T 0476/98 () of 11.11.1999

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1999:T047698.19991111
Datum der Entscheidung: 11 November 1999
Aktenzeichen: T 0476/98
Anmeldenummer: 89117351.0
IPC-Klasse: H04H 1/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Rundfunkempfänger
Name des Anmelders: Blaupunkt-Werke GmbH
Name des Einsprechenden: Pioneer Electronic Corporation
Kammer: 3.5.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 52(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (nein)
Inventive step (no)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0122/84
T 0154/84
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen das europäische Patent Nr. 364 749 wurde ein zulässiger Einspruch eingelegt und mit mangelnder Patentfähigkeit gegenüber dem Stand der Technik begründet, Artikel 100 a) EPÜ. Unter anderem wurde auf folgende Druckschrift hingewiesen:

D3: Techn. 32 44-E, European Broadcasting Union, Technical Centre, Brüssel, März 1984, Seiten 11 bis 31, "Specifications of the radio data system RDS for VHF/FM sound broadcasting".

II. Während des Einspruchsverfahrens hat die Einsprechende auf eine neue Entgegenhaltung hingewiesen:

D5: EP-A-025 527.

III. Die Einspruchsabteilung hat D5, obwohl spät vorgebracht, in das Verfahren eingeführt, da sie sie als offensichtlich relevant beurteilte. Nach einer mündlichen Verhandlung hat die Einspruchsabteilung das Patent widerrufen mit der Begründung, Anspruch 1 des einzig zugelassenen Antrags sei gegenüber dem Stand der Technik, insbesondere D5, nicht erfinderisch.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) Beschwerde eingelegt und beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten. Hilfsweise wurde eine mündliche Verhandlung beantragt.

V. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

VI. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens hat die Beschwerdegegnerin zwei weitere Druckschriften erwähnt:

D6: DE-A-3 208 360

D7: DE-A-3 034 155.

VII. Eine mündliche Verhandlung fand am 11. November 1999 statt. Die Anträge der Parteien wurden unverändert aufrechterhalten.

VIII. Wegen des Vorbringens der Parteien wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.

IX. Der Anspruch 1 lautet wie folgt:

"Rundfunkempfänger mit einem Radio-Daten-Signal-Decoder, einem Mikroprozessor und einem Speicher für alternative Frequenzen, der ausgangsseitig mit einem Eingang der Abstimmstufe des Rundfunkempfängers über vom Mikroprozessor gesteuerte Torschaltungen verbunden ist, dadurch gekennzeichnet, daß der Speicher (15) mehrere Speicherketten (21) für Listen alternativer Frequenzen umfaßt, daß jeder Speicherkette ein Speicherplatz (17) für den PI-Code zugeordnet ist, der den in der jeweiligen Speicherkette (21) aufgelisteten alternativen Frequenzen gemeinsam ist, daß die Eingangsstufe (16) für die Speicherplätze (17) über eine vom Mikroprozessor (14) gesteuerte Torschaltung (15) mit dem Ausgang des RDS-Decoders (11), die Eingangsstufen (20) für die Speicherketten (21) dagegen über eine vom Mikroprozessor gesteuerte Torschaltung (19) mit dem Ausgang der Abstimmstufe (4) verbunden sind, wobei der Mikroprozessor (14) bei einem Suchlauf derart programmiert ist, daß ein empfangener PI-Code in dem Speicherplatz (17) abgelegt wird und zugleich die der momentan eingestellten Frequenz entsprechenden Daten am Ausgang der Torschaltung (19) in die diesem Speicherplatz (17) zugeordnete Speicherkette (21) eingespeichert werden."

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Spät vorgebrachte Tatsachen (Artikel 114 (2) EPÜ)

2.1. Die Dokumente D6 und D7 wurden erst während des Beschwerdeverfahrens, ca. 4 Jahre nach Ende der Einspruchsfrist, von der Beschwerdegegnerin erwähnt.

2.2. Wie von den Kammern mehrmals betont (siehe z. B. T 122/84, ABl. EPA 1987, 177 und T 156/84, ABl. EPA 1988, 372) beinhaltet Artikel 114 EPÜ die Abwägung zwischen dem Grundsatz der Verpflichtung zur Ermittlung von Amts wegen gemäß Absatz 1 und dem Grundsatz, daß die Berücksichtigung verspätet vorgetragener Tatsachen und Beweismittel gemäß Absatz 2 im Ermessen des entscheidenden Organs, in diesem Fall der Beschwerdekammer, liegt. Eines der wichtigsten Kriterien bei der Entscheidung über die Zulässigkeit eines verspätet eingereichten Dokuments ist dessen Relevanz.

2.3. Die Dokumente D6 und D7 sind nicht relevanter als die bisher im Laufe des Verfahrens diskutierten Dokumente; sie betreffen ein älteres System, das sogenannte ARI-System, und beweisen lediglich, daß es vor dem Prioritätsdatum bekannt war, Daten von mehreren Senderketten zu speichern. Sie werden deshalb gemäß Artikel 114 (2) EPÜ nicht berücksichtigt.

2.4. Die Kammer sieht keinen Grund, die während des Einspruchsverfahrens getroffene Entscheidung im Hinblick auf Artikel 114 (2) EPÜ in Frage zu stellen.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1. Seit Mitte der 80er Jahre werden Autoradios mit einem sogenannten RDS-Decoder ausgestattet, um für den Autofahrer nützliche Information zu übertragen. Ein Vorteil dieses Systems besteht in der Möglichkeit, die Sender einer bestimmten Senderkette zu identifizieren, so daß bei schlechtem Empfang eines bestimmten Senders ein anderer Sender der gleichen Senderkette automatisch eingestellt werden kann.

