T 0954/98 (Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit) of 9.12.1999

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1999:T095498.19991209
Datum der Entscheidung: 09 Dezember 1999
Aktenzeichen: T 0954/98
Anmeldenummer: 92113370.8
IPC-Klasse: G05B 19/05
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished | Unpublished v2
Bezeichnung der Anmeldung: Informationsübertragungsverfahren zur Übertragung digitaler Informationen
Name des Anmelders: SIEMENS AKTIENGESELLSCHAFT
Name des Einsprechenden: VIPA Gesellschaft f. Visualisierung u. Prozessautomatisierung
Kammer: 3.5.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 24(3)
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
European Patent Convention 1973 Art 113
European Patent Convention 1973 Art 131
European Patent Convention 1973 R 66
European Patent Convention 1973 R 84
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 1
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 2
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12
Schlagwörter: Beschwerdeverfahren - Befangenheit - maßgebende Kriterien bei der Beurteilung
Antrag auf Fristverlängerung - Ablehnung - Begründung nicht erforderlich
Beweislastverteilung - Amtshilfe
Orientierungssatz:

I. Die Vorschriften über die Ablehnung eines Kammermitglieds wegen Befangenheit sind unter Berücksichtigung nicht nur des Grundsatzes der Unparteilichkeit des Richters, sondern auch des Grundsatzes des gesetzlichen Richters so auszulegen, daß zwar einerseits ein der Parteilichkeit verdächtigtes Kammermitglied mit der Sache nicht befaßt wird, andererseits aber verhindert wird, daß eine Partei nach ihrem Belieben und ohne einen objektiv feststellbaren Grund die Zusammensetzung einer Kammer ändern kann.

II. Rein subjektive Eindrücke oder allgemeine Verdächtigungen können nicht ausreichend sein, um den Ablehnungstatbestand zu erfüllen. Vielmehr müssen Verhaltensweisen des Kammermitglieds oder ihn betreffende Situationen vorliegen, die objektiv die Befürchtung bei den Beteiligten rechtfertigen können, das Kammermitglied sei parteiisch.

III. Basiert der Verdacht auf Parteilichkeit ausschließlich darauf, daß verfahrensinterne Maßnahmen in dem Verfahren getroffen worden sind, durch die die Verfahrensrechte der Parteien im Rahmen des vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessens gestaltet worden sind, wobei diese Maßnahmen im Einzelfall zuungunsten einer Partei ausfallen können, so ist dieser Verdacht nicht ausreichend, um die Ablehnung zu rechtfertigen. Dies gilt auch, wenn die betroffene Partei die Maßnahmen als Ausdruck eines Vorurteils ihr gegenüber auslegt.

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/86
G 0005/91
G 0007/91
G 0008/91
T 0261/88
T 0843/91
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0001/05
G 0002/08
G 0003/08
T 0985/01
T 1021/01
T 1193/02
T 0190/03
T 0281/03
T 0283/03
T 0572/03
T 1257/14

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 22. Juli 1998, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 0 586 715 zurückgewiesen worden ist, hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) Beschwerde eingelegt. Sie hat den Widerruf des oben genannten Patents in vollem Umfang beantragt. Die Beschwerdegegnerin hat die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents beantragt.

II. Mit Schriftsatz vom 3. Februar 1999 hat die Patentinhaberin eine beschleunigte Durchführung des Verfahrens beantragt.

III. In dem vom Berichterstatter - Herrn Wibergh - unterschriebenen Bescheid vom 11. März 1999 hat die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Auffassung zur Beurteilung des Falls dargestellt.

IV. Mit Schriftsatz vom 9. Juli 1999 hat die Beschwerdeführerin eine Fristverlängerung von zwei Monaten beantragt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, daß ihr Vertreter mit mehreren, dieselbe technische Angelegenheit betreffenden Klagen von der Beschwerdegegnerin, die eine herrschende Marktstellung besitze, überhäuft werde und somit terminlich überlastet sei. Au erdem hat sie die Beschwerdekammer gebeten, eine Kopie der Druckschrift IEEE Std. 1149.1-1990 "im Zuge des Amtshilfeverfahrens" beim amerikanischen Patentamt zu besorgen.

