T 0202/97 () of 10.2.1999

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1999:T020297.19990210
Datum der Entscheidung: 10 Februar 1999
Aktenzeichen: T 0202/97
Anmeldenummer: 87108259.0
IPC-Klasse: H01R 23/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Stecker für eine Steckverbindung für den elektrischen Anschluß von Kraftfahrzeuganhängern
Name des Anmelders: ERICH JÄGER GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Fahrzeugelektrik Pirna GmbH
Procon Fahrzeugteile GmbH
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
Schlagwörter: Hauptantrag und erster Hilfsantrag (erfinderische Tätigkeit: verneint)
Zweiter Hilfsantrag (wegen verspäteter Vorlage und nicht eindeutiger Gewährbarkeit nicht zugelassen)
Orientierungssatz:

Mit einer Tagesordnung an Mitglieder einer internationalen Normenausschußarbeitsgruppe versandter Normungsvorschlag zur Vorbereitung einer Normen-Sitzung unterliegt gewöhnlich nicht der Geheimhaltung und gilt daher als der Öffentlichkeit zugänglich.

Angeführte Entscheidungen:
T 0153/85
T 0877/90
T 0794/94
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1145/01
T 0738/04
T 1066/13
T 2239/15

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführer haben gegen das europäische Patent Nr. 249 181 Einspruch eingelegt. Ihre Beschwerden richten sich nun gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung ihrer Einsprüche.

II. Der erteilte Anspruch 1 (mit eingefügter Untergliederung in a) bis j) gemäß Vorschlag des Beschwerdegegners im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren) lautet:

a) Stecker für eine Steckverbindung für den elektrischen Anschluß von Kraftfahrzeuganhängern,

b) mit einem einen Kontakteinsatz (2) mit Kontaktstiften (3) aufnehmenden Gehäuse,

c) bestehend wenigstens aus einer Kappe (4) und einem Bajonettanschlußteil (5) für die Verbindung mit einer Steckdose

d) sowie mit einer Deckelauflageplattform (6) für die Auflage des Steckdosendeckels in Öffnungsstellung,

e) wobei der Bajonettanschlußteil (5) aus einer Innenhülse (7) und einem auf dieser drehbar gelagerten Bajonettring (8) besteht,

f) wobei die Innenhülse (7) den Bajonettring (8) steckdosenseitig mit einem Ringwulstansatz (14) überragt,

g) dessen Außendurchmesser größer ist als der Innendurchmesser des Bajonettringes (8)

h) und wobei sich die Innenhülse (7) mit einer steckdosenseitig weisenden Außenschulter (15) an eine Innenschulter (16) des Bajonettringes (8) in Axialrichtung anlegt,

i) und daß der Kontakteinsatz (2) durch Verschrauben der Kappe (4) mit der Innenhülse (7) und

j) Drücken des Kontakteinsatzes (2) gegen eine Innenschulter (24) der Innehülse (7) axial festgelegt wird.

III. In einer Mitteilung der Technischen Beschwerdekammer als Anlage zur Ladung für die mündliche Verhandlung wurde auf die von den Beschwerdeführern u. a. bereits im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren diskutierten Druckschriften

D3: DE-U-8 424 654,

D9: US-A-4 472 012

sowie auf

ISO-Norm 7638-1985 (E)

hingewiesen.

IV. Mit Schreiben vom 27. Januar 1999 reichte der Beschwerdegegner als ersten Hilfsantrag einen neuen Anspruch 1 ein, der auf dem erteilten Anspruch 2 beruht. Damit wird das zusätzliche Merkmal, wonach "die Deckelauflageplattform (6) an dem Bajonettring (8) befestigt und mit diesem verdrehbar" sein soll, ebenfalls zum Gegenstand des Anspruchs 1.

V. Am 8. Februar 1999 reichte der Beschwerdegegner als zweiten Hilfsantrag einen weiteren Anspruch 1 ein, der die Merkmale des Gegenstands des ersten Hilfsantrags um ein Teilmerkmal des erteilten Anspruchs 6 ergänzt, wonach "der Bajonettring (8) mit der Innenhülse (7) in Bajonettentriegelungsstellung in Drehrichtung lösbar verrastet ist".

