zur Zurückweisung als verspätet vorlagen oder nicht, kann im vorliegenden Fall aber dahingestellt bleiben, da die Einspruchsabteilung eine Sachprüfung tatsächlich durchgeführt und nicht nur die Erfolgsaussicht einer solchen Prüfung bewertet hat. Die Zurückweisung der Ansprüche beruht daher im Ergebnis auf der festgestellten Nichtgewährbarkeit der Ansprüche und nicht auf einer unrichtigen Anwendung der Regel 71a EPÜ.

Die substantiierte Sachprüfung ergibt sich aus Ziffer 3 der Gründe der angegriffenen Entscheidung. Dort wird im einzelnen nachgewiesen, daß der in beiden Anspruchssätzen vorhandene dritte Disclaimer keine Basis in der Entgegenhaltung (3) hat, da die vom Disclaimer erfaßten Komponenten in dieser Entgegenhaltung weder ausdrücklich neuheitsschädlich genannt, noch aus der Zusammenschau von Tabellen und Beispielen als offenbarte Lehre abgeleitet werden können. Die angegriffene Entscheidung weist ferner darauf hin, daß die insgesamt 3. Disclaimer jeweils durch das Wort "oder" verbunden waren und dies einen Verstoß gegen Artikel 84 EPÜ im Sinne einer Unklarheit darstellt. Die Zurückweisung der Anspruchssätze war daher sachlich begründet, was die Beschwerdeführerin auch veranlaßte, im Beschwerdeverfahren entsprechend geänderte Anspruchssätze vorzulegen.

7. Die angefochtene Entscheidung könnte ferner dann auf einem Verfahrensfehler beruhen, wenn das Recht der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör durch die Einspruchsabteilung verletzt worden wäre.

Die in den Gründen der Entscheidung aufgeführten Tatsachen und Argumente, warum die in den Anspruchssätzen eingefügten Disclaimer nicht gewährbar sind, wurden laut Protokoll mit den Beteiligten diskutiert und der Beschwerdeführerin, was diese auch nicht abstreitet, wurde Gelegenheit gegeben, neue Anträge zu stellen. Die Beschwerdeführerin hatte damit Gelegenheit sich zu den Gründen der Entscheidung zu äußern und sich durch neue Anträge verfahrensmäßig darauf einzustellen.

Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs könnte schließlich noch damit begründet werden, daß die Beschwerdeführerin von den Einwänden gegen die Disclaimer im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung völlig überrascht wurde und nicht in der Lage war, ohne Vertagung oder Fortführung des Verfahrens im schriftlichen Verfahren, sich auf diese Rechtslage einzustellen. In diesem Sinne versteht die Kammer den nunmehrigen Vortrag der Beschwerdeführerin, daß ihr in der Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht möglich gewesen sei eine fundierte Stellungnahme abzugeben, weil die sachlichen Grundlagen der Einwände mit Bezug auf den Stand der Technik nach der Entgegenhaltung (3) nicht erkennbar waren. Hierzu stellt die Kammer fest, daß es bei Einfügung eines Disclaimers in einen Anspruch in den Pflichtenkreis der Beschwerdeführerin gehört, dessen sachlichen Grundlagen im Hinblick auf die Entgegenhaltung, die das Einfügen des Disclaimers rechtfertigen soll, genau zu kennen, um auf Einwände erwidern zu können. Ferner hat die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag auf Vertagung oder schriftliche Fortführung des Verfahrens gestellt, so daß auch aus diesem Grund eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht in Betracht kommt. Ebenso hat die Beschwerdeführerin trotz der gebotenen Gelegenheit vor der Einspruchsabteilung hinsichtlich des Einwands mangelnder Klarheit der im Anspruch 1 verwendeten Worte "oder" keine Antragsänderung vorgenommen. Auch das weitere Argument der Beschwerdeführerin, sie sei von der Beweiswürdigung der Einspruchsabteilung zur Gültigkeit der Priorität für die Entgegenhaltung (3) überrascht gewesen, kann nicht die Feststellung der Verletzung des rechtlichen Gehörs rechtfertigen, da die Einsprechenden von Anfang an die Neuheitsschädlichkeit dieser Entgegenhaltung geltend machten und Behauptungen für die Gültigkeit der Priorität anführten. Die Beschwerdeführerin hätte daher schon vor der mündlichen Verhandlung in Erwägung ziehen müssen, daß die Einspruchsabteilung der Argumentation der Einsprechenden folgen könnte. Das Recht auf rechtliches Gehör begründet keinen Anspruch darauf, die zu treffende Entscheidung im Ergebnis schon vor ihrem Erlaß mitgeteilt zu erhalten, sondern nur einen Anspruch darauf, sich zu einer möglichen Entscheidung vorher zu äußern. Da die Einspruchsabteilung die Beschwerdeführerin hierzu angehört hat und damit rechtliches Gehör gewährte, beruht die angegriffene Entscheidung nicht auf einem Verfahrensfehler.

