T 1767/18 (Rekombinates Verfahren zur Herstellung von PUFAs/BASF) of 1.6.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T176718.20220601
Datum der Entscheidung: 01 Juni 2022
Aktenzeichen: T 1767/18
Anmeldenummer: 09176085.0
IPC-Klasse: C12N 9/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung mehrfach ungesättigter Fettsäuren in transgenen Organismen
Name des Anmelders: BASF Plant Science GmbH
Name des Einsprechenden: Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation
Kammer: 3.3.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 76(1)
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 100(c)
European Patent Convention Art 101(3)(a)
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention Art 114
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 123(3)
European Patent Convention R 106
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Schlagwörter: Hauptantrag - Gegenstand geht über den Inhalt der früheren Anmeldung hinaus (ja)
Hilfsantrag 3 - Erfinderische Tätigkeit (nein)
Hilfsantrag 3A - Erfordernisse des EPÜ erfüllt (ja)
Spät eingereichte Tatsachen, Beweismittel
Spät eingereichte Tatsachen - eingereicht kurz vor der mündlichen Verhandlung
Spät eingereichte Tatsachen - zugelassen (nein)
Anträge eingereicht mit Beschwerdeerwiderung - zugelassen (ja)
Rügepflicht - Einwand zurückgewiesen
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/91
G 0010/91
G 0003/14
T 0285/91
T 1120/00
T 0583/09
T 1259/16
T 1773/18
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0574/17
T 1038/19
T 1851/21

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin I) und der Einsprechenden (Beschwerdeführerin II) richten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent mit der Nummer 2 166 089 im geänderten Umfang aufrecht zu erhalten. Dieses Patent basiert auf der europäischen Patentanmeldung Nr. 09 176 085.0, die eine Teilanmeldung der früheren europäischen Patentanmeldung Nr. 04 763 291.4 ist, welche unter der PVÜ als internationale Anmeldung eingereicht und als WO2005/012316 (nachfolgend als "Stammanmeldung" bezeichnet) veröffentlicht wurde.

II. Die Einspruchsabteilung kam in der angefochtenen Entscheidung zu der Auffassung, dass der Gegenstand des Hauptantrags (Ansprüche wie erteilt) nicht erfinderisch sei, während der Gegenstand von Hilfsantrag 1, der während der mündlichen Verhandlung eingereicht wurde, den Erfordernissen des EPÜ genüge.

III. Die Beschwerdeführerin I verwies in ihrer Beschwerdebegründung auf ihren Hauptantrag (Ansprüche wie erteilt) und Hilfsantrag 1, die beide im erstinstanzlichen Verfahren behandelt wurden, und brachte Gründe vor, warum der Gegenstand des Hauptantrags erfinderisch sei. Des Weiteren wurden mehrere Hilfsanträge eingereicht.

IV. Die Beschwerdeführerin II erhob in ihrer Beschwerdebegründung gegen den Gegenstand des aufrechterhaltenen Hilfsantrags 1 Einwände wegen unzulässiger Erweiterung, unzureichender Offenbarung und mangelnder erfinderischer Tätigkeit. Darüber hinaus wurden Einwände wegen mangelnder Klarheit gegen die angepasste Beschreibung vorgebracht, und eine neue Entgegenhaltung (D52) eingereicht.

V. Die Beschwerdeführerin I reichte in Antwort auf die Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin II neue Hilfsanträge ein, unter anderem 3 und 3A, die die zuvor eingereichten Hilfsanträge ersetzten. Zudem wurden geänderte Beschreibungsseiten 26 und 42 eingereicht.

VI. In Antwort auf die Beschwerdebegründung erhob die Beschwerdeführerin II dieselben Einwände wegen unzulässiger Erweiterung und unzureichender Offenbarung, die gegen Hilfsantrag 1 vorgebracht wurden, auch gegen den Hauptantrag. Darüber hinaus wurden weitere Einwände unter mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegen den Hauptantrag vorgebracht. Des Weiteren wurde die Zulässigkeit sämtlicher Hilfsanträge die von der Beschwerdeführerin I mit ihrer Beschwerdebegründung eingereicht wurden angegriffen, sowie deren Gewährbarkeit.

VII. Die Parteien wurden in einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK über die vorläufige Meinung der Kammer informiert.

VIII. In Antwort darauf brachte die Beschwerdeführerin II Argumente gegen die Zulassung von unter anderem den Hilfsanträgen 3 und 3A vor. Weitere Einwände unter unzulässiger Erweiterung und mangelnder erfinderischer Tätigkeit wurden gegen Anspruch 8 des Hauptantrags sowie der Hilfsanträge vorgebracht. Gegen die Hilfsanträge 3 und 3A wurden neue Einwände unter unzulässiger Erweiterung, Erweiterung des beanspruchten Schutzumfangs, mangelnder Klarheit sowie unzureichender Offenbarung eingereicht. Darüber hinaus wurden neue Entgegenhaltungen (D53 und D54) eingereicht.

IX. In Antwort darauf wurden von der Beschwerdeführerin I die Hilfsanträge 3B, 3C und 3D eingereicht, sowie weitere Entgegenhaltungen.

X. Die mündliche Verhandlung fand am 1. Juni 2022 in Form einer Videokonferenz statt. Die Beschwerdeführerin I nahm in der Verhandlung alle eingereichten Hilfsanträge zurück, mit Ausnahme der Hilfsanträge 3, 3A, 3B, 3C und 3D.

XI. Anspruch 8 wie erteilt (Hauptantrag) lautet wie folgt:

"8. Verfahren zur Herstellung von Verbindungen der allgemeinen Formel I

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

in transgenen nichthumanen Organismen mit einem Gehalt von mindestens 1 Gew.-% dieser Verbindungen bezogen auf den Gesamtlipidgehalt des transgenen nichthumanen Organismus, dadurch gekennzeichnet, dass es folgende Verfahrensschritte umfasst:

a) Einbringen mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta6-Desaturase-Aktivität kodiert, und

b) Einbringen mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta6-Elongase-Aktivität kodiert, und

c) Einbringen mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta5-Desaturase-Aktivität kodiert, und

d) Einbringen mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta5-Elongase-Aktivität kodiert, und

e) Einbringen mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta4-Desaturase-Aktivität kodiert, und

wobei die Variablen und Substituenten in der Formel I die folgende Bedeutung haben:

R**(1) = Hydroxyl-, CoenzymA-(Thioester), Lyso-Phosphatidylcholin-, Lyso-Phosphatidylethanolamin-, Lyso-Phosphatidylglycerol-, Lyso-Diphosphatidylglycerol-, LysoPhosphatidylserin-, Lyso-Phosphatidylinositol-, Sphingobase-, oder einen Rest der allgemeinen Formel II

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

R**(2) = Wasserstoff-, Lyso-Phosphatidylcholin-, Lyso-Phosphatidylethanolamin-, Lyso-Phosphatidylglycerol-, Lyso-Diphosphatidylglycerol-, Lyso-Phosphatidylserin-, Lyso-Phosphalidylinositol- oder gesättigtes oder ungesättigtes C2-C24-Alkylcarbonyl-,

R**(3) = Wasserstoff-, gesättigtes oder ungesättigtes C2-C24-Alkylcarbonyl-, oder R**(2) oder R**(3) unabhängig voneinander einen Rest der allgemeinen Formel Ia:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

n = 2, 3, 4, 5, 6, 7 oder 9, m = 2, 3, 4, 5 oder 6 und p = 0 oder 3, wobei die Nukleinsäure mit einer Sequenz, die für das Polypeptid mit Delta6-Elongaseaktivität kodiert, ausgewählt ist aus der Gruppe bestehend aus:

a) Nukleinsäure mit den in SEQ ID NO: 69 oder SEQ ID NO: 111 dargestellten Sequenzen, oder

b) Nukleinsäurenn, die sich als Ergebnis des degenerierten genetischen Codes von den in SEQ ID NO: 70 oder SEQ ID NO: 112 dargestellten Aminosäuresequenzen ableiten lassen, oder

c) Derivate der in SEQ ID NO: 69 oder SEQ ID NO: 111 dargestellten Nukleinsäuresequenzen, die für Polypeptide mit mindestens 40% Identität auf Aminosäureebene mit SEQ ID NO: 70 oder SEQ ID NO: 112 kodieren und eine Delta6-Elongaseaktivität aufweisen".

XII. Die Ansprüche 1 und 8 von Hilfsantrag 3 lauten wie folgt:

"1. Isolierte Nukleinsäure mit einer Sequenz, die für ein Polypeptid mit Delta6-Elongaseaktivität kodiert, mit

a) Nukleinsäuren mit den in SEQ ID NO: 69 oder SEQ ID NO: 111 dargestellten Sequenzen,

b) Nukleinsäuren, die sich als Ergebnis des degenerierten genetischen Codes von den in SEQ ID NO: 70 oder SEQ ID NO: 112 dargestellten Aminosäuresequenzen ableiten lassen, oder

c) Derivate der in SEQ ID NO: 69 oder SEQ ID NO: 111 dargestellten Nukleinsäuresequenzen, die für Polypeptide mit mindestens 60% Identität auf Aminosäureebene mit SEQ ID NO: 70 oder SEQ ID NO: 112 kodieren und eine Delta6-Elongaseaktivität aufweisen.

8. Verfahren zur Herstellung der Verbindungen Docosahexaensäure (DHA) und Eisosapentaensäure (EPA) in transgenen Organismen mit einem Gehalt von mindestens 1 Gew.-% dieser Verbindungen bezogen auf den Gesamtlipidgehalt des transgenen Organismus, dadurch gekennzeichnet, dass es folgende Verfahrensschritte umfasst:

a) Einbringen und exprimieren mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta6-Desaturase-Aktivität kodiert, und

b) Einbringen und exprimieren mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta6-Elongase-Aktivität kodiert, und

c) Einbringen und exprimieren mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta5-Desaturase-Aktivität kodiert, und

d) Einbringen und exprimieren mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta5-Elongase-Aktivität kodiert, und

e) Einbringen und exprimieren mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta4-Desaturase-Aktivität kodiert, und

wobei die Nukleinsäure mit einer Sequenz, die für die Polypeptide mit Delta6-Elongaseaktivität kodiert, ausgewählt ist aus der Gruppe bestehend aus:

a) Nukleinsäuren mit den in SEQ ID NO: 69 oder SEQ ID NO: 111 dargestellten Sequenzen, oder

b) Nukleinsäurenn, die sich als Ergebnis des degenerierten genetischen Codes von den in SEQ ID NO: 70 oder SEQ ID NO: 112 dargestellten Aminosäuresequenzen ableiten lassen, oder

c) Derivate der in SEQ ID NO: 69 oder SEQ ID NO: 111 dargestellten Nukleinsäuresequenzen, die für Polypeptide mit mindestens 40% Identität auf Aminosäureebene mit SEQ ID NO: 70 oder SEQ ID NO: 112 kodieren und eine Delta6-Elongaseaktivität aufweisen,

wobei der transgene Organismus ein transgener Mikroorganismus oder eine transgene Pflanze ist".

XIII. Hilfsantrag 3A unterscheidet sich von Hilfsantrag 3 nur dadurch, dass in Anspruch 8 das Merkmal "40% Identität" durch "50% Identität" ersetzt wurde.

XIV. Die folgenden Entgegenhaltungen werden in dieser Entscheidung genannt:

D11: Drexler H. et al., Journal of Plant Physiology,

2003, Bd. 160, 779-802;

D13: Domergue F. et al., Journal of Biological

Chemistry, 30. Juni 2003, Bd. 273(37),

35115-35126;

D14: Domergue F. et al., European Journal of

Biochemistry, 2002, Bd. 269(16), 4105-4113;

D15: WO 02/090493 (veröffentlicht 14. November 2002);

D16: Zank T. K. et al., Biochemical Society

Transactions, 2000, Bd. 28(6), 654-658;

D17: Zank T. K. et al., The Plant Journal, 1 August

2002, Bd. 31(3), 255-268;

D18: WO 2001/59128 (veröffentlicht 16. August 2001);

D30: Parker-Barnes J. M. et al., PNAS, 2000, Bd.

97(15), 8184-8289;

D31: Beaudoin F. et al., Biochemical Society

Transactions, 2000, Bd. 28, 661-663;

D43: Sequenz "Alignment" der Delta-6-Elongasen "PSE1"

(Datenbank Nummer AF428243.1) aus Physcomitrella

patens und SEQ ID NO: 70 aus Anspruch 8 des

Patents;

D44: GenBank Eintrag der NCBI Webseite, No.

AF428243, Version AF428243.1, 12. September 2002;

D50: Erklärung von Dr Surinder Singh datiert vom

27. November 2017, mit Anhängen A, B and C;

D51: Diedrich, M., and Henschel, K.P., Die Nahrung,

1990, Bd. 34(10), 935-943;

D52: Aktualisierte Tabelle mit 70 Fettsäuren, die von

der allgemeinen Formel I aus Anspruch 8 des

angegriffenen Patents umfasst sind;

D53: Hoffmann, M. et al., Journal of Biological

Chemistry, 2008, Bd. 283(33): 22352-22362;

D54: Eingabe der Beschwerdeführerin I vom 23 August

2017 in einem anderen Beschwerdeverfahren gegen

das Europäische Patent EP 1756280.

XV. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin I lauten wie folgt:

Hauptantrag (Ansprüche wie erteilt)

Unzulässige Erweiterung - Anspruch 8

Eine Basis für das Verfahren von Anspruch 8 finde sich in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1 und 2, sowie auf Seite 45, Zeilen 9 bis 21 der Stammanmeldung.

Anspruch 1 wie ursprünglich eingereicht offenbare ein Verfahren, das zur Herstellung von Verbindungen der allgemeinen Formel I in einer definierten Mindestmenge mindestens fünf Enzyme verwende (Schritte a) bis e)). In den Verfahrensschritten a) und b) seien jeweils zwei Enzyme genannt, von denen nur mindestens eines in Form seiner Nukleinsäuresequenz in den transgenen Organismus eingebracht werde. Damit offenbare dieser Anspruch in den Verfahrensschritten a) bis e) das Einbringen von vier Kombinationen von Nukleinsäuresequenzen die für Enzyme mit einer definierten Aktivität kodieren. Jede dieser Kombinationen sei in individualisierter Form für die Herstellung der beanspruchten Verbindungen offenbart.

