European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1983:T008483.19830929 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 29 September 1983 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0084/83 | ||||||||
Anmeldenummer: | 79100854.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | - | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Winkelspiegel | ||||||||
Name des Anmelders: | Luchtenberg GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit Öffentlichkeit/zugänglich gemachter Stand der Technik inventive step public/state of the art being made available |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Auf die am 21. März 1979 unter Inanspruchnahme der Priorität einer früheren Anmeldung vom 19. Mai 1978 angemeldete europäische Patentanmeldung 79 100 854.3 ist am 1. April 1981 das zwei Patentansprüche umfassende europäische Patent 0 005 437 erteilt worden.
Der Patentanspruch 1 lautet:
"1. Winkelspiegel mit einem rückseitig mit Spiegelbelag beschichteten einstückigen Spiegelglas mit zwei relativ zueinander schräggestellten Spiegelflächen, die von einem gemeinsamen Rahmen umgeben sind, dadurch gekennzeichnet, daß die Spiegelflächen (10, 11) durch einen von Spiegelbelag freien Strich (14) voneinander getrennt sind."
Wegen des Wortlauts des Anspruchs 2 wird auf die Patentschrift verwiesen.
II. Nachdem die Hohe KG, D-6981 Collenberg, gestützt auf die deutsche Patentschrift 820 194, die deutsche Offenlegungsschrift 2 032 531, die Unterlagen des deutschen Gebrauchsmusters 7 505 496 und die behauptete offenkundige Vorbenutzung eines dem Einspruchsschriftsatz in einem Muster beigefügten Spiegelglases gegen die Erteilung des Patents Einspruch erhoben hatte, hat die Einspruchsabteilung durch Entscheidung vom 13. Dezember 1982 den Einspruch zurückgewiesen und das Patent in unveränderter Form aufrechterhalten.
III. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende am 4. Februar 1983 Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdegebühr hat sie am 7. Februar 1983 gezahlt und die Beschwerde in einem am 14. April 1983 eingegangenen Schriftsatz begründet.
IV. Zur Begründung verweist sie schriftlich und in der mündlichen Verhandlung am 29. September 1983 noch auf die USA-Patentschrift 4 023 029 und behauptet, zum Stand der Technik gehöre noch ein anderer offenkundig vorbenutzter Weitwinkelspiegel mit zwei unterschiedlich gekrümmten Spiegelflächen. Dieser aus einteiligem Spiegelglas bestehende Spiegel sei zwischen den beiden Spiegelflächen mit einer Trennungslinie versehen gewesen, die dadurch hergestellt worden sei, daß die auf der Vorderseite des Spiegels aufgebrachte reflektierende Schicht im Bereich der Linie durch Sandstrahlen entfernt worden sei. Ein Muster dieses Spiegels sei Monate vor dem in Anspruch genommenen Prioritätstag in das Fahrzeug des Zeugen Höfling eingebaut worden. Die Einsprechende ist der Auffassung, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 durch diesen Spiegel und den in den Unterlagen des deutschen Gebrauchsmusters 7 505 496 beschriebenen Winkelspiegel nahegelegt sei.
Sie beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, das europäische Patent zu widerrufen und die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen.
V. Die Patentinhaberin stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen. Sie hält das erteilte Patent mit der Maßgabe aufrecht, daß im Oberbegriff des Anspruchs 1 in Zeile 4 hinter dem Wort "die" eingefügt wird "in einer nicht verdeckten Knicklinie aneinander angrenzen" und in Spalte 1, Zeilen 26 und 27, der Beschreibung die Worte "ohne Trennungsstrebe" gestrichen werden, und meint, der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe auch unter Berücksichtigung des im Beschwerdeverfahren genannten Stands der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit.
VI. Über die behauptete offenkundige Vorbenutzung ist durch Vernehmung des Zeugen Herrn Manfred Höfling Beweis erhoben worden. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 29. September 1983 verwiesen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; auch die Erfordernisse der Regel 64 (b) EPÜ sind nämlich erfüllt.
Durch die angefochtene Entscheidung ist der auf mangelnde Patenfähigkeit des Gegenstands des Patents gestützte Einspruch zurückgewiesen worden. Die Formulierung im Beschwerdeschriftsatz, gegen diese Entscheidung werde Beschwerde eingelegt, ist daher so zu verstehen, daß die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und der Widerruf des europäischen Patents in vollem Umfang begehrt werden (vgl. auch Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.1 in der Sache T 07/81 vom 14. Dezember 1982, A Bl. EPA 3/1983, S. 98, 99).
Die Beschwerde ist daher zulässig.
2. Zur Frage der Neuheit des Winkelspiegels nach Anspruch 1 ist folgendes auszuführen:
2.1 Nach Prüfung der im Recherchenbericht und der von der Einsprechenden genannten weiteren Druckschriften kommt die Kammer zu dem Ergebnis, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 diesem Stand der Technik gegenüber neu ist. Das braucht, da auch die Einsprechende insoweit die Neuheit nicht bestritten hat, im einzelnen nicht belegt zu werden.
