European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2003:T002000.20030917 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 17 September 2003 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0020/00 | ||||||||
Anmeldenummer: | 91101390.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | C09D 7/02 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Antiabsetzmittel für flüssige, härtbare Mischungen | ||||||||
Name des Anmelders: | Surface Specialties Germany GmbH & Co. KG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Akzo Nobel N.V. | ||||||||
Kammer: | 3.3.07 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit (bejaht) - nach Ersatz einer Product-by-process Formulierung in einem Verfahrensanspruch durch reine Verfahrensmerkmale Erfinderische Tätigkeit (verneint) - Aufgabe und Lösung - naheliegende Lösung |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Auf die am 2. Februar 1991 eingereichte Anmeldung mit der Anmeldenummer 91 101 390.2 wurde mit Wirkung vom 30. August 1995 das europäische Patent Nr. 0 442 336 erteilt. Der Anspruch 1 lautete wie folgt:
"Verfahren zur Vermeidung der Absetzung von Pigmenten (D) in flüssigen, härtbaren und pigmenthaltigen Mischungen, dadurch gekennzeichnet, daß man den Mischungen Harnstoffgruppen tragende Verbindungen (A) als Antiabsetzmittel zugibt."
Die Ansprüche 2 bis 12 betrafen bevorzugte Ausführungsformen des Verfahrens nach Anspruch 1.
II. Gegen die Erteilung wurde Einspruch eingelegt, mit dem Antrag, das Patent wegen fehlender Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit zu widerrufen (Artikel 100 a) EPÜ). Der Einspruch war unter anderem auf folgenden Stand der Technik gestützt:
D1: GB-A-1 214 556
D2: US-A-4 311 622
D3: EP-A-0 203 296
D5: EP-A-0 292 702
Mit Schreiben vom 21. April 1999 legte die Patentinhaberin einen Versuchsbericht vor.
III. Mit der Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 15. November 1999 wurde festgestellt, daß das Patent in geänderter Form auf Basis der Ansprüche 1 bis 12 gemäß Hauptantrag, eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 24. Juni 1999, aufrechterhalten werden könne. Anspruch 1 hatte folgende Fassung:
"Verfahren zur Vermeidung der Absetzung von Pigmenten (D) in flüssigen, härtbaren und pigmenthaltigen Mischungen, dadurch gekennzeichnet, daß man den Mischungen Harnstoffgruppen tragende Verbindungen (A) zugibt, die durch Umsetzung einer Verbindung (a) mit mindestens einer primären oder sekundären Aminogruppe und einer Verbindung (b) mit mindestens einer Isocyanatgruppe in Gegenwart einer Verbindung (B) in situ mit mindestens zwei freien aktivierten Doppelbindungen erhältlich sind." (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung hervorgehoben).
IV. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung war im wesentlichen auf folgende Gründe gestützt.
a) Die Änderungen erfüllten die Erfordernisse von Artikel 123 (2) und (3) EPÜ.
b) Die Neuheit sei anzuerkennen, da keines der zitierten Dokumente die Anwesenheit der Verbindung (B) zusammen mit den anderen Merkmalen des Verfahrens offenbare.
c) Als nächstliegender Stand der Technik wurde D1 angesehen, dessen thixotrope Farbpigment- und Lackmischung einen substituierten Harnstoff enthalte, der in einer in situ Reaktion hergestellt werde. Die Aufgabe gegenüber D1 sei es gewesen, Substanzen bereitzustellen, die ein Absetzen der Pigmente weitgehend verhindern und die guten anwendungstechnischen Eigenschaften nicht beeinträchtigen. Die beanspruchte Lösung der in situ Herstellung des Harnstoffproduktes (A) in Gegenwart der Verbindung (B) sei weder durch D1 noch durch den weiteren Stand der Technik nahegelegt.
V. Am 23. Dezember 1999 legte die Einsprechende (Beschwerdeführerin) unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung Beschwerde ein, die am 6. März 2000 begründet wurde.
VI. Mit Schreiben vom 15. August 2003 reichte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) vier Hilfsanträge und einen weiteren Versuchsbericht ein.
VII. Die mündliche Verhandlung fand am 17. September 2003 statt, in deren Verlauf nach Diskussion von Anspruch 1 gemäß der aufrechterhaltenen Fassung die Beschwerdegegnerin einen neuen Hauptantrag (Ansprüche 1 bis 12), einen Hilfsantrag 1 (Ansprüche 1 bis 9) und einen Hilfsantrag 2 (Ansprüche 1 bis 8) einreichte, die die bisherigen Anträge ersetzten.
Anspruch 1 des Hauptantrages lautet wie folgt:
"Verfahren zur Vermeidung der Absetzung von Pigmenten (D) in flüssigen, härtbaren und pigmenthaltigen Mischungen, dadurch gekennzeichnet, daß im ersten Schritt Harnstoffgruppen tragende Verbindungen (A) hergestellt werden durch Umsetzung in situ von einer Verbindung (a) mit mindestens einer primären oder sekundären Aminogruppe und einer Verbindung (b) mit mindestens einer Isocyanatgruppe in Gegenwart einer Verbindung (B) mit mindestens zwei freien aktivierten Doppelbindungen und im zweiten Schritt das Produkt des ersten Schritts in flüssigen härtbaren pigmenthaltigen Mischungen zugegeben wird."
