European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1995:T086194.19950919 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 19 September 1995 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0861/94 | ||||||||
Anmeldenummer: | 91900205.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | C10B 39/02 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | B | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren und Vorrichtung zur Kokstrockenkühlung | ||||||||
Name des Anmelders: | Thyssen Still Otto Anlagentechnik GmbH, et al | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Beschwerde - verspätet begründet Wiedereinsetzung - gilt als nicht gestellt Appeal proceedings - late statement of grounds Re-establishment |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 91 900 205.5 wurde am 12. Dezember 1990 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Anmeldung Nr. 3 941 453 vom 15. Dezember 1989 eingereicht.
II. Mit Entscheidung vom 20. Mai 1994 wurde sie unter Berufung auf Artikel 84 EPÜ zurückgewiesen.
III. Der Beschwerdeführer (Anmelder) legte dagegen am 21. Juli 1994 unter Entrichtung der entsprechenden Gebühr Beschwerde ein.
Der Beschwerdeschriftsatz enthält die Anträge:
1. mit den gültigen Unterlagen ein europäisches Patent zu erteilen,
2. hilfsweise auf der Grundlage der Ansprüche 2 bis 12 und noch daran anzupassende Beschreibungsunterlagen ein europäisches Patent zu erteilen.
Ferner wurde darauf hingewiesen, daß die Beschwerdebegründung nachgereicht und die Gebühr in Höhe von DEM 2 000,- mit beiliegendem Abbuchungsauftrag entrichtet werde.
Weitere Angaben enthält der Beschwerdeschriftsatz nicht.
IV. Die Beschwerdebegründung ist am 1. Oktober 1994 eingegangen.
V. Mit Bescheid vom 18. November 1994 teilte der Geschäftsstellenbeamte der Beschwerdekammer dem Beschwerdeführer mit, daß die Begründung verspätet eingereicht worden sei, so daß die Beschwerde voraussichtlich als unzulässig verworfen werde. Auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung wurde hingewiesen.
VI. Hiergegen wandte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 13. Dezember 1994 unter Hinweis auf die Entscheidung J 22/86 (ABl. EPA 1987, 280) ein, daß der Beschwerdeschriftsatz vom 21. Juli 1994 eine ausreichende Begründung im Sinne der Regel 64 b) EPÜ enthalte und die Beschwerde deshalb zulässig sei. Hilfsweise beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und brachte hierfür folgende Gründe vor:
Die zuständige Sekretärin mit einer 10-jährigen Berufserfahrung, die vom 13. September bis 28. September 1994 krank gewesen sei und am 29. September 1994 trotz einer starken Grippe wieder ihre Tätigkeit aufgenommen habe, habe versäumt, die vorbereitete Beschwerdebegründung per Telefax am 30. September 1994 an das Europäische Patentamt zu senden, obwohl sie vom zuständigen Vertreter hierzu noch am 29. September 1994 angewiesen worden sei. Der Vertreter selbst habe am 30. September 1994 seinen Urlaub angetreten. In der dadurch bedingten allgemeinen Unruhe an diesen beiden Tagen habe die unter ihrer Grippe leidende Sekretärin die Beschwerdebegründung am 30. September 1994 versehentlich mit normaler Post abgeschickt.
VII. Mit Mitteilung vom 2. März 1995 unterrichtete die Beschwerdekammer den Beschwerdeführer davon, daß die Wiedereinsetzungsgebühr nicht entrichtet worden sei und der Antrag daher als nicht gestellt gelte.
VIII. Mit Schriftsatz vom 7. März 1995 räumte der Beschwerdeführer das Zahlungsversäumnis ein und gab an, das Sekretariat habe die Zahlung vergessen, obwohl die notwendigen Anweisungen ergangen seien.
Er brachte ferner vor, das Europäische Patentamt hätte ihn in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes gemäß der Entscheidung T 14/89 rechtzeitig auf die noch ausstehende Zahlung hinweisen müssen.
