European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1998:T068598.19980921 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 21 September 1998 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0685/98 | ||||||||
Anmeldenummer: | 95938496.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | G04G 7/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | EN | ||||||||
Verteilung: | A | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | UHREN SYNCHRONISIERUNG | ||||||||
Name des Anmelders: | GPT Limited | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.5.02 | ||||||||
Leitsatz: | I. Die Formulierung "Unterläßt es der Anmelder, auf eine Aufforderung nach Absatz ... 2 rechtzeitig zu antworten" in Artikel 96 (3) EPÜ ist unter Berücksichtigung des Zwecks der Aufforderung nach Artikel 96 (2) und Regel 51 (2) EPÜ auszulegen, nämlich dem Anmelder Gelegenheit zur Ausübung seines Rechts auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ zu geben. Somit ist ein Schreiben des Anmelders, mit dem er diesen Anspruch weder ausübt noch darauf verzichtet, keine Antwort im Sinne des Artikels 96 (3) EPÜ (Nrn. 3.2 und 3.3 der Entscheidungsgründe). II. Geht außer diesem Schreiben keine Antwort ein, so ist eine vermeintliche Zurückweisung gemäß Artikel 97 (1) EPÜ in Überschreitung der Befugnisse (ultra vires) erfolgt und damit von Anfang an nichtig, weil Artikel 97 (1) EPÜ eine Zurückweisung ausdrücklich nur zuläßt, "sofern in diesem Übereinkommen nicht eine andere Rechtsfolge vorgeschrieben ist", wobei die in Artikel 96 (3) EPÜ vorgesehene Rechtsfolge im Falle einer unterlassenen Beantwortung darin besteht, daß die Anmeldung als zurückgenommen gilt (Nr. 5.1 der Entscheidungsgründe). III. Enthält das Antwortschreiben eines Anmelders auf einen ersten Bescheid nach Regel 51 (2) EPÜ nur einen prozessualen Antrag ohne jegliche materiellrechtliche Auswirkung (im vorliegenden Fall einen Antrag auf Erlaß eines weiteren Bescheids, in dem die rechtliche Grundlage der im Bescheid erhobenen Einwände nach dem EPÜ und nicht nach dem PCT dargelegt werden soll, sowie einen Antrag auf Festsetzung einer neuen Antwortfrist), so ist die Prüfungsabteilung nicht befugt, die Anmeldung gemäß Artikel 97 (1) EPÜ zurückzuweisen (Nrn. 4.3 und 4.5 der Entscheidungsgründe). IV. In Zweifelsfällen kann nicht unterstellt werden, daß ein Anmelder auf sein Recht auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ verzichtet hat. Eine Zurückweisungsentscheidung gemäß Artikel 97 (1) EPÜ (im vorliegenden Fall die in Überschreitung der Befugnisse getroffene Zurückweisungsentscheidung), die auf einer solchen Annahme basiert und vor Ablauf der ursprünglich gesetzten Frist für die Beantwortung eines Bescheids getroffen wurde, verstößt gegen Artikel 113 (1) EPÜ und weist somit einen wesentlichen Verfahrensmangel auf (Nrn. 3.3, 4.6, 4.8 und 5.3 der Entscheidungsgründe). V. Wurde mit einer Zurückweisung gemäß Artikel 97 (1) EPÜ oder im vorausgegangenen Prüfungsverfahren offensichtlich gegen ein grundlegendes Verfahrensrecht verstoßen, so liegt ein weiterer wesentlicher Verfahrensmangel vor, wenn die Prüfungsabteilung der entsprechenden Beschwerde nicht abhilft (im Anschluß an die Entscheidung T 647/93, ABl. EPA 1995, 132, Nr. 2.6 der Entscheidungsgründe), weil ein solches Recht unabhängig von der sachlichen Beurteilung des Falls gewahrt werden muß (Nr. 6.2 der Entscheidungsgründe). |
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Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Verfahrensantrag als Antwort im Sinne des Artikels 96 (3) EPÜ - verneint Zurückweisungsentscheidung in Überschreitung der Befugnisse (ultra vires) erfolgt - bejaht Billigkeit der Rückzahlung der Beschwerdegebühr - bejaht Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 95 938 496.7 durch die Prüfungsabteilung, die nach Auffassung des Beschwerdeführers in Überschreitung der Befugnisse (ultra vires) erfolgt ist.
