T 0915/96 () of 8.5.1998

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1998:T091596.19980508
Datum der Entscheidung: 08 Mai 1998
Aktenzeichen: T 0915/96
Anmeldenummer: 90107746.1
IPC-Klasse: A01M 17/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Entwesung
Name des Anmelders: SAUERSTOFFWERK FRIEDRICH GUTTROFF GMBH
Name des Einsprechenden: 1) Messer Griesheim GmbH
2) Linde Aktiengesellschaft
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 100(c)
Schlagwörter: Einspruchsgründe - Erweiterung (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/93
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen die am 27. August 1996 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung über den Widerruf des Patents Nr. 0 453 593 die am 10. Oktober 1996 eingegangene Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde ebenfalls am 10. Oktober 1996 eingereicht.

II. Mit den Einsprüchen I und II war das gesamte Patent angefochten worden.

Während des Einspruchsverfahrens sind folgende Druckschriften zum Stand der Technik genannt worden:

D1: W. Rassmann: "Zur Bekämpfung von Larven des Tabakkäfers durch Gefrieren von Rohtabak und Tabakfertigprodukten", aus "Anzeiger f. Schädlingskunde, Pflanzenschutz, Umweltschutz" 53, 133 bis 135 (1980), Verlag Paul Parey, Berlin und Hamburg.

D2: DE-A-3 822 544

D3: "Stein, Wolfgang: "Vorratsschädlinge und Hausungeziefer: Biologie, Ökologie, Gegenmaßnahmen" - Stuttgart: Ulmer Verlag 1986 - Seite 129 bis 132

D4: DE-A-3 321 412

Die Einspruchsabteilung hat das Patent wegen Verstoß gegen Artikel 100 c) EPÜ widerrufen.

III. Am 8. Mai 1998 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt, während der die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) einen neuen Anspruch 1 einreichte.

IV. Der Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren zum Entwesen von trockenen Drogen (trockene Gewürze, Tees, Heildrogen etc.) durch zeitweises Durchfrieren mittels kalter Gase in einem geschlossenen Behälter, zum Abtöten sowohl der adulten Tiere, wie auch deren Larven und Eier,

dadurch gekennzeichnet,

daß das kalte Gas Kaltgas ist, das nach Einleiten in den geschlossenen Behälter zu einer unter minus 25°C liegenden Gastemperatur führt und daß die Drogen solange, jedoch maximal 24 Stunden, in dieser kalten Gasatmosphäre verbleiben bis sich auch im Kern der Drogen zumindest diese Temperatur eingestellt hat, wobei das Einwirkungszeit/Kern-Temperaturverhältnis gemäß einer Kurve verläuft, die von einem Punkt sehr niedriger Temperaturen wie zum Beispiel minus 80°C bei Einwirkungszeiten von wenigen Sekunden bis Minuten asymptotisch für längere Einwirkungszeiten in eine etwa bei minus 20°C liegende Temperaturlinie einmündet und für eine Einwirkungszeit von vier Stunden eine Temperatur von minus 25°C angibt."

