T 0154/90 (Kostenverteilung) of 19.12.1991

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1991:T015490.19911219
Datum der Entscheidung: 19 Dezember 1991
Aktenzeichen: T 0154/90
Anmeldenummer: 84308814.7
IPC-Klasse: B65B 69/00
Verfahrenssprache: EN
Verteilung:
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: De la Rue Systems
Name des Einsprechenden: GAO
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: 1. Wird eine Beschwerde betreffend den Widerruf eines Patents als unzulässig verworfen und ist kein anderer zulässiger Antrag vorhanden, so ist eine Beschwerde gegen die Kostenentscheidung unzulässig, wenn diese einziger Beschwerdegegenstand ist (Art. 106 (4) EPÜ).
2. Wurde in der angefochtenen Entscheidung jedoch die Zurücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung nicht berücksichtigt und lag ihr somit ein wesentlicher Verfahrensmangel zugrunde, so ist der Teil der angefochtenen Entscheidung, der sich auf die Kostenverteilung bezieht, aufzuheben.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 106(4)
European Patent Convention 1973 Art 108
European Patent Convention 1973 Art 116
European Patent Convention 1973 R 63
European Patent Convention 1973 R 65
Schlagwörter: Zulässigkeit der Beschwerde
Zurücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung - rechtzeitig
Kostenverteilung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0399/92
T 0432/92
T 0049/93
T 0737/94
T 0662/96
T 0875/98
T 0574/99
T 0075/00
T 0165/00
T 0210/00
T 0349/00
T 0254/03
T 1256/06
T 0357/07

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 146 391 wurde am 29. Juli 1987 auf die am 17. Dezember 1984 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 84 308 814.7 erteilt.

II. Am 22. April 1988 legte die Einsprechende gegen das europäische Patent Einspruch ein und beantragte dessen Widerruf wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit.

III. Mit Bescheid vom 31. März 1989 teilte die Einspruchsabteilung den Parteien mit, daß ihrer Auffassung nach auch ohne mündliche Verhandlung eine Entscheidung erzielt werden könne. Daraufhin nahm die Patentinhaberin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück. Die Einsprechende hingegen erhielt mit Schreiben vom 6. Juli 1989 ihren Antrag auf mündliche Verhandlung aufrecht. Mit Schreiben vom 20. September 1989 beantragte die Patentinhaberin eine Erstattung "der nach dem 11. Mai 1989 angefallenen Anwaltskosten", falls die Einspruchsabteilung letztlich zugunsten der Patentinhaberin entscheide.

IV. Die mündliche Verhandlung fand am 15. Dezember 1989 statt. Die Einsprechende nahm daran nicht teil. Die Patentinhaberin legte einen neuen Anspruchssatz zur Ausräumung eines von der Einsprechenden mit Schreiben vom 6. Juli 1989 erhobenen Einwands vor und beantragte die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage dieses neuen Anspruchssatzes.

V. Mit ihrer Zwischenentscheidung, die am Ende der mündlichen Verhandlung getroffen wurde und den Beteiligten am 9. Januar 1990 zuging, erhielt die Einspruchsabteilung das Patent in geändertem Umfang aufrecht und entschied, daß die der Patentinhaberin im Zusammenhang mit der mündlichen Verhandlung entstandenen Kosten von der Einsprechenden zu tragen seien, da erstens diese nicht an der auf ihren Antrag hin abgehaltenen mündlichen Verhandlung teilgenommen habe und zweitens ihres Erachtens zur Entscheidungsfindung keine mündliche Verhandlung erforderlich gewesen wäre.

VI. Am 19. Februar 1990 legte die Einsprechende (Beschwerdeführerin) unter Entrichtung der Beschwerdegebühr Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung wurde am 15. Mai 1990 nachgereicht. Die Einsprechende beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, den Widerruf des Patents aus den im Einspruchsverfahren dargelegten Gründen sowie die Aufhebung der Kostenentscheidung mit der Begründung, daß sie das EPA rechtzeitig, d. h. mit Schreiben vom 6. Dezember 1989, das am gleichen Tag beim EPA eingegangen sei, über die Zurücknahme ihres Antrags auf mündliche Verhandlung unterrichtet, das EPA dies aber nicht berücksichtigt habe.