VI. Am 10. Februar 1999 fand vor der Beschwerdekammer eine mündliche Verhandlung statt. Die Beschwerdeführer verwiesen hierbei u. a. vor allem auf die bereits im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren diskutierten Dokumente

D1: Draft agenda for the first meeting of ISO/TC22/SC3/WG9 (August 1985) und

D2: Brief minutes on the first meeting of the working group ISO/TC22/SC3/WG9 (September 1985)

zum Beleg für einen der Öffentlichkeit zugänglichen schriftlichen und mündlichen Vorschlag für einen Kraftfahrzeuganhängerstecker.

Weiterhin wurde u. a. auf das im Einspruchsverfahren eingereichte Muster

D6: Musterstecker Amphenol - Tuchel Elektronics GmbH, Serie C16-3 hingewiesen.

VII. Die Beschwerdeführer machten u. a. geltend, daß die Dokumente D1 und D2 Stand der Technik bildeten. Dokument D1 beinhalte die vorläufige Tagesordnung für das erste Treffen der Arbeitsgruppe ISO/TC22/SC3/WG9 über eine elektrische Verbindung zwischen Kraftfahrzeugen und Anhängern der internationalen Organisation für Standardisierung sowie einen deutschen Vorschlag SC3N446 E für eine neue Kraftfahrzeugvielfachsteckverbindung. Diese Dokumente seien u. a. an folgende Firmen verschickt worden: In Frankreich an IVECO, WABCO und BENDIX, in Deutschland an Daimler Benz AG, Bosch und Erich Jäger und in Italien an IVECO. Dokument D2 stelle das Protokoll des ersten Treffens der damit befaßten Arbeitsgruppe dar und enthalte eine Anwesenheitsliste. Dokument D1 zeige das Datum August 1985 und Dokument D2 das Datum September 1985. Das Treffen habe am 19. und 20. September 1985 in Paris stattgefunden. In den Arbeitsgruppen der internationalen Organisation für Standardisierung würden Entwürfe für internationale Normen ausgearbeitet. Bei der Auswahl der Teilnehmer werde darauf geachtet, daß die interessierten Kreise gerecht und gleichmäßig vertreten seien. Das Treffen und insbesondere das Versenden der Dokumente D1 und D2 an die beteiligten Unternehmen hätten ohne Geheimhaltungsvorbehalte stattgefunden. Der Erfinder des angegriffenen Patents habe laut Anwesenheitsliste ebenfalls an dem Treffen teilgenommen. Es läge in der Natur von solchen Normengesprächen, deren Ergebnisse später die einschlägige Fachwelt unter Umständen zu berücksichtigen hätten, daß sie nicht geheimgehalten werden. Das Zeichnungsblatt 2 von D1 zeige einen Stecker mit den beanspruchten Merkmalen a), b), c) und d). Nach Auffassung des Beschwerdeführers 2 (PROCON) sei die Bajonettringbewegung nach links durch einen Ringwulst begrenzt. Wie die Sicherung nach rechts erfolgen soll, sei dort nicht erkennbar. Es sei zwar ein Kontakteinsatz angedeutet, aber nicht, wie dieser gehaltert sei. Damit ließe die Zeichnung von D1 offen, erstens, wie der Bajonettring nach rechts gegen Abrutschen gesichert sei und zweitens, wie der Kontakteinsatz mit seinen Kontakten befestigt sei. Der Fachmann würde Lösungen für die vorgenannten unabhängigen Problemstellungen im Stand der Technik suchen und geleitet durch die jeweiligen Aufgabenstellungen für die erste Problemstellung eine Lösung in D3 (insbesondere Figur 7) und für die zweite Problemstellung eine Lösung in D9 finden. Daß sich bei der Lösung gemäß Figur 6 von D9 der Einsatz verforme und Rippen 74, 75 der vorübergehenden Halterung dienten, seien lediglich zusätzliche Merkmale, die die Formulierung des vorliegenden Anspruchs 1 nicht ausschließe.

Der Beschwerdeführer 1 (Fahrzeugelektrik Pirna) vertrat ausgehend von Druckschrift D3 unter Berücksichtigung der Druckschrift D9 und der ISO-Norm 7638-1985 (E) die Auffassung, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht erfinderisch sei.