Der ursprünglich eingereichte Anspruch 1 verlange nicht, dass alle Verbindungen der allgemeinen Formel I mit dem beanspruchten Verfahren herstellbar seien, sondern nur, dass der Gesamtgehalt aller Verbindungen die unter die allgemeine Formel I fallen mindestens 1 Gewichtsprozent erreichen müsse, bezogen auf den Gesamtlipidgehalt des transgenen Organismus. Des Weiteren umfasse dieser Anspruch nicht die Herstellung von 1 Gewichtsprozent jeder einzelnen der unter Formel I fallenden Verbindungen, sondern verlange, dass eine Mischung dieser Verbindungen in der gewünschten Menge herstellbar sei. Dies resultiere aus dem allgemeinen Fachwissen der Fachperson, die den Anspruch interpretiere und wisse welche Enzyme und Biosynthesewege für die Herstellung von Verbindungen der allgemeinen Formel I benötigt werde (siehe Abbildung 1 der Stammanmeldung).

Anspruch 8 wie erteilt unterscheide sich von Anspruch 1 wie ursprünglich eingereicht nur dadurch, dass durch die Streichung der Delta9-Elongase in Schritt a) sowie der Delta8-Desaturase in Schritt b), drei der vier verwendeten Kombinationen aus mindestens fünf Enzymen gestrichen wurden. Dies gehe allerdings nicht über die Offenbarung der Stammanmeldung hinaus, da Anspruch 1 wie ursprünglich eingereicht jede dieser vier Kombinationen in individualisierter Form für die Herstellung der beanspruchten Verbindungen offenbare, und somit direkt und eindeutig auch die Kombination von Anspruch 8.

Die Verwendung der Delta6-Desaturase und der Delta6-Elongase in Kombination sei auf der Seite 29, Zeilen 11 bis 17 der Stammanmeldung gezeigt.

Zulassung der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 3 und 3A zum Beschwerdeverfahren, sowie von Einwänden, Argumenten und Beweismitteln der Beschwerdeführerin II gegen diese Hilfsanträge

Die Hilfsanträge 3 und 3A seien in Erwiderung auf die Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin II eingereicht worden und somit nicht verspätet. Darüber hinaus habe die Beschwerdeführerin II ihre Einwände gegenüber der Streichung der Delta9-Elongase in Schritt a) sowie der Delta8-Desaturase in Schritt b) von Anspruch 8 wie erteilt unter unzulässiger Erweiterung während des Einspruchsverfahrens laufend geändert. Die Einspruchsschrift erwähne unter Punkt 5.1.2 lediglich, dass die Streichung dieser beiden Enzyme eine unzulässige Auswahl eines Teils des Biosyntheseweges darstelle, jedoch sei die allgemeine Formel I nicht erwähnt. Das entscheidende Argument, dass die Anmeldung wie eingereicht keine Offenbarung für die Verwendung der genannten Enzymkombination in Anspruch 8 wie erteilt enthalte, sei erst in der letzten Eingabe der Beschwerdeführerin II vor der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren vorgebracht worden. Dieses Argument sei somit selbst verspätetet. Die Einspruchsabteilung sei in der Verhandlung der Auffassung der Beschwerdeführerin I gefolgt, sodass keine Veranlassung bestanden habe, die Hilfsanträge 3 und 3A früher einzureichen. Für die Beschwerdeführerin I sei nicht vorhersehbar gewesen, dass dieses späte Argument erfolgreich sei, sonst hätte sie früher darauf reagiert. Die Hilfsanträge 3 und 3A seien somit nicht verspätet und zuzulassen.

Die Beschwerdeführerin II reichte erst drei Wochen vor dem angesetzten Verhandlungstermin im Beschwerdeverfahren erstmalig Einwände, und Argumente unter unzureichender Erweiterung, Erweiterung des Schutzumfangs, mangelnder Klarheit, sowie ausreichender Offenbarung gegenüber den Hilfsanträgen 3 und 3A ein. Des Weiteren seien neue Entgegenhaltungen (D53 und D54) eingereicht worden. Dies stelle eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin II zu einem sehr späten Zeitpunkt des Verfahrens dar. Zudem habe die Beschwerdeführerin II der Beschwerdeführerin I diese Eingabe nicht direkt zugestellt, sodass ihr nur zehn Tage bis zum Verhandlungstermin geblieben seien, um darauf zu reagieren. Dies erkläre die Einreichung der Hilfsanträge 3B, 3C und 3D erst am Tag vor der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren. Es gebe keine außergewöhnlichen Umstände die diese späte Eingabe rechtfertigen, da die Hilfsanträge 3 und 3A der Beschwerdeführerin II seit dreieinhalb Jahren bekannt seien, weil diese bereits in Erwiderung auf ihre Beschwerdebegründung eingereicht wurden.

Hilfsantrag 3

Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 8

Die Entgegenhaltung D11 stelle nicht den nächsten Stand der Technik dar. Diese Entgegenhaltung offenbare die Herstellung von Fettsäuren in genetisch veränderten Ölfruchtpflanzen. Dazu seien verschiedene Enzyme aus unterschiedlichen Enzymklassen genannt, allerdings seien Elongasen und Desaturasen, im Gegensatz zu Anspruch 8, nicht besonders hervorgehoben. Die Abbildung 2 auf Seite 783 nenne, zum Beispiel, 18 unterschiedliche Enzymklassen. Diese Entgegenhaltung konzentriere sich nicht auf die Herstellung von PUFAs, sondern beschreibe auch die Herstellung verschiedener Öle, Wachse und Fettsäuren. Selbst für die Herstellung von PUFAs offenbare diese Entgegenhaltung in Abbildung 6 auf der Seite 795 nicht einen einzigen Syntheseweg, sondern drei. Daneben seien viele Organismen als Bezugsquellen für Gene genannt, die die benötigten Enzyme kodieren. Ein Hinweis auf die Verwendung einer Delta-6-Elongase aus Physcomitrella patens (P. patens) sei in der Entgegenhaltung D11 jedoch nicht enthalten. Somit hätte die Fachperson eine vielfache Auswahl treffen müssen, um zur Herstellung der beiden PUFAs mit den in Anspruch 8 genannten Enzymen zu gelangen. Damit hätte die Fachperson ausgehend von dieser Entgegenhaltung zwar die beanspruchte Auswahl treffen können, allerdings gebe es keine Hinweise die sie veranlasst hätte dies auch zu tun. Eine weitere Schwierigkeit sei gewesen, dass die Entgegenhaltung D11 die Nukleinsäuresequenzen für die benötigten Enzyme, insbesondere der Delta-6-Elongase, nicht offenbare. Auch die Entgegenhaltung D16, die in D11 zitiert sei, offenbare keine Nukleinsäuresequenz dieses Enzyms. Im Material und Methoden Teil auf Seite 657, Spalte 1 der Entgegenhaltung D16 sei nur eine P. patens EST Datenbank genannt, jedoch ohne den Namen der Datenbank bzw. die verwendeten Primer zu offenbaren. Die Fachperson wisse somit nicht, ob diese Datenbank existiere, bzw. müsse ein Forschungsprojekt starten, um das Gen aus P. patens zu isolieren. Da dies zu arbeitsaufwendig gewesen sei, hätte die Fachperson einen anderen Weg gewählt. Die Entgegenhaltung D11 nenne neben P. patens, auch Mortierella alpina (M. alpina, siehe Entgegenhaltung D30, Abbildung 2) und Caenorhabditis elegans (C. elegans, siehe Entgegenhaltung D31, Abbildung 1) als Bezugsquellen für ein Delta-6-Elongase Gen. Im Gegensatz zu D16, sei in den Entgegenhaltungen D30 in Abbildung 2, und in D31 in Abbildung 1 die entsprechende Nukleinsäuresequenz für eine Delta-6-Elongase offenbart.

Hilfsantrag 3A

Unzulässige Erweiterung - - Ansprüche 1 und 8

Die Kombination der Merkmale von Anspruch 1 c) und 8 c) seien im wesentlichen auf der Seite 45, Zeilen 9, 10, 17 bis 21 der Stammanmeldung offenbart. Des Weiteren offenbare die Seite 31, Absatz 2 der Stammanmeldung, dass die Derivate für Proteine kodieren, die eine enzymatische Aktivität besitzen. Dies sei auch auf der Seite 50, in den Zeilen 36 bis 38 gezeigt. Bevorzugte Mindestsequenzidentitäten von 50% und 60% seien auf Seite 50, in den Zeilen 40 bis 42 der Stammanmeldung genannt.

Eine Basis für den Austausch der Begriffe "ausgewählt aus der Gruppe" durch "mit" in Anspruch 1 a) finde sich auf der Seite 1, Zeilen 30 bis 35, Seite 32, Zeilen 24 und 25, und der Seite 53 in den Zeilen 28 bis 32 der Stammanmeldung, sowie in Anspruch 19 wie eingereicht.

Unzureichende Offenbarung - Anspruch 8

Anspruch 8 sei auf ein Verfahren gerichtet, das die Herstellung der Verbindungen EPA und DHA mit einem Gehalt von mindestens 1 Gew.-% dieser Verbindungen bezogen auf den Gesamtlipidgehalt des Wirtsorganismus verlange. Dies bedeute, der Anspruch sei auf die Herstellung einer Mischung dieser beiden Verbindungen gerichtet, deren Gesamtgehalt mindestens 1 Gew.-% erreichen müsse. Der Anspruch verlange nicht, dass jede der beiden PUFAs alleine in der geforderten Mindestmenge herzustellen sei. Die in Anspruch 8 genannten Enzyme seien in dem Biosyntheseweg der Abbildung 1B gezeigt, der zur Synthese von EPA und DHA führe. Damit sei das beanspruchte Verfahren ausführbar. Die Delta-6-Elongase von SEQ ID NO: 70 sei in Hefe exprimiert und funktional charakterisiert worden (siehe Beispiele 17, 18, 45 und 46 der Stammanmeldung). Die anderen Enzyme seien in den Beispielen 28 bis 32 auf ihre Aktivität getestet worden. Des Weiteren zeige das Beispiel 8 die Herstellung von EPA und DHA, während Beispiel 32 die Herstellung von EPA zeige. Die Beispiele 8 und 32 zeigen somit, dass der in Abbildung 1 offenbarte Biosyntheseweg rekombinant nachgebildet werden könne. Da EPA und DHA keine PUFAs mit ungerader Anzahl, sondern gerader Anzahl an Kohlenstoffatomen seien, treffe die Argumentation der Beschwerdeführerin II für das beanspruchte Verfahren nicht zu.

Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 8

Das Verfahren von Anspruch 8 sei nicht durch die Kombination der Lehre der Entgegenhaltungen von D11 und D18 nahegelegt. Anspruch 8 verlange, dass mindestens die fünf genannten Gene exprimiert werden, was dazu führe, dass DHA und EPA in den genannten transgenen Organismen hergestellt werden. Bei einer technisch sinnvollen Auslegung des beanspruchten Verfahrens, sei eine Zufütterung von Vorstufen auszuschließen. Diese sei auch aus Kostengründen zu unterlassen (siehe Patent, Absatz [0073]).

Die Delta-6-Elongase stelle enzymatisch eine Vorstufe für die Herstellung von DHA und EPA her (siehe Abbildung 1 des Patents). Weder die Entgegenhaltung D11 noch D18 offenbarten Sequenzen, die zu 50% identisch zu den beanspruchten Sequenzen seien. Daher gelänge die Fachperson selbst bei einer Kombination beider Entgegenhaltungen nicht automatisch zum beanspruchten Verfahren. Stattdessen müsse die Fachperson ein eigenes Forschungsprojekt starten, um zu diesen Sequenzen zu gelangen. Die Entgegenhaltung D18 offenbare vier Delta-6-Elongasen (siehe Anspruch 2), wovon nur die SEQ ID NO: 1 aus P. patens stamme, und 45% Sequenzidentität zu den Sequenzen aus Anspruch 8 aufweise. Alle anderen wiesen eine geringere Sequenzidentität auf. Des Weiteren nenne Anspruch 3 zwar Algen, allerdings gebe es mindestens 10000 verschiedene Algenarten. O. tauri, die zu den Grünalgen gehöre, sei nicht genannt, und es gebe auch keine Hinweise in D18, warum die Fachperson gerade in Grünalgen, geschweige denn in O. tauri, nach einer Delta-6-Elongase gesucht hätte. Es gebe auch keine Hinweise in der zitierten Literatur darauf, dass Grünalgen PUFAs herstellen. Diese Situation sei somit mit der in der Entscheidung T 985/11 behandelten Situation vergleichbar, da es keine Zweifel gebe, dass die Fachperson homologe Sequenzen finden könne, jedoch nicht wisse, wo sie danach suchen solle. Keine der verfügbaren Entgegenhaltungen zeige, dass es der Fachperson zum relevanten Anmeldetag bekannt gewesen sei, dass Grünalgen PUFAs herstellen können. Aus diesem Grund seien auf der Seite 29, Zeilen 23 bis 26 der Entgegenhaltung D18 auch nur Moose, wie P. patens, oder Pilze genannt. Die Fachperson hatte somit keine Hinweise in Grünalgen nach einer Delta-6-Elongase zu suchen. Wenn es solche Hinweise gab, dann nur für andere Moose oder damit verwandte Arten.

XVI. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin II lauten wie folgt:

Hauptantrag (Ansprüche wie erteilt)

Unzulässige Erweiterung - Anspruch 8

Die Stammanmeldung enthalte keine direkte und eindeutige Offenbarung für die Streichung der Delta-9-Elongase in Schritt a) von Anspruch 8, und die Streichung der Delta-8-Desaturase in Schritt b) von Anspruch 8. Dies sei bereits in der Entscheidung T 1773/18 festgestellt worden, die einen fast identischen Sachverhalt prüfe.

Zulassung der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 3 und 3A zum Beschwerdeverfahren, sowie von Einwänden, Argumenten und Beweismitteln der Beschwerdeführerin II gegenüber diesen Hilfsanträgen

Die Gründe warum die Beschwerdeführerin I die Hilfsanträge 3 und 3A nicht bereits im erstinstanzlichen Verfahren eingereicht habe, seien erstmalig in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden. Damit seien diese Argumente neu im Verfahren, stellen eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin I dar, und seien nicht zuzulassen. Zum Zeitpunkt der Einreichung der Hilfsanträge 3 und 3A im Beschwerdeverfahren sei von der Beschwerdeführerin I lediglich angegeben worden, dass diese Anträge eine Antwort auf eine neue Auslegung von Anspruch 8 der Beschwerdeführerin II unter unzureichender Offenbarung darstelle, die erst mit deren Beschwerdebegründung eingereicht worden sei. Des Weiteren sei angeführt worden, dass diese beiden Anträge auf Argumente eingehen, die von der Beschwerdeführerin II im Lichte der Entgegenhaltungen D50 und D51 erst nach Ablauf der Einspruchsfrist vorgebracht worden seien. Dies treffe jedoch nicht zu. Die Einspruchsabteilung habe die entsprechende Auslegung von Anspruch 8 bereits in ihrer vorläufigen Meinung, die der Ladung beigefügt war, kommentiert. Daneben seien die beiden Entgegenhaltungen D50 und D51 bereits innerhalb der Frist nach Regel 116 EPÜ eingereicht worden. Somit seien die Hilfsanträge 3 und 3A nicht zuzulassen, da sie bereits im Einspruchsverfahren hätten eingereicht werden müssen.