II. Am 26. Februar 1998 erließ die Prüfungsabteilung einen ersten Bescheid nach Artikel 96 (2) und Regel 51 (2) EPÜ. Darin heißt es unter anderem:
"1. Für die vorliegende Anmeldung wurde bereits ein internationaler vorläufiger Prüfungsbericht nach dem PCT erstellt. Die darin genannten Mängel werden auch nach den entsprechenden Bestimmungen des EPÜ beanstandet.
2. Derzeit ist nicht ersichtlich, welcher Teil der Anmeldung als Grundlage für einen neuen, zulässigen Anspruch dienen könnte. Sollte die Anmelderin dennoch einen bestimmten Gegenstand für patentfähig halten, so ist unter Beachtung der Regel 29 (1) EPÜ ein unabhängiger Anspruch für diesen Gegenstand einzureichen.
Darüber hinaus sind im Antwortschreiben der Beitrag des Gegenstands des neuen Anspruchs zum Stand der Technik und seine Bedeutung anzugeben."
Für die Antwort auf den Bescheid wurde eine Frist von vier Monaten gesetzt, und das Deckblatt enthielt folgenden Hinweis in Fettdruck:
"Wird auf diese Aufforderung nicht rechtzeitig geantwortet, so gilt die Anmeldung als zurückgenommen (Artikel 96 (3) EPÜ)."
III. Die Anmelderin (nunmehr Beschwerdeführerin) antwortete mit Schreiben vom 5. März 1998 wie folgt:
"Der oben angeführte Bescheid wird von der Anmelderin zurückgewiesen, weil darin nicht - wie in Regel 51 (3) EPÜ festgelegt - alle Gründe zusammengefaßt sind, die der Erteilung des europäischen Patents entgegenstehen. Mangels konkreter Einwände nach dem EPÜ ist der Vertreter der Anmelderin nicht in der Lage, auf diesen Bescheid zu antworten.
Der Prüfer wird daher höflichst gebeten, einen neuen Bescheid zu erlassen, in dem die oben genannten Mängel beseitigt sind. Außerdem wird er ersucht, eine neue Frist für die Antwort der Anmelderin auf den neuen Bescheid zu setzen.
Der Prüfer wird auf die Bestimmungen des Artikels 113 EPÜ sowie auf die Entscheidung T 951/92 verwiesen, die sich auf diesen Artikel und die Regel 51 (3) EPÜ bezieht."
IV. Am 29. April 1998 erließ die Prüfungsabteilung die angefochtene Entscheidung, die mit folgenden Worten schloß:
"Die Anmeldung wird gemäß Artikel 97 (1) EPÜ zurückgewiesen."
Als Gründe für die Zurückweisung wurden mangelnde Neuheit der Ansprüche 1 und 2, mangelnde Deutlichkeit des Anspruchs 3 und - auf der Grundlage einer möglichen Auslegung des Anspruchs - mangelnde erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 3 genannt.
Außerdem traf die Entscheidung unter der Nummer 21 die folgende Feststellung:
"Tatsächlich enthält diese Akte keinerlei (Hervorhebung durch die Prüfungsabteilung) Erwiderung auf irgendeinen der im internationalen vorläufigen Prüfungsbericht erhobenen Einwände, die mit dem ersten Bescheid in die regionale Phase übernommen wurden. In bezug auf den Einwand mangelnder Neuheit ist diese Nichterwiderung besonders offensichtlich ..."
V. Am 24. Juni 1998, also innerhalb der Frist von vier Monaten für die Beantwortung des Bescheids vom 26. Februar 1998, übermittelte die Anmelderin per Fax eine sachliche Stellungnahme zum Bescheid nach Regel 51 (2) EPÜ, in der sie dem Einwand mangelnder Neuheit widersprach, die Ansprüche und die Beschreibung entsprechend den erhobenen Einwänden änderte und eine mündliche Verhandlung für den Fall beantragte, daß an eine Zurückweisung gedacht werde.
VI. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung für null und nichtig zu erklären und die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.
VII. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Mit Schreiben vom 5. März 1998 habe sich die Anmelderin nicht geweigert, auf den Bescheid nach Regel 51 (2) EPÜ zu antworten, sondern lediglich einen Einwand gegen die Form dieses Bescheids erhoben und den begründeten Antrag auf Erlaß eines Bescheids gestellt, in dem "die entsprechenden Bestimmungen des EPÜ" explizit genannt würden.
Obwohl die Beschwerdeführerin keiner Antwort auf dieses Schreiben gewürdigt worden sei, habe sie zu dem Bescheid nach Regel 51 (2) EPÜ vor Ablauf der für die Beantwortung gesetzten Frist per Fax sachlich Stellung genommen.
In Artikel 97 (1) EPÜ heiße es wie folgt: "Ist die Prüfungsabteilung der Auffassung, daß die europäische Patentanmeldung oder die Erfindung, die sie zum Gegenstand hat, den Erfordernissen dieses Übereinkommens nicht genügt, so weist sie die europäische Patentanmeldung zurück, sofern in diesem Übereinkommen nicht eine andere Rechtsfolge vorgeschrieben ist" (Hervorhebung durch die Beschwerdeführerin).
Da zum Zeitpunkt der Zurückweisung die Frist für die Beantwortung eines Bescheids noch nicht abgelaufen gewesen sei, sei es offensichtlich - unabhängig davon, wie die Prüfungsabteilung die angebliche Auffassung des Vertreters beurteilt - noch möglich gewesen, eine Antwort vorzulegen. Zu diesem Zeitpunkt habe Artikel 97 (1) EPÜ nicht angewandt werden können.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Bei der Prüfung dieser Beschwerde ist zunächst zu klären, ob die Prüfungsabteilung nach dem EPÜ befugt war, die Anmeldung angesichts der bei Erlaß der angefochtenen Entscheidung gegebenen Sach- und Rechtslage zurückzuweisen.
3. Maßgebendes Recht und Rechtsprechung
3.1 Unterläßt es der Anmelder, auf einen Bescheid nach Artikel 96 (2) und Regel 51 (2) EPÜ zu antworten, der ihn auffordert, zu den festgestellten Mängeln eine Stellungnahme einzureichen, so gilt die europäische Patentanmeldung gemäß Artikel 96 (3) EPÜ als zurückgenommen. Eine Zurückweisung der Anmeldung nach Artikel 97 (1) EPÜ ist ausgeschlossen, und das Wort "gilt" in Artikel 96 (3) EPÜ drückt ein Gebot aus und wird in der Sonderregelung des Artikels 97 (1) EPÜ aufgegriffen: "sofern in diesem Übereinkommen nicht eine andere Rechtsfolge vorgeschrieben ist".