Die Hilfsanträge sollten wegen ihrer verspäteten Vorlage im Verfahren nicht zugelassen werden. Der erst zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsantrag 2 füge dem Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lediglich einen Teil des erteilten Anspruchs 6 hinzu ohne die dort angegebene spezielle Lösung mit Rille und Rastvorsprung. Die entsprechende Verallgemeinerung, wonach "der Bajonettring (8) mit der Innenhülse (7) in Bajonettentriegelungsstellung in Drehrichtung lösbar verrastet ist" ohne die im Anspruch 6 angegebene spezielle Lösung hierfür sei von den Beschwerdeführern bislang nicht recherchiert worden, so daß sie bei Zulassung des Hilfsantrags 2 eine Möglichkeit für eine weitere Nachrecherche benötigten.

VIII. Der Beschwerdegegner argumentierte im wesentlichen wie folgt:

Die Parteien seien offenbar völlig uneinig darüber, von welchem Stand der Technik bei der Beurteilung des Patentgegenstands auszugehen sei. Während der Beschwerdegegner von der im Patent gewürdigten ISO-Norm 7638-1985 (E) ausgehe, sei für einen Beschwerdeführer Ausgangspunkt der Erfindung die Druckschrift D3 und für den anderen Beschwerdeführer das Dokument D1 in Verbindung mit D2.

Die ISO-Norm 7638-1985 (E) betreffe einen Stecker mit lediglich den Merkmalen a) und d). Im Gegensatz zu einem Bajonettanschlußteil gemäß Merkmal c) sei dort aber eine Bügelverriegelung vorgesehen. Es werde also nichts gedreht. Wie der Kontakteinsatz gehalten werde, sei nicht gezeigt. Der Erfindung läge hiervon ausgehend daher die Aufgabe zugrunde, einen Stecker gemäß den Merkmalen a) und d) so weiterzubilden, daß er eine Bajonettverbindung ermögliche, einfach montier- und demontierbar sowie sicher verriegelbar sei.

Der in der Druckschrift D3 beschriebene Stecker, von dem der Beschwerdeführer 1 ausgehe, sei wegen des Fehlens einer Deckelauflage für den Kraftfahrzeugbereich nicht geeignet, ansonsten aber für verschiedene anderweitige Anwendungen gedacht. Der gezeigte drehbare Bajonettring lasse nicht ohne weiteres an das Anbringen einer Deckelauflageplattform denken. Der Fachmann würde eine solche gewöhnlich an etwas Feststehendem befestigen. Das beanspruchte Merkmal b) gehe aus D3 nicht hervor. Die Figur 7 zeige keine Kontaktstifte. Es sei nicht erkennbar, ob überhaupt ein Kontakteinsatz vorgesehen sei, geschweige denn wie er gehalten sei. Der von den Beschwerdeführern hinsichtlich des beanspruchten Merkmals h) als Außenschulter der Innenhülse gezeichnete Absatz in Figur 7 von D3 könne lediglich eine zufällige Verformung der Wandung sein. Die Beschwerdeführer räumten selbst ein, daß die Merkmale i) und j) aus D3 nicht hervorgingen. Der Fachmann würde sich auch nicht an D9 orientieren. Gemäß dieser Druckschrift sollen viele unterschiedliche Aufgaben gelöst werden. Ein Bajonettverschluß sei nicht vorhanden. Wegen der Einrastrippe 74 und der Nut 75 bleibe der Kontakteinsatz 36 ohne die abschraubbare Hülse 44 (siehe Figur 6) gehalten. Die Dokumente D1 und D2 stellten keinen Stand der Technik dar. Es sei nicht nachgewiesen worden, daß diese einem unbeschränkten Personenkreis zugänglich waren. Es handle sich dort lediglich um Entwürfe. Selbst wenn man unterstelle, daß der Inhalt von D1 und D2 dem Stand der Technik zuzurechnen sei, seien die Unterschiede zwischen der Hauptfigur auf Blatt 2 von D1 und dem Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 erheblich. Ein Hinweis auf einen austauschbaren Kontakteinsatz ohne Beeinflussung der übrigen Steckerteile sei D1 und D2 nicht entnehmbar. Es sei auch nicht ersichtlich, daß der Bajonettring auf dem Stecker drehbar sei. Es heiße lediglich, daß der Bajonettring drehbar sei. Weiterhin sei das Gehäuse unmittelbar auf dem Kontakteinsatz ohne Innenhülse gelagert. Die Beschwerdeführer interpretierten in D1 eine Innenhülse hinein. Im übrigen sollten die Hilfsanträge zugelassen werden. Erst in der Zwischenverfügung der Beschwerdekammer sei eine mögliche negative Beurteilung des beanspruchten Sachverhalts angedeutet worden. Der Beschwerdegegner habe Zeit benötigt, um wegen eines anhängigen Verletzungsverfahrens zu erkennen, inwieweit ein Verletzer vom Patent Gebrauch mache. Der erste Hilfsantrag sei im Rahmen einer normalen Beantwortungsfrist eingegangen und durch die Zwischenverfügung der Kammer veranlaßt worden. Die beiden Hilfsanträge hätten klare Patentansprüche zum Gegenstand, die eindeutig auf in Unteransprüchen angegebene Gegenstände beschränkt seien und deshalb allen Beteiligten hinreichend bekannt sein müßten.

