European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1993:T028591.19930615 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 15 Juni 1993 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0285/91 | ||||||||
Anmeldenummer: | 85112294.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | G21C 7/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | B | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zum Betrieb eines Kernreaktors und Kernreaktor zur Durchführung des Verfahrens | ||||||||
Name des Anmelders: | Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.4.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
|
||||||||
Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit (nein) Unzulässige Änderung (ja) Inventive step (no) Amendments - added subject matter (yes) |
||||||||
Orientierungssatz: |
1. Wissenschaftliche Erkenntnisse, die die Ausführbarkeit einer technischen Lehre glaubhaft machen, stützen nicht deren erfinderische Tätigkeit; vgl. Pkt. 2.6. 2. Zur Offenbarung der Ergebnisse einer Rechenvorschrift reicht die ausschließliche Offenbarung eines in die Berechnung eingehenden Parameters nicht aus; vgl. Pkt. 5. |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 85 112 294.5 (Veröffentlichungsnummer 0 176 105) wurde durch eine Entscheidung der Prüfungsabteilung zurückgewiesen.
II. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß der Gegenstand des am 7. August 1989 eingereichten Anspruchs 1 mit dem Wortlaut:
"1. Verfahren zum Betrieb eines Kernreaktors, der für eine vorgegebene maximale Nutzleistung (Nennleistung) im normalen Betrieb ausgelegt ist und ein Notkühlsystem mit vorgegebener Kühlleistung zur Abführung der Nachzerfallswärme hat, wobei die Nachzerfallswärme- Kühlleistung ein vorgegebener Bruchteil der maximal zulässigen Nutzleistung ist, dadurch gekennzeichnet, daß der Kernreaktor mit einer solchen Nutzleistung betrieben wird, daß der besagte Bruchteil um mindestens 1 % kleiner ist als der durch die DIN-Norm 25463 (Juli 1982) bzw. die entsprechenden anderen nationalen Sicherheitsbestimmungen festgelegte Wert,"
als Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem Stand der Technik nur die Aussage enthalte, eine bestimmte bestehende Sicherheitsvorschrift zu unterschreiten. Sicherheitsvorschriften und ihre Änderungen stellten keine technischen Maßnahmen dar, weshalb im Anspruch 1 keine Erfindung im Sinne von Artikel 52 (1) und 56 EPÜ gesehen werden könne. Der Gegenstand des am 7. August 1989 eingereichten unabhängigen Anspruchs 6 mit dem Wortlaut:
"6. Kernreaktor zur Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 1, mit einem Regelsystem, das die im Dauerbetrieb maximal zulässige abgegebene Nutzleistung bestimmt, und mit einem entsprechenden Notkühlsystem, dadurch gekennzeichnet, daß das Regelsystem so ausgelegt ist, daß im normalen Betrieb die maximal zulässige Nutzleistung um mindestens 1 % größer ist als der Wert, der sich bei Zugrundelegung der Kühlleistung des Notkühlsystems nach der DIN-Norm 25463 (Juli 1982) bzw. den entsprechenden anderen nationalen Sicherheitsbestimmungen ergibt,"
sei nicht durch technische Merkmale definiert, wie es nach Regel 29 (1) EPÜ erforderlich sei. Darüber hinaus unterscheide sich eine Kernreaktoranlage bei geänderter Betriebsweise in keiner Weise von einer bekannten Anlage, so daß der Gegenstand des Anspruchs 6 auch nicht neu sei.
Die am 7. August 1989 eingereichten Ansprüche 2 bis 5 und 7 bis 10 hängen von Anspruch 1 bzw. 6 ab.
III. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin Beschwerde eingelegt und dabei im wesentlichen vorgetragen, daß im Hinblick auf die Entscheidung T 26/86, ABl. EPA 1988, 19, Anspruch 1 als Betriebsverfahren eines Kernreaktors ein technisches Verfahrens darstelle und Anspruch 6 aufgrund der vom Stand der Technik abweichenden Vollastbegrenzung ein neues Regelsystem habe oder aufgrund der zu installierenden kleineren Notkühlleistung neu und durch technische Merkmale definiert sei. Die Beschwerdeführerin hielt die zurückgewiesene Fassung ihrer Ansprüche als Hauptantrag aufrecht und reichte mit der Beschwerdebegründung am 13. Februar 1991 einen neuen Satz von Ansprüchen als ersten Hilfsantrag (1a, 1b) ein.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 hat in seinem Gattungsbegriff einen mit Anspruch 1 des Hauptantrags identischen Wortlaut. Sein kennzeichnender Teil lautet für den benannten Vertragsstaat DE:
"dadurch gekennzeichnet, daß der Kernreaktor mit einer solchen Nutzleistung betrieben wird, daß der besagte Bruchteil um mindestens 1 % kleiner ist als der durch die DIN-Norm 25463 (Juli 1982) festgelegte Wert" (a)
und für die benannten Vertragsstaaten BE, CH, FR, GB, LI, NL, SE:
"dadurch gekennzeichnet, daß der Kernreaktor mit einer solchen Nutzleistung betrieben wird, daß der besagte Bruchteil um mindestens 1 % kleiner ist als der durch die nationalen Sicherheitsbestimmungen festgelegte Wert." (b)
Anspruch 6 des Hilfsantrags 1 hat einen mit Anspruch 6 des Hauptantrags im wesentlichen identischen Wortlaut. Sein kennzeichnender Teil lautet für den benannten Vertragsstaat DE:
"dadurch gekennzeichnet, daß das Regelsystem so ausgelegt ist, daß im normalen Betrieb die maximal zulässige Nutzleistung (Nennleistung) um mindestens 1 % größer ist als der Wert, der sich bei Zugrundelegung der Kühlleistung des Notkühlsystems nach der DIN-Norm 25463 (Juli 1982) ergibt." (a)
und für die benannten Vertragsstaaten BE, CH, FR, GB, LI, NL, SE:
"dadurch gekennzeichnet, daß das Regelsystem so ausgelegt ist, daß im normalen Betrieb die maximal zulässige Nutzleistung (Nennleistung) um mindestens 1 % größer ist als der Wert, der sich bei Zugrundelegung der Kühlleistung des Notkühlsystems nach den nationalen Sicherheitsbestimmungen ergibt." (b)
Die Asprüche 2 bis 5 und 7 bis 10 des Hilfsantrags 1a und 1b hängen vom jeweiligen Anspruch 1 bzw. 6 ab.
IV. In einem Bescheid gemäß Art. 110 (2) EPÜ legte die Kammer unter anderem dar, daß ihrer vorläufigen Auffassung nach die in allen unabhängigen Ansprüchen des Haupt- und ersten Hilfsantrags enthaltene Bemessungsregel möglicherweise als das Ergebnis einer normalen und folgerichtigen Entwicklung des allgemein bekannten Standes der Technik angesehen werde müsse und damit keine erfinderische Tätigkeit begründen könne. In Erwiderung darauf reichte die Beschwerdeführerin am 5. August 1992 einen zweiten Hilfsantrag ein, dessen einziger Patentanspruch folgenden Wortlaut hat:
"Kernreaktor mit einem Regelsystem, das die im Dauerbetrieb maximal zulässige Nutzleistung (Nennleistung) bestimmt, und mit einem Notkühlsystem, das eine bestimmte Notkühlleistung zur Abführung der Nachzerfallswärme hat, welche durch die Energiebeiträge der Nuklide im Nuklideninventar des Reaktors beim Abschalten bestimmt ist, dadurch gekennzeichnet, daß das Verhältnis von Notkühlleistung zu Nennleistung dem folgenden Satz von Nukliddaten entspricht, ..... (Es folgt eine 18 DIN A4 Seiten umfassende Tabelle mit Nukliddaten nebst Erläuterung der darin verwendeten Symbole (gemäß der ursprünglich eingereichten Fig. 8))."
