T 0236/06 (Partielle Hydrierung von Adiponitril/BASF) of 11.1.2007

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2007:T023606.20070111
Datum der Entscheidung: 11 Januar 2007
Aktenzeichen: T 0236/06
Anmeldenummer: 97919014.7
IPC-Klasse: C07C 253/30
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung von aliphatischen alpha,omega-Aminonitrilen
Name des Anmelders: BASF Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: E.I. Du Pont de Nemours and Company
Kammer: 3.3.10
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 113(2)
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 R 57a
Schlagwörter: Hauptantrag (nicht zulässig): verspätet - Disclaimer unzulässig - Anspruch unvollständig - eindeutig nicht gewährbar
Hilfsanträge 1 bis 4: Hinzufügen neuer abhängiger Ansprüche - nicht durch einen Einspruchsgrund veranlasst
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/03
T 0153/85
T 0198/88
T 0011/89
T 0317/90
T 0092/93
T 0840/93
T 0500/00
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 16. Februar 2006 eingegangene Beschwerde des Beschwerdeführers (Patentinhaber) richtet sich gegen die am 14. Dezember 2005 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher das europäische Patent Nr. 925 276 widerrufen wurde.

II. Die Einspruchsabteilung stellte in der angefochtenen Entscheidung fest, dass keiner der vorliegenden Anträge die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ erfülle. Insbesondere sei der in Anspruch 1 des Hauptantrages eingeführte Disclaimer nicht zulässig, da er die Neuheit wiederherstellen solle, indem er den Anspruch gegenüber einer nicht zufälligen Vorwegnahme abgrenze, nämlich gegenüber der vorveröffentlichen Druckschrift:

(1a) DE-A-4235466.

In den zwei Hilfsanträgen seien die neu eingeführten Merkmale nicht in Kombination ursprünglich offenbart.

III. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 11. Januar 2006 hat der Beschwerdeführer einen neuen Hauptantrag eingereicht. Ansprüche 1 und 7 des Hauptantrages lauteten:

"1. Verfahren zur Herstellung von aliphatischen alpha,omega-Aminonitrilen durch partielle Hydrierung von aliphatischen alpha,omega-Dinitrilen in Gegenwart eines Katalysators dadurch gekennzeichnet, daß man für die partielle Hydrierung einen Katalysator verwendet, der (a) Eisen oder eine Verbindung auf der Basis von Eisen oder deren Gemische enthält und

(b) von 0,01 bis 5 Gew.-% bezogen auf (a) eines Promotors auf der Basis von 2,3,4 oder 5 Elementen ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus Aluminium, Silizium, Zirkonium, Titan und Vanadium sowie

(c) von 0 bis 5 Gew.-% bezogen auf (a) einer Verbindung auf der Basis eines Alkali- oder Erdalkalimetalls, enthält,

mit der Maßgabe, daß der Katalysator nicht hergestellt worden ist, -> DE4235466".

"7. Verfahren nach den Ansprüchen 1 bis 6 zur gleichzeitigen Herstellung von 6-Aminocapronitril und Hexamethylendiamin ausgehend von Adipodinitril durch

(1) partielle Hydrierung von Adipodinitril in Gegenwart eines Katalysators unter Erhalt einer Mischung enthaltend 6-Aminocapronitril, Hexamethylendiamin und Adipodinitril und".

Der jetzige Hilfsantrag 1 wurde mit Schreiben vom 11. April 2006 eingereicht und bestand aus dreizehn Ansprüchen enthaltend einen unabhängigen Anspruch 1, neu aufgestellte abhängige Ansprüche 2 bis 6 und erteilte abhängige Ansprüche 7 bis 13.

Die Hilfsanträge 2 bis 4 vom 8. Januar 2007 bestanden aus sechs bzw. fünf Ansprüchen, enthaltend jeweils einen unabhängigen Anspruch 1 und neu aufgestellte abhängige Ansprüche 2 bis 6 bzw. 2 bis 5.

IV. Der Beschwerdeführer trug vor, dass der in der mündlichen Verhandlung eingereichte Hauptantrag nicht verspätet sei. Er räumte ein, dass der Disclaimer im Anspruch 1 im Hinblick auf die Entscheidung G 1/03 (ABl. EPA 2004, 413) nicht zulässig sei, gleichwohl habe er ein Anrecht auf einen Anspruch, der einen Disclaimer enthalte, weil ihm die Prüfungsabteilung einen solchen Anspruch damals zu Unrecht nicht gewährt habe. Daher sei die Rechtslage bezüglich Disclaimer aus dem Jahre 2000 vor der Entscheidung G 1/03 maßgebend und anzuwenden. In Bezug auf die Hilfsanträge 1 bis 4 räumte er ein, dass die Aufstellung der neuen abhängigen Ansprüche 2 bis 6 bzw. bis 5 nicht durch Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ veranlasst worden sei noch diese überwinde.

