European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1992:T031790.19920423 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 23 April 1992 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0317/90 | ||||||||
Anmeldenummer: | 83102456.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | H01B 3/44 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verwendung einer weichmacherhaltigen Kunststoffmischung für elektrische Isolierschichten | ||||||||
Name des Anmelders: | Kabelwerke Reinshagen GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | 1) Siemens AG 2) N.V. Philips'Gloeilamp. |
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Kammer: | 3.3.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit (bejaht) Inventive step (yes) Examination of own motion - late submitted material - opposition |
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Orientierungssatz: |
Weiterer Anspruch im Einspruchsverfahren nicht zulässig (entspr. T 295/87 - ABl. EPA 1990, 470) |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdegegnerin ist Inhaberin des europäischen Patents 89 589 mit der Anmeldenummer 83 102 456.7, das am 15. April 1987 mit fünf Patentansprüchen erteilt worden ist.
II. Gegen die Erteilung des Patents haben zwei Einsprechende Einspruch erhoben und diesen auf mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit des Patentgegenstandes im Sinne von Artikel 100 a) EPÜ gestützt. Die Parteien haben sich dabei auf zahlreiche Druckschriften berufen.
III. Mit der in der mündlichen Verhandlung am 21. Februar 1990 verkündeten und am 29. März 1990 ausgefertigten Zwischenentscheidung hat die Einspruchsabteilung festgestellt, daß das Patent in geändertem Umfang aufrechterhalten werden könne. Der Entscheidung lagen die geänderten Ansprüche in der Fassung vom 21. Februar 1990 zugrunde, die folgenden Wortlaut hatten:
"1. Verwendung einer Kunststoffmischung für vernetzbare Isolierschichten von auf Reibung beanspruchten elektrischen Leitungen auf der Basis von Polyvinylchlorid und/oder dessen Copolymeren oder auf der Basis von Mischungen von Polyvinylchlorid und/oder dessen Copolymeren mit anderen Polymeren, die Weichmacher enthält und evtl. Verarbeitungshilfsmittel, wie Wachse, oder Stabilisatoren oder Farbstoffe, sowie Talkum, dadurch gekennzeichnet, daß die Mischung mittels Elektronenstrahlen vernetzbar und frei von Kreide ist und daß auf ein Teil Weichmacher 0,25 bis 0,5 Teile Talkum zugesetzt sind.
2. Verwendung nach Anspruch 1, gekennzeichnet durch folgende Zusammensetzung:
100 Teile Polyvinylchlorid-Pulver
100 Teile flüssiger Weichmacher
25 Teile Talkum
8 Teile Vernetzungshilfsmittel.
3. Verwendung einer nach Anspruch 1 oder 2 gekennzeichneten Kunststoffmischung für eine Bügeleisenleitung."
Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, daß die Ansprüche formal zulässig seien und daß ihr Gegenstand auch auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Die Neuheit war nicht mehr bestritten worden. Ausgehend von
(Pb) EP-A-3747,
wo für Isolierschichten von elektrischen Leitungen geeignete Kunststoffe beschrieben seien, welche mit einem wärmebeständigen Lacküberzug gleitfähig gemacht werden, kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluß, daß die übrigen zur Diskussion stehenden Entgegenhaltungen die beanspruchte Lösung der bestehenden Aufgabe nicht nahelegten, obgleich die im Anspruch 1 festgelegten Merkmale für sich genommen weitgehend bekannt seien; dies ergebe sich insbesondere aus
(Ej) Derwent Abstract betreffend die JA-A-78/073 688.
Das verspätet genannte Dokument
(El) Kunststoffe, 1975, 13 und 14 hat die Einspruchsabteilung unberücksichtigt gelassen.