3.2 Somit ist der Eingang einer Antwort im Sinne des Artikels 96 (3) EPÜ eine Voraussetzung für die Anwendung des Artikels 97 (1) EPÜ im Anschluß an einen Bescheid nach Regel 51 (2) EPÜ. Darüber hinaus ist die Passage "Unterläßt es der Anmelder, auf eine Aufforderung nach Absatz ... 2 rechtzeitig zu antworten" in Artikel 96 (3) EPÜ im Lichte des Zwecks zu verstehen, den die Aufforderung gemäß Artikel 96 (2) und Regel 51 (2) EPÜ verfolgt, nämlich dem Anmelder Gelegenheit zur Ausübung seines Rechts auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ zu geben. In der Entscheidung J 37/89 (ABl. EPA 1993, 201) legte die Juristische Beschwerdekammer den Artikel 96 (3) EPÜ so aus, daß ein Anmelder, der lediglich einen - später abgelehnten - Antrag auf Fristverlängerung stellt, im Sinne des betreffenden Absatzes "zu antworten unterläßt", was dazu führt, daß die Anmeldung als zurückgenommen gelten muß (Nr. 3.3 der Entscheidungsgründe), während in der Entscheidung T 160/92 (ABl. EPA 1995, 35) befunden wurde, daß ein Antwortschreiben auf einen Bescheid der Prüfungsabteilung, das vom Anmelder fristgerecht eingereicht wurde und in dem er auf wesentliche Punkte dieses Bescheids einging, sehr wohl eine Erwiderung im Sinne des Artikels 96 (3) EPÜ darstellte und daher dem Eintritt der Rücknahmefiktion entgegenstand (Leitsatz und Nr. 3.5 der Entscheidungsgründe). In beiden Entscheidungen wurde auch die Auffassung vertreten, daß ein Antwortschreiben nicht (in der Sache) vollständig oder überzeugend sein muß, damit es als Antwort im Sinne des Artikel 96 (3) EPÜ gewertet wird. Um eine weitere Art von Erwiderung, die zur wirksamen Zurückweisung einer Anmeldung führen kann, ging es in der Entscheidung J 29/94 (ABl. EPA 1998, 147) im Zusammenhang mit Artikel 110 (3) EPÜ, in dem derselbe Wortlaut wie in Artikel 96 (3) EPÜ im analogen Kontext des Beschwerdeverfahrens verwendet wird; demnach kann ein Anmelder, der sich nicht zur Sache äußern will, um eine Entscheidung nach Aktenlage ersuchen (Nr. 1.1.2 der Entscheidungsgründe, letzter Satz). Diese Art der Erwiderung ist eigentlich ein Verzicht auf das Recht nach Artikel 113 (1) EPÜ, sich zu den festgestellten Mängeln zu äußern.
3.3 Vor einer wirksamen Zurückweisung muß der Anmelder also sein Recht auf rechtliches Gehör ausgeübt oder aber darauf verzichtet haben. Wie von der Großen Beschwerdekammer in der Entscheidung G 1/88 (ABl. EPA 1989, 189, Nr. 2.4 der Entscheidungsgründe, letzter Satz) erklärt, darf ein Rechtsverzicht aber nicht ohne weiteres vermutet werden ("A jure nemo recedere praesumitur").
4. Anwendung im vorliegenden Fall
4.1 Der internationale vorläufige Prüfungsbericht, der für die ursprüngliche internationale Anmeldung erstellt worden war, wurde durch einen entsprechenden Hinweis implizit in den Bescheid der Prüfungsabteilung nach Regel 51 (2) EPÜ einbezogen. Dieser war insofern informell, als er die Interpretation des internationalen vorläufigen Prüfungsberichts der Anmelderin überließ, die dabei davon ausging, daß ihr Vertreter mit den Bestimmungen des EPÜ vertraut sei und gegebenenfalls auch Zugang zu einer Konkordanz zwischen den Bestimmungen des PCT und denen des EPÜ habe.
4.2 Mehr oder weniger postwendend beantragte die Anmelderin, einen formelleren Bescheid mit genauer Angabe der Einwände nach dem EPÜ zu erlassen und eine neue Frist für die Antwort auf diesen neuen Bescheid zu setzen.