V. In einem Bescheid vom 16. Juli 1999 hat die Geschäftsstelle der Beschwerdeführerin mitgeteilt, daß die beantragte Fristverlängerung von der Kammer nicht gewährt wurde und daß die Druckschrift nicht besorgt werden konnte, da ein solcher Vorgang mit dem Prinzip der Unparteilichkeit der Beschwerdekammern kaum vereinbar wäre.

VI. Mit Schriftsatz vom 22. Juli 1999 hat die Beschwerdeführerin sowohl den Berichterstatter in der Beschwerdesache T 0954/98 - 3.5.1 - Herrn Wibergh - als auch die anderen damals befaßten Mitglieder wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

Zur Begründung hat sie im wesentlichen vorgetragen, daß das Verhalten der Technischen Beschwerdekammer eine Voreingenommenheit in dem Sinne erkennen lasse, daß die Beschwerdekammer nicht ernsthaft bereit sei, sich mit einer Gegenmeinung überhaupt auseinanderzusetzen, und somit wegen Versagung des rechtlichen Gehörs gegen Artikel 113 EPÜ verstoßen habe.

Es handele sich um eine im Laufe des Beschwerdeverfahrens entstandene Folge von vertrauensmindernden Äußerungen und Handlungen, die je für sich wenig bedeutend sein mögen, aber in ihrer Abfolge und Häufung an der Unvoreingenommenheit sowie an der Unparteilichkeit aller drei Mitglieder der Kammer zweifeln ließen:

a) Im Hinblick auf ihren Antrag, die Druckschrift IEEE Std. 1149.1-1990 zu besorgen, trägt die Beschwerdeführerin vor, daß, wenn ein Dokument relevant sei (wie im vorliegenden Fall), es dem Verfahrensbeteiligten möglich sein müsse, seine Argumentationskette auch auf dieses Dokument abzustützen. Obwohl es der Beschwerdekammer zuzugeben sei, daß das Beschwerdeverfahren im Interesse aller Parteien grundsätzlich straff durchgeführt werden solle, sei es realistisch gesehen in einem sachgerechten Einspruchsbeschwerdeverfahren nun einmal nicht zu vermeiden, daß Dokumente verspätet eingereicht würden. Letztlich stelle das Auffinden neuen entgegenstehenden Materials eine Hilfe für das EPA dar und zeige nichts weiter, als daß die Ermittlung von Amts wegen, die nach Artikel 114 (1) EPÜ vorgeschrieben sei, hier eben unzureichend durchgeführt worden sei. Daher sei das EPA geradezu verpflichtet, relevante Hinweise im Verfahren zu beachten. Hierfür spreche auch die Verfahrensökonomie.

Außerdem folge unmittelbar aus der Rechtsprechung der Beschwerdekammern, insbesondere der Entscheidung T 219/83 (ABl. EPA 1986, 211), daß das EPA eben verpflichtet sei, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln.

Nach Auffassung der Beschwerdeführerin sei der Befangenheitsantrag auch wegen Versagung des rechtlichen Gehörs gemäß Artikel 113 EPÜ begründet, da der Anspruch auf rechtliches Gehör auch die Bereitschaft (der Kammer) zur Kenntnisnahme von Vorbringen garantiere. Damit lägen objektive Gründe vor, die bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken könnten, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber.

