T 0697/96 (Keramikmasse/VITA) of 7.10.1999

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1999:T069796.19991007
Datum der Entscheidung: 07 October 1999
Aktenzeichen: T 0697/96
Anmeldenummer: 89110996.9
IPC-Klasse: A61K 6/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Dispergierte Keramikmasse
Name des Anmelders: Vita Zahnfabrik H. Rauter GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: DENTSPLY GmbH
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 123(3)
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 R 88
European Patent Convention 1973 R 58(4)
Schlagwörter: Neuheit - Haupt-, erster, zweiter, dritter Hilfsantrag (ja)
Abgrenzung durch Komponentengehalt
Erfinderische Tätigkeit - Haupt-, erster, zweiter Hilfsantrag (nein) - naheliegende alternative Keramikmassen
Erfinderische Tätigkeit - dritter Hilfsantrag (ja) - Arbeitserleichterung des Zahnlaborpersonals durch Bereitstellung einer vorgefertigten, gemörserten trockenen Keramikmasse
Novelty (yes)
Inventive step - third auxiliary request (yes)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0018/88
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 89 110 996.9 betreffend eine "dispergierte Keramikmasse" wurde das europäische Patent Nr. 0 347 776 mit 5 Ansprüchen erteilt.

II. Die Beschwerdegegnerin hat unter Hinweis auf Artikel 100 a) EPÜ wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit des Gegenstandes des Streitpatentes Einspruch eingelegt.

III. Die Einspruchsabteilung hat mit der am 12. Juni 1996 zur Post gegebenen Entscheidung das Patent gemäß Artikel 102 (1) EPÜ widerrufen. Dem Widerruf lagen folgende unabhängige Produktansprüche eines Anspruchssatzes, umfassend 5 Ansprüche, eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 26. Februar 1996, zugrunde:

"1. Trockene Keramikmasse bestehend aus sinterfähigem Keramikpulver und einem oder mehreren Verdickungsmitteln, erhältlich durch Eintrocknen einer Dispersion von Keramikpulver und einer Lösung von 0,2 bis 3 Gew.-% eines oder mehrerer Verdickungsmittel aus der Gruppe Zellulose, Zellulosederivate, Traganth, Xanthangummi und Alginate in Wasser, niederen Alkoholen und/oder anderen leicht flüchtigen organischen Lösungsmitteln, wobei gewünschtenfalls modifizierende Zusätze beigemischt sind und der Gehalt an Flüssigkeit 15. bis 30 Gew.-% der Keramikmasse beträgt.

2. Dispergierte Keramikmasse zur Herstellung von Keramikzähnen, -brücken und -kronen im zahntechnischen Labor bei Temperaturen zwischen 930 und 960 C als Zwischenprodukt zur Herstellung einer trockenen Keramikmasse nach Anspruch 1 bestehend aus sinterfähigem Keramikpulver und einer dispergierenden Flüssigkeit, dadurch gekennzeichnet, daß die Flüssigkeit besteht aus einer Lösung von 0,2 bis 3 Gew.-% eines oder mehrerer Verdickungsmittel aus der Gruppe Zellulose, Zellulosederivate, Traganth, Xanthangummi und Alginate in Wasser, niederen Alkoholen und/oder anderen leicht flüchtigen organischen Lösungsmitteln, wobei gewünschtenfalls modifizierende Zusätze beigemischt sind und der Gehalt an Flüssigkeit 15 bis 30 Gew.-% der Keramikmasse beträgt."

Die Einspruchsabteilung hat unter anderem ausgeführt, daß der Gegenstand des Streitpatentes nach dem geltenden Anspruch 2 gegenüber der Entgegenhaltung

(1) EP-A-0 280 985

unter Artikel 54 (3) EPÜ neu sei, da dort weder eine zum Streitpatent gattungsgleiche Zusammensetzung offenbart sei, die Alginat als Verdickungsmittel enthalte, noch ein leichtflüchtiges organisches Lösungsmittel eingesetzt werde; er werde auch durch die Entgegenhaltung

(2), die durch Zeugenaussagen nachgewiesene offenkundige Vorbenutzung der sogenannten "Modellierflüssigkeit L",

mit einem Methylcellulosegehalt von 0,13 Gew.-% nicht neuheitsschädlich vorweggenommen.

Dem Gegenstand von Anspruch 2 könne im Lichte der Entgegenhaltung (2) jedoch nicht die notwendige erfinderische Tätigkeit nach Artikel 56 EPÜ zuerkannt werden.