Im Ergebnis ist daher sowohl der Hauptantrag als auch der erste Hilfsantrag auf Zurückverweisung des Verfahrens an die erste Instanz mangels eines Verfahrensfehlers unbegründet und zurückzuweisen.

Gewährbarkeit der Anspruchsätze I und II

8. Die Kammer hat ferner die Gewährbarkeit der Anspruchssätze I und II im Rahmen des zweiten und dritten Hilfsantrags geprüft. Wenn, wie im vorliegenden Fall, im Einspruchs- oder anschließendem Beschwerdeverfahren Änderungen an einem Patent vorgenommen werden, muß nach Artikel 102 (3) EPÜ geprüft werden, ob es dadurch zu einem Verstoß gegen ein Erfordernis des Übereinkommens einschließlich des Artikels 84 EPÜ kommt.

Die Ansprüche 1 der Anspruchssätze I und II, die Grundlage des zweiten und dritten Hilfsantrages bilden, enthalten jeweils mehrere Ausschlußbestimmungen (Disclaimer), deren erste medizinische Aerosolformulierungen ausschließt, "die eine therapeutisch wirksame Menge mikronisiertes Albuterolsulfat, 5 bis 15 Gewichtsprozent Ethanol, von 0.05. bis 0.5 Gewichtsprozent eines oberflächenaktiven Stoffes ausgewählt aus der Gruppe, die aus Ölsäure und Sorbitan Trioleat besteht, und 1,1,1,2,3,3,3,-Heptafluorpropan als im wesentlichen einziges Treibmittel enthalten."

Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe z. B. "Rechtsprechung", 4. Auflage 2001, II.B.1.2.1) müssen Ansprüche, die einen Disclaimer enthalten, klar erkennen lassen, durch welche technischen Merkmale sich der beanspruchte vom ausgeschlossenen Gegenstand unterscheidet. Dies ist in Anspruch 1 beider Anspruchsätze nicht der Fall. Abgesehen davon, daß obige Ausschlußbestimmung ohne Angabe der zu behandelnden Krankheit bei zudem nur als "therapeutisch wirksam" angegebenen Menge des medizinischen Wirkstoffes, welche in Abhängigkeit von der zu behandelnden Krankheit, deren Schwere oder der zu behandelnden Patientengruppe, z. B. Kind oder Erwachsener, innerhalb breiter Grenzen variieren kann, bereits aus diesem Grund zu einer Beanstandung unter Artikel 84 EPÜ führen muß, da weder der ausgeschlossene noch der im Anspruch verbleibende Gegenstand, für den Schutz begehrt wird, in der nach Artikel 84 EPÜ erforderlichen Weise eindeutig definiert ist, steht besagte Formulierung auch in Widerspruch mit den übrigen in den jeweiligen Ansprüchen 1 noch enthaltenen Ausschlußbestimmungen, insbesondere mit der Ausschlußbestimmung "(3)" in Anspruch 1 des Anspruchssatzes I sowie den Ausschlußbestimmungen "(3)" bis "(5)" in Anspruch 1 des Anspruchssatzes II.

