T 0505/93 () of 10.11.1995

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1995:T050593.19951110
Datum der Entscheidung: 10 November 1995
Aktenzeichen: T 0505/93
Anmeldenummer: 87900122.0
IPC-Klasse: B23K 9/12
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zum Aufsuchen und Verfolgen einer Kehlnaht beim Schutzgas-Lichtbogenschweißen
Name des Anmelders: KUKA Schweissanlagen & Roboter GmbH
Name des Einsprechenden: IGM-Robotersysteme Aktiengesellschaft
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 100(a)
European Patent Convention 1973 Art 108
European Patent Convention 1973 R 55(c)
Schlagwörter: Zulässigkeit des Einspruchs (hängt nicht von Richtigkeit der vorgebrachten Tatsachen ab)
Offenkundige Vorbenutzung (nicht entschieden, Verweigerung des Einsprechenden bei Klärung des Sachverhalts)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Admissibility of opposition
Substantiation of the ground of opposition
Substantiation - public prior use
Inventive step (yes)
Novelty (yes)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0219/83
T 0129/88
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 12. Dezember 1986 eingereichte, die Priorität der deutschen Anmeldung DE-3 545 505 vom 20. Dezember 1985 beanspruchende europäische Patentanmeldung wurde am 11. April 1990 das europäische Patent Nr. 0 277 140 mit 6 Patentansprüchen erteilt, wobei die unabhängigen Ansprüche 1 und 5 folgenden Wortlaut haben:

"1. Verfahren zum Aufsuchen und Verfolgen einer Kehlnaht (1) beim Schutzgas-Lichtbogenschweißen, insbesondere beim Schweißen mit Kohlendioxid-Schutzgas, mittels eines über einen bahngesteuerten Manipulator bewegten Schweißbrenners, wobei vor dem Schweißen in einem Lehrvorgang die Ortskoordinaten einer oder mehrerer Nahtbezugspunkte gesucht und gespeichert werden, daraus die Ist-Lage der Kehlnaht (1) bestimmt wird und beim anschließenden Schweißen der Schweißbrenner (4) entlang einer in der Bahnsteuerung vorgegebenen und nach der Ist- Lage der Kehlnaht korrigierten Führungbahn bewegt wird, wobei der Schweißstrom gemessen und mit einem Sollwert verglichen wird, wobei die Ortskoordinaten durch mechanisches Berühren der Bezugspunktkonturen unter Abgabe eines elektrischen Kontaktsignals ermittelt werden, und beim Schweißen die Höhe des Schweißbrenners (4) über dem Nahtgrund (6) in Abhängigkeit vom Schweißstrom nachgeregelt wird."

"5. Vorrichtung zum Aufsuchen und Verfolgen einer Kehlnaht (1) beim Schutzgas-Lichtbogenschweißen, insbesondere beim Schweißen mit Kohlendioxid-Schutzgas, mit einem über einen bahngesteuerten Manipulator bewegten Schweißbrenner (4), einer Meß- und Steuereinrichtung zur Ermittlung und Speicherung der Ortskoordinaten eines oder mehrerer Nahtbezugspunkte sowie einer Meßeinrichtung für den Schweißstrom, und einer Schweißeinrichtung mit einer nach dem Schweißstrom geregelten Brennerhöhensteuerung, dadurch gekennzeichnet, daß der Manipulator eine auf mechanische Berührung ansprechende Tasteinrichtung (4, 9, 11) mit elektrischer Signalgebung aufweist."

II. Gegen das Patent wurde ein Einspruch eingelegt, der sich auf folgenden Stand der Technik stützte:

- (1) US-A-4 249 062

- offenkundige Vorbenutzung des Schweißroboters vom Typ Limat RT 280-6, dessen Lieferung ohne Geheimhaltungsverpflichtung vom Einsprechenden an die Firma Liebherr-France SA im Oktober 1985 unter Vorlage verschiedener Anlagen 1 bis 13 zum Beweis der Lieferung sowie zum Aufbau der Vorrichtung selbst, insbesondere der Bedienungs- und Programmieranleitung "Limat RT 280-6", für Rechnerprogramm V 4.20, Rechnertype LSI-11/23, geänderte Ausgabe 15.09.1984 (Anlage 12) und der Zeichnung Nr. RT-456A-00 "Antrieb" (Anlage 13) geltend gemacht wurde.

