T 0082/92 (Brotteig/LIEKEN-BATSCHEIDER) of 4.5.1994

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1994:T008292.19940504
Datum der Entscheidung: 04 Mai 1994
Aktenzeichen: T 0082/92
Anmeldenummer: 85100620.5
IPC-Klasse: A21D 8/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Herstellen eines Brotteiges
Name des Anmelders: Lieken-Batscheider Mühlen- und Backbetriebe GmbH
Name des Einsprechenden: B. Wendeln jr. GmbH Großbäckerei
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 107
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (ja)
Nicht naheliegende Verfahrensverbesserung
Withdrawal of opposition by opponent / respondent
Inventive step - known process - improvement
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0180/88
T 0520/88
T 0629/90
T 0789/90
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0972/02

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung 85 100 620.5 wurde das europäische Patent 0 154 135 auf der Grundlage von sechzehn Ansprüchen erteilt.

II. Gegen die Patenterteilung wurde von der Einsprechenden Einspruch eingelegt, der sich u. a. auf folgende Entgegenhaltungen stützte:

(1) "Getreide, Mehl und Brot", Heft 11/12, 1949, Seiten 100/101.

(2) "Getreide, Mehl und Brot", Heft 1, 1983, Seiten 17 bis 20.

III. Mit der am 26. November 1991 verkündeten und am 18. Dezember 1991 schriftlich begründeten und zugestellten Entscheidung wurde das Patent widerrufen.

Anspruch 1 des dieser Entscheidung zugrundeliegenden Hauptantrages lautete:

"1. Verfahren zum Herstellen eines Brotteigs unter Verwendung eines Brühstückanteils, der vor dem Mischen mit den übrigen Teigbestandteilen einer enzymatischen Behandlung zum Abbau der Glukosepolymeren zu niederpolymeren Kohlehydraten unterworfen, daraufhin bis zur vollständigen Inhibierung der vorhandenen Enzymaktivität erhitzt und sodann mit den übrigen Teigbestandteilen zur Teigzubereitung gemischt wird, dadurch gekennzeichnet, daß bei der enzymatischen Behandlung des enzymatisch zu behandelnden Brühstückanteils, der 100 bis 10 Gew.-% des gesamten für die Teigzubereitung vorgesehenen Brühstückanteiles, welcher 1 bis 50 Gew-%, bezogen auf die Trockensubstanz, der eingesetzten Getreidebestandteile beträgt, ausmacht, ein Abbau der Glukosepolymeren zu niederpolymeren Kohlenhydraten sowie deren Isomerisierung stattfindet, daß der enzymatisch zu behandelnde Brühstückanteil nach der Erhitzung bis zur vollständigen Inhibierung der vorhandenen Enzymaktivität, die auf 95 C erfolgt, abgekühlt wird, ehe er ggf. mit dem nicht enzymatisch behandelten restlichen abgekühlten Brühstückanteil sowie schließlich den übrigen Teigbestandteilen zur Teigzubereitung gemischt wird; daß der enzymatisch zu behandelnde Brühstückanteil als Getreidebestandteil sowohl Weizen- und/oder Roggenschrot als auch Restbrot enthält; und daß der enzymatisch zu behandelnde Brühstückanteil zunächst in einem ersten Behandlungsschritt mit -Amylase und anschließend in einem zweiten Behandlungsschritt mit Amyloglukosidase enzymatisch behandelt wird, wobei die Anteile an Weizen- und/oder Roggenschrot, Restbrot im enzymatisch zu behandelnden Brühstückanteil derart aufeinander eingestellt werden, daß der pH-Wert des wäßrigen Ansatzes bei der -Amylase-Behandlung 5,5 bis 6,5 und bei der Amyloglukosidase-Behandlung weniger als 5,5 beträgt."

Diesem Anspruch folgt ein unabhängiger Anspruch 2, der alle Merkmale von Anspruch 1 umfaßt aber auf eine gleichzeitige enzymatische Behandlung mit Amyloglukosidase und Glukose-Isomerase gerichtet ist. Es folgen weitere abhängige Ansprüche 3 bis 11.