Die von der Beschwerdeführerin (Inhaberin des Streitpatents) definierte Aufgabe, eine neue Anpassungstechnik beim Aufbau von Zahnersatz bereitzustellen, den Arbeitsablauf im zahntechnischen Labor zu verbessern und damit eine Arbeitserleichterung für die Zahntechniker zu ermöglichen, bestehe objektiv nicht gegenüber der Entgegenhaltung (2). Ausgehend von der durch Zeugenaussage belegten Verfahrensweise, 70. Gew.-% Keramikpulver und 30 Gew.-% Modellierflüssigkeit zu vermischen, bestehe für den Fachmann bei einer Methylcellulosekonzentration von 0,13 Gew.-% gemäß der Entgegenhaltung (2) gegenüber der beanspruchten unteren Grenze von 0,2 Gew.-% Methylcellulose keine zusätzliche Problematik, gewünschte Konsistenzen der Keramik durch entsprechende Mischungsverhältnisse zu erreichen, wobei auch unter Einsatz von 0,13 Gew.-% Methylcellulose eine Verbrennung bei 930 C bis 960 C rasch und rückstandsfrei erfolge und somit insgesamt keine Vorteile gegenüber der bekannten Verfahrensweise zu verzeichnen seien.

Schließlich stelle die dispergierbare Keramikmasse nach Anspruch 2 für den Zahntechniker ein verarbeitbares Endprodukt dar, so daß dem Argument, Anspruch 2 müsse, auf ein Zwischenprodukt gerichtet, keine eigenständig erfinderische Tätigkeit aufweisen, nicht gefolgt werden könne.

Gemäß der Abschrift der Niederschrift nach Regel 76 (4) EPÜ über die mündliche Verhandlung, zur Post gegeben am 12. Juni 1996, Seite 4, hat die Einspruchsabteilung Anspruch 1 als erfinderisch angesehen, weil das beanspruchte Produkt gekennzeichnet sei durch ein nicht naheliegendes Herstellungsverfahren zur Vermeidung der in Beispiel 8 des Streitpatents aufgezeigten Probleme.

IV. Die Beschwerdeführerin hat gegen diese Entscheidung Beschwerde erhoben. Am 7. Oktober 1999 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, in deren Verlauf die Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag und drei Hilfsanträge vorgelegt hat.

Der Anspruchssatz des neuen HAUPTANTRAGES unterscheidet sich von dem der Entscheidung der Einspruchsabteilung zugrundeliegenden durch den Ersatz des Begriffes "Keramikmasse" in der letzten Zeile von Anspruch 1 durch die Umschreibung "Dispersion des Keramikpulvers" sowie durch Streichung folgender Umschreibung in Anspruch 2, Zeile 3 ff: "als Zwischenprodukt zur Herstellung einer trockenen Keramikmasse nach Anspruch 1".

Der ERSTE HILFSANTRAG unterscheidet sich vom Hauptantrag durch folgende Ergänzung des letzten Satzes von Anspruch 1: "wobei anschließend mit einem Mörser zu einem Pulver verrührt ist".

Der ZWEITE HILFSANTRAG beinhaltet als einzigen Anspruch den Anspruch 1 des Hauptantrages.

Der DRITTE HILFSANTRAG beinhaltet als einzigen Anspruch den Anspruch 1 des ersten Hilfsantrages und lautet:

"1. Trockene Keramikmasse bestehend aus sinterfähigem Keramikpulver und einem oder mehreren Verdickungsmitteln, erhältlich durch Eintrocknen einer Dispersion von Keramikpulver und einer Lösung von 0,2 bis 3 Gew.-% eines oder mehrerer Verdickungsmittel aus der Gruppe Zellulose, Zellulosederivate, Traganth, Xanthangummi und Alginate in Wasser, niederen Alkoholen und/oder anderen leicht flüchtigen organischen Lösungsmitteln, wobei gewünschtenfalls modifizierende Zusätze beigemischt sind und der Gehalt an Flüssigkeit 15. bis 30 Gew.-% der Dispersion des Keramikpulvers beträgt, wobei anschließend mit einem Mörser zu einem Pulver verrührt ist."

