T 0324/97 () of 30.3.2000

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2000:T032497.20000330
Datum der Entscheidung: 30 März 2000
Aktenzeichen: T 0324/97
Anmeldenummer: 90116799.9
IPC-Klasse: D03D 1/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Unbeschichtetes Gewebe für Airbags
Name des Anmelders: Akzo Nobel N.V.
Name des Einsprechenden: (I) Rhone-Poulenc Viscosuisse SA
(II) E.I. Du Pont de Nemours & Company, Inc.
(III) Toray Industries, Inc.
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
Schlagwörter: Änderungen - Anspruchserweiterung (bejaht: Haupt- und 1. Hilfsantrag; verneint: 2. Hilfsantrag)
Neuheit (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0198/84
T 0279/89
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0494/01

Sachverhalt und Anträge

I. Das auf die Anmeldung Nr. 90 116 799.9 erteilte europäische Patent Nr. 0 416 483 wurde mit der am 16. Januar 1997 zur Post gegebenen Entscheidung von der Einspruchsabteilung widerrufen mit der Begründung, der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents sei weder neu noch erfinderisch gegenüber dem Stand der Technik nach

E1: JP-A-01-104 848.

Weiter erfülle das Patent in den hilfsweise vorgelegten geänderten Fassungen nicht die Voraussetzungen des Artikels 123 (2) EPÜ.

II. Am 17. März 1997 legte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) unter gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr Beschwerde gegen diese Entscheidung ein. Die Beschwerdebegründung wurde am 22. Mai 1997 eingereicht.

III. In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung nach Artikel 11 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern hat die Kammer darauf hingewiesen, daß nach ihrer vorläufigen Meinung die Neuheit des Gegenstandes des erteilten Anspruchs 1 fraglich sei. Auf einem bereits im Einspruchsverfahren erhobenen Mangel nach Artikel 123 (2) EPÜ in Bezug auf eine während des Prüfungsverfahrens vorgenommene Änderung auf der Beschreibungsseite 3 wurde nochmals hingewiesen. Die Kammer teilte den Beteiligten weiter mit, sie beabsichtige die Sache zur weiteren Prüfung des Einspruchs an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen, falls die in der angefochtenen Entscheidung genannten Einwände behoben würden.

IV. Eine mündliche Verhandlung hat am 30. März 2000 stattgefunden.

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Basis der mit ihrem Schreiben vom 24. Februar 2000 eingereichten Ansprüche 1 bis 6, hilfsweise auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 5 aufrechtzuhalten. Die Beschwerdeführerin hat ferner eine Anpassung der Beschreibungsseite 3 eingereicht, um dem Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ zu begegnen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

Anspruch 1 nach dem Hauptantrag lautet:

"Hitzeschrumpfbares unbeschichtetes Gewebe aus Synthese-Filamentgarn zur Herstellung eines Airbags, dadurch gekennzeichnet, daß das Gewebe eine wenigstens im wesentlichen symmetrische Gewebeeinstellung mit Fadenzahlen von 23-28/cm in Kette und Schuß aufweist, daß das Garn einen Titer von 300-400 dtex aufweist und daß die Zahl der Einzelfilamente des Filamentgarns bei dem Garntiter von 300-400 dtex so gewählt ist, daß der Einzeltiter gegenüber einem Garn 470 f 72 oder 235 f 36 niedriger ist."

Nach dem 1. Hilfsantrag lautet Anspruch 1:

"Hitzeschrumpfbares unbeschichtetes Gewebe aus Synthese-Filamentgarn zur Herstellung eines Airbags, dadurch gekennzeichnet, daß das Gewebe eine wenigstens im wesentlichen symmetrische Gewebeeinstellung mit Fadenzahlen von 23-28/cm in Kette und Schuß aufweist, daß das Garn einen Titer von 300-400 dtex aufweist und daß der Garntiter der Einzelfilamente im Bereich von 4,167-5,556 dtex gewählt ist."

Nach dem 2. Hilfsantrag lautet Anspruch 1:

"Hitzeschrumpfbares unbeschichtetes Gewebe aus Synthese-Filamentgarn zur Herstellung eines Airbags, wobei das Gewebe eine wenigstens im wesentlichen symmetrische Gewebeeinstellung aufweist, dadurch gekennzeichnet, daß das Gewebe Fadenzahlen von 23-28/cm in Kette und Schuß aufweist und daß das Garn einen Titer von 300-400 dtex und 72 Einzelfilamente aufweist."