Gemäß Anspruch 1 und 2 eines zusätzlich vorgelegten Hilfsantrages soll der enzymatisch behandelte Brühstückanteil nach der Enzyminaktivierung vor dem Mischen mit dem restlichen Brühstückanteil sowie den übrigen Teigbestandteilen einer Kochbehandlung unterworfen werden. Dieser Hilfsantrag umfaßt weitere abhängige Ansprüche 3 bis 10.

Die Widerrufsentscheidung führt aus, daß der Gegenstand des Streitpatentes gegenüber dem Offenbarungsgehalt der genannten Entgegenhaltungen zwar neu sei, der Fachmann aber im Lichte des dort beschriebenen Standes der Technik alle nötigen Elemente an der Hand gehabt habe, um die einstufige enzymatische Behandlung gemäß der Entgegenhaltung (1) durch eine zweistufige zu ersetzen oder zusätzlich durchzuführen, so daß der beanspruchte Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Bei dieser Beurteilung seien die die pH-Werte betreffenden Merkmale lediglich als aufgabenhafte Formulierung zu werten, da in den Ansprüchen und der Beschreibung kein Weg aufgezeigt sei, wie der Fachmann systematisch und auf andere Weise als im Stand der Technik zu diesen Werten kommen könne. Da auch die Bräunung durch Kochen eines Saftes eine allgemein bekannte Maßnahme darstelle, wie z. B. aus der Veröffentlichung

(5) G. Reed, "Enzymes in Food Processing", Academic Press (1975), Seite 316,

zu entnehmen sei, enthielten die Ansprüche des Hilfsantrages gleichfalls nichts Erfinderisches.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin Beschwerde erhoben und diese im wesentlichen wie folgt begründet:

Ausgehend von der Entgegenhaltung (1) als nächstkommendem Stand der Technik sei auch bei Berücksichtigung des Offenbarungsgehaltes der gesamten übrigen im Verfahren befindlichen Dokumente für den Fachmann nicht nahegelegt, die Anteile der Komponenten im enzymatisch zu behandelnden Brühstückanteil derart aufeinander einzustellen, daß der pH-Wert bei der -Amylase- Behandlung 5.5 bis 6.5 und bei der Amyloglukosidase- Behandlung weniger als 5.5 betrüge. Entgegenhaltung (2) beschriebe zwar eine derartige zweistufige enzymatische Behandlung einer Maische unter Einschluß von pH-Werten, die in den beanspruchten Bereich fielen, der Fachmann müsse es aufgrund dieser Entgegenhaltung jedoch als unbedingt notwendig ansehen, die entsprechenden pH-Werte durch Fremdstoffe wie z. B. Natronlauge und Salzsäure einzustellen. Es fände sich im Stand der Technik also kein Hinweis auf die im Streitpatent beanspruchte "natürliche" Vorgehensweise. Die Lehre des Streitpatentes sei auch ohne weiteres nachvollziehbar, da dem Fachmann bei der Teigzubereitung auftretende pH-Wert-Einflüsse als solche abstrakt bereits bekannt gewesen seien, allerdings nicht im Rahmen der jetzt beanspruchten Verfahrensschritte. Aus der Entscheidungsbegründung der Einspruchsabteilung ließe sich jedenfalls nicht logisch herleiten, wie der Fachmann alle nötigen Elemente zur Hand gehabt haben soll, um zur Erfindung zu gelangen.