V. Die Beschwerdeführerin hat schriftlich und mündlich unter anderem vorgetragen:

Es werde bestritten, daß der Gehalt an Methylcellulose gemäß der Entgegenhaltung (2) innerhalb von zwei Minuten bei 930 C bis 960 C rückstandslos verbrenne. Es sei gerade der Unterschied des patentgemäßen Methylcellulosegehaltes von 0,2 Gew.-% gegenüber demjenigen von 0,13 Gew.-% des besagten Standes der Technik, der die erfindungsgemäßen Vorteile bewirke. Darüber hinaus sei ein rasches rückstandsfreies Verbrennen bei solchen Temperaturen keinesfalls zu erwarten gewesen, und aufgrund der zu erwartenden kürzeren Zeitspanne der Verarbeitbarkeit der Keramikmasse habe insgesamt ein Vorurteil bestanden, den Methylcellulosegehalt des Standes der Technik, wenn auch nur geringfügig, zu erhöhen. Dies sei durch das sogenannte Exhibit G als Teil der offenkundigen Vorbenutzung nach der Entgegenhaltung (2) belegt. Insbesondere unterlägen die Einflüsse von Veränderungen der Zusammensetzung der in Rede stehenden Massen auf die Dauer der Verarbeitbarkeit komplexen Zusammenhängen. Dies zeige auch die im Verfahren befindliche Arbeitsanleitung zur Benutzung der Modellierflüssigkeit L. Unter diesen Umständen sei auch der Produktanspruch 1 der beiden ersten Anträge, der bewußt allgemein eine trockene Keramikmasse betreffe, gerechtfertigt. Gleiches gelte für Anspruch 2, da auch nur eine dispergierte Keramikmasse in den beanspruchten Grenzen mit zahnpastaartiger Konsistenz die im Streitpatent aufgezeigten Vorteile des Nichtstaubens etc. bei der Weiterverarbeitung aufweise.

VI. Die Beschwerdegegnerin hat unter anderem vorgetragen, in den Beispielen 7 und 8 sei das Verrühren mit einem Mörser zu Pulver nur für spezielle Zusammensetzungen beschrieben. Es könne dem Streitpatent nicht für den gesamten beanspruchten Konzentrationsbereich des Verdickungsmittels entnommen werden. Somit seien alle Anträge mit neuen Ansprüchen, die dieses Merkmal enthielten, unzulässig erweitert. Ferner sei die Formulierung: "wobei.....zu einem Pulver verrührt ist" in Form eines Verfahrensmerkmals als eine rein kosmetische Ergänzung eines Produktanspruches anzusehen und sei überdies in der vorliegenden Formulierung grammatikalisch zweifelhaft.

Die Beschwerdegegnerin hat die Neuheit des Gegenstandes des Streitpatents nach den Anspruchssätzen der in der mündlichen Verhandlung überreichten Anträge unter Bezugnahme auf einen rein numerischen Unterschied zwischen 0,13 Gew.-% und 0,2 Gew.-% Verdickungsmittel formal nicht mehr bestritten, hat sich jedoch dahingehend geäußert, daß bei Berücksichtigung der üblichen Zusammensetzungsfehler kein Unterschied zwischen 0,13 Gew.-% und 0,2 Gew.-% Verdickungsmittel zu sehen sei, so daß die flüssige bzw. pastenförmige Keramikmasse des Streitpatents kurz vor der Endverarbeitung beim Zahnarzt oder Zahntechniker praktisch gesehen nicht von der des Standes der Technik unterschieden werden könne. Es sei sogar zu vermerken, daß die vermeintliche Erfindung des Streitpatentes ein umständlicheres Arbeiten des Zahntechnikers bzw. Zahnarztes vor Ort erfordere und auch daß die Keramikmasse als Verkaufsprodukt komplizierter und kostenaufwendiger in der Herstellung sei.

Ausgehend von der Entgegenhaltung (2) könne die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe lediglich in der Bereitstellung einer Zusammensetzung mit erhöhtem Methylcellulosegehalt gesehen werden. Es sei jedoch allgemeines Fachwissen, daß sowohl bei 0,2 Gew.-% als auch bei 0,13 Gew.-% Methylcellulose in der Keramikmasse ein rückstandsfreies Verbrennen des Verdickungsmittels ohne Beeinflussung der mechanischen Eigenschaften des gesinterten Materials zu erreichen sei, insbesondere bei zusätzlicher Berücksichtigung der Vorwärm- und Aufheizphase vor der eigentlichen Brennphase. Ferner zählten die Abhängigkeiten der Trocknungszeit und Verarbeitbarkeit der Keramikmasse vom Verdickungsmittelzusatz zum allgemeinen Fachwissen, so daß jeglicher überraschende Effekt entfalle. Der Fachmann habe jedenfalls keinerlei Schwierigkeiten, die Konsistenz der Keramikmasse durch einfache Variation des Mengenverhältnisses Modellierflüssigkeit/Keramikpulver nach Wunsch einzustellen.