Weil die Hilfsanträge 3 bis 5 nicht erheblich für diese Entscheidung sind, wird wegen deren Inhalts auf die Akte verwiesen.

V. Die Argumente der Beschwerdeführerin zur Stützung ihrer Anträge lassen sich im wesentlichen wie folgt zusammenfassen:

Hauptantrag:

In der ursprünglichen Beschreibung sei offenbart, daß bei einem Garntiter von 300 bis 400 dtex besonders vorteilhaft mit 72 Einzelfilamenten gearbeitet werde. Daher sei für den Fachmann klar, daß auch andere Garne als die mit nur 72 Einzelfilamenten in Betracht kämen. Der weiteren hiermit zusammenhängenden Angabe in den ursprünglichen Unterlagen, daß die Steifigkeit des Gewebes durch den dann gegenüber einem Garn 470 f 72 oder 235 f 32 niedrigeren Einzeltiter in besonders vorteilhafter Weise positiv beeinflußt werde, entnehme der Fachmann, daß es darauf ankomme, im beanspruchten Bereich der Garntiter Einzeltiter zu verwenden, die zumindest niedrigerer seien als die der zwei genannten Garne. Die untere Grenze sei dabei selbstverständlich durch die Verarbeitungsgegebenheiten bestimmt.

Das neu formulierte Schutzbegehren verstoße daher nicht gegen die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ; auch sei dessen Gegenstand, zumindest im Hinblick auf die verwendeten Einzeltiter im Garn, neu.

Hilfsantrag 1:

Der beanspruchte engere Bereich des Garntiters der Einzelfilamente könne unmittelbar aus den Endpunkten des Garntiterbereichs von 300 bis 400 dtex und der hiermit zusammenhängend offenbarten Einzelfilamentenzahl von 72 berechnet werden. Insoweit könne der im Anspruch 1 eingeführte Bereich der Einzelfilamenttiter von 4,167 - 5,556 dtex als implizit in den ursprünglich eingereichten Unterlagen offenbart angesehen werden.

Dieser Bereich sei aus keiner der genannten Entgegenhaltungen bekannt, so daß auf die Neuheit des beanspruchten Gewebes geschlossen werden könne.

Hilfsantrag 2:

Die bevorzugte Filamentzahl von 72 sei unzweideutig in den ursprünglichen Unterlagen in Verbindung mit dem Garntiterbereich von 300-400 dtex offenbart. Durch diese zusätzliche Angabe, die in Kombination mit den Bereichen für Garntiter und Fadenzahl zu beurteilen sei, sei der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber E1 als neu zu betrachten, weil dieses Dokument nichts über die Filamentzahl aussage.

VI. Die Beschwerdegegnerinnen führten im wesentlichen aus:

Hauptantrag:

Effektiv werde jetzt mit dem letzten Merkmal des Anspruchs 1 ein Bereich von 0 bis 6,53 dtex für den Einzeltiter der Filamente des Garns eingeführt. Ein solcher Bereich sei nie als solche offenbart worden und verletze damit die Bestimmungen des Artikels 123 (2) EPÜ. Da dieser Bereich am unteren Ende bis zu einem Wert gleich Null gehe, führe dies zusätzlich zu einer Verletzung von Artikel 83 EPÜ, weil solche äußerst geringen Einzeltiter nicht verarbeitet werden könnten. Auch fehle es für einen solchen Bereich an einer Stütze in der Beschreibung des Patents (Artikel 84 EPÜ).

Hilfsantrag 1:

Im Anspruch 1 würden Einzeltiterwerte von 4,167 und 5,556 dtex beansprucht, die offenbar als solche mit 72. Einzelfilamenten im Garn aus den Endpunkten von 300 bzw. 400 dtex des Garntiterbereiches berechnet würden, allerdings im Anspruch nicht zu einem selbständigen Einzeltiterbereich führen könnten. Durch die Kreuzverbindungen, die jetzt zwischen den beanspruchten Bereichen gelegt werden könnten, werde die Offenbarung auf Filamentzahlen von 61 bis 96 ausgedehnt. Letzteren fehle eine Offenbarung in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen. Sonst würden auch die oben aufgeführten Mängel unter Artikel 83 EPÜ gelten, weil das Patent keine Angaben enthalte, wie mit Filamementzahlen im Garn, die höher oder niedriger sind als 72, umzugehen sei. Ach hier fehle die Stütze in der Beschreibung (Artikel 84 EPÜ).