III. Mit Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 30. März 1995 wurde das Patent in der Fassung gemäß dem am 14. April 1992 eingereichten 3. Hilfsantrag des Patentinhabers, der nur die Verfahrensansprüche 1 bis 4 des Patents in der erteilten Fassung enthielt, aufrechterhalten. Die Vorrichtungsansprüche 5 und 6 hielt die Einspruchsabteilung nicht für bestandsfähig, da ihr Gegenstand im Hinblick auf die Informationen in den zum Beweis der Vorbenutzung eingereichten Anlagen 12 und 13 und in Anbetracht des allgemeinen Fachwissens keine erfinderische Tätigkeit aufwiese.

IV. Der Patentinhaber und der Einsprechende legten beide gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung am 28. Mai 1993 unter gleichzeitiger Entrichtung der entsprechenden Gebühr Beschwerde ein. Damit sind beide im vorliegenden Beschwerdeverfahren sowohl Beschwerdeführer als auch Beschwerdegegner. Im folgenden werden sie der Einfachheit halber als "Patentinhaber" und "Einsprechender" bezeichnet.

Eine Beschwerdebegründung wurde vom Patentinhaber am 27. Juli 1993 und vom Einsprechenden am 28. Juli 1993 eingereicht.

V. In seiner Beschwerdebegründung machte der Einsprechende geltend, daß der Gegenstand des von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Verfahrensanspruchs 1 angesichts der offenkundigen Vorbenutzung des seiner Ansicht nach den nächstliegenden Stand der Technik bildenden Schweißroboters vom Typ Limat RT 280-6 in Verbindung mit den Informationen aus der Entgegenhaltung (1) und in Anbetracht des allgemeinen Fachwissens keine erfinderische Tätigkeit aufweise. Zur Stützung seines Vorbringens legte er eine neue eidesstattliche Versicherung von Herrn G. Burget vom 29. September 1993 vor und beantragte, daß dieser als Zeuge im Verfahren vernommen werde. Herrn Burget zufolge weise der Schweißroboter alle wesentlichen beanspruchten Verfahrens- und Vorrichtungsmerkmale auf und sei der Firma Liebherr-France SA ohne Geheimhaltungsvereinbarung geliefert worden.

VI. Der Patentinhaber bezweckt mit seiner Beschwerde die Wiederherstellung der seines Erachtens von der Einspruchsabteilung zu Unrecht nicht aufrechterhaltenen Vorrichtungsansprüche. In seiner Beschwerdebegründung trug er vor, daß sich der Gegenstand des unabhängigen Vorrichtungsanspruchs 5 von den in Anlage 12 enthaltenen, recht unklaren Angaben über die Funktionsweise des angeblich vorbenutzten Schweißroboters nicht nur durch funktionelle, sondern auch durch - im übrigen dort nicht offenbarte - strukturelle Merkmale unterscheide. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Verfahren für gewährbar, die Vorrichtung hingegen nicht für gewährbar zu erklären, sei nicht nur in sich nicht schlüssig, sondern beruhe auch auf einer Ex-post-facto-Analyse.

Auf die Argumentation des Einsprechenden hin erwiderte der Patentinhaber, daß die vom Einsprechenden im Beschwerdeverfahren verspätet vorgebrachten neuen Beweismittel, insbesondere die eidesstattliche Versicherung von Herrn G. Burget vom 29. September 1993, wenig glaubwürdige Angaben enthielten, da sie im Widerspruch zum ursprünglichen Einspruchsvortrag stünden. Da die Vorbenutzung durch den Einsprechenden selbst erfolgt sei, habe diesem der tatsächliche Sachverhalt schon zu Beginn des Einspruchsverfahrens bekannt gewesen sein müssen. Der Einspruch und die von ihm ohne triftigen Grund verspätet vorgebrachten neuen Beweismittel sollten daher in diesem Stadium des Verfahrens für unzulässig erklärt werden.