IV. Gegen diese Entscheidung richtet sich die ordnungsgemäß eingelegte Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende I) vom 12. April 1990, die ihre in der Beschwerdeschrift enthaltene Begründung mit den am 19. März 1992 und am 8. April 1992 eingegangenen Schreiben ergänzt und auf folgende weitere Literatur hinweist:
(D12.1) DE-A-1 907 874,
(D12.2) GB-B-1 178 940,
(D13) Zeitschrift "Kemia-Kemi", 1976, 501 bis 507, (dazu eine auszugsweise Übersetzung des finnischen Textes in das Deutsche) und
(D14) Chemag-Information 032/I-II-12/71-400.
V. Die Beschwerdegegnerin hat sich am 16. November 1990 und am 2. April 1992 zu obigem Vorbringen geäußert.
Am 22. April 1992 hat die von den Parteien beantragte mündliche Verhandlung vor der Kammer stattgefunden.
VI. Die Beschwerdeführerin vertritt schriftlich wie auch mündlich im wesentlichen den Standpunkt, daß der Patentanspruch im Einspruchsverfahren in unzulässiger Weise abgeändert worden sei. Im Anspruch 1 verstoße in erster Linie das hinzugekommene Merkmal "frei von Kreide" gegen Artikel 123 (2) EPÜ. Durch den nach der Erteilung zusätzlich aufgestellten Anspruch 3 werde der Schutzbereich des erteilten Patents entgegen Artikel 123 (3) EPÜ erweitert.
Die Beschwerdeführerin bestreitet weiterhin das Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit. Bei deren Beurteilung sei die Einspruchsabteilung zum einen von einer unzulässigen Anspruchsfassung ausgegangen, und zum anderen habe sie die Entgegenhaltung (El) unzureichend gewürdigt. Aus (Ej) sei eine talkum- und kreidehaltige PVC-Mischung für Isolierschichten von Kabeln bekannt. Die Aufgabe, eine derartige Kunststoffmischung so zu modifizieren, daß sie eine höhere Temperaturbeständigkeit und verbesserte mechanische Eigenschaften, beispielsweise einen geringeren Reibbeiwert, aufweise, sei in Kenntnis von (El) ohne weiteres zu lösen gewesen. Aus (El) habe man nämlich gewußt, daß durch Strahlenvernetzung des PVC die betreffenden Eigenschaften verbessert werden; auch verarbeitungstechnisch ergeben sich keine Schwierigkeiten. Es habe somit auf der Hand gelegen, die Kunststoffmischung aus (Ej) strahlenvernetzbar auszugestalten, um sich die zu erwartende Verbesserung der Gebrauchseigenschaften zunutze zu machen; der geringe Kreideanteil falle dabei nicht ins Gewicht. Der Fachmann, der sich mit der Verringerung des Reibbeiwertes von Kunststoffprodukten befasse, komme nicht daran vorbei, daß der Füllstoff "Talkum" zur Lösung des o. g. Problems grundsätzlich geeignet sei; die verschiedenartigen Anwendungsbeispiele in (D12.1), (D12.2), (D13) und (D14) (so bei Gummischichtringen) belegten dies. Es gehöre auch zum allgemeinen Fachwissen, daß Talkum als Füllstoff für PVC in Betracht komme und daß es dort an der Oberfläche seine Wirkung enfalte ((Ed), Kunststoff-Handbuch, Band II, 1963, 475). Es habe deshalb nahegelegen, diesen Füllstoff auch vorliegend gezielt als gleitreibungsmindernden Zusatz einzusetzen. Die erforderlichen Mengen seien durch einfache Versuche zu ermitteln gewesen; es gebe keinen Grund dafür, den Talkumzusatz an die Menge des Weichmachers zu koppeln. Da letztlich jede flexible PVC-Schlauchleitung "auf Reibung beansprucht" werde, sei der betreffende Ausdruck im Anspruch 1 fehl am Platze. Im vorliegenden Falle gehe es vielmehr um die Gleitreibung, wie sie bei Bügeleisenzuleitungen eine Rolle spiele.