Die Eingaben der Beschwerdeführerin II vom 1. Mai 2022 seien nicht früher eingereicht worden, weil die Begründung der Beschwerdeführerin I für die Einreichung der Hilfsanträge 3 und 3A prima facie nicht überzeugend gewesen sei. Selbst die Kammer äußerte in ihrer vorläufigen Meinung Zweifel über die Zulassung dieser beiden Anträge. Des Weiteren bestehe für die Kammer ex officio die Pflicht, Änderungen in den Ansprüchen auf die Erfordernisse des EPÜ zu prüfen (siehe G 9/91, Punkt 19 der Entscheidungsgründe, T 1430/05, Punkt 1 der Entscheidungsgründe). Darüber hinaus stelle die Eingabe vom 1. Mai 2022 eine Antwort auf die vorläufige Meinung der Kammer dar, die andeute, dass die Hilfsanträge 3 und 3A die Erfordernisse der Artikel 76 (1) und 123 (2) EPÜ erfüllen. Artikel 84 EPÜ sei in dieser Mitteilung jedoch nicht erwähnt worden.

Die Einwände unter Artikel 123 (2) und (3) EPÜ gegenüber der allgemeinen Formel I seien darüber hinaus nicht neu im Verfahren, da sie bereits in der Einspruchsschrift vorgebracht worden seien (siehe Seite 15). Der Einwand unter Artikel 84 EPÜ gegenüber Anspruch 11 von Hilfsantrag 3 und 3A sei prima facie ersichtlich. Alle Einwände unter den Artikeln 123 (2), (3) und 84 EPÜ seien des Weiteren nicht komplex und daher ins Verfahren zuzulassen.

Hilfsantrag 3

Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 8

Die Entgegenhaltung D11 stelle den nächsten Stand der Technik dar. Es ziele auf die Lösung desselben technischen Problems (rekombinante Herstellung der PUFAs DHA und EPA), beschreibe die PUFA Biosynthese, d. h. ihre Herstellung, nenne Gründe für ihre rekombinante Herstellung in Pflanzen, nenne die fünf dafür benötigten Enzyme, einschließlich der Organismen die Gene für diese Enzyme enthalten. Elongasen und Desaturasen seien bereits als Schlagworte in der Zusammenfassung der Entgegenhaltung D11 genannt (siehe Seite 779, Abbildung 6, Seiten 794 bis 796). Die Entgegenhaltung D11 nenne des Weiteren mit Verweis auf die Entgegenhaltung D16 explizit P. patens als Bezugsquelle für ein Delta-6-Elongase Gen. Dieses Gen sei zu 45% identisch mit der Nukleinsäuresequenz die in Anspruch 8 genannt sei (siehe Entgegenhaltung D43). Die fünf in Anspruch 8 genannten Enzyme seien in der Entgegenhaltung D11 ausdrücklich genannt und stellen damit für die Fachperson einen Hinweis für ihre Verwendung dar (siehe Absatz der die Seiten 794 und 795 verbindet, und Seite 795, Spalte 1, Absatz 2). Die Verwendung der unterschiedlichen Delta-6-Elongase sei mit keinem technischen Effekt verbunden.

Die zu lösende Aufgabe des beanspruchten Verfahrens sei die Bereitstellung eines alternativen Verfahrens zur Herstellung von EPA und DHA.

Das Verfahren von Anspruch 8 sei durch die Lehre der Entgegenhaltung von D11 alleine, oder in Kombination mit der Lehre der Entgegenhaltung D16 der Fachperson nahegelegt. Da die Entgegenhaltung D11 bereits auf die Entgegenhaltung D16 verweise, die als einziges Enzym eine Delta-6-Elongase aus P. patens nenne, sei dieses Enzym in der Entgegenhaltung D11 offenbart. Darüber hinaus sei dieses Enzym das einzige gewesen, das am relevanten Anmeldetag zusammen mit anderen Enzymen des Biosynthesewegs exprimiert und enzymatisch charakterisiert worden sei (siehe Entgegenhaltungen D13 bis D17). Damit stelle die Delta-6-Elongase aus P. patens das Enzym der Wahl dar. Auch wenn die Entgegenhaltung D16 die Nukleinsäuresequenz dieses Enzyms nicht nenne, sei diese am Anmeldetag der Fachperson bekannt gewesen (siehe Entgegenhaltungen D17 und D44).

Hilfsantrag 3A

Unzulässige Erweiterung - Ansprüche 1 und 8

Die Kombination der Merkmale "Derivate der in SEQ ID NO:69", "mindestens 60% Identität", und "Delta6-Elongaseaktivität" in Anspruch 1c) und die Kombination der Merkmale "Derivate der in SEQ ID NO:69", "mindestens 50% Identität", und "Delta6-Elongaseaktivität" in Anspruch 8c) stelle eine Auswahl aus drei Listen dar, die keine Stützung in der Stammanmeldung besitze. Während die Stammanmeldung offenbare, dass die SEQ ID NO:69 ein Protein der SEQ ID NO:70 kodiere, welches Delta6-Elongaseaktivität besitze, treffe dies nicht für die Derivate dieser Sequenzen zu.

Des Weiteren stelle der Austausch des Begriffs "ausgewählt aus der Gruppe" aus Anspruch 21 wie eingereicht durch "mit" in Anspruch 1 a) eine unzulässige Erweiterung dar. Während "mit" offen sei und damit das Vorhandensein weiterer Sequenzelemente in den Sequenzen von Anspruch 1 einschließe, bedeute "ausgewählt aus der Gruppe" in Anspruch 21 wie eingereicht, dass der beanspruchte Gegenstand auf die drei genannten Sequenzalternativen a) bis c) beschränkt sei, d. h. dass keine weiteren Sequenzelemente enthalte. Obwohl die Offenbarungen auf Seite 1, Zeilen 30 bis 35, Seite 32, Zeilen 24 und 25 und Seite 53, Zeilen 28 bis 32 der Stammanmeldung das Vorhandensein weiterer Sequenzen einschließe, seien diese Passagen nicht auf die beanspruchten Sequenzen gerichtet, sondern bezögen sich auf Sequenzen im Allgemeinen.

Unzureichende Offenbarung - Anspruch 8

Das Streitpatent enthalte kein Beispiel, das ein Verfahren gemäß Anspruch 8 zeige. Die Beispiele 8 und 32 zeigen nur die Expression von 3 Enzymen, von denen keines eine Delta-6-Elongase der SEQ ID NO: 70 sei. Entgegenhaltung D52 zeige, dass in den Beispielen der Stammanmeldung 12 PUFA-Verbindungen hergestellt worden seien, allerdings keine mit dem Verfahren von Anspruch 8, d. h. einer Kombination von mindestens 5 Enzymen. Dies sei auch nicht in Beispiel 47 der Stammanmeldung gezeigt, welches nur die funktionelle Charakterisierung der beanspruchten Delta-6-Elongase alleine zeige.

Die etablierte Rechtsprechung verlange, dass ein Anspruch im wesentlichen über seine gesamte Breite ausführbar sein müsse. Anspruch 8 verlange, dass jede einzelne der beiden PUFAs DHA und EPA alleine oder in einer Mischung in der geforderten Mindestmenge von 1 Gew.-% relativ zur Gesamtlipidmenge des Wirtsorganismus hergestellt werde. Diese Anspruchsauslegung sei von der Beschreibung der Stammanmeldung gestützt die offenbare, dass die "hergestellten Fettsäuren können als einziges Produkt im Verfahren hergestellt werden oder in einem Fettsäuregemisch vorliegen" (siehe Seite 10, Zeilen 15 und 16), oder "als "Reinprodukte" oder aber vorteilhaft in Form von Mischungen verschiedener Fettsäuren" vorliegen (siehe Seite 15, Zeilen 4 und 5). Die Entgegenhaltung D50 offenbare, dass PUFAs in Pflanzen nicht universell herstellbar seien. Die Entgegenhaltung D51 zeige, dass in Pflanzen nur PUFAs mit ungerader Anzahl an Kohlenstoffatomen vorkommen, die nicht unter den Anspruch fallen. Die Beweislast liege bei der Beschwerdeführerin I, da die Entgegenhaltungen D50 bis D52 ausreichende Zweifel säen, dass das Verfahren von Anspruch 8 über die gesamte Breite des Anspruchs ausführbar sei. Die von der Einspruchsabteilung zitierte Entscheidung T 292/85 sei für den vorliegenden Fall nicht anwendbar, da diese die ausreichende Offenbarung von funktional definierten technischen Merkmale behandle, die PUFAs von Anspruch 8 jedoch strukturell definiert seien. Die Mehrzahl der Verbindungen, die unter den Anspruch fallen, seien nicht herstellbar, da die Enzyme für ihre Herstellung nicht bekannt seien.

Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 8

Die Entgegenhaltung D11 bleibe der nächstliegende Stand der Technik. Das Verfahren der Ausführungsform von Anspruch 8 c) unterscheide sich nur dadurch, dass die Derivate zu mindestens 50% identisch seien zu der genannten Delta-6-Elongase aus O. tauri, während die Delta-6-Elongase aus P. patens nur zu 45% identisch sei. Da dieser Unterschied keinen technischen Effekt bewirke, sei das zu lösende technische Problem das gleiche wie in Hilfsantrag 3.

Die Verwendung eines Derivats das zu mindestens 50% identisch sei zu den in Anspruch 8 c) genannten Delta-6-Elongasen sei jedoch, in Analogie zur Entscheidung T 285/91, nicht bei der Bewertung der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen. Das Verfahren von Anspruch 8 sei nicht auf einen linearen Biosyntheseweg, wie in Abbildung 1 gezeigt, beschränkt. Der Anspruch verlange nicht, dass EPA und DHA aus alpha-Linolensäure (ALA: 18:3 Delta**(9,12,15)) als Ausgangsprodukt mit Hilfe der Delta-6-Elongase hergestellt werden. Vielmehr offenbare die Stammanmeldung, dass dieses Enzym durch die externe Zugabe von Vorläufersubstanzen umgangen werden könne (siehe Patent, Absatz [0073]). In dieser Situation trage die Delta-6-Elongase nicht zur Lösung der technischen Aufgabe bei.

Unabhängig davon sei die Ausführungsform von Anspruch 8 c) für die Fachperson bei Kombination der Lehre der Entgegenhaltungen D11 und D18 offensichtlich. Ausgehend von D11 hätte die Fachperson nach alternativen Delta-6-Elongasen gesucht. Dabei hätte sie die Entgegenhaltung D18 in Betracht gezogen, da diese Delta-6-Elongasen für die Herstellung von PUFAs offenbare, unter anderem aus P. patens. Die Nukleinsäuresequenz SEQ ID NO: 1 aus D18 (siehe Tabelle 2 auf Seite 24) kodiere für eine Delta-6-Elongase (SEQ ID NO: 2), die zu 45% identisch zu den in Anspruch 8 c) genannten Sequenzen sei. Die beanspruchten Derivate seien nicht auf eine Herkunft aus O. tauri beschränkt, sondern umfassen alle Delta-6-Elongasen mit der geforderten Mindestsequenzidentität. Des Weiteren seien Derivate dieser Sequenz offenbart die zu mindestens 50% homolog zu dieser seien und eine enzymatische Aktivität aufwiesen (siehe Seite 28, Zeilen 20 bis 23). Dies motiviere die Fachperson nach weiteren Delta-6-Elongasen zu suchen, wobei ein signifikanter Überlappungsbereich bestehe zwischen den beanspruchten Derivaten und einer Delta-6-Elongase die zu 50% homolog zu der aus P. patens sei. Die Suche nach homologen Derivaten umfasse immer die Suche in anderen Organismen (siehe Seite 29, Zeile 23 bis 29), wobei Primer gegen konservierte Bereiche, wie z. B. die His-Box, verwendet werden (siehe Seite 26, Zeile 45, Abbildung 10).

Diese Strategie verwende auch das Streitpatent (siehe Beispiel 14). Wenn es keine begründeten Zweifel gebe, dass Sequenzen, die zu 50% identisch zu den beanspruchten Sequenzen seien, existieren, dann gebe es auch keine Zweifel, dass die Fachperson diese Sequenzen ausgehend von der Entgegenhaltung D18 gefunden hätte. Hier sei der gleiche Standard anzulegen (siehe z. B. T 1120/00, Punkt 15 der Entscheidungsgründe). Da die Fachperson somit Sequenzen gefunden hätte, die mit den beanspruchten überlappen, und die Entgegenhaltung D18 motiviere danach zu suchen, sei die Fachperson automatisch zu Sequenzen gelangt, die in den Bereich von Anspruch 8 c) fielen.

Rüge nach Regel 106 EPÜ

Die Beschwerdeführerin II reichte während der mündlichen Verhandlung eine Rüge gemäß Regel 106 EPÜ ein. Die schriftliche Begründung dieser Rüge hat folgenden Inhalt:

"Objection under Rule 106 EPC during the Oral Proceedings in T1767/18 on 1**(st) June 2022

We raise an objection under Rule 106 EPC on the ground of a fundamental violation of Article 113 EPC (Art. 112a EPC).

The compliance of the amendments filed by Patentee during the appeal proceedings in AR3 and AR3a was never discussed during the Oral Proceedings and we were not given the opportunity to discuss them. The conclusion of inadmissibility under Art. 13(2) RPBA 202[0] of our arguments made impossible for us to comment on the compliance of these amendments with the EPC, even in a prima facie manner.

Art. 101(3)(c) [sic] states the Opposition Division (and, in application of Rule 100 EPC, the Boards of Appeal), must decide to maintain the patent as amended only if it meets the requirements of the Convention. This requires to examine the amendments for their compliance with the EPC, as held by the Enlarged Board of Appeal in G9/91, point 19.