VII. In ihrem Bescheid nach Artikel 110 (2) EPÜ vom 25. September 1990 wies die Kammer vorab darauf hin, daß entsprechend früheren Entscheidungen der Beschwerdekammern die Bezugnahme der Einsprechenden auf die im Einspruchsverfahren vorgebrachten Gründe nicht ausreiche, um den Antrag auf Widerruf des Patents zulässig zu machen, ihr Antrag bezüglich der Kostenentscheidung aber als zulässig betrachtet werden könne, da er sich aus einem Hauptantrag zu ergeben scheine, der die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels betreffe.

VIII. Daraufhin beantragte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) mit Schreiben vom 1. Oktober 1990, daß ihr im Falle einer Aufhebung der Kostenentscheidung das EPA die Kosten erstatte, die ihr dadurch entstanden seien, daß dieses das Schreiben der Einsprechenden nicht an sie weitergeleitet habe.

IX. Mit Schreiben vom 4. Dezember 1990 beantragte die Einsprechende eine Entscheidung im Sinne des Bescheids der Kammer vom 25. September 1990.

X. In einem zweiten Bescheid vom 18. Juni 1991 wies die Kammer darauf hin, daß sie weder im EPÜ noch in einer anderen Rechtsvorschrift eine Bestimmung finden könne, die sie dazu ermächtige, über Schadenersatzforderungen an das EPA für angeblich bei der Durchführung eines Patenterteilungsverfahrens eingetretene Schäden zu befinden. Da außerdem in der mündlichen Verhandlung ein neuer Anspruchssatz vorgelegt worden sei, könne die Kammer auch der Erklärung der Einspruchsabteilung, die mündliche Verhandlung sei zur Entscheidungsfindung nicht erforderlich gewesen, nicht uneingeschränkt zustimmen.

XI. In ihrem letzten Schreiben vom 3. Juli 1991 erklärte die Patentinhaberin, ihrer Auffassung nach liege seitens des EPA kein wesentlicher Verfahrensmangel vor, und machte geltend, daß die Beschwerde als unzulässig angesehen werden sollte, da keine Beschwerdebegründung im eigentlichen Sinne vorgelegt worden sei. Sie bestritt nach wie vor die Notwendigkeit der mündlichen Verhandlung und führte an, daß die Entscheidung T 10/82 vom 15. März 1983 (ABl. EPA 1983, 407), in der eine Beschwerdekammer befunden habe, daß ein Zeitraum von acht Arbeitstagen zwischen dem Eingang eines Schreibens und dem Termin einer mündlichen Verhandlung inakzeptabel und unangemessen kurz sei, als Präzedenzfall voll und ganz auf den vorliegenden Fall zutreffe, da auch hier genau acht Arbeitstage zwischen dem Eingangsdatum und dem Termin der mündlichen Verhandlung gelegen hätten. Darüber hinaus verwies sie die Kammer auf den Teil D-IX, 1.4 der Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt, in dem verschiedene Beispiele für Fälle aufgeführt seien, in denen eine Kostenverteilung angemessen sei; sie sprach vor allem den in einem der Beispiele beschriebenen Fall an, in dem "ein Beteiligter einen Antrag auf Vertagung einer angesetzten mündlichen Verhandlung ohne stichhaltige Begründung erst so spät (stellt), daß die übrigen geladenen Beteiligten von der Vertagung nicht mehr rechtzeitig benachrichtigt werden können". Schließlich beantragte sie, daß die Beschwerdekammer die Beschwerde für unzulässig erklären oder - hilfsweise - mit der Begründung zurückweisen solle, daß kein wesentlicher Verfahrensmangel seitens des EPA vorliege, daß die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufrechterhalten und daß der Patentinhaberin ihre Kosten erstattet werden sollten. Auf den früheren Antrag auf Erstattung der Kosten durch das EPA ging sie nicht weiter ein.