IX. Die Beschwerdeführer beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents 249 181. Weiterhin beantragten sie, die Hilfsanträge 1 und 2 wegen verspäteter Einreichung nicht zuzulassen. Für den Fall, daß die behauptete offenkundige Vorbenutzung des Musters D6 für die Entscheidung eine Rolle spiele, sei der bereits früher genannte Zeuge zu vernehmen.

X. Der Beschwerdegegner beantragte, die Beschwerden zurückzuweisen und das Patent in der erteilten Form aufrechtzuerhalten. Hilfsweise beantragte er die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Ansprüche, eingereicht als Hilfsantrag 1 mit Schreiben vom 25. Januar 1999, weiter hilfsweise auf der Grundlage der Ansprüche, eingereicht als Hilfsantrag 2 mit Schreiben vom 8. Februar 1999.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig.

2. Hauptantrag

2.1. Die Neuheit des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1 wurde von den Beschwerdeführern nicht in Frage gestellt. Es ist daher zu entscheiden, ob der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ beruht oder nicht.

2.2. Erfinderische Tätigkeit

2.2.1. Nächstliegender Stand der Technik und Aufgabe

2.2.1.1. Nach Auffassung der Beschwerdeführer war der am 19. und 20. September 1985 bei AFNOR in Paris - La Défense, Tour Europe, Salle Asie, diskutierte deutsche Vorschlag für eine dreizehnpolige elektrische Steckverbindung, die sowohl für mit 12. Volt als auch mit 24 Volt betriebene Fahrzeuge geeignet sein soll, und die für diesen Zweck notwendigerweise vorher versandte Draft-Agenda vom August 1985 mit einer schriftlichen und zeichnerischen Darstellung des deutschen Vorschlages ISO-TC22/SC3 N446E der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag (10. Juni 1986) des vorliegenden Patents zugänglich. Die "Brief Minutes" über die erste Sitzung vom September 1985 (D2) belegen, daß die Sitzung der Arbeitsgruppe stattgefunden hat. Die beigefügte Teilnehmerliste beinhaltet 18 Vertreter französischer und deutscher Firmen sowie einer italienischen Firma.

Vom Beschwerdegegner wurden weder die Sitzung in Paris noch die Beweismittel selbst in Zweifel gezogen, jedoch die öffentliche Zugänglichkeit des dabei diskutierten deutschen Vorschlages gemäß Dokument ISO/TC22/SC3 N446E bestritten. Die Kammer kann sich jedoch der Auffassung des Beschwerdegegners, wonach der deutsche Vorschlag nicht im Sinne von Artikel 54 (2) EPÜ öffentlich gewesen sein soll, nicht anschließen. Bei der Auswahl von Teilnehmern für Normendiskussionen wird auf eine gleichmäßige Vertretung der interessierten Kreise geachtet. Die Einreichung eines "deutschen Vorschlags" setzt bereits eine Diskussion desselben unter den deutschen interessierten Firmen voraus. Dies gilt auch für die aus D2 erkennbare Ablehnung des deutschen Vorschlages durch die französischen Kreise. Dokument D2 (Seite 2, viertletzter Abschnitt) weist darauf hin, daß zu dem Vorschlag noch weitere Informationen von in der Sitzung nicht vertretenen Mitgliederkörperschaften eingeholt werden sollen. Eine mündliche oder schriftliche Offenbarung ist der Öffentlichkeit zugänglich geworden, wenn es Mitgliedern dieser Öffentlichkeit zum maßgebenden Zeitpunkt möglich gewesen ist, vom Inhalt der Offenbarung Kenntnis zu erlangen und wenn die Verwendung oder Verbreitung dieser Kenntnis nicht der Geheimhaltung unterliegt; vgl. T 877/90 vom 28. Juli 1992, diskutiert in Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, Deutsche Fassung 1996, S. 66 Abs. 3.