V. Der Beschwerdegegner argumentierte, dass der Hauptantrag verspätet sei. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei eindeutig nicht gewährbar, da der darin enthaltene Disclaimer zur Abgrenzung gegenüber einer Druckschrift führe, die nicht als zufällige Vorwegnahme angesehen werden könne. Somit erfülle dieser Antrag nicht die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ. Die Hilfsanträge 1 bis 4 verstießen gegen Regel 57a EPÜ, da die neu aufgestellten abhängigen Ansprüche 2 bis 6 bzw. 2 bis 5 nicht durch Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ veranlasst worden seien.

VI. Der Beschwerdeführer hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf Grundlage des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrages mit den Ansprüchen 1 bis 7 (Teil), hilfsweise, des am 11. April 2006 eingereichten Hilfsantrages 1 mit den Ansprüchen 1 bis 13 oder, weiter hilfsweise, der mit Schriftsatz vom 8. Januar 2007 eingereichten Hilfsanträge 2 bis 4, jeweils mit den Ansprüchen 1 bis 6 bzw. 1 bis 5, aufrechtzuerhalten.

Der Beschwerdegegner hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Hauptantrag

2. Zulässigkeit

2.1 Der Beschwerdeführer hat in einem sehr späten Stadium des Beschwerdeverfahrens, nämlich während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, einen abgeänderten Anspruchssatz eingereicht, in welchem ein Disclaimer "mit der Maßgabe, daß der Katalysator nicht hergestellt worden ist, -> DE4235466" in den Anspruch 1 eingeführt wurde. Ein Anspruch mit einem derartigen Disclaimer wurde bis zu diesem Zeitpunkt nie im Einspruchs(beschwerde)verfahren vorgelegt.

2.2 Der Hauptzweck des mehrseitigen Beschwerdeverfahrens besteht darin, der unterlegenen Partei die Möglichkeit zu geben, die Entscheidung der ersten Instanz anzufechten. Der beschwerdeführende Patentinhaber, der vor der Einspruchsabteilung unterlegen ist, hat somit das Recht, die zurückgewiesenen Anträge von der Beschwerdekammer erneut prüfen zu lassen. Will er jedoch dem Beschwerdeverfahren andere Anträge zugrunde legen, liegt deren Zulassung in das Verfahren im Ermessen der Beschwerdekammer; einen Rechtsanspruch hat er darauf nicht (siehe T 840/93, ABl. EPA 1996, 335, Punkt 3.1 der Entscheidungsgründe). Zur Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens über die Zulassung von frischen Anträgen, die nicht vor der ersten Instanz waren, prüfen die Beschwerdekammern nach ständiger Rechtsprechung als ein dafür entscheidendes Kriterium, ob die geänderten Ansprüche dieser frischen Anträge eindeutig gewährbar sind (siehe T 153/85, ABl. EPA 1998, 1, Punkte 2.1 und 2.2 der Entscheidungsgründe und T 92/93, Punkt B der Entscheidungsgründe, nicht veröffentlicht im ABl. EPA).

2.3 Der in den Anspruch 1 eingeführte Disclaimer führt laut Beschwerdeführer zur Abgrenzung gegenüber der vorveröffentlichen Druckschrift (1a). Wenn jedoch ein Disclaimer dazu dient, die Neuheit gegenüber einer Offenbarung nach Artikel 54 (2) EPÜ wiederherzustellen, ist er nur dann zulässig, wenn diese Offenbarung als zufällig angesehen werden kann; eine Vorwegnahme ist dann zufällig, wenn sie so unerheblich für die beanspruchte Erfindung ist und so weitab von ihr liegt, dass der Fachmann sie bei der Erfindung nicht berücksichtigt hätte (siehe G 1/03, loc. cit.).

Im vorliegenden Fall ist jedoch die Druckschrift (1a) keine zufällige Vorwegnahme in diesem Sinne, da sie ein Verfahren gleichartig zu dem des Streitpatentes betrifft. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat der Beschwerdeführer auch die Unzulässigkeit dieses Disclaimers im Hinblick auf die Entscheidung G 1/03 eingeräumt. Daher stellt hier der Disclaimer eine nach Artikel 123 (2) EPÜ unzulässige Abänderung dar.

Außerdem verletzt der anspruchsgemäße Disclaimer das Erfordernis der Deutlichkeit gemäß Artikel 84 EPÜ, da er wegen fehlender technischer Merkmale nicht aus sich selbst heraus verständlich ist, sondern Bezug auf eine genannte Referenzdruckschrift nimmt (siehe T 11/89, Punkt 2 der Entscheidungsgründe, nicht veröffentlicht im ABl. EPA).

2.4 Der Beschwerdeführer trug vor, er habe ein Anrecht auf die Gewährung des vorliegenden Anspruchs 1, weil ihm die Prüfungsabteilung einen entsprechenden Anspruch mit einem Disclaimer ähnlichen Wortlauts zur Abgrenzung gegenüber Druckschrift (1a) zu Unrecht nicht gewährt habe. Daher sei die Rechtslage bezüglich Disclaimer aus dem Jahre 2000 vor der Entscheidung G 1/03 maßgebend und anzuwenden.

