T 0052/90 () of 8.1.1992

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1992:T005290.19920108
Datum der Entscheidung: 08 Januar 1992
Aktenzeichen: T 0052/90
Anmeldenummer: 83810586.4
IPC-Klasse: C09B 67/26
Verfahrenssprache: DE
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung lagerstabiler wäßriger Farbstofflösungen von wasserlöslichen Reaktivfarb- stoffen
Name des Anmelders: CIBA-GEIGY AG
Name des Einsprechenden: 1) Bayer AG
2) BASF AG
3) Hoechst AG
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 R 67
European Patent Convention 1973 R 68(2)
Schlagwörter: Inventive step (yes)
Deficient substantation - substantial procedural
violation - Reimbursement of appeal fee
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Begründungsmangel - wesentlicher Verfahrensmangel-
Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0020/81
T 0048/82
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1091/92
T 0659/93
T 0933/10
T 1151/12

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung 83 810 586.4 wurde das europäische Patent 0 114 031 mit zehn Ansprüchen erteilt. Der Hinweis auf die Patenterteilung wurde am 8. Oktober 1986 im Patentblatt 86/41 bekannt gemacht.

Anspruch 1 lautete:

"Verfahren zur Herstellung lagerstabiler wäßriger Farbstofflösungen von wasserlöslichen Reaktivfarbstoffen, ausgehend von einer wäßrigen Lösung oder Suspension des rohen Reaktivfarbstoffs, welche mittels Membrantrennverfahren aufkonzentriert und zumindest teilweise entsalzt wird, dadurch gekennzeichnet, daß man einen Teil des Wassers, welches der Farbstofflösung bzw. - suspension während des Membrantrennverfahrens entzogen wird, laufend durch entmineralisiertes Wasser ersetzt, wodurch der Gehalt an Calcium- und Magnesiumionen in der Farbstofflösung nicht über einen Wert von 0,01 Gew.-% steigt, die aufkonzentrierte und entsalzte Farbstofflösung durch Zusatz eines Polyphosphat- oder Dihydrogenphosphat/Polyphosphat-Puffers stabilisiert und gegebenenfalls eine, die Wasserlöslichkeit des Farbstoffs verbessernde Komponente zugibt."

Die unabhängigen Ansprüche 9 und 10 betrafen wäßrige Farbstofflösungen erhalten nach dem Verfahren gemäß Anspruch 1 bzw. die Verwendung der wäßrigen Farbstofflösungen nach Anspruch 9 zum Färben und Bedrucken von natürlichem und regeneriertem cellulosischem Fasermaterial.

II. Gegen die Patenterteilung legten die Firmen Bayer AG, BASF AG und Hoechst AG frist- und formgerecht Einspruch ein und beantragten den Widerruf des Patents wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit. Die Einsprüche waren auf insgesamt 17 Druckschriften gestützt, von denen für die hier zu treffende Entscheidung nur

(1) EP-A-59 782

(7) EP-A-37 117

(8) EP-A-37 382

(9) JP-A-55/135 170

(10) GB-A-2 165 556, und

(13) Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, Band 18 (1979), Seiten 322 ff.

eine Rolle spielen.

III. Mit der am 20. September 1989 verkündeten und am 1. Dezember 1989 schriftlich begründeten Entscheidung wurde das Patent widerrufen. Die Widerrufsentscheidung führt aus, daß dem Patentgegenstand die erfinderische Tätigkeit fehle, weil die technische Aufgabe, wie sie in der Patentschrift angegeben ist, nicht über den gesamten Bereich der Ansprüche 1, 9 und 10 gelöst sei, wie die Versuche der Einsprechenden Bayer AG vom 11. September 1989 zeigten.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin unter gleichzeitiger Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr am 15. Januar 1990 Beschwerde erhoben.