Auch wenn nur ein bestimmter Personenkreis zur Teilnahme an der Normensitzung eingeladen war, war der mit der Tagesordnung versandte deutsche Vorschlag der Öffentlichkeit frei zugänglich, wenn für die Adressierten keine Geheimhaltungspflicht bestand. Die Aufgabe eines Normenausschusses besteht aber gerade darin, mit der Fachwelt auf möglichst breiter Ebene abgestimmte, am aktuellen Stand der Entwicklung orientierte Vorschläge für die Normenweiterbildung zu erarbeiten. Dieses Ziel schließt eine Geheimhaltungsverpflichtung aus. Nach Auffassung der Kammer im Rahmen der freien Beweiswürdigung war der Normenvorschlag SC3 N446 E der Öffentlichkeit daher vor dem Prioritätstag des vorliegenden Patents zugänglich.

2.2.1.2. Nach Auffassung der Kammer stellt der deutsche Normenvorschlag N446 E gemäß D1 den nächstliegenden Stand der Technik dar. Die erste Figur auf Blatt 2 von D1 zeigt in Verbindung mit der Zweckbestimmung des Normenvorschlages einen Stecker mit den Merkmalen a), b), c) und d) (siehe Abschnitt II oben). Hinsichtlich der vom Beschwerdegegner bezweifelten Zugehörigkeit und Funktion des Bajonettanschlußteiles zum Stecker wird auf D1, Abschnitt 5.2.1.2, 14.2 (b) und (c) sowie die Figur zur Überschrift "Bajonet unwound" und die Position "Bajonet in locked position" in der ersten Figur auf Blatt 2 von D1 verwiesen. Der deutsche Normenvorschlag verweist ebenso wie bereits die in D2 zitierte ISO/7638 (vgl. dort Abschnitt 7.9) auf die Erfordernisse der Vibrationssicherheit (vgl. D1, Abschnitt 11) hin. Weiterhin verlangt der deutsche Normenvorschlag eine Austauschbarkeit der dreizehnpoligen elektrischen Steckverbindung für 12 und 24 Volt (vgl. Abschnitt 1 des deutschen Vorschlags in D1). Jeder Kontakt, aber nicht mehr als zwei benachbarte Kontakte gleichzeitig, muß für 25. Ampere ± 0,5 Ampere d.c ausgelegt sein (vgl. Abschnitt 6.1 des deutschen Vorschlags). Während gemäß Blatt 5 die Kontakte Nr. 1 bis 7 der Norm ISO/1724 entsprechen sollen, sollten der Kontakt Nr. 8 für eine zusätzliche Spannungsversorgung vorgesehen sein und die Kontakte Nr. 9 bis 13 nach Bedarf belegt werden (vgl. D2, S. 2 Abs. 3). Von französischer Seite wurde jedoch der Existenz von 3 verschiedenen Steckersystemen der Vorzug gegeben. Bereits die Norm ISO/7638 - 1985 (S. 6 Tafel 1) ließ die Verwendung der Kontakte Nr. 6 und 7 offen. Damit bestand auf dem Gebiet der Stecker für Steckverbindungen für den Anschluß von Kraftfahrzeuganhängern - abgesehen von einigen gemeinsamen Festlegungen - nachweislich der Wunsch nach kundenspezifischer Gestaltung der Anzahl der Steckkontakte, also nach einem austauschbaren Einsatz. Weiterhin verlangt die ISO-7638 - 1985 ebenso wie D1/D2 einen Schutz gegen Wasser. Wie bereits im Streitpatent angegeben ist, soll ein derartiger Stecker bei leichter Montage gut zu handhaben, sicher im Gebrauch, leicht zu warten und dauerhaft in seiner Funktion sein.

2.2.2. Die im Anspruch 1 des Streitpatents angegebene Lösung unterscheidet sich durch die Merkmale e) bis j) von den erkennbaren Merkmalen gemäß dem Vorschlag SC3 N446 E (D1) und zwar hinsichtlich der Merkmale e) bis h) für die Halterung des Bajonettringes und hinsichtlich der Merkmale i) und j) für die Festlegung des Kontakteinsatzes. Der Fachmann wird sich für die Lösung der zwei noch offenen Probleme "sichere Halterung des Bajonettringes" und "leicht montierbare Festlegung eines austauschbaren Kontakteinsatzes" daher an anderweitigem Stand der Technik orientieren.