VII. In dem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid vom 29. Juni 1995 sprach die Beschwerdekammer die vom Patentinhaber aufgezeigten Widersprüche und Unstimmikeiten zwischen dem ursprünglichen Vorbringen des Einsprechenden und der eidesstattlichen Versicherung von Herrn Burget vom 29. September 1993 an und wies auf eine zur Klärung des Sachverhalts eventuell erforderlich werdende Beweisaufnahme durch Vernehmung des angebotenen Zeugen hin.

Mit Schriftsatz vom 28. Juni 1995 teilte der Einsprechende mit, daß er zur mündlichen Verhandlung nicht erscheinen werde. Diese wurde daraufhin von der Beschwerdekammer wieder abgesetzt.

VIII. Mit Schriftsatz vom 31. Juli 1995 machte der Patentinhaber geltend, daß durch den Rückzug des Einsprechenden und die Aufhebung des Verhandlungstermins die von diesem behauptete offenkundige Vorbenutzung nicht bewiesen werden könne. Der Einsprechende habe mit der Beschwerdebegründung und der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des angebotenen Zeugen einen völlig anderen technischen Sachverhalt vorgetragen als mit seinem ursprünglichen Einspruch. Der Tatsachenvortrag gemäß dem Einspruch sei demnach offensichtlich falsch, so daß die Einspruchsschrift entgegen Regel 55 c) EPÜ nicht die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel enthalten habe. Damit sei der Einspruch unzulässig.

Aber auch wenn der Einspruch zulässig sein sollte, müsse die geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung wegen der widersprüchlichen Einlassung des Einsprechenden außer Betracht bleiben.

Deshalb sei es gerechtfertigt, das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.

IX. Der Patentinhaber erstrebt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und beantragt

- den Einspruch als unzulässig zu verwerfen (Regel 56 (1) EPÜ)

- hilfsweise den Einspruch und die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen (Art. 99 (1) und Regel 55 c) EPÜ) und das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten

- hilfsweise das Patent gemäß einer der am 14. April 1992 vorgelegten vier Fassungen entsprechend deren Reihenfolge aufrechtzuerhalten.

Der Einsprechende beantragt den Widerruf des Patents.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerden und des Einspruchs

Die Beschwerden sind zulässig. Sie sind beide form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb des vorgeschriebenen Zeitraums begründet worden (Art. 108 EPÜ).

Auch der Einspruch ist zulässig.

Gemäß Regel 55 c) EPÜ muß die Einspruchsschrift eine Erklärung darüber enthalten, in welchem Umfang gegen das europäische Patent Einspruch eingelegt und auf welche Einspruchsgründe der Einspruch gestützt wird, sowie die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel.

Diesen Anforderungen ist der Einsprechende hier gerecht geworden. Sein Einspruch richtete sich gegen den gesamten Umfang des Patents, wobei als Einspruchsgrund mangelnde Patentfähigkeit gemäß Artikel 100 a) EPÜ geltend gemacht wurde. Der Einspruch wurde auch ausführlich begründet und hierfür herangezogene Tatsachen und Beweismittel genannt.

Zu den Erfordernissen der Zulässigkeit eines Einspruchs gehört dagegen nicht, daß die gemachten Angaben auch richtig sind. Dies ist eine Frage der Begründetheit. Es ist auch für die Zulässigkeit des Einspruchs unbeachtlich, wenn den in der Einspruchsschrift gemachten Angaben durch spätere Einlassungen des Einsprechenden der Boden entzogen wird. Es kommt für die Zulässigkeit des Einspruchs lediglich darauf an, daß mit Ablauf der Einspruchsfrist die gemäß Regel 55 c) EPÜ vorgeschriebenen Angaben vorliegen.

2. Neuheit

2.1. Die beanspruchte Erfindung bezieht sich auf ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Aufsuchen und Verfolgen einer Kehlnaht beim Schutzgas-Lichtbogenschweißen. Der Nahtwurzelpunkt 6 bestimmt die Nahtlinie. Bei diesem Schweißverfahren wird in zwei Stufen vorgegangen:

a) Vor dem Schweißen wird die genaue Position eines oder mehrerer Schweißpunkte gesucht, die als Bezugspunkte dienen. Es handelt sich dabei in der Regel um Punkte, die auf der Kehlnaht liegen. Die ermittelten Ortskoordinaten dieser Nahtbezugspunkte werden in einer Steuereinrichtung gespeichert und dienen zur Korrektur der vorprogrammierten Führungsbahn eines Manipulators, der das Schweißbrennerrohr bewegt. Auf diese Weise folgt das Schweißbrennerrohr der Ist-Lage der Kehlnaht.