VII. Die Beschwerdegegnerin macht demgegenüber geltend, daß das beanstandete Merkmal "frei von Kreide" auf die im Beispiel erläuterte Ausführungsform zurückgehe und daß seine Aufnahme in den Anspruch der Abgrenzung gegenüber (Ej) diene; eine derartige Einschränkung müsse unter Artikel 123 (2) EPÜ zulässig sein. Der abhängige Patentanspruch 3 betreffe in seiner jetzigen oder gegebenenfalls in einer abgeänderten Form einen Verwendungszweck, der sowohl in den ursprünglichen Unterlagen offenbart als auch in dem erteilten Patent zu finden sei; der Anspruch beinhalte nichts Zusätzliches und verstoße deshalb auch nicht gegen Artikel 123 (3) EPÜ.
Auf die erfinderische Tätigkeit eingehend, führt die Beschwerdegegnerin aus, daß es bei der Erfindung nicht um die Verbesserung von mechanischen Eigenschaften einer elektrischen Leitung schlechthin gehe, sondern um die Lösung eines speziellen technischen Problems, zu dem bisher nur in (Pb) Stellung genommen worden sei. Die dort beschriebenen, lackummantelten Gummileitungen könnten beispielsweise als Bügeleisenzuleitungen verwendet werden und genügten hinsichtich Wärmebeständigkeit und Gleitfähigkeit den gestellten Anforderungen. Es sei der Patentinhaberin gelungen, eine weitere Lösung gefunden zu haben, welche sich von der alten Lehre in erfinderischer Weise abhebe: Der aufwendige Arbeitsgang des Lackierens entfalle, und man komme technisch einfacher und wirtschaftlicher als bisher zu einem Massenprodukt. Die Entgegenhaltung (Ej) besage lediglich, daß PVC durch Strahlenvernetzung hitzebeständiger werde und daß dadurch seine mechanischen Eigenschaften verbessert werden. Keines der in Betracht gezogenen Dokumente enthalte aber einen Hinweis, wie man strahlenvernetztes PVC gleitfähiger machen könne, daß Talkum hierfür geeignet sei, daß man den Talkumzusatz mit dem Weichmacheranteil abstimmen müsse oder daß man den Weichmacheranteil in der Mischung erhöhen müsse - dies obwohl Talkum der Fachwelt seit langem zur Verfügung stehe. Die Tatsache, daß die Beschwerdegegnerin mittlerweile zahlreiche Literaturstellen bemüht habe, unterstreiche nur, daß der anspruchsgemäße Lösungsvorschlag nicht nahegelegen habe.
VIII. Zu Beginn der mündlichen Verhandlung machte der Vorsitzende u. a. darauf aufmerksam, daß das von der Beschwerdeführerin kritisierte Merkmal "frei von Kreide" im Anspruch 1 wohl schon deshalb nicht zu beanstanden sei, weil es nicht nur im Zusammenhang eines speziellen Beispiels, sondern auch generell auf Seite 4, Zeilen 16 bis 18 der Erstunterlagen offenbart sei. Dagegen könne das Patent wegen des Anspruchs 3 - gleichgültig, ob sein Wortlaut mit Artikel 123 (3) EPÜ konform sei oder nicht - voraussichtlich nicht aufrechterhalten werden, da der Anspruch keine Entsprechung in der erteilten Fassung habe. Der Vorsitzende erläuterte unter Hinweis auf die Entscheidung T 295/87 (ABl. EPA 1990, 470) die Spruchpraxis der Kammer.
Im weiteren Verlauf führte er bezüglich (El) aus, daß dieses Dokument von der Einspruchsabteilung in rechtmäßiger Ermessensausübung als verspätet außer Betracht gelassen worden sei, daß es aber von der Kammer wegen seiner Relevanz berücksichtigt werde. Die in der Eingabe vom 16. März 1992 und später erstmals genannten Dokumente würden aller Voraussicht nach unberücksichtigt bleiben, da nicht ersichtlich sei, daß sie von entscheidungserheblicher Bedeutung seien. Dem widersprach der Vertreter der Beschwerdeführerin und beantragte, diese Frage zumindest in bezug auf (D13) vorab zu klären. Nach kurzer Beratung entschied die Kammer, dieses Dokument nicht weiter zu berücksichtigen (Artikel 114 (2) EPÜ).