XII. In ihrer Erwiderung vom 29. August 1991 behauptete die Einsprechende hinsichtlich der Zulässigkeit der Beschwerde, daß ihr Antrag auf Widerruf des Patents ausreichend begründet sei, da es deutscher Rechtspraxis entspreche, zur Vermeidung von Wiederholungen auf Argumente zu verweisen, die im vorangegangenen Verfahren bereits vorgebracht worden seien. Sie wies darauf hin, daß sie ihren Antrag auf mündliche Verhandlung rechtzeitig zurückgenommen habe, und bestritt, daß die Entscheidung T 10/82 als Präzedenzfall für den vorliegenden Fall gelten könne, da sich in jener Entscheidung der Zeitraum von acht Tagen auf die Einreichung eines Schreibens bezog, in dem der Kammer neue Tatsachen zur Prüfung vorgelegt worden seien, und nicht auf die bloße Zurücknahme eines Antrags auf mündliche Verhandlung.

Entscheidungsgründe

1. Nach Auffassung der Kammer verfolgt die Beschwerdeführerin mit ihrer auf die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung gerichteten Beschwerde zwei verschiedene Ziele: zum einen den Widerruf des Patents und zum anderen die Aufhebung der Kostenentscheidung. Zu diesem Zweck hat sie zwei entsprechende Anträge vorgelegt. Prima facie scheinen diese Anträge zwei verschiedene Gegenstände zu beinhalten: Der erste betrifft die Aufhebung desjenigen Teils der angefochtenen Entscheidung, der sich auf die Aufrechterhaltung des Patents bezieht (s. Nr. 1.2), der zweite die Aufhebung desjenigen Teils, der sich auf die Kostenverteilung bezieht (s. Nr. 1.3). Nach Auffassung der Kammer handelt es sich bei einem Beschwerdegegenstand um einen Antrag, der nur dann erfolgreich sein kann, wenn die angefochtene Entscheidung vollständig oder teilweise aufgehoben wird. Daß eine Beschwerde zwei oder mehr Gegenstände haben kann, geht aus Artikel 106 (4) EPÜ klar hervor (s. Nr. 1.3).

1.1 Auch wenn die Beschwerde eindeutig den Artikeln 106 (1) bis (3) und (5) sowie 107 EPÜ, der Regel 64 EPÜ wie auch dem Artikel 108 Satz 1 und 2 EPÜ entspricht, möchte die Kammer prüfen, ob die zur Substantiierung des den Widerruf des Patents betreffenden Beschwerdegegenstands vorgebrachten Gründe inhaltlich die in Artikel 108 Satz 3 EPÜ genannte Anforderung an eine schriftliche Begründung erfüllten (s. Nr. 1.2) und ob Artikel 106 (4) der Zulässigkeit des sich auf die Kostenverteilung beziehenden Beschwerdegegenstands entgegensteht (s. Nr. 1.3).

1.2 Die von der Einsprechenden vorgebrachten Gründe für einen Widerruf des Patents reichen nach Auffassung der Kammer in Anbetracht früherer Entscheidungen der Beschwerdekammern (T 220/83, ABl. EPA 1986, 249; T 213/83, ABl. EPA 1987, 482; T 432/88, unveröffentlicht) nicht aus, um die Zulässigkeit dieses ersten Beschwerdegegenstands zu begründen.

1.2.1 Auf die von der Einsprechenden im Einspruchsverfahren vorgebrachten Einspruchsgründe ist die Einspruchsabteilung nämlich in einem umfassenden Bescheid und in ihrer Entscheidung eingegangen. In der schriftlichen Begründung zu diesem ersten Beschwerdegegenstand wird lediglich allgemein auf das Vorbringen der Einsprechenden im vorangegangenen Einspruchsverfahren verwiesen, ohne daß dargelegt wird, aus welchen rechtlichen oder faktischen Gründen die Entscheidung aufgehoben werden soll.