Um die genaue Lage eines Nahtbezugspunktes (z. B. des Anfangspunkts auf der Führungsbahn) festzustellen, werden die Berührungspunkte des Schweißbrennerrohres 4 mit den Nahtflanken 2 und 3 durch Hin- und Herbewegen des Schweißbrennerrohres nacheinander ermittelt. Es ist also das Schweißbrennerrohr selbst, das als Meßfühler herangezogen wird. Anhand der Koordinaten der Berührungspunkte wird anschließend die tatsächliche Lage des Nahtbezugspunkts, der sich auf dem Nahtwurzelpunkt 6 befindet, rechnerisch ermittelt.

Die genaue Lage der einzelnen Berührungspunkte wird durch die Tasteinrichtung nach Fig. 1 festgestellt. Sobald das Schweißbrennerrohr 4 gegen eine der Nahtflanken stößt, wird es um einen Schwenkpunkt 13 ausgelenkt. Dabei stellt sich eine Schaltscheibe 9 schräg, so daß ein Mikroschalter 11 unterbrochen wird. Das dadurch ausgelöste Schaltsignal wird in der Steuereinrichtung gespeichert.

Der in den Ansprüchen 1 und 5 gebrauchte Ausdruck "mechanisches Berühren" bezieht sich daher auf den mechanischen Kontakt zwischen dem Schweißbrennerrohr und den Nahtflanken. Mit dem Begriff "Tasteinrichtung" in Anspruch 5 ist der Mechanismus gemeint, der den Berührungspunkt aufspürt und ein entsprechendes elektrisches Schaltsignal gibt.

b) Während des Schweißvorgangs wird die genaue Lage der Kehlnaht durch das Schweißbrennerrohr verfolgt, damit Unregelmäßigkeiten oder Krümmungen im Nahtverlauf Rechnung getragen werden kann. Zu diesem Zweck wird der Abstand - die Höhe - zwischen dem Ende des Schweißbrennerrohres und der Kehlnaht (der möglichst gering sein sollte) in Abhängigkeit von den Änderungen des Schweißstroms geregelt. Der Meßwert wird anschließend laufend mit einem in der Steuereinrichtung gespeicherten Sollmaß verglichen.

Die Erfindung besteht also - wie es der Patentinhaber in seinem Schreiben vom 22. Mai 1991 auf Seite 4 definiert hat - in einer Kombination aus

- "mechanischem Nahtsuchen mit Konturenabtastung vor dem Schweißen und

- einer elektrischen Nahtverfolgung durch eine Brennerhöhensteuerung während des Schweißprozesses".

2.2. Bei den früheren Verfahren (insbesondere dem nach der Druckschrift DE-A-3 103 016, die in der Patentschrift in Spalte 1 genannt ist) führte die Pendelbewegung des Schweißbrennerrohres, die während des Schweißens zur Kontrolle der Bahnsteuerung erfolgte, wegen der Instabilität des Lichtbogens zu Ungenauigkeiten beim Messen des Schweißstroms, insbesondere dann, wenn CO2 als Schutzgas verwendet wurde. Es galt also, von der Pendelbewegung des Schweißbrennerrohres abzugehen und diese durch eine Steuerung während des Schweißprozesses zu ersetzen.

Die Entgegenhaltung (1), die ein Verfahren und eine Vorrichtung zum automatischen Schweißen beschreibt, stellt einen großen Fortschritt dar, da - wie beim Streitpatent - vor dem eigentlichen Schweißen das Schweißbrennerrohr selbst zum Aufsuchen der Bezugspunkte eingesetzt wird. Außerdem entfällt die Pendelbewegung des Schweißbrennerrohrs während des Schweißens, und die Höhe des Schweißbrennerrohrs über der Kehlnaht wird - wiederum wie beim Streitpatent - in Abhängigkeit von den Änderungen des Schweißstroms geregelt (vgl. Spalte 16, Zeilen 11 - 30).