IX. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag); hilfsweise, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage der geltenden Ansprüche 1 und 2 aufrechtzuerhalten.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 89 589.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die Kammer hat in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 114 (2) EPÜ entschieden, die erst nach Ablauf der Einspruchsfrist eingereichten Dokumente (D12.1), (D12.2) und (D14) wegen ihrer fehlenden Bedeutung für die Entscheidungsfindung nicht in das Beschwerdeverfahren einzuführen. Aus dem gleichen Grunde hatte die Kammer bereits in der mündlichen Verhandlung entschieden, Entgegenhaltung (D13) unberücksichtigt zu lassen.
3. Der auf den eingangs wiedergegebenen Ansprüchen 1 bis 3 beruhende Hauptantrag mußte allein schon deswegen scheitern, weil der von der Einspruchsabteilung akzeptierte Anspruch 3 keine Entsprechung in der erteilten Fassung der Patentansprüche des Streitpatents hat.
In der in der mündlichen Verhandlung erörterten Entscheidung T 295/87 heißt es dazu, daß Änderungen, die im Einspruchsverfahren an einem erteilten Patent vorgenommen werden, nur dann als sachdienlich und notwendig im Sinne der Regeln 57 (1) und 58 (2) EPÜ und damit als zulässig zu erachten sind, wenn feststeht, daß sie durch die Einspruchsgründe bedingt sind. Eine nicht durch die Einspruchsgründe bedingte Änderung, bei der neue Ansprüche vorgeschlagen werden, die im erteilten Patent keine Entsprechung haben und die deshalb auch nicht angegriffen werden konnten, ist nicht zulässig. Das Einspruchsverfahren ist nicht als Gelegenheit für den Patentinhaber gedacht, Änderungen am Text des Patents vorzuschlagen, die nicht eindeutig im Zusammenhang mit dem Ausräumen eines Einspruchsgrundes nach Artikel 100 EPÜ stehen. Insbesondere soll das Einspruchsverfahren nicht die Gelegenheit bieten, neue Gegenstände in die Ansprüche aufzunehmen, die zwar möglicherweise durch die ursprüngliche Beschreibung ausreichend gestützt sind, die aber als solche ursprünglich nicht beansprucht und deshalb auch nicht angegriffen worden sind (Entscheidungsgründe Ziff. 3).
Im vorliegenden Fall betrifft der Anspruch 3, der ohne Entsprechung in den Ansprüchen des angegriffenen Patents ist, eine bevorzugte Verwendung der beanspruchten PVC- Mischungen für Bügeleisenzuleitungen. Nach Auffassung der Kammer kann das Hinzufügen dieses Anspruches nicht als Versuch gewertet werden, einen Einwand nach Artikel 100 EPÜ zu entkräften. Die Änderung, die über die eigentlichen Einwände gegen die Rechtsgültigkeit des Patents hinausgeht, wird daher weder für erforderlich noch für sachdienlich im Sinne der o. g. Regeln und der fragliche Anspruch folglich als unzulässig angesehen.
Der Hauptantrag war somit ohne weitere Diskussion seiner Ansprüche zurückzuweisen.
4. Anders verhält es sich dagegen mit dem Hilfsantrag, dem die Ansprüche 1 und 2 in der Fassung vom 21. Februar 1990 zugrundeliegen.
4.1. Die beiden Patentansprüche genügen in formaler Hinsicht der Vorschrift des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ.