Anspruch 1 des Hilfsantrages 1 hat folgende Fassung:
"Verfahren zur Vermeidung der Absetzung von Pigmenten (D) in flüssigen, härtbaren und pigmenthaltigen Mischungen, dadurch gekennzeichnet, daß im ersten Schritt Harnstoffgruppen tragende Verbindungen (A) hergestellt werden durch Umsetzung in situ von einer Verbindung (a) mit mindestens einer primären oder sekundären Aminogruppe und einer Verbindung (b) mit mindestens einer Isocyanatgruppe in Gegenwart einer Verbindung (B) mit mindestens zwei freien aktivierten Doppelbindungen, wobei die Verbindungen (B) mindestens zwei Strukturelemente der Formel
FORMEL(I)
aufweisen, in der R1 Wasserstoff oder eines Kohlenwasserstoffrest mit 1 bis 12 Kohlenstoffatomen, und R2 jeweils eine Gruppe ausgewählt aus Wasserstoff, Kohlenwasserstoffrest mit 1 bis 10 Kohlenstoffatomen, Estergruppe -CO2R3, Cyangruppe -CN, Nitrogruppe -NO2, Säureamidgruppe -CONHR3 und -CONR32 und Acylgruppe - COR3, wobei R3 für einen Kohlenwasserstoffrest mit 1 bis 12. Kohlenstoffatomen steht, der auch durch Sauerstoff oder einen N-Alkylrest unterbrochen sein kann; und B ausgewählt ist aus
FORMEL
wobei die beiden letzteren Gruppen über das Kohlenstoffatom an die CR2-Gruppe gebunden sind, und wobei sich die Verbindungen (B) von Polymeren aus der Gruppe Acrylharze, Polyesterharze, Epoxidharze und Urethanharze ableiten, und im zweiten Schritt das Produkt des ersten Schritts flüssigen härtbaren pigmenthaltigen Mischungen zugegeben wird."
Anspruch 1 des Hilfsantrages 2 lautet wie folgt:
"Verfahren zur Vermeidung der Absetzung von Pigmenten (D) in flüssigen, härtbaren und pigmenthaltigen Mischungen, dadurch gekennzeichnet, daß im ersten Schritt Harnstoffgruppen tragende Verbindungen (A) hergestellt werden durch Umsetzung in situ von einer Verbindung (a) mit mindestens einer primären oder sekundären Aminogruppe und einer Verbindung (b) mit mindestens einer Isocyanatgruppe in Gegenwart einer Verbindung (B) mit mindestens zwei freien aktivierten Doppelbindungen, wobei die Verbindungen (B) mindestens zwei Strukturelemente der Formel
FORMEL(I)
aufweisen, in der R1 Wasserstoff oder eines Kohlenwasserstoffrest mit 1 bis 12 Kohlenstoffatomen, und R2 jeweils eine Gruppe ausgewählt aus Wasserstoff, Kohlenwasserstoffrest mit 1 bis 10 Kohlenstoffatomen, Estergruppe -CO2R3 , Cyangruppe -CN, Nitrogruppe -NO2, Säureamidgruppe -CONHR3 und -CONR32 und Acylgruppe - COR3, wobei R3 für einen Kohlenwasserstoffrest mit 1 bis 12. Kohlenstoffatomen steht, der auch durch Sauerstoff oder einen N-Alkylrest unterbrochen sein kann; und B ausgewählt ist aus
FORMEL
wobei die beiden letzteren Gruppen über das Kohlenstoffatom an die CR2-Gruppe gebunden sind, und wobei sich die Verbindungen (B) von Polymeren aus der Gruppe Acrylharze, Polyesterharze, Epoxidharze und Urethanharze ableiten, und im zweiten Schritt das Produkt des ersten Schritts sowie auch Vernetzungsmittel (C) mit mindestens zwei H-aktiven Gruppen, vorzugsweise aktiven CH-Gruppen, und daneben gegebenenfalls übliche Additive (E) flüssigen härtbaren pigmenthaltigen Mischungen zugegeben werden."
VIII. Die Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefaßt werden:
a) Es wurden keine formellen Beanstandungen nach Artikel 84, 123 (2) und (3) EPÜ zu den in der mündlichen Verhandlung überreichten Anspruchssätzen erhoben.
b) Der mit Schreiben vom 15. August 2003 überreichte Versuchsbericht sei verspätet und sollte nicht mehr berücksichtigt werden. Die Beschwerdegegnerin habe weniger als einen Monat Zeit gehabt, darauf zu reagieren. Diese Zeitspanne sei nicht ausreichend, um den Versuchsbericht experimentell zu überprüfen und/oder Gegenversuche durchzuführen.
c) Die Neuheit von Anspruch 1 des Hauptantrages sei nicht gegeben, da im beanspruchten Verfahren der erste Schritt nur die Herstellung der Verbindung (A) definiere und mit dem zweiten Schritt, dem eigentlichen Verfahren zur Vermeidung des Absetzens von Pigmenten, nicht in Verbindung stehe. Im ersten Schritt werde, wie bei einem Product-by-process Anspruch, lediglich die Verbindung (A) bereitgestellt, so daß die Mitverwendung der Verbindung (B) nichts zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit beitragen könne. Da die Vermeidung des Absetzens von Pigmenten mit Harnstoffverbindungen aus D1, D2 und D5 bekannt sei, sei das beanspruchte Verfahren nicht neu. Diese Überlegungen würden auch für den Anspruch 1 des Hilfsantrages 1 und 2 gelten.
d) Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sei von D5 als nächstliegendem Stand der Technik auszugehen. Nach D5 könnten Pigmente in einer Mischung stabil und feinteilig dispergiert werden, wenn sie Reaktionsprodukte von Polyaminen und Polyisocyanaten sowie Bindemittelharze enthielten. Die Reaktionsprodukte könnten in situ in Gegenwart des Bindemittels hergestellt werden, wobei die gleichen Harztypen wie im Streitpatent verwendet würden. Das gleiche Problem und die gleichen Verbindungen wie im Streitpatent seien also angesprochen.
Gehe man von D1 aus, so sei hierin ein Verfahren zur Vermeidung des Absetzens von Pigmenten unter Verwendung einer Harnstoffverbindung beschrieben, die in situ in Gegenwart eines Harzes hergestellt werde. Eine verbesserte Antiabsetzwirkung der im ersten Schritt hergestellten Produkte sei jedoch nicht belegt, so daß die Aufgabe des Streitpatentes gegenüber D1 nur in der Bereitstellung eines alternativen Verfahrens gesehen werden könne.