Ergänzend hat die Beschwerdeführerin vorgetragen, daß nach Artikel 102 (3) EPÜ bzw. Artikel 111 (1) EPÜ die Einspruchsabteilung bzw. die Beschwerdekammer befugt sei, unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Übereinkommens als Ganzes über den Rechtsbestand des geänderten Patents zu entscheiden. Wegen dieser Befugnis müsse die Kammer entgegengesetzten Interessen voll und ganz Rechnung tragen, nämlich einerseits dem Bedürfnis des Patentinhabers auf eine möglichst zügige Abwicklung des Einspruchsverfahrens und andererseits der Gewähr für die Benutzer oder potentiellen Benutzer der durch das europäische Patent geschützten Erfindung, daß diese Patente rechtsbeständig und durchsetzbar seien. Die Interessen der ersteren verlangten natürlich eine Straffung des Verfahrens, die der letzteren hingegen die ungeschmälerte Ausschöpfung beider Instanzen.

b) Was die Ablehnung des Fristverlängerungsgesuchs betrifft, trägt die Beschwerdeführerin vor, daß eine solche Ablehnung einzig und ausschließlich der Beschwerdegegnerin nutze, so daß die Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes unmittelbar auf die Parteilichkeit der Mitglieder der Kammer zurückzuführen sei. In der Tat habe die Beschwerdegegnerin fast eine Monopolstellung, wobei die Beschwerdeführerin zusammen mit einer weiteren Firma sich in der Bundesrepublik Deutschland einen restlichen Marktanteil von ca. 1 % teile. Bei dieser Lage sei der mit Schriftsatz vom 3. Februar 1999 eingereichte Antrag der Beschwerdegegnerin auf eine beschleunigte Durchführung des Verfahrens ein Mittel zur Geltendmachung des Streitpatents auf Kosten der Beschwerdeführerin, die praktisch mit der Öffentlichkeit gleichzusetzen sei. Die Kammer habe aufgrund ihrer Parteilichkeit das Fristverlängerungsgesuch abgelehnt, obwohl diese besondere Situation ihr bekannt gewesen sei (siehe Fristverlängerungsgesuch vom 9. Juli 1999), und habe dadurch die Beschwerdeführerin in eine prekäre Prozeßsituation gebracht. Im übrigen solle die Ablehnung eines begründeten Fristverlängerungsgesuchs nach der Erfahrung des Vertreters der Beschwerdeführerin immer begründet sein.

c) Was die Äußerungen der Kammer im Bescheid vom 11. März 1999 Ziffern 6 und 8 betrifft, hat die Beschwerdeführerin nur vorgetragen, daß sie in Verbindung mit der Mitteilung der Geschäftsstellenbeamtin der Kammer vom 16. Juli 1999 in einer Form geschehen seien, die eine Voreingenommenheit in dem Sinne erkennen lasse, daß die Beschwerdekammer nicht ernsthaft bereit sei, sich mit einer Gegenmeinung überhaupt auseinanderzusetzen; darüber könne auch der routinemäßige Hinweis in Ziffer 1 des Bescheids vom 11. März 1999 nicht hinwegtäuschen.

Nach Auffassung der Beschwerdeführerin ist nach Ablehnung des Fristverlängerungsgesuchs ihr Vertrauen in objektiv nachvollziehbarer Weise erschüttert.

Als Ablehnungsgrund im Sinne des Gesetzes sei der Gesamtkomplex der Ereignisse anzusehen.

Die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung ist beantragt worden.

VII. Mit Verfügung vom 28. Juli 1999 wurde die ursprüngliche Besetzung der Kammer in Anbetracht der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit der damals befaßten Mitglieder gemäß Artikel 24 (3), 2. Alternative EPÜ nach dem Geschäftsverteilungsplan geändert.

VIII. Gemäß Artikel 3 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern wurden die drei abgelehnten Mitglieder der Kammer (Herr P. Van den Berg, Herr S. Wibergh und Herr S. Perryman) aufgefordert, sich zu dem Befangenheitsvorwurf der Beschwerdeführerin zu äußern.