V. Die Beschwerdeführerin hat während der mündlichen Verhandlung angeführt, daß das Wesentliche des beanspruchten Verfahrens zum Entwesung in der Kombination von Kälteeinwirkung, Kälteeinwirkung während einer bestimmten Mindestzeit und einer Maximalzeitgrenze, zu sehen sei. Bei den Zeiten müsse man zwischen der Verweilzeit, während der die Drogen in der kalten Gasatmosphäre des Behälters liegen und der Einwirkungszeit, während der eine durch die Kaltgase erzeugte, bestimmte Kerntemperatur auf die Tiere, die Larven und Eier einwirkt, unterscheiden. Aus der ursprünglichen Beschreibung (Seite 4, Ende des ersten Absatzes) gehe klar hervor, daß nach einer Zeit von 24 Stunden ein Gewöhnungs-Prozeß festzustellen sei und daß oberhalb dieser Zeit eine weitere Kälteeinwirkung nicht sinnvoll sei. Der die Gewöhnungszeit von 24 Stunden betreffende Teil der Beschreibung, sei unabhängig von dem davorliegenden, die Temperaturen betreffenden Teil der Beschreibung zu verstehen. Die Maximalgrenze von 24 Stunden müsse daher alle angegebene Temperaturen umfassen. Der Leser würde aus dem angeführten Text sofort erkennen, daß es sich bei der genannten Maximalzeit um die Verweilzeit der Drogen in der Gasatmosphäre handele, da bereits kurz nach dem Einlegen der Drogen die äußeren Zonen der Packung diese Temperatur annehmen würden. Die angegebene Mindestzeit, die aus der Kurve ermittelt werden kann, gelte vor allem für die Kernzone. Nach einer Verweilzeit von mindestens 24 Stunden müsse der Vorgang aber abgebrochen werden, da eine längere Verweilzeit keinen vertretbaren Erfolg mehr bringen könne und die Tierchen, Larven oder Eier sich, zumindest in den äußeren Zonen der Drogen, an die Temperatur angepaßt hätten.

Die erforderliche Einwirkungszeit von 4 Stunden bei einer Temperatur von minus 25°C sei eindeutig in der ursprünglichen Beschreibung (Seite 6) angegeben. Daraus und aus der ursprünglich eingereichten Zeichnung gehe klar hervor, daß die Temperatur im Behälter unter minus 25°C liegen muß, da eine entsprechende Kerntemperatur bei einer höheren Temperatur nicht erreichbar ist. Überdies sei im ursprünglich eingereichten Anspruch 1 angeführt, daß das Gas ein Kaltgas mit einer deutlich unter minus 20°C liegenden Temperatur ist. Damit könne dieses Merkmal, das den Schutzbereich einschränkt, nicht gegen Artikel 100 c) EPÜ verstoßen.

VI. Die Beschwerdegegnerinnen I und II (Einsprechende I und II) haben vorgetragen, daß es sich nach den ursprünglichen Unterlagen bei der Grenze von 24 Stunden nicht um die Verweilzeit der Drogen im Behälter, sondern um die Einwirkungszeit der durch die Kaltgase erzeugten, bestimmten Kerntemperatur auf die Tierchen, Larven und Eier handeln müsse, da die angesprochene Anpassung nur so sinnvoll sei. Die Maximalzeit von 24 Stunden würde sich daher nicht nur auf die Randzonen der Drogen beziehen, sondern auch auf die Kernzone, da die Entwesung auf das gesamte Drogenpaket abziele. Überdies sei diese Zeitgrenze nur im Zusammenhang mit der gezeigten und in der Beschreibung (Seite 4, erster Absatz) beschriebenen Kurve zu verstehen und sei auch nur im Zusammenhang mit der Temperaturgrenze von minus 20°C sinnvoll. Die Beschwerdegegnerinnen haben auch die ursprüngliche Offenbarung der im Anspruch 1 angegebenen Behältertemperatur von minus 25°C in Frage gestellt.

VII. Anträge

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents gemäß Anspruch 1, eingereicht während der mündlichen Verhandlung am 8. Mai 1998.

Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechende) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen des Anspruches 1 (Artikel 100 c), 123 (2), (3) EPÜ)

2.1. Bei der Frage, ob der Gegenstand des europäischen Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, wurde vor allem das Merkmal des kennzeichnenden Teiles des Anspruches 1 in Betracht gezogen, das besagt, "daß die Drogen solange, jedoch maximal 24 Stunden, in dieser kalten Gasatmosphäre verbleiben, bis sich auch im Kern der Drogen zumindest diese Temperatur eingestellt hat". Da in dem vorangehenden Merkmal eine Gastemperatur im Behälter von unter minus 25°C genannt ist, betrifft die Angabe "zumindest diese Temperatur" eine Kerntemperatur von unter minus 25 .