Und zwar besagt die dritte Ausschlußbestimmung in Anspruch 1 des Anspruchssatzes I, daß Aerosolformulierungen gänzlich ausgenommen sind, "die aus Ethanol, Ölsäure, 1,1,1,2,3,3,3,-Heptafluorpropan mit Albuterol oder Albuterolsulfat bestehen", während im Gegensatz dazu die erste Aerosolformulierungen mit genau gleicher qualitativer Zusammensetzung nur in bestimmter quantitativer Zusammensetzung ausschließt, so daß Anspruch 1 einen unauflösbaren Widerspruch aufweist.

Im umgekehrten Sinne betreffen die Bestimmungen "(3)" bis "(5)" in Anspruch 1 des Anspruchssatzes II den Ausschluß von präzise definierten Anteilen von jeweils 0,1 Gew.% Albuterol oder Albuterolsulfat in medizinischen Aerosolformulierungen bei variierendem aber definiertem Ethanol- und Ölsäuregehalt, so daß auch hier völlig unklar bleibt, was unter der nach der Bestimmung "(1)" gleichzeitig auszuschließenden "therapeutisch wirksamen Menge" Albuterolsulfat einer ebenfalls medizinischen Aerosolformulierung zu verstehen ist.

Bei dieser Sachlage kann auch das Argument, daß der zuständige Fachmann, so der behandelnde Arzt, die jeweils individuell zu verabreichenden Mengen kenne, nicht weiterhelfen, um unter Einbeziehung der Gesamtheit der in den in Rede stehenden Ansprüchen 1 jeweils enthaltenen widersprüchlichen Ausschlußbestimmungen eindeutig, wie von Artikel 84 EPÜ gefordert, den Gegenstand zu bestimmen, für den Schutz begehrt wird.

Folglich kann auch dem zweiten und dritten Hilfsantrag, welche eine Aufrechterhaltung des Streitpatents auf der Grundlage von Anspruchssatz I beziehungsweise Anspruchssatz II zum Inhalt haben, die aber, wie voranstehend aufgezeigt, die Erfordernisse zumindest eines der Artikel des Europäischen Patentübereinkommens nicht erfüllen, insgesamt nicht stattgegeben werden.

Vorlage einer Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer

9. Die Beschwerdeführerin hat den Hauptantrag und alle Hilfsanträge jeweils noch mit dem Antrag verknüpft, der Großen Beschwerdekammer die in ihrem Schriftsatz vom 25. April 2002 niedergelegte Rechtsfrage zur Entscheidung vorzulegen. Die Beschwerdeführerin stellte diese Anträge für den Fall, daß die Kammer beabsichtigt, der Begründung der Entscheidung T 323/97 zur Unzulässigkeit von Disclaimern, die gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoßen, zu folgen.

Artikel 112 (1) a) EPÜ bestimmt, daß eine Vorlage zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Entscheidung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung an die Große Beschwerdekammer nur dann erfolgen kann, wenn die vorlegende Kammer zu dieser Fragestellung eine Entscheidung für erforderlich hält. Die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer ist in jedem Fall dann nicht erforderlich, wenn die vorzulegende Rechtsfrage nicht entscheidungserheblich ist. Für den Haupt- und ersten Hilfsantrag ergibt sich die fehlende Entscheidungserheblichkeit schon daraus, daß diese Anträge mit dem Vorliegen eines schwerwiegenden Verfahrensfehlers begründet wurden und eine Entscheidung hierüber keinerlei Sachzusammenhang mit der gestellten Rechtsfrage haben kann.

Aber auch die Entscheidung der Kammer zur Nichtgewährbarkeit des jeweils mit zweiten und dritten Hilfsantrags gestellten Anspruchs 1 beruht nicht auf einer inzident getroffenen Entscheidung zu der gestellten Rechtsfrage, sondern allein auf der Feststellung, daß einer der Disclaimer und damit der Anspruch 1 nicht den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ genügt.

Die Anträge auf Vorlage dieser Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer waren somit zurückzuweisen, da sie nicht der Voraussetzung der Entscheidungserheblichkeit in Artikel 112 (1) a) EPÜ genügen.

Rückzahlung der Beschwerdegebühr

10. Die Beschwerdeführerin verband Haupt- und ersten Hilfsantrag mit dem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr. Da die Kammer weder einen wesentlichen Verfahrensfehler der ersten Instanz feststellte, noch der Beschwerde stattgab, liegen die Voraussetzung für eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ nicht vor.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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