Die Herstellung der Harnstoffteilchen in Gegenwart der Verbindung (B) trage nichts zur erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Verfahrens bei, da aus D3 Harze mit aktivierten Doppelbindungen bekannt seien, die neben Pigmenten auch Reaktionsprodukte von Aminen mit Isocyanaten enthielten. Es sei daher nahegelegt, die ungesättigten Harze von D3 in D5 oder D1 einzusetzen. Diese Argumentation gelte auch für die Hilfsanträge 1 und 2, zumal im Vergleich zum Hauptantrag kein zusätzliches Argument vorgebracht sei, mit dem die erfinderische Tätigkeit der Hilfsanträge begründet werden könne.
IX. Die Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefaßt werden:
e) Der am 15. August 2003 eingereichte Versuchsbericht sei innerhalb der Bescheidsfrist von 1 Monat als Reaktion auf den Ladungsbescheid eingereicht worden und stelle einen weiteren Nachweis für die verbesserten Wirkungen des in situ hergestellten Harnstoffproduktes dar. Da der Versuchsbericht entscheidungserheblich sei, sei er zu berücksichtigen.
f) Die Neuheit von Anspruch 1 des Hauptantrages sei gegeben, da im Stand der Technik nicht alle beanspruchten Verfahrensmerkmale beschrieben seien. Die beiden Schritte des beanspruchten Verfahren gehörten zusammen, da im ersten Schritt eine vorteilhafte Herstellung der Harnstoffverbindungen beschrieben sei, deren Produkt im zweiten Schritt eingesetzt werde. Im ersten Schritt werde die Verbindung (A) in Gegenwart einer speziellen Verbindung (B) hergestellt, was aus dem Stand der Technik nicht bekannt sei. Diese Überlegungen würden erst recht für Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 und 2 gelten.
g) Auch bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit müsse Anspruch 1 des Hauptantrages als Ganzes gesehen werden. Gehe man von D1 als nächstliegendem Stand der Technik aus, so könne hiernach die in situ Herstellung der Harnstoffe gleichwertig in Gegenwart von Lackbenzin oder langöligen Alkydharzen erfolgen. Im Unterschied zu D1 werde im Streitpatent die in situ Bildung in Gegenwart einer Verbindung durchgeführt, die mindestens zwei aktivierte Doppelbindungen enthalte. In D5 würden weder das Absetzproblem noch Verbindungen mit mindestens zwei freien aktivierten Doppelbindungen erwähnt.
Nach dem Streitpatent und dem Versuchsbericht vom 21. April 1999 könnten Harnstoffgruppen tragende Verbindungen in einer für die Vermeidung der Pigmentabsetzung wirksamen Form auch durch längeres Vermahlen in Gegenwart einer Verbindung mit aktivierten Doppelbindungen erzielt werden. Die Mahlvorgänge im Stand der Technik seien jedoch weder in Gegenwart der speziellen Verbindungen (B) noch Aber eine ausreichend lange Zeitdauer durchgeführt worden.
Durch den Versuchsbericht vom 15. August 2003 sei belegt, daß es für die Wirksamkeit auf die besondere Art der Herstellung der Harnstoffverbindungen in Gegenwart der speziellen Verbindungen (B) ankomme. Hierbei führe die in situ Herstellung des Harnstoffs in Gegenwart eines ungesättigten Acrylharzes im Vergleich zu einem gesättigten Acrylharz zu einem vorteilhaften Absetzverhalten der Pigmente. Aufgabe sei es daher gewesen, solche Harnstoffgruppen enthaltenden Verbindungen bereitzustellen, die eine verbesserte Antiabsetzwirkung zeigten und auf einem einfacheren Weg hergestellt werden könnten.
In keinem der zitierten Dokumente sei die Herstellung von Harnstoffverbindungen in Gegenwart der speziellen Verbindung (B) beschrieben. Zwar seien aus D3 Verbindungen mit freien aktivierten Doppelbindungen bekannt, jedoch sei hier nicht das Absetzproblem von Pigmenten angesprochen. Eine Kombination von D3 mit D1 oder D5 komme daher nicht in Betracht. Der beanspruchte Gegenstand des Hauptantrages beruhe daher auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die vorstehenden Argumente würden in erhöhtem Maß für die Patentfähigkeit der Hilfsanträge gelten.
X. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patentes.
XI. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent auf der Grundlage eines der Anspruchssätze nach dem Hauptantrag oder der Hilfsanträge 1 und 2, sämtlich eingereicht in der mündlichen Verhandlung, aufrechtzuerhalten.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderungen
Gegen die vorgenommenen Änderungen in den Anspruchssätzen des Hauptantrages, Hilfsantrages 1 und Hilfsantrages 2 hatte die Beschwerdeführerin keine formellen Bedenken nach Artikel 123 (2), 123 (3) und 84 EPÜ. Die Beschwerdekammer sieht ebenfalls keine Veranlassung auf die Zulässigkeit der Änderungen näher einzugehen, weil sämtliche Anträge, selbst wenn sie formell zulässig sind, aus sachlichen Gründen nicht gewährbar sind.
Hauptantrag
3. Neuheit
Die Beschwerdeführerin hatte ihren Neuheitseinwand auf die Dokumente D1, D2 und D5 gestützt.
3.1. D1 beschreibt eine thixotrope Anstrich- oder Lackzusammensetzung, die eine kleinere Menge eines substituierten Harnstoffs enthält, der durch eine in situ Reaktion eines aliphatischen Amins und eines Isocyanats erzeugt wird (Anspruch 1). Die Zusammensetzung wird als Basisbeschichtung verwendet und kann natürliche Lackkomponenten wie trocknende und nicht trocknende Öle, sowie synthetische Harze enthalten, beispielsweise Alkyd-, Vinyl- und Acrylharze und Urethanöle (Seite 2, Zeilen 46 bis 55). In Beispiel VIII (Seite 16) wird ein Lack auf Basis eines Langöl- Alkydharzes mit einem primären N-sec-Alkyl(C11-C14)-amin in einem Verhältnis von Amin zu Diisocyanat von 2:1 und in einer Menge von 2 Gew.-%, bezogen auf die fertige Lackformulierung vorgemischt und vermahlen. Lackbenzin wurde mit Toluoldiisocyanat vorgemischt und zu dem Amin enthaltenden Basislack hinzugesetzt und gründlich vermischt. Danach wurden die Viskositäten nach einem Tag, zwei Tagen und einer Woche bei verschiedenen Drehzahlen bestimmt (Tabelle XII). Die Anstriche haben eine 24 stündige Trocknungszeit (Beispiel VIII, letzter Satz).