Mit der Beschwerdebegründung, eingegangen am 12. März 1990, wurde das Patent nur noch im Umfang der Verfahrensansprüche verteidigt. Bezüglich der erfinderischen Tätigkeit wurde geltend gemacht, daß die Versuche, die zum Widerruf des Patents geführt haben, ebenso wie die von der gleichen Einsprechenden im Beschwerdeverfahren zusätzlich vorgelegten Versuche vom 19. Juli 1990, irrelevant seien. Das beanspruchte Verfahren sei erfinderisch, weil es zu unerwarteten Verbesserungen bezüglich der Stabilität der Reaktivfarbstofflösungen bei niedrigen Temperaturen, insbesondere bei etwa 0°C, führe, wie in den Vergleichsversuchen vom 16. Dezember 1987 und vom 24. April 1991 gezeigt worden sei.

V. Am 1. August 1990 hat die Einsprechende Hoechst AG mitgeteilt: "Wir ziehen hiermit unsere Teilnahme am Beschwerdeverfahren zurück. Nachdem die Patentinhaberin die Ansprüche 9 und 10 gestrichen hat, bestehen unsererseits keine Einwände mehr gegen die Verfahrensansprüche 1 bis 8."

Die Beschwerdegegnerin BASF AG hat im wesentlichen vorgetragen, daß das Verfahren nach Anspruch 1 den Mangel aufweise, daß er nicht in seiner gesamten Breite geeeignet sei, die vom Patentinhaber gestellte Aufgabe zu lösen.

Die Beschwerdegegnerin Bayer AG hat die Relevanz ihrer Versuche verteidigt und zudem geltend gemacht, daß das Verfahren des Streitpatents, selbst bei tatsächlicher Lösung der angegebenen Aufgabe, nicht erfinderisch sei; denn die Vermeidung von hartem Wasser bei dem gattungsgemäßen Verfahren sei für den Fachmann selbstverständlich und die Verwendung von Natriumtripolyphosphat (NaTPP) habe wegen dessen im Vergleich zum Na2HPO4/NaH2PO4-Gemisch verbesserten Löslichkeit und geringeren Rekristallisationsneigung nahegelegen. Hierzu wurde auf die Druckschrift (13) einerseits sowie auf die Druckschriften (7) bis (10) verwiesen, welche die stabilisierende Wirkung von Polyphosphaten bzw. Polyphosphat/Phosphat-Mischungen gegenüber Reaktivfarbstoffen offenbarten.

Letztlich haben auch diese beiden Beschwerdegegnerinnen durch Schreiben vom 8. November 1991 bzw. vom 30. September 1991 ihren Einspruch zurückgenommen.

VI. Zu der mündlichen Verhandlung am 8. Januar 1992 ist die Beschwerdeführerin - wie angekündigt - nicht erschienen. Der schriftliche Antrag der Beschwerdeführerin auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Aufrechterhaltung des Patents aufgrund der Patentansprüche 1 bis 8, sowie der Beschreibung Seiten 1, 2 und 4 bis 8, jeweils in der erteilten Fassung und Seite 3 der Beschreibung, eingegangen am 12. März 1990, blieb bestehen.

Nach Beratung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet, das Patent, wie beantragt aufrechtzuerhalten und die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde erfüllt die Erfordernisse der Artikel 106 bis 108 sowie der Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.

2. Ein der angefochtenen Entscheidung anhaftender Begründungsmangel ist nicht gerügt worden. Gleichwohl ist dieser Punkt durch die Beschwerdekammer von Amts wegen zu prüfen. Diese Überprüfung ergab, daß ein solcher Mangel vorliegt, so daß die angefochtene Entscheidung allein aus diesem Grund keinen Bestand haben kann. Dort wird ausgeführt, daß die Aufgabe - wie in der Patentschrift angegeben - darin bestand, lagerstabile wäßrige Farbstofflösungen von Reaktivfarbstoffen herzustellen, die auch mehrmonatige Lagerung bei -10° bis +40°C ohne Bildung unlöslicher Ausfällungen und Ablagerungen überstehen, ohne dabei durch Hydrolyse inaktiviert zu werden. Die Entscheidung enthält umfangreiche Ausführungen darüber, daß diese Aufgabe nicht über die gesamte Breite der Ansprüche 1, 9 und 10 gelöst ist. Aus diesem Sachverhalt wird ohne jede weitere Erläuterung gefolgert: "Wegen nicht gelöster Aufgabe erfüllt somit der Gegenstand nach Anspruch 1 a priori nicht die Anforderungen gemäß Art. 56 EPÜ. Dasselbe gilt für die Ansprüche 9 und 10."

