T 0708/89 (Trockengemische/HENKEL) of 22.3.1993

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1993:T070889.19930322
Datum der Entscheidung: 22 März 1993
Aktenzeichen: T 0708/89
Anmeldenummer: 83108322.5
IPC-Klasse: C09J 3/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Trockengemische zur Herstellung von wäßrigen Klebstoffen sowie deren Verwendung zum Verkleben von Papieren
Name des Anmelders: Henkel Kommanditgesellschaft auf Aktien
Name des Einsprechenden: 01) HOECHST Aktiengesellschaft Zentrale Patentabteilung
02) Amicel B.V.
03) Avebe B.V.
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 114(2)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (bestätigt)
Unerwarteter Effekt
Verspätet eingereichte Vergleichs- versuche - irrelevant und unberücksichtigt
Inventive step (yes)
Late submitted material - evidence admitted (no)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0219/83
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent 103 772 wurde mit fünf Ansprüchen erteilt. Anspruch 1 betraf Trockengemische zur Herstellung wäßriger Klebstoffe auf der Basis wasserlöslicher, nichtionogener Celluloseether gekennzeichnet durch einen Gehalt an bestimmten Stärkeethern; Anspruch 4 betraf die Verwendung dieser Trockengemische. Die Ansprüche 2, 3 und 5 waren abhängige Ansprüche.

II. Gegen die Patenterteilung wurden frist- und formgerecht drei Einsprüche eingelegt, mit denen der Widerruf des Patents wegen fehlender Neuheit und erfinderischer Tätigkeit beantragt wurde. Die Einsprüche waren unter anderem auf eine offenkundige Vorbenutzung in Form des Produkts "S-200" gestützt. Dabei handelte es sich, ausweislich einer Erklärung des Herrn Elshof, Direktor der Fa. Amicel (Einsprechende II und Verfahrensbeteiligte nach Artikel 107 EPÜ), vom 16. Dezember 1986 um einen Tapetenkleister, der neben anderen Bestandteilen Methylcellulose und Perfectamyl CMA-EKPA enthielt. Zu der zuletzt genannten Komponente wurde eine Produktinformation vorgelegt, in der diese als eine hochviskose, carboxymethylierte, kaltlösliche quellbare Stärke auf der Basis von Kartoffelstärke beschrieben wurde. In einer Erklärung vom 10. März 1989 von Dr. Capelle, Direktor der Fa. AVEBE (Einsprechende III und Beschwerdeführerin), Lieferfirma für Perfectamyl CMA-EKPA, wurde angegeben, der Substitutionsgrad dieses Produkts, das nach dem Verfahren des GB-A-713 750 hergestellt worden sei, liege zwischen 0,15 und 0,20.

III. Am 16. Juni 1989 wurde von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) ein neuer Anspruchssatz mit vier Ansprüchen vorgelegt. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 3 lauten:

"1. Trockengemische zur Herstellung von wäßrigen Klebstoffen bzw. Kleistern auf Basis von wasserlöslichen, nichtionogenen Celluloseethern, gekennzeichnet durch einen Gehalt an kaltwasserlöslichen, Carboxymethyl- und/oder Propylsulfonatgruppen enthaltenden unverkleisterten Stärkeethern, die einen Substitutionsgrad hinsichtlich der Carboxymethylgruppe zwischen 0,1 bis 0,6 und der Propylsulfonatgruppen zwischen 0,1 und 0,5 aufweisen, deren Kornstruktur völlig erhalten ist und die unter Verwendung von wassermischbaren bzw. teilweise wassermischbaren, monovalenten Alkoholen mit 1 bis 5 Kohlenstoffatomen hergestellt wurden und die in einer Menge von 20 bis 95 Gewichtsprozent, bezogen auf das Gemisch aus Stärkeethern und Celluloseethern, vorliegen.

3. Verwendung der Trockengemische nach einem der Ansprüche 1 und 2 zur Herstellung von wäßrigen Klebstoffen bzw. Kleistern zum Verkleben von Papieren oder anderen saugfähigen Cellulosematerialien, insbesondere Tapeten."

IV. Die Einspruchsabteilung hat das Patent auf der Grundlage dieser Ansprüche mit der Zwischenentscheidung vom 23. August 1989 aufrechterhalten und dies im wesentlichen damit begründet, daß der Patentgegenstand in keinem der ihr vorliegenden Dokumente beschrieben und daher neu sei; erfinderische Tätigkeit sei gegeben, da die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte synergistische Erhöhung der Viskosität wäßriger Lösungen der beanspruchten Trockengemische durch den Stand der Technik nicht nahegelegt werde.

V. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende III) am 20. Oktober 1989 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde eingelegt und diese am 12. Dezember 1989 begründet. Darin hat sie nur mehr mangelnde erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Streitpatents geltend gemacht und sich dabei ausschließlich auf neue Versuche gestützt, die nach ihrer Auffassung zeigen, daß der von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte Effekt einer synergistischen Viskositätserhöhung auch bei Trockengemischen des Standes der Technik auftrete.

Schließlich stellt die Beschwerdeführerin fest, sie habe während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung deutlich gemacht, daß auch andere Gemische als jene im Streitpatent beanspruchten ein synergistisches Verhalten zeigten. Sie rügt, daß diese Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung unrichtig wiedergegeben worden seien.

VI. Die Beschwerdegegnerin hat dagegen u. a. vorgetragen, diese Versuche seien von der Beschwerdeführerin verspätet vorgebracht worden und nicht relevant, z. B. infolge fehlender Glaubhaftmachung, daß die untersuchten Mischungen Stand der Technik gewesen seien.

VII. Die Beschwerdeführerin hat die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents beantragt, die Beschwerdegegnerin hingegen die Zurückweisung der Beschwerde. Die weiteren Verfahrensbeteiligten haben sich weder sachlich geäußert noch Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Kammer kann aufgrund des Akteninhalts nicht nachprüfen, ob die Rüge der Beschwerdeführerin über eine unrichtige Darstellung ihrer mündlich vorgetragenen Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung berechtigt ist.

Der letzte Satz auf Seite 1 des Protokolls jener mündlichen Verhandlung "Synergismus und Viskositätsvorteile sowie Klebkraft beim Tapetenkleistern wurden diskutiert" läßt nicht erkennen, welchen Sachvortrag die Parteien zu diesem Punkt gehalten haben. Die Beschwerdeführerin hat keinen Antrag auf Berichtigung oder Ergänzung der Niederschrift über die mündliche Verhandlung gestellt. Ein Widerspruch zwischen den Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung und den behaupteten Erklärungen der Beschwerdeführerin, die sie in der mündlichen Verhandlung gemacht haben will, ist daher für die Kammer nicht feststellbar.

Im übrigen hat die Beschwerdeführerin auch nicht geltend gemacht, daß sie Beweismittel für ihre entsprechenden Feststellungen vorgelegt habe, die von der Einspruchsabteilung nicht berücksichtigt worden seien. Selbst wenn man daher unterstellt, die Einspruchsabteilung habe den diesbezüglichen Sachvortrag der Beschwerdeführerin in der angefochtenen Entscheidung nicht richtig wiedergegeben, so hätte es sich dabei allenfalls um eine unbewiesene Tatsachenbehauptung gehandelt, die von der Einspruchsabteilung unberücksichtigt bleiben konnte.

3. Änderungen

Der geltende Anspruch 1 ist eine Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 2 (entsprechend den Ansprüchen 1 und 2 der ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen). Das sich auf die "Alkohole" beziehenden Adjektiv "organische", das im erteilten Anspruch 2 enthalten war, war eine technisch bedeutungslose Überbestimmung, da Alkohole definitionsgemäß immer organische Verbindungen sind.

Die geltenden Ansprüche 2 bis 4 entsprechen den erteilten Ansprüchen 3 bis 5 (entsprechend den ursprünglichen Ansprüchen 3 bis 5). Alle Ansprüche sind daher unter Artikel 123 (2) und (3) nicht zu beanstanden.

4. Neuheit

Der Gegenstand des Streitpatents ist in keiner Entgegenhaltung beschrieben und daher neu. Da dies im Beschwerdeverfahren nicht mehr bestritten wurde, erübrigen sich weitere Ausführungen hierzu.

5. Erfinderische Tätigkeit

Es bleibt zu entscheiden, ob der Gegenstand des Streitpatents auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

5.1. Nach den Ausführungen im Streitpatent waren Trockengemische zur Herstellung von wäßrigen Klebstoffzubereitungen enthaltend Cellulose- bzw. Stärkederivate bereits bekannt, entsprachen aber in vielen Fällen hinsichtlich ihrer verarbeitungstechnischen Eigenschaften nicht gestiegenen Anforderungen der Praxis (Spalte 1, Zeilen 9 bis 30).

5.2. Vergleichsversuch A des Streitpatents beschreibt die Herstellung von Trockenpulvern aus Methylcellulose und Carboxymethylstärke, wobei letztere ohne Verwendung (teilweise) wassermischbarer Alkohole hergestellt wurde und keine Kornstruktur mehr erkennen läßt. Im Streitpatent wird gezeigt, daß diese Trockenpulver, die unbestritten den Stand der Technik repräsentieren, zu keiner synergistischen Viskositätserhöhung der aus ihnen hergestellten Klebemittel führen (siehe Vergleichsversuch A, Spalte 6, Zeilen 20 bis 46 und Figur 2, Kurve VI des Streitpatents).