In D1 werden für die in situ Herstellung der Harnstoffverbindungen keine Verbindungen verwendet, die mindestens zwei freie aktivierte Doppelbindungen enthalten.
Hierbei wird unter einer aktivierten Doppelbindung eine C=C Doppelbindung verstanden, die durch mindestens eine eletronegative Gruppe am Alpha-ständigen C-Atom in ihrer Reaktivität, insbesondere im Hinblick auf Additionsreaktionen, gesteigert ist (Streitpatent, Seite 4, Zeilen 31 und 32).
3.2. D2 beschreibt eine thixotrope Beschichtungszusammensetzung, die einen Binder und 0.1 bis 30 Gew.-% eines Reaktionsproduktes eines organischen Diisocyanats und Benzylamin als Antiablaufmittel enthält (Anspruch 1). Die Herstellung des Antiablaufmittels erfolgt in Gegenwart des Binders, wobei die resultierende Mischung 30-70 Gew.-% Antiabsetzmittel und 70 bis 30 Gew.-% Binder enthält (Anspruch 7).
Als Binder werden in einer längeren Liste unter anderem ungesättigte Polyesterharze erwähnt, die ggf. mit Styrol oder einer oder mehreren anderen monomeren Verbindungen, etwa einem (Meth)acrylatmonomer oder einer Allylverbindung vermischt sind (Spalte 1, Zeile, 19 bis und 35, insbesondere Zeilen 28 bis 31). Die Zusammensetzungen können beispielsweise Pigmente enthalten, wobei deren Glanz durch die Anwesenheit des Antiablaufmittels hierbei nicht oder nur selten herabgesetzt wird (Spalte 3, Zeilen 44 bis 56). Die Beschichtungszusammensetzungen können bei 80 bis 250°C gehärtet werden (Spalte 3, Zeilen 61 bis 65).
Die Herstellung eines Einbrennlackes mit hohem Feststoffgehalt wird in Beispiel 2 b) beschrieben (Spalte 5). Hierbei wird eine Mischung von Di(2,2,4- trimethyl-1,3-pentandiol)isophthalat, Di(2,2,4-trimethyl- 1-3-pentan-diol)adipat, Hexamethoxymethylmelamin, Xylol, Ethylenglykolacetat und Benzylamin mit Hexamethylen-1,6- diisocycanat unter Rühren versetzt, wobei die Harnstoffverbindung in situ gebildet wird. Ähnliche Einbrennlacke, die auch Pigmente enthalten können, sind in den Beispielen 3 bis 18 beschrieben.
Obwohl D2 also ungesättigte Polyester, ein (Meth)acrylat- Monomer oder eine Allylverbindung erwähnt, lassen sich hieraus keine Verbindungen entnehmen, die mindestens zwei freie aktivierte Doppelbindungen enthalten.
3.3. D5 beschreibt eine Zusammensetzung, die ein dispergiertes Pigment und als Dispergiermittel ein Reaktionsprodukt von wenigstens einem Polyamin mit zwei oder mehreren primären Aminogruppen und/oder sekundären Aminogruppen mit wenigstens einem Polyisocyanat mit einem oder mehreren Isocyanatgruppen enthält (Anspruch 1). Das Dispersionsmittel dient für die Herstellung von Lacken, die als Trägerharze (Bindemittel) Alkyd-, Polyester-, Acryl- und Vinylharze, etwa Polyvinylchlorid, Polyvinylacetat, chlorierte Polyolefine und Polyamide enthalten können (Seite 3, Zeilen 46 bis 49). Die Dispergiermittel können hierbei in Gegenwart der Trägerharze in situ hergestellt werden (Seite 10, Zeilen 21 bis 24).
In Beispiel 2 wird Tetraethylenpentamin zu einer Mischung von einem mit Kokusnußöl modifizierten Alkydharz und Lösungsmittel (Solvesso) hinzugesetzt und diese Mischung wird mit 4,4'-Methylen-bis- (cyclohexylisocyanat) unter Rühren umgesetzt. Hierbei reagieren die Isocyanatgruppen mit den Aminogruppen des Tetraethylenpentamins vollständig ab. Danach wird Pigment zu der Harzlösung hinzugesetzt und in einer Perlmühle verarbeitet.
In Beispiel 3 erfolgt die Herstellung der Harnstoffverbindung entsprechend der Verfahrensweise von Beispiel 2, außer daß ein Trimer von Hexamethylen-1,6 diisocyanat statt 4,4'-Methylen-bis- (cyclohexylisocyanat) verwendet wird.
An keiner Stelle von D5 ist somit die Herstellung der Harnstoffgruppen enthaltenden Verbindung in Gegenwart einer Verbindung beschrieben, die mindestens zwei freie aktivierte Doppelbindungen enthält.
3.4. Die Beschwerdegegnerin vertrat die Auffassung, daß im beanspruchten Verfahren der erste Schritt, der die Herstellung der Verbindung (A) definiere, nicht mit dem zweiten Schritt, dem eigentlichen Verfahren zur Vermeidung des Absetzens von Pigmenten in ursächlicher Verbindung stehe und die gleiche Funktion wie in einer Product-by-process Formulierung habe, und daher bei Beurteilung der Neuheit nicht berücksichtigt werden dürfe.
