T 1042/92 (Abhilfe/KOHLENSÄURE-WERKE) of 28.10.1993

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1993:T104292.19931028
Datum der Entscheidung: 28 October 1993
Aktenzeichen: T 1042/92
Anmeldenummer: 90113674.7
IPC-Klasse: A01M 17/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Entwesen von Gebäuden
Name des Anmelders: KOHLENSÄURE-WERKE RUD. BUSE GMBH & CO.
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 109
Schlagwörter: Abhilfe: Prüfungsabteilung hat eine Frist von einem Monat
Interlocutory revision
decision re appeals - remittal
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0139/87
T 0047/90
T 0219/93
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 17. Juli 1990 von der Beschwerdeführerin eingereichte, europäische Patentanmeldung Nr. 90 113 674 (Veröffentlichungsnummer EP-A-416 255) wurde mit der am 11. Juni 1992 zur Post gegebenen Entscheidung der Prüfungsabteilung zurückgewiesen.

II. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß der im mit Schreiben vom 15. Oktober 1991 eingereichten Anspruch 1 benutzte Begriff "weitgehend" vage und unbestimmt sei und somit der Anspruch 1 die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ im Hinblick auf die Deutlichkeit nicht erfülle.

Obwohl die Zurückweisungsentscheidung sich nicht mit der Auslegung des undeutlichen Anspruchs befaßt, wurde die Zurückweisung weiter damit begründet, daß ein klargesteller Anspruch 1 wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit seines Gegenstandes (Artikel 52 und 56 EPÜ) - im Hinblick auf die Druckschriften GB-A-490 008 und EP-A-113 321 - nicht gewährbar sei.

III. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin am 9. Juli 1992 unter gleichzeitiger Zahlung der Gebühr Beschwerde eingelegt und diese am 20. Oktober 1992 begründet.

Mit der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin einen neuen Anspruch 1 eingereicht. Sie hat die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patentes auf der Grundlage dieses neuen Anspruchs 1 beantragt.

Dieser Anspruch lautet wie folgt:

"1. Verfahren zum Entwesen von Gebäusen für die Lagerung und/oder Verarbeitung von organischen Produkten, insbesondere von Mühlen, wobei

a) der Innenraum des Gebäudes gegenüber der Außenatmosphäre abgedichtet wird;

b) der Luftinhalt des Gebäudes auf eine erhöhte Temperatur gebracht wird;

c) Kohlendioxid in den Innenraum des Gebäudes eingebracht wird;

d) die Abdichtung des Gebäudes wieder entfernt und der Innenraum des Gebäudes entlüftet werden

dadurch gekennzeichnet, daß

e) der Luftinhalt des Gebäudes auf eine Temperatur zwischen 35 und 50 C gebracht und so lange auf dieser Temperatur gehalten wird, bis die Innenwände des Gebäudes eine Temperatur von zumindest 27 C angenommen haben;

f) der Luftinhalt des Gebäudes durch eine Kohlendioxidluftatmosphäre mit einem Anteil an Kohlendioxid von mindestens 60 % einer Temperatur zwischen 30 und 40 C ersetzt wird und

g) die Kohlendioxidluftatmosphäre bei dieser Temperatur während einer Zeitspanne von wenigen Stunden bis zu wenigen Tagen aufrechterhalten wird."

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulässigkeit der Änderungen

Der geltende Anspruch 1 enthält den Ausdruck "mindestens 60 %", der den im der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Anspruch 1 enthaltenen Begriff "weitgehend" ersetzt. Anstelle des in diesem Anspruch enthaltenen Merkmals, nach welchem "der Luftinhalt des Gebäudes weitgehend durch eine Kohlendioxidluftatmosphäre ... ersetzt wird", enthält der geltende Anspruch 1 das Merkmal, nach welchem "der Luftinhalt des Gebäudes durch eine Kohlendioxidluftatmosphäre mit einem Anteil an Kohlendioxid von mindestens 60 % ... ersetzt wird".

Eine solche Änderung hat eine Basis in der ursprünglichen Beschreibung (Seite 7, Zeilen 5 bis 7 und Patentanspruch 1, Zeilen 10 bis 12). Diese Änderung stellt somit die richtige Interpretation des im der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Anspruch 1 enthaltenen Begriffes "weitgehend" dar.

Nach Auffassung der Kammer ist diese Änderung nicht unter Artikel 84 EPÜ zu beanstanden und entspricht den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ.