IX. Alle drei Mitglieder haben dazu Stellung genommen und jeden Vorwurf zurückgewiesen.

X. In der mündlichen Verhandlung, die am 9. Dezember 1999 stattgefunden hat, hat die Beschwerdeführerin beantragt, dem mit Schriftsatz vom 22. Juli 1999 eingereichten Ablehnungsantrag stattzugeben. Sie hat sich erneut auf die mit dem Schriftsatz vom 22. Juli 1999 vorgetragenen Ablehnungsgründe berufen, wobei sie insbesondere die unbegründete Zurückweisung des Fristverlängerungsgesuchs und die Absage, eine Kopie der Druckschrift IEEE Std. 1149.1-1990 zu besorgen, geltend gemacht hat. Sie ist auf die Stellungnahmen der abgelehnten Mitglieder beiläufig und nur insoweit eingegangen, als sich eines davon ihrer Meinung nach positiv zur Frage der Verfahrensbeschleunigung geäußert habe.

Die Beschwerdegegnerin hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Der gemäß Artikel 24 (3) EPÜ zulässige Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit ist ausschließlicher Gegenstand der jetzigen Verhandlung und dieser Entscheidung.

2. Bevor die Begründetheit des von der Beschwerdeführerin gestellten Ablehnungsantrags geprüft wird, sind zunächst die Wertungskriterien, die für eine solche Prüfung in Frage kommen, und insbesondere die Tatbestandsmerkmale des Befangenheitssachverhalts herauszuarbeiten.

2.1. Wie die Große Beschwerdekammer wiederholt hervorgehoben hat (siehe z. B. Entscheidungen G 1/86 (ABl. EPA 1987, 447), G 7/91 (ABl. EPA 1993, 356), G 8/91 (ABl. EPA 1993, 346), G 5/91 (ABl. EPA 1992, 617)), haben die Beschwerdekammern eine richterliche Funktion. Dieses Merkmal wurde auch von der Beschwerdeführerin ausdrücklich anerkannt.

Man kann davon ausgehen, daß eine wesentliche Voraussetzung für die Ausübung der richterlichen Tätigkeit zwischen zwei streitenden Parteien in allen Rechtsordnungen der Vertragsstaaten ist, daß die richtende Person keine gemeinsamen Interessen mit einer Partei haben darf und eine absolut neutrale Haltung haben muß.

Nur wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, kann nämlich der Richter auf den ihm unterbreiteten Fall das Gesetz korrekt anwenden. Die Parteien müssen außerdem auf die Unparteilichkeit des Richters vertrauen können, wenn sie ihm ihren Fall vortragen. Entstehen Zweifel an der Unparteilichkeit, können die Parteien die Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit beantragen.

Die Möglichkeit der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit ist als ein Mittel anzusehen, das der Gesetzgeber den Parteien zur Verfügung stellt, um die notwendige Voraussetzung der Unparteilichkeit des Richters überprüfen zu lassen.

2.2. Dieser Grundsatz der Unparteilichkeit steht allerdings nicht isoliert in der Rechtsordnung. Er muß vielmehr im Zusammenhang mit einem anderen, genauso wichtigen Grundsatz gesehen werden, nämlich mit dem Grundsatz des gesetzlichen Richters, der zum Beispiel im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Artikel 101 GG wie folgt beschrieben wird: "Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden." Gesetzlicher Richter ist der durch das Gesetz und die ergänzenden Geschäftsverteilungspläne der Gerichte im voraus allgemein bestimmte Richter. Dieser Grundsatz ist im allgemeinen in der Mehrheit der Vertragsstaaten (siehe zum Beispiel auch die italienische, französische und spanische Rechtsordnung) anerkannt.

Er gilt in direkter Anwendung für den Rechtsweg, das Gericht, den richterlichen Spruchkörper und den einzelnen Richter (siehe Seifert-Hömig, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 2. Auflage, Nomos Verlagsgesellschaft, Art. 101, Rdnr. 2). In der Tat kann nur diese Anwendung des Grundsatzes den Zweck der Norm erfüllen, da anderenfalls der Grundsatz durch eine nachträgliche Änderung in der Besetzung der Spruchkörper leicht umgangen werden könnte.