Failure to proceed with this examination is a substantial procedural violation (T648/96, cited in the CLBA, section IV.C.5.2.1): T648/96, point 2.4: "Jedoch sind Änderungen der Ansprüche oder anderer Teile eines Patents, die im Einspruchsverfahren vorgenommen werden, gemäß Artikel 102 (3) EPÜ in vollem Umfang auf die Erfüllung der Erfordernisse des EPÜ zu prüfen; vgl. Entscheidung G 9/91 (ABl. EPA 1993, 408), Ziff. 19, T 301/87 (ABl. EPA 1990, 335), insbesondere Ziffer 3.5, und Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt, Teil D-V, 6.2. Die fehlende sachliche Auseinandersetzung der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung mit den Einwänden der Einsprechenden bezüglich "mangelnde Klarheit" der geänderten Unterlagen stellt unter diesen Umständen einen Verstoß gegen den allgemeinen Verfahrensgrundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs dar (Art. 125 EPÜ). Selbst ohne diese Einwände der Einsprechenden hätte die Einspruchsabteilung nach Artikel 102 (3) EPÜ die Änderungen der Unterlagen von Amts wegen auf die Erfüllung der Erfordernisse des Artikels 84 sowie derjenigen gemäß Artikel 123 (2) und (3) EPÜ prüfen müssen. Die fehlende diesbezügliche Auseinandersetzung mit den Änderungen ist als wesentlicher Verfahrensmangel zu werten."

Issuing a decision on those points without letting a party comment on them is also a procedural violation.

The articles of the EPC, and article 101(3)(c) [sic] has precedence over the Rules of the Procedures of the Boards of Appeal, in addition to the fact that ex officio examination can be conducted by the Board.

Ex officio examination is a wide power that the Board can use to meet the requirements of Article 101(3)(c) [sic] EPC, as stated in decision T1430/05 which indicates that:

"In any case, even if this issue had not yet been debated before the first instance, as claim 1 of both requests on file contain amendments, it is not only legitimate but even mandatory to verify that the amendments do not contain subject-matter extending beyond the content of the application as filed. Article 101(3) EPC [2000] in conjunction with Rule 100(1) EPC [2000] confers wide powers upon the boards to consider objections under the EPC, pleaded or not pleaded, that may arise from an amendment of the claims as originally filed (see T 277/88, OJ EPO 1990, 292; T 922/94)."

Accordingly, we submit that a substantial procedural violation occurred and raise an objection under Rule 106 EPC."

XVII. Die Beschwerdeführerin I beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Einspruch zurückzuweisen (Hauptantrag), oder alternativ das Patent auf Grundlage eines der mit Schreiben vom 24. Januar 2019 eingereichten Hilfsanträge 3 oder 3A aufrecht zu erhalten. Des Weiteren beantragte die Beschwerdeführerin I, die Entgegenhaltungen D53 und D54 sowie das bezüglich Hilfsantrag 3 und 3A unter Punkt 6 und 7 des Schreibens vom 1. Mai 2022 gemachte Vorbringen der Beschwerdeführerin II nicht in das Verfahren zuzulassen

XVIII. Die Beschwerdeführerin II beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Sie beantragte auch, die Hilfsanträge 3 und 3A nicht in das Verfahren zuzulassen. Sie beantragte weiterhin, Entgegenhaltungen D52, D53, D54 in das Verfahren zuzulassen, jedoch die Entgegenhaltungen D55, D56, D57 sowie die dazugehörigen Argumente der Beschwerdeführerin I, eingereicht mit Schreiben vom 31. Mai 2022, nicht in das Verfahren zuzulassen.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag

Unzulässige Erweiterung - Anspruch 8 (wie erteilt)

1. Der Inhalt der Teilanmeldung, die dem Patent zu Grunde liegt ist identisch mit dem Inhalt der Stammanmeldung, abgesehen von den Ansprüchen. Es sind daher für den Gegenstand der Ansprüche 1 und 8 die Erfordernisse der Artikel 76 (1) und 123 (2) EPÜ zu prüfen. Nachfolgend beziehen sich alle Verweise auf die entsprechende Offenbarung in der Stammanmeldung.

2. Nach ständiger Rechtsprechung gilt der sogenannte "Goldstandard" für die Beurteilung, ob eine Änderung mit den Erfordernissen der Artikel 76 (1)/123 (2) EPÜ in Einklang steht. Dazu darf jede Änderung unabhängig vom Kontext nur im Rahmen dessen erfolgen, was die Fachperson der Gesamtheit der Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den Anmeldetag - unmittelbar und eindeutig entnehmen kann (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 9te Ausgabe 2019, II.E.1.1.).

3. Die Beschwerdeführerin I brachte vor, dass der Gegenstand des Anspruchs 8 nach Streichung der Delta-9-Elongase in Schritt a), sowie der Delta-8-Desaturase in Schritt b) eine Basis in den Ansprüchen 1 und 2 in Verbindung mit der Offenbarung auf den Seiten 29, Zeilen 11 bis 17, und 45, Zeilen 9 bis 21, der Stammanmeldung besitze.

4. Die Kammer teilt aus den folgenden Gründen diese Auffassung nicht.

4.1 Die Präambeln des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 und von Anspruch 8 des Hauptantrags sind identisch, mit Ausnahme des transgenen Organismus, in dem das Verfahren durchgeführt wird. Während Anspruch 1 wie eingereicht als Wirtsorganismus transgene Organismen im allgemeinen nennt, ist Anspruch 8 auf nicht-humane Organismen beschränkt.

4.2 Beiden Verfahren liegt die Aufgabe zu Grunde Verbindungen der allgemeinen Formel I in der geforderten Mindestmenge von 1 Gewichtsprozent in transgenen (nicht-humanen) Organismen herzustellen, wobei sich diese Menge auf den Gesamtlipidgehalt des Organismus bezieht. Nach Auffassung der Kammer besteht die Aufgabe der beanspruchten Verfahren darin im wesentlichen alle Verbindungen die unter die allgemeine Formel I fallen in der geforderten Mindestmenge herzustellen.

4.3 Die Verbindungen, die mit den beanspruchten Verfahren hergestellt werden, sind strukturell durch die allgemeinen Formeln I, II und Ia definiert, und beschreiben neben 70 definierten mehrfach ungesättigten Fettsäuren (nachfolgend "PUFAs" von poly unsaturated fatty acids, siehe z. B. Entgegenhaltung D52) eine unbekannte Anzahl weiterer Derivate dieser Verbindungen. Die Anzahl der durch die beanspruchten Verfahren herstellbaren Derivate ist jedoch begrenzt. Dies ist dadurch gegeben, dass die genannten Definitionen der Variablen n, m und p in den allgemeinen Formeln I, II und Ia, sowie der Substituenten der Reste R**(1) bis R**(3) der Formel I, bzw. der Reste R**(2) und R**(3) der Formel II, geschlossene Listen darstellen.

5. In Anspruch 1 wie eingereicht wird die oben genannte Aufgabe unter anderem durch die Verfahrensschritte a) bis e) gelöst, die wie folgt lauten:

"a) Einbringen mindestens einer Nukleinsäuresequenz in den Organismus, welche für eine Delta-9-Elongase- oder eine Delta-6-Desaturase-Aktivität codiert, und

b) Einbringen mindestens einer Nukleinsäuresequenz in den Organismus, welche für eine Delta-8-Desaturase- oder eine Delta-6-Elongase-Aktivität codiert, und

c) Einbringen mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta5-Desaturase-Aktivität codiert, und

d) Einbringen mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta5-Elongase-Aktivität codiert, und

e) Einbringen mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta4-Desaturase-Aktivität codiert, und"

5.1 Anspruch 1 wie eingereicht offenbart somit eine Auswahl von mindestens sieben Nukleinsäuren die für eine Delta-9-Elongase-, Delta-6-Desaturase-, Delta-8-Desaturase-, Delta-6-Elongase-, Delta-5-Desaturase-, Delta-5-Elongase-, oder eine Delta-4-Desaturase-Aktivität kodieren, von denen mindestens fünf für die Herstellung von PUFAs der allgemeinen Formel I verwendet werden. Diese Auswahl aus sieben Enzymen ergibt sich daraus, dass der Verfahrensschritt a) eine Delta-9-Elongase "oder" eine Delta-6-Desaturase nennt, und der Verfahrensschritt b) eine Delta-8-Desaturase "oder" eine Delta-6-Elongase nennt, d. h. jeder Verfahrensschritt offenbart zwei Enzym-Alternativen, von denen nur eine verwendet werden muss.

5.2 Im Einzelnen offenbaren die Verfahrensschritte a) und b) in Anspruch 1 wie eingereicht die folgenden vier Kombinationen von Nukleinsäuren, die die folgenden Enzymaktivitäten kodieren:

(1) Delta-9-Elongase und eine Delta-8-Desaturase;

(2) Delta-9-Elongase und eine Delta-6-Elongase;

(3) Delta-6-Desaturase und eine Delta-8-Desaturase;

(4) Delta-6-Desaturase und eine Delta-6-Elongase.

Diese vier Kombinationen werden im Verfahren jeweils mit mindestens den drei in den Verfahrensschritten c) bis e) genannten Enzymen Delta5-Desaturase, Delta5-Elongase, und einer Delta4-Desaturase verwendet, um die beanspruchten PUFAs der allgemeinen Formel I herzustellen.

5.3 Somit offenbart das Verfahren von Anspruch 1 der Stammanmeldung 4 Enzymkombination bestehend aus jeweils mindestens 5 Enzymen für die Herstellung von PUFAs.

6. Die Verfahrensschritte a) und b) von Anspruch 8 unterscheiden sich von den entsprechenden Verfahrensschritten von Anspruch 1 wie eingereicht dadurch, dass die Nukleinsäuren die für eine Delta-9-Elongase-, und eine Delta-8-Desaturase-Aktivität kodieren, gestrichen wurden.

6.1 Die Streichung der beiden Nukleinsäuren in den Verfahrensschritten a) und b) von Anspruch 8 bewirkt, dass von den ursprünglich offenbarten Enzym-Kombinationen (1) bis (4) nur noch eine übrig bleibt: Kombination (4).

6.2 Damit verwendet das Verfahren von Anspruch 8 für die Herstellung der genannten PUFAs nur noch eine der ursprünglich vier offenbarten Enzymkombination. Dabei hat sich die Anzahl der mit dem beanspruchten Verfahren herstellbaren PUFAs nicht verändert, da sich die Präambeln von Anspruch 8 und Anspruch 1 der Stammanmeldung, abgesehen von der oben genannten Ausnahme, nicht unterscheiden. Mit anderen Worten, Anspruch 8 umfasst für die Herstellung der gleichen Anzahl an PUFAs ein Verfahren, das eine geringere Anzahl an Enzym-Kombinationen verwendet.

7. Die Frage, die sich unter Artikel 100 c) EPÜ somit stellt ist, ob die oben erwähnten Streichungen in den Verfahrensschritten a) und b) von Anspruch 8 lediglich eine Einschränkung des ursprünglich offenbarten Verfahrens bewirken, oder ob sich dadurch Vorteile bzw. technische Auswirkungen (z. B. die Herstellung von PUFAs mit weniger Enzym-Kombinationen) ergeben, die der Stammanmeldung nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen sind.

8. Die Beschwerdeführerin I brachte vor, dass Anspruch 1 wie eingereicht jede der vier Enzym-Kombinationen in individualisierter Form offenbare und somit jede dieser Kombinationen für die Herstellung von PUFAs der allgemeinen Formel I unmittelbar und eindeutig in der Stammanmeldung offenbart sei. Somit könne die Streichung von drei dieser Kombinationen nicht zu einem Gegenstand führen der über den ursprünglich offenbarten Gegenstand hinausginge.

9. Die Kammer kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. Eine Offenbarung der Enzym-Kombinationen in individualisierter Form in Anspruch 1 der Stammanmeldung, so wie sie die Beschwerdeführerin I versteht, würde bedeuteten, dass alle vier Enzym-Kombinationen die Herstellung aller PUFAs ermöglichen, die unter die allgemeine Formel I fallen. Anspruch 1 wie eingereicht nennt zwar die Enzym-Kombinationen (1) bis (4) für die Herstellung von PUFAs der allgemeinen Formel I, jedoch lässt sich dem Anspruch nicht entnehmen, ob jede dieser vier Kombinationen in individualisierter Form zur Herstellung aller genannten PUFAs verwendet wird, oder ob diese Aufgabe nur durch die gemeinsame Verwendung aller vier Enzym-Kombinationen gelöst wird.

9.1 Die Frage, was Anspruch 1 wie eingereicht unmittelbar und eindeutig offenbart lässt sich somit nur der Offenbarung der Stammanmeldung in ihrer Gesamtheit entnehmen. Eine Streichung der oben genannten Enzym-Kombinationen (1) bis (3) in Anspruch 8 hätte nur dann keine technischen Auswirkungen, und würde somit keinen neuen Gegenstand in die Anmeldung wie ursprünglich eingereicht einführen, wenn sich der Stammanmeldung entnehmen ließe, dass die vier genannten Kombinationen in Anspruch 1 neben ihrer Unabhängigkeit auch funktionell gleichwertig bzw. austauschbar sind. Erst dann liegt eine individualisierte Offenbarung dieser Kombinationen vor.

9.2 Abbildung 1B der Stammanmeldung offenbart jedoch, dass dies nicht der Fall ist. Die oben genannten Enzym-Kombinationen (1) bis (4) katalysieren die Herstellung unterschiedlicher PUFAs. Zum Beispiel entstehen aus den Enzym-Kombinationen:

(1) die PUFAs "20:2Delta11,14", "20:3Delta8,11,14", "20:3Delta11,14,17"

und "20:4Delta8,11,14,17";

(2) die PUFA "20:2Delta11,14", sowie die in Abbildung 1B

nicht gezeigte PUFA 22:2Delta13,16 (die Delta-6-Elongase

hängt zwei C-Atome an die PUFA "20:2**(Delta11,14)" an);

(3) die PUFAs "18:3Delta6,9,12", "18:4Delta6,9,12,15", sowie die

in Abbildung 1B nicht gezeigten PUFAs 18:4**(Delta6,8,9,12)

**( ) und 18:5Delta6,8,9,12,15 (die Delta-8-Desaturase führt eine

zusätzliche Doppelbindung an der Position 8 der

PUFAs "18:3Delta6,9,12" und "18:4Delta6,9,12,15" ein);

(4) die PUFAs "18:3Delta6,9,12", "18:4Delta6,9,12,15",

"20:3Delta8,11,14", und "20:4Delta8,11,14,17".