2.2. Nach der Beschreibung (ursprünglich eingereichte Seite 3, dritter Absatz; Spalte 2, Zeilen 12 bis 18 des angefochtenen Patents) besteht die Aufgabe der Erfindung darin, eine Entwesung beziehungsweise ein Verfahren zum Entwesen von trockenen Drogen (trockene Gewürze, Tees, Heildrogen etc.) anzugeben, das mit Sicherheit alle Schadinsekten, wie auch deren Larven und Eier vernichtet und das auch auf wirtschaftliche Art und Weise und ohne hohen Investitionsaufwand erfordernden apparativen Aufwand auskommt.

2.3. Nach Seite 4, erster Absatz (die letzten drei Sätze) der ursprünglichen Beschreibung (Patentschrift Spalte 2, Zeilen 45 bis 57) erfordert die vollkommene Mortalität mit steigender Temperatur eine Verlängerung der Einwirkungszeit, "wobei allerdings die Mortalitätskurve asymptotisch etwa in eine minus 20°C-Linie einmündet, die Temperatur also nicht höher als minus 20°C steigen sollte. Ein weiteres Limit ist durch die Anpassungsfähigkeit insbesondere der Larven und Eier gegeben, die etwa bei 24 Stunden liegt. Nach dieser Zeit ist ein "Gewöhnungs"-Prozeß festzustellen, wonach durch biochemische Umstellung der Organismen eine geringere Kälteempfindlichkeit festzustellen ist".

2.4. Das angesprochene und in Frage gestellte Merkmal ist im wesentlichen auf diesen Beschreibungsteil gestützt, der unmittelbar und ohne Absatz an den die Mortalitätskurve betreffenden Beschreibungsteil angeschlossen ist und sich offensichtlich auf eine Temperaturgrenze von annähernd minus 20° C bezieht, an die sich die Kurve asymptotisch annähert. Dies wird durch die Angabe in der Beschreibung (ursprünglich eingereichte Seite 6; Patentschrift Spalte 4, Zeilen 35 bis 44) weiter bestätigt, wonach bei einer Kerntemperatur der Drogenpackung von minus 25°C eine Einwirkungszeit von etwa vier Stunden notwendig ist. Dabei ist dieser Punkt in der Mortalitätskurve, die als Anhalt die Einwirkungszeit des Kaltgases in Abhängigkeit von der Temperatur im Kern der Drogenpackung darstellt, deutlich erkennbar eingezeichnet. Es muß daher davon ausgegangen werden, daß bei einer Kerntemperatur von minus 25°C und einer Einwirkungszeit von 4 Stunden bereits eine vollkommene Entwesung stattgefunden hat. Eine Zeitgrenze von 24 Stunden ist für eine derartige Temperatur daher nicht sinnvoll und dies um so mehr, da sie gegen die in der Aufgabenstellung angegebene Wirtschaftlichkeit gerichtet wäre. Die beabsichtigte Verkürzung der Entwesungszeit ist überdies im Zusammenhang mit der Wirtschaftlichkeit in der Beschreibung direkt angesprochen (vgl. ursprünglich eingereichte Seite 5, erster Absatz; Patentschrift Spalte 4, Zeilen 5 bis 11).

Aus den ursprünglichen Unterlagen ist daher zumindest nicht klar und eindeutig zu entnehmen, daß sich die Zeitgrenze von 24 Stunden auf alle unter minus 20°C liegende Temperaturen bezieht.