2.2.2.1. Eine Anregung für eine sichere Halterung des Bajonettringes auf einer Steckverbindung für elektrische Anschlüsse findet der Fachmann in D3 (insbesondere Figur 7).

D3 befaßt sich mit einem Stecker für viele Anwendungsfälle, bei denen insbesondere Vibrationen auftreten können (vgl. S. 1, Abs. 2). Der bekannte Stecker weist ebenfalls einen aus einer Innenhülse (in Fig. 7 feine, nach rechts oben verlaufende Schraffur) und einem auf dieser drehbar gelagerten Bajonettring (Verschlußring 1; grobe, nach links oben verlaufende Schraffur) bestehenden Bajonettanschlußteil (Merkmal e)) auf. Der Bajonettring wird von der Innenhülse steckdosenseitig mit einem Ringwulstansatz überragt, dessen Außendurchmesser größer als der Innendurchmesser des Bajonettringes ist (Merkmale f) und g)). Die Innenhülse legt sich mit einer steckdosenseitig weisenden Außenschulter an eine Innenschulter des Bajonettringes in axialer Richtung an (Merkmal h)). Die zeichnerische Darstellung der Figur 7 läßt zwar anhand einer axialverlaufenden Strichlierung erkennen, daß die Innenhülse mit einer Kappe (grobe, nach rechts oben verlaufende Schraffur) verschraubt sein muß, zeigt aber die Befestigung der auf den Beschreibungsseiten 1 (Abs. 2) und 6 (Z. 2 und 3) erwähnten Kontaktstifte nicht.

2.2.2.2. Eine Lösung für eine leicht handbare vibrationsfreie Festlegung eines austauschbaren und an verschiedene Kundenwünsche anpaßbaren Kontakteinsatzes bei einem wassergeschützten Stecker findet der Fachmann in D9 (vgl. dort insbesondere Sp. 1, Z. 25 bis 37, 63 bis Sp. 2, Z. 3, 15 bis 17; Sp. 7, Z. 9 bis 14, 47 bis 53; Sp. 8, Z. 24 bis 37). Diese Entgegenhaltung betrifft eine modular aus Einzelteilen aufgebaute Steckverbindung, bei der, wie insbesondere anhand des die Kontaktstifte enthaltenden Steckers (vgl. Figur 6) beschrieben ist, eine Kappe (24) von der Anschlußseite für das Kabel (27) her in eine Hülse (40) eingeschraubt wird und dadurch ein die Kontaktstifte (82) aufweisender Kontakteinsatz (36) gegen eine Innenschulter (45) der Hülse (40) gedrückt und axial festgelegt wird (vgl. insbesondere Sp. 7, Z. 4 bis 9), wie dies auch gemäß den Merkmalen i) und j) des angegriffenen Anspruchs 1 vorgesehen ist. Die Hülse ist gemäß Figur 9 ebenfalls zum Teil von einem zylindrischen Verriegelungsmechanismus (58) umgeben. Hinsichtlich dieses umgebenden Hülsenteils ist die Hülse (40) also ebenso wie der axial innerhalb des Ringwulstansatzes (14) gelegene Hülsenteil gemäß Figur 1b) und Anspruch 1 des angegriffenen Patents als eine "teilweise innenliegende" Innenhülse anzusehen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners dient der Eingriff der Rippe (74, Figur 6) des Kontakteinsatzes (36) in die Nut (75) des Kappenteils (24) nicht der axialen Festlegung des Kontakteinsatzes im zusammengebauten Stecker, sondern lediglich seiner leichten Fixierung am Kappenteil, wenn diese Einheit beim Zusammenbau in die Hülse eingeführt wird (vgl. hierzu insbesondere D9, Sp. 5, Z. 6 bis 12). Auch die Verformbarkeit des Kontakteinsatzes und schräge Ausbildung der Innenschulter (45) gemäß D9 stellen lediglich Merkmale dar, die der angegriffene Anspruch 1 zur Erreichung zusätzlicher Effekte (Dichtheit) nicht ausschließt.