9.3 Somit gibt es zwar Überlappungen, aber auch deutliche Unterschiede. Die zwei zusätzlichen Enzyme, die im ursprünglich eingereichten Anspruch 1 genannt sind, aber aus Anspruch 8 gestrichen wurden, katalysieren die Herstellung von bestimmten PUFAs, wie z. B. die in Abbildung 1B gezeigten "20:2Delta11,14" (Eicosadiensäure (EDA)) und "20:3Delta11,14,17" (Eicosatriensäure (ETrA)). Diese beiden PUFAs fallen unter die allgemeine Formel I von Anspruch 1 wie eingereicht, sowie von Anspruch 8 (siehe Entgegenhaltung D52, Verbindungen 14 und 42).

9.4 Abbildung 1B der Stammanmeldung offenbart, dass mit den in Anspruch 8 genannten Enzym-Kombinationen diese beiden PUFAs nicht herstellbar sind, obwohl der Anspruch ihre Herstellung umfasst.

9.5 Zusammenfassend offenbart Abbildung 1B somit, dass die genannten 4 Enzym-Kombinationen in Anspruch 1 wie eingereicht vier unterschiedliche Verfahren ermöglichen, unterschiedliche PUFAs herzustellen. Nur durch die Verwendung dieser vier Enzym-Kombinationen zusammen werden alle in Anspruch 1 wie eingereicht und in Anspruch 8 genannten PUFAs herstellbar.

9.6 In Anspruch 8 sind drei der in Anspruch 1 wie eingereicht offenbarten Enzym-Kombinationen gestrichen. Damit verwendet Anspruch 8 nur noch eine Enzym-Kombination, um alle genannten PUFAs herzustellen. Die Verwendung einer einzigen Enzym-Kombination lässt sich aus den oben genannten Gründen jedoch dem Verfahren von Anspruch 1 wie eingereicht in Zusammenschau mit Abbildung 1B der Stammanmeldung nicht entnehmen.

9.7 Die Beschwerdeführerin I verwies als weitere Stütze für das beanspruchte Verfahren auf die Offenbarung des Anspruchs 2 und der Seite 28, Zeile 29 bis Seite 29, Zeile 18 der Stammanmeldung, insbesondere auf Seite 29, Zeilen 11 bis 17, die wie folgt lauten: "Durch die Aktivität der Delta-6-Desaturase und Delta-6-Elongase entstehen beispielsweise GLA und DGLA bzw. SDA und ETA, je nach Ausgangspflanze und ungesättigter Fettsäure. Bevorzugt entstehen DGLA bzw. ETA oder deren Mischungen. Werden die Delta-5-Desaturase, die Delta-5-Elongase und die Delta-4-Desaturase zusätzlich in die Organismen vorteilhaft in die Pflanze eingebracht, so entstehen zusätzlich ARA, EPA und/oder DHA".

9.8 Diese Textstelle in der Stammanmeldung zeigt, dass die fünf in Anspruch 8 genannten Enzyme in Pflanzen eingebracht werden können, um bestimmte PUFAs (gamma-Linolensäure ("GLA"), Dihomo-gamma-Linolensäure ("DGLA"), Stearidonsäure ("SDA"), omega-3-Eicosatetraensäure ("ETA"), Arachidonsäure ("ARA"), Eicosapentaensäure ("EPA"), und/oder Docosahexaensäure ("DHA")) herzustellen. Allerdings stellen diese sieben hier genannten PUFAs nur eine kleine Auswahl der 70 PUFAs dar, die unter die allgemeine Formel I fallen. Somit kann diese Textstelle nicht als Basis für das Verfahren von Anspruch 8 dienen. Anspruch 2 wie eingereicht offenbart nur die in Anspruch 8 genannten spezifischen Nukleinsäure- und Aminosäuresequenzen, jedoch nicht die Kombination aller fünf genannten Enzyme.

9.9 Aus dem Gesagten ist daher zu folgern, dass weder die ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 und 2, noch die genannten Textstellen auf Seite 28 und 29 oder Abbildung 1B das Verfahren von Anspruch 8 offenbaren. An keiner Stelle offenbart die Stammanmeldung die Verwendung von mindestens fünf der in Anspruch 8 genannten Enzyme zur Herstellung aller PUFAs der allgemeinen Formel I. Somit enthält das Verfahren von Anspruch 8 einen neuen Gegenstand, der sich nicht unmittelbar und eindeutig aus der Stammanmeldung entnehmen lässt.

10. Daher steht Artikel 100 c) EPÜ der Aufrechterhaltung des Hauptantrags entgegen.

Zulassung der Hilfsanträge 3 und 3A

11. Die Hilfsanträge 3 und 3A wurden mit der Beschwerdeerwiderung vom 24. Januar 2019 eingereicht. Insofern findet Artikel 12 (4) VOBK 2007 Anwendung, siehe Artikel 25 (2) VOBK 2020.

12. Die Beschwerdeführerin II hat argumentiert, dass die Begründung der Beschwerdeführerin I für die Zulassung dieser Hilfsanträge erst während der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurde und dass diese Hilfsanträge bereits vor der Einspruchsabteilung hätten gestellt werden müssen.

13. Dies überzeugt die Kammer nicht.

13.1 Gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 ist - anders als unter Artikel 12 (4) VOBK 2020 - grundsätzlich das gesamte Vorbringen der Beteiligten aus der Beschwerdebegründung bzw. -erwiderung zu berücksichtigen, solange nicht die dort angegebenen Ausnahmen vorliegen. Damit sind auch die mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 3 und 3A grundsätzlich zu berücksichtigen. Insofern bedarf es von Seiten der Beschwerdeführerin I zunächst keiner gesonderten Begründung zur Zulassung dieser von ihr mit der Beschwerdeerwiderung gestellten Anträge. Dass die Beschwerdeführerin I erst in der mündlichen Verhandlung (weitere) Gründe für die Zulassung der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge vorgebracht hat, kann im vorliegenden Fall nicht zu Lasten der Beschwerdeführerin I gehen. Vielmehr hat grundsätzlich die andere Beteiligte, also hier die Beschwerdeführerin II, die Nichtzulassung der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 3 und 3A zu beantragen und Gründe dafür anzugeben, warum diese Hilfsanträge nicht zuzulassen sind. Dieser Antrag erfolgte aber erst mit Schriftsatz vom 1. Mai 2022, also einen Monat vor der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer.

Zur Klarstellung sei hier angemerkt, dass die Beschwerdeerwiderung den vollständigen Sachvortrag enthalten muss, also insbesondere, aus welchen Gründen die Hilfsanträge 3 und 3A die aus der Entscheidung und der Beschwerdebegründung zu entnehmenden Einwände beseitigt (siehe Artikel 12 (2) VOBK 2007 und den Verweis auf diese Vorschrift in Artikel 12 (4) VOBK 2007). Von der Beschwerdeführerin II wurde aber nicht vorgebracht, dass diese Voraussetzungen hier nicht erfüllt sind.

13.2 Die von der Beschwerdeführerin II vorgebrachten Gründe, warum die Hilfsanträge nicht zuzulassen seien, überzeugen nicht. Insbesondere sieht die Kammer keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Patentinhaberin die Hilfsanträge 3 und 3A bereits vor der Einspruchsabteilung hätte stellen sollen oder gar müssen. Vielmehr stellen diese Anträge eine adäquate Reaktion auf die Verfahrenssituation vor der Einspruchsabteilung und auf die Entscheidung und die Beschwerdebegründung dar.

Nichtberücksichtigung der erstmalig mit Schriftsatz vom 1. Mai 2022 gegen die Hilfsanträge 3 und 3A vorgebrachten Einwände, Argumente und Beweismittel

14. Die Beschwerdeführerin II reichte nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 1. Mai 2022 Einwände und Argumente gegen die Hilfsanträge 3 und 3A ein. In der mündlichen Verhandlung entschied die Kammer, nach Anhörung der Parteien, dass die in der Eingabe vom 1. Mai 2022 enthaltenen neuen Angriffslinien bezüglich Artikel 84, 123 (2), 123 (3) EPÜ und die Dokumente D53 und D54 unberücksichtigt bleiben.

14.1 Für das Vorbringen im Schriftsatz vom 1. Mai 2022 gilt Artikel 13 (2) VOBK 2020, wonach Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten grundsätzlich unberücksichtigt bleiben, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

14.2 Die vorgebrachten Gründe zeigen insgesamt keine außergewöhnlichen Umstände auf.

Dass die in der Beschwerdeerwiderung genannte Begründung zur Zulassung der Hilfsanträge 3 und 3A für die Beschwerdeführerin II prima facie nicht überzeugend war, ist als solches nicht erheblich und führt zumindest nicht dazu, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen. Artikel 12 (4) VOBK 2007 geht grundsätzlich davon aus, dass die mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge im Verfahren sind (siehe Punkt 13.1., oben). Es oblag der Beschwerdeführerin II, zu diesen Anträgen rechtzeitig vorzutragen. Hätte sie zeitnah auf die mit der Beschwerdeerwiderung eingereichen Hilfsanträge geantwortet, wäre Artikel 13 (1) VOBK 2007 (bzw. unter Umständen Artikel 13(1) VOBK 2020) zur Anwendung gekommen. Mit ihrer Stellungnahme zu diesen Hilfsanträgen erst nach der Zustellung der Ladung fiel das Vorbringen aber unter Artikel 13 (2) VOBK 2020 und damit oblag es der Beschwerdeführerin II auch Gründe vorzubringen, warum die Einwände nicht bereits unmittelbar in Antwort auf die Beschwerdeerwiderung eingereicht wurden, sondern erst nach der Ladung und der Mitteilung der Kammer.

Die Beschwerdeführerin II brachte vor, dass in der Mitteilung der Kammer Zweifel an der Zulassung der Hilfsanträge 3 und 3A geäußert wurden. Dies ist aber nicht relevant. Die von der Kammer zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung versandte Mitteilung ist nicht bindend. Sie dient auch lediglich der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung und ist gerade nicht als Einladung zu neuem Vorbringen zu verstehen.

Auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin II, dass alle Einwände unter den Artikeln 123 (2), (3) und 84 EPÜ nicht komplex seien und der Einwand unter Artikel 84 EPÜ gegenüber Anspruch 11 von Hilfsantrag 3 und 3A sogar prima facie ersichtlich sei, ist als solches nicht für eine Begründung außergewöhnlicher Umstände ausreichend. Auf die inhaltliche Richtigkeit der Einwände kommt es nämlich grundsätzlich nicht an. Zumindest kann das Vorbringen betreffend die inhaltliche Richtigkeit im vorliegenden Fall nicht begründen, warum diese Einwände nicht bereits in Antwort auf die Beschwerdeerwiderung eingereicht wurden, sondern erst nach der Ladung und der Mitteilung der Kammer.

Hilfsantrag 3

15. Anspruch 8 von Hilfsantrag 3 unterscheidet sich von Anspruch 8 des Hauptantrags dadurch, dass das Merkmal "Herstellung von Verbindungen der allgemeinen Formel I" durch "Herstellung der Verbindungen Docosahexaensäure (DHA) und Eicosapentaensäure (EPA)" ersetzt wurde, und dem Einfügen der Merkmale "und exprimieren" in die Verfahrensschritte a) bis e), sowie von "wobei der transgene Organismus ein transgener Mikroorganismus oder eine transgene Pflanze ist" in Verfahrensschritt e)c). Des Weiteren wurden die allgemeinen Formeln I, II und Ia gestrichen.

Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 8

16. Das Verfahren von Anspruch 8 beschreibt verschiedene Ausführungsformen zur Herstellung der Verbindungen DHA und EPA. Eine Ausführungsform, die im nachfolgenden ausschließlich betrachtet wird, verwendet dazu neben einer Delta-6-Desaturase, Delta-5-Desaturase, Delta-5-Elongase, und eine Delta-4-Desaturase, mindestens auch Derivate der in SEQ ID NO: 69 dargestellten Nukleinsäuresequenz, die für Polypeptide mit mindestens 40% Identität auf Aminosäureebene mit SEQ ID NO: 70 kodieren und eine Delta-6-Elongaseaktivität aufweisen (siehe Anspruch 8 c)). Die Nukleinsäure Sequenz SEQ ID NO: 69 und die davon abgeleitete Aminosäuresequenz (SEQ ID NO: 70) stammen aus Ostreococcus tauri (O. tauri) (siehe Patent, Seite 10, Tabelle 1, Nr. "33."), einer Meeresalge, die zu den Grünalgen gehört.

17. Mit anderen Worten diese Ausführungsform von Anspruch 8 verwendet für die Herstellung von DHA und EPA in transgenen Mikroorganismen und Pflanzen mindestens eine Delta-6-Desaturase, Delta-5-Desaturase, Delta-5-Elongase, und eine Delta-4-Desaturase alle mit undefinierter Herkunft und Sequenz, die nur funktionell über ihre Enzymaktivitäten charakterisiert sind. Des Weiteren werden alle Derivate einer Delta-6-Elongase verwendet, die dadurch charakterisiert sind, dass sie mindestens zu 40% identisch sind zur Aminosäuresequenz SEQ ID NO: 70 und enzymatisch aktiv sind.

18. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die Entgegenhaltung D11 den nächstliegenden Stand der Technik für das beanspruchte Verfahren darstelle. Diese Auffassung wurde von der Beschwerdeführerin II geteilt, während die Beschwerdeführerin I dies bestritt, ohne einen alternativen nächstliegenden Stand der Technik zu nennen.

19. Die Beschwerdeführerin I begründete ihre Auffassung im Wesentlichen damit, dass die Entgegenhaltung D11 sich nicht auf die Offenbarung eines Verfahren zur Herstellung von EPA und DHA konzentriere. Daher hätte die Fachperson für deren Herstellung eine Auswahl aus vielen Herstellungsprodukten, verbunden mit einer Auswahl mehrerer Enzyme unterschiedlicher Enzymklassen treffen müssen. Weder seien Elongasen und Desaturasen für die Verwendung in einem spezifischen Biosyntheseweg genannt, noch eine Delta-6-Elongase aus P. patens. Wenn die Fachperson eine Delta-6-Elongase verwendet hätte, hätte sie diese aus anderen Organismen genommen, da dafür die Aminosäuresequenzen bekannt gewesen seien.

20. Die Kammer kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. Die Entgegenhaltung D11 fasst in einem Übersichtsartikel die Kenntnisse der Fachperson bei der rekombinanten Herstellung von Fettsäuren in Ölfruchtpflanzen zusammen (siehe Titel). Sie kommt somit aus dem relevanten Fachgebiet. Die mit dem rekombinanten Verfahren von Anspruch 8 unter anderem in Pflanzen herzustellenden EPA und DHA Verbindungen sind Fettsäuren, d. h. das beanspruchte Verfahren dient dem gleichen Zweck.

