T 0810/97 () of 30.6.2000

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2000:T081097.20000630
Datum der Entscheidung: 30 Juni 2000
Aktenzeichen: T 0810/97
Anmeldenummer: 89908959.3
IPC-Klasse: D01D 5/92
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung zum Schmelzspinnen mit hohen Abzugsgeschwindigkeiten und Filament hergestellt mittels der Vorrichtung
Name des Anmelders: RHONE-POULENC VISCOUSUISSE SA
Name des Einsprechenden: HOECHST AG
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Änderungen - Anspruchserweiterung (verneint)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0201/83
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das auf die Anmeldung Nr. 89 908 959.3 erteilte europäische Patent Nr. 0 396 646 wurde mit der am 22. Mai 1997 zur Post gegebenen Entscheidung von der Einspruchsabteilung in geänderter Form aufrechterhalten.

Anspruch 1 des geänderten Patents lautet (in eckigen Klammern sind die weiter im Verfahren vorgenommenen Änderungen enthalten):

"Vorrichtung zum Schmelzspinnen mit Abzugsgeschwindigkeiten über 5000 m/min., bestehend aus einem Spinnblock (1), mit einem Spinndüsenpaket (2) und einer Fadenabsaugdüse (7) sowie einer Spinnkammer (3[),] die zwischen dem Spinndüsenpaket (2) und der Fadenabsaugdüse (7) angeordnet ist und mit ihrer Eintrittsöffnung mit dem Spinndüsenpaket (2) und mit ihrer Austrittsöffnung mit der Fadenabsaugdüse (7) gasdicht verbunden ist, dadurch gekennzeichnet, [daß] die im wesentlichen geschlossene Spinnkammer (3) im Abstandsbereich zwischen 100 bis 250 mm vom Spinndüsenpaket (2) teilweise als Siebrohr (4) ausgebildet ist."

II. Folgende Dokumente des Standes der Technik wurden von der Einspruchsabteilung berücksichtigt:

D1: DE-A-2 618 406

D2: BE-A-0 693 837

D3: EP-A-0 205 694

D4: EP-A-0 244 217

D5: DE-A-1 914 556

Obwohl nach Auffassung der Einspruchsabteilung die Titerregelmäßigkeit und die Festigkeit eines sehr schnell gesponnenen Filaments bei den in diesen Dokumenten offenbarten Anlagen eine Rolle spielten, gebe keine der genannten Druckschriften einen Hinweis, die Spinnkammer im im Anspruch 1 definierten Abstandsbereich teilweise als Siebrohr auszubilden.

III. Am 21. Juli 1997 legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) unter gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr Beschwerde gegen diese Entscheidung ein. Mit der dem EPA am 19. September 1997 übermittelten Beschwerdebegründung hielt sie ihren Einwand bzgl. mangelnder erfinderischer Tätigkeit aufrecht. Sie stützte sich dabei auf die Dokumente D4 und D5 und beantragte, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Hilfsweise wurde mündliche Verhandlung beantragt.

IV. In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung nach Artikel 11 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern hatte die Kammer ihre vorläufige Meinung dargelegt, nach der der Gegenstand des Anspruchs 1 neu sei und eine erfinderische Tätigkeit aufweise.

V. Die Beschwerdeführerin zog mit Schreiben vom 29. Februar 2000 ihr Antrag auf mündliche Verhandlung zurück und beantragte, nach Aktenlage zu entscheiden. Daraufhin hat die Kammer mit Bescheid vom 28. März 2000 die Beschwerdegegnerin aufgefordert, die ihrem Antrag zugrundeliegenden Unterlagen in Einklang mit den Bestimmungen des Artikels 84 und der Regel 27 (1) a) EPÜ zu bringen.

VI. Mit der Eingabe vom 5. April 2000 hat die Beschwerdegegnerin geänderte Unterlagen eingereicht. Sinngemäß beantragte sie die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Basis folgender Unterlagen:

Beschreibung: Seiten 2 und 3, eingereicht mit Schreiben vom 5. April 2000,

Ansprüche: 1. bis 4, eingereicht mit Schreiben vom 5. April 2000, 5, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 22. April 1997 vor der Einspruchsabteilung,

Figuren: 1. und 2, in der erteilten Fassung.

