T 0250/96 (Transformation / NOVARTIS) of 13.8.1998

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1998:T025096.19980813
Datum der Entscheidung: 13 August 1998
Aktenzeichen: T 0250/96
Anmeldenummer: 90122957.5
IPC-Klasse: C12N 5/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Transformation von Pflanzenerbgut
Name des Anmelders: Novartis AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
Schlagwörter: Klarheit der Ansprüche - nach Änderungen (bejaht)
Zurückverweisung
Claims - clarity - yes, after amendment
Remittal to department of first instance
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/88
T 0068/85
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Prüfungsabteilung hat mit der Entscheidung vom 2. Oktober 1995 die europäische Patentanmeldung Nr. 90 122 957.5, veröffentlicht unter der Nummer EP-A-0 429 093, zurückgewiesen. Diese Anmeldung war eine Teilanmeldung aus der früheren europäischen Stammpatentanmeldung Nr. 85 105 630.9 (Veröffentlichungsnummer EP-A-0 164 575).

Der Entscheidung lagen Ansprüche 1 bis 19, vorgelegt am 11. Juli 1995, zugrunde.

Die unabhängigen Ansprüche 1 und 9 lauteten wie folgt:

"1. Transgene Pflanzenzelle, welche eine DNS stabil ins pflanzliche Genom integriert enthält, die ganz oder teilweise heterologen Ursprungs ist im Bezug auf die Rezipientenzelle und die mit Hilfe an sich bekannter mikrobiologischer Verfahren in einer Weise rekombiniert wurde [siehe Seite 5, letzter Absatz der Beschreibung], dass sie im wesentlichen ein Strukturgen sowie flankierend, zu besagtem Strukturgen heterologe [siehe Seite 3, Definition Hybridgen], pflanzenwirksame Expressionssignale umfaßt, mit der Massgabe, dass die integrierte DNS keine für die Einschleusung, Integration oder Replikation wesentliche Anteile aus dem Ti-Plasmid von Agrobacterium enthält."

"9. Transgene Pflanze sowie deren sexuelle und somatische Nachkommenschaft, welche eine DNS stabil ins pflanzliche Genom integriert enthält, die ganz oder teilweise heterologen Ursprungs ist im Bezug auf die Rezipientenpflanze und die mit Hilfe an sich bekannter mikrobiologischer Verfahren in einer Weise rekombiniert wurde [siehe Seite 5, letzter Absatz der Beschreibung], dass sie im wesentlichen ein Strukturgen sowie flankierend, zu besagtem Strukturgen heterologe [siehe Seite 3, Definition Hybridgen], pflanzenwirksame Expressionssignale umfaßt, mit der Massgabe, dass die integrierte DNS keine für die Einschleusung, Integration oder Replikation wesentliche Anteile aus dem Ti-Plasmid von Agrobacterium enthält."

Die in den obigen Ansprüchen in eckigen Klammern enthaltenen Bezugnahmen auf die Beschreibung sollten nicht Bestandteil der Ansprüche sein, sondern waren für die Bearbeitung durch das EPA gedacht.

Ansprüche 2 bis 8 bezogen sich auf besondere Ausführungsarten der Pflanzenzelle nach Anspruch 1, und Ansprüche 10 bis 18 bezogen sich auf besondere Ausführungsarten der Pflanzen nach Anspruch 9. Anspruch 19 war auf Samen einer Pflanze gemäß einem der Ansprüche 9 bis 16 sowie 18 gerichtet.

II. Die Prüfungsabteilung war der Ansicht, daß die Produktansprüche nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllten, da der Fachmann nicht in der Lage sei, zu erkennen, ob er innerhalb oder außerhalb des Schutzumfangs der Ansprüche arbeite. Insbesondere sei der Fachmann nicht in der Lage, das positive Merkmal zu testen, das die Produkte definiert.

III. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) hat gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung Beschwerde eingelegt, die Beschwerdegebühr gezahlt und die Beschwerde begründet.

IV. Die Beschwerdekammer erließ gemäß Artikel 11 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern einen Bescheid, in dem sie ihre vorläufige Auffassung darlegte.

V. Die Stellungnahme der Beschwerdeführerin zu diesem Bescheid erfolgte am 13. Juli 1998. Es wurden vier Hilfsanträge und ein Gutachten von Dr Potrykus eingereicht.

VI. Am 13. August 1998 fand eine mündlichen Verhandlung statt. Die Beschwerdeführerin reichte einen neuen Antrag mit Ansprüchen 1 bis 19 ein.