IX. Die Wiedereinsetzungsgebühr wurde am 10. März 1995 entrichtet.
X. In einer Mitteilung vom 3. April 1995 zog die Beschwerdekammer die Entscheidungen J 13/90 (ABl. EPA 1994, 456) und T 690/93 (nicht veröffentlicht) heran.
XI. In seiner Erwiderung vom 18. März 1995 führte der Beschwerdeführer aus, daß der vorliegende Fall anders gelagert sei als die Sache T 690/93, da sein Antrag vom 13. Dezember 1994 im Gegensatz zu der entsprechenden Verfahrenshandlung in der Sache T 690/93 mit "Wiedereinsetzungsantrag" überschrieben gewesen sei. In seinem Fall sei das Europäische Patentamt also verpflichtet gewesen, die ordnungsgemäße Erfüllung der verfahrenstechnischen Erfordernisse zu überprüfen, und habe hierfür auch mehr als einen Monat Zeit gehabt.
XII. Der Beschwerdeführer beantragt,
- die Beschwerde für zulässig und begründet zu erklären;
- die angefochtene Entscheidung aufzuheben und mit den gültigen Unterlagen oder
- hilfsweise auf der Grundlage der Ansprüche 2 bis 12 und noch daran anzupassender Beschreibungsunterlagen ein Patent zu erteilen.
Für den Fall, daß die Beschwerde für unzulässig erachtet werde, beantragt er, vor einer Entscheidung in der Hauptsache den Wiedereinsetzungsantrag für zulässig und begründet zu erklären und ihn wieder in den vorigen Stand, d. h. in die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung, einzusetzen.
Entscheidungsgründe
1. Eine Beschwerde ist nur insoweit zulässig, als innerhalb der in Artikel 108 EPÜ vorgeschriebenen Frist von vier Monaten eine Begründung eingereicht wird; die bei Nichtbeachtung dieser Frist eintretenden Folgen sind in Regel 65 (2) EPÜ festgelegt, wonach die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen ist.
1.1. Die angefochtene Entscheidung war laut dem Rückschein mit eingeschriebenen Brief am 20. Mai 1994 zur Post gegeben und am 24. Mai 1994 dem Beschwerdeführer zugestellt worden. Nach Regel 78 (3) gilt diese Entscheidung mit dem zehnten Tag nach Abgabe zur Post als zugestellt, d. h. im vorliegenden Fall am 30. Mai 1994.
Die am 1. Oktober 1994 eingegangene schriftliche Begründung der Beschwerde ist somit nach Ablauf der 4-Monatsfrist erfolgt.
Die Beschwerde ist daher nicht begründet. 1.2. Die am 21. Juli 1994 eingereichte Beschwerdeschrift kann nicht als Beschwerdebegründung anerkannt werden.
Sie dokumentiert lediglich die Einlegung der Beschwerde und deren Umfang (Regel 64 b) EPÜ).
Der Ansicht des Beschwerdeführers, daß - ähnlich wie im Fall der Entscheidung J 22/86 - zumindest mit dem Antrag 2 der Beschwerdeschrift hilfsweise das Patentbegehren auf die Ansprüche 2 bis 12 zu beschränken, eindeutig sofort zu erkennen gewesen sei, daß der Zurückweisungsbeschluß aufgehoben werden sollte, bereits eine ausreichende Begründung erkennen lasse, zumal dadurch dem Vorwurf der mangelnden Einheitlichkeit begegnet werden könne, kann die Beschwerdekammer nicht beipflichten.
Denn die vorliegende Anmeldung ist laut der angefochtenen Entscheidung wegen mangelnder Klarheit des unabhängigen Anspruchs 2 (Artikel 84 EPÜ) zurückgewiesen worden, die Frage der Einheitlichkeit betraf dagegen nur einen Nebenpunkt, der unter Ziffer "IV Zusätzliche Bemerkungen" angesprochen worden ist.
Die Beschwerdeschrift enthält zudem keine Angaben darüber, warum gemäß dem Hauptantrag mit den Unterlagen, die auch der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen, im Gegensatz zur angefochtenen Entscheidung ein Patent zu erteilen sei, aber den Hinweis, daß die Beschwerdebegründung nachgereicht werde.