Das Auftreten aller geltendgemachten Effekte, wie verringertes Stauben der patentgemäßen Keramikmasse bei der Weiterverarbeitung, erst ab einer Untergrenze von 0,2 Gew.-% Verdickungsmittel werde bestritten. Insbesondere enthielten alle Ausführungsbeispiele des Streitpatents 1,5 Gew.-% bis 2 Gew.-% Verdickungsmittel.

Ferner enthalte das zum Beleg eines Vorurteiles gegenüber der Erfindung des Streitpatentes herangezogene Exhibit G der Entgegenhaltung (2) lediglich die in den Vereinigten Staaten von Amerika gesetzlich vorgeschriebenen und dort üblichen Vorsichtmaßnahmen beim praktischen Arbeiten, um z. B. ein Eintrocknen der einzelnen Schichten beim Zahnaufbau zu vermeiden.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 5 des in der mündlichen Verhandlung überreichten Hauptantrages. Hilfsweise beantragte sie die Aufrechterhaltung auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 5 des in der mündlichen Verhandlung überreichten 1. Hilfsantrages oder auf der Grundlage des jeweils einzigen Anspruchs des zweiten [2.] oder dritten [3.] Hilfsantrags.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Beschwerdegegnerin hat bezüglich der Erfordernisse des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ nur Einwände gegen die Ergänzung betreffend jeweils Anspruch 1 des ersten und dritten Hilfsantrages: "wobei anschließend mit einem Mörser zu einem Pulver verrührt ist", erhoben und die Kammer hat auch keine Bedenken bezüglich der Stützung und einschränkenden Wirkung der übrigen Merkmale in den Anspruchssätzen der geltenden Anträge.

Die Beschwerdegegnerin hat nichts vorgetragen, was belegen könnte, daß eine trockene Keramikmasse, erhältlich durch Eintrocknen einer Dispersion von Keramikpulver und einer Lösung von 0,2 bis 3 Gew.-% eines oder mehrerer Verdickungsmittel nach Anspruch 1 des ersten und dritten Hilfsantrages, nicht mit einem Mörser zu einem Pulver verrieben werden könnte.

Zu dem Einwand der unzulässigen Verallgemeinerung einer speziellen Offenbarung unter Bezug auf die Beispiele 7 und 8 des Streitpatents ist anzumerken, daß nach den ursprünglichen Unterlagen der Anmeldung, Seite 6, zweiter und dritter Absatz (entspricht der Streitpatentschrift Seite 3, Zeilen 30 bis 40) die Weiterverarbeitung im zahntechnischen Labor von vorgefertigten, durch Eintrocknen von Dispersionen gemäß Streitpatent erhaltener trockener Mischungen allgemein als erfindungsgemäß dargestellt wird. Im vorliegenden Fall ist ein funktionaler Zusammenhang zwischen dem rein mechanischen Vorgang des Verrührens trockener Keramikmasse mittels eines Mörsers und der Zusammensetzung der Keramikmasse als Dispersion vor dem Trocknen nicht erkennbar. Somit kann auch insgesamt das Erfordernis des Artikels 123 (2) und (3) als erfüllt gelten.

3. Die voranstehend unter Absatz IV aufgeführten Ergänzungen bzw. Änderungen in den Anspruchssätzen gemäß den geltenden Anträgen beeinträchtigen nicht die Klarheit der Anspruchsgegenstände im Sinne der unter Artikel 84 EPÜ geforderten Deutlichkeit. Ohne weitere Spezifizierung sind dem Begriff trockene Keramikmasse alle technisch sinnvollen Erscheinungsformen zuzuordnen, wie z. B. feste kuchenartige oder bröckelige Massen, Blöcke und Pulver unterschiedlichen Zerkleinerungsgrades, so daß die Anspruchsergänzung, daß mit einem Mörser zu einem Pulver verrührt wird, den Anspruchsgegenstand in der Erscheinungsform der trockenen Keramikmasse weiter definiert und keine Kosmetik des Anspruchsgegenstandes darstellt.