V. Die Beschwerdeführerin reichte am 1. März 1994 einen korrigierten Anspruch 1 ein, der sich von dem oben in Paragraph III zitierten lediglich durch das Einfügen der Verknüpfung "sowie" zwischen den Wörtern "Roggenschrot" und "Restbrot" in der neuntletzten Zeile unterscheidet und beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage des Patentanspruchs 1 eingereicht am 1. März 1994, des Patentanspruchs 2, eingereicht am 7. April 1994 und den Patentansprüchen 3 bis 11 gemäß Hauptantrag aus der mündlichen Verhandlung vom 26. November 1991, der Beschreibungseinleitung in der Fassung des Schriftsatzes vom 3. September 1990 sowie der Beschreibungsteile Spalte 2, Zeile 1, bis Spalte 5, Zeile 19 einschließlich, der Streitpatentschrift, aufrechtzuerhalten;

hilfsweise, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage der Patentansprüche 1 bis 10 gemäß Hilfsantrag aus der mündlichen Verhandlung vom 26. November 1991, der Beschreibungseinleitung in der Fassung des Schriftsatzes vom 3. September 1990 sowie der Beschreibungsteile Spalte 2, Zeile 1, bis Spalte 5, Zeile 19 einschließlich, der Streitpatentschrift, aufrechtzuerhalten.

VI. Mit Schriftsatz vom 12. Juni 1992 wurde der Einspruch zurückgenommen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Kammer stimmt der Aussage in der Entscheidung T 629/90 (ABl. EPA 1992, 654) unter Punkt 2.2 der Entscheidungsgründe zu, daß trotz Zurücknahme des Einspruchs die Beschwerdekammer die Entscheidung der Einspruchsabteilung von Amts wegen sachlich überprüfen muß, wenn die Einspruchsabteilung das Streitpatent widerrufen hat. Sie kann nur dann diese Entscheidung aufheben und das Patent aufrechterhalten, wenn es den Erfordernissen des EPÜ genügt. Bei dieser Prüfung durch die Kammer sind auch Beweismittel, die von einer Einsprechenden vor der Zurücknahme des Einspruchs vorgebracht worden seien, zu berücksichtigen.

Die einzige verfahrensrechtliche Bedeutung der Zurücknahme des Einspruches ist, daß die ehemalige Einsprechende, die unter Artikel 107 EPÜ am Beschwerdeverfahren beteiligt ist, als Partei ausscheidet, außer in Bezug auf etwaige Kostenfragen (siehe T 789/90 vom 11. Januar 1993 (wird veröffentlicht) Entscheidungsgründe 2.2 bis 2.6). Kostenfragen bestehen in diesem Verfahren nicht. Also ist die ehemalige Einsprechende durch den Rückzug des Einspruches nicht mehr am Verfahren beteiligt.

3. Änderungen der Ansprüche (Artikel 123 (2) und (3) EPÜ)

3.1. Anspruch 1 basiert auf den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1, 6 und 7 in Verbindung mit der ursprünglichen Beschreibungsseite 6, zweiter Absatz; Anspruch 2 basiert zusätzlich zu den voranstehenden Bezugnahmestellen auf dem ursprünglich eingereichten Anspruch 8; die abhängigen Ansprüche 3 bis 11 in der Reihenfolge leiten sich aus den ursprünglichen Ansprüchen 2, 3, 10, 11, 9, 12, 13 und 14, 15 sowie 16 her. Die Ansprüche 1 und 2 des Hilfsantrages umfassen zusätzlich die Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 12.

Das Einfügen von "100 bis 10 Gew% des gesamten .... Brühstückanteiles" in die jeweiligen Ansprüche 1 und 2 führt in Verbindung mit der Angabe, daß der enzymatisch behandelte Brühstückanteil, "ggf. mit dem nicht enzymatisch behandelten restlichen abgekühlten Brühstückanteil sowie schließlich den übrigen Teigbestandteilen zur Teigzubereitung gemischt wird;" ohne Abänderung des ursprünglichen Offenbarungsgehaltes zu einer Verdeutlichung dahingehend, daß auch der gesamte Brühstückanteil enzymatisch behandelt werden kann. Es bestehen daher keine Bedenken gegen die Änderungen der Ansprüche im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ.

3.2. Das Anspruchsbegehren gemäß Hauptantrag stellt durch die Aufnahme der Merkmale der erteilten Ansprüche 8 bzw. 9 in die jeweiligen Ansprüche 1 bzw. 2 eindeutig eine eingeschränkte Fassung gegenüber dem erteilten Streitpatent dar und verstößt somit auch nicht gegen die Vorschrift des Artikels 123 (3) EPÜ.