2.3. Tatsächlich wird dieser Grundsatz des gesetzlichen Richters für die Beschwerdekammern dadurch verwirklicht, daß zu Beginn eines jeden Geschäftsjahres ein Geschäftsverteilungsplan aufgestellt wird, nach dem alle Beschwerden, die im Laufe des Jahres eingereicht werden, auf die Beschwerdekammern verteilt und die Mitglieder und deren Vertreter bestimmt werden, die in den einzelnen Kammern tätig werden können, wobei einerseits die Vorsitzenden die Aufgabe übernehmen können, die Mitglieder für die Prüfung der einzelnen ihrer Kammer zugewiesenen Beschwerden unter Berücksichtigung der technischen und sprachlichen Belange der Beschwerde zu bestimmen, andererseits jede Änderung nach erfolgter Bestimmung eines Mitglieds nur aus wichtigem Grund und unter Berücksichtigung der vorgegebenen Vertretungsbestimmungen vorgenommen werden darf (vgl. Art. 1 i. V. m. Art. 2 VOBK und Art. 3 und 5 Geschäftsverteilungsplan der Beschwerdekammern).

2.4. Wie auch das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 21, 145 f.) festgestellt hat, besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem Grundsatz des gesetzlichen Richters und dem Grundsatz der Unparteilichkeit und Neutralität des Richters. Es wird vermutet, daß sich ein Richter, der anhand von im voraus festgelegten Kriterien bestimmt worden ist, automatisch in einer neutralen Haltung gegenüber den Parteien in dem ihm so zugeteilten Verfahren befindet. Ist das ausnahmsweise doch nicht der Fall, sieht das Gesetz die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit als Hilfsmittel vor.

Die Ablehnungsvorschriften zielen also darauf ab, daß ein nach den oben genannten Kriterien bestimmter Richter nicht tätig sein kann, falls trotzdem seine Parteilichkeit gegeben sein sollte. Aus den vorstehenden Überlegungen heraus müssen sie allerdings so ausgelegt werden, daß zwar einerseits ein parteiischer Richter mit der Sache nicht befaßt wird, andererseits aber verhindert wird, daß eine Partei nach ihrem Belieben und ohne einen objektiv feststellbaren Grund die Zusammensetzung einer Kammer ändern kann. Rein subjektive Eindrücke oder allgemeine Verdächtigungen können daher nicht ausreichend sein, um den Ablehnungstatbestand zu erfüllen. Vielmehr müssen Verhaltensweisen des Richters oder ihn betreffenden Situationen vorliegen, die objektiv die Befürchtung bei den Beteiligten rechtfertigen können, der Richter sei parteiisch (vgl. dazu die Entscheidung T 261/88 vom 16. Februar 1993, Leitsatz veröffentlicht im ABl. EPA 1994, 1-2, I).

2.5. Die Notwendigkeit, diesen zwei Grundsätzen gebührend Rechnung zu tragen, ist um so dringender, wenn die Ablehnungsanträge auf einem Verhalten basieren, das der Richter in Ausübung seines Amts während des die Partei betreffenden Verfahrens an den Tag gelegt hat. In einem Verfahren muß der Richter immer wieder verfahrensinterne Maßnahmen treffen, um zur Endentscheidung in der Sache kommen zu können, und notwendigerweise die Verfahrensrechte der Parteien im Rahmen des vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessens gestalten, wobei diese Maßnahmen im Einzelfall zuungunsten einer Partei ausfallen können. Auch wenn die betroffene Partei sie als Ausdruck eines Vorurteils des Richters ihr gegenüber auslegt, ist ein nur auf diesen Umständen basierender Verdacht aber unbegründet, weil die Maßnahmen notwendig sind, um zur Endentscheidung zu kommen. Wollte man die Ablehnung eines Richters jedesmal zulassen, wenn er das ihm vom Gesetz gewährte Ermessen bei der Verfahrensleitung ausübt, würde dies dazu führen, daß die Parteien den Verfahrensbetrieb beeinflussen könnten, um die Entscheidung zu verspäten oder die Zusammensetzung der Kammer zu ändern, was wiederum gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters verstieße.