4. Die Beschwerdegegnerin hat die in allen unabhängigen Stoffansprüchen aller geltenden Anträge enthaltene untere Grenze von 0,2 Gew.-% Verdickungsmittel als rein numerischen Unterschied zur offenkundigen Vorbenutzung von 0,13 Gew.-% Methylcellulose in einer sogenannten Modellierflüssigkeit "L" gemäß Stand der Technik nach der Entgegenhaltung (2) Exhibit D nicht bestritten.

Der Vortrag, daß beim praktischen Arbeiten im zahntechnischen Labor durch meßtechnisch bedingte Schwankungen in der Zusammensetzung der Dispersion aus Keramikpulver und Verdickungsmittel Überlappungen des Gegenstandes des Streitpatents mit dem Stand der Technik nach besagter offenkundiger Vorbenutzung entstehen könnten, ist nicht weiter substantiiert. Daher kann die Kammer nicht davon ausgehen, daß bei der Verarbeitung der Modellierflüssigkeit "L" tatsächlich neuheitsschädliche Zusammensetzungen entstanden sind.

Folglich besteht keine Veranlassung, die Frage der Erfordernisse des Artikels 54 EPÜ nochmals aufzugreifen.

5. Der dem Gegenstand des Streitpatentes nächstkommende Stand der Technik ist der Entgegenhaltung (2), repräsentierend eine offenkundige Vorbenutzung, zu entnehmen. Dies war zwischen den Parteien in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer nicht streitig und auch nicht der Sachverhalt, daß die Entgegenhaltung (2) bestehend aus den sogenannten Exhibits A bis G, untermauert durch das Ergebnis der Beweisaufnahme durch die Einspruchsabteilung (vgl. hierzu die Niederschrift nach Regel 76 (4) EPÜ, datiert 12. Juni 1996, insbesondere Seite 2, Absatz "Ergebnis der Beweisaufnahme), die offenkundige Vorbenutzung einer Modellierflüssigkeit "L" mit 0,13 % Methylcellulose betrifft, die vom Zahntechniker in einer Modelliermasse verarbeitet wird, enthaltend besagte Modellierflüssigkeit "L" in einer Größenordnung von 30 % und daß diese Modelliermasse vor dem Prioritätstag des Streitpatents zur Fertigstellung zahntechnischer Objekte verwendet wurde.

6. Die Anspruchssätze gemäß Haupt- und erstem Hilfsantrag enthalten jeweils einen nicht rückbezogenen, unabhängigen Anspruch 2 mit gleichem Wortlaut, gerichtet auf eine dispergierte Keramikmasse zur Herstellung von Keramikzähnen, -brücken und -kronen im zahntechnischen Labor bei Temperaturen zwischen 930 und 960 C (vgl. Punkt IV vorstehend).

6.1. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin müssen im vorliegenden Fall, selbst unter der Annahme, daß besagte dispergierte Keramikmasse nur als Zwischenprodukt für eine weiterzuverarbeitende trockene Keramikmasse angesehen würde, für die Betrachtung der erfinderischen Tätigkeit der Dispersion nach Anspruch 2 unter Artikel 56 EPÜ alle vorteilhaften Eigenschaften, die mit der Weiterverarbeitung der trockenen Keramikmasse einhergehen, außer Betracht bleiben (vgl. Punkt 6.2 nachstehend), da im Einklang mit der gängigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern auch beanspruchte Zwischenprodukte neben allen übrigen Kriterien der Patentierbarkeit eigenständige erfinderische Tätigkeit aufweisen müssen (vgl. z. B. die Entscheidung T 18/88, OJ EPA 1992, 107, dort insbesondere Punkt 8 der Entscheidungsgründe). Unabhängig von dieser Betrachtungsweise ist die Kammer der Auffassung, daß die dispergierte Keramikmasse nach besagtem Anspruch 2 als eigenständiges Endprodukt anzusehen ist, welches im übrigen kommerziell verwertbar ist.

6.2. Eine Verknüpfung zwischen den Eigenschaften der dispergierten Keramikmasse nach dem in Rede stehenden Anspruch 2 und den Eigenschaften der hieraus durch Eintrocknen erhältlichen Keramikmasse, auch nicht nach Zerkleinern derselben, hat die Beschwerdeführerin nicht aufzeigen können und ist den Unterlagen zum Streitpatent nicht zu entnehmen. Darüber hinaus ist weder den Unterlagen zum Streitpatent zu entnehmen, noch ist es nachgewiesen, daß eine Untergrenze von 0,2 Gew.-% Verdickungsmittel eine kritische Grenze für z. B. ein Nichtstauben der trockenen Keramikmasse bei der Weiterverarbeitung oder für eine unvollständige Verbrennung des Verdickungsmittels zwischen 930 C und 960 C darstellt.