3.4.1. Der beanspruchte Gegenstand definiert ein zweistufiges Verfahren, bei dem im ersten Schritt die Harnstoffgruppen tragende Verbindung in Gegenwart einer spezifizierten Verbindung (B) in situ hergestellt und anschließend das Produkt des ersten Schrittes im zweiten Schritt den flüssigen härtbaren pigmenthaltigen Mischungen zugegeben wird. Dies steht in Übereinstimmung mit der erteilten Fassung, nach der eine vorteilhafte Alternative darin zu sehen ist, (A) in Gegenwart von (B) in situ herzustellen (Seite 4, Zeile 17) und die Verbindungen (A) und (B) in Mischung den härtbaren Mischungen zuzugeben (erteilter Anspruch 10). Die beispielhaften Ausführungsformen, mit Ausnahme von Beispiel 2d), sind auf diese Ausführungsformen gerichtet, bei denen die Verbindung (A) in Gegenwart von (B) durch eine in situ Reaktion gebildet wird, so daß eine Mischung von (A) und (B) entsteht, die dann einer pigmenthaltigen Mischung zugegeben wird (vgl. Seite 7 und 9 der Streitpatentschrift, Punkte 2. und 4.).
3.4.2. Die beanspruchte, stufenweise formulierte Fassung des Verfahrensanspruchs ist zu unterscheiden von der durch die Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung, bei der die Verbindung (A) als Product-by-process (siehe das Wort "erhältlich") gekennzeichnet war. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern werden Verfahrenserzeugnisse, die durch die spezifische Art ihrer möglichen Herstellung definiert sind (Product-by-process Formulierung), nicht durch die bloße Tatsache neu, daß diese Herstellung nicht im Stand der Technik beschrieben ist (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes, 4. Auflage, 2001, II.B.6.2). Das gilt auch für Erzeugnisse, die im Rahmen eines anderen Verfahrens eingesetzt werden (vgl. T 250/92 vom 8. Dezember 1994, Punkt 2.4, nicht veröffentlicht im ABl. EPA). Im vorliegenden Fall sollte der einzige Unterschied zum Stand der Technik in den verwendeten Harnstofferzeugnissen liegen, so daß die Harnstofferzeugnisse also neu sein müßten.
3.4.3. Da der Product-by-process Teil eines solchen Anspruchs, der die Harnstoffverbindungen (A) als neue Verfahrenserzeugnisse kennzeichnen soll, in einem absoluten, d. h. verfahrensunabhängigen Sinne interpretiert werden muß (T 219/83 ABl. EPA, 1986, Seiten 211 bis 226, Punkt 10), ist die bei der in situ Herstellung der Harnstoffverbindungen (A) anwesende Verbindung (B) lediglich ein mögliches Mittel, das durch andere Mittel ersetzt werden kann, sofern das Verfahrensprodukt (A) in seiner Identität hierdurch nicht verändert wird. Daher kann im Falle einer Product-by-process Formulierung die Verbindung (B) als solche nicht dazu dienen, das Verfahrenserzeugnis (A) von anderen Harnstoffprodukten zu unterscheiden.
3.4.4. Im Gegensatz zu dem durch eine Product-by-process Formulierung definierten Produkt, wird gemäß dem nunmehr beanspruchten Verfahren im ersten Schritt eine Mischung von (A) und (B) hergestellt, und im zweiten Schritt das Produkt des ersten Schrittes weiterverarbeitet, um dort seine Antiabsetzwirkung zu entfalten. Demgemäß unterscheidet sich das beanspruchte Verfahren von D1, D2 und D5 dadurch, daß die Anwesenheit der Verbindung (B) im ersten Schritt obligatorisch ist und durch die Weiterverarbeitung als Produkt des ersten Schrittes in den zweiten Schritt gelangt. Durch diese stufenweise Herstellung wird die Verbindung (B) Bestandteil des Gesamtverfahrens und trägt zur Neuheit des Gesamtverfahrens bei.
3.5. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß keinem der zitierten Dokumente das beanspruchte Verfahren in seiner Gesamtheit mit sämtlichen Merkmalen direkt und unmittelbar zu entnehmen ist, so daß der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrages neu ist (Artikel 54 EPÜ).
4. Nächstliegender Stand der Technik
Das Streitpatent betrifft ein Antiabsetzmittel für flüssige, härtbare Mischungen. Solche Antiabsetzmittel sind aus D1 und D5 bekannt, die von den Parteien als nächstliegend angesehen wurden.
4.1. Die in D1 beschriebene Beschichtungszusammensetzung (siehe Punkt 3.1 oben) zeigt das sogenannte Thixotropie-Phänomen, d. h. die Zusammensetzung wird weniger viskos, wenn sie hohen Scherkräften unterworfen wird, wobei die Masse aber in ihren normalen Zustand zurückkehrt, wenn sie stehen gelassen wird (Seite 1, Zeilen 16 bis 22). Dies führt zu einem günstigen Antiablaufverhalten und zur Vermeidung des Absetzens und Aufschwimmens von Pigmenten (Seite 1, Zeilen 26 bis 31). Das Viskositätsverhalten ist in den Beispielen an Hand von verschiedenen, Aminen enthaltenden Zusammensetzungen näher erläutert (Tabellen I bis XIV). Die Zusammensetzungen zeigen ein gleichmäßiges Auslaufen, wenn sie aufgestrichen oder aufgesprüht werden (Seite 1, Zeilen 52 bis 60).