V. Auf eine Mitteilung der Kammer gemäß Art. 11 (2) VOBK, in der gegen Hilfsantrag II Bedenken gemäß Art. 123 (2) EPÜ dahingehend mitgeteilt wurden, daß den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nicht zu entnehmen sei, daß und wie aus den - zwar eine Berechnung der theoretischen Nachzerfallswärme ermöglichenden - Nukliddaten eine Relation zu der noch von weiteren technischen Faktoren abhängigen Notkühl- und Nennleistung herstellbar sei, reichte die Beschwerdeführerin am 26. Mai 1993 einen dritten Hilfsantrag mit den nachfolgenden zwei Patentansprüchen ein:
"1. Verfahren zur Notkühlung eines Kernreaktors, insbesondere eines Leichtwasserreaktors, dadurch gekennzeichnet, daß mit einer Notkühlleistung gearbeitet wird, die um mindestens 1 % kleiner ist als der durch die DIN-Norm 25463 (Juli 1982) festgelegte Wert.
2. Verfahren zur Notkühlung eines Kernreaktors, insbesondere eines Leichtwasserreaktors, dadurch gekennzeichnet, daß mit einer Notkühlleistung gearbeitet wird, die um mindestens 1 % kleiner ist als der durch den American National Standard for Decay Heat Power in Light Water Reactors I/ANS-5.1-1979 festgelegte Wert."
VI. Am 15. Juni 1993 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der die Beschwerdeführerin alle ihre Anträge aufrechterhielt, d. h. beantragte, die Zurückweisungsentscheidung aufzuheben und ein Patent auf Grund folgender Unterlagen zu erteilen:
Hauptantrag, eingegangen am 7. August 1989 (vgl. Pkt. II), Hilfsanträge 1a und b) eingegangen am 13. Februar 1991 (vgl. Pkt. III), Hilfsantrag 2, eingegangen am 5. August 1992 (vgl. Pkt. IV), Hilfsantrag 3, eingegangen am 26. Mai 1993 (vgl. Pkt. V).
VII. Auf den Hinweis der Kammer hin, daß aufgrund analoger Bemessungsregeln die vorstehend gemäß Pkt. IV geäußerten Bedenken im Hinblick auf eine dem Haupt- und den Hilfsanträgen 1a und b zugrundeliegende erfinderische Tätigkeit (Art. 56 EPÜ) auch für Hilfsantrag 3 relevant sind, machte die Beschwerdeführerin zur Stützung einer den unabhängigen Ansprüchen ihres Hauptantrags und ihrer Hilfsanträge 1a, 1b und 3 zugrundeliegenden erfinderischen Tätigkeit (Art. 56 EPÜ) im wesentlichen folgende Argumente geltend:
a) Die konventionelle Notkühlleistung von Kernreaktoren hätte aufgrund bisher nur unvollständig und ungenau bekannter Werte der Nachzerfallswärme (vgl. hierzu die in der mündlichen Verhandlung als Beispiel überreichte Burst-Funktion) aus Sicherheitsgründen überdimensioniert werden müssen.
b) Niemand, insbesondere kein Reaktorbetreiber, sei bisher auf die Idee gekommen, zuverlässige Daten für die Nachzerfallswärme durch theoretische Überlegungen - insbesondere durch eine genauere Berechnung des - Zerfalls der beteiligten Nuklide - zu gewinnen. Da die Erfindung damit einen neuen Weg gehe, könne sie nicht als naheliegend angesehen werden.
c) Die Zuverlässigkeit der in der Beschreibung, Fig. 8 offenbarten Nukliddaten sei anhand einer Übereinstimmung von theoretischen Halbwertszeiten, die mit denselben theoretischen Grundlagen berechnet worden sind, mit ihren genau bekannten experimentellen Werten überprüft worden. Die Erkenntnisse der Erfindung würden eine technische Lehre schaffen, die zu neuen Betriebsdaten für Kernreaktoren mit hohen volkswirtschaftlichen Nutzen führe und die daher einen enormen technischen Fortschritt darstelle. Dies ginge auch aus den im Verfahren vor der Prüfungsabteilung eingereichten Schreiben der Firmen Mitsubishi, Kraftwerk Union und der Schweizerischen Gesellschaft für Kernfachleute hervor.
d) Die Erfindung dürfe nicht als naheliegender Trend zur Verkleinerung des bisherigen Sicherheitsabstandes degradiert werden, der die bisher bestehenden Ungenauigkeiten kompensiert, da nicht vorhersehbar gewesen wäre, ob zuverlässigere Nukliddaten zu höheren, niedrigeren oder den gleichen Nachzerfallswärmen führen würden.