2.2 Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme wies der von der Einsprechenden in mehreren Mustern hergestellte asphärische Spiegel zwei unterschiedlich gekrümmte, übergangslos ineinander übergehende Spiegelflächen, einen auf der Vorderseite angeordneten Spiegelbelag und eine Trennlinie zwischen beiden Spiegelflächen auf. Die auf der Vorderseite des Spiegels befindliche Trennlinie wurde gebildet von einem von Spiegelbelag freien Strich, der dadurch hergestellt war, daß der Spiegelbelag in diesem Bereich durch Sandstrahlen entfernt worden war.
2.3 Der Zeuge hat bekundet, daß mehrere Spiegel mit diesen Merkmalen, die sich nur insofern unterschieden, als die Spiegelflächen unterschiedliche Krümmungsradien aufwiesen, etwa ab der zweiten Hälfte des Jahres 1977 nacheinander in sein für Dienstfahrten benutztes Privatfahrzeug eingebaut worden sind und daß er mit dem mit einem solchen Spiegel ausgestatteten Fahrzeug in der Zeit von Ende 1977 bis Anfang 1978 verschiedene Automobilfabriken besucht hat.
Hinsichtlich der Zeitangabe des Einbaus des ersten Spiegels erscheinen die Aussagen des Zeugens dadurch abgesichert, daß er nach seinem Bekunden das Fahrzeug erst wenige Wochen vor dem Einbau erworben hatte. Da es zu den dienstlichen Obliegenheiten des Zeugen gehörte, Automobilfabriken zu besuchen, sieht die Kammer ferner keinen Anlaß, seine Angabe, er habe das in sein Kraftfahrzeug eingebaute Muster eines Spiegels der in Rede stehenden Art bei Besuchen in der Zeit von Ende 1977 bis Anfang 1978 vorgestellt, hinsichtlich des Zeitraums in Zweifel zu ziehen. Der genannte Zeitraum schließt sich in einem plausiblen Abstand an den Einbau des ersten Spiegels an. Es entspricht der Lebenserfahrung, daß Großabnehmer zur Pflege der Geschäftsbeziehungen von Außendienstmitarbeitern ihre Lieferanten in nicht zu großen Zeitabständen aufgesucht werden und daß derartige Besuche auch dazu benutzt werden, um Neuentwicklungen vorzustellen und zugleich bei dieser Gelegenheit festzustellen, ob beim Abnehmer ein Interesse an der Neuentwicklung besteht. Solche Besuche finden erfahrungsgemäß wegen des Konkurrenzkampfes zwischen den auf demselben Gebiet tätigen Firmen nicht lange nach dem Zeitpunkt statt, zu dem ein Muster der Neuentwicklung vorliegt.
Gegen die Richtigkeit der Angaben des Zeugen können daher insoweit keine Bedenken erhoben werden.
2.4 Der Einbau und die Vorstellung der Spiegel stellen nach Auffassung der Kammer Handlungen dar, die geeignet waren, die im Abschnitt 2.2 aufgeführten Merkmale der Spiegel einer beliebigen Zahl von Personen kundbar zu machen.
2.4.1 Nach Aussage des Zeugen hat dieser den in sein Kraftfahrzeug eingebauten Spiegel Angehörigen der Entwicklungs- und Forschungsabteilungen der von ihm besuchten Firmen als Neuheit vorgestellt, indem er sie veranlaßte, sich den Spiegel anzuschauen. Abgesehen davon, daß ein Betrachter die auf der Vorderseite befindliche Trennlinie und ihre Bildung durch Entfernen des Spiegelbelags durch Sandstrahlen unmittelbar, also ohne Ausbau des Spiegelglases aus dem Rahmen, erkennen konnte, hat der Zeuge bekundet, daß er auf Befragen die Herstellung der Trennlinie durch Sandstrahlen sowie die Möglichkeit, die Linie auch durch Ätzen, d.h. ebenfalls durch Entfernen des Spiegelbelags, herzustellen, erwähnt hat.
Durch die Vorstellung des Spiegels in den vom Zeugen besuchten Automobilfabriken konnte eine unbestimmte Zahl von Personen, unter denen sich auf jeden Fall auch Sachverständige befanden, von den hier wesentlichen Merkmalen des Spiegels Kenntnis nehmen. Eine Geheimhaltung der Ausbildung des vorgestellten Spiegels ist nicht vereinbart worden. Von einer begründeten Erwartung, daß der Gegenstand der Vorführung vertraulich behandelt werde, konnte unter den vom Zeugen geschilderten Umständen der Vorstellung des Spiegels auch nicht ausgegangen werden.