4. Neuheit

Die Kammer hat sich davon überzeugt, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrages durch keine der im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen vorbeschrieben ist. Da die Neuheit des geltenden Haupt- und Hilfsantrages im Einspruchsverfahren auch nicht strittig war, erübrigen sich nähere Ausführungen hierzu.

5. Erfinderische Tätigkeit

5.1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum Herstellen eines Brotteiges unter Verwendung eines vor dem Mischen mit den übrigen Teigbestandteilen enzymatisch behandelten Brühstückanteiles.

5.2. Als nächstkommender Stand der Technik wurde von der Inhaberin des Streitpatentes und soweit erkennbar, auch von der Einspruchsabteilung, die Entgegenhaltung (1) angesehen. Dem stimmt die Kammer zu. Diese Veröffentlichung beschreibt die Herstellung eines Brotteiges unter Verwendung eines Brühstückanteils, der dort als "Maische" bezeichnet wird, wobei dieser Maische zur Herstellung des Teigs u. a. sowohl Altbrot als auch gekochter, ganzer Roggen zugemischt wird (siehe Seite 101, rechte Spalte, Tabelle rechte Seite). Anlaß zu dieser Veröffentlichung kurz nach dem zweiten Weltkrieg war der Wunsch, trotz des Mangels an Sirupen oder Restprodukten der Zuckerindustrie einen süßeren Pumpernickel herzustellen. Gemäß der Entgegenhaltung (1) wird aus betriebswirtschaftlichen Gründen und um eine hohe Glucoseausbeute zu erzielen, vorgeschlagen, Maismehl unter Zusatz von enzymatisch wirksamem Malzmehl zu der Maische zu verzuckern. Im konkreten Anwendungsbeispiel wird dann eine Maische verzuckert, die Wasser, Maismehl und Malzmehl als Komponenten enthält. Sie wird dann dem Teig wie oben beschrieben zugesetzt. Der derart gebackene Pumpernickel soll von würzigem, süß-saurem Geschmack sein (vgl. Seite 100, linke Spalte, letzter Absatz, Seite 101, linke Spalte und rechte Spalte, vorletzter Absatz des Artikels).

Es ist bekannt, daß bei der Anwendung von Malzmehlen als enzymatisches Backmittel, wie in (1) vorgesehen, sich eine schmierige Teigkonsistenz ergeben kann, was wiederum ungünstige Auswirkungen auf die Krumenausbildung im Backergebnis zeigen kann.

5.3. Dem Streitpatent liegt daher die Aufgabe zugrunde, das in der Entgegenhaltung (1) beschriebene Verfahren zu verbessern, um eine gleichbleibend saftige Krume und damit ein verbessertes Frischhaltevermögen und einen volleren brottypischen Geschmack zu erreichen, bei gleichzeitigem Vermeiden von unerwünschten chemischen Zusätzen.

5.4. Diese Aufgabe wird gemäß Anspruch 1 des Hauptantrages durch eine zweistufige Behandlung eines Brühstückanteiles mit -Amylase und anschließend mit Amyloglukosidase gelöst, wobei die Anteile an Weizen- und/oder Roggenschrot sowie Restbrot im enzymatisch zu behandelnden Brühstückanteil derart aufeinander eingestellt werden, daß der pH-Wert in der ersten Stufe 5.5. bis 6.5 und in der zweiten Behandlungsstufe weniger als 5.5 beträgt.

