T 0163/89 () of 27.6.1990

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1990:T016389.19900627
Datum der Entscheidung: 27 Juni 1990
Aktenzeichen: T 0163/89
Anmeldenummer: 83103880.7
IPC-Klasse: A61N 1/04
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Mehrpolige elektrische Leitung
Name des Anmelders: Siemens-Elema AG
Name des Einsprechenden: Biotronik GmbH
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: inventive step
erfinderische Tätigkeit (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0192/82
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0373/94

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdegegnerin ist Inhaberin des europäischen Patents 0 092 797 (Anmeldenummer 83 103 880.7) Die unabhängigen Ansprüche 1 und 4 dieses Patents lauten:

"1. Mehrpolige Elektrodenanordnung zur Stimulierung von Körpergewebe mit mindestens zwei gegeneinander isolierten, spiralförmig gewickelten metallischen Leitern, wobei die einzelnen Leiter (2, 3; 11, 12) aus zumindest teilweise mit Isoliermaterial (4, 5; 13) umschlossenem Metallband bestehen, und das Isoliermaterial (4, 5; 13) als Träger für die Metallbänder (2, 3; 11, 12) dient, dadurch gekennzeichnet, daß als mit Isoliermaterial umschlossene Leiter (11, 12) Flachkabel vorgesehen sind.

4. Verfahren zur Herstellung einer Elektrodenanordnung nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, daß das Flachkabel direkt ohne Stützkörper wendelförmig gewickelt und anschließend mit einem äußeren Isolierschlauch (14) umhüllt wird".

Ansprüche 2 und 3 sind auf Anspruch 1 rückbezogen.

II. Die Beschwerdeführerin hat gegen die Patenterteilung gestützt auf Artikel 100 (a) EPÜ wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 im Hinblick auf die Dokumente:

D1: DE-A-2 408 707 und D2: US-A-3 804 098 Einspruch erhoben und nach Ablauf der Einspruchsfrist ferner das Dokument; D3: DE-A-2 754 342 genannt.

III. Der Einspruch wurde zurückgewiesen.

Die Einspruchsabteilung berücksichtigt in ihrer Zurückweisungsbegründung Dokument D3 von Amts wegen. Sie vertrat im wesentlichen die Auffassung, daß es nicht naheliegend sei, bei der aus Dokument D1 bekannten mehrpoligen Elektrodenanordnung in Form einer spiralförmigen Wicklung eines vom Isoliermaterial umschlossenen Metallbandes als mit Isoliermaterial umschlossenen Leiter die aus Dokument D3 allgemein bekannten Flachkabel vorzusehen. Es sei vielmehr überraschend, daß bei der Verwendung von Flachkabel das Metallband ohne einen - beim Stand der Technik gemäß Dokument D1 vorhandenen - zentralen Stützkörper freitragend wendelförmig gewickelt werden könne.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) Beschwerde erhoben und in ihrer Beschwerdebegründung unter anderem erstmals das Dokument:

D4: EP-A-0 022 556 genannt.

V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 11 (2) VOBK zur Vorbereitung einer von beiden Parteien hilfsweise beantragten mündlichen Verhandlung teilte die Kammer gestützt auf Art. 114 (1) EPÜ ihre vorläufige Auffassung mit, daß es möglicherweise als naheliegend anzusehen sei, bei der aus dem im Streitpatent gewürdigten Dokument D5: DE-A-3 031 752 bekannten freitragenden spiralförmigen Leiterwicklung - d. h. ohne zentralen Stützkörper - als mit Isoliermaterial umschlossenen Leiter die aus Dokument D3 allgemein bekannten Flachkabel mit Leitern aus Metallband vorzusehen. Gegenüber dem aus Dokument D5 bekannten Stand der Technik sei der Vorteil einer freitragenden Leiterspirale durch Einsatz von Flachkabel nicht gegeben. Die für eine freitragende Wendel erforderliche Formstabilität des aus Dokument D3 bekannten Flachkabels würde ein Fachmann durch eine entsprechende Dimensionierung erzielen, die als eine im Rahmen seines normalen fachmännischen Könnens liegende Anpassungsmaßnahme beim spiralförmigen Wickeln anzusehen sei. Dokument D3 sei explizit zu entnehmen, daß mit Hilfe eines Flachkabels mit Leitern aus Metallband der die Durchmesserverkleinerung betreffende Teil der Aufgabe des Streitpatents gelöst werden könne. Ein zusätzlicher äußerer Isolierschlauch gemäß Anspruch 4 werde durch das Dokument D1 nahegelegt.