VIII. Dem Einwand der Kammer, daß der Gegenstand des Anspruchs des Hilfsantrags 2 nicht in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen offenbart sei (Art. 123 (2) EPÜ) widersprach die Beschwerdeführerin wie folgt:
a) Es sei einem Fachmann ohne weiteres geläufig, welche festgelegten Grundsätze und etablierten Sicherheitsfaktoren anzuwenden sind, um aus der Nachzerfallswärme des spaltbaren Materials die Notkühlleistung eines Kernreaktors zu bestimmen. Eine Offenbarung dieser Grundsätze und Sicherheitsfaktoren würde die Anmeldungsunterlagen unnötig aufblähen, schon der Anhang gemäß den ursprünglichen Beschreibungsseiten 10 bis 13, der die Berechnung der Nachzerfallswärme aus den Nukliddaten der Tabelle der Fig. 8 skizziert, sei überflüssig.
b) Die besonderen konstruktiven Daten und geometrischen Faktoren spezifischer Reaktoren würden bei der Berechnung der Notkühlleistung keine Rolle spielen.
c) Überdies sei in der ursprünglichen Beschreibung, Seite 2, Zeilen 9 bis 15, offenbart, daß die Notkühlleistung nach der DIN-Norm 25463 (Juli 1982) zu berechnen sei.
IX. Am Schluß der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet, daß die Beschwerde zurückgewiesen wird.
Entscheidungsgründe
1. Neuheit - Hauptantrag, Hilfsanträge 1a, 1b und 3
1.1. Die Gattungsbegriffe der unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1a, 1b und 2 betreffen Kernreaktoren mit einem Regelsystem für ihre Nutzleistung und einem Notkühlsystem für die nach ihrer Abschaltung notwendige Abführung der Nachzerfallswärme bzw. ihre Betriebs- oder Notkühlungsverfahren, wie sie durch einen allgemein bekannten Stand der Technik vorgegeben sind. Die kennzeichnende Teile dieser Ansprüche enthalten eine Bemessungsregel für die Nutzleistung, für die Nachzerfallswärme-Kühlleistung, für deren Wert als Bruchteil der Nutzleistung oder für die Notkühlleistung. Ihr wesentlicher technischer Inhalt besteht darin, gegenüber den zum Prioritätspunkt als verbindlich angesehenen Sicherheitsnormen die Nutzleistung um mindestens 1 % zu erhöhen oder die Kühlleistung um mindestens 1 % zu verkleinern. Diese zwei Alternativen fußen auf einer theoretischen Revision der Nachzerfallswärme. Ihre sachliche Analogie erlaubt es, Neuheit und erfinderische Tätigkeit der unabhängigen Ansprüche des Hauptantrages und derjenigen der Hilfsanträge 1a, 1b und 3 gemeinsam abzuhandeln.
1.2. Die Lehre, von konventionellen Betriebsparametern eines Kernreaktors abzuweichen, bedingt automatisch die Neuheit der Verfahrensansprüche der vorstehend genannten Anträge. Die Neuheit ihrer Vorrichtungsansprüche ist aufgrund der resultierenden, vom Stand der Technik abweichenden Dimensionierung des Nutzleistungs-Sollwerts eines Kernreaktor-Regelsystems in bezug auf die installierte Notkühlleistung anzuerkennen.
2. Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag, Hilfsanträge 1a, 1b und 3
2.1. Die Überprüfung der Patentansprüchen zugrundeliegenden Tätigkeit zielt im wesentlichen auf die Beantwortung der Frage, ob auf dem Weg vom Stand der Technik zu den Merkmalen unabhängiger Ansprüche mehr als die Arbeitsroutine eines Fachmanns erforderlich ist oder nicht. Dabei werden gemäß der ständigen Rechtspraxis des EPA die technischen Ziele, die durch die den Unterscheidungsmerkmalen des Anspruchs gegenüber dem Stand der Technik inhärenten Wirkungen erreicht werden, als sogenannte objektive Aufgabe und die Unterscheidungsmerkmale selbst als ihre Lösung verstanden. Sofern Aufgabe und Lösung im Rahmen einer technologischen Weiterentwicklung liegen, die aus einem logischen Einsatz von Fähigkeiten folgt, die von einem Praktiker dieses Gebietes der Lebenserfahrung nach zu erwarten sind, schließt Artikel 56 EPA die Patentfähigkeit des betreffenden Anspruchs aus.