1.2.2 Somit überläßt es die Einsprechende völlig der Kammer und der Patentinhaberin, Vermutungen darüber anzustellen, warum sie die Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang für fehlerhaft hält. Gerade dies soll aber nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA durch die Forderung nach Einreichung einer Beschwerdebegründung verhindert werden.

Die Berufung der Einsprechenden auf die deutsche Rechtspraxis hilft nicht weiter, da diese der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA zuwiderläuft.

1.2.3 Daraus folgt im vorliegenden Fall, daß die in der schriftlichen Begründung enthaltene bloße Bezugnahme auf das Vorbringen der Einsprechenden in dem Einspruchsverfahren über den Widerruf des angefochtenen Patents nicht den Anforderungen an eine schriftlichen Beschwerdebegründung nach Artikel 108 EPÜ letzter Satz entspricht. Daher ist derjenige Teil der Beschwerde, mit dem der Widerruf des Patents beantragt wird und der den ersten Gegenstand dieser Beschwerde darstellt, gemäß Regel 65 (1) EPÜ als unzulässig zu verwerfen.

1.2.4 Die Unzulässigkeit dieses ersten Beschwerdegegenstands bedeutet aber nicht automatisch, daß damit die gesamte Beschwerde unzulässig wird, wenn - wie im vorliegenden Fall - andere Beschwerdegegenstände fristgerecht eingereicht worden sind (s. Nr. 1 letzter Satz).

1.3 Zu dem - prima facie - zweiten Beschwerdegegenstand, dem Antrag auf Aufhebung der Kostenentscheidung, ist daher zunächst festzustellen, daß die Einsprechende hinreichend begründet hat, warum dieser Teil der angefochtenen Entscheidung aufgehoben werden sollte, so daß dieser Beschwerdegegenstand dem Erfordernis des Artikels 108 EPÜ letzter Satz entspricht. Nach Artikel 106 (4) EPÜ kann aber die Verteilung der Kosten des Einspruchsverfahrens nicht einziger Gegenstand einer Beschwerde sein. Prima facie scheint daher der zweite Beschwerdegegenstand zum Scheitern verurteilt zu sein.

1.3.1 Im vorliegenden Fall besteht der den Widerruf betreffende Beschwerdegegenstand nicht mehr, da er unzulässig ist (s. Nr. 1.2).

1.3.2 Aus der von der Einsprechenden mit Schreiben vom 15. Mai 1990 eingereichten schriftlichen Begründung geht aber eindeutig hervor, daß der Antrag bezüglich der Kostenverteilung die Folge eines anderen Antrags ist; dieser betraf die Aufhebung desjenigen Teils der angefochtenen Entscheidung, der die Zurücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung nicht berücksichtigt und der daher auf einem wesentlichen Verfahrensmangel beruht. Entsprechend der obigen Definition (s. Nr. 1) ist dieser letztere Antrag nach Auffassung der Kammer der zweite Gegenstand der vorliegenden Beschwerde, der sich vom dritten Gegenstand unterscheidet, welcher sich nach Artikel 106 (4) EPÜ auf die Kostenverteilung als solche bezieht.

1.3.3 Die Kammer ist der Auffassung, daß sich diese beiden Beschwerdegegenstände, d. h. der zweite und der dritte, auf dieselben Gründe stützen, d. h. auf den von der Einsprechenden geltend gemachten wesentlichen Verfahrensmangel. Somit wird festgestellt, daß beide dem Artikel 108 letzter Satz entsprechen und damit der gegen die Kostenentscheidung gerichtete Teil der Beschwerde nicht der einzige verbleibende Beschwerdegegenstand ist. Diese beiden Gegenstände sind daher zulässig.

2. Zum zweiten Beschwerdegegenstand (s. Nr. 1.3.2 letzter Satz) wurde in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, daß die der Patentinhaberin im Zusammenhang mit der Verhandlung entstandenen Kosten von der Einsprechenden zu tragen seien, da diese an der auf ihren Antrag hin abgehaltenen mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen habe.