Um die tatsächliche Lage der Kehlnaht und der Bezugspunkte vor dem Schweißen aufzuspüren, wird bei der Entgegenhaltung (1) wie folgt vorgegangen:

An das Schweißbrennerrohr wird eine Spannung von etwa 100 - 2000 V (Abb. 2, vgl. Spalte 5, Zeile 42) angelegt, auf den Nahtflanken werden abwechselnd Positionsmessungen vorgenommen (Fig. 4), und das Schweißbrennerrohr wird allmählich abgesenkt, bis der Schnittpunkt P6 der Nahtflanken präzise ermittelt worden ist. Da mit Hochspannung gearbeitet wird, entsteht ein Funkenüberschlag, wenn sich das Schweißbrennerrohr nacheinander den auf den Nahtflanken befindlichen Kontaktpunkten (P1 - P5) nähert. Der dadurch ausgelöste Stromfluß wird von einem Sensor 207 erfaßt, der die Positionsangaben für den jeweiligen Kontaktpunkt liefert. Da die Position zum Zeitpunkt des Funkenüberschlags, also noch vor dem eigentlichen Kontakt des Schweißbrennerrohrs mit den Nahtflanken, ermittelt wird, ist eine erste Korrektur ( Z) erforderlich, um die tatsächliche Position des jeweiligen Kontaktpunkts festzustellen. Diese Korrektur wird von einer Datenverarbeitungseinheit 40 berechnet (Spalte 7, Zeilen 1 - 26). Es bedarf dann noch einer zweiten Korrektur, um Unregelmäßigkeiten in der Dicke des Werkstücks Rechnung zu tragen (Spalte 9, Zeilen 54 - 58).

Bei der Entgegenhaltung (1) erfolgt das Abtasten der fiktiven Kontaktpunkte mit rein elektrischen Mitteln (Erfassen des durch den Funkenüberschlag erzeugten Stromflusses), während bei dem Streitpatent hierzu elektro-mechanische Mittel eingesetzt werden (mechanisches Absenken des Schweißbrennerrohres zum Kontaktpunkt, wodurch ein elektrisches Signal ausgelöst wird).

2.3. Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 5 unterscheidet sich also von der Lehre der Entgegenhaltung (1) durch die Merkmale "durch mechanisches Berühren der Bezugspunktkonturen" (Anspruch 1) und "auf mechanische Berührung ansprechende Tasteinrichtung" (Anspruch 5).

Der Vorteil, den dieser Unterschied bietet, besteht darin, daß das Abtasten der Nahtflanken durch eine direkte mechanische Berührung seitens des Schweißbrennerrohrs selbst einer echten Eichung unter realen Meßbedingungen entspricht. Diese Lösung ist einfacher, zuverlässiger und präziser als die in der Entgegenhaltung (1) vorgeschlagene, die mit Hilfe erheblich komplizierterer elektronischer Schaltungen und entprechender Datenverarbeitung erzielt wird, die notwendig sind, weil die Messungen laufend korrigiert werden müssen, da die Erfassung des Funkenüberschlags von der angelegten Spannung und dem Abstand zwischen dem Ende des Schweißbrennerrohrs und dem fiktiven Kontaktpunkt abhängt. Die erfindungsgemäße Messung hingegen braucht nicht weiter korrigiert zu werden, da der ermittelte Kontaktpunkt der tatsächlichen Position des Schweißpunktes entspricht und Unebenheiten in der Oberfläche sowie Abweichungen automatisch durch die Eichung berücksichtigt werden.

Alle diese Vorteile tragen zur Lösung der patentgemäßen Aufgabe bei (Spalte 1, Zeilen 45 - 50), die darin besteht, "eine einfache, genaue und betriebssichere Möglichkeit zum Aufsuchen und Verfolgen einer Kehlnaht aufzuzeigen, die auch unter Verwendung von Kohlendioxid als Schutzgas funktioniert".