5.5. Die im Streitpatent sowie in den Ursprungsunterlagen enthaltenen Ausführungsbeispiele, die als Ergebnis des genannten Verfahrens ein Brot mit hohem Quellstoffanteil, saftiger Krume, ausgezeichneter Frischhaltung und einem vollen brottypischen Geschmack beschreiben, in Verbindung mit den mit Schriftsatz vom 14. November 1991 eingereichten Tabellen 1 und 2, die nochmals verdeutlichen, daß eine pH-Wert- Einstellung durch Wahl des Mischungsverhältnisses zwischen z. B. Vollkornweizenschrot und Restbrot aus Leinsamenbrot, ohne Schwierigkeiten im beanspruchten Bereich möglich ist, lassen es glaubhaft erscheinen, daß die bestehende Aufgabe tatsächlich gelöst worden ist.

5.6. Zu untersuchen bleibt somit, ob die beanspruchte Lösung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

5.7. Wie voranstehend bereits ausgeführt, beinhaltet die Lehre der Entgegenhaltung (1) weder eine zweistufige Enzymbehandlung noch irgendeinen Hinweis auf das Erfordernis, bestimmte pH-Bereiche während der Enzymbehandlungen einzuhalten, geschweige denn, wie dies gegebenenfalls zuwege gebracht werden sollte, so daß der Offenbarungsgehalt dieser Veröffentlichung alleine offensichtlich nicht zur beanspruchten Lösung führen kann. Es stellt sich jedoch die Frage, ob für den Fachmann durch eine Kombination dieser Veröffentlichung mit einer oder mehreren der übrigen Entgegenhaltungen der beanspruchte Gegenstand insgesamt nahegelegen hat.

5.8. Nun war es dem Fachmann in der Bäckereiindustrie am Prioritätsdatum des Streitpatentes bekannt, und dies wurde im Verlaufe des Einspruchsverfahrens zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung auch anhand dreier Literaturzitate zum allgemeinen Fachwissen belegt (vgl. z. B. die Veröffentlichung

(6) Sonderdruck aus "der Industriebackmeister", Heft 4, 1971, dort den Artikel "Der pH-Wert und seine Bedeutung in der Bäckerei"),

daß der in der Entgegenhaltung (1) angewandte, aber nicht näher spezifizierte und lediglich als "Stärkeverzuckerung auf enzymatischem Wege" bezeichnete Prozeß, was die Enzymaktivität betrifft, neben den in der Entgegenhaltung (1) genannten Komponenten-, Temperatur- und Zeiteffekten, auch durch eine Arbeitsweise in definierten pH-Bereichen beeinflußt wird, die durch die Enzymspezies vorgegeben sind. Man kann daher annehmen, daß der Fachmann sein besonderes Augenmerk nicht nur auf gattungsgemäße Verfahren zum Herstellen eines Brotteiges, sondern auch auf solche Veröffentlichungen richten wird, die allgemein die enzymatische Verzuckerung von stärkereichen Materialien der Backwarenindustrie in einem gewünschten Bereich betreffen.

5.9. Der Fachmann wird daher Entgegenhaltung (2) in Betracht ziehen, aus der bekannt ist, Restmaterialien aus Backbetrieben wie z. B. Weizenbackreste, Mischbrotreste und Knäckebrotreste als Rohstoff für die Direktverzuckerung in Gegenwart der -Amylasepräparate OPTIAMYL-L (im Rührbehälter) oder OPTITHERM-L210 (im Dampfinjektor) in einem ersten Behandlungsschritt bei pH 5.8, der sogenannten Verflüssigungsstufe, und anschließend durch Zusatz von OPTIDEX-L100, also Amyloglukosidase, in einem zweiten Behandlungsschritt bei pH 4.2 in der eigentlichen Verzuckerungsstufe enzymatisch abzubauen und diese als Süßungsmittel "an anderer Stelle desselben Backbetriebes" wieder einzusetzen (vgl. Seite 17, linke Spalte, "1. Einleitung", Absatz 2, Satz 1 sowie Seite 18, "5. Materialien und Methoden"). Gemäß den geschilderten Versuchsbedingungen werden für die enzymatischen Verfahrensschritte neben besagten amylolytischen Präparaten, für die jeweils optimale pH- Bereiche von 5.8 bis 7.0, 5.5 bis 8.0 bzw. 4.2 bis 4.5 ausgewiesen werden (vgl. Seite 18, rechte Spalte), noch Calciumchlorid, Natriumhydroxid und Salzsäure eingesetzt. Hierbei soll sich die Zugabe von Calciumsalzen positiv als Aktivator und Stabilisator gegenüber thermischer Beanspruchung der -Amylasen auswirken (vgl. insbes. Seite 18, rechte Spalte, erster Absatz, letzter Satz). Diese Angabe in Verbindung mit dem Hinweis, daß zu beachten war, "daß die für das Enzym optimalen Bedingungen, insbesondere der pH-Wert, vor der Enzymzugabe eingestellt waren" (vgl. insbes. Seite 19, linke Spalte, zweiter Absatz, letzter Satz), führen, wie die Beschwerdeführerin zurecht argumentiert, den Fachmann zu der Annahme, daß die für das Enzym optimalen pH-Wert- Bedingungen durch den Einsatz von Salzsäure bzw. Natronlauge einzustellen sind. Der Fachmann zieht somit aus der Entgegenhaltung (2) die allgemeine Lehre, hochspezifische industrielle amylolytische Enzympräparate in Verbindung mit anorganischen Hilfsstoffen in einem relativ eng einzustellenden pH-Bereich zur Direktverzuckerung von stärkereichen Backrückständen einzusetzen.