2.5. Selbst wenn man davon ausgeht, daß diese Zeitgrenze sämtliche Minustemperaturen unter minus 20°C betrifft, entspricht dieses angesprochene und in Frage gestellte Merkmal nicht dem Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung. Da in der ursprünglich eingereichten Beschreibung (Seite 4, erster Absatz) die Zeitgrenze im Hinblick auf die Anpassungsfähigkeit insbesondere der Larven und Eier angegeben ist, muß diese Temperatur direkt auf die Larven und Eier einwirken und zwar im gesamten Bereich der Drogenpackung, d. h. die angegebene Zeitgrenze betrifft nicht nur die Randzonen, sondern erstreckt sich auch auf die Einwirkungszeit im Kern der Packung. Dies geht aus dem ursprünglich eingereichten Anspruch 5 hervor, wonach ohne der Angabe einer maximalen Zeitgrenze die Drogen im Behälter belassen werden, bis sich auch im Kern der Drogenpackung die gewünschte Minustemperatur eingestellt hat. Bei einer einfachen Verweilzeitgrenze von 24 Stunden wird jedoch die für die Entwesung erforderliche Kerntemperatur nur dann erreicht, wenn die Packungsgröße, die Drogenart und die Dichte der Droge dafür angepaßt sind und dies ermöglichen. Darüber wurden aber in den ursprünglich eingereichten Unterlagen keine Angaben gemacht. Bei einer maximalen Verweilzeitgrenze von 24 Stunden, die für sämtliche Drogenpackungen gilt, könnte es deshalb sein, daß der angestrebte Erfolg nicht erreicht wird. Deshalb muß sich, nach Meinung der Kammer, die in den ursprünglichen Unterlagen angegebene Zeitgrenze von 24 Stunden auf die Einwirkungszeit bei der betreffenden Kerntemperatur beziehen.

2.6. Das in Frage gestellte, die maximal 24 Stunden betreffende Merkmal, ist in dem in Anspruch 1 angegebenen Zusammenhang (also als Verweilzeit) daher ursprünglich nicht offenbart.

2.7. Dieses Merkmal kann auch nicht als Merkmal angesehen werden, das im Sinne der Entscheidung G 1/93, ABl. EPA, 1994, 541: Entscheidungsformel: Abschnitt 2, und Entscheidungsgründe, Abschnitt 16 zu betrachten wäre; d. h. ein Merkmal, das in der Anmeldung ursprünglich nicht offenbart war, ihr aber während der Prüfung hinzugefügt wurde und - ohne einen technischen Beitrag zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung zu leisten - lediglich den Schutzbereich des Patents in der erteilten Fassung einschränkt, indem es den Schutz für einen Teil des Gegenstandes der in der ursprünglichen Anmeldung beanspruchten Erfindung ausschließt, und somit nicht als Gegenstand zu betrachten ist, der im Sinne des Artikels 123 (2) EPÜ über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.

Wie seitens der Patentinhaberin während der mündlichen Verhandlung betont wurde, leistet das in Frage gestellte Merkmal einen wesentlichen technischen Beitrag zum Verfahren der beanspruchten Erfindung, sowohl im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Kombination als auch im Hinblick auf den angeführten Stand der Technik. Dieser Stand der Technik (Druckschriften D1 bis D4) und der Unterschied der beanspruchten Erfindung dazu, wurden während der mündlichen Verhandlung besprochen. Dabei stützte sich die Argumentation der Beschwerdeführerin im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit auch auf diese Grenze von 24 Stunden Verweilzeit. Das genannte Merkmal ist daher als ein einen technischen Beitrag zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung leistendes Merkmal zu betrachten und kann daher auch unter Beachtung der Entscheidung G 1/93 (vgl. insbesondere Entscheidungsformel: Abschnitt 1) beim Vergleich des Inhaltes des gültigen Anspruches 1 mit der ursprünglich eingereichten Fassung hinsichtlich Artikel 100 c) EPÜ nicht ausgeschlossen werden.

2.8. Im Hinblick auf dieses Merkmal liegt somit ein Verstoß gegen Artikel 100 c) EPÜ vor, so daß der Anspruch 1 nicht aufrechterhalten werden kann.

3. Das Patent hat daher keinen Bestand, so daß es zu widerrufen ist, d. h. die Beschwerde zurückzuweisen ist.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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