4.3 Zweck dieser Erwiderung war es offensichtlich nicht, zu einem der im Bescheid nach Regel 51 (2) EPÜ festgestellten Mängel Stellung zu nehmen; darauf wird auch in der entsprechenden Feststellung unter Nummer 21 der angefochtenen Entscheidung abgehoben, die unter der Nummer IV wiedergegeben ist. Es handelte sich nicht um eine gemäß T 160/92 ausreichende Antwort zur Sache. Auch konnte sie nach Auffassung der Kammer billigerweise nicht als Verzicht auf das rechtliche Gehör ausgelegt werden, wie er mit dem in J 29/94 angeführten Antrag auf Entscheidung nach Aktenlage einhergeht. Es handelte sich ganz einfach um einen mit Gründen versehenen prozessualen Antrag ohne jegliche materiellrechtliche Auswirkung, der gestellt wurde, während die Frist für die Beantwortung des Bescheids noch lief.
4.4 Zweckmäßigerweise ist darauf hinzuweisen, daß verschiedene prozessuale Anträge eine explizite formale Grundlage im EPÜ haben, so z. B. Anträge auf Verlängerung der Antwortfrist (R. 84), auf mündliche Verhandlung (Art. 116), auf Unterbrechung des Verfahrens (R. 90), auf Berichtigung von Mängeln in den beim EPA eingereichten Unterlagen (R. 88) usw., und daß dort explizit festgelegt ist, wie damit zu verfahren ist. Dies bedeutet aber nicht, daß nicht auch andere prozessuale Anträge gestellt werden können, und es steht zwangsläufig im grundsätzlichen Ermessen der Prüfungsabteilung, über solche "nicht gesetzlich verankerten" Anträge in gebotener Weise zu befinden. Im Rahmen dieses Ermessensspielraums könnten bestimmte Anträge billigerweise ignoriert werden, beispielsweise weil sie unseriös oder schikanös sind; anderen könnte stattgegeben werden, wieder andere könnten auch zurückgewiesen werden.
4.5 Es wäre nicht richtig, wollte die Beschwerdekammer dieses Ermessen einschränken, indem sie der Prüfungsabteilung vorschreiben würde, wie sie auf das Antwortschreiben der Anmelderin hätte reagieren sollen, mit dem lediglich beantragt wurde, den Bescheid über die nach dem PCT erhobenen Einwände zu ersetzen durch einen Bescheid, der die genaue Rechtsgrundlage nach dem EPÜ angibt, und für die Antwort auf diesen Bescheid eine neue Frist zu setzen. Es genügt die Feststellung, daß die unverzügliche Zurückweisung der Anmeldung nach Artikel 97 (1) EPÜ in diesem Stadium nicht möglich war, weil die erforderlichen Voraussetzungen für die Anwendung dieses Absatzes nicht erfüllt waren (vgl. Nr. 3.3).
4.6 Es dürfte kaum gerechtfertigt sein, die Äußerungen "Der ... Bescheid wird von der Anmelderin zurückgewiesen" und "Der Vertreter der Anmelderin ist nicht in der Lage, diesen Bescheid zu beantworten" so auszulegen, daß sie die feste Absicht ausdrücken, vor Erhalt des erbetenen neuen Bescheids keine sachliche Antwort auf den Bescheid einzureichen. Diese Äußerungen sind daher nicht als expliziter oder impliziter Verzicht auf den Rest der viermonatigen Antwortfrist zu verstehen; sie liefern nicht den Anstoß dafür, daß die Anmeldung als zurückgenommen gilt, weil ein Bescheid nicht beantwortet wurde (Art. 96 (3) EPÜ), und schließen den Anmelder auch nicht davon aus, um eine Verlängerung der Antwortfrist nach Regel 84 EPÜ zu ersuchen oder im Anschluß an die Feststellung eines Rechtsverlusts gemäß Regel 69 EPÜ die Weiterbehandlung der Anmeldung nach Artikel 121 EPÜ zu beantragen.