3. Neuheit und erfinderische Tätigkeit

3.1. Die Beurteilung der Schutzfähigkeit einer Patentanmeldung im Hinblick auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit setzt die Identifizierung des Gegenstandes voraus, für welchen Schutz begehrt wird. Nach Artikel 84, erster Satz sowie Regel 29 (1) EPÜ müssen die Patentansprüche diesen Gegenstand angeben.

In den meisten Fällen kann dieser Gegenstand auf der Grundlage des Wortsinnes eines Patentanspruches identifiziert werden. Enthält aber ein Patentanspruch einen undeutlichen Ausdruck, infolge dessen er den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ nicht entspricht, dann kann trotzdem die Identifizierung des Gegenstandes des Schutzbegehrens durch Interpretation des undeutlichen Ausdrucks erreicht werden, wobei bei dieser Interpretation die ursprüngliche Offenbarung als Ganzes heranzuziehen ist. Die Beurteilung der Schutzfähigkeit im Hinblick auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit sollte sich dann auf den Gegenstand des interpretierten Anspruchs beziehen.

3.2. Im vorliegenden Fall beanstandete die Prüfungsabteilung den Begriff "weitgehend" hinsichtlich der Deutlichkeit (Artikel 84 EPÜ) und begründete damit die Zurückweisung der Anmeldung. In der Zurückweisungsentscheidung befaßte sich die Prüfungsabteilung auch mit der Beurteilung der Patentfähigkeit des Gegenstandes eines "klargestellten" Anspruchs im Hinblick auf die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit.

3.2.1. Es geht aber nicht aus der Zurückweisungsentscheidung hervor, wie der Anspruch klargestellt worden ist oder wie er zu interpretieren ist. Anders gesagt: Die Zurückweisungsentscheidung enthält keine explizite Interpretation des Anspruchs 1 im Hinblick auf den unbestimmten Begriff "weitgehend".

3.2.2. Außerdem kann man nicht aus der Zurückweisungsentscheidung herleiten, daß die Beurteilung der Patentfähigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 auf einer Interpretation des Begriffes "weitgehend" basiert, die in impliziter Weise eine Kohlendioxidluftatmosphäre mit einem Anteil an Kohlendioxid von mindestens 60 % voraussetzt. Denn weder die Druckschrift GB-A-490 008, die von der Prüfungsabteilung als nächstkommender Stand der Technik angesehen wurde, noch die EP-A-113 321, deren Offenbarung mit der des nächstkommenden Standes der Technik zum Verneinen der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes des "klargestellten" Anspruchs 1 kombiniert wurde, beschreiben die Anwendung einer Kohlendioxidluftatmosphäre mit einem Anteil an Kohlendioxid von mindestens 60 %.

In diesem Zusammenhang wird auf folgendes hingewiesen:

(i) Die Druckschrift GB-A-490 008 beschreibt ein Verfahren, das sich zum Entwesen von Gebäuden eignet, bei welchem der Innenraum des Gebäudes gegenüber der Außenatmosphäre abgedichtet, der Luftinhalt auf eine Temperatur von zumindest 25°C (77°F) gebracht, Kohlendioxid für 10 bis 15 Minuten in den abgedichteten Raum eingeführt und ein toxisches Gas eingeleitet wird (siehe insbesondere Seite 3, Zeilen 87 bis 106). Die Dosierung des Kohlendioxides entspricht einer Kohlendioxidluftatmosphere mit einem Anteil von wenigen Prozenten Kohlendioxid (siehe Seite 3, Zeilen 118 bis 124). Bei diesem bekannten Verfahren hat die Einführung von Kohlendioxid einen ganz anderen Zweck, nämlich die Anregung der Atmung der Insekten; die eigentliche Entwesung wird durch die Einführung von Schwefeldioxidgas (siehe Seite 3, Zeilen 97 bis 106) erreicht.

(ii) Die Druckschrift EP-A-113 321 offenbart eine Entwesung mit einem Gasgemisch von 0 bis 5 % Sauerstoff, 1 bis 20 % Kohlendioxid und einem Rest Stickstoff.