4.2. Die aus D5 bekannte Zusammensetzung (siehe Punkt 3.2 oben) soll dem darin dispergierten Pigment eine ausgezeichnete Dispersionsstabiltät verleihen, so daß das Pigment fein verteilt werden kann und in einem stabilen Zustand ohne Ausflockung vorhanden ist (Seite 3, Zeilen 8 bis 11). Die in D5 angesprochene ausgezeichnete Dispersionsstabilität für Pigmente kann nur dann gewährleistet sein, wenn sich die Pigmente in dem Lack nicht absetzen, da sonst die Dispersion nicht stabil wäre. Das Dispergiermittel von D5 hat daher die gleiche Funktion wie ein Antiabsetzmittel, selbst wenn diese Eigenschaft in D5 nicht so genannt ist. Das Dispergiermittel kann ferner durch ein einfaches Verfahren in Gegenwart einer Vielzahl von Bindemittelharzen hergestellt werden (Seite 9, Zeilen 56 und 57 sowie Seite 10, Zeilen 21 bis 24). Die guten Fließeigenschaften der Lacke sind in den Tabellen 1 bis 4, 7, 8. und 10 erläutert (Viskositäten in Abhängigkeit von der Rührerdrehzahl). Die mit dem Dispergiermittel hergestellten Lacke bilden Filme mit ausgezeichneten Eigenschaften was Glanz, Bildklarkeit und Farbstärke betrifft (Seite 10, Zeilen 14. bis 16), wie in den Tabellen 3, 5 bis 7, 9 und 10 erläutert ist ("Gloss" unter verschiedenen Einfallwinkeln). Die Lacke von D5 zeigen daher auch gute anwendungstechnische Eigenschaften.
4.3. Die Streitpatentschrift zielt darauf ab, Substanzen bereit zu stellen, die ein Absetzen von Pigmenten im noch reaktiven und noch nicht applizierten Lack weitgehend verhindern und die guten anwendungstechnischen Eigenschaften nicht beinträchtigen (Seite 2, Zeilen 39 bis 41).
4.4. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es bei der Wahl des nächstliegenden Standes der Technik im allgemeinen darauf an, daß seine Lösung auf den gleichen Zweck bzw. dieselbe Wirkung wie die Erfindung gerichtet ist, wobei die strukturellen und funktionellen Unterschiede zum beanspruchten Gegenstand möglichst klein sind (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, I.D.3.1).
4.5. Aus der vorstehenden Analyse wird deutlich, daß sowohl D1 als auch D5 die Herstellung von Harnstoffgruppen enthaltenden Verbindungen in Gegenwart von Harzen beschreiben, die ein Absetzen der Pigmente in Lacken wirksam verhindern und anwendungstechnische Eigenschaften nicht beeinträchtigen. Da in D5 auch Ausführungsformen beschrieben sind, bei denen zunächst die in situ Herstellung der Harnstoffverbindung in Gegenwart eines Binders erfolgt und dann in einer weiteren Stufe das so erhaltene Produkt mit Pigment versetzt wird (Beispiele 2, 3), während in D1 die in situ Reaktion in Gegenwart des Binders stets auch in Anwesenheit des Pigments erfolgt (Beispiele VIII bis XII), hat D5 mehr Berührungspunkte mit dem jetzt beanspruchten, zweistufigen Verfahren als D1, so daß von D5 als nächstliegendem Dokument ausgegangen wird.
5. Aufgabe und Lösung
Nach Auffassung der Beschwerdegegnerin belegten das Streitpatent, der Versuchsbericht vom 21. April 1999 sowie der Versuchbericht von 15. August 2003 eine Verbesserung des beanspruchten Verfahrens gegenüber bekannten Verfahren, insbesondere ein vereinfachtes Verfahren mit einer verbesserten Antiabsetzwirkung.
5.1. Gemäß den Beispielen des Streitpatentes wird zunächst eine doppelbindungshaltige Komponente (B) hergestellt, indem man eine Monomermischung aus Glycidylmethacrylat, Styrol und Alpha- Methylstyrol polymerisiert. Danach wird das Produkt in Gegenwart von Acrylsäure umgesetzt und dann verdünnt (Versuch 1).
Die Harnstoffverbindung (A) wird dann dadurch hergestellt, daß die vorstehend hergestellte Harzlösung (B) mit einem Amin versetzt, anschließend mit einem Diisocyanat umgesetzt und dann verdünnt wird (Versuche 2a, b), c) und e) bis h)).
Im Versuch 2 d) wird Hexylamin in Toluol gelöst und bei Raumtemperatur mit Hexamethylendiisocyanat unter Rühren umgesetzt und der entstandene Niederschlag abgesaugt und getrocknet. Anschließend wird die Harzlösung aus Versuch 1 mit dem kristallinen Niederschlag und Butylacetat versetzt und eine Stunde lang mit einer Perlmühle innig verrieben.
Die so erhaltenen Bindemittel werden mit einer Pigmentmischung aus bestimmten Anteilen Kaolin, Blanc fixe, Titandioxid und Talkum sowie mit Lösungsmittel und gegebenenfalls mit Antiabsetzmittel (A) versetzt. Nach einem Tag wird der so gebildete Lack durch Anreiben in einer Perlmühle homogenisiert.
Der so erhaltene Lack wird dann mit Härter und Katalysator versetzt und mit Butylacetat auf eine Spritzviskosität von 20 sec eingestellt und das Absetzverhalten der Pigmente untersucht. Aus den Beispielen geht hervor, daß bei Zusammensetzungen, die Harnstoffe aufweisen, kein Absetzen der Pigmente zu beobachten ist, während bei Zusammensetzungen, die keinen Harnstoff enthalten (Vergleichsbeispiele 1 und 2), ein zum Teil starker Bodensatz festzustellen war.
5.2. Der Versuchsbericht vom 21. April 1999 lehnt sich eng an die Versuche des Streitpatentes an und verwendet vergleichbare Mengen der eingesetzten Produkte. Eine pigmentierte Lösung, die nach Beispiel 2a) des Streitpatentes hergestellt wird, weist einen starken Bodensatz auf, während kein Absetzen der Pigmente beobachtet wird, wenn die Harnstoffverbindungen durch einen besonderen Mahlvorgang oder in situ in Gegenwart von speziellen Harzen erzeugt werden.
Die Vergleichsversuche mit einem Mahlschritt stellen jedoch keinen Vergleich mit dem nächstliegenden Stand der Technik dar, da aus D5 die in situ Herstellung der Harnstoffverbindungen in Gegenwart von Harzen für den gleichen Zweck auch ohne Mahlschritt bekannt ist (D5, Beispiele 2 und 3) und demgegenüber kein Vorteil belegt ist. Somit kann gegenüber D5 die Aufgabe nicht darin gesehen werden, ein vereinfachtes Verfahren zur Verfügung zu stellen, bei dem die Herstellung der Harnstoffverbindungen ohne einen Mahlschritt auskommt.