Aus dem Obigen folgt, daß die Beschwerdeschrift nichts enthält, was im Sinne einer Begründung gewertet werden könnte, nämlich eine Angabe, weshalb der Beschwerde stattgegeben und die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden sollte (vgl. auch Punkt 2 der Entscheidung J 22/86). Die Entscheidung J 22/86 ist daher nicht anwendbar.
Somit ist die Beschwerde unzulässig.
2. Ob der Mangel, daß die Beschwerde nicht begründet worden ist, behoben werden kann, hängt davon ab, ob Wiedereinsetzung in die Frist zur Einreichung der Begründung der Beschwerde gewährt werden kann.
2.1. Nach Artikel 122 (1) EPÜ wird der Anmelder oder Patentinhaber, der verhindert worden ist, gegenüber dem Europäischen Patentamt eine Frist einzuhalten, auf Antrag dann wieder in den vorigen Stand eingesetzt, wenn die Fristversäumnis trotz Beachtung aller nach den Umständen gebotenen Sorgfalt erfolgt ist. Der Antrag ist innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses einzureichen (Artikel 122 (2) EPÜ). Gemäß Artikel 122 (3) EPÜ ist er zu begründen und gilt erst als gestellt, wenn die Wiedereinsetzungsgebühr entrichtet worden ist.
2.2. Mit Bescheid vom 18. November 1994 ist dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht worden, daß die eingelegte Beschwerde nicht fristgerecht begründet worden sei. Er wurde auch auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in diese Frist hingewiesen. Mit Erhalt dieses Bescheids, der gemäß Regel 78 (3) EPÜ als am 28. November 1994 zugestellt gilt, ist das Hindernis, das zur Fristversäumnis geführt hat, weggefallen.
2.3. Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 1994 ist der Antrag auf Wiedereinsetzung am 22. Dezember 1994 beim Europäischen Patentamt eingegangen. Die 2-Monatsfrist ist demnach insoweit eingehalten worden. Dagegen ist die am 10. März 1995 getätigte Zahlung der Wiedereinsetzungsgebühr nach Ablauf der 2-Monatsfrist erfolgt.
2.4. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gilt daher gemäß Artikel 122 EPÜ als nicht gestellt.
3. Der Beschwerdeführer verweist in seinem Schriftsatz vom 7. März 1995 und 18. Mai 1995 unter Bezugnahme auf die Entscheidung T 14/89 und J 13/90 auf den Grundsatz des guten Glaubens, der das Verfahren zwischen dem Europäischen Patentamt und den Beteiligten beherrsche.
Bezüglich der Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes verweist die Beschwerdekammer im vorliegenden Fall ausdrücklich auf die Begründung der Entscheidung T 690/93.
Aus dem Umstand, daß der Wiedereinsetzungsantrag im vorliegenden Fall als solcher betitelt wurde, läßt sich kein rechtserheblicher Unterschied zum damals entschiedenen Fall konstruieren.
In der Sache T 690/93 hat die zuständige Beschwerdekammer betont, daß die Definition jeder ihr gegenüber vorgenommenen Verfahrenshandlung ihr obliege, und festgestellt, daß im vorliegenden Fall von Anfang an kein Zweifel daran bestanden habe, daß es sich um einen Wiedereinsetzungsantrag gehandelt habe. Sie hat dann die vom betreffenden Verfahrensbeteiligten im Verlauf des Verfahrens geltend gemachte andere Wertung des Schriftstücks nur geprüft, um auf alle vorgebrachten Argumente einzugehen.
Vor diesem Hintergrund durfte der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nach Ansicht der Beschwerdekammer billigerweise nicht darauf vertrauen, daß ihn das Europäische Patentamt (hier die Beschwerdekammer) auf die Nichtzahlung der Wiedereinsetzungsgebühr hinweisen würde, zumal der Wiedereinsetzungsantrag im Gegensatz zu dem in der Entscheidung T 14/89 entschiedenen Fall durch einen im europäischen Patentregister eingetragenen Vertreter aus der Patentabteilung des Beschwerdeführers erfolgt ist.