Die Entscheidung T 843/91 (ABl. EPA 1994, 818), in der festgestellt worden ist, daß Befangenheit dann vorliegt, wenn eine Partei im Verfahren bewußt begünstigt wird, indem ihr Rechte eingeräumt werden, die ihr nicht zustehen, oder wenn die Rechte einer anderen Partei absichtlich mißachtet werden, ist in dem oben genannten Sinne zu verstehen.

3. Die Prüfung der vorgetragenen Gründe für den Ablehnungsantrag muß unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze vorgenommen werden.

3.1. Ablehnung des Antrags auf Fristverlängerung

Die deutsche Fassung der Regel 84 letzter Satz EPÜ lautet wie folgt: "In besonders gelagerten Fällen kann die Frist vor Ablauf auf Antrag verlängert werden." Diese Vorschrift ist nach Regel 66 (1) EPÜ auf das Verfahren vor den Beschwerdekammern anwendbar. Aus ihrer Formulierung wird ersichtlich, daß ein Ermessensspielraum den Beschwerdekammern hinsichtlich der Verlängerung von Fristen eingeräumt wird. Daraus folgt, daß die Ablehnung eines Antrags auf Fristverlängerung seitens der Beschwerdekammer eine vom Gesetz vorgesehene Ausübung ihres Ermessensspielraums darstellt und keine Rechte der Partei verletzt, da die Vorschrift kein Recht auf Fristverlängerung vorsieht.

Die Beschwerdeführerin rügt insbesondere das Fehlen einer Begründung der Entscheidung über die Ablehnung ihres näher begründeten Antrags auf Fristverlängerung.

Die Kammer weist diesbezüglich darauf hin, daß die oben genannte Vorschrift keine Begründungspflicht für die Entscheidung über einen Antrag auf Fristverlängerung vorsieht.

Im Hinblick auf die sachliche Rechtfertigung der Ablehnung ist festzuhalten, daß die Ermessensausübung nach Meinung der entscheidenden Kammer pflichtgemäß erfolgt ist, da die Gegenpartei die Beschleunigung des Verfahrens beantragt und die Kammer bereits eine ausreichende Frist von vier Monaten gewährt hatte, um eine Stellungnahme einzureichen. Darüber hinaus ist zu bedenken, daß der Antrag auf Fristverlängerung auf Umständen basiert, die keine Relevanz für die Frage der Verlängerung zu haben scheinen, wie die starke Marktstellung der Gegenpartei und die Anzahl der zwischen den Parteien anhängigen Verfahren.

3.2. Ablehnung des Antrags auf Besorgung einer Druckschrift

Auch der zweite Ablehnungsgrund, nämlich die Weigerung der Beschwerdekammer, ein angeblich für den Fall relevantes Dokument zu besorgen und der Beschwerdeführerin zu überreichen, kann nicht akzeptiert werden. Zunächst weist die Kammer darauf hin, daß die Beschwerdeführerin das o. g. Dokument in der Beschwerdebegründung zum ersten Mal erwähnt. Das Verlangen der Beschwerdeführerin, das Dokument von der Kammer zu erhalten, verstößt gegen den im Beschwerdeverfahren geltenden allgemeinen Grundsatz der Beweislastverteilung. Nach diesem Grundsatz obliegt es der Partei, die sich zur Untermauerung ihrer Argumentation auf einen bestimmten Beweis beruft, diesen Beweis im Verfahren vorzulegen. Im vorliegenden Fall obliegt es der Beschwerdeführerin, die die Nichtpatentierbarkeit beweisen will, die Beweise vorzulegen, die sie für relevant hält. Wenn man diesen Grundsatz berücksichtigt, wird klar, daß das Verhalten der Kammer und die Begründung ihres Beschlusses einwandfrei sind. Die Kammer konnte dem Antrag der Beschwerdeführerin nicht stattgeben und das Dokument nicht besorgen, weil sie den Grundsatz der Beweislastverteilung und somit ihre Unparteilichkeit zu wahren hatte.

