T 0034/94 (Abluftreinigung/KERAMCHEMIE) of 22.3.1994

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1994:T003494.19940322
Datum der Entscheidung: 22 März 1994
Aktenzeichen: T 0034/94
Anmeldenummer: 88102409.5
IPC-Klasse: B01D 53/00
B01D 53/34
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Reinigung von Abluft
Name des Anmelders: Keramchemie GmbH
Name des Einsprechenden: Bayer AG, Leverkusen Konzernverwaltung RP Patente Konzern
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 114(1)
Schlagwörter: Neuheit - mündliche Offenbarung (nein)
Beschränkte Amtsermittlungspflicht wegen Zurücknahme des Einspruchs
Novelty - prior disclosure (no)
Examination of own motion (limited) - withdrawal of opposition
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0010/91
T 0219/83
T 0129/88
T 0629/90
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0290/99
T 1047/03

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin des europäischen Patents 328 708 mit der Anmeldenummer 88 102 409.5. Eine Priorität wird nicht beansprucht.

II. Die Beschwerdegegnerin legte Einspruch gegen das Patent ein.

Sie begründete dies damit, daß der Erfinder fast ein Jahr vor dem Anmeldetag auf einer Tagung einen Vortrag gehalten hätte, in dem er ein Verfahren mit sämtlichen Merkmalen des Anspruchs 1 und fast allen Merkmalen der Ansprüche 2 bis 7 des Patents vorgestellt hätte. Hierfür wurde ein Zeuge benannt. Ferner wurde eine Kurzfassung des Vortrags (nachfolgend (A) genannt) innerhalb der Einspruchsfrist eingereicht. (A) wäre aber kein Beweismittel im Sinne von Regel 55 c) EPÜ, da nur der Vortrag detaillierte Informationen enthalten hätte. Der Anspruch 1 wäre daher wegen der früheren mündlichen Offenbarung nicht mehr neu, und die Ansprüche 2 bis 7 wären deswegen nicht mehr erfinderisch.

Die Patentinhaberin äußerte sich hierzu innerhalb der ihr gesetzten Fristen - insgesamt etwa neuneinhalb Monate - sachlich nicht.

Die Einspruchsabteilung widerrief daraufhin das Patent mit folgender Begründung: Weil keine Stellungnahme und kein Antrag der Patentinhaberin vorläge, wäre davon auszugehen, daß die Einwände nicht bestritten werden könnten, und erübrigte es sich, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und vom angebotenen Zeugen Gebrauch zu machen. Daher stünden die vorgebrachten Gründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegen.

III. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin Beschwerde ein und beantragte sinngemäß die Aufrechterhaltung des Patents.

Sie begründete dies damit, daß (A) keine Merkmale des Anspruchs 1 enthielte und daß der Vortragende - gleichzeitig der Erfinder des angegriffenen Patents - nur über das in (A) bis zum vorletzten Absatz beschriebene Verfahren berichtet hätte, nicht aber über die im letzten Absatz angedeutete Weiterentwicklung. Vom Vortragenden wäre ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß das Prinzip dieser Weiterentwicklung und erste Ergebnisse in Kürze vorgestellt werden würden.

IV. Die Beschwerdegegnerin zog daraufhin ihren Einspruch zurück.

V. Der einzige unabhängige Anspruch lautet:

"1. Verfahren zur Reinigung von mit biologisch abbaubaren, insbesondere schwer wasserlöslichen Verunreinigungen belasteter Abluft, bei dem die Abluft durch einen Absorptionsturm geführt wird, in dem die Verunreinigungen von einer Belebtschlamm enthaltenden Waschflüssigkeit absorbiert und anschließend in einem Belebtschlammbecken durch die Mikroorganismen des Belebtschlamms biologisch abgebaut werden,

dadurch gekennzeichnet,

daß der Belebtschlamm enthaltenden Waschflüssigkeit ein hochsiedendes, organisches Lösemittel zugegeben wird, wobei das Lösemittel einen niedrigen Dampfdruck besitzt, ein hohes Lösevermögen für organische Verunreinigungen aufweist, mit Wasser in Form einer groben Dispersion keine toxischen oder sonstige schädlichen Wirkungen auf Mikroorganismen ausübt, eine möglichst geringe Löslichkeit in Wasser besitzt und selbst eine geringe biologische Abbaubarkeit aufweist."

Die Ansprüche 2 bis 7 sind vom Anspruch 1 abhängig.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Verfahrensfragen

2.1. Ist bei einer Rücknahme des Einspruchs der Einsprechende Beschwerdegegner, so hat dies nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern keine unmittelbare verfahrensrechtliche Bedeutung für das Beschwerdeverfahren; allerdings ist der Einsprechende hinsichtlich der Sachfragen nicht mehr am Beschwerdeverfahren beteiligt (vgl. z. B. T 629/90, ABl. EPA 1992, S. 654). Die Kammer muß die Entscheidung der Einspruchsabteilung von Amts wegen sachlich überprüfen und kann nur dann diese Entscheidung aufheben und das Patent aufrechterhalten, wenn es hinsichtlich des von dem Einsprechenden vorgebrachten Einspruchsgrundes (vgl. G 10/91, ABl. EPA 1993, S. 420) den Erfordernissen des EPÜ entspricht (siehe T 629/90). Bei dieser Prüfung können auch Beweismittel, die vom Einsprechenden vor der Zurücknahme des Einspruchs vorgebracht worden sind, berücksichtigt werden. Die Amtsermittlungspflicht gemäß Artikel 114 (1) geht aber aus verfahrensökonomischen Gründen nicht so weit, daß eine vom Einsprechenden geltend gemachte frühere mündliche Offenbarung geprüft werden muß, wenn dieser aus dem Verfahren ausgeschieden ist und die maßgeblichen Tatsachen ohne seine Mitwirkung schwer zu ermitteln sind (vgl. T 129/88, ABl. EPA 1993, S. 598).