2.2. Ausgehend von einem allgemein bekannten Stand der Technik, wie er oben in Punkt 1.1 dargelegt ist, liegt allen unabhängigen Ansprüchen der vorstehend genannten Anträge objektiv die Aufgabe zugrunde, die Ausbeute eines Kernreaktors an Nutzenergie in bezug auf den technischen Aufwand für seine Notkühlung zu verbessern. Wenn die bei der Notkühlung abzuführende Nachzerfallswärme - wie die Beschwerdeführerin in der Beschreibungseinleitung einräumt - in der Praxis nur ungenau bekannt ist, wird nach Auffassung der Kammer ein Fachmann ohne weiteres überprüfen, ob eine weitere Rationalisierung unter Berücksichtigung der Reaktorsicherheit möglich ist. Daher vermag die Formulierung der Aufgabe nicht zur erfinderischen Qualität der Lösung beizutragen.
2.3. Das technische Prinzip der beanspruchten Lösung besteht darin, die abgeführte Nutzleistung des Kernreaktors ohne Änderung seines Notkühlsystems zu erhöhen oder bei Konstanthaltung der Nutzleistung das Notkühlsystem kleiner auszulegen. Derartige Erhöhungen und Erniedrigungen sind rein logische Folgen der Rationalisierungsaufgabe und ergeben sich für den Fachmann automatisch. Es bleibt somit zu untersuchen, ob die beanspruchte Lösung in quantitativer Hinsicht - d. h. die Erhöhung der Nutzleistung bzw. die Erniedrigung der Kühlleistung um mindestens 1 % gegenüber den am Prioritätstag als verbindlich angesehenen Sicherheitsnormen - als erfinderisch anzusehen ist:
2.4. Wie auch die Beschwerdeführerin vorstehend in Punkt VI-a) einräumt, wird in Betriebsparameter eines Kernreaktors, die aufgrund von unvollständig und ungenau bekannten Einflußgrößen zu dimensionieren sind, ein Sicherheitsfaktor eingebaut, der die Einflußgrößen mit höheren Werten berücksichtigt als der allgemeinen Erwartung entspricht. Wenn auch die Korrekturrichtung der Nachzerfallswärme aufgrund zuverlässigerer Nukliddaten nicht vorhersehbar ist - wie die Beschwerdeführerin in Punkt VI-d) geltend macht -, so hätte es den Fachmann nach Auffassung der Kammer allenfalls überrascht, wenn die genaueren Nukliddaten konstante oder gar größere Werte der Nachzerfallswärme ergeben hätten. Ihre Verkleinerung läßt der Sicherheitspuffer erwarten. Die von der Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung vorgelegten experimentellen Werte der Burst- Funktion zeigen, daß selbst in einer Versuchsanordnung außerhalb eines Kernreaktors die zu einem bestimmten Zeitpunkt auftretende Nachzerfallswärme spaltbaren Materials von einem Experimentator unter Laborbedingungen nur mit einer Genauigkeit von ± 10 % meßbar ist. Auch in Relation zur Dimensionierung eines Sicherheitspuffers, der die katastrophalen Folgen von Kernreaktorunfällen auffangen muß, wird der untere Verbesserungswert von 1 % nach Auffassung der Kammer den Fachmann daher keinesfalls überraschen. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß die beanspruchte quantitative Lehre "mindestens 1 %" den Fachmann nicht von seiner Verpflichtung enthebt zu überdenken, welcher Rationalisierungsrahmen - d. h. welche maximale Herabsetzung der Notkühlleistung - ausgehend von den theoretisch revidierten Werten der Nachzerfallswärme im Hinblick auf die Reaktorsicherheit vertretbar ist.