VII. Die Argumente der Beschwerdeführerin zur Stützung ihres Antrags lassen sich im wesentlichen wie folgt zusammenfassen:

Ausgehend von der Druckschrift D4 als nächstliegendem Stand der Technik unterscheide Anspruch 1 sich davon nur durch das Merkmal, daß der Spinnschacht über einen unspezifischen Bereich unterhalb der Spinndüse porös ausgebildet sei, denn die Angabe eines Bereichs von 100-250 mm unterhalb dem Spinndüsenpaket sei in diesem Dokument nicht explizit offenbart.

Die zu lösende objektive Aufgabe sei, die aus der D4 bekannte Vorrichtung zur Herstellung von Multifilamentgarnen so anzupassen, daß sich die Titergleichmäßigkeit verbessere.

Die Lösung dazu werde von der Druckschrift D5 geliefert, nämlich die Lehre, auf die Zwangszuführung von Kühlluft zu verzichten und den Zutritt des Kühlmediums erst dann zuzulassen, wenn der Begleitluftstrom eine Strömungsgeschwindigkeit von mindestens 10 m/min erreicht habe. Dies werde den Fachmann dazu bringen, den perforierten Bereich des Spinnschachtes der Vorrichtung nach D4 erst nach einer bestimmten geschlossenen Länge anfangen zu lassen, die dann zwangsläufig mit dem beanspruchten Längenbereich übereinstimme.

VIII. Die Beschwerdegegnerin hat die Argumentation der Beschwerdeführerin als sachlich unrichtig verworfen und dabei insbesondere noch auf das folgende Dokument verwiesen:

D6: "Model of steady-state melt spinning at intermediate take-up speeds", H.H. George, Polymer Engineering and Science, 4-1982, Band 22, Nr. 5, Seiten 292-299.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen (Artikel 123 (2) und (3) EPÜ)

2.1. Die Änderung im erteilten Anspruch 1 und in der Beschreibung auf Seite 2, Zeile 45, bzw. Seite 3, Zeile 3, durch die der Abstand, in der die Perforierung des Siebrohres anfängt, von 350 (bzw. 300) auf 250 mm beschränkt wird, ist auf das Ausführungsbeispiel, Seite 5 der ursprünglichen Unterlagen (Perforierung im Bereich von 150-250 mm von den Spinndüsen), zurückzuführen.

2.2. Bei einer Änderung, die sich möglicherweise auf eine Auswahl nur eines der Endpunkte eines in einem Ausführungsbeispiel dargestellten Bereiches bezieht, ist nach den Grundsätzen der Entscheidung T 201/83 (siehe Rechtsprechungsübersicht der Beschwerdekammern 1998, Kapitel III.A, 1.1), zu überprüfen, ob dies zulässig ist.

Im vorliegenden Fall ist die Änderung unbedenklich, weil die ursprüngliche Beschreibung, Seite 3, Zeilen 32-34, erwähnt, daß es zweckmäßig ist, die Länge der perforierten Strecke zwischen 50 und 150 mm zu wählen. Mit dem im Anspruch 1 des erteilten Patents beanspruchten (ursprünglich in Anspruch 5 enthaltenen) Anfang des Bereiches in 100 mm Entfernung vom Spinndüsenpaket und der maximalen Länge der perforierten Strecke von 150 mm kommt man einfach auf 250 mm für den Endpunkt des perforierten Bereiches.

Aus dem letztgenannten Grund ist auch die Änderung auf Seite 2, Zeile 45, wobei 150 mm in 100 mm geändert wird, zulässig.

Der Anfang und das Ende des beanspruchten Bereichs war somit explizit bzw. implizit in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen enthalten.