4. Die Beschwerdekammer ist generell der Auffassung, daß die Beteiligten eine Mißachtung ihrer "berechtigten Erwartungen" nur insoweit geltend machen können, als der Beweis erbracht wird, daß das Europäische Patentamt (hier die Beschwerdekammer) nicht die Sorgfalt hat walten lassen, die unter den betreffenden Umständen von ihm erwartet werden durfte.
Beteiligte an Rechtsstreitigkeiten können billigerweise nicht erwarten, daß ihnen die befaßte gerichtliche Instanz ihre Verantwortung abnimmt.
Vielmehr müssen diese Beteiligten damit rechnen, daß die gerichtliche Instanz durch Handeln oder Untätigkeit ihre strikte Neutralitätspflicht zu wahren trachtet.
Die Untätigkeit der Beschwerdekammer im vorliegenden Fall war daher das einzig rechtlich vertretbare Verhalten.
Wenn man dem Europäischen Patentamt (hier der Beschwerdekammer) die Verpflichtung auferlegen wollte, auf jeden leicht erkennbaren Fehler hinzuweisen, liefe dies nach Ansicht der Beschwerdekammer in logischer Konsequenz in der Praxis darauf hinaus, daß zunächst einmal alle möglichen Fehler erkannt werden müßten, da sonst der Vorwurf erhoben werden könnte, man habe einen leicht erkennbaren Fehler übersehen; im weiteren müßte dann festgestellt werden, ob die entdeckten Fehler leicht erkennbar waren, was nach der "Logik" dieses Systems schließlich zwangsläufig dazu führen würde, daß der betreffende Beteiligte auf erkannte, aber für schwer erkennbar befundene Fehler nicht hingewiesen würde.
Die Beschwerdekammer wüßte im übrigen nicht, nach welchen Kriterien zwischen leicht erkennbaren und anderen Fehlern unterschieden werden könnte.
Nach Ansicht der Beschwerdekammer kann sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes für das Europäische Patentamt (hier die Beschwerdekammer) letztlich auch deswegen keine Verpflichtung zu einer solchen Vorgehensweise herleiten, weil dadurch unfähige oder nachlässige Beteiligte im Grunde begünstigt würden.
Nach Auffassung der Beschwerdekammer ist der Beteiligte im vorliegenden und in allen ähnlich gelagerten Fällen eingedenk dessen, daß ihn das Europäische Patentamt auf die rechtlichen Bestimmungen der Wiedereinsetzung hingewiesen hat, verpflichtet,
1. sich genau über diese Bestimmungen und insbesondere über die vorgeschriebene Gebührenzahlung kundig zu machen,
2. zu bedenken, daß eine zweite Wiedereinsetzung ausgeschlossen ist (Art. 122 (5) EPÜ),
3. die im Hinblick auf die Wiedereinsetzung gebotenen Maßnahmen zu ergreifen, und
4. sich beim Europäischen Patentamt rechtzeitig zu vergewissern, daß diese Maßnahmen tatsächlich ausgeführt worden sind.
Erst dann, wenn auf diese Weise Rechtsunkenntnis und bloße Nachlässigkeit ausgeschlossen sind, kann der Beteiligte gegebenenfalls eine Mißachtung seiner "berechtigten Erwartungen" geltend machen.
5. Da kein wirksamer Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorliegt, ist die Wiedereinsetzungsgebühr dem Beschwerdeführer zurückzuzahlen.
6. Der Beschwerdeführer kann nicht in die versäumte Frist zur Einreichung der Begründung der Beschwerde wieder eingesetzt werden. Daraus folgt, daß die Beschwerde nicht den Artikeln 106 bis 108 und der Regel 64 EPÜ entspricht.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen.
2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung gilt als nicht gestellt.
3. Die Wiedereinsetzungsgebühr wird zurückgezahlt.