Es trifft zwar zu, daß technische Aufgaben, die nicht oder nicht über den gesamten Anspruchsbereich gelöst sind, bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit außer Betracht bleiben müssen (vgl. T 20/81, ABl. EPA 1982, 217 und T 48/82 vom 19.9.1983, Punkt 7). Das rechtfertigt aber nicht den Schluß, daß bei diesem Sachverhalt generell erfinderische Tätigkeit fehlt; denn die Ermittlung der einem Patent zugrundeliegenden und tatsächlich gelösten technischen Aufgabe ist Ausgangspunkt für die erst noch anzustellende Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.

Nach Regel 68 (2) Satz 1 EPÜ sind Entscheidungen, die - wie hier - mit der Beschwerde anfechtbar sind, zu begründen. Dazu bedarf es der Darlegung der maßgeblichen Überlegungen hinsichtlich aller entscheidungserheblichen Punkte tatsächlicher und rechtlicher Art in logischer Gedankenfolge. Die oben zitierte, nicht nachprüfbare Feststellung genügt diesen Anforderungen nicht, weil die Entscheidung jegliche Erwägungen zu den vorgebrachten Tatsachen sowie deren rechtlichen Würdigung bezüglich erfinderischer Tätigkeit im Lichte einer anderen technischen Aufgabe vermissen läßt. Hierzu hätte es der Neuformulierung einer weniger anspruchsvollen, aber glaubhaft gelösten technischen Aufgabe sowie - auf dieser Grundlage - eingehender Darlegungen zu den in Zusammenhang mit der erfinderischen Tätigkeit vorgebrachten Tatsachen (Stand der Technik) und deren rechtliche Beurteilung bedurft. Das Fehlen jeglicher diesbezüglicher Ausführungen stellt einen Begründungsmangel im Sinne der oben genannten Vorschrift dar.

Im Hinblick auf das Alter der Anmeldung und den Umstand, daß alle Einsprechenden ihren Einspruch zurückgezogen haben, sieht die Kammer davon ab, die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen, sondern macht von der ihr in Artikel 111 (1) EPÜ eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, in der Sache selbst zu entscheiden.

3. Gegen die Fassung der Ansprüche 1 bis 8 der erteilten Fassung bestehen keine Bedenken im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ. Sie entsprechen nämlich den Ansprüchen der ursprünglich eingereichten Patentanmeldung.

4. Die Kammer hat sich davon überzeugt, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber den angezogenen Druckschriften neu ist. Da dieser Sachverhalt nicht streitig ist erübrigen sich nähere Ausführungen hierzu.

5. Es verbleibt daher zu entscheiden, ob das beanspruchte Verfahren auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

5.1. Nach Auffassung der Kammer stellt Druckschrift (1) den nächsten Stand der Technik dar.

Druckschrift (1) beschreibt ein Verfahren zur Herstellung lagerstabiler, konzentrierter wäßriger Farbstoffpräparate von anionischen Farbstoffen, wie Reaktivfarbstoffen, wobei man eine wäßrige Lösung bzw. Suspension mindestens eines anionischen Rohfarbstoffes zur Abtrennung von Salzen und Synthesenebenprodukten mit Molekulargewichten unter 500 und teilweisen Abtrennung von Wasser über eine halbdurchlässige, ionische Gruppen enthaltende Membran mit einem Durchmesser der Poren von 1 bis 500 A führt und gegebenenfalls mit Zusatzmittels vor und/oder nach dem Durchgang durch die halbdurchlässige Membran versetzt (vgl. Ansprüche 1 und 15; Seiten 3 und 4, jeweils letzter Absatz). Die flüssigen Präparate können als Zusätze u. a. Puffersubstanzen für die Reaktivfarbstoffe und Lösungsvermittler, wie Caprolactam, enthalten (vgl. Seite 8, zweiter Absatz).