Hilfsantrag 2:

Die Filamentzahl von 72 sei nur in Zusammenhang mit dem einzigen Ausführungsbeispiel mit einem Garntiter von 350 dtex offenbart, jedoch nicht in Zusammenhang mit dem Bereich von 300-400 dtex (Artikel 123 (2) EPÜ). Dem Fachmann fehle es im Patent an Ausführungsbeispielen, die klare Hinweise enthielten, wie mit einer Filamentzahl von 72. über den gesamten Bereich von 300-400 dtex zu verfahren sei (Artikel 83 EPÜ).

Die Neuheit sei zu verneinen, weil 72 Filamente eine auf dem Gebiet der Garne übliche Zahl sei. Dies sei auch aus der Tabelle im Streitpatent ersichtlich, weil die Beschwerdeführerin offensichtlich selbst bei dem Vergleich mit den aus E1 bekannten Garntitern von 470 dtex und 235 dtex angenommen habe, daß diese aus 72 bzw. 36 Einzelfilamente bestünden. Darüber hinaus erfülle die Auswahl von 72 Einzelfilamenten nicht das Erfordernis der Auswahlerfindung, weil es keine gezielte Auswahl sei (Artikel 54 EPÜ).

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)

2.1. Im Vergleich zum erteilten Anspruch 1 beansprucht Anspruch 1 des Hauptantrags nun zusätzlich, daß die Zahl der Einzelfilamente des Garns so gewählt ist, daß der Einzeltiter gegenüber einem Garn 470 f 72 oder 235 f 36 niedriger ist. Unstrittig ist, daß damit ein Filamentzahlbereich beansprucht wird, der sich, bei Berücksichtigung des beanspruchten Garntiterbereichs von 300 bis 400 dtex, von 0 bis 6,53 dtex erstreckt.

Grundsätzlich kann die Kammer der Beschwerdeführerin darin folgen, daß der Fachmann aus der Angabe in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen, nach denen bei einem Garntiter von 300 - 400 dtex besonders vorteilhaft mit 72. Einzelfilamenten gearbeitet wird, schließen kann, daß zur Herstellung des Gewebes auch andere Filamentzahlen möglich sind.

In Bezug auf den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags geht es jedoch um die Frage, ob in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen eindeutig offenbart ist, in welchem möglichen Bereich sich die Zahl der Filamente des Garns bewegt und ob das eingefügte Merkmal mit einer solchen Offenbarung übereinstimmt.

Die Kammer stellt fest, daß eine Offenbarung eines explizit genannten Bereichs fehlt. Die von der Beschwerdeführerin herangezogenen Textstellen der Anmeldung sind auch ungeeignet eine für den Fachmann implizite Offenbarung zu begründen, denn die Angabe, daß der Einzeltiter geringer ist als der, der aus einem Garn 470 f 72 bzw. 235 f 36 folgt, ist nur in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Garntiterbereich von 300 - 400 dtex und 72 Einzelfilamenten offenbart. Es heißt in der Beschreibung nämlich: "Durch den dann gegenüber einem Garn 470 f 72 oder 235 f 36 niedrigeren Einzeltiter...". Nach Auffassung der Kammer können aus einer solchen beschränkten, nur in Zusammenhang mit einem Garn mit 72. Einzelfilamenten stehenden Angabe keine Eckpunkte irgendeines Bereichs abgeleitet werden.

2.2. Anspruch 1 nach dem 1. Hilfsantrag enthält die Angabe, daß der Einzeltiter in einem Bereich von 4,167-5,556 dtex liegt. Die genannten Werte können an sich aus den ursprünglich offenbarten Endwerten des Garntiterbereiches (300 bzw. 400 dtex) und einem Garn mit 72. Einzelfilamenten berechnet werden. Die Beanspruchung eines gesamten Bereiches innerhalb dieser berechneten Werte für die Einzeltiter setzt allerdings voraus, daß die ursprüngliche Offenbarung sich auch über alle möglichen Kombinationen von Werten aus dem Garntiterbereich mit Werten aus dem Einzeltiterbereich erstreckt. Dies ist nicht der Fall. Wenn man einen Garntiter von 300 dtex mit dem Endpunkt des Einzeltiterbereiches (5,556 dtex) kombiniert, kommt man auf 54 Einzelfilamente im Garn. Bei einem Garntiter von 400 dtex mit einem Einzeltiter von 4,167 dtex kommt man auf 96 Einzelfilamente. Die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen bieten für solche Filamentzahlen jedoch keine Anhaltspunkte. Somit ist auch Anspruch 1 nach dem 1. Hilfsantrag nicht im Einklang mit den Bestimmungen des Artikels 123 (2) EPÜ. Somit ist der 1. Hilfsantrag nicht gewährbar.

2.3. Anspruch 1 nach dem 2. Hilfsantrag bezieht sich zusätzlich zum erteilten Anspruch 1 auf eine Filamentzahl von 72, wofür es eindeutig einen Offenbarungshinweis in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen gibt (Seite 7, 2. Absatz). Diese Textstelle erwähnt die Filamentzahl von 72. in Verbindung mit dem beanspruchten Bereich von 300-400 dtex als besonders vorteilhaft. Damit ist der von den Beschwerdegegnerinnen erhobene Einwand, die Filamentzahl von 72 sei nur in Verbindung mit dem Ausführungsbeispiel offenbart, wobei ein Garntiter von 350 dtex verwendet worden sei, ohne Grundlage. Das Merkmal der Filamentzahl ist ein zusätzliches Merkmal im Anspruch, wodurch der Schutzbereich weiter eingeschränkt wird.

Die Änderung auf der Beschreibungsseite 3 des Patents bringen diese wieder in Einklang mit der ursprünglichen Beschreibung und führen nicht zu einer Erweiterung des Schutzbereiches.

Die mit dem 2. Hilfsantrag verbundenen Änderungen sind somit unter Artikel 123 (2) und (3) EPÜ nicht zu beanstanden.

3. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

3.1. E1 (JP-A-01-104 848 in englischer Übersetzung, die vom Einsprechenden III mit Schreiben vom 29. Juli 1996 eingereicht wurde) offenbart die Merkmale des Oberbegriffes des Anspruchs 1: ein hitzeschrumpfbares unbeschichtetes Gewebe aus Synthese-Filamentgarn zur Herstellung eines Airbags, wobei das Gewebe eine symmetrische Gewebeeinstellung aufweist.

3.2. In der Offenbarung der E1 ist weder implizit noch explizit ein Hinweis auf die Verwendung von Garnen in dem Airbaggewebe mit 72 Einzelfilamenten zu finden. Nach der Offenbarung der E1 beschäftigt man sich mit dem Zusammenhang zwischen Garntiter und Fadenzahl (K-Faktor) und deren Einfluß auf Luftdurchlässigkeit, Flächengewicht, Faltbarkeit und Biegesteifheit. Wie man sonst diese Parameter beeinflussen kann (außer durch Beschichtung oder Heißkalandrierung), wird nicht angesprochen.

3.2.1. Es wurde ausgeführt, daß die Beschwerdeführerin mit der Angabe in der Tabelle der Patentschrift, wonach für die Vergleichsgarntiter 470 dtex bzw. 235 dtex, die aus der E1 bekannt sind (als 420 bzw. 210 denier), ebenfalls 72. Einzelfilamente (bzw. die dementsprechenden 36. Einzelfilamente für 235 dtex Garne) genommen wurden, selbst zugegeben habe, daß die Verwendung von 72. Einzelfilamenten im Garn implizit aus der E1 hervorgehe.

Dem kann die Kammer nicht folgen. Aus der Tabelle und den zugehörigen Textstellen geht nicht hervor, daß die Vergleichsbeispiele im Patent die nach der E1 hergestellten Gewebe darstellen sollten. Dies folgt z. B. schon aus den Werten für das Flächengewicht dieser Vergleichsgewebe, die in der Tabelle für 470 dtex mit 243 g/m2 und für 235 dtex mit 179 g/m2 angegeben sind, während die Ausführungsbeispiele nach der E1 ein Flächengewicht von 151 bzw. 155 g/m2 für das Gewebe mit 420 denier (470 dtex) und 133 bzw. 142 g/m2 für das Gewebe mit 210 denier (235 dtex) aufweisen.