5.3. Im Versuchsbericht vom 15. April 2003 wurden Acrylharze gemäß dem Beispiel 1 der Streitpatentschrift (Harzlösung I) und durch Polymerisation einer Monomerenmischung von Styrol, Alkylacrylat und Hydroxyalkylacrylat (Harzlösung II) in Xylol hergestellt. Beide Harzlösungen werden mit Benzylamin vermischt und mit Hexamethylendiisocyanat umgesetzt. Danach wird Aluminiumhydroxid-Pulver zu den Harzlösungen hinzugesetzt und dispergiert und das Absetzverhalten nach 5 Tage Ruhen beurteilt. Die Proben, die unter Verwendung der Doppelbindungen enthaltenden Harzlösung I hergestellt sind, zeigen ein deutlich geringeres Absetzen des Pigmentes als die Proben, die unter Verwendung des gesättigten Acrylharzes II hergestellt sind.
5.3.1. Die im Versuchsbericht als Vergleich verwendete Harzlösung II ist im Gegensatz zur Harzlösung I in ihrer mengenmäßigen Zusammensetzung nicht spezifiziert, was einen direkten Vergleich mit der Harzlösung I nicht zuläßt. Es ist hierbei zu beachten, daß etwa die Position und Anzahl der Hydroxylgruppen in den Polymeren auf Grund ihrer potentiellen Reaktivität mit Isocyanaten die Eigenschaften und Menge der erzeugten Harnstoffverbindungen und das Absetzverhalten beeinflussen können.
5.3.2. Ferner ist die Verwendung eines von der Patentinhaberin ausgewählten Acrylharzes kein Ersatz für eine Nacharbeitung gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik, wie er aus D5, etwa Beispiel 2, bekannt ist. Da das Absetzverhalten an einem komplexen, mehrere Komponenten enthaltenden System untersucht wird, kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Eigenschaften und Menge der erzeugten Harnstoffverbindung durch in situ Herstellung auch durch andere chemische Gruppen als Doppelbindungen in den Polymeren beeinflußt werden könnten. Die Versuchsergebnisse lassen daher ohne einen direkten experimentellen Vergleich nicht den Schluß zu, daß das Absetzverhalten gegenüber D5 verbessert ist.
5.3.3. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß der zweite Versuchsbericht keinen vorteilhaften technischen Effekt gegenüber D5 belegt. Die Beantwortung der Frage, ob er auf Grund seiner verspäteten Einreichung aus anderen Gründen nicht zu berücksichtigen wäre, kann daher dahingestellt bleiben.
5.4. Die Beschwerdegegnerin war der Auffassung, es obliege der Einsprechenden nachzuweisen, daß der beanspruchte Gegenstand nicht erfinderisch sei. Daher hätte die Einsprechende belegen müssen, daß der beanspruchte Gegenstand keinen Vorteil gegenüber dem nachgewiesenen Stand der Technik aufweise.
5.4.1. Das Streitpatent in der erteilten Fassung war allgemein auf ein Verfahren zur Vermeidung der Absetzung von Pigmenten in flüssigen härtbaren Mischungen gerichtet, wobei man den Mischungen Harnstoffgruppen tragende Verbindungen (A) als Antiabsetzmittel hinzu gibt. Da die Aufnahme der in situ Herstellung der Verbindungen (A) in Gegenwart von speziellen Verbindungen (B) in die Ansprüche allein durch die Beschreibung gestützt ist, hat die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) einen völlig neuen Anspruchsgegenstand geschaffen, der weder der Erteilung zu Grunde lag, noch auf Patentfähigkeit überprüft werden konnte.
5.4.2. Beruft sich die Patentinhaberin nun auf vorteilhafte Eigenschaften gegenüber dem nachgewiesenen Stand der Technik, die sich allein aus der in situ Herstellung der Harnstoffverbindungen in Gegenwart dieser speziellen Verbindungen (B) ergeben sollen, so trägt die Patentinhaberin die Beweislast für die ihr günstigen Behauptungen (T 200/94, zitiert in Rechtsprechung, supra, VI.J.6.1). Dies gilt um so mehr, da aus den vorhandenen Experimenten der Patentschrift kein Vorteil hervorgeht.
5.5. Mangels eines solchen Nachweises kann das Problem des Streitpatents gegenüber D5 somit nur darin gesehen werden, ein alternatives Verfahren zur Verfügung zu stellen, bei dem das Absetzen der Pigmente im noch reaktiven aber noch nicht applizierten Lack weitgehend verhindert wird und gute anwendungstechnischen Eigenschaften beibehalten werden (Seite 2, Zeilen 39 bis 41).
5.6. Die nunmehr in Anspruch 1 beanspruchte Lösung besteht darin, daß in einem ersten Schritt die Herstellung der Harnstoffgruppen enthaltenden Verbindung (A) in Gegenwart einer Verbindung (B) mit mindestens zwei aktivierten Doppelbindungen erfolgt und das Produkt des ersten Schritts in einem zweiten Schritt der pigmenthaltigen Mischung zugegeben wird.
6. Naheliegen
Es bleibt die Frage zu untersuchen, ob der Fachmann, ausgehend von einem Verfahren zur Vermeidung des Absetzens von Pigmenten in Lacken nach D5, und mit der Aufgabe konfrontiert, ein alternatives Verfahren mit ähnlichem Absetzverhalten zu entwickeln, auf Grund der vorhandenen Dokumente zu dem beanspruchten Verfahren gekommen wäre.
6.1. Der Kern des beanspruchten Verfahrens, nämlich die Harnstoffverbindungen durch eine in situ Reaktion in Gegenwart eines Bindemittels herzustellen, ist aus D5 bereits bekannt. D5 erwähnt als Bindemittel Polyesterharze, Acrylharze und Vinylharze (Seite 3, Zeilen 47 und 48), die dem gleichen Bindemitteltyp angehören, wie er im Streitpatent verwendet wird (erteilter Anspruch 7). Der einzige Unterschied gegenüber D5 besteht darin, daß diese Harze mindestens zwei freie aktivierte Doppelbindungen enthalten sollen.