2.3. Die sonstigen Änderungen im Anspruch 1 betreffen nur die Behebung von offensichtlichen Rechtschreibfehlern.

Die Änderung auf Seite 2, Zeile 7 der Beschreibung hängt damit zusammen, daß der unabhängige Anspruch 6, gerichtet auf ein Filament, hergestellt mit der Vorrichtung nach den Ansprüchen 1-5, im Einspruchsverfahren gestrichen wurde. Die Beschreibung wird durch diese Änderung in Einklang mit den Ansprüchen gebracht (Artikel 84 EPÜ).

Keine dieser Änderungen verstößt somit gegen die Bestimmungen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ. Die Beschwerdeführerin hat sich im übrigen zu den Änderungen nicht geäußert.

3. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

Die Kammer teilt die Meinung der Parteien, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 neu ist. Keines der vorhandenen Dokumente weist das kennzeichnende Merkmal auf, daß die Spinnkammer im Abstandsbereich zwischen 100 bis 250 mm vom Spinndüsenpaket teilweise als Siebrohr ausgebildet ist.

4. Nächstliegender Stand der Technik

Mit den Parteien ist die Kammer der Ansicht, daß D4 den nächstkommenden Stand der Technik bildet, weil es gattungsgemäß eine Vorrichtung zum Schmelzspinnen mit hohen Abzugsgeschwindigkeiten (über 5000 m/min) betrifft, die aus einem Spinnblock mit einem Spinndüsenpaket, einer Fadenabsaugdüse und einer Spinnkammer besteht. Letztere ist zwischen dem Spinndüsenpaket und der Fadenabsaugdüse angeordnet sowie mit ihrer Einrittsöffnung mit dem Spinndüsenpaket und mit ihrer Austrittsöffnung mit der Fadenabsaugdüse gasdicht verbunden. Die beanspruchte Vorrichtung unterscheidet sich von der aus D4 bekannten Vorrichtung durch das kennzeichnende Merkmal, daß die im wesentlichen geschlossene Spinnkammer erst im Abstandsbereich zwischen 100 bis 250 mm vom Spinndüsenpaket teilweise als Siebrohr ausgebildet ist. Die Spinnkammer nach D4 ist über ihre Gesamtlänge, gleich ab dem Spinndüsenpaket, perforiert ausgebildet und wird mit Druckgas versehen.

Weil die Fäden nach dem Verlassen der aus D4 bekannten Spinndüse noch ziemlich flüssig sind, sind sie gegen seitliche Auswanderungen nicht stabilisiert. Sie werden allerdings gleich einer Zufuhr von Gas ausgesetzt, was zu sinusähnlichen Titerschwankungen führt. Dies wiederum führt zu einer schlechteren Färbbarkeit und Festigkeit.

Das kennzeichnende Merkmal löst dieses Problem, indem die Spinnkammer erst ab einem bestimmten Abstand (mindestens 100 mm vom Spinndüsenpaket) als Siebrohr ausgebildet ist. Dadurch sind die Fäden bereits stärker verfestigt, bevor sie mit Kühlluft in Berührung kommen, so daß sie weniger in Schwankung geraten.

5. Erfinderische Tätigkeit

5.1. Die Beschwerdeführerin hat ihren Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit auf die Kombination der Lehren der D4 und D5 gestützt, weil letzteres Dokument sich mit der Vermeidung der Titerunregelmäßigkeit befaßt, die dadurch erreicht werden soll, daß man auf eine zwangsweise Zuführung von Kühlluft verzichtet und erst in einem gewissen Abstand von den Spinndüsen Kühlluft zuläßt.

Abgesehen von der Frage, ob der Fachmann sich zur Lösung des genannten Problems die Lehre der D5 zu eigen machen wird, die eindeutig eine Anlage betrifft, welche durch ihren Bezug auf eine Spinngeschwindigkeit von 1000 m/min nicht gattungsgemäß ist, d.h. nicht wie die Anlage nach D4 für hohe Abzugsgeschwindigkeiten (über 5000 m/min) verwendet wird, ist nicht ersichtlich, weshalb der Fachmann, um Kühlluft zuzulassen, die Spinnkammer ab einer Entfernung von 100 bis 250 mm von dem Spinndüsenpaket perforieren würde, zumal da die D5 klar und eindeutig lehrt, die Spinnkammer frühestens ab einer Entfernung von 300 mm vom Spinndüsenpaket zu perforieren.