Diesbezüglich hebt die Kammer hervor, daß der Grundsatz der Unparteilichkeit des Richters in einem Inter-partes-Verfahren wie dem vorliegenden immer und ohne Ausnahme voll eingehalten werden soll. In der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 5/91 (ABl. 1992, 617) wird in Ziffer 3 ausdrücklich darauf hingewiesen, daß eine äußerst strenge Einhaltung des Gebots der Unparteilichkeit für die Verfahren vor den Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer wegen ihrer richterlichen Funktion als oberster Instanz im europäischen Patentrechtssystem besonders wichtig ist.

Die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Argumente scheinen die die Natur des Beschwerdeverfahrens betreffende Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer außer acht zu lassen.

Die Amtshilfe betrifft nur die Beziehungen zwischen dem EPA und anderen zuständigen Behörden. Es besteht aber kein selbständiges Recht der Parteien auf die Durchführung dieses Verfahrens, das nicht schon auf einer bestimmten Verfahrenslage gründet. Darüber hinaus sieht Artikel 131 EPÜ eine Amtshilfe nur mit den Vertragsstaaten des EPÜ vor. Die USA sind keine Vertragsstaaten des EPÜ, so daß schon deswegen die Amtshilfe verweigert werden mußte.

3.3. Mitteilung des Berichterstatters

Was den Inhalt der Mitteilung des Berichterstatters vom 11. März 1999 angeht, trägt die Beschwerdeführerin keine substantiierte Begründung für ihre Behauptung vor, Ziffern 6 und 8 würden die Befangenheit der Kammer beweisen. Sie beschränkt sich nämlich darauf zu behaupten, daß die in den oben genannten Ziffern enthaltenen Aussagen in Verbindung mit der Ablehnung, die Frist zu verlängern und das oben genannte Dokument zu besorgen, in einer Form geschehen seien, die eine Voreingenommenheit in dem Sinne erkennen lasse, daß die Beschwerdekammer nicht ernsthaft bereit sei, sich mit einer Gegenmeinung überhaupt auseinanderzusetzen.

In Ziffer 6 hatte die Beschwerdekammer erklärt, daß sie im Prinzip bereit sei, sich im Rahmen der Ermessensbefugnis nach Artikel 111 (1) EPÜ ohne Zurückweisung an die Einspruchsabteilung zu entscheiden, und in Ziffer 8, daß eine Kostenverteilung nicht ausgeschlossen werden könne.

Die entscheidende Kammer ist der Auffassung, daß der Inhalt der Mitteilung einschließlich der Ziffern 6 und 8 mit dem Gesetz und insbesondere mit Artikel 12 VerfOBK in Einklang steht. Die Mitteilung beschäftigt sich nämlich mit rechtlichen Fragen wie der nach Artikel 111 EPÜ der Kammer gewährten Befugnis, den Fall selbst zu entscheiden, oder mit der Frage der anderweitigen Kostenverteilung bei verspäteter Einreichung eines Dokuments durch die Beschwerdeführerin. Die dabei benutzten Ausdrücke lassen nach Meinung der entscheidenden Kammer eine offene und zu jeder Lösung bereite Haltung erkennen. Außerdem muß es als ein pflichtgemäßes und mit Artikel 113 EPÜ im Einklang stehendes Verhalten angesehen werden, wenn die Kammer die Parteien über die zukünftige Entwicklung des Verfahrens im Hinblick auf ihre Anträge und ihr prozessuales Verhalten informiert.

3.4. Zu der Behauptung der Beschwerdeführerin, nicht die Maßnahmen an sich, sondern ihre Häufung sei der Grund für den Befangenheitsverdacht, stellt die Kammer fest, daß ein solches Argument fehlschlägt, da, wie oben dargelegt, jede einzelne Maßnahme gerechtfertigt und somit unparteiisch war und daher auch die Summe der Maßnahmen unparteiisch bleibt. Die Beschwerdeführerin hat auch keine Gründe vorgetragen, die eine andere Beurteilung der Gesamtheit der Maßnahmen ermöglichen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Ablehnung der ursprünglichen Mitglieder der Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit (Herr P. Van den Berg, Herr S. Wibergh und Herr S. Perryman) wird zurückgewiesen.

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