3.3. Es wurde von den Beschwerdegegnerinnen ferner argumentiert, daß durch die Hinzufügung des Merkmals der 72. Einzelfilamente im Garn die von der Rechtsprechung der Kammern entwickelten Erfordernisse bei der Beurteilung der Neuheit einer Auswahlerfindung (siehe T 198/84, ABl. EPA 1985, 209 und T 278/89, nicht im Amtsblatt veröffentlicht), den schon die Merkmale des Anspruchs in der erteilten Fassung nicht entsprachen, weiterhin nicht erfüllt seien, weil dieses Merkmal keine gezielte Auswahl beträfe.

3.3.1. Zunächst ist festzustellen, daß im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 jetzt eine Kombination eines Garntiterbereiches sowohl mit einem Fadenzahlbereich als auch mit einer bestimmten Filamentzahl beansprucht wird.

3.3.2. Selbst wenn sodann berücksichtigt wird, daß die Erfordernisse für Auswahlerfindungen auf die Kombination der beiden ursprünglich beanspruchten Bereiche für Fadenzahl und Garntiter angewendet werden können, weil diese Kombination einem K-Wertbereich entspricht, die mit dem in E1 offenbarten Bereich verglichen werden kann, ist hier zu beachten, daß eine Kombination dreier Variablen beansprucht wird.

Der K-Wert setzt sich bei einer symmetrischen Gewebeeinstellung wie folgt aus der Fadenzahl und dem Garntiter zusammen:

K = 2.N. D,

wobei N = Fadenzahl/Inch und D = Garntiter in denier.

Aus Überlegungen, die auf Teilkombinationen gerichtet sind, können jedoch keine Schlüsse bezüglich fehlender Neuheit der gesamten Kombination gezogen werden.

3.3.3. Mit der Aufnahme des Merkmals der Filamentzahl von 72. Einzelfilamenten im Garn wird nämlich eine erweiterte Kombination von Merkmalen geschaffen, auf die in Bezug auf die E1 die Kriterien für Auswahlerfindungen nicht mehr angewendet werden können, weil es in E1 weder Angaben zur Filamentzahl gibt noch eine Filamentzahl in einer kombinatorischen Beziehung zu Garntiter und Fadenzahl, wie jetzt beansprucht, genannt wird.

3.3.4. Die Frage, ob der Fachmann nicht ohnehin ein Garn mit 72. Einzelfilamenten nehmen würde, ist ohne jede Offenbarung solcher Filamentzahlen in E1 keine Frage der Neuheit, sondern eine Frage der erfinderischen Tätigkeit. Siehe dazu auch Punkt 5.1 infra.

3.4. Es ist somit festzustellen, daß E1 den Gegenstand des Anspruchs 1 nach dem 2. Hilfsantrag nicht neuheitsschädlich treffen kann.

3.5. In Bezug auf Anspruch 1 des 2. Hilfsantrags wurde außerdem ausgeführt, daß das Dokument E16 (JP-A-61-41438, es wurde die englische Übersetzung, eingereicht von Beschwerdegegnerin II mit Schreiben vom 27. März 2000, verwendet) dessen Gegenstand neuheitsschädlich vorwegnehme. Dies trifft nicht zu, weil es weder die beanspruchte Filamentzahl von 72 Einzelfilamenten noch ihre Kombination mit den Garntiter- und Fadenzahlbereichen offenbart.

3.6. Keines der im übrigen im Einspruchsverfahren entgegengehaltenen Dokumente weist alle Merkmale des Anspruchs 1 nach dem 2. Hilfsantrag auf. Somit ist festzustellen, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 die Erfordernisse der Artikel 52 (1) und 54 EPÜ erfüllt.

3.7. Dies gilt auch für die abhängigen Ansprüche 2 bis 4, die bevorzugte Ausführungsformen des Gegenstandes nach Anspruch 1 betreffen (Regel 29 (3) EPÜ). Die Gegenstände der Ansprüche 5 und 6, die die Verwendung des Gewebes nach mindestens einem der Ansprüche 1 bis 4 zur Herstellung eines Airbags betreffen, sind somit ebenfalls als neu zu betrachten.

4. Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik (Regel 29 (1) EPÜ)

Wo die Merkmale des Garntiterbereiches, des Fadenzahlbereiches und der Filamentzahl zusammengehören, weil durch ihre Kombination die Ziele der Erfindung erreicht werden, gibt es keine Bedenken in Bezug auf die Erfordernisse der zweiteiligen Form nach Regel 29 (1) EPÜ, diese Merkmale zusammen im kennzeichnenden Teil zu belassen.

5. Prozedurale Überlegungen

5.1. Die Entscheidung zum Widerruf des Patents wurde nur auf die fehlende Neuheit des Gegenstandes nach Anspruch 1 in der erteilten Fassung gestützt.

Nachdem im Beschwerdeverfahren durch die Aufnahme des Merkmals der Filamentzahl in Kombination mit den Bereichen für Garntiter und Fadenzahl die Neuheit des Gegenstandes nach Anspruch 1 gegenüber dem bekannten Stand der Technik hergestellt wurde, bleibt zu prüfen, ob dieser Stand der Technik die erfinderische Tätigkeit dieses Gegenstandes in Frage stellt.

Die Einspruchsabteilung hat sich in ihrer Entscheidung zur erfinderischen Tätigkeit in Bezug auf den sonstigen Stand der Technik nicht ausgelassen. Zum Dokument E1 wurde lediglich hilfsweise bemerkt, daß wenn der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 als neu zu betrachten wäre, weil es eine neuheitsbegründende Auswahl aus den in der E1 offenbarten Bereichen entspreche, der Fachmann der E1 genügend Hinweise entnehme, wie ein unbeschichtetes Airbag-Gewebe am besten zu gestalten sei und somit zum Gegenstand des erteilten Anspruchs gelangen werde.

Da der beanspruchte Gegenstand neu formuliert wurde und als Kombination keine Auswahl aus den in E1 offenbarten Bereichen betrifft, hält die Kammer es für notwendig, die Sache zur Fortsetzung des Einspruchsverfahrens bezüglich des Einspruchsgrundes nach Artikel 100 a) EPÜ an die erste Instanz zurückzuverweisen, damit im Hinblick auf das mit den Merkmalen des Anspruchs 1 objektiv zu lösende Problem und dem entgegengehaltenen Stand der Technik geprüft werden kann, ob eine erfinderische Tätigkeit nötig war, um zur beanspruchten Lösung zu gelangen.

5.2. Im Beschwerdeverfahren hat die Beschwerdegegnerin III (Einsprechende III) ihren bereits mit Einspruchsschriftsatz erhobenen Einwand wiederholt (siehe Punkt VI supra), das Patent enthalte keine Angaben, die es ermöglichten, die im geänderten Anspruch 1 beanspruchte Erfindung über den gesamten beanspruchten Bereich von 300-400 dtex in Zusammenhang mit dem Bereich von 23-28 Faden/cm auszuführen. Es gebe nur ein einziges Beispiel, nämlich das mit einem Garntiter von 350 dtex und ein Flächengewicht von 200 g/m2. In der vorliegenden Fassung des Anspruchs komme in der oben genannten Kombination von Merkmalen noch die Angabe der Filamentzahl von 72 hinzu.

Aus der Entscheidung geht nicht hervor, ob die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung diesen Einwand abgehandelt hat, weil sie nur allgemein zum weiteren Einwand der fehlenden Ausführbarkeit der Verwendung des beanspruchten Gewebes für die Herstellung eines Airbags ausgeführt hat, daß der Fachmann aus dem Stand der Technik verschiedene Weisen, um Airbags herzustellen, kennt. Damit wäre er durchaus in der Lage, das beanspruchte Gewebe zur Herstellung eines Airbags zu verwenden.

5.3. Bei der Fortsetzung des Einspruchsverfahrens ist deshalb auch der oben angegebene Einwand der mangelnden Ausführbarkeit der Erfindung nun bezogen auf den geänderten Anspruch 1 im Lichte des gesamten Patents zu prüfen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird zur Fortsetzung des Einspruchsverfahrens an die erste Instanz zurückverwiesen.

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