2.1 In der Einspruchsakte befindet sich aber ein Schreiben vom 6. Dezember 1989, in dem die Einsprechende ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurückgenommen hat. Im Beschwerdeverfahren legte die Einsprechende eine Kopie dieses Schreibens vor, dessen EPA-Perforationsstempel beweist, daß das Eingangsdatum beim EPA ebenfalls der 6. Dezember 1989 war.

2.2 Aufgrund ungeklärter Umstände innerhalb des EPA erhielt die Einspruchsabteilung das Schreiben erst nach der mündlichen Verhandlung. Folglich wurde auch die Zurücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung durch die Einsprechende in der am Ende dieser mündlichen Verhandlung getroffenen Entscheidung nicht berücksichtigt und eine Verteilung der Kosten angeordnet. Aufgrund der nicht erfolgten Unterrichtung der Einspruchsabteilung beruht die Kostenentscheidung auf einer falschen Voraussetzung und ist daher das Ergebnis eines wesentlichen Verfahrensmangels.

3. Hinsichtlich des dritten Beschwerdegegenstands (s. Nr. 1.3.2 letzter Satz) geht aus der Akte eindeutig hervor, daß zwischen dem Eingangsdatum des Schreibens beim EPA und dem Termin der mündlichen Verhandlung (die beide in diesen Zeitraum nicht eingerechnet sind) ein Zeitraum von sechs Arbeitstagen (oder insgesamt 8 Tagen) lag.

3.1 Damit stellt sich für die Entscheidung darüber, ob die Kosten von der Einsprechenden zu tragen sind, die folgende Frage: Reicht dem EPA ein Zeitraum von sechs Arbeitstagen aus, um eine anberaumte mündliche Verhandlung abzusagen? Ob die mündliche Verhandlung erforderlich war oder nicht, ist dabei unerheblich. Bis zur Zurücknahme hatte ja nur die Einsprechende eine mündliche Verhandlung beantragt. Hätte sie ihren Antrag rechtzeitig zurückgenommen, dann hätte kein Grund mehr für eine mündliche Verhandlung bestanden, da die Patentinhaberin und die Einspruchsabteilung eindeutig keine gewünscht hatten.

3.2 In dem der Entscheidung T 10/82 zugrunde liegenden Fall hatten die Beschwerdegegner acht Arbeitstage vor der mündlichen Verhandlung neue Tatsachen vorgelegt, und die Einspruchsabteilung hatte wie folgt entschieden: "Die mündliche Verhandlung ... wäre unnötig gewesen, wenn die Beschwerdegegner die ... obenerwähnten Tatsachen dem EPA gegenüber zu einem früheren Zeitpunkt bekanntgegeben hätten." Dies bedeutet, daß ein Zeitraum von acht Arbeitstagen nicht als ausreichend angesehen wurde, um der Einspruchsabteilung die Möglichkeit zu geben, die vorgelegten neuen Tatsachen zu prüfen und dann die mündliche Verhandlung abzusagen.

Im vorliegenden Fall wäre die einzige Handlung, die die Einspruchsabteilung innerhalb von sechs Arbeitstagen ab dem Eingang der Zurücknahme des Antrags hätte vornehmen müssen, die Absage der mündlichen Verhandlung gewesen. Eine Prüfung neuer Tatsachen oder Ausführungen war nicht erforderlich. Daher gelangt die Kammer zu der Schlußfolgerung, daß die Entscheidung T 10/82 nicht als Präzedenzfall für den vorliegenden Fall gelten kann.

3.3 Im vorliegenden Fall wurde die mündliche Verhandlung nicht abgesagt, weil das am 6. Dezember 1989 beim EPA eingegangene Schreiben nicht rechtzeitig an die Einspruchsabteilung weitergeleitet wurde. Dieser Fehler ist dem EPA anzulasten, das so organisiert sein sollte, daß eingehende Postsachen, die im Zusammenhang mit Verhandlungen stehen, direkt an die zuständige Abteilung weitergeleitet werden; diese hätte dann mit Hilfe der vorhandenen technischen Kommunikationseinrichtungen wie Telefon, Telegramm, Telex oder Telefax unverzüglich alle Verfahrensbeteiligten nicht nur über die Zurücknahme des Antrags der Einsprechenden, sondern auch über die Absage der (unnötigen) mündlichen Verhandlung benachrichtigen müssen. Hätte also das EPA in diesem Falle alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet, dann wäre ein Zeitraum von sechs Arbeitstagen (eigentlich von insgesamt acht Tagen) ausreichend gewesen, um die mündliche Verhandlung abzusagen und die Patentinhaberin rechtzeitig entsprechend zu benachrichtigen.