2.4. Daß der Schweißroboter RT 280-6 offenkundig vorbenutzt worden ist, wird durch die als Beweismittel vorgelegten Auftrags- und Lieferbestätigungen zweifelsfrei belegt. Dieser Stand der Technik ist jedoch aus den folgenden Gründen nicht so relevant wie der Gegenstand der Entgegenhaltung (1):

- Nur die Bedienungs- und Programmieranleitung für den Roboter Limat RT 280 (Anlage 12) enthält einige Anhaltspunkte über den Ablauf des Schweißverfahrens. Unklar bleibt hingegen, ob vor dem Schweißen die tatsächliche Position der Schweißnaht aufgespürt wird. Ebenso unklar sind Art, Funktionsweise und Einsatz des in der Anleitung genannten "Sensors". Fest steht nur, daß dieser Sensor die Aufgabe hat, den Roboter anzuhalten (Abschn. 5.7, Seiten 1 und 2). Dem Absatz "Bemerkung" (Abschn. 5.7, Seite 3) ist zu entnehmen, daß es sich um einen Näherungsschalter handelt, der innerhalb einer bestimmten Entfernung nach dem Sollberührungspunkt anspricht und damit den Roboter zum Stillstand bringt. Der Entgegenhaltung läßt sich nicht entnehmen, daß der Schweißkopf selbst als Sensor dient und vor dem Schweißen zur Ermittlung der Koordinaten der Bezugspunkte eingesetzt wird.

- Während des Schweißvorgangs (Abschn. 5.8) können die Positionsdaten der Schweißnaht in Abhängigkeit des Abstands der Stromdüse vom Werkstück korrigiert werden. Dies erfolgt jedoch mittels einer Pendelbewegung des Schweißkopfes, was die erfindungsgemäße Lösung gerade vermeiden will (vgl. Patent, Spalte 1, Zeilen 15 - 25).

- Die Zeichnung RT-456 A-00 (Anlage 13) bezieht sich auf einen "Miniatur-Drucktaster". Nichts läßt jedoch darauf schließen, daß diese Zeichnung in einem Zusammenhang mit dem Roboter RT 280 steht. Außerdem ist die Zeichnung im Jahr 1986, also zu einem nach dem Prioritätstag des Patents liegenden Zeitpunkt, geändert worden; auch ist nicht bekannt, worin die Änderungen bestehen. Schließlich enthält die Zeichnung keine Angaben über die Funktionsweise oder den Einsatz des Drucktasters.

- In der eidesstattlichen Versicherung von Herrn G. Burget vom 29. September 1993 sind der Anspruch 1 und die vom Einsprechenden in seiner Beschwerdebegründung vom 28. Juli 1993 vorgetragenen Argumente fast wortgetreu wiedergegeben. Die Unabhängigkeit von Herrn Burget und die Glaubwürdigkeit dieser eidesstattlichen Versicherung erscheinen damit zweifelhaft, zumal der Einsprechende die offenkundige Vorbenutzung in seiner Beschwerdebegründung anders darstellt als in seinem Einspruchsvortrag vom 29. Dezember 1990, insbesondere was die Aufgabe des Sensors anbelangt. Auch wird auf Seite 2 der Beschwerdeschrift auf die Anlagen 4 und 5 Bezug genommen, in denen vom "Initiatorsuchen über Gasdüse" die Rede ist. Die Anlage 4 enthält jedoch zwei sich widersprechende Informationen mit unterschiedlichen Schreibweisen, nämlich "Sensor- programmverschiebung" und "Programmverschiebung erfolgt über Gasdüse. Es ist kein Sensor aufgebaut". Diese unterschiedlichen Angaben sind verwirrend und wecken Zweifel an der Richtigkeit der vorgetragenen Argumente.

Um diese Punkte klären und den Offenbarungsgehalt der offenkundigen Vorbenutzung des Schweißroboters Limat RT 280-6 feststellen zu können, hat die Kammer die Beteiligten zu einer mündlichen Verhandlung geladen und in einem vorausgehenden Bescheid die Streitfrage umrissen. Der Einsprechende und sein Vertreter haben jedoch auf eine Teilnahme verzichtet. Im vorliegenden Fall hängt der Offenbarungsgehalt der offenkundigen Vorbenutzung ganz wesentlich von der Richtigkeit der Erklärungen Herrn G. Burgets ab. Die vom Patentinhaber geltend gemachten und von der Beschwerdekammer bestätigten Widersprüche und Unstimmigkeiten hätten nur durch eine Befragung des als Zeugen benannten Herrn G. Burget und gegebenenfalls des Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung ausgeräumt werden können. Da der Einsprechende seine Mitwirkung versagt hat, sieht sich die Kammer veranlaßt, das in der eidesstattlichen Versicherung von Herrn G. Burget enthaltene im Widerspruch zur ursprünglichen Einlassung des Einsprechenden stehende Vorbringen nicht zu berücksichtigen. Der Nachteil des ungeklärten Sachverhalts geht zu Lasten des Einsprechenden. Zu einer weiteren Nachforschung ist die Kammer unter diesen Umständen nicht verpflichtet (vgl. T 219/83, ABl. EPA 1986, 211; T 129/88, ABl. EPA 1993, 598).