VI. In ihrer Erwiderung auf diesen Bescheid teilte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) mit, daß sie an der anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde, ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurückziehe und an ihrem Antrag festhalte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Streitpatent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten. Sie stützte diesen Antrag im wesentlichen auf folgende Argumente:

a) Einerseits weise der mehrpolige Elektrodenanordnungen mit spiralförmig gewickelten Leitern betreffende Stand der Technik gemäß den Dokumenten D1, D4 und D5 keine Flachkabel auf, andererseits fehle Dokument D3 jeglicher Hinweis, dieses an sich bekannte Flachkabel spiralförmig aufgewickelt bei einer mehrpoligen Elektrodenanordnung vorzusehen.

b) Keinen der entgegengehaltenen Dokumente könne auch nur andeutungsweise der spezielle Vorteil eines Flachkabels entnommen werden, daß seine Isoliermasse die eingeschlossenen Metallbänder beim Aufwickeln zu einer Spirale und bei späteren mechanischen Beanspruchungen entlaste. Zwar werde dieser Vorteil nicht gegenüber der aus Dokument D5 bekannten Anordnung mit Leitern aus Runddraht voll wirksam, wohl aber gegenüber den wesentlich flexibleren Metallbändern gemäß Dokument D1. Denn im Gegensatz zum spiralförmig aufgewickelten Flachkabel verlaufen bei den bekannten gewendelten Metallbändern, die blockartig von einer Isoliermasse umschlossen sind, Zug- und Druckkräfte in der Isoliermasse anders als im Metallband.

c) Ausgehend von der aus Dokument D5 bekannten Elektrodenanordnung aus spiralförig aufgewickelten isolierten Runddrähten würde sich ein Fachmann zur gleichzeitigen Herabsetzung des Durchmessers und des Widerstandes den bereits aus Dokument D1 und D4 bekannten Lösungen mit spiralförmig aufgewickeltem Metallband, das in blockförmige Isoliermasse eingebettet ist, zuwenden, so daß er keine Veranlassung hätte, ein Flachkabel mit Metallbänden zu einer Wendel aufzuwickeln.

VIII. Auf die in Pkt. V genannte Mitteilung der Kammer hin nahm die Beschwerdeführerin (Einsprechende) ihren Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung ebenfalls zurück und hielt ihren Antrag aufrecht, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent 0 092 797 zu widerrufen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Neuheit

2.1. Bei keinem der als bekannt nachgewiesenen mehrpoligen Elektrodenanordnungen sind als spiralförmig gewickelte und mit Isoliermaterial umschlossene Leiter wie bei den Gegenständen der Ansprüche 1 und 4 Flachkabel vorgesehen, d. h. Kabel, in dem die jeweils isolierten Leiter mehrerer Pole lateral voneinander beabstandet und koplanar zueinander innerhalb eines gemeinsamen Isolierkörpers angeordnet sind, so daß in der spiralförmig gewickelten Form eines Kabels die Leiter mehrerer Pole im wesentlichen in der gleichen Zylinderfläche liegen, parallel zur Spiralenachse voneinander beabstandet sind und der Isolierkörper des Kabels eine bandförmige Spirale darstellt, die einen zentralen Hohlraum umschließt.