Für die nach Anspruch 1 zu verwendenden Kunststoffmischungen mit ihrem PVC-Anteil gilt, daß sie nunmehr mit Elektronenstrahlen vernetzbar sein müssen. Die Einschränkung auf diese Ausführungsform geht auf die Angaben in der Beschreibung zurück (ursprüngliche Beschreibung Seite 5, Abs. 2; Streitpatentschrift Spalte 3, Abs. 3). An gleicher Stelle findet sich auch der Hinweis für die im Oberbegriff hinzugekommene Einfügung, wonach die Isolierschichten für auf Reibung beanspruchte Leitungen vorgesehen sind; darunter versteht man nach den Erläuterungen in der Beschreibung, kurz gesagt, die Gleitwirkung bzw. -reibung, die beispielsweise beim Bügeln an der Bügeleisenzuleitung oder beim Auf- bzw. Abwickeln von Staubsaugerzuleitungen auftritt. Das neue Weichmacher- Talkum-Verhältnis stützt sich auf die Zahlenangaben im ursprünglichen Anspruch 7 in Verbindung mit Anspruch 2 sowie im Anspruch 2 des erteilten Patents. Nicht zu beanstanden ist auch der den Ausschluß von Kreide betreffende Passus, mit dem die Beschwerdegegnerin sich gegenüber dem Stand der Technik aus (Ej) abgegrenzt hat; er stützt sich auf die Aussage in der ursprünglichen Beschreibung, wonach die Verwendung von Talkum anstelle von Kreide kostengünstiger sei und auf ein Beispiel, in welchem der Füllstoff Kreide durch die gleiche Menge Talkum ersetzt worden ist (ursprüngliche Beschreibung Seite 4, Zeilen 16 bis 19 bzw. Seite 6, letzter Abs.; Streitpatentschrift Spalte 3, letzter Abs.). Schließlich entspricht die im Anspruch 2 angegebene Rezeptur wortgetreu derjenigen, die schon im ursprünglichen Anspruch 10 und sodann im erteilten Anspruch 5 aufgeführt war.
4.2. Das Streitpatent betrifft die Verwendung einer weichmacherhaltigen Kunststoffmischung auf PVC-Basis als Isolierschicht von elektrischen Leitungen.
Die Kammer geht wie die Einspruchsabteilung von (Pb) als nächstem Stand der Technik aus. Dort sind mehradrige, flexible elektrische Leitungen zur Stromversorgung von ortsveränderlichen Geräten, insbesondere Haushaltswarmgeräten, beschrieben, deren miteinander verseilte Adern von einem wärmebeständigen, gleitfähigen Mantel aus einer extrudierten, vernetzten Elastomerschicht umhüllt sind, die ihrerseits mit einem wärmebeständigen Lack überzogen ist. Als besonders geeignet für die Ummantelung haben sich Copolymerisate aus Ethylen und Vinylacetat erwiesen; verwendbar sind aber auch Elastomere, beispielsweise Silikonkautschuk, Naturkautschuk, Polychloroprenkautschuk und Kautschuke auf der Basis von chlorsulfoniertem Ethylen. Die Ummantelung mit diesen Werkstoffen dient der thermischen und elektrischen Sicherheit der Leitung. Für die äußere wärmebeständige Schicht kommen beispielsweise Polyimidlacke oder Vialkydlacke in Betracht; durch diese wird die Gleitfähigkeit der Leitung erhöht. Durch den mit ihrer Aufbringung verbundenen zweiten Arbeitsgang werden jedoch, wenn man den Lack im einfachsten Fall aus einer Lösung im Durchzugsverfahren bei anschließender Trocknung aufbringt, nicht unerhebliche zusätzliche Fertigungskosten verursacht. Bekannt war auch, daß sich PVC-Mischungen mit 40 bis 60 Gewichtsteilen Weichmacher auf 100 Gewichtsteile PVC für die Herstellung von Kabelmänteln eignen (Streitpatentschrift Spalte 1, Abs. 4); deren Gleitfähigkeit ist jedoch gering.
4.3. Aufgabe der Erfindung war es demgegenüber, alternativ einen Weg aufzuzeigen, der es erlaubt, ohne Eingriff in den üblichen Fertigungsablauf weichmacherhaltige PVC- haltige Kunststoffmischungen für elektrische Leitungen zu verwenden, bei denen die Gleitfähigkeit der Kunststoffschicht verbessert ist, die sonstigen Gebrauchseigenschaften aber nicht beeinträchtigt sind.