Die Trockenpulver nach Anspruch 1 des Streitpatents liefern hingegen Klebstoffzubereitungen einer Viskosität, die gegenüber jener der Einzelkomponenten erhöht ist (vgl. Figur 1). Nach den (unwidersprochenen) Ausführungen der Einspruchsabteilung hat die so (bei gleicher Einsatzmenge der Komponenten) erzielbare erhöhte Viskosität der aus den Trockenpulvern herstellbaren wässerigen Klebstoffzubereitungen eine erhebliche verarbeitungstechnische Bedeutung (vgl. Punkt 3 der angefochtenen Entscheidung). Die Kammer hat keine Veranlassung dies anders zu beurteilen.

5.3. Der Kammer liegen keine Angaben oder auch nur Anhaltspunkte vor, die glaubhaft erscheinen lassen, daß auch aus dem Produkt "S-200", dessen Vorbenutzung unstreitig ist und das die Vorinstanz als nächsten Stand der Technik gewertet hat, ebenfalls wässerige Klebemittel mit vergleichbarer hoher Viskosität erhalten werden.

Die von der Beschwerdeführerin erst mit der Beschwerdebegründung, d. h. lange nach Ablauf der Einspruchsfrist vorgelegten Vergleichsversuche wurden nicht mit "S-200", sondern mit einem anderen Produkt durchgeführt. Dieses wurde von ihr als "vergleichbar" mit "S-200" bezeichnet (Eingabe vom 22. November 1990, Seite 1, vorletzter Absatz), ohne dafür Gründe zu nennen. Damit hat die Beschwerdeführerin, die die Beweislast für das geltend gemachte Fehlen erfinderischer Tätigkeit trägt, insbesondere für die von ihr aufgestellten Tatsachenbehauptungen (vgl. T 219/83 ABl. EPA 1986, 211, Abschnitt 12 der Gründe), ihrer Pflicht nicht entsprochen, die für "S-200" behauptete hohe Viskosität zu untermauern.

Da sie außerdem nicht den Nachweis geführt hat, daß die von ihr untersuchten Gemische zum Stand der Technik gehören und dies von der Beschwerdegegnerin bestritten wurde, werden diese Versuche von der Kammer in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 114 (2) EPÜ nicht berücksichtigt.

5.4. Gegenüber dem im Streitpatent angegebenen Stand der Technik kann daher die technische Aufgabe darin gesehen werden, Trockenpulver aufzufinden, die sich zu wäßrigen Klebstoffzubereitungen mit höherer Viskosität verarbeiten lassen. Es ist in Hinblick auf die Beispiele des Streitpatents (Spalte 4, Zeile 4 bis Spalte 6, Zeile 18) in Verbindung mit Figur 1 glaubhaft und im übrigen nicht bestritten, daß diese technische Aufgabe durch die Bereitstellung von Trockengemischen gelöst wird, die im wesentlichen wasserlösliche, nichtionogene Celluloseether und zusätzlich unverkleisterte Stärkeether der im Anspruch 1 näher bezeichneten Zusammensetzung und Herstellungsweise enthalten.

5.5. In keinem der angezogenen Dokumente wurde die Möglichkeit einer synergistischen Viskositätserhöhung bei aus Trockengemischen hergestellten Klebstoffzubereitungen erwähnt oder angedeutet. Im Beschwerdeverfahren wurde auch nicht mehr geltend gemacht, daß der druckschriftliche Stand der Technik Anregungen für die Lösung der genannten Aufgabe bot.

Auch für das vorbenutzte Produkt "S-200" ist eine synergistische Viskositätserhöhung nicht glaubhaft gemacht worden. Daher konnte der Fachmann dem Stand der Technik keine Anregung für die Lösung der bestehenden Aufgabe entnehmen, nach Mitteln zu suchen, die zu einer synergistischen Vioskositätserhöhung führen könnten, und noch viel weniger, welche Kriterien er dabei berücksichtigen sollte.

5.6. Der geltende Anspruch 1 des Streitpatents beruht daher auf erfinderischer Tätigkeit. Der unabhängige Verwendungsanspruch 3 und die abhängigen Ansprüche 2 und 4 beinhalten die gleiche erfinderische Idee wie Anspruch 1 in anderer Ausprägung und werden von der Patentfähigkeit des Anspruchs 1 getragen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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