3.2.3. Aus der in der Zurückweisungsentscheidung enthaltenen Vergleichsanalyse der Druckschrift GB-A-490 008 in bezug auf den Wortlaut des Anspruchs 1 (Absätze 2.1 und 2.2 der Begründung) geht hervor, daß der der Prüfung hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit zugrundegelegte Gegenstand des Anspruchs 1 einem Verfahren entspricht, bei welchem der Anteil an Kohlendioxid beliebige Werte haben kann. Dies erweckt den Anschein, als ob die Prüfungsabteilung der Prüfung einen den Ausdruck "weitgehend" nicht enthaltenen Anspruch 1 zugrunde gelegt hat. Eine solche Interpretation, die den Gegenstand des Anspruchs auch auf Verfahren erweitert, bei welchen der Anteil an Kohlendioxid sehr kleine Werte haben kann, widerspricht sowohl der ursprünglichen Beschreibung als auch der den Sprachgebrauch entsprechenden Bedeutung des Begriffes "weitgehend".

3.3. Der Beurteilung der Patentfähigkeit des Anspruchs 1 im Hinblick auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit - wie sie aus der angefochtenen Entscheidung folgt - wurde somit ein Gegenstand zugrunde gelegt, der dem Gegenstand, für welchen Schutz begehrt wird, nicht entspricht.

4. Die Beschwerdeführerin hat mit der Beschwerdebegründung Änderungen vorgenommen, die die Ambiguität des beanstandeten Begriffes "weitgehend" völlig ausräumen und es ermöglichen, den Gegenstand des Schutzbegehrens deutlich zu definieren. Der durch den geänderten Anspruch 1 deutlich definierte Gegenstand entspricht dem in der angefochtenen Entscheidung als nicht erfinderisch angesehenen Gegenstand nicht.

Somit machen die mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Änderungen alle Einwände (mangelnde Deutlichkeit des Anspruchs 1 und mangelnde erfinderische Tätigkeit seines Gegenstandes), auf welchen die angefochtene Entscheidung basiert, gegenstandlos.

Diese Änderungen stellen nicht nur den Gegenstand des Anspruchs 1 klar, auf welchen sich die angefochtene Entscheidung bezieht, sondern beschränken auch diesen Gegenstand und schaffen damit eine neue Sachlage, die eine Prüfung erfordert, die über die in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Betrachtungen hinaus geht. Insofern sind sie als wesentlich zu betrachten.

5. Im vorliegenden Fall wurde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung eine Beschwerde eingereicht, hinsichtlich deren Zulässigkeit keine Zweifel bestehen. Infolge der Betrachtungen im Abschnitt 4 ist die Beschwerde im Sinne des Artikels 109 (1) EPÜ als begründet anzusehen.

Unter diesen Umständen hätte die Prüfungsabteilung innerhalb der ihr zur Verfügung stehenden Frist von einem Monat (Artikel 109 (2) EPÜ) der Beschwerde aufgrund von Artikel 109 (1) EPÜ abhelfen müssen.

5.1. Die Kammer folgt hierin der Entscheidung T 139/87, Abl. EPA 1990, 69, nach welcher "eine Beschwerde als begründet angesehen werden muß, wenn die vom Anmelder (Beschwerdeführer) eingereichten Änderungen die Einwände, auf die sich die Entscheidung stützt, eindeutig gegenstandlos machen" (vgl. Abschnitt 4 der Gründe), sowie der Entscheidung T 47/90, Abl. EPA 1991, 486, nach welcher eine Beschwerde als begründet angesehen werden kann, "wenn der Beschwerdeführer nicht mehr an einem Patent mit dem von der Prüfungsabteilung zurückgewiesenen Wortlaut festhält, sondern wesentliche Änderungen des Wortlautes vorschlägt..." (vgl. Leitsatz).

5.2. Die Kammer folgt hierin auch der Entscheidung T 219/93 vom 16. September 1993 (nicht veröffentlicht). Nach dieser Entscheidung ist es aus grundsätzlichen Erwägungen nicht opportun, daß beim Vorliegen von neuen Ansprüchen, die "der Begründung der angefochtenen Entscheidung den Boden entziehen", die Kammer im Rahmen der Zuständigkeit der ersten Instanz tätig wird, "denn das Beschwerdeverfahren wurde nicht zur Entlastung der ersten Instanz geschaffen, sondern zur Überprüfung deren Entscheidungen" (vgl. Abschnitt 2.3).

5.3. Unter diesen Umständen, hält die Kammer es für angezeigt, die Angelegenheit zur Fortsetzung der Prüfung an die erste Instanz zurückzuverweisen.

6. Dem mit der Beschwerdebegründung gestellte Antrag auf mündliche Verhandlung braucht nicht stattgegeben zu werden, da kein Rechtsverlust für die Beschwerdeführerin entsteht.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur Fortsetzung der Prüfung zurückverwiesen.

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