2.4.2 Im übrigen stellt nach Ansicht der Kammer schon der Umstand, daß der Spiegel in ein am öffentlichen Verkehr teilnehmendes Fahrzeug eingebaut war, eine der Öffentlichkeit zugängliche Benutzung der in Rede stehenden Merkmale dar. Erfahrungsgemäß wird ein Kraftfahrzeug, das ständig benutzt wird, während eines Zeitraums von über 6 Monaten auch auf öffentlichen Verkehrsflächen abgestellt. Dort ist es aber der Betrachtung durch Dritte zugänglich. Daher bestand insoweit die nicht zu entfernte Möglichkeit, daß Mitglieder der Öffentlichkeit und damit auch sachkundige Personen, die nicht zur Geheimhaltung verpflichtet waren und deshalb von ihrer Kenntnis freien Gebrauch machen konnten, von den für den vorliegenden Fall wesentlichen Merkmalen des Spiegels Kenntnis nehmen konnten; daß die Merkmale, auf die es im vorliegenden Zusammenhang ankommt, am eingebauten Spiegel zu erkennen waren, ist schon ausgeführt.
2.5 Die Beweisaufnahme hat demnach zur Überzeugung der Kammer ergeben, daß ein Rückspiegel mit den im Abschnitt 2.2 aufgeführten Merkmalen vor dem in Anspruch genommenen Prioritätstag vom 19. Mai 1978 der Öffentlichkeit durch Benutzung zugänglich geworden ist und daher gemäß Artikel 54 (2) und 56 EPÜ zu dem bei der Prüfung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit zu berücksichtigenden Stand der Technik gehört.
2.6 Von diesem Spiegel unterscheidet sich der Winkelspiegel nach Anspruch 1 schon dadurch, daß seine Spiegelflächen nicht übergangslos ineinander übergehen, sondern in einer nicht verdeckten Knicklinie aneinander angrenzen.
2.7 Der Winkelspiegel nach Anspruch 1 ist daher gegenüber diesem Stand der Technik neu.
3. Die Prüfung, ob der aufgedeckte Stand der Technik den Gegenstand des Anspruchs 1 nahegelegt hat, ergibt folgendes:
3.1 Nach der Patentschrift liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, einen Winkelspiegel der durch die Unterlagen des deutschen Gebrauchsmusters 7 505 496 bekanntgewordenen Art zu schaffen, der dem Fahrer eines mit dem Spiegel ausgerüsteten Fahrzeugs eine klare Unterscheidung der Spiegelbilder beider Spiegelflächen ermöglicht. Diese Aufgabe ergibt sich für den Fachmann aufgrund der praktischen Erfahrung, daß bei dem bekannten Spiegel der Fahrer nicht ohne weiteres erkennen kann, wo sich ein Fahrzeug, das er in dem Spiegel sieht, genau befindet.
3.2 Für die in der Anmeldung vorgeschlagene Lösung der Aufgabe bot der durch Benutzung der Öffentlichkeit zugänglich gewordene asphärische Spiegel der Einsprechenden (im folgenden kurz als vorbenutzter Spiegel bezeichnet) ein Vorbild.
3.2.1 Wie schon erwähnt, sind bei diesem Spiegel beide Spiegelflächen durch einen von Spiegelbelag freien Strich voneinander getrennt. Der Fachmann erkennt ohne weiteres, daß durch diese Trennlinie die beiden Flächen deutlich unterscheidbar voneinander abgegrenzt sind und daß der Benutzer deshalb bemerkt, auf welcher der beiden Spiegelflächen er ein Fahrzeug erblickt. In Kenntnis dieses Spiegels lag es nahe, auch bei einem Spiegel der in den Unterlagen des deutschen Gebrauchsmusters 7 505 496 beschriebenen Art die beiden Spiegelflächen durch einen von einer linienförmigen Lücke im Belag gebildeten Strich voneinander zu trennen.
3.2.2 Als Beweisanzeichen dafür, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, kann auch nicht gewertet werden, daß bei ihm der Strich "auf der Rückseite des Spiegels verläuft und infolgedessen die Spiegelvorderseite im Unterschied zu jener des vorbenutzten Spiegels unbeeinträchtigt bleibt. Diese Anordnung ergibt sich bei Anwendung der durch den vorbenutzten Spiegel vermittelten Lehre bei einem Winkelspiegel mit rückseitigem Spiegelbelag zwangsläufig.
3.3 Nach alledem beruht der Winkelspiegel gemäß Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit in Sinne des Artikels 56 EPÜ. Dieser Anspruch kann deshalb nicht gewährt werden (Artikel 52 EPÜ).
4. Der Patentanspruch 2 ist auf den Anspruch 1 rückbezogen. Da dieser Anspruch nicht gewährbar ist, kann auch der von ihm abhängige Anspruch 2 nicht gewährt werden.
5. Ihren Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr begründet die Einsprechende damit, daß in der angefochtenen Entscheidung nicht auf die zur Begründung des Einspruchs genannte deutsche Offenlegungsschrift 2 032 531 und auf die behauptete offenkundige Vorbenutzung eingegangen sei. Dies trifft zu. Die angefochtene Entscheidung verstößt deshalb insoweit gegen die Begründungspflicht nach Regel 68 (2) EPÜ und leidet daher an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Da der Beschwerde stattzugeben ist, entspricht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr der Billigkeit.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das europäische Patent Nummer 0 005 437 wird widerrufen.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.