2.2.2.3. Beim Gegenstand des angegriffenen Anspruchs 1 wird für die Ausbildung des Bajonettanschlußteils mit Halterung des Bajonettringes gemäß den Merkmalen e) bis h) eine Innenhülse hinsichtlich ihres Außendurchmessers weitergebildet (vgl. die Merkmale f), g) und h)) und für die Festlegung des Kontakteinsatzes ihr Innendurchmesser (vgl. das im Merkmal i) angegebene Verschrauben und die in dem Merkmal j) angegebene Innenschulter). Da die Lagen der Außenschulter (15) und Innenschulter (24) der Innenhülse gemäß Anspruch 1 nicht zueinander in Beziehung stehen, sind die äußere Gestaltung gemäß den Merkmalen e) bis h) einerseits und die innere Gestaltung der Innenhülse gemäß den Merkmalen i) und j) andererseits voneinander unabhängig. Daß sowohl für die Halterung eines Bajonettringes als auch für die Festlegung eines Kontakteinsatzes eine teilweise innenliegende Innenhülse sinnvoll ist, lassen beide Druckschriften D3 und D9 erkennen und legen dies bei der technischen Realisierung des deutschen Vorschlages gemäß D1 jeweils für sich nahe.

2.2.3. Die Kammer kommt somit zum Ergebnis, daß sich der im Anspruch 1 (Hauptantrag) angegebene Stecker in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht.

3. Hilfsantrag 1

3.1. Der Hilfsantrag 1 des Beschwerdegegners gelangte am 27. Januar 1999, also zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung, zur Kammer. Der zugehörige Anspruch 1 beruht auf dem erteilten Anspruch 2, der bereits im Einspruchsverfahren unter Hinweis auf Dokument D1 angegriffen wurde. Da die Beschwerdeführer also mit dem Gegenstand dieses neuen Anspruches 1 vertraut sein mußten, wurde der Hilfsantrag 1 im Beschwerdeverfahren zugelassen.

3.2. Das zusätzliche Merkmal, wonach "die Deckelauflageplattform (6) an dem Bajonettring (8) befestigt und mit diesem verdrehbar" sein soll, fügt dem Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 aber nichts Erfinderisches hinzu, da bereits D1 (Blatt 2) zu einer Fixierung der Auflageplattform auf dem Bajonettring anregt. Das Argument des Beschwerdegegners, daß aus D1 nicht hervorgehe, was drehbar sein soll, vermag im Hinblick auf die Ausführungen in D1, Abschnitt 5. 2.1.2, 14.2b) und c) und Blatt 2 (die zwei oberen linken Abbildungen) wegen der Texte "Bajonet in locked position", "Bajonet unwound" sowie "turn the bajonet coupling ring" nicht zu überzeugen, da die Kontaktstifte keine Drehung erlauben.

4. Hilfsantrag 2

Der erst zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung eingereichte zweite Hilfsantrag des Beschwerdegegners wurde wegen seiner verspäteten Vorlage und nicht eindeutigen Gewährbarkeit im Rahmen des der Kammer zukommenden Ermessensspielraumes nicht zugelassen; vgl. T 153/85 (ABl. EPA 1988, 1) in Verbindung mit "Hinweise für die Parteien im Beschwerdeverfahren", ABl. EPA 6/1981, 176 und ABl. EPA 8/1984, 376 und T 794/94 vom 17. September 1998. Das Herauslösen eines Teilmerkmals aus dem Anspruch 6 beinhaltet nämlich dessen beliebige Realisierbarkeit, also eine Verallgemeinerung. Für den Fall der Zulassung dieses Antrages beantragten die Beschwerdeführer deshalb die Möglichkeit einer Nachrecherche, was zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung führen würde. Weiterhin ist auch bei dem zur Druckschrift D3 eingereichten Muster (D6) eine Art Verrastung feststellbar, so daß weitere Untersuchungen erforderlich wären.

5. Bemerkungen zur angefochtenen Entscheidung

Obwohl die Einspruchsabteilung in der angegriffenen Entscheidung zu den von Anbeginn im Einspruchsverfahren befindlichen Dokumenten D1 und D2 und im übrigen auch zu einigen weiteren Dokumenten von untergeordneter Bedeutung nicht Stellung genommen hat, wurde von einer Zurückverweisung zur Vervollständigung der Begründung abgesehen, da die Einspruchsabteilung bereits in der am 25. Juni 1996 ergangenen Ladung die Dokumente D1 und D2 mit der Begründung als nicht relevant angesehen hatte, daß dort die Merkmale e) bis j) fehlten. Zweifel an der öffentlichen Zugänglichkeit wurden also nicht angedeutet. Das ausführliche Protokoll über die darauffolgende mündliche Verhandlung läßt nicht erkennen, daß die Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung D1 und D2 wieder erwähnten.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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