Nach Angaben der Beschwerdeführerin sind diese mittels des Membranprozesses entsalzten und mit einem Hydrogenphosphat/Dihydrogenphosphat-Puffer versetzten Farbstoffpräparate, insbesondere bei Temperaturen um 0°C physikalisch und/oder chemisch nicht ausreichend stabil, da der häufig verwendete Hydrogenphospat/Dihydrogenphosphat-Puffer bei Temperaturen um 0°C zur Kristallisation neigt. Solche Ausfällungen gehen beim Erwärmen im allgemeinen nicht wieder in Lösung (vgl. die Streitpatentschrift S. 2, den beide Spalten verbindenden Brückenabsatz.) Dagegen hat die ehemalige Einsprechende Hoechst AG durch Hinweis auf die Beispiele 1 und 9 in Druckschrift (1) und ihren Versuchsbericht vom 19. August 1989 eingewendet, daß es diese Nachteile nicht gäbe und somit die von der Beschwerdeführerin behauptete Aufgabe nicht bestanden habe. Zwar wird in den betreffenden Beispielen tatsächlich ausgesagt, daß die erhältlichen Farbstofflösungen während mehrerer Monate bei -10°C bis +40°C chemisch und physikalisch unverändert gelagert werden können, dies schließt jedoch nach Auffassung der Kammer nicht aus, daß eine spätere Überprüfung ergibt, daß die beschriebene Stabilität, insbesondere bei 0°C, tatsächlich nicht eintritt. Der betreffende Versuchsbericht erweckt den Eindruck, eine Wiederholung von Beispiel 9 unter Verwendung des Farbstoffs gemäß Tabellenbeispiel 9 (d) nach Druckschrift (1) zu sein. Beispiel 9 nimmt jedoch Bezug auf die Verfahrensweise von Beispiel 1, das - anders als der Versuchsbericht - weder die Mitverwendung von Borax noch die Verwendung gerade gleicher Mengen HPO4/H2PO4 beschreibt. Übrigens beschreiben alle Beispiele, die Dinatriumhydrogenphosphat und Kaliumdihydrogenphosphat enthaltende Farbstofflösungen betreffen, Hydrogen-/Dihydrogenphosphat-Gewichts- verhältnisse von wenigstens 2 : 1 (vgl. Beispiele 1, 2 (b) (c), 3 bis 6, 8 (c) (d), 10 bis 12 und 14 (b) (c)). Unter diesen Umständen und der Tatsache, daß die Beschwerdeführerin durch ihren Versuchsbericht vom 16. Dezember 1987 bei exakter Nacharbeitung von Beispiel 1 von (1) gezeigt hat, daß bei Lagerung dieser Lösungen Na2HP04 ausfällt, sieht die Kammer den Versuchsbericht der Firma Hoechst AG nicht als Beweis dafür an, daß Entgegenhaltung (1) bereits die in Spalte 2, Zeilen 1 bis 12 der Streitpatentschrift dargestellte Aufgabe löst.

5.2. Nach Überzeugung der Kammer lag dem Streitpatent gegenüber dem nächsten Stand der Technik die Aufgabe zugrunde, lagerstabile, wäßrige Farbstofflösungen von Reaktivfarbstoffen herzustellen, bei denen es auch bei mehrmonatiger Lagerung im Temperaturbereich von -10°C bis +40°C, insbesondere bei etwa 0°C, nicht zur Bildung unlöslicher Ausfällungen kommt und gleichzeitig die Anforderung hinsichtlich der chemischen Stabilität erfüllt sind.

Zur Lösung dieser Aufgabe wird ein Membrantrenn-Verfahren nach Anspruch 1 zur Aufkonzentrierung und Entsalzung wässriger Farbstofflösungen von wasserlöslichen Reaktivfarbstoffen vorgeschlagen, das dadurch gekennzeichnet ist, daß man (a) einen Teil des Wassers, welches der Farbstofflösung bzw. Suspension entzogen wird, laufend durch entmineralisiertes Wasser ersetzt, wodurch der Gehalt an Calcium- und Magnesiumionen in der Farbstofflösung nicht über einen Wert von 0,01 Gew.-% steigt, (b) die aufkonzentrierte und entsalzte Farbstofflösung durch Zusatz eines Polyphosphat- oder Dihydrogenphosphat/ Polyphosphat-Puffers stabilisiert und gegebenenfalls eine die Wasserlöslichkeit des Farbstoffs verbessernde Komponente zugibt.