6.2. D3 beschreibt flüssige Beschichtungszusammensetzungen auf Basis einer Verbindung mit mindestens zwei Acryloylgruppen oder Methacryloylgruppen und einer Aminoverbindung mit mindestens einer primären Aminogruppe, welche mit einem Aldehyd oder einem Keton, der nicht mehr als 10 Kohlenstoffatomen enthält, blockiert ist. Die Aminoverbindung ist hierbei ein aliphatisches oder zykloaliphatisches Amin mit 2. bis 24 Kohlenstoffatomen oder ein Addukt mit einem Molekulargewicht von 300 bis 1500 einer Epoxyverbindung oder Isocyanatverbindung oder einer Alpha,Beta-ethylenisch ungesättigten Carbonylverbindung und einer Aminoverbindung mit mindestens einer primären Aminogruppe und einer Gruppe, die mit der Epoxy-Verbindung oder Isocyanatverbindung oder der Alpha,Beta- ethylenisch ungesättigten Carbonylverbindung reagiert (Anspruch 1).
6.2.1. Die Beispiele von D3 beschreiben Polymerisationsprodukte von Glycidylmethacrylat, Styrol und Butylacrylat, die anschließend mit Acrylsäure in Gegenwart eines Katalysators umgesetzt werden (Spalten 7 und 8, (Meth)acryloylverbindung A bis C). Im Streitpatent werden als Verbindung (B) beispielsweise Polymerisationsprodukte von Glycidylmethacrylat, Styrol und Alpha-Methylstyrol verwendet, die anschließend mit Acrylsäure in Gegenwart eines Katalysators umgesetzt werden (Seite 7, Zeilen 7 bis 13). Demgemäß werden sowohl in D3 als auch im Streitpatent ungesättigte auf Glycidylmethacrylat und Styrol basierende Acrylharze mit wenigstens zwei freien aktivierten Doppelbindungen bevorzugt eingesetzt.
6.2.2. Die Beschichtungsmassen von D3 können neben Pigmenten auch Rheologiesteuerungsmittel enthalten, etwa Addukte von einem Di- oder Triisocyanat und einem Monoamin oder Diamin (Spalte 6, Zeilen 42 bis 48). Demgemäß erwähnt D3 sämtliche Bestandteile, die auch in dem beanspruchten Verfahren Verwendung finden.
6.3. Da in D5 generell Acrylharze als geeignete Bindemittel erwähnt sind, die bei der in situ Polymerisation der Harnstoffe vorhanden sein können (Seite 3, Zeile 48; Seite 10, Zeilen 21 bis 24; Beispiel 7), und aus D3 auch ungesättigte Acrylharze mit wenigstens zwei freien aktivierten Doppelbindungen zur Verfügung standen, bedarf es zur Wahl dieser modifizierten Ausgangsbindemittel anstelle der in D5 beschriebenen Bindemittel keines erfinderischen Schrittes, um zu einem alternativen Verfahren zu gelangen.
6.4. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß der beanspruchte Gegenstand des Hauptantrages nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
6.5. Die gleichen Überlegungen, die für den Ausgangspunkt D5 angestellt wurden, gelten entsprechend, wenn von D1 als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen wird, da auch in D1 die in situ Herstellung der Harnstoffverbindungen in Gegenwart von Acrylharzen erfolgen kann (Seite 2, Zeilen 54 und 55). Auch eine Kombination von D1 mit D3 legt daher den beanspruchten Gegenstand nahe.
7. Hilfsantrag 1
Im Anspruch 1 des Hilfsantrages ist die Verbindung (B) zusätzlich durch eine strukturellen Definition der freien aktivierten Doppelbindungen und ihr Polymergerüst durch die Auswahl bestimmter Polymerer näher spezifiziert. Die so präzisierten Verbindungen (B) sind aber aus D3 bereits bekannt (siehe Punkt 6.2.1 oben).
7.1. Die Beschwerdegegnerin hat auch nicht dargetan, inwiefern die vorgenommene Präzisierung das Absetzverhalten beeinflussen und damit zur erfinderischen Tätigkeit beitragen könnte, so daß die gleichen Überlegungen wie für den Hauptantrag gelten (siehe Punkt 6.3 oben).
7.2. Daher ist auch der Hilfsantrag 1 nicht gewährbar.
8. Hilfsantrag 2
Im Vergleich zu Anspruch 1 des Hilfsantrages 1 sind im Anspruch 1 des Hilfsantrages 2 weiterhin Vernetzungsmittel (C) aufgenommen, die mindestens zwei H- aktive Gruppen enthalten. Nach dem Streitpatent sind geeignete Vernetzungsmittel solche, die zwei primäre und/oder sekundäre Aminogruppen enthalten, die gegebenenfalls verkappt als Ketimingruppen vorliegen können (Seite 5, Zeilen 7 bis 11).
8.1. Es ist von Beschwerdegegnerin nicht vorgebracht oder experimentell belegt worden, daß der spezifizierte Härter das Absetzverhalten von Pigmenten in Lacken in irgendeiner Weise beeinflussen könnte. Aus den gleichen Erwägungen wie beim Hauptantrag erläutert (Punkt 6.3 oben), ist daher auch der Hilfsantrag 2 nicht gewährbar.
8.2. Außerdem beschreibt D3 als Härter Verbindungen mit vorzugsweise 2 bis 4 primären Aminogruppen, die in Form von Aldiminen oder Ketiminen eingesetzt werden können (Anspruch 1, Spalte 4, Zeilen 22 bis 29; siehe Punkt 6.2 oben), so daß ihre Mitverwendung in einem durch Acrylharze von D3 modifizierten Verfahren gemäß D5 auch dadurch naheliegt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.