2.2. Die Gegenstände der Ansprüche 1 und 4 sind somit neu.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1. In Übereinstimmung mit der Beschreibung des Streitpatents, Spalte 1, Zeilen 13-52, sieht die Kammer die aus Dokument D5 bekannte multifilare Leiterwicklung aus isolierten Runddrähten als den dem Streitpatent am nächsten kommenden Stand der Technik an. Bei dem aus Dokument D5 bekannten Stand der Technik ist - anders als bei der Elektrodenanordnung gemäß Dokument D1, von der die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung im wesentlichen ausgeht - bereits eine freitragende Leiterwendel ohne Stützkörper vorgegeben, die überdies auch den effektiven Gesamtdurchmesser durch Anordung der Leiter mehrerer Pole in der gleichen Zylinderfläche (Multifilarwicklung) verkleinert.

Ausgehend von dem aus Dokument D5 bekannten Stand der Technik liegt dem Streitpatent objektiv die Aufgabe zugrunde, in Verbindung mit einer weiteren Verkleinerung des Durchmessers der Elektrodenanordnung gleichzeitig deren Geschmeidigkeit zu erhöhen und ihren Widerstand zu vermindern (vgl. das Streitpatent, Spalte 1, Zeilen 47-52) sowie ihre Herstellung zu vereinfachen (vgl. das Streitpatent, Spalte 2, Zeilen 1 bis 3).

3.2. Die Vereinfachung von Herstellungsverfahren ist ständige Arbeitspraxis eines Fachmanns. Durchmesserverkleinerung, höhere Geschmeidigkeit und Widerstandserniedrigung sind nach Meinung der Kammer auf dem Gebiet der Elektrodenanordnungen zur Stimulierung von Körpergewebe bekannte Zielsetzungen. Somit vermag die Formulierung der dem Streitpatent objektiv zugrundeligenden Aufgabenstellung nicht zur Stützung einer erfinderischen Tätigkeit beizutragen.

3.3. Um zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen, hat ein Fachmann in der aus Dokument D5 bekannten "mehrpoligen Elektrodenanordnung zur Stimulierung von Körpergewebe mit mindestens zwei gegeneinander isolierten spiralförmig gewickelten metallischen Leitern" die einzelnen isolierten Runddrähte durch die aus Dokument D3 bekannten "Flachkabel" zu ersetzen, deren Leiter "aus zumindest teilweise mit Isoliermaterial umschlossenen Metallband bestehen" und deren "Isoliermaterial als Träger für die Metallbänder dient". Hierzu hat ein Fachmann das aus Dokument D3, Fig. 1 bekannte Flachkabel mit Leitern aus Metallband "direkt ohne Stützkörper wendelförmig zu wickeln", vgl. den Anspruch 4 wie dies für Runddrähte aus Dokument D5 bekannt ist.

3.4. Nach Auffassung der Kammer ist für einen Fachmann die Ähnlichkeit der Raumform seitlich nebeneinanderliegender Leiter einzelner Pole in der aus Dokument D5 bekannten Multifilarwicklung mit der Anordnung der Leiter in einem Flachkabel offensichtlich. In den Augen der Kammer ist ein Fachmann, d. h. hier ein mit der Herstellung von elektrischen Leitungen und Kabeln vertrauter Elektroingenieur, in der Lage zu erkennen, daß die integrale Zusammenfasung der individuell isolierten Einzelleiter des Dokuments D5 in einem gemeinsamen Isolierkörper - sowie er durch das aus Dokument D3 bekannte Flachkabel vorgegeben ist - den Wicklungsprozeß vereinfacht. Aufgrund seines allgemeinen Fachwissens weiß dieser Fachmann, daß mit einem Leiter in Form eines Bandes gegenüber einem Runddraht eine Verkleinerung des Wicklungsdurchmessers verbunden mit einer höheren Geschmeidigkeit bei niedrigerem Widerstand erzielbar ist. Den durch den Übergang vom Runddraht zum Metallband bedingten Stabilitätsverlust vermag ein Fachmann im Rahmen seines normalen Könnens liegender Anpassungsmaßnahmen durch eine entsprechende Dimensionierung des Isoliermaterials auszugleichen. Die vorstehend genannten Sachverhalte regen einen Fachmann nach Meinung der Kammer an, das aus Dokument D3 bekannte Flachkabel mit Metallbändern zur Realisierung der aus Dokument D5 bekannten Wendel einzusetzen.

3.5. Zwar enