T 0268/93 (Wundbehandlung/INFECTLESS) of 16.5.1994

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1994:T026893.19940516
Datum der Entscheidung: 16 Mai 1994
Aktenzeichen: T 0268/93
Anmeldenummer: 90106312.3
IPC-Klasse: A01N 47/44
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Ringerlösung und dessen Anwendung als bakterizid wirkendes lokales Wundbehandlungsmedikament
Name des Anmelders: INFECTLESS S.A.
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
Schlagwörter: Neuheit (nein) - keine Auswahl
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/92
T 0084/83
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 2. April 1990 eingereichte und unter der Nr. 0 450 117 veröffentlichte europäische Patentanmeldung Nr. 90 106 312.3 wurde mit Entscheidung der Prüfungsabteilung zurückgewiesen. Die Anmeldung betrifft eine Ringerlösung und deren Anwendung als bakterizid wirkendes lokales Wundbehandlungsmedikament.

Der Entscheidung lag der am 31. März 1992 eingegangene Patentanspruch 1 zusammen mit den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 2 bis 9 zugrunde.

Die Anmeldung wurde mit der Begründung zurückgewiesen, daß die Aufnahme von Polyethylenbiguanidin in Anspruch 1 einen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ darstelle, da der Anspruch dadurch neue Gegenstände enthielte, die der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht zu entnehmen seien. Außerdem erfülle der Anmeldungsgegenstand nicht die Erfordernisse der Artikel 54 und ggf. 56 EPÜ im Hinblick auf die Entgegenhaltung:

(1) DE-A-3 537 627,

die die erfindungsgemäßen Antiseptika vollständig offenbare.

II. Die Beschwerdeführerin hat Beschwerde eingelegt und die Beschwerdegebühr entrichtet. Mit der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin neue Ansprüche 1 bis 8 eingereicht.

III. In einem Bescheid gemäß Artikel 110 (2) EPÜ wies die technische Beschwerdekammer die Beschwerdeführerin u. a. darauf hin, daß die aus der Eingabe vom 8. April 1991 ersichtliche Vorbenutzung des beanspruchten Wundbehandlungsmittels in mehreren Kliniken und Spitälern unter dem Produktnamen "Lavasept" vor dem Anmeldetag der Patentanmeldung eine neuheitsschädliche offenkundige Vorbenutzung darstellen könne (vgl. T 84/83 vom 29.09.1983, im ABl. EPA nicht veröffentlicht und G 1/92 ABl. EPA 1993, 277).

IV. Die Beschwerdeführerin hat mit dem am 7. April 1994 eingegangenen Schriftsatz auf den Bescheid der Kammer erwidert und neue Ansprüche 1 bis 9 eingereicht.

Anspruch 1 lautet wie folgt:

"Lokales Antiseptikum, das durch eine 500- bis 1000fache Verdünnung einer 20%igen wässrigen Polyhexamethylenbiguanidin-Hydrochloridlösung mit Ringerlösung hergestellt ist und das 0,01 bis 0,02g/Liter Polyethylenglycol mit einem Molekulargewicht von etwa 4000 gelöst enthält,

dadurch gekennzeichnet,

daß das Konzentrat pro 100 ml 1 g des Polyethylenglycols enthält und daß die Ringerlösung eine lactat-freie reine Ringerlösung ist."

Ansprüche 4 bis 9 betreffen das Antiseptikum nach Anspruch 1 für bestimmte Verwendungszwecke. Gegenstand der Ansprüche 2 und 3 sind Wundabdeckmaterialien (Gazen, Longuetten) bzw. Tamponaden getränkt mit dem Antiseptikum nach Anspruch 1.

Im übrigen legte die Beschwerdeführerin Bescheinigungen von neun Kliniken und Spitälern vor, in denen bestätigt wurde, daß die Zusammensetzung von "Lavasept" bis zum 2. April 1990 vor der Öffentlichkeit geheimgehalten wurde.

V. Eine mündliche Verhandlung fand am 16. Mai 1994 statt.

Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a) da die klinische Erprobung von "Lavasept" in neun Kliniken und Spitälern unter Geheimhaltung von dessen Zusammensetzung stattgefunden habe, sei diese Erprobung im Sinne der Entscheidung G 1/92 nicht als neuheitsschädlich anzusehen;

b) Gegenstand der Erfindung sei ein bestimmtes Lösungskonzentrat, aus dem sich das als "Lavasept" erprobte resorptionsfreie Antiseptikum durch Verdünnen mit lactatfreier reiner Ringerlösung zum sofortigen, gesundheitlich sicheren Gebrauch leicht herstellen lasse. Dieser Gegenstand sei der Entgegenhaltung (1), die sich hauptsächlich mit einem Desinfektionsmittel befaßt, nicht zu entnehmen, da darin die genauen, notwendigen Informationen über die vollständige Zusammensetzung des Konzentrates und über das richtige Verdünnungsmittel fehlten, die zu den mit "Lavasept" erzielten Heilerfolgen führten. Erst die vorliegende Anmeldung habe dem Fachmann durch die Ermittlung spezifischer Angaben über die genaue Konzentration des Polyethylenglykols und über das richtige Verdünnungsmittel die vollständige Lehre zum Herstellen eines lokal einsatzfähigen, resorptionsfreien Antiseptikums vermittelt.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patentes auf der Grundlage der am 7. April 1994 eingereichten Patentansprüche 1 bis 9.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die neu eingereichten Ansprüche 1 bis 9 sind unter Artikel 123 (2) EPÜ zulässig, da ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglichen Fassung nicht hinausgeht. Der Grund für die Zurückweisung durch die Prüfungsabteilung liegt nicht länger vor, da der Anspruch 1 mit der Eingabe vom 7. April 1994 entsprechend geändert wurde.

3. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

3.1. Entgegenhaltung (1) stellt den nächstliegenden Stand der Technik dar.

Entgegenhaltung (1) offenbart ein als lokales Antiseptikum bei der Wundbehandlung verwendbares Desinfektionsmittel in der Form eines Konzentrates, das von etwa 7 bis etwa 20 g Polyethylenglykol (z. B. mit einem Molekulargewicht von etwa 4000, siehe Seite 5, ersten Absatz) in einem Liter einer 20%igen wäßrigen Lösung des polymeren Biguanids (z. B. des Polyhexamethylenbiguanid-Hydrochlorids, siehe Anspruch 2) enthält. Durch Verdünnung des Konzentrates erhält man eine gebrauchsfertige Lösung (siehe Seite 5, Zeilen 9 bis 19).

Zur besonders bevorzugten Anwendung als Wundbehandlungsmittel wird das Konzentrat mit Ringer- oder Kochsalzlösung auf das etwa 500- bis 1000-fache verdünnt, so daß eine Gebrauchslösung entsteht, die etwa 0.2. - 0.4 g polymeres Biguanid und etwa 0.01 - 0.02 g Polyethylenglykol pro Liter enthält (siehe von Seite 5, Zeile 28 bis Seite 6 Zeile 2). Dieses Konzentrat wird als sehr gut gewebeverträglich und äußerst gering toxisch beschrieben (siehe Seite 6, Zeilen 7 bis 17). Auch wird dessen klinische Verwendung als Desinfektionsmittel, als Antiseptikum, als Mittel zur Tränkung und Spülung des Operationsgebietes und zum Abreiben von Implantaten mit Kompressen beschrieben (siehe von Seite 6, Zeile 17 bis Seite 7, Zeile 10).

Somit wird in Entgegenhaltung (1) u. a. eine als Wundbehandlungsmittel verwendbare Gebrauchslösung, erhältlich durch 500- bis 1000-fache Verdünnung mit Ringerlösung eines 20% Polyhexamethylenbiguanidin- Hydrochlorid und 1 g pro 100 ml Polyethylenglykol 4000 enthaltenden Konzentrates, expressis verbis offenbart.

3.2. Anspruch 1 bezieht sich auf ein lokales Antiseptikum erhältlich durch 500- bis 1000-fache Verdünnung mit Lactat-freier reiner Ringerlösung eines Konzentrates enthaltend 20% Polyhexamethylenbiguanidin-Hydrochlorid und 1 g pro 100 ml Polyethylenglykol 4000.

3.3. Nach der Meinung der Beschwerdeführerin stellen die zwei im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 angegebenen Merkmale "1 g pro 100 ml Polyethylenglycol" und "daß die Ringerlösung eine lactat-freie reine Ringerlösung ist" die sich von der Entgegenhaltung (1) im Sinne einer Auswahl unterscheidenden Merkmale dar, die mit dem technischen Effekt der resorptionsfreien, gewebeverträglichen, antiseptischen Wirkung verbunden sind.

Die Kammer kann dieser Auffassung aus folgenden Gründen nicht folgen.

3.3.1. Erstens ist, wie oben ausgeführt (siehe Punkt 3.1, letzten Absatz), das Merkmal "1 g pro 100 ml Polyethylenglycol" schon in der Entgegenhaltung (1) expressis verbis offenbart. Die Beschwerdeführerin hat zur Unterstützung ihres Arguments nichts vorgebracht, was die Neuheit im Sinne einer Auswahlerfindung hätte herstellen können, beispielweise, daß der technische Effekt der resorptionsfreien, gewebeverträglichen antiseptischen Wirkung überraschend ausschließlich bei dieser Konzentration des Polyethylenglykols, und nicht im Rahmen der in der Entgegenhaltung (1) auch offenbarten Bereiche erzielt werden konnte. Deswegen kann hier eine gezielte Auswahl aus der in der Entgegenhaltung (1) expressis verbis erwähnten Möglichkeiten nicht vorliegen.

3.3.2. Zweitens versteht der Fachmann unter der in der Entgegenhaltung (1) angegebenen Bezeichnung "Ringerlösung" eine Standard-Ringerlösung, d.h. eine reine, isotonische Salzlösung, die z. B. als Nährmedium für Frischgewebe sowie zur i.v. Infusion verwendet wird und die Natrium-, Kalium- u. Kalziumchlorid sowie Natriumbikarbonat enthält. Eine solche Ringerlösung enthält kein Lactat. Eine Lactat-enthaltende Ringerlösung stellt eine spezielle, modifizierte Ausführungsform dar, die als Hartmann's Lösung bekannt ist. Diese würde der Fachmann aus der Entgegenhaltung (1) nicht entnehmen.

Somit kann das in Anspruch 1 angegebene Merkmal "die Ringerlösung ist eine lactatfreie reine Ringerlösung" nicht als unterscheidendes Merkmal gegenüber Entgegenhaltung (1) angesehen werden.

3.3.3. Diese Argumente gelten auch für den Gegenstand der abhängigen, zweckgebundenen Ansprüche 4 bis 9, da die darin enthaltene Zweckangabe kein beschränkendes Unterscheidungsmerkmal darstellt.

3.4. Folglich ist der Gegenstand der Ansprüche 1, 4 bis 9 im Sinne von Artikel 54 (1) und (2) EPÜ nicht neu, weil er kein Merkmal enthält, das ihn von dem in der Entgegenhaltung (1) offenbarten Gegenstand objektiv unterscheidet. Aus diesem Grund kann dem Antrag der Beschwerdeführerin nicht stattgegeben werden und die Beschwerde muß zurückgewiesen werden.

4. Offenkundige Vorbenutzung

Unter diesen Umständen erübrigt sich die Frage, ob das beanspruchte Antiseptikum unter dem Namen "Lavasept" schon vor dem Anmeldetag der Patentanmeldung durch offenkundige Vorbenutzung im Sinne von Artikel 54 (2) EPÜ zugänglich gemacht worden ist (siehe Punkt III).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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