20.1 Darüber hinaus beschreibt die Entgegenhaltung D11 unter anderem die rekombinante Herstellung langkettiger mehrfach ungesättigter Fettsäuren in Pflanzen (d. h. von PUFAs) (siehe Seite 794, Spalte 2, Absatz 3, "Very long-chain polyunsaturated fatty acids"). In diesem Zusammenhang wird auf der Seite 794, in Spalte 2, letzter Absatz offenbart, dass die wichtigsten langkettigen PUFAs, wie z. B. EPA und DHA, sich am einfachsten durch den in Abbildung 6 auf Seite 795 gezeigten Biosyntheseweg herstellen lassen. Die Abbildung 6 ist identisch mit Abbildung 1 des Patents mit der Ausnahme, dass sie den Polyketid-Syntheseweg nicht erwähnt (siehe Patent, Abbildung 1A, "PKS").

20.2 Die Entgegenhaltung D11 offenbart weiter (siehe Seite 795, Spalte 1, Absatz 2), dass für die Herstellung dieser PUFAs nur drei Sauerstoff-abhängige Desaturasen (Delta-6-Desaturase, Delta-5-Desaturase, Delta-4-Desaturase) sowie zwei Elongasen (Delta-6-Elongase, Delta-5-Elongase) benötigt werden, d. h. die Enzyme die auch in Anspruch 8 a) bis e) erwähnt sind.

20.3 Darüber hinaus gibt die Entgegenhaltung D11 Organismen als Quellen an, aus denen die Gene, die für diese Enzyme kodieren, kloniert werden können, um sie in höhere Pflanzen einzubringen (siehe Seite 795, Spalte 2, letzter Absatz bis Seite 796, Spalte 1, Absatz 1).

21. Somit musste die Fachperson in der Entgegenhaltung D11 keine Auswahl aus verschiedenen Herstellungsverfahren für Fettsäuren treffen. Die Entgegenhaltung D11 erwähnt die Herstellung von EPA und DHA explizit und nennt als einfachstes Verfahren ein biosynthetisches, welches auf der Verwendung der fünf beanspruchten Enzyme beruht. Damit offenbart diese Entgegenhaltung nicht nur ein Verfahren das dem selben Zweck dient, sondern liefert eine Anleitung dafür wie diese Aufgabe am einfachsten zu lösen ist. Dass die Entgegenhaltung D11 darüber hinaus noch weitere Verfahren zur Herstellung anderer Fettsäuren bzw. Ölen und Wachsen offenbart ist irrelevant, da die Fachperson nur den für sie relevanten Teilbereich der Entgegenhaltung D11 konsultieren würde.

22. Die betrachtete Ausführungsform des beanspruchten Verfahrens unterscheidet sich von der Entgegenhaltung D11 nur dadurch, dass eine Pflanze mit einem Derivat einer Nukleinsäure von SEQ ID NO: 69 transformiert wird, das zu 40% identisch ist mit der Aminosäuresequenz der SEQ ID NO: 70.

23. Es ist unstrittig, dass dieser Unterschied mit keinem besonderen technischen Effekt verbunden ist. Die zu lösende technische Aufgabe ist es somit, ein alternatives Verfahren zur Herstellung von EPA und DHA zur Verfügung zu stellen.

24. Mit Blick auf die Beispiele 8, 14, 18, und 32 des Patents ist die Kammer überzeugt, dass das Verfahren von Anspruch 8 diese Aufgabe löst.

25. Die sich stellende Frage bleibt somit, ob die Fachperson ausgehend vom Verfahren der Entgegenhaltung D11 angesichts der oben formulierten technischen Aufgabe, in naheliegender Weise zum beanspruchten Verfahren gelangt wäre.

26. Die Entgegenhaltung D11 erwähnt nicht explizit aus welchem Organismus das Gen stammt, das für eine Delta-6-Elongase kodiert und im Biosyntheseweg von Abbildung 6 verwendet werden kann. Die Eingabe der Beschwerdeführerin II vom 24. Januar 2019 offenbart auf den Seiten 6 und 7 eine Tabelle die angibt, welche Enzyme und die sie kodierenden Gene aus welchen der in der Entgegenhaltung D11 auf den Seiten 795 letzter Absatz und Seite 796 erster Absatz zitierten Literaturquellen/Organismen kloniert werden können. Eine Delta-6-Elongase wird nur in drei der dort zitierten Literaturangaben offenbart: "Zank et al., 2000" (Entgegenhaltung D16), "Parker-Barnes et al., 2000" (Entgegenhaltung D30) and "Beaudoin et al., 2000" (Entgegenhaltung D31).

26.1 Die Entgegenhaltung D16 offenbart die Delta-6-Elongase "PSE1" aus dem Moos Physcomitrella patens (P. patens). Diese Entgegenhaltung offenbart jedoch die Nukleinsäure Sequenz des pse1 Gens nicht, sondern erwähnt lediglich, dass die cDNA des Gens durch die Suche in einer EST Datenbank dieses Mooses gefunden wurde (siehe Zusammenfassung, Seite 657, Material und Methoden).

26.2 Die Entgegenhaltung D30 offenbart die Klonierung der Delta-6-Elongase "GLELOp" aus M. alpina, sowie deren Aminosäuresequenz (siehe Zusammenfassung, Abbildung 2).

26.3 Die Entgegenhaltung D31 offenbart die Klonierung einer Delta-6-Elongase aus C. elegans und deren Aminosäuresequenz (siehe Abbildung 1), sowie eine heterologe Rekonstitution eines PUFA-Biosynthesewegs bestehend aus Desaturasen und Elongase in Hefe (siehe Zusammenfassung und Seite 662, Spalte 1, Absatz 2).

27. Die Beschwerdeführerin I argumentierte, dass die Entgegenhaltung D11 keinen Hinweis für die Fachperson enthalte, die sie veranlasst hätte die in Anspruch 8 erwähnten Enzyme bzw. den durch sie definierten Biosyntheseweg zu wählen, geschweige denn die Delta-6-Elongase aus P. patens auszuwählen, da die Seite 795, letzter Absatz bis Seite 796, Absatz 1 nur mögliche Quellen für Desaturasen und Elongase im Allgemeinen nenne. Dies sei nur durch eine rückschauende Betrachtung möglich. Des Weiteren hätte die Fachperson nicht auf die Information in der Entgegenhaltung D16 für die Auswahl der Delta-6-Elongase zurückgegriffen, da dieses Dokument weder die Nukleinsäure-/Aminosäuresequenz des Enzyms noch die Datenbank und Primer für ihre Klonierung offenbare. Die ebenfalls in der Entgegenhaltung D11 genannten Entgegenhaltungen D30 und D31 seien jedoch Alternativen, die die benötigten Sequenzen der Delta-6-Elongase offenbarten. Die Fachperson hätte somit diese Enzyme verwendet.

27.1 Die Kammer kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. Wie oben erwähnt, sind die Delta-6-Desaturase, Delta-5-Desaturase, Delta-5-Elongase, und eine Delta-4-Desaturase in Anspruch 8 nur funktionell, aber nicht strukturell definiert. Die Fachperson kann somit jedes dieser vier Enzyme aus den auf Seite 795, Spalte 2, letzter Absatz bis Seite 796, Spalte 1, Absatz 1 genannten Organismen nehmen, ohne dafür eine Auswahl treffen zu müssen.

27.2 Wie oben auch erwähnt (Punkte 26 bis 26.3), offenbart die Entgegenhaltung D11, dass drei Organismen für die Klonierung eines Delta-6-Elongase Gens in Frage kommen. Nachdem mit der Verwendung des Enzyms aus O. tauri kein besonderer technischer Effekt verbunden ist, würde die Fachperson als Quelle für die fehlende Delta-6-Elongase alle in der Entgegenhaltung D11 genannten Organismen in Betracht ziehen, darunter auch P. patens aus der Entgegenhaltung D16.

27.3 Die Tatsache dass die Entgegenhaltung D16 keine Sequenzinformation der Delta-6-Elongase PSE1 offenbart, hätte die Fachperson nicht davon abgehalten dieses Enzym zu verwenden. Am relevanten Anmeldetag des Streitpatents (10. Oktober 2003) war die Sequenz dieses Enzyms der Fachperson allgemein bekannt (siehe z. B. Entgegenhaltungen D17, Abbildung 1, und D44). Daher wäre die Fachperson ohne erfinderisches Zutun durch eine einfache Schlagwortsuche in einer Standard Sequenzdatenbank (siehe Entgegenhaltung D44) zur Sequenz der Delta-6-Elongase PSE1 gelangt.

27.4 Des Weiteren zeigt der Sequenzvergleich der Entgegenhaltung D43, dass die Aminosäuresequenz der Delta-6-Elongase PSE1 aus P. patens (siehe "Description") zu 45% identisch ist zur Delta-6-Elongase der SEQ ID NO: 70 aus der Meeresalge O. tauri.

27.5 Da gemäß Anspruch 8 alle Derivate der Sequenz SEQ ID NO: 70 unabhängig von ihrer Herkunft unter diesen Anspruch fallen, gelangt die Fachperson durch die Verwendung der Delta-6-Elongase PSE1 aus der Entgegenhaltung D16 in Kombination mit dem Verfahren aus D11 automatisch zum beanspruchten Verfahren.

28. Deshalb basiert die betrachtete Ausführungsform von Anspruch 8 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Hilfsantrag 3 erfüllt somit die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ nicht.

Hilfsantrag 3A

29. Anspruch 8 von Hilfsantrag 3A unterscheidet sich von Anspruch 8 des Hilfsantrags 3 nur dadurch, dass das Merkmal "mit mindestens 40% Identität" in Verfahrensschritt c) durch das Merkmal "mit mindestens 50% Identität" ersetzt wurde.

Unzulässige Erweiterung Ansprüche 1 und 8

30. Die Beschwerdeführerin II brachte in ihrer Erwiderung auf die Beschwerdebegründung der anderen Partei vor, dass die Einwände die unter den Artikeln 76 (1) und 123 (2) EPÜ gegen den Hauptantrag und Hilfsantrag 1 erhoben wurden, auch für die weiteren Hilfsanträge gelten.

31. In einer ersten Argumentationslinie wurde vorgebracht, dass die Kombination der Merkmale "Derivate der in SEQ ID NO:69", "mindestens 60% Identität", und "Delta6-Elongaseaktivität" in Anspruch 1c), sowie die Kombination der Merkmale "Derivate der in SEQ ID NO:69", "mindestens 50% Identität", und "Delta6-Elongaseaktivität" in Anspruch 8c) eine Auswahl aus drei Listen darstelle, die keine Stützung in der Stammanmeldung besitze.

31.1 Die Kammer kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. Es ist unstrittig, dass die Stammanmeldung die Nukleinsäuresequenz der SEQ ID NO: 69 offenbart, die für ein Protein mit der in der SEQ ID NO: 70 dargestellten Aminosäuresequenz kodiert, welches eine Delta6-Elongaseaktivität besitzt. Des Weiteren erwähnt die Stammanmeldung auf Seite 45, Zeilen 17 bis 21 und in Anspruch 19 c) folgendes: "Derivate der in SEQ ID NO: 69, SEQ ID NO: 81, SEQ ID NO: 111 oder SEQ ID NO: 183 dargestellten Nukleinsäuresequenz, die für Polypeptide mit mindestens 40 % Homologie auf Aminosäureebene mit SEQ ID NO: 70, SEQ ID NO: 82, SEQ ID NO: 112 oder SEQ ID NO: 184 codieren und eine Delta-6-Elongaseaktivität aufweisen" (Hervorhebung durch Unterstreichung hinzugefügt). Der in diesem Zusammenhang verwendete Begriff "Homologie" wird in der Stammanmeldung mit "Identität" gleichgesetzt (siehe Seite 51, Zeilen 14 und 15).

31.2 Die Beschwerdeführerin II argumentierte, dass es sich bei dieser Offenbarung auf Seite 45 der Stammanmeldung um eine "kurze" Liste aus vier Sequenzen handelt, welche eine Auswahl erfordert, um zu den SEQ ID NO:69 und 111 zu gelangen.

31.3 Der obige Absatz (sowie Anspruch 19 c)) der Stammanmeldung offenbart vier alternative Delta6-Elongasen, die Derivate mit mindestens 40% Identität zu vier Nukleinsäuresequenzen und den von ihnen kodierten Aminosäuresequenzen (SEQ ID NO 69/70, 81/82, 111/112 und 183/184) beschreiben. Es ist unstrittig, dass die Sequenzen der SEQ ID NO:69/70 und der SEQ ID NO:111/112 identisch sind. Die Offenbarung von vier gleichwertigen Alternativen (wovon zwei identisch sind) stellt eine sehr kurze Liste dar, und eine Beschränkung auf zwei dieser Alternativen, die identisch sind, erfordert keine Auswahl.

31.4 Damit offenbart die Stammanmeldung unmittelbar und eindeutig Derivate, die zu mindestens 40% identisch/homolog zu den in den Ansprüchen 1c) und 8c) genannten Sequenzen sind und die geforderte enzymatische Aktivität aufweisen. Diese Merkmalskombination entstammt somit keiner Auswahl aus drei Listen und unterscheidet sich von der beanspruchten Merkmalskombination nur dadurch, dass sie eine geringere Sequenzidentität aufweist ("mindestens 40 %" anstatt "mindestens 60 %" in Anspruch 1c), oder "mindestens 50 %" in Anspruch 8c)).

31.5 Die Stammanmeldung offenbart auf der Seite 50, Zeile 16 und nachfolgend Derivate der erfindungsgemäßen Nukleinsäuren/Proteine, die dadurch gekennzeichnet sind "so dass die Proteine oder Teile davon noch eine Delta-12-Desaturase-, omega-3-Desaturase-, Delta-9-Elongase-, Delta-6-Desaturase-, Delta-8-Desaturase-, Delta-6-Elongase-, Delta-5-Desaturase-, Delta-5-Elongase- oder Delta-4-Desaturase-Aktivität aufweisen. Vorzugsweise haben die Proteine oder Teile davon, die von dem Nukleinsäuremolekül/den Nukleinsäuremolekülen kodiert wird/werden, noch seine wesentliche enzymatische Aktivität" (siehe Seite 50, Zeilen 33 bis 38, Hervorhebung durch Unterstreichung

hinzugefügt). Als "vorteilhaft" werden in diesem Zusammenhang Sequenzidentitäten von Derivaten genannt, die "zu mindestens etwa 50%", "vorzugsweise mindestens etwa 60 %" sind (siehe Seite 50, Zeilen 40 bis 42, Hervorhebung hinzugefügt).