Die unabhängigen Ansprüche 1 und 9 lauten wie folgt:

"1. Transgene Pflanzenzelle, welche eine DNS stabil ins pflanzliche Genom integriert enthält, die ganz oder teilweise heterologen Ursprungs ist im Bezug auf die Rezipientenzelle und die mit Hilfe an sich bekannter mikrobiologischer Verfahren in einer Weise rekombiniert wurde, dass sie im wesentlichen aus einem Strukturgen und flankierenden, zu besagtem Strukturgen heterologen, pflanzenwirksamen Expressionssignalen besteht, mit der Massgabe, dass die integrierte DNS keine die natürlichen pflanzeninfektiösen Eigenschaften bewirkenden Anteile aus pflanzlichen Pathogenen enthält."

"9. Transgene Pflanze sowie deren sexuelle und somatische Nachkommenschaft, welche eine DNS stabil ins pflanzliche Genom integriert enthält, die ganz oder teilweise heterologen Ursprungs ist im Bezug auf die Rezipientenzelle und die mit Hilfe an sich bekannter mikrobiologischer Verfahren in einer Weise rekombiniert wurde, dass sie im wesentlichen aus einem Strukturgen und flankierenden, zu besagtem Strukturgen heterologen, pflanzenwirksamen Expressionssignalen besteht, mit der Massgabe, dass die integrierte DNS keine die natürlichen pflanzeninfektiösen Eigenschaften bewirkenden Anteile aus pflanzlichen Pathogenen enthält."

Ansprüche 2 bis 8 beziehen sich auf besondere Ausführungsarten der Pflanzenzelle nach Anspruch 1 und Ansprüche 10 bis 18 auf besondere Ausführungsarten der Pflanzen nach Anspruch 9. Anspruch 19 ist auf Samen einer Pflanze gemäß einem der Ansprüche 9 bis 16 sowie 18 gerichtet.

VII. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin unterscheiden sich die beanspruchten gentechnisch hergestellten Pflanzen und Pflanzenzellen in struktureller Hinsicht grundsätzlich von den mit konventionellen Züchtungsverfahren erhältlichen Pflanzen und Pflanzenzellen. Die in den neuen Ansprüchen gewählte Formulierung erlaube dem Fachmann auf dem technischen Gebiet der Pflanzentechnologie, den Schutzbereich klar zu erkennen. Somit seien die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllt.

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Zurückweisungsentscheidung aufzuheben und ein Patent mit den Ansprüchen 1 bis 19, überreicht in der mündlichen Verhandlung, zu erteilen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Artikel 123(2) EPÜ

2. Die europäische Stammpatentanmeldung beschreibt in der ursprünglich eingereichten Fassung ein gentechnisches Verfahren zur Transformation pflanzlichen Erbgutes und die dadurch erhaltenen Pflanzenzellen und Pflanzen (siehe Seite 1, erster und zweiter Absatz sowie Ansprüche 32 und 33). Mit Hilfe dieses Verfahrens wird eine DNS, die in bezug auf die Rezipientenzelle ganz oder teilweise heterologen Ursprungs ist, in das pflanzliche Genom stabil integriert. Diese übertragene DNS besteht im wesentlichen aus einem Strukturgen und flankierenden, zu besagtem Strukturgen heterologen, pflanzenwirksamen Expressionssignalen (siehe Seiten 4 und 5). Die Einschleusung dieser DNS direkt in das Erbgut erfolgt ohne Zuhilfenahme natürlicher pflanzeninfektiöser Systeme, so daß die integrierte DNS keine die natürlichen pflanzeninfektiösen Eigenschaften bewirkenden Anteile enthält (siehe Seite 2, erster und zweiter Absatz; Seite 3, letzter Absatz, Anspruch 1). Somit sind alle Merkmale der Pflanzenzelle bzw. Pflanze gemäß Anspruch 1 bzw. 9 von der ursprünglichen Anmeldung gestützt. Ebenfalls sind alle Merkmale, die die besonderen Ausführungsformen nach den Ansprüchen 2 bis 8 bzw. 10 bis 18 sowie die Samen nach dem Anspruch 19 kennzeichnen, ursprünglich offenbart. Folglich entsprechen die vorliegenden Ansprüche den Erfordernissen der Artikel 76 (1) und 123 (2) EPÜ.