4.4. Es ist für die Kammer ohne weiteres glaubhaft, daß die bestehende Aufgabe erfolgreich gelöst werden kann, wenn man sich etwa an die Rahmenbedingungen des Anspruchs 2 hält. Auch das mittlerweile im Zuge der Änderung des Patentbegehrens gestrichene Beispiel macht deutlich, daß eine mit Talkum gefüllte PVC-Mantelmischung (100 Teile PVC/80 Teile Weichmacher/24 Teile Talkum/6 Teile Stabilisator) einen niedrigeren Reibbeiwert aufweist als eine herkömmliche, kreidehaltige PVC-Isolierung. Dieser positive, auf das Talkum zurückgehende Effekt dürfte durch die nachfolgende Vernetzung des organischen Materials nicht wesentlich beeinträchtigt werden.
4.5. Es bleibt noch zu untersuchen, ob der - unstreitig - neue Gegenstand des Anspruchs 1 auch auf erfinderischer Tätigkeit beruht oder nicht.
Ausgangspunkt für diese Betrachtung ist die schon erörterte Druckschrift (Pb), in der kunststoffummantelte, lackbeschichtete Anschlußleitungen für Haushaltswarmgeräte beschrieben werden, welche hitze- und druckunempfindlich sind und welche durch die Lackbeschichtung gleitfähig gemacht wurden. Dem mit der Weiterentwicklung dieses Produkts betrauten Fachmann mußte es in erster Linie darauf ankommen, den bei dieser Art der Kabelherstellung als lästig empfundenen und in höchstem Maße unwirtschaftlichen zusätzlichen Arbeitsgang des Lackauftrags zu umgehen; gleichzeitig aber war der bisher erreichte Standard hinsichtlich der Gebrauchseigenschaften, so der der elektrischen Sicherheit, der Hitze- und Druckstabilität, der Flexibilität, insbesondere aber auch der Gleitfähigkeit, beizubehalten. Ein weiteres Erfordernis war es, den Arbeitsablauf, d. h. das Extrudieren der Compounds über den Leiter an den üblichen Fertigungsmaschinen, nicht grundlegend zu verändern, ihn jedenfalls nicht zu komplizieren.
4.5.1. Der Entgegenhaltung (Pb) selbst, aber auch der im Beschwerdeverfahren noch zitierten Literatur vermochte der zuständige Fachmann keine konkreten Hinweise zu entnehmen, wie er zum Gegenstand des Anspruchs 1 kommen konnte:
Aus (Ej) sind als flammwidrig bezeichnete Drähte und Kabel bekannt, die mit Polyethylen und PVC mehrfach beschichtet sind. In die als Isolierung vorgesehene PVC-Außenhaut sind außer Weichmachern, Antimontrioxyd, Stabilisatoren und Kreide noch Zusätze wie Aluminiumhydroxyd, Asbest oder Talkum eingearbeitet, welche dem Überzug flammwidrige Eigenschaften verleihen sollen. Eine Anregung, wie man die hier besonders interessierende Gleitreibung solcher Kabel beeinflussen könnte, enthält (Ej) nicht.