4.7 Die angefochtene Entscheidung enthält unter der Nummer 21 die folgende Feststellung:
"Obwohl der Vertreter der Anmelderin von der Prüfungsabteilung darauf hingewiesen wurde, was er zu tun hatte (Hervorhebung durch die Prüfungsabteilung), nämlich innerhalb der viermonatigen Antwortfrist einen unabhängigen Anspruch für einen bestimmten Gegenstand einzureichen, den er für patentfähig hält, und den Beitrag des Gegenstands des neuen Anspruchs zum Stand der Technik und seine Bedeutung anzugeben, folgte der Vertreter der Anmelderin in seiner Antwort vom 5.3.1998 keinem (Hervorhebung durch die Prüfungsabteilung) dieser Hinweise, die darauf abzielten, eine Zurückweisung der Anmeldung zu vermeiden."
Unter der Nummer 22 heißt es wie folgt:
"Somit wird festgestellt, daß vor der Zurückweisung der Anmeldung alle Artikel des EPÜ und speziell Artikel 113 EPÜ beachtet wurden, weil die Zurückweisungsentscheidung auf Gründe gestützt war, zu denen sich die Anmelderin äußern konnte."
4.8 Aus diesen Passagen geht hervor, daß die Prüfungsabteilung der Auffassung war, die Anmelderin habe infolge eines einfachen, postwendend gestellten prozessualen Antrags in irgendeiner Weise ihr Recht verwirkt, sich in der verbleibenden Zeit der viermonatigen Antwortfrist zu äußern. Dies würde bedeuten, daß jegliches von der Anmelderin nach Erhalt des Bescheids nach Regel 51 (2) EPÜ gesandte Schreiben als definitive Antwort anzusehen wäre, selbst wenn die Antwortfrist noch liefe. Bei ordnungsgemäßer Auslegung des Schreibens vom 5. März 1998 hat die Anmelderin ihr Recht, sich nach Artikel 113 (1) EPÜ zu den sachlichen Fragen zu äußern, aber weder ausgeübt noch darauf verzichtet. Und da die Antwortfrist noch nicht abgelaufen war, kann sie dieses Recht auch nicht verwirkt haben. Damit stellte die überstürzte Zurückweisung vor Ablauf der letzten beiden Monate der Antwortfrist einen Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ dar, weil der Anmelderin die Möglichkeit genommen wurde, sich zu äußern.
5. Schlußfolgerungen
5.1 Aus der obigen Analyse ergibt sich folgendes: Da, als die angefochtene Entscheidung erging, eine Antwort in dem Sinne, wie er sich bei zweckgerichteter Auslegung aus Artikel 96 (3) EPÜ ergibt, nicht eingegangen war, ist die Zurückweisung gemäß Artikel 97 (1) EPÜ in Überschreitung der Befugnisse (ultra vires) erfolgt und damit von Anfang an nichtig, weil Artikel 97 (1) EPÜ eine Zurückweisung ausdrücklich nur zuläßt, "sofern in diesem Übereinkommen nicht eine andere Rechtsfolge vorgeschrieben ist", wobei die in Artikel 96 (3) EPÜ vorgeschriebene Rechtsfolge bei unterlassener Beantwortung darin besteht, daß die Anmeldung als zurückgenommen gilt.
5.2 Damit liegt ein wesentlicher Mangel des Verfahrens vor der ersten Instanz im Sinne des Artikels 10 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (Durchführungsvorschriften zum EPÜ, 1998, Artikel 23 (4)-2) vor, der dazu führt, daß die Kammer die Angelegenheit in Ermangelung besonderer Gründe, die dagegen sprechen, in Ausübung ihrer Befugnisse gemäß Artikel 111 (1) EPÜ an die erste Instanz zurückverweist. Außerdem handelt es sich um einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne der Regel 67 EPÜ, so daß zu klären ist, ob unter diesen Umständen eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr der Billigkeit entspricht. Da die Anmelderin gezwungen war, eine Beschwerde einzureichen, um die ihr versagten Verfahrensrechte einzufordern, hält die Kammer eine Rückzahlung für billig.