Klarheit (Artikel 84 EPÜ)

3. Nach Artikel 84 EPÜ müssen die Patentansprüche einer europäischen Patentanmeldung in deutlicher und knapp gefaßter Form den Gegenstand angeben, für den Schutz begehrt wird (siehe auch G 0002/88 ABl. 1990, 93). Zwar wird die Klarheit eines Anspruchs nicht unbedingt durch die Breite der darin enthaltenen Merkmale beeinträchtigt. Andererseits findet das Streben nach breiter Definition eines Merkmals der beanspruchten Erfindung allerdings dort seine Grenze, wo die Deutlichkeit des Patentanspruchs im Sinne von Artikel 84 EPÜ nicht mehr gewährleistet ist. Zur erforderlichen Deutlichkeit gehört, daß der Fachmann den Schutzbereich des Anspruchs erkennen und dessen technische Lehre verstehen kann (T 0068/85 ABl. EPA 1987, 228).

4. Im vorliegenden Fall sind die Pflanzenzelle gemäß Anspruch 1 sowie die Pflanze gemäß Anspruch 9 im wesentlichen durch die folgenden Merkmale definiert:

a) sie sind transgen;

b) sie enthalten, stabil integriert in ihr Genom, eine ganz oder teilweise heterologe DNS, die im wesentlichen aus einem Strukturgen und flankierenden, zu besagtem Strukturgen, heterologen, pflanzenwirksamen Expressionssignalen besteht;

c) die besagte heterologe DNS enthält keine die natürlichen pflanzeninfektiösen Eigenschaften bewirkenden Anteile.

5. Die Qualifikation "transgen" (Merkmal a)) deutet ganz allgemein auf eine Pflanzenzelle bzw. Pflanze hin, die fremde DNS, z. B. aus anderen Pflanzenarten, Tieren oder Mikroorganismen, enthält.

Das Merkmal b) weist auch ganz allgemein darauf hin, daß die Pflanzenzelle bzw. Pflanze ganz oder teilweise fremde DNS, z. B. aus anderen Pflanzenarten, Tieren oder Mikroorganismen, enthält, wobei die besagte DNS im wesentlichen aus einem Strukturgen und pflanzenwirksamen Expressionssignalen besteht.

Das negative Merkmal c) weist darauf hin, daß die integrierte, heterologe DNS keinen Anteil von pflanzeninfektiösen Vektoren, die normalerweise für die Übertragung von DNS Sequenzen in Pflanzen verwendet werden, enthält.

6. Für den Fachmann sind die besagten Merkmale, obwohl breit und allgemein gefaßt, eindeutig und klar. Insbesondere bezüglich des Merkmals b), das im Vergleich zu der früheren Fassung ("umfaßt"; vgl. Ansprüche 1 und 9 unter Ziffer I) jetzt eindeutig ist ("besteht"; vgl. Ansprüche 1 und 9 unter Ziffer VI), ist dem Fachmann klar, daß es sich auf verschiedene DNS-Konstrukte bezieht. Beispiele für derartige DNS-Konstrukte sind auf Seite 3, Spalte 3, Zeile 45 ff. der veröffentlichten Patentanmeldung angegeben. Der Ausdruck "im wesentlichen" deutet darauf hin, daß die übertragene DNS, bestehend aus Strukturgen und pflanzenwirksamen Expressionssignalen, auch z. B. von anderen neutralen DNS-Sequenzen (Träger-DNS) flankiert sein kann (siehe Beschreibung, Seite 3, Spalte 4, Zeilen 26 bis 30). Da es durch konventionelle genetische Pflanzenzüchtungs-verfahren nicht möglich ist, solche diskreten DNS-Konstrukte in Pflanzen zu übertragen (siehe Gutachten von Dr Potrykus), ist jetzt eine klare Abgrenzung gegenüber mit solchen Verfahren gewonnenen Pflanzen bzw. Pflanzenzellen erfolgt. Eine Abgrenzung gegenüber Pflanzen bzw. Pflanzenzellen, die durch gentechnische Verfahren mit Zuhilfenahme natürlicher pflanzeninfektiöser Systeme gewonnen werden, ist durch Merkmal c) sichergestellt.

7. Nach Auffassung der Kammer erfüllen somit die geänderten Ansprüche die oben unter Punkt 3 genannten Klarheitsvoraussetzungen gemäß Artikel 84 EPÜ. Folglich liegt der Grund für die Zurückweisung der Anmeldung durch die Prüfungsabteilung nicht mehr vor.

8. Die weitere Frage nach Artikel 84 EPÜ, ob der in breiter Form beanspruchte Gegenstand von der Beschreibung gestützt ist, sowie die Frage, ob die anderen Erfordernisse des EPÜ erfüllt sind, wurden von der Prüfungsabteilung noch nicht geprüft. Deswegen macht die Kammer von der ihr in Artikel 111 (1) EPÜ übertragenen Befugnis Gebrauch und verweist die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurück.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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