Hierbei legt die Kammer das Wort "wodurch" funktionell aus, d. h., daß die Ergänzung des entzogenen Wassers so erfolgen muß, daß die angegebene Höchstgrenze an Ca und Mg nicht überschritten wird (vgl. alle Beispiele des Patents).

Aufgrund der Angaben in den Beispielen des Streitpatents und in den Versuchsberichten der Beschwerdeführerin vom 16. Dezember 1987 und vom 22. April 1991 ist es glaubhaft, daß diese Aufgabe auch tatsächlich gelöst worden ist.

Sowohl die Vorinstanz als auch die ehemalige Beschwerdegegnerin Bayer AG, letztere gestützt auf die Versuchsberichte vom 11. September 1989 und 19. Juli 1990, haben bestritten, daß die oben definierte Aufgabe über den ganzen Anspruchsbereich gelöst wurde. Zunächst ist zu bemerken, daß der Vergleichsversuch vom 11. September 1989, der auch Grundlage für die Widerrufsentscheidung war, nach Urteil der Kammer hierzu nicht aussagekräftig erscheint. Offensichtlich ist nämlich die Konzentration des im Vergleich verwendeten Farbstoffs in der stabilisierten Lösung, die sich auf knapp 23 % errechnen läßt, so hoch gewählt, daß das beschriebene Ausfallen der praktisch gesamten Farbstoffmenge bei zweiwöchiger Lagerung bei 0°C verständlich wird, wenn man bedenkt, daß in Beispiel 10 des Streitpatents für den gleichen Farbstoff - trotz dessen Löslichkeitsverbesserung durch Zusatz von 5 % Caprolactam - nur eine Konzentration von 14 % gewählt wurde. Zudem ist aus beiden Versuchsberichten nicht klar ersichtlich, ob in den beiden Versuchen, die gemäß Streitpatent durchgeführt sein sollen, ein Teil des Wassers während der Umkehr-Osmose tatsächlich im Sinne der vorstehenden Anspruchsauslegung laufend durch entmineralisiertes Wasser ersetzt wurde. Allerdings konnte dieser Sachverhalt durch die Zurücknahme des Einspruchs der Bayer AG nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden.

5.3. Es ist nun zu untersuchen, ob der Stand der Technik dem mit der vorstehend definierten Aufgabe konfrontierten Fachmann Anregungen bot, diese durch das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Streitpatents zu lösen.

5.4. Dokument (1) beschreibt - wie bereits angedeutet - ein Verfahren zur Herstellung von wäßrigen Farbstofflösungen, wobei man eine wäßrige Lösung oder Suspension eines Farbstoffes, wie eines Reaktivfarbstoffes, durch Umkehr- Osmose entsalzt und aufkonzentriert und die so erhaltene Lösung, gegebenenfalls nach Zusatz eines Lösungsvermittlers für den Farbstoff, mit einem Puffer stabilisiert. Bevorzugt verwendete Puffer sind Kalium- oder Natriumdihydrogenphosphat, Natriumtetraborat und/oder Dinatriumhydrogenphosphat (vgl. Anspruch 29 und Seite 11, erster Absatz). Als geeigneter Lösungsvermittler ist Caprolactam genannt (vgl. Seite 11, zweiter Absatz). Die Druckschrift gibt dem Fachmann aber keinen Fingerzeig für die Lösung der bestehenden Aufgabe, nämlich daß die laufende Zugabe von entmineralisiertem Wasser während der Umkehr-Osmose zwecks Einhaltung einer Obergrenze von 0,01 Gew.-% Calcium- und Magnesiumionen und der Einsatz eines Puffers aus einem Polyphosphat bzw. einer Mischung aus einem Dihydrogenphosphat und einem Polyphosphat die Verbesserung der Stabilität der Farbstofflösung bewirken könnte.

5.5. Die ehemalige Beschwerdegegnerin Bayer AG hat als einzige der früheren Einsprechenden im Beschwerdeverfahren vorgebracht, daß diese Maßnahmen für den Fachmann naheliegend gewesen seien und in diesem Zusammenhang auf die Druckschriften (13) und (7) bis (10) hingewiesen (vgl. oben unter V, dritter Absatz).