6.3. Unter diesen Umständen kann die dem Streitpatent im Hinblick auf Anspruch 2 des Haupt- und ersten Hilfsantrags gegenüber dem nächstkommenden Stand der Technik nach der Entgegenhaltung (2) zugrundeliegende Aufgabe lediglich in der Bereitstellung einer alternativen dispergierten Keramikmasse gesehen werden.

Diese Aufgabe soll durch die Merkmale von Anspruch 2, insbesondere durch den Einsatz einer Lösung von 0,2 Gew.-% bis 3 Gew.-% Verdickungsmittel in der Dispersion, gelöst werden.

Mit Bezug auf die Ausführungsbeispiele zum Streitpatent ist die Kammer überzeugt, daß eine entsprechend dispergierte Keramikmasse im gesamten beanspruchten Bereich herstellbar ist und somit die bestehende Aufgabe als tatsächlich gelöst angesehen werden kann.

Es verbleibt somit zu untersuchen ob, die Lösung der bestehenden Aufgabe auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

7. Der Beschwerdeführer hat unter Verweis auf Exhibit G der Entgegenhaltung (2), welche eine Arbeitsanweisung für den Zahntechniker zur Verarbeitung von Keramikmassen darstellt, mit Bezugnahme auf dortige Warnhinweise zum Austrocknen besagter Massen, versucht, ein Vorurteil dahingehend geltend zu machen, daß der Fachmann davon abgehalten sei, den Gehalt an Verdickungsmittel über 0,13 Gew.-% hinaus zu steigern, was dann als Anzeichen für die dem Streitpatent zugrundeliegende erfinderische Tätigkeit zu werten sei.

Dem kann die Kammer nicht zustimmen. Besagtes Exhibit G enthält auf den Seiten 21/22 zu Modellierflüssigkeiten U/L u. a. folgende Aussage:

"Ist angerührte Masse eingetrocknet, mit dest. Wasser regenerieren - sonst wird die Wirkstoffkonzentration aus der Modellierflüssigkeit zu hoch. Das kann zu Rissen und Abplatzungen beim Vortrocknen/Vorwärmen führen."

Der Fachmann wird diese Arbeitsanweisung im Gesamtverständnis nicht anders auffassen, als daß nach dem Wiederanrühren der Masse die gleiche Zusammensetzung der Komponenten wie nach dem ersten Anrühren vorliegen soll. Des weiteren vermag die Kammer weder einen expliziten noch einen impliziten Verweis in Exhibit G zu erkennen, der auf eine nicht rückstandsfreie Verbrennung von Methylcellulose in Abhängigkeit von deren Konzentration bei der Herstellung des Keramikendproduktes hindeutet. Die Kammer kann der Beschwerdeführerin dahingehend zustimmen, daß der Verweis auf Risse und Abplatzungen beim Vortrocknen/Vorwärmen sich auf einen ordungsgemäßen Aufbau des Zahnobjektes bezieht und einen Sicherheitshinweis beinhaltet, aber nicht eine Verbrennungsrückstandsproblematik anspricht.

Der Fachmann war somit weder gehindert, z. B. zur Einstellung unterschiedlicher Konsistenzen der zu verarbeitenden Masse - was zur üblichen Praxis des Zahntechnikers zählt - den Verdickungsmittelgehalt zu erhöhen, noch konnten unerwartete Eigenschaften der beanspruchten Dispersion als solche nachgewiesen werden. Die Angabe, daß die beanspruchte Dispersion vom Lieferanten hergestellt wird und nicht vom Zahntechniker selbst angerührt wird, kann nicht ohne weiteres als Besonderheit gewertet werden.

Aus diesen Umständen kann die Kammer nur schließen, daß in der Bereitstellung einer alternativen dispergierten Keramikmasse nach jeweils Anspruch 2 des Haupt- und ersten Hilfsantrages eine naheliegende Maßnahme zu sehen ist. Diesen Anträgen kann somit nicht stattgegeben werden, da sie nicht die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ erfüllen.