5.3 Da die überstürzte Entscheidung gegen Artikel 113 (1) EPÜ verstoßen und die Anmelderin eines ihrer Grundrechte nach dem Übereinkommen beraubt hat, liegt darüber hinaus noch ein weiterer wesentlicher Verfahrensmangel vor.
6. Sonstige Erwägungen - Artikel 109 EPÜ
6.1 Die Bestimmungen des Artikels 109 (1) EPÜ sollen es der Prüfungsabteilung ermöglichen, Verfahrensmängel, wie sie im vorliegenden Fall aufgetreten sind, rasch zu korrigieren. Es hat jedoch den Anschein, als habe die Prüfungsabteilung entweder nicht erkannt, daß ihre Entscheidung auf Zurückweisung der Anmeldung, weil keine Antwort im Sinne des Artikels 96 (3) EPÜ eingegangen sei, in Überschreitung ihrer Befugnisse erfolgt war (ungeachtet der Eingabe der Beschwerdeführerin - vgl. Nr. VII), oder aber daß sie dies zwar erkannt, aber nicht dahingehend verstanden hat, daß sie unter den gegebenen Umständen verpflichtet war, diese Bestimmungen anzuwenden und ihre eigene Entscheidung aufzuheben.
6.2 Gemäß Artikel 109 (2) EPÜ darf die Prüfungsabteilung nicht begründen, warum sie ihre Entscheidung nicht aufhob, so daß die Kammer darüber nur Mutmaßungen anstellen kann. Der zweite Absatz des Bescheids der Prüfungsabteilung vom 26. Februar 1998 (vgl. Nr. II) läßt aber vermuten, daß der Prüfungsabteilung die sachliche Stellungnahme vom 24. Juni 1998 nicht ausreichte, die im internationalen vorläufigen Prüfungsbericht erhobenen Einwände auszuräumen, und daß sie keinen Sinn darin sah, ihre Entscheidung gemäß Artikel 109 (1) EPÜ aufzuheben und letztendlich doch eine neue Zurückweisungsentscheidung zu erlassen. Es mag deshalb angebracht sein, darauf hinzuweisen, daß das pragmatische Kriterium, ob das wiederaufgenommene Verfahren aller Wahrscheinlichkeit nach zur Patenterteilung führt, nicht anwendbar ist, wenn es wie im vorliegenden Fall um Verfahrensrechte geht; das rechtliche Gehör (Art. 113 EPÜ), das Recht auf mündliche Verhandlung (Art. 116 EPÜ) und das Recht, in Überschreitung der Befugnisse erfolgte Verfahrensschritte für nichtig erklären zu lassen (enthalten in Art. 125 EPÜ), sind Grundrechte, die nicht hinter irgendwelchen verfahrensökonomischen Erwägungen zurückstehen dürfen. Daher möchte die Kammer bei dieser Gelegenheit auf folgendes hinweisen: Wurde mit einer Zurückweisung gemäß Artikel 97 (1) EPÜ oder im vorausgegangenen Prüfungsverfahren offensichtlich gegen ein grundlegendes Verfahrensrecht verstoßen, so liegt ein weiterer (im vorliegenden Fall ein dritter) wesentlicher Verfahrensmangel vor, wenn die Prüfungsabteilung der entsprechenden Beschwerde nicht abhilft (T 647/93, ABl. EPA 1995, 132, Nr. 2.6 der Entscheidungsgründe), weil ein solches Recht ungeachtet des jeweiligen Sachverhalts gewahrt werden muß. Es ist zu bedenken, daß dem Anmelder, wenn in solchen Fällen eine Abhilfe gemäß Artikel 109 (1) EPÜ versagt wird, zusätzliche Ausgaben und Verzögerungen (bis zu mehreren Jahren) aufgebürdet werden, bevor er im Rahmen des Beschwerdeverfahrens Wiedergutmachung erlangen kann.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur weiteren Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
3. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.