2.5. Da kein anderes Dokument dem Gegenstand der Ansprüche 1 und 5 so nahe kommt wie die Entgegenhaltung (1) (s. Nr. 2.3), ist auf Neuheit der Erfindung zu erkennen.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1. Es stellt sich die Frage, ob der Fachmann, ausgehend von der Lehre der Entgegenhaltung (1), auf die Idee gekommen wäre, die Position der Kehlnaht nicht auf indirektem elektrischem Wege, sondern durch direktes, mechanisches Abtasten der Nahtflanken zu ermitteln, um so das Verfahren zum Aufspüren der Kehlnaht entsprechend der Aufgabenstellung (s. Nr. 2.3) zuverlässiger und präziser zu machen.

Diese Frage ist zu verneinen, da die Entgegenhaltung (1) eine völlig andere Lösung vorschlägt, bei der das Schweißbrennerrohr mit Hochspannung belegt wird, so daß eine direkte Ermittlung der tatsächlichen Position ausgeschlossen ist.

Was die offenkundige Vorbenutzung anbelangt, so ist die Offenbarung nach den Anlagen 12 und 13 so unzulänglich, daß daraus nicht zweifelsfrei erkennbar wird, ob der Schweißkopf als Kontaktfühler zur Feststellung der Positionsdaten eines Bezugspunkts eingesetzt wird oder nicht.

3.2. Die Erfindung besteht in der beanspruchten Kombination, d. h. in der gleichzeitigen Anwendung und der Wechselwirkung der beiden unter Nr. 2.1 erwähnten wesentlichen Merkmale, auch wenn Vorrichtungen zur Erzeugung elektrischer Signale, die durch mechanische Fühler ausgelöst werden, im allgemeinen bekannt sind. Dadurch, daß bei dem Gegenstand des Streitpatents eine recht einfache mechanische Abtastvorrichtung verwendet wird, mit der vor dem Schweißen mit hoher Präzision die tatsächliche, genaue Position eines oder mehrerer Bezugspunkte auf der Kehlnaht ermittelt werden kann, kann später während des Schweißvorgangs auf die Kontrolle dieser Punkte mittels einer (ziemlichen langsamen) Pendelsuchbewegung verzichtet werden. Statt dessen wird nur eine rasche Kontrolle der Position der Kehlnaht anhand der ständigen Messung des Schweißstroms vorgenommen. Da die Kombination als solche nicht naheliegend ist, ist das Verfahren im Sinne des Artikels 56 EPÜ erfinderisch.

3.3. Da der Verfahrensanspruch 1 gewährbar ist, besteht kein Grund, den Vorrichtungsanspruch 5 zurückzuweisen, der alle für die Durchführung des Verfahrens nötigen Merkmale umfaßt. Es besteht auch kein Grund dazu, die Aufnahme näherer Einzelheiten über die Ausführung in den Vorrichtungsanpruch zu verlangen. Für die Vorrichtung dürfen keine engeren Anforderungen gelten als für das Verfahren. Der Maßstab, wie allgemein oder konkret Ansprüche zu formulieren sind, muß bei Vorrichtung und Verfahren der gleiche sein. Daher sind die unabhängigen Ansprüche 1 und 5 des erteilten Patents ebenfalls gewährbar.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Entscheidung der ersten Instanz wird aufgehoben.

2. Das Patent wird in der erteilten Fassung aufrechterhalten.

3. Die Beschwerde des Einsprechenden wird zurückgewiesen.

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