5.10. Bei einer Übertragung dieser Lehre auf die in der Entgegenhaltung (1) beschriebene Verzuckerung, die ohne den Einsatz von industriellen, verzuckernden Enzympräparaten durchgeführt wird, stellt sich dann die Frage, ob der Fachmann in naheliegender Weise die durch das Brühstück bewirkte Verzuckerung in einem definierten pH-Wert-Bereich ohne zusätzliche Fremdchemikalien zur pH-Wert-Einstellung vornehmen würde. Um diese Frage zu beantworten, muß nun ein weiterer Rückgriff auf solchen Stand der Technik vorgenommen werden, der bei vergleichbaren enzymatischen Abbaureaktionen möglicherweise auch noch angewandte Methoden beschreibt.

5.11. Aus den im Europäischen Recherchenbericht zum Streitpatent genannten Entgegenhaltungen

(7) FR-A-2 406 665 und

(8) BE-A-816 571

ist bekannt, bei entsprechenden amylolytischen Reaktionen zur pH-Wert-Absenkung sogenannte "eßbare" organische Säuren wie z. B. Zitronensäure oder als anorganische Mineralsäure Schwefelsäure und zur pH-Wert-Erhöhung Natriumcarbonat oder Magnesiumhydroxid einzusetzen (vgl. insbes. (7), die Beispiele 2 und 4 sowie (8), Seite 9, letzter Absatz, übergreifend Seite 10, erster Absatz und Seite 12, "Example"). Es handelt sich bei diesen Alternativen also ebenfalls um die Verwendung zusätzlicher Fremdchemikalien.

5.12. Da aus der Entgegenhaltung (8) (vgl. Seite 12, Example, erste Reaktionsstufe bei 35°C bis 40°C), eine wäßrige getreide- und malzhaltige Maische bekannt ist, die ohne Zusatz von Fremdchemikalien einen pH-Wert von 5.8 aufweist, und der erst in einer späteren Behandlungsstufe Zitronensäuremonohydrat zugesetzt wird, könnte man vermuten, daß auch in der Entgegenhaltung (1) pH-Werte im beanspruchten Bereich vorlägen, was als Konsequenz eine Einstellung des pH-Wertes durch Fremdchemikalien bei amylolytischen Reaktionen dem Fachmann dann als nicht zwingend erscheinen lassen würde. Jedoch selbst bei einer solchen Betrachtung kann durch eine Kombination der Lehren der Druckschriften (1), (2) und (8) keine Anregung erhalten werden, gezielt und systematisch bei der Herstellung eines Brotteiges die natürlichen Komponenten in einem Mischbrühstück in einem solchen Verhältnis zueinander zuzugeben, daß eine gewünschte Einstellung eines definierten pH-Wertes für eine Enzymbehandlung erreicht wird, wenn diese pH-Wert- Einstellung für ein verbessertes Verfahren gemäß der Aufgabenstellung als notwendig erachtet wird. Hierfür findet sich ohne rückschauende Betrachtung in Kenntnis der Erfindung nicht der geringste Hinweis in diesen Veröffentlichungen. In diesem Zusammenhang ist es wesentlich, daß gemäß Entgegenhaltung (8) in einem späteren Behandlungsschritt ein Fremdstoff zur pH-Wert- Einstellung vorgesehen ist, da eine notwendige pH-Wert- Einstellung gerade nicht durch andere technische Maßnahmen erfolgt ist.