5.6. Von diesen Druckschriften hat nur die Druckschrift (7) Bezug auf wäßrige Farbstofflösungen.

Die Entgegenhaltung (7) beschreibt ein flüssiges Farbstoffpräparat von C.I Reaktive Blue 19, das neben diesem Farbstoff und Wasser ein Kondensationsprodukt aus Naphthalinsulfonsäure und Formaldehyd und ein nichtionisches oberflächenaktives Hilfsmittel mit einem bestimmten HLB-Wert enthält (vgl. Anspruch 1 und Seite 3, Zeile 21 bis Seite 4, Zeile 24). Solche Farbstoffpräparate sollen eine gute Lagerstabilität besitzen, selbst wenn beträchtliche Mengen Salz aus dem Herstellungsverfahren anwesend sind (vgl. Seite 3, Zeilen 10 bis 20). Von einem Verfahren wie diesem, das darauf ausgerichtet ist, einen stark salzhaltigen Reaktivfarbstoff lagerstabil zu machen, geht nach Überzeugung der Kammer keine Anregung für ein Verfahren wie das des Streitpatents aus, das zwecks möglichst weitgehender Entfernung herstellungsbedingter Salzverunreinigungen eigens von der Umkehr-Osmose Gebrauch macht. Zudem sind auf Seite 7, Zeilen 8 bis 15 noch weitere mögliche Zusätze für die Farbstoffpräparate, wie Puffer zur Stabilisierung des pH-Wertes, Polyphosphate zur Wasserenthärtung und mehrwertige Alkohole oder deren Ether als Lösungsmittel angegeben. Bezüglich der Polyphosphate fehlt jeder Hinweis auf die Möglichkeit, sie gerade als Puffersubstanz zu verwenden, geschweige denn zur Verbesserung der Stabilität der Lösungen.

Druckschrift (8) beschreibt die Herstellung von festen Farbstoffpräparaten, wobei man wasserlösliche Farbstoffe, auch Reaktivfarbstoffe, zuerst mittels einer Umkehrosmose von Begleitstoffen, die von der Synthese herrühren befreit und alsdann einem Trocknungsprozeß und vorzugsweise einem Granulierprozeß unterwirft (vgl. Anspruch 1, Seite 1 und Seite 6, Absatz 3). Die Präparate können zusätzliche Komponenten, wie Tenside, Bindemittel, Entstaubungsmittel, Löslichkeitsverbesserer und Coupagemittel (Verschnittzusätze zur Einstellung von Farbstoff- Handelsprodukten) wie anorganische oder organische Salze, enthalten (vgl. Seite 2, zweiter bis vierter Absatz). Als geeignete anorganische Salze sind unter anderem Polyphosphate angegeben (vgl. Seite 5, letzter Absatz). Die erhältlichen staubarmen bis staubfreien Granulate zeichnen sich durch einheitliche formstabile Korngröße, hohes Schüttgewicht, hohe mechanische Festigkeit, Rieselfähigkeit und gute Benetzbarkeit und Dispergierbarkeit aus (vgl. S. 19, Abs. 2). Hieraus erhellt, daß das wünschenswerte Eigenschaftsprofil fester Farbstoffpräparate in keinem technologischen Zusammenhang mit dem wäßriger Farbstofflösungen steht. Dem Fachmann, der die Aufgabe zu lösen hatte, stabilere wäßrige Reaktivfarbstofflösungen herzustellen, wäre deshalb diese Druckschrift nicht hilfreich erschienen.

Die Druckschriften (9) und (10) sind, nach Ansicht der Kammer für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht relevant. Druckschrift (10) ist nachveröffentlicht und somit kein Stand der Technik. Die Entgegenhaltung (9) betrifft eine japanische Druckschrift, von der keine vorschriftsmäßige Übersetzung vorliegt. Sie bleibt daher außer Betracht.