5.3. Die Beschwerdeführerin hat ausgeführt, daß der wesentliche Inhalt der D5 sei, die Kühlluftzufuhr in dem dem Spinndüsenpaket direkt nachfolgenden Bereich zu verhindern, indem man den Spinnschacht ab dem Spinndüsenpaket zuerst geschlossen ausführt und Kühlluftzufuhr erst dann zuläßt, wenn die Begleitluftstromgeschwindigkeit größer als 10 m/min ist. Die einzig übrigbleibende Aufgabe nach Anwendung dieses Prinzips in der Vorrichtung nach D4 bestehe dann darin, festzustellen, ab welcher Entfernung vom Spinndüsenpaket diese Geschwindigkeit überschritten werde. Aus der Tatsache, daß in der Anlage nach D5 bei einer Abzugsgeschwindigkeit von 1000 m/min diese Entfernung mit 500 mm gewählt werde, könne man ableiten, daß bei einer fünffach höheren Abzugsgeschwindigkeit, wie sie gattungsgemäß verwendet wird, diese Entfernung sich um das fünffache verringern müsse, d. h. 100 mm betrage. Dies sei damit genau der Anfang des beanspruchten Bereiches. Die Optimierung der Länge des perforierten Abschnittes sei dann für den Fachmann reine Routinesache.

Auch dieser Argumentation vermag die Kammer nicht beizupflichten. Der von der Beschwerdegegnerin mit ihrem Schreiben vom 26. Januar 1998 eingereichten Anlage 1, die auf der Basis der Figur 5 der D6 erstellt wurde, ist zu entnehmen, daß die Fadengeschwindigkeit in kurzer Entfernung (in diesem Fall 100 mm) von den Spinndüsen kaum von einer Erhöhung der Abzugsgeschwindigkeit beeinflußt wird. Es liegt dann nahe, daß sich auch der von dem bewegenden Faden erzeugte Begleitluftstrom in dieser Entfernung von den Spinndüsen kaum mit einer Erhöhung der Abzugsgeschwindigkeit ändern wird. Wo nach D5 der Begleitluftstrom bei einer Abzugsgeschwindigkeit von 1000 m/min erst in einer Entfernung von 500 mm den Wert von 10 m/min erreicht, ist zu erwarten, daß er in einer Entfernung von 100 mm wesentlich geringer ist und sich, wie gesagt, durch seine Abhängigkeit von der Fadengeschwindigkeit kaum mit einer Steigerung der Abzugsgeschwindigkeit ändern wird. Damit kann der Annahme der Beschwerdeführerin, daß bei einer fünffach höheren Abzugsgeschwindigkeit die Entfernung von den Spinndüsen, bei der die Begleitluftstromgeschwindigkeit unterhalb 10 m/min liegt, um das Fünffache verringert wird, nicht gefolgt werden.

5.4. Zusammenfassend kommt die Kammer zum Ergebnis, daß die Kombination der Lehren der D4 und D5 weder auf der Hand liegt, noch daß sie zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen kann.

Weil es auch sonst weder in der D4, noch in den anderen im Verfahren in Betracht zu ziehenden Druckschriften einen Hinweis auf die beanspruchte Lösung gibt, ist darauf zu schließen, daß eine erfinderische Tätigkeit vorliegt. Die Erfordernisse der Artikel 52 (1) und 56 EPÜ sind somit erfüllt.

5.5. Die abhängigen Ansprüche 2-5 betreffen bevorzugte Ausführungsformen der Vorrichtung nach Anspruch 1 und können somit ebenfalls aufrechterhalten bleiben.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

Beschreibung: Seiten: 2 und 3, eingegangen am 8. April 2000 mit Schreiben vom 5. April 2000,

Ansprüche: Nr. 1-4, eingegangen am 8. April 2000 mit Schreiben vom 5. April 2000, 5, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 22. April 1997

Figuren: Nr. 1 und 2, in der erteilten Fassung.

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