5.13. Die erfinderische Tätigkeit der zur Diskussion stehenden Maßnahme kann auch insgesamt nicht dadurch verneint werden, daß man annehmen könnte, der Fachmann wisse, daß sich bei Enzymbehandlungen von stärkehaltigen Materialien zwangsläufig ein nicht näher definierter pH-Wert einstellt, der zufällig im pH-Optimum eines der verwendeten Enzyme liegen mag, so daß sich eine weitere "chemische" pH-Wert-Einstellung erübrigt. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes hat die Lösung einer bestehenden Aufgabe aber nur dann nahegelegen, wenn angenommen werden muß, daß ein Fachmann sie tatsächlich gefunden hätte, nicht nur mehr oder weniger zufällig gefunden haben könnte (vgl. z. B die Entscheidungen T 180/88 und T 520/88 der Kammer 3.3.1 vom 20. Februar 1990 bzw. 21. September 1989, dort die Punkte 4.6 bzw 3.5 der Gründe). Im vorliegenden Fall hätte der Fachmann aus denjenigen Veröffentlichungen, die keine pH-Wert-Einstellung mittels Fremdchemikalien erwähnen, allenfalls die Lehre entnehmen können, daß diese im konkreten Fall nicht nötig oder nicht erwünscht war. Die Lehre einen erwünschten pH-Wert mit dem Ziel eines vorteilhaften Brotes so einzustellen, daß Weizen und/oder Roggenschrot sowie Restbrot in bestimmten Anteilen im Mischbrühstück vorliegen, hätte der Fachmann den diskutierten Druckschriften nicht entnehmen können. Sie ist somit erfinderisch.

5.14. Die Kammer hat die übrigen im Europäischen Recherchenbericht, im Prüfungsverfahren sowie im Einspruchsverfahren zum allgemeinen Fachwissen genannten Druckschriften geprüft und ist zu der Überzeugung gelangt, daß diese nicht über den Offenbarungsgehalt von (1), (2), (7) und (8) hinausgehen bzw. dem Gegenstand des Streitpatentes ferner liegen.

6. Der Aufrechterhaltung des Patentes mit Anspruch 1 des Hauptantrages steht demnach nichts entgegen. Das gleiche gilt für den unabhängigen Anspruch 2, der alle Merkmale von Anspruch 1 und noch weitere Merkmale (siehe Paragraph III) umfaßt sowie für die weiteren abhängigen Ansprüche 3 bis 11, die besondere Ausführungsformen des Gegenstandes von Anspruch 1 betreffen.

7. Bei dieser Sachlage erübrigt es sich, auf den Hilfsantrag einzugehen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, das Patent auf der Grundlage des Patentanspruchs 1, eingereicht am 1. März 1994, Patentanspruch 2, eingereicht am 7. April 1994 und den Ansprüchen 3 bis 11 gemäß Hauptantrag, vorgelegt in der mündlichen Verhandlung vom 26. November 1991, und der Beschreibungseinleitung Blatt 1 bis 3 in der Fassung des Schriftsatzes vom 3. September 1990 sowie der Beschreibungsteile Spalte 2, Zeile 1 bis Spalte 5, Zeile 19 einschließlich, der Streitpatentschrift aufrechtzuerhalten.

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