Die Rüge des Beschwerdeführers betrifft somit Vorgänge im durch die Zäsurwirkung des Patenterteilungsbeschlusses abgeschlossenen Erteilungsverfahren, welcher nie mit einer Beschwerde angefochten wurde und mangels Beschwer auch nicht angefochten werden konnte, da das Streitpatent nach Artikel 113 (2) EPÜ antragsgemäß, ohne Disclaimer, erteilt wurde. Indessen richtet sich die gegenständliche Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent zu widerrufen. Das Einspruchsverfahren ist jedoch ein selbstständiges, gesondertes Verfahren, das dem Erteilungsverfahren nachgeschaltet ist (siehe T 198/88, ABl. EPA 1991, 254). Die Befugnis der Kammer beschränkt sich daher darauf, im Rahmen des eröffneten Einspruchs(beschwerde)verfahrens die Entscheidung der Einspruchsabteilung, zu überprüfen. Die Kammer ist in diesem Fall somit weder ratione legis noch ratione materiae befugt, das Erteilungsverfahren zu überprüfen.

Im Gegensatz zum Vorbringen des Beschwerdeführers bestünde auch kein Vertrauensschutz auf die Beibehaltung eines unzulässigen Disclaimers in einem erteilten Anspruch (siehe T 500/00, Punkt 2.8 der Entscheidungsgründe, nicht veröffentlicht im ABl. EPA). Die in der Entscheidung G 1/03 festgelegten Prinzipien sind im vorliegenden Fall anzuwenden, so dass ein Patent mit einem entsprechenden Disclaimer, soweit dagegen eingesprochen, nicht aufrechterhalten werden kann.

Die sich auf das Erteilungsverfahren gründenden Einwände des Beschwerdeführers sind daher unbeachtlich und vermögen nicht durchzugreifen.

2.5 Darüber hinaus ist der Anspruch 7 unvollständig. Durch das Fehlen eines Teils des Anspruchs wird der Gegenstand, für den Schutz begehrt wird, insoweit unbestimmt. Mangels Vollständigkeit kann mit dieser vorgelegten Fassung das Patent nicht aufrechterhalten werden.

2.6 Aus diesen Gründen verstoßen die vorgenommenen Anspruchsänderungen zumindest gegen Artikel 123 (2) und Artikel 84 EPÜ und der verspätete Antrag ist somit eindeutig nicht gewährbar, so dass die Kammer ihr Ermessen pflichtgemäß dahingehend ausübt, den Hauptantrag nicht in das Verfahren zuzulassen.

Hilfsanträge 1 bis 4

3. Änderungen (Regel 57a EPÜ)

3.1 Gemäß Regel 57a EPÜ können die Ansprüche eines erteilten Patentes geändert werden, soweit die Änderungen durch Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ veranlasst sind, auch wenn der betreffende Grund vom Einsprechenden nicht geltend gemacht worden ist.

3.2 In allen vorliegenden Hilfsanträgen wurden neue abhängige Ansprüche 2 bis 6 bzw. 2 bis 5 aufgestellt. Keine dieser Ansprüche findet eine Entsprechung in der erteilten Fassung der Patentansprüche des Streitpatentes, sondern deren Merkmale wurden der Beschreibung entnommen.

3.3 Das Hinzufügen abhängiger Ansprüche lässt jedoch den Umfang des unabhängigen Anspruchs, worauf sich diese abhängigen Ansprüche beziehen, unverändert. Dadurch wird auch der Gegenstand des entsprechenden unabhängigen Anspruchs weder eingeschränkt noch geändert. Das Hinzufügen abhängiger Ansprüche ist deshalb keine Erwiderung auf einen Einwand gegen die Patentierbarkeit des beanspruchten Gegenstandes und kann keinen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ entkräften. Vielmehr werden dadurch Ansprüche auf spezifische Ausführungsformen der Erfindung hinzugefügt, die zwar vom Umfang des entsprechenden unabhängigen Anspruchs umfasst, jedoch nicht ausdrücklich beansprucht wurden. Das Einspruchsverfahren ist indessen keine Fortsetzung des Prüfungsverfahrens (siehe Punkt 2.4 supra) und nicht als Gelegenheit für den Patentinhaber gedacht, unnötige und unangemessene Verbesserungen an der erteilten Fassung des Patentes vorzunehmen (siehe T 0317/90, Punkt 3 der Entscheidungsgründe, nicht veröffentlicht im ABl. EPA).

3.4 Im vorliegenden Fall schränkt also das Hinzufügen neuer abhängigen Ansprüche in alle Hilfsanträge den Gegenstand des jeweiligen unabhängigen Anspruchs 1 nicht ein. Da diese Änderungen keinen Einspruchsgrund überwinden können, können sie auch nicht durch einen Einspruchsgrund veranlasst sein, wie es nach Regel 57a EPÜ erforderlich ist.

3.5 Die Kammer kommt aus den oben angeführten Gründen zu dem Schluss, dass alle Hilfsanträge 1 bis 4 des Beschwerdeführers nicht zulässig sind.

4. Nachdem kein vorliegender Antrag gewährbar ist, muss das Streitpatent widerrufen bleiben, denn es liegt keine Fassung vor, die als Grundlage für die Aufrechterhaltung des Patentes dienen könnte.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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