2.2. Im vorliegenden Fall besteht die maßgebliche Tatsache darin, welches der Inhalt des genannten Vortrags war. Da die Einsprechende aus dem Verfahren ausgeschieden ist und dadurch zu erkennen gegeben hat, daß sie am Ausgang des Verfahrens nicht mehr interessiert ist, wird es von der Kammer aus verfahrensökonomischen Gründen als nicht erforderlich angesehen, den von der Einsprechenden angebotenen Zeugen zur Ermittlung dieser Tatsache zu laden.

3.1. Mündliche Offenbarung

Die Beschwerdeführerin behauptet in ihrem Beschwerdeschriftsatz, daß der Vortragende zwar das in (A) ausführlicher beschriebene Verfahren erläutert und darüber berichtet hätte, daß dieses Verfahren derzeit derart weiterentwickelt werden würde, daß es auch für schwer in Wasser lösliche Stoffe eingesetzt werden könnte. Dabei hätte aber der Vortragende wegen der beschränkten Zeit lediglich darauf hingewiesen, daß das Prinzip dieser Weiterentwicklung und erste Ergebnisse in Kürze vorgestellt werden würden.

Das in (A) ausführlicher beschriebene Verfahren (im Text bis einschließlich zum vorletzten Absatz) ist nicht für den Abbau von in Wasser schwer löslichen Verunreinigungen geeignet, vgl. 3.2.

Dagegen steht die unbewiesene Behauptung der Einsprechenden im Einspruchsverfahren, daß ein Verfahren mit sämtlichen Merkmalen des Anspruchs 1 im genannten Vortrag geschildert worden sei.

Da bei gegensätzlichen, unbewiesenen Behauptungen zugunsten des Patentinhabers zu entscheiden ist (vgl. T 219/83 ABl. EPA 1986, S. 391), und da wegen der detaillierteren Angaben der Beschwerdeführerin und der Zurückziehung des Einspruchs die Richtigkeit der Angaben der Beschwerdeführerin wahrscheinlicher ist als die der Beschwerdegegnerin, ist nach Ansicht der Kammer die behauptete mündliche Offenbarung des Gegenstandes des Anspruchs 1 vor dem Anmeldetag nicht nachgewiesen.

3.2. Druckschriftlicher Stand der Technik

Die Einsprechende bezeichnete allein die mündliche Offenbarung, jedoch ausdrücklich nicht die Druckschrift (A) als relevant für die Neuheit des Anspruchs 1.

Tatsächlich beschreibt (A) ein Verfahren zur Reinigung von belasteter Abluft, bei dem die Abluft durch einen Absorptionsturm geführt wird, wo die in Wasser absorbierten Luftschadstoffe absorbiert werden, und bei dem diese absorbierten Stoffe in einem Belebt- schlammbecken biologisch abgebaut werden. Im letzten Absatz von (A) wird eine Weiterentwicklung dieser biologischen Abluftreinigung erwähnt, die den Einsatzbereich des Verfahrens auch für schwer in Wasser lösliche Stoffe möglich macht. Weitere Einzelheiten hierzu werden dort nicht erwähnt.

Die Druckschrift (A) geht somit nicht über den nächsten Stand der Technik gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1 (der in DE-A-3 227 375 beschrieben ist, vgl. Sp. 2, Z. 26 bis S. 3, Z. 19 von EP-B-328 708) hinaus. Sie erwähnt insbesondere nicht die Verwendung eines organischen Lösungsmittels im Belebtschlamm, das mit dem des Kennzeichens des Anspruchs 1 vergleichbar wäre.

4. Die Kammer sieht keinen Anlaß, an der Beurteilung der Prüfungsabteilung zu zweifeln, daß allein bei Berücksichtigung des bis zur Patenterteilung aktenkundigen Standes des Technik - also ohne die behauptete mündliche Offenbarung und die Druckschrift (A) - die Ansprüche des angegriffenen Patents die Erfordernisse des EPÜ erfüllen (die Einspruchsabteilung hat sich zur Relevanz dieses bis zur Erteilung aktenkundigen Standes der Technik nicht geäußert).

Da die mündliche Offenbarung nicht nachgewiesen ist und der Inhalt von (A) nicht über den Stand der Technik gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1 hinausgeht, sind nach Ansicht der Kammer die Neuheit und erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 1 nicht in Frage gestellt.

5. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 7 beinhalten Weiterbildungen des Verfahrens nach dem Anspruch 1 und werden daher von diesem mitgetragen.

6. Das Patent genügt somit den Erfordernissen des Artikels 52 (1) in Verbindung mit den Artikeln 54 bzw. 56. EPÜ. Das Patent kann daher unverändert aufrechterhalten bleiben.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird unverändert aufrechterhalten.

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