31.6 Die Stammanmeldung scheint durch die Verwendung der Begriffe "vorteilhaft" und "vorzugsweise" einen ausdrücklichen Hinweis für die Verwendung der in den Ansprüchen 1c) und 8c) genannten Enzyme mit Sequenzidentitäten von mindestens 50% oder 60% zu geben. Laut ständiger Rechtsprechung kann ein solcher Hinweis eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung der beanspruchten Merkmalskombination in der ursprünglich eingereichten Anmeldung begründen (siehe Rechtsprechung, II.E.1.6.).

31.7 Den von der Beschwerdeführerin II angeführten Entscheidungen zum vorliegenden Fall liegt kein vergleichbarer Sachverhalt zu Grunde. Sie sind daher nicht relevant. In der Entscheidung T 1259/16, Punkt 37 der Entscheidungsgründe wird darauf verwiesen, dass die Listen, aus denen die beanspruchte Merkmalskombination stammt, unabhängig voneinander sind. In der Entscheidung T 583/09 (siehe Seite 3, Zeilen 1 bis 3 und Punkt 4 der Entscheidungsgründe) gab es keine Offenbarung in der ursprünglichen Anmeldung dafür, dass alle unter den Anspruch fallenden Fragmentlängen die beiden geforderten funktionellen Eigenschaften aufweisen. Wie oben erwähnt, scheint die beanspruchte Merkmalskombination keiner Auswahl aus drei Listen zu entstammen, sondern nur einer Kombination der Offenbarung von Seite 45, Absatz 5/Anspruch 19 c) wie eingereicht mit einem Merkmal aus einer Liste ("mindestens 60 %" oder "mindestens 50 %" Identität), für dessen Verwendung es einen Hinweis in der Stammanmeldung gibt.

32. Die Beschwerdeführerin II trug einen weiteren Einwand gegen den Austausch des Begriffs "ausgewählt aus der Gruppe" aus Anspruch 19 wie eingereicht durch "mit" in Anspruch 1 a) vor. Während "mit" offen sei und damit das Vorhandensein weiterer Sequenzelemente in den Sequenzen von Anspruch 1 a) einschließe, bedeute "ausgewählt aus der Gruppe" in Anspruch 19 wie eingereicht, dass der beanspruchte Gegenstand auf die drei genannten Sequenzalternativen a) bis c) beschränkt sei, d. h. dass diese keine weiteren Sequenzelemente enthalten könnten. Obwohl die Offenbarungen auf Seite 1, Zeilen 30 bis 35, Seite 32, Zeilen 24 und 25 und Seite 53, Zeilen 28 bis 32 der Stammanmeldung das Vorhandensein weiterer Sequenzen einschließe, seien diese Passagen nicht auf die beanspruchten Sequenzen gerichtet, sondern bezögen sich auf Sequenzen im Allgemeinen.

32.1 Die Kammer kann sich auch dieser Argumentation nicht anschließen. Zum einen scheint der Begriff "ausgewählt aus der Gruppe" in Anspruch 19 der Stammanmeldung zwar beschränkend für die Auswahl der Sequenzalternativen a) bis c) zu sein, was aber nicht ausschließt, dass diese alternativen Sequenzen weitere Elemente enthalten können. Darüber hinaus verwendet die Alternative a) aus Anspruch 19 wie eingereicht ebenfalls die offene Formulierung "einer Nukleinsäuresequenz mit", was gleichbedeutend scheint mit der in Anspruch 1 verwendeten "Nukleinsäure mit einer Sequenz".

32.2 Zum anderen gilt der sogenannten "Goldstandard" (siehe oben), dem zu Folge jede Änderung nur im Rahmen dessen erfolgen darf, was die Fachperson der Gesamtheit der Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den Anmeldetag - unmittelbar und eindeutig entnehmen kann.

32.3 Dies bedeutet, dass zur Beurteilung, ob eine unzulässige Erweiterung vorliegt, nicht nur der Gegenstand von Anspruch 19, sondern die Offenbarung der Stammanmeldung als Ganzes in Betracht zu ziehen ist. Es ist unstrittig, dass der Gegenstand von Anspruch 1 erfindungsgemäße Nukleinsäuren betrifft. Seite 1, Zeilen 30 bis 35 der Stammanmeldung beschreibt erfindungsgemäße Nukleinsäuren die "weiterhin die Nukleinsäuresequenzen, Nukleinsäurekonstrukte, Vektoren und Organismen enthaltend die erfindungsgemäßen Nukleinsäuresequenzen, Vektoren enthaltend die Nukleinsäuresequenzen und/oder die Nukleinsäurekonstrukte sowie transgene Organismen enthalten die vorgenannten Nukleinsäuresequenzen, Nukleinsäurekonstrukte und/oder Vektoren" umfassen.

33. Das Merkmal "Herstellung der Verbindungen Docohexaensäure (DHA) und Eisosapentaensäure (EPA)" in Anspruch 8 ist in der Stammanmeldung auf Seite 15 in den Zeilen 11 bis 13, 22 und 23 offenbart: "Im erfindungsgemäßen Verfahren werden vorteilhaft Fettsäureester mit mehrfach ungesättigten C18-, C20- und/oder C22-Fettsäuremolekülen mit mindestens zwei Doppelbindungen im Fettsäureester", "Ganz besonders bevorzugt werden, omega-3-Fettsäuren wie EPA und/oder DHA hergestellt" (Unterstreichungen hinzugefügt).

33.1 Mit anderen Worten, die Stammanmeldung gibt einen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass mit dem erfindungsgemäßen Verfahren bevorzugt EPA und/oder DHA hergestellt werden.

33.2 Das erfindungsgemäße Verfahren selbst ist in der Stammanmeldung auf Seite 7, in den Zeilen 7 bis 13 wie folgt offenbart: "Diese Aufgabe wurde durch das erfindungsgemäße Verfahren zur Herstellung von Verbindungen der allgemeinen Formel I

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

in transgenen Organismen mit einem Gehalt von mindestens 1 Gew.-% dieser Verbindungen bezogen auf den Gesamtlipidgehalt des transgenen Organismus, dadurch gekennzeichnet, dass es folgende Verfahrensschritte umfasst [...]" (Unterstreichungen hinzugefügt).

33.3 Somit offenbart die Stammanmeldung die erfindungsgemäße Herstellung aller Verbindungen die unter die allgemeine Formel I fallen, in der Mindestmenge von 1 Gew. -% bezogen auf den Gesamtlipidgehalt des transgenen Organismus. Es ist unstrittig, dass EPA und DHA unter die allgemeine Formel I fallen.

34. Das Merkmal "und exprimieren" in Anspruch 8 ist unter anderem auf Seite 31, Zeilen 22 bis 26 der Stammanmeldung offenbart.

35. Das Merkmal "wobei der transgene Organismus ein transgener Mikroorganismus oder eine transgene Pflanze ist" in Anspruch 8 wird in der Stammanmeldung in Anspruch 7 wie eingereicht genannt.

36. Das Merkmal "mit mindestens 50% Identität" in Anspruch 8 ist in der Stammanmeldung auf Seite 50, in den Zeilen 40 und 41 offenbart. Analog zu den Gründen, die in der Entscheidung T 1773/18 angeführt sind (siehe Punkte 9.1 und 9.2 der Entscheidungsgründe), wird durch die Änderung die Verwendung auf Derivate der Delta-6-Elongasen eingeschränkt, die zu mindestens 50% identisch mit den Aminosäuresequenzen von SEQ ID NO: 70 und 112 sind. Dadurch fallen weniger Aminosäuresequenzen unter den geänderten Anspruch 8, ohne dass sich die Eigenschaften dieser Enzyme verändern. Es liegt somit eine Einschränkung des beanspruchten Gegenstands vor, und keine Auswahl aus zwei Listen.

37. Hilfsantrag 3A erfüllt somit die Erfordernisse der Artikel 76 (1) und 123 (2) EPÜ.

Erweiterung des beanspruchten Schutzumfangs und Klarheit

38. Die Kammer kann keinen Verstoß gegen die Erfordernisse von Artikel 123 (3) EPÜ erkennen, da das Merkmal "Herstellung der Verbindungen Docohexaensäure (DHA) und Eisosapentaensäure (EPA)" in Anspruch 8, den Schutzumfang auf die Herstellung der freien PUFAs DHA und EPA im Vergleich zu Anspruch 8 wie erteilt beschränkt. Darüber hinaus sind die eingeführten Änderungen in Anspruch 8 klar.

39. Hilfsantrag 3A erfüllt somit die Erfordernisse der Artikel 123 (3) und 84 EPÜ.

Unzureichende Offenbarung - Anspruch 8

40. Die Beschwerdeführerin II hat in ihrer Erwiderung auf die Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin I bezüglich einer unzureichenden Offenbarung des Gegenstands des Hilfsantrags 3A lediglich auf die Eingaben in ihrer Beschwerdebegründung verwiesen.

41. Die Kammer kann nicht erkennen, in wie fern diese Eingaben das Verfahren von Anspruch 8 von Hilfsantrag 3A betreffen, da der Gegenstand dieses Anspruchs auf die Herstellung zweier bestimmter freier PUFA Verbindungen (DHA und EPA) eingeschränkt wurde. Abbildung 1 der Stammanmeldung zeigt, dass EPA und DHA mit den fünf in Anspruch 8 genannten Enzymen hergestellt werden können. Dies ist auch den Beispielen 8 und 32 der Stammanmeldung zu entnehmen, die verschiedene Teilabschnitte des Biosynthesewegs in der rekombinanten Herstellung von EPA und DHA in Hefen zeigen (siehe Beispiel 32, Seite 65, Absatz [0366]: Herstellung von EPA mit Delta-6-Desaturase, Delta-6-Elongase und Delta-5-Desaturase ausgehend von Linolsäure und alpha-Linolensäure (ALA); siehe Beispiel 8, Seite 50: Herstellung von DHA mit einer Delta-5-Elongase ("OmElo3"), einer Delta-5-Desaturase bzw. Delta-4-Desaturase ausgehend von EPA). Die Kammer hat keine Zweifel, dass dies auch in Pflanzen möglich ist.

42. Damit erfüllt Hilfsantrag 3A die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ.

Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 8

43. Die Entgegenhaltung D11 bleibt der nächstliegende Stand der Technik für die zu betrachtende Ausführungsform von Anspruch 8. Die Erhöhung der Mindestsequenzidentität der genannten Derivate auf 50% in Anspruch 8c) bewirkt im Vergleich zu den 40% aus Anspruch 8 von Hilfsantrag 3 keinen unerwarteten technischen Effekt. Damit ist das oben genannte technische Problem für die Ausführungsform des Verfahren von Anspruch 8 von Hilfsantrag 3 dasselbe wie für die hier zu betrachtende Ausführungsform.

44. Es muss daher geprüft werden, ob die Fachperson ausgehend vom Verfahren der Entgegenhaltung D11 angesichts der oben formulierten technischen Aufgabe, in naheliegender Weise zum beanspruchten Verfahren gelangt wäre. Diese Frage ist unabhängig vom oben dargestellten Sachverhalt zu klären, da die Fachperson durch die Verwendung der Delta-6-Elongase PSE1 aus der Entgegenhaltung D16 im Verfahren der Entgegenhaltung D11 in vorliegenden Fall nicht automatisch zur beanspruchten Ausführungsform gelangt wäre, da die Mindestsequenzidentität der Derivate von 40% auf 50% angehoben wurde.

45. In einer ersten Argumentationslinie brachte die Beschwerdeführerin II vor, dass das Verfahren von Anspruch 8 Merkmale enthalte, die nicht notwendigerweise zur Lösung der technischen Aufgabe beitragen. Dazu wurde vorgetragen, dass das Verfahren von Anspruch 8 nicht auf einen linearen Biosyntheseweg beschränkt sei. Daher gebe es keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Verwendung der beanspruchten Derivate der Delta-6 Elongase und der Herstellung von DHA/EPA in der geforderten Mindestmenge, weil dafür die Verwendung dieses Enzyms nicht zwingend erforderlich sei. Laut Absatz [0076] des Patents ließe sich die Verwendung des Enzyms umgehen, indem das von der Delta-6 Elongase im Syntheseweg hergestellte Zwischenprodukt dem Organismus direkt zugegeben werde. In diesem Fall erfülle die Delta-6 Elongase bei der Herstellung von PUFAs gemäß Anspruch 8 keine Aufgabe, und sei in der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit nicht zu berücksichtigen (siehe Rechtsprechung, I.D.9.1.).

45.1 Die Kammer ist von dieser Argumentation nicht überzeugt. Laut ständiger Rechtsprechung sind Ansprüche so auszulegen, dass sie technisch sinnvoll sind (siehe Rechtsprechung, II.A.6.1.).

45.2 Anspruch 8 verlangt die Herstellung von DHA und EPA in einer geforderten Mindestmenge durch die Verwendung von mindestens fünf Enzymen (Delta-6-Desaturase, Delta-6-Elongase, Delta-5-Desaturase, Delta-5-Elongase, und einer Delta-4-Desaturase) deren Gene in transgene Mikroorganismen oder Pflanzen transformiert wurden. Mit anderen Worten mindestens diese fünf Enzyme müssen zur Herstellung von EPA und DHA verwendet werden. Daher kann das Verfahren von Anspruch 8 nicht so ausgelegt werden, dass einzelne oder mehrere dieser Enzyme nicht an dieser Aufgabe beteiligt sind. Dies stellt nach Meinung der Kammer keine technisch sinnvolle Auslegung des Anspruchs dar.

46. Die Beschwerdeführerin II brachte in einer zweiten Argumentationslinie vor, dass die betrachtete Ausführungsform des beanspruchten Verfahrens durch die Kombination der Lehre der Entgegenhaltungen D11 und D18 für die Fachperson nahegelegt sei.

46.1 In diesem Zusammenhang brachte sie vor, dass die zu mindestens 50% identischen Derivate der Delta-6-Elongase aus Anspruch 8 nicht auf Derivate dieses Enzyms aus O. tauri beschränkt seien, sondern alle Derivate umfassen, die die strukturellen Anforderungen des Anspruchs erfüllen, unabhängig von ihrer Herkunft.