3.2. Zur Identifizierung aller Sender einer bestimmten Senderkette gibt es unter dem RDS-System zwei Möglichkeiten: Entweder die von jedem Sender regelmäßig ausgestrahlte sogenannte AF-Liste, wobei diese Liste alle Frequenzen der Senderkette enthält, oder der von jedem Sender gesendeter sogenannter PI-Code, wobei durch Überprüfung des PI-Codes alle Sender einer Kette identifiziert werden können. Diese zwei Verfahren sind in der Spezifikation des RDS-Systems enthalten: in D3, Seite 30, Punkt 5 "List of alternative frequences (AF)" wird vorgeschlagen, Empfänger mit einem Speicher auszustatten, um die Frequenzkanäle einer Senderkette zu speichern; ebenfalls geht aus D3, Seite 29, Punkt 1 "Program identification (PI)" hervor, daß der PI-Code nur gesendet wird, um dem Empfänger zu ermöglichen, andere Sender der gleichen Senderkette automatisch zu identifizieren und so eine Umschaltung bei schlechtem Empfang zu ermöglichen. Von der Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) wurde nicht bestritten, daß am Prioritätstag die Verwendung von PI-Codes zur automatischen Abstimmung auf einen anderen Sender derselben Programmkette zum allgemeinen Fachwissen gehörte. Die Verwendung des PI-Codes zur Senderauswahl hat gegenüber der AF-Liste den Vorteil, daß auch bei schlechtem Empfang ein geeigneter Sender eingestellt werden kann; bei Verwendung der AF-Liste besteht die Gefahr, daß bei schlechtem Empfang die Übertragung dieser Liste nicht mehr gelingt.

3.3. Aus D5, siehe Figur 2, ist ein Rundfunkempfänger bekannt mit einem Radio-Daten-Signal-Decoder 11, einem Mikroprozessor 13 und einem Speicher für alternative Frequenzen 12, der ausgangsseitig mit einem Eingang der Abstimmstufe 3 des Rundfunkempfängers verbunden ist. Aus D5 geht ferner hervor, daß eine Auswertung der PI-Codes zur Bestimmung der alternativen Frequenzen als eine mögliche Lösung vorgeschlagen wird, siehe Spalte 5, Zeile 49 bis Spalte 6, Zeile 6. Explizit wird auf diese Möglichkeit hingewiesen für den Fall, daß der AF-Code fehlerbehaftet ist.

3.4. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von dem aus D5 bekannten Empfänger hauptsächlich dadurch, daß nicht nur die alternativen Frequenzen für einen einzigen PI-Code gespeichert werden, sondern daß mehrere Speicherketten vorgesehen sind, wobei jeder Speicherkette ein Speicherplatz für einen bestimmten PI-Code zugeordnet ist, wobei alle empfangenen Sender, die mit einem PI-Code ausgestattet sind, gespeichert werden können. Dies hat zum Vorteil, daß beim Umschalten auf einen anderen Sender alle möglichen alternativen Frequenzen sofort zur Verfügung stehen.

3.5. Von der Beschwerdeführerin wurde argumentiert, daß aus D5 lediglich bekannt sei, einen einzigen Speicher für einen einzigen PI-Code und die dazugehörigen alternativen Frequenzen vorzusehen. Der Fachmann bekomme aus D5 keine Anregung, weitere Speicher für andere Sender mit anderen PI-Codes vorzusehen. Ferner würden die PI-Codes und Senderfrequenzen gemäß Anspruch 1 getrennt geführt, so daß der Fachmann nicht nur Speichereinheiten für jeden PI-Code, sondern auch separate Speicher für den PI-Code und die Frequenzen in dem Empfänger gemäß D5 vorsehen müßte.

3.6. Nach Auffassung der Kammer ist der Fachmann, der einen Rundfunkempfänger gemäß dem in D5 gegebenen Vorschlag aufbaut und den PI-Code zur Ermittlung der alternativen Frequenzen verwendet, mit Signalen aus zwei Quellen konfrontiert: Einerseits mit dem demodulierten PI-Signal und andererseits mit den aus dem Oszillator gewonnenen alternativen Frequenzen. Daß diese zwei Parameter über separate Signal-Pfade und Torschaltungen geleitet und danach gespeichert werden, wie in Anspruch 1 des Patentes angegeben, ist die einfachste und für den Fachmann naheliegendste Lösung.

3.7. Die zu beantwortende Frage wäre somit, ob der auf diesem Gebiet tätige Fachmann ohne erfinderisches Zutun die aus D5 bekannte Anordnung dadurch modifizieren würde, daß er mehrere Speicherketten vorsieht. Nach Auffassung der Kammer ist diese Frage zu bejahen. Die Zahl der gespeicherten Frequenzen scheint eine reine Frage der verfügbaren Speicherkapazität zu sein; die Speicherung weiterer PI-Codes wäre vorteilhaft, denn dadurch wird ermöglicht, daß durch Knopfdruck andere Senderketten sofort zur Verfügung stehen, ohne auf einen Suchlauf warten zu müssen. Ferner scheint diese Lösung auf eine naheliegende Weiterentwicklung der Technik zu beruhen: Zuerst Speicherung der verschiedenen Sender bzw. deren Frequenzen, dann zusätzlich die Speicherung der alternativen Frequenzen für einen bestimmten Sender (D5) und am Ende Speicherung aller Frequenzen für alle Sender. Nach Auffassung der Kammer ist in diesem weiteren Schritt kein erfinderisches Zutun zu sehen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar.

4. Der Antrag der Beschwerdeführerin ist somit zurückzuweisen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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