8. Der einzige Anspruch gemäß Hilfsantrag 2 ist auf eine trockene Keramikmasse bestehend aus sinterfähigem Keramikpulver und einem oder mehreren Verdickungsmitteln gerichtet, wobei die Keramikmasse erhältlich sein soll durch Eintrocknen einer Dispersion, die bezüglich der im Anspruch genannten Merkmale nicht anders definiert ist als die voranstehend unter Punkt 7 besprochene dispergierte Keramikmasse.

8.1. In welcher Form das Keramikpulver in der trockenen Keramikmasse vorliegen soll, also ob in losem Verbund oder teilweise oder vollständig gepreßt, wird durch diese Anspruchsformulierung offengehalten.

Der Begriff trockene Keramikmasse kann daher nur so verstanden werden, daß im Weiterverarbeitungsprozeß ausgehend von der dispergierten Keramikmasse alle technisch sinnvollen zahnkeramischen Formen in verschiedenen Verarbeitungsstadien umfaßt sind.

8.2. Unter diesen Umständen ist die offenkundige Vorbenutzung der dispergierten Keramikmassen nach Entgegenhaltung (2) die unstreitig zu zahnkeramischen Formen weiterverarbeitet wurden, auch für den Gegenstand des Hilfsantrages 2 als nächstkommender Stand der Technik anzusehen.

Dieser Stand der Technik beschreibt demzufolge zahntechnische Objekte bzw. zahnkeramische Formen in allen Verarbeitungsstufen zwischen dispergierter Keramikmasse und fertiggebrannter Keramik bzw. Porzellan ausgehend von einer Modellierflüssigkeit "L" mit 0,13 % Methylcellulose (vgl. nochmals voranstehend Punkt 5).

8.3. Da die von der Beschwerdeführerin geltendgemachten Vorteile resultierend aus einer trockenen Keramikmasse, die zu einem Pulver verrührt ist, aus den voranstehenden Gründen nicht für den zweiten Hilfsantrag in der dem Streitpatent zugrundeliegenden Aufgabe berücksichtigt werden können, kann ausgehend von der offenkundigen Vorbenutzung von trockenen Keramikmassen in Form von zahntechnischen Objekten allgemeiner Form nach der Entgegenhaltung 2 die in Rede stehende Aufgabe lediglich in der Bereitstellung weiterer trockener Keramikmassen gesehen werden.

8.4. Diese Aufgabe soll durch die Merkmale des einzigen Anspruchs, insbesondere durch den Einsatz einer Lösung von 0,2 Gew.-% bis 3 Gew.-% Verdickungsmittel in der Dispersion, die zur Herstellung der trockenen Keramikmasse dient, gelöst werden.

Mit Bezug auf die Ausführungsbeispiele zum Streitpatent ist die Kammer überzeugt, daß eine entsprechend dispergierte Keramikmasse im gesamten beanspruchten Bereich zur Herstellung einer trockenen Keramikmasse geeignet ist und somit die bestehende Aufgabe als tatsächlich gelöst angesehen werden kann.

8.5. In Abwesenheit eigenständiger besonderer Eigenschaften der beanspruchten trockenen Keramikmasse in Form zahntechnischer Objekte, hergestellt aus einer definierten dispergierten Keramikmasse, kann die Kammer zur Frage, ob die Lösung der bestehenden Aufgabe auf einer erfinderischen Tätigeit beruht, lediglich auf die voranstehend unter Punkt 6 und 7 zu besagter dispergierten Keramikmasse aufgeführten Sachverhalte verweisen und auch hier nur zu dem Schluß gelangen, daß die Bereitstellung der beanspruchten alternativen trockenen Keramikmassen für den Fachmann als naheliegend im Sinne von Artikel 56 EPÜ angesehen werden muß.

Aus diesen Gründen kann auch dem zweiten Hilfsantrag nicht stattgegeben werden.

9. Der einzige Anspruch des dritten Hilfsantrages ist ebenfalls auf eine trockene Keramikmasse gerichtet, enthält aber das unter Punkt 8.3 bereits erwähnte Merkmal, daß die trockene Masse mit einem Mörser zu einem Pulver verrührt ist.