46.2 Die Entgegenhaltung D18 zeige eine Aminosäuresequenz der Delta-6-Elongase aus P. patens (SEQ ID NO: 2), die zu 45% identisch sei zu SEQ ID NO: 70 aus Anspruch 8. Darüber hinaus motiviere die Entgegenhaltung D18 die Fachperson weitere Derivate der Delta-6-Elongase aus P. patens zu finden, die mindestens zu 50% identisch zu SEQ ID NO: 2 seien (siehe Seite 25, Zeilen 16 bis 23), bzw. Homologen davon (siehe Seite 29, Zeilen 23 bis 29).

46.3 Da ein signifikanter Überlappungsbereich zwischen diesen Derivaten der Delta-6-Elongase aus P. patens und den beanspruchten Derivaten der Delta-6-Elongase bestehe, hätte die Fachperson eine Sequenz gefunden, die in den Schutzbereich von Anspruch 8 falle. Es sei etablierte Rechtsprechung, dass der gleiche Standard anzulegen sei, wenn es um die Offenbarung des Streitpatents und einer Entgegenhaltung des Standes der Technik gehe. Da es bezüglich der Delta-6-Elongase in Anspruch 8 keinen Zweifel gebe, dass die Fachperson im wesentlichen alle Derivate bekommen könne, die mindestens zu 50% identisch damit seien, gelte dies auch für die zu mindestens 50% identischen Derivate der SEQ ID NO: 2 aus der Entgegenhaltung D18. Es wurde auf die Entscheidung T 1120/00 verwiesen.

47. Die Kammer ist von diesem Vorbringen nicht überzeugt. Zwar nennt die Entgegenhaltung D18 Algen im Allgemeinen (siehe Anspruch 3), bzw. neben dem Moos Physcomitrella, die einzelligen Marinen Saprophyten Thraustochytrium, und Crythecodinium, eine marine nicht Photosynthese betreibende Unterart der Dinoflagellaten (siehe Anspruch 4) als mögliche Bezugsquellen für eine Delta-6-Elongase, allerdings sind keine individuellen Algenarten genannt, von denen um die 10.000 verschiedene existieren. Photosynthese betreibende Algen, wie die Grünalgen, zu denen O. tauri gehört, sind in dieser Entgegenhaltung nicht genannt. Darüber hinaus gibt die Entgegenhaltung D18 keine Hinweise darauf welche Algen PUFAs herstellen können, um dadurch der Fachperson einen Anhaltspunkt zu geben, in welchen Algen die Suche nach einer Delta-6-Elongase potenziell mit einer gewissen Erfolgserwartung verbunden sein könnte.

47.1 Somit kann die Fachperson auf Grund der großen Anzahl an bekannten Algenarten, der Nichterwähnung von Algen die PUFAs herstellen können, der Nichterwähnung von Grünalgen im Allgemeinen und O. tauri im besonderen, der Entgegenhaltung D18 keine Hinweise entnehmen, die sie auf Grund einer angemessenen Erfolgserwartung veranlasst hätte in ihre Suche nach weiteren Delta-6-Elongasen Grünalgen bzw. O. tauri einzuschließen.

47.2 Die Entscheidung T 1120/00 ist daher für den vorliegenden Fall nicht relevant. Die von der Beschwerdeführerin II zitierten Passagen betreffen rein technische Aspekte, die für eine ausreichende Offenbarung von Sequenzen mit einer niedrigen Homologie (60%) in einer prioritätsbegründenden Anmeldung eine Rolle spielen, jedoch nicht den Aspekt behandeln, ob eine Fachperson, die etwas technisch hätte machen können, dies auf Grund einer angemessenen Erfolgserwartung auch getan hätte. Dafür wären in der Entgegenhaltung D18 Hinweise erforderlich, dass es in Grünalgen Delta-6-Elongasen gibt, insbesondere in O. tauri.

47.3 Unabhängig davon sind aus der Entgegenhaltung D11 keine Hinweise ersichtlich, dass die Fachperson das darin gezeigte Verfahren mit den zu 50% identischen Delta-6-Elongasen von SEQ ID NO: 2 aus der Entgegenhaltung D18 kombiniert hätte, insbesondere mit solchen, die in den Überlappungsbereich von Anspruch 8c) fallen.

48. Das Verfahren von Anspruch 8 des Hilfsantrags 3A erfüllt somit die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ.

Rüge nach Regel 106 EPÜ

49. In der mündlichen Verhandlung hat die Kammer entschieden, den in der Rüge enthaltenen Einwand einer Verletzung des Artikels 113(1) EPÜ zurückzuweisen. Folgende Überlegungen führten zu dieser Zurückweisung.

50. Zunächst ist festzustellen, dass die Kammer die Rüge nicht so versteht, dass die Beschwerdeführerin II von der Kammer daran gehindert worden wäre, während der mündlichen Verhandlung vorzutragen. Dies hat die Beschwerdeführerin II in ihrer Rüge auch nicht behauptet. Die Kammer stellt diesbezüglich dennoch fest, dass der Vorsitzende die Beteiligten zu jedem einzelnen Punkt gefragt hat, ob sie einen weiteren Vortrag haben, und auch am Ende der mündlichen Verhandlung erklärten die Beteiligten auf Nachfrage des Vorsitzenden, dass sie keine weiteren Anträge oder Anmerkungen vorzubringen haben.

Des Weiteren versteht die Kammer die Rüge der Beschwerdeführerin II auch nicht dahingehend, dass sie geltend macht, ihr rechtliches Gehör sei bei der Entscheidung über die Nichtberücksichtigung ihrer im Schriftsatz vom 1. Mai 2022 vorgebrachten Einwände und Argumente verletzt worden. Die Beteiligten wurden zu dieser Frage während der mündlichen Verhandlung gehört.

51. Vielmehr machte die Beschwerdeführerin II in ihrer Rüge geltend, dass die durch die Beschwerdeführerin I eingereichten geänderten Patentunterlagen (Hilfsanträge 3 und 3A) nicht auf die Vereinbarkeit mit dem EPÜ geprüft wurden. Diese Vereinbarkeit sei während der mündlichen Verhandlung nicht diskutiert worden und somit sei der Beschwerdeführerin II nicht die Gelegenheit gegeben worden, zu dieser Vereinbarkeit vorzutragen. Durch die Nichtzulassung ihrer Argumente (aus dem Schriftsatz vom 1. Mai 2022) in das Verfahren sei es für die Beschwerdeführerin II unmöglich gewesen, zu der Vereinbarkeit mit dem EPÜ Stellung zu nehmen, nicht einmal auf einer prima facie Weise. Die Beschwerdeführerin II machte in ihrer Rüge unter Verweis auf Artikel 101 (3) a) EPÜ auch geltend, dass die Kammer ein Patent nur aufrecht erhalten kann, wenn es den Erfordernissen des EPÜ genügt. Sie verwies auf das Erfordernis der Amtsermittlung der Kammer und darauf, dass Artikel 101 (3) a) EPÜ den Regelungen der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern vorgeht.

52. Für die Kammer begründet dieses Vorbringen keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

52.1 Zunächst ist festzuhalten, dass die Vereinbarkeit der Hilfsanträge 3 und 3A mit dem EPÜ in der mündlichen Verhandlung diskutiert wurde. Bezüglich der "formalen" Voraussetzungen verwies die Beschwerdeführerin II in der mündlichen Verhandlung bei Hilfsantrag 3 auf ihr schriftliches Vorbringen und mit den Beteiligten wurde dann diskutiert, ob der Gegenstand von Anspruch 8 des Hilfsantrags 3 den Anforderungen des Artikels 56 EPÜ genügt. Bezüglich der Einwände gegen Anspruch 8 des Hilfsantrags 3A verwies die Beschwerdeführerin II - abgesehen von ihrem Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit - auf ihr schriftliches Vorbringen. Mit den Beteiligten wurde dann diskutiert, ob der Gegenstand von Anspruch 8 des Hilfsantrags 3A den Anforderungen des Artikels 56 EPÜ genügt.

52.2 Allerdings ist der Beschwerdeführerin II zuzustimmen, dass die Kammer nicht alle Voraussetzungen der Vereinbarkeit mit dem EPÜ in der mündlichen Verhandlung diskutiert hat. Insbesondere wurden die Einwände und Argumente der Beschwerdeführerin II aus dem Schriftsatz vom 1. Mai 2022 nicht diskutiert. Denn die Kammer hatte entschieden, die im Schriftsatz vom 1. Mai 2022 enthaltenen Änderungen des Beschwerdevorbringens unberücksichtigt zu lassen (siehe oben Punkt 14). Die Einwände und Argumente waren daher nicht im Verfahren und die Beteiligten waren dazu folglich nicht zu hören.

53. Die Kammer ist auch von den Argumenten bezüglich der Amtsermittlung (Artikel 114 EPÜ) und Artikel 101 (3) a) EPÜ, sowie bezüglich der Hierarchie der Normen nicht überzeugt.

53.1 Die genannten Vorschriften betreffen als solche keine Tatbestände, auf die ein Überprüfungsantrag gestützt werden könnte. Die in Artikel 112a (2) EPÜ genannten Gründe sind insoweit abschließend, und weder ein Verstoß gegen Artikel 114 EPÜ noch Artikel 101 (3) a) EPÜ ist dort genannt.

53.2 Die Kammer stellt auch die Hierarchie zwischen den Regelungen der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern und denen des EPÜ nicht in Frage (siehe auch Artikel 23 VOBK 2020). Allerdings verkennt die Beschwerdeführerin II, dass Artikel 114 (2) EPÜ das in Artikel 114 (1) EPÜ verankerte Prinzip der Amtsermittlung ergänzt und Artikel 114 (2) EPÜ es der Kammer erlaubt, Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, nicht zu berücksichtigen. Auch der hier von der Kammer angewandte Artikel 13 (2) VOBK 2020 (siehe oben Punkt 14) beruht - zumindest soweit es um das Vorbringen von Tatsachen und Beweismitteln geht - auf dem Artikel 114 (2) EPÜ. Dieser Artikel mag in einem Spannungsverhältnis zu der Voraussetzung des Artikel 101 (3) a) EPÜ stehen. Zumindest sind diese beiden Vorschriften aber hierarchisch auf der gleichen Ebene, denn es handelt sich bei beiden Vorschriften um Artikel des EPÜ.

53.3 Im Übrigen kann die Vorschrift des Artikels 101 (3) a) EPÜ nicht so verstanden werden, dass jegliche Voraussetzungen des EPÜ zu prüfen sind (siehe z. B. G 3/14 zur Frage der Prüfung der Deutlichkeit der Ansprüche bei einer Änderung der Ansprüche im Einspruchsverfahren) und auch nicht, dass diese Voraussetzungen immer von Amts wegen zu prüfen sind. Wäre letzteres der Fall, würde der Artikel 114 (2) EPÜ sinnentleert, da er ja gerade davon ausgeht, dass verspätet vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel nicht berücksichtigt werden müssen.

Vielmehr sind im Einspruchsbeschwerdeverfahren die Voraussetzungen des EPÜ insoweit zu prüfen, als Einwände von der Einsprechenden ordnungsgemäß - also nicht verspätet und substantiiert - vorgebracht wurden. Im vorliegenden Fall wurden die Einwände der Beschwerdeführerin II gegen die Hilfsanträge 3 und 3A im Schriftsatz vom 1. Mai 2022 unberücksichtigt gelassen, da sie erst nach der Ladung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurden. Diese Nichtberücksichtigung erfolgte aus prozeduralen Gründen, da die Einwände und Argumente verspätet eingereicht worden waren (siehe oben Punkt 14).

53.4 Der Vollständigkeit halber sei noch angeführt, dass es einer Beschwerdekammer unbenommen bleibt, Einwände auch von Amts wegen zu erheben und zu prüfen, zumindest im Rahmen des zum Beispiel von der Großen Beschwerdekammer gesetzten Kompetenz- und Prüfungsrahmens (siehe zum Beispiel die in G 10/91 und G 3/14 gesetzten Grenzen). Es gibt aber im Einspruchsbeschwerdeverfahren keine uneingeschränkte Pflicht, dies zu tun.

53.5 Die Beschwerdeführerin II zitierte in diesem Zusammenhang G 9/91, Punkt 19 der Entscheidungsgründe, wonach Änderungen der Ansprüche oder anderer Teile eines Patents, die im Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren vorgenommen werden, in vollem Umfang auf die Erfüllung der Erfordernisse des EPÜ (z. B. des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ) zu prüfen sind.

Dieser Verweis ist aber nicht zielführend.

Dieser von der Beschwerdeführerin II zitierte Absatz ist im Kontext der Entscheidung G 9/91 und der insoweit gleicht lautenden Stellungnahme G 10/91 zu sehen. Die Stellungnahme G 10/91 betrifft unter anderem die Kompetenz zur Überprüfung neuer Einspruchsgründe im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren. So ist laut Punkt 18 der Entscheidungsgründe der Artikel 114 (1) EPÜ, obwohl er sich formal gesehen auch auf das Beschwerdeverfahren erstreckt, im Beschwerdeverfahren generell restriktiver anzuwenden als im Einspruchsverfahren. Insoweit darf z. B. ein neuer Einspruchsgrund gegen das erteilte Patent im Beschwerdeverfahren nur mit dem Einverständnis des Patentinhabers geprüft werden (G 10/91, Punkt 18 der Entscheidungsgründe). Im nächsten Absatz der G 10/91, also im von der Beschwerdeführerin II zitierten Punkt 19 der Entscheidungsgründe, wird dann ausgeführt, dass Änderungen des Patents in vollen Umfang auf deren Vereinbarkeit mit den Anforderungen des EPÜ zu prüfen sind - somit betrifft dieser Punkt nicht mehr den Sachverhalt neuer Einspruchsgründe gegen das erteilte Patent. Punkt 19 der Entscheidungsgründe stellt somit klar, dass der Überprüfungsumfang bei Änderungen des Patents - anders als beim erteilten Patent - eben nicht wie in Punkt 18 dargestellt eingeschränkt ist.

Jedoch ist Punkt 19 der Entscheidungsgründe von G 9/91 und G 10/91 nicht zu entnehmen, dass es eine Pflicht gäbe, im Beschwerdeverfahren eingereichte Anträge von Amts wegen auf alle Erfordernisse des EPÜ zu prüfen. Wie oben erwähnt, wäre eine so verstandene, uneingeschränkte Amtsermittlungspflicht auch nicht mit Artikel 114 (2) EPÜ vereinbar.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen, mit der Anordnung das Patent aufrechtzuerhalten auf Grundlage der Ansprüche 1 bis 11 des Hilfsantrags 3A, eingereicht am 24. Januar 2019, und einer noch anzupassenden Beschreibung.

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