2.5. Entsprechend der auch der Entscheidung T 37/82, ABl. EPA 1984, 71, entnehmbaren ständigen Rechtspraxis des EPA sind bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nur Anspruchsmerkmale zu berücksichtigen, die kausal zur Lösung der Aufgabe beitragen. Somit stellt die Beschwerdeführerin selbst in ihrer Eingabe vom 3. August 1992, Seite 2 zurecht fest, daß die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die aus dem theoretischen Kernmodell eines der Miterfinder gewonnen wurden, nicht Gegenstand der vorliegenden Anmeldung sind sondern die beanspruchte Lehre zum technischen Handeln. Die Nukliddaten der Tabelle der Fig. 8 der Beschreibung oder die hiermit berechenbaren Nachzerfallswärmen sind also nicht materieller Bestandteil der beanspruchten Lehre zum technischen Handeln und haben schon deshalb bei der Beurteilung einer ihr zugrundeliegenden erfinderischen Tätigkeit außer Betracht zu bleiben. In dem von der Beschwerdeführerin in Punkt VI-b) geltend gemachten "neuen Weg" über die neuen zuverlässigeren Nukliddaten ist allenfalls die sachliche Rechtfertigung der technischen Lehre zu sehen, die ihre Ausführbarkeit begründet, d. h. gewährleistet, daß eine um 1 % kleinere Notkühlung keinen Schaden anrichtet.
2.6. Als ein aus einem nicht offenbarten theoretischen Kernmodell in nicht offenbarter Weise berechnetes System von Naturkonstanten bleiben die Nukliddaten der Tabelle der Fig. 8 Bestandteil einer wissenschaftlichen Theorie, die gemäß Art. 52 (2) a) EPÜ als nicht patentfähig erachtet wird. Die wissenschaftliche Leistung, die zu den Daten der Fig. 8 geführt hat, liegt also auf einem vom Europäischen Patentübereinkommen als nicht patentfähig erklärten Gebiet. In ihrer Entscheidung T 38/86, ABl. EPA 1990, 384, insbesondere Pkt. 13, hat die Beschwerdekammer 3.5.1 einen zur Erfindung führenden Schritt, der - als Verfahren für eine gedankliche Tätigkeit - auf einem nicht patentfähigen Gebiet (vgl. Art. 52 (2) c)) liegt, bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit außer Betracht gelassen. Wie schon der übliche Beurteilungsmodus des Art. 56 EPÜ anhand der technischen Aufgabe und ihrer Lösungsmittel erkennen läßt, betrifft das "Erfinderische" dieses Patentierbarkeitskriteriums seinem Wesen nach nicht die Bereicherung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse sondern die Schaffung von Arbeitsmitteln. Daher hält es die entscheidende Kammer für gerechtfertigt, in Analogie zu der Entscheidung T 38/86 folgende Rechtsauffassung zu vertreten: Ist eine auf einer wissenschaftlichen Erkenntnis beruhende technische Lehre für den technischen Fachmann naheliegend, sobald die wissenschaftliche Erkenntnis gewonnen worden ist, und liegt somit kein erfinderischer Beitrag auf einem nicht nach Art. 52 (2) a) EPÜ ausgeschlossenen Gebiet vor, so weist diese technische Lehre eine erfinderische Tätigkeit im Sinne des Art. 56 EPÜ nicht auf. Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin gemäß Pkt. VI-c) kann daher nicht gefolgt werden.
2.7. Der von der Beschwerdeführerin gemäß Pkt. VI-c) ferner geltend gemachte technische Fortschritt ist kein Patenterteilungserfordernis des Europäischen Patentübereinkommens und gemäß ständiger Rechtspraxis des EPA kein Ersatz für den Nachweis der erfinderischen Tätigkeit; vgl. auch T 164/83, ABl. EPA 1987, 153, Pkt. 8.
3. Aus den vorstehend in Pkt. 2.1 bis 2.7 angegebenen Gründen beruhen die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1 und 6 des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1a und 1b sowie die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 des Hilfsantrags 3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ. Sie sind daher aufgrund von Artikel 52 (1) EPÜ nicht gewährbar.