9.1. Zweifelsohne ist die offenkundige Vorbenutzung der dispergierten Keramikmassen nach Entgegenhaltung (2), die unstreitig zu zahnkeramischen Formen weiterverarbeitet wurden, auch für den Gegenstand des Hilfsantrages 3 als nächstkommender Stand der Technik anzusehen. Besagte offenkundige Vorbenutzung zeigt allerdings, wie voranstehend unter den Punkten 5 und 8.2 bereits angedeutet, gemäß den Anweisungen zur Verarbeitung der Modellierflüssigkeiten U/L (vgl. Annex G, Seite 21/22), ausschließlich die direkte Weiterverarbeitung der dispergierten Keramikmasse - enthaltend die besagte vom Hersteller gelieferten Modellierflüssigkeiten - zu zahntechnischen Objekten.

9.2. Gemäß den glaubhaften Ausführungen der Beschwerdeführerin erfordert die Verarbeitung der Modellierflüssigkeiten gemäß Exhibit G zur offenkundigen Vorbenutzung nach der Entgegenhaltung (2) vom Zahntechniker eine sehr präzise Einhaltung der Arbeitsanweisungen zur Herstellung der Keramikmassen.

9.3. Die dem Streitpatent mit Bezug auf den dritten Hilfsantrag zugrundeliegende Aufgabe kann daher darin gesehen werden, eine Keramikmasse bereitzustellen, die eine Erleichterung in der Verarbeitung zu zahntechnischen Objekten erlaubt.

9.4. Diese Aufgabe soll durch die Merkmale des einzigen Anspruchs dieses Hilfsantrages, insbesondere durch eine trockene Keramikmasse, die erhältlich ist durch Eintrocknen einer Dispersion von Keramikpulver und einer Lösung eines oder mehrerer Verdickungsmittel, wobei anschließend mit einem Mörser zu einem Pulver verrührt ist, gelöst werden.

Mit Bezug auf die Ausführungsbeispiele 7 und 8 des Streitpatents, die unbestritten zeigen, daß die mit einem Mörser zu einem Pulver verrührte trockene Keramikmasse mit destilliertem Wasser in kurzer Zeit wieder zu einer Paste der ursprünglichen Konsistenz angemischt werden kann, ist es auch plausibel, daß in Form einer Arbeitserleichterung weniger kritische Mengenverhältnisse beim Hinzufügen der entsprechenden Anmischflüssigkeiten zu berücksichtigen sind und daß auch weniger geschultes Personal mit Teilen der Weiterverarbeitung der trockenen Keramikmasse beauftragt werden kann und somit auch insgesamt für die Laborfachkräfte eine Arbeitserleichterung verzeichnet werden kann. Die Kammer ist daher überzeugt, daß die bestehende Aufgabe als tatsächlich gelöst angesehen werden kann.

9.5. Weder in Exhibit G noch in den anderen Dokumenten zur offenkundigen Vorbenutzung einschließlich der protokollierten Zeugenaussagen ist, mit Ausnahme der praxisüblichen Konsistenzeinstellung der Keramikmasse, ein Hinweis zum Abweichen von den vorgeschriebenen Arbeitsanweisungen zu finden. Erst recht wird die durch die beanspruchte Lösung gegebene Realisierungsmöglichkeit nicht nahegelegt, gemörserte vorgefertigte trockene Mischungen dem zahntechnischen Labor als kommerziell erhältliches Produkt zur Verfügung zu stellen. Daher kann die Kammer nur zu dem Schluß gelangen, daß die Lösung der zum dritten Hilfsantrag bestehenden Aufgabe auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ beruht.

9.6. Das Argument der Beschwerdegegnerin, daß die gemörserte, trockene Keramikmasse als Verkaufsprodukt komplizierter und kostenaufwendiger in der Herstellung sei, kann als zutreffend unterstellt werden. Es ist jedoch nichts dafür ersichtlich, daß eine mögliche Verteuerung besagten Produktes beim Hersteller in der Gesamtheit die aufgezeigten arbeitstechnischen Vorteile beim Anwender aufhebt.

10. Zum Wortlaut des einzigen Anspruchs des dritten Hilfsantrages "Trockene Keramikmasse ... erhältlich durch ... wobei anschließend mit einem Mörser zu einem Pulver verrührt ist.", ist zwar anzumerken, daß gegen diese Formulierung sprachliche Einwände erhoben werden können; diese beeinflussen den Anspruchsgegenstand aber weder in der Klarheit noch im Inhalt.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent auf der Grundlage des einzigen Anspruchs nach dem in der mündlichen Verhandlung überreichten 3. Hilfsantrag und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.

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