3.4 Die von der Patentinhaberin angesprochenen Richtlinien für die Prüfung im EPA sind in ihrem Fall nicht hilfreich. Das im letzten Absatz des Teils D-IX, 1.4 der Richtlinien genannte Beispiel betrifft einen Fall, in dem die übrigen geladenen Beteiligten von der Vertagung nicht mehr rechtzeitig benachrichtigt werden können. Nach Auffassung der Kammer besteht kein Zusammenhang zwischen dem genannten und dem vorliegenden Fall, da hier billigerweise nicht argumentiert werden kann, daß ein Zeitraum von acht Tagen einschließlich sechs Arbeitstagen zu kurz ist, um die übrigen Beteiligten zu benachrichtigen - z. B. durch einfaches Absenden eines Telefax mit der Mitteilung, daß die mündliche Verhandlung abgesagt wird. Wie bereits dargelegt, ist es Sache des EPA, sich so zu organisieren, daß eingehende Post unverzüglich oder zumindest innerhalb einiger Tage weitergeleitet wird.

3.5 Darüber hinaus hat nach Artikel 116 EPÜ jeder Verfahrensbeteiligte ein Recht auf mündliche Anhörung. Dieses Recht besteht auch dann, wenn alle übrigen Beteiligten und die Einspruchsabteilung eine mündliche Verhandlung für überflüssig halten. Ändert der Beteiligte, der die mündliche Verhandlung beantragt hat, zu einem späteren Zeitpunkt - nachdem die übrigen Beteiligten bereits geladen worden sind - aus irgendeinem Grund seine Meinung und unterrichtet die Einspruchsabteilung entsprechend, so folgt daraus nicht automatisch, daß dieser Beteiligte erwiesenermaßen unverantwortlich oder böswillig handelt; die Kammer ist deshalb der Auffassung, daß kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem solchen Verhalten und der Kostenverteilung besteht.

4. Da nach Auffassung der Kammer die Einsprechende das EPA rechtzeitig über die Zurücknahme ihres Antrags auf mündliche Verhandlung unterrichtet hat, entscheidet die Kammer, daß die Kostenentscheidung in der angefochtenen Entscheidung die Folge eines wesentlichen Verfahrensmangels war (s. Nr. 2.2) und daher aufzuheben ist.

5. Bezüglich Artikel 104 EPÜ ist die Kammer in Anbetracht der obigen Ausführungen der Auffassung, daß es nicht der Billigkeit entspricht, die der Patentinhaberin im Zusammenhang mit der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung entstandenen Kosten der Einsprechenden aufzuerlegen. Daher hat jeder Beteiligte im Einspruchsverfahren die ihm erwachsenen Kosten selbst zu tragen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Der Beschwerdegegenstand, der sich auf den Widerruf des Patents bezieht, wird als unzulässig verworfen.

2. Die beiden Beschwerdegegenstände, die zum einen den Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Zwischenentscheidung mit der Begründung, daß das EPA die Zurücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung nicht berücksichtigt hat, und zum anderen die Kostenentscheidung betreffen, sind zulässig.

3. Der Teil der angefochtenen Zwischenentscheidung, der sich auf die Kostenverteilung bezieht, wird aufgehoben.

4. Das Patent wird auf der Grundlage der der angefochtenen Zwischenentscheidung beigefügten Unterlagen aufrechterhalten.

5. Die der Patentinhaberin im Zusammenhang mit der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung entstandenen Kosten werden der Einsprechenden nicht auferlegt.

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