4. Die jeweiligen Ansprüche 2 bis 5 und 7 bis 10 des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1a und 1b hängen von dem betreffenden Anspruch 1 bzw. 6 ab und teilen deshalb deren Rechtsschicksal.
5. Änderungen - Hilfsantrag 2
5.1. Der während des Beschwerdeverfahrens eingereichte Anspruch gemäß Hilfsantrag 2 enthält in seinem kennzeichnenden Teil die Angabe: "daß das Verhältnis von Notkühlleistung zu Nennleistung dem folgenden (d. h. dem in Fig. 8 angegebenen) Satz von Nukliddaten entspricht." Die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen enthalten hingegen weder einen expliziten Zahlenwert eines mit Hilfe der Daten der Fig. 8 berechneten Verhältnisses von Notkühlleistung zu Nennleistung noch irgendwelche Hinweise, in welcher Weise die Notkühlleistung eines Kernreaktors aus der Nachzerfallswärme des in ihm enthaltenen spaltbaren Materials hervorgeht.
Es reicht nicht aus, daß - wie die Beschwerdeführerin in Pkt. VII-a) vorträgt - die Bestimmung der Notkühlleistung aus der zweifellos anhand der Offenbarung der Anmeldung berechenbaren Nachzerfallswärme mit Hilfe des fachmännischen Wissens möglich ist. Die nachträgliche Beanspruchung eines solchen Merkmals ist vielmehr nur zulässig, wenn der Fachmann erkennen kann, daß diese Bestimmung als Bestandteil der Erfindung zum sachlichen Inhalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen gehört. Das zur Bestimmung der Notkühlleistung aus der Nachzerfallswärme erforderliche Fachwissen ist aber weder explizit noch durch einen Literaturhinweis in der ursprünglichen Beschreibung angesprochen.
5.2. Seite 2, Zeilen 9 bis 15 der ursprünglichen Beschreibung lauten:
"Die 1984 und 1985 gültigen Kernreaktor- Sicherheitsbestimmungen, wie die DIN-Norm 25463 (Juli 1982) und die ANS-Norm ANSI/ANS-5.1-1979/1985, die Nachzerfallswärme und damit letztlich die Mindest- Kühlleistung des Notkühlsystems eines Kernreaktors in Abhängigkeit von der Nennleistung des Reaktors, also der maximal zulässigen Nutzleistung, die dem Reaktor im normalen Betrieb entnommen werden darf, festlegen, beruhen auf verhältnismäßig unsicheren Annahmen."
Dieser Text stellt eindeutig eine Würdigung des Standes der Technik dar, auf dem die vorliegende Anmeldung aufbaut. Die Kammer vermag dem Argument der Beschwerdeführerin, gemäß Pkt.-c) nicht zu folgen, daß der vorstehende Text dem Fachmann die DIN-Norm 25463 (Juli 1982) als zur Erfindung gehörige Rechenvorschrift für die Notkühlleistung aus der Nacherfallswärme offenbart. Die Kammer hat sich überdies davon überzeugt, daß die DIN-Norm 25463 von Juli 1982 - wie die Beschreibung der vorliegenden Anmeldung selbst - ausschließlich die Berechnung der Nachzerfallswärme zum Inhalt hat und überdies auf die Berechnung von Nachzerfallswärmen nicht rezyklierter Brennstoffe von Leichtwasserreaktoren beschränkt ist.
5.3. Im Hinblick auf die in Punkt 5.1 und 5.2 dargelegten Sachverhalte kann es dahingestellt bleiben, ob die Notkühlleistung von konstruktiven Daten unabhängig ist, vgl. Pkt. VII-b).
6. Aus den vorstehend in Pkt. 5.1 bis 5.3 genannten Gründen geht der Gegenstand des Anspruchs des Hilfsantrags 2 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und entspricht somit nicht den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ. Der Anspruch des Hilfsantrags 2 ist daher nicht gewährbar.
7. Bei dieser Sachlage erachtet es die Kammer als überflüssig, auf die Frage der Neuheit des Anspruchs des Hilfsantrags 2 und einer ihm zugrundeliegenden erfinderischen Tätigkeit einzugehen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.