Die Entgegenhaltung (13) offenbart, daß eine Reihe kolloidchemischer Effekte Grundlage für die vielseitige Verwendung der Polyphosphate sind und eine der auffälligsten Erscheinungen der Polyphosphate die Dispergierwirkung ist (vgl. Seiten 324 und 325 unter "Kolloidchemisches Verhalten"). Diese Entgegenhaltung gibt keinerlei Hinweis auf die Verwendung von Polyphosphaten zur Herstellung von flüssigen Farbstoffpräparaten.

5.7. Eine ehemalige Einsprechende hat vor der Vorinstanz geltend gemacht, der Austausch des aus (1) bekannten reinen Hydrogenphosphatpuffers durch Polyphosphat sei deshalb nicht erfinderisch, weil die geringe Wasserlöslichkeit von Na2HPO4 bei niedriger Temperatur und damit die Ursache für die aufgabengemäß zu vermeidenden Ausfällungen bekannt gewesen sei und sich hierfür das Mittel der Wahl Polyphosphat, aber jedenfalls das gemäß Streitpatent bevorzugt verwendete Triphosphat mit seiner bekanntlich immer noch ausgeprägten Pufferwirkung angeboten habe (vgl. (13) S. 323 rechts unten).

Selbst wenn man dieser Argumentation folgen wollte, so verbliebe als weitere wesentliche Maßnahme nach dem Streitpatent die laufende Zugabe entmineralisierten Wassers zur Einhaltung der obengenannten Obergrenze an Calcium-und Magnesiumionen. Diese Maßnahme ist - nach Auffassung der Kammer - im Kombination mit der Verwendung eines Puffers aus einem Polyphosphat oder einer Polyphosphat/Dihydrogenphosphat-Mischung für den Fachmann nicht selbstverständlich. Es gehört nämlich zum allgemeinen Fachwissen, daß Polyphosphat-Puffersubstanzen die Fähigkeit besitzen, Ionen mehrwertiger Metalle, insbesondere Ca, Mg und Fe, so zu binden und in Lösung zu halten, daß sie mit üblichen Fällungsreagenzien nicht mehr nachweisbar sind (vgl. Druckschrift (13), Seite 324, linke Spalte, letzter Absatz). Der Fachmann hätte daher vielmehr erwartet, daß die Verwendung entmineralisierten Wassers zur Erhaltung stabiler Farbstofflösungen überflüssig und daher nicht sachgerecht ist. Der Umstand, daß - wie ausgeführt - beide Maßnahmen a) und b) nach dem Streitpatent für den Erfolg des Verfahrens unabdingbar sind, ist ein Anzeichen dafür, daß die unter 5.7 wiedergegebene Argumentation auf einer unzulässigen, in Kenntnis der Erfindung vorgenommenen Betrachtungsweise beruht.

5.8. Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, daß der angezogene Stand der Technik dem Fachmann keine Anregung zur Lösung der patentgemäß bestehenden Aufgabe gab.

Die Kammer hat sich auch davon überzeugt, daß die anderen 11 im Einspruchsverfahren genannten Dokumente der Patentfähigkeit des Anspruchs 1 nicht entgegenstehen. Da diese von den ehemaligen Beschwerdegegnerinnen im Beschwerdeverfahren nicht aufgegriffen wurden, ist auch hierzu keine nähere Begründung erforderlich.

Das Verfahren nach Anspruch 1 beruht daher auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 8 betreffen besondere Ausgestaltungen des Verfahrens gemäß Anspruch 1 und werden von dessen Patentfähigkeit getragen.

6. Der im Abschnitt 2 dargelegte Verfahrensverstoß gegen die Begründungspflicht stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne der Vorschrift nach Regel 67 EPÜ dar. Da der Beschwerde stattgegeben wird und die Einbehaltung der Beschwerdegebühr bei diesem schwerwiegenden materiell-rechtlichen Fehler unbillig wäre, war deren Rückzahlung - obwohl nicht beantragt - geboten.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent in geänderter Form aufgrund folgender Unterlagen aufrechtzuerhalten: Patentansprüche 1 bis 8 und die Seiten 1, 2 und 4 bis 8 der Beschreibung, jeweils in der erteilten Fassung, sowie Seite 3 der Beschreibung, eingegangen am 12. März 1990.

3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

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