4.5.2. Aufschlußreicher ist dagegen (El), ein Referat, das sich mit der Anwendung von strahlenvernetztem PVC in der Elektrotechnik und hier speziell zur Leiterisolation auseinandersetzt. Danach besteht kein Zweifel, daß durch den Vernetzungsvorgang die mechanischen (z. B. Abrieb, Zähigkeit, Härte), chemischen (z. B. Migrationsfestigkeit) und thermischen Eigenschaften (z. B. erhöhte Wärmestandfestigkeit, Durchbrennresistenz) des PVC verbessert und damit auch neue Einsatzgebiete erschlossen werden. Von Vorteil ist, daß die für Draht- und Kabelummantelungen vorgesehenen vernetzbaren PVC-Massen in analoger Weise thermoplastisch verarbeitbar sind wie die üblichen Weich-PVC-Compounds und daß die Vernetzung durch Bestrahlung erst nach dem Aufbringen der Umhüllung auf den Leiter vollzogen werden muß. Das bedeutet aber nichts anderes, als daß die für die Draht- und Kabelherstellung bei Weich-PVC gebräuchlichen Maschinen und Einrichtungen auch zur Verarbeitung von strahlenvernetzbaren PVC- Compounds geeignet sind. Schließlich wird darauf hingewiesen, daß für eine geeignete Vernetzung die richtige Kombination von Art und Menge an Weichmachern, vernetzungsbeschleunigenden Zusätzen und Stabilisatoren sowie die Energiedosierung ausschlaggebend sind. Als Füllstoffe werden hauptsächlich Kaoline und Kreiden empfohlen; soweit Gleitmittel erwähnt sind, sollen sie das Kleben an den Metallflächen der Verarbeitungsmaschinen verhindern (vgl. Seite 14, rechte Spalte, Abs. 2, 3; Seite 15, rechte Spalte, letzter Absatz; Seite 16, linke Spalte, Abs. 2; Seite 18, rechte Spalte, Abs. 2).
Strahlenvernetztes PVC bietet sich demnach zum einen wegen seiner bequemen Verarbeitbarkeit vor der Vernetzung und andererseits wegen seiner günstigen Eigenschaften im ausreagierten Zustand als Basismaterial für die vorliegenden Zwecke förmlich an. Nicht weiter kommt man aber, wenn man in dem Artikel nach einer Möglichkeit sucht, wie das spezielle Problem der Gleitreibung zu lösen ist.
4.5.3. Die Beschwerdeführerin beruft sich wiederholt darauf, daß die reibungsmindernden Eigenschaften von Talkum allgemein bekannt gewesen seien und daß allein deshalb seine Verwendung im vorliegenden Falle nahegelegen habe; beispielsweise fühlten sich gefüllte - u. a. mit Talkum gefüllte - PVC-Erzeugnisse "trockener" an ((Ed), Seite 476, letzter Absatz). In der auf der gleichen Seite befindlichen Tabelle ist allerdings bei der Aufzählung verschiedener Füllstoffe unter dem Stichwort Talkum der Vermerk "selten verwendet" zu finden, eine Bemerkung, die schwerlich als Aufforderung ausgelegt werden kann, sich ausgerechnet mit diesem Füllmaterial näher zu beschäftigen.
4.5.4. Es ist deshalb der Beschwerdegegnerin zuzugeben, daß sie die bestehende Aufgabe, insbesondere das Problem der Gleitreibung bei weichmacherhaltigem PVC, wie es in speziellen Sektoren der Elektrotechnik auftritt, mit verhältnismäßig einfachen Mitteln und ohne besonderen technischen Aufwand zufriedenstellend gelöst hat.
Isolierschichten können allem Anschein nach in Bezug auf ihre Eigenschaften mit handelsüblichen Produkten konkurrieren. Nach dem Bekunden der Beschwerdegegnerin hat es sich als zweckmäßig und aus verschiedenen Gründen (z. B. Erhalt der Flexibilität) auch als erforderlich erwiesen, den Weichmacheranteil höher als sonst üblich einzustellen, was auch aus Anspruch 2 erkennbar ist; insoweit stellt auch das auf das Weichmacher/Talkum- Verhältnis gerichtete Merkmal im Anspruch 1 entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin keine platte Selbstverständlichkeit dar, sondern eine durchaus sinnvolle Maßnahme.
5. Nach alledem kann dem Gegenstand der Ansprüche 1 und 2 gemäß Hilfsantrag die erfinderische Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ nicht abgesprochen werden. Die beiden Ansprüche sind daher patentfähig.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin wird zurückgewiesen.
3. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent auf der Grundlage des Hilfsantrags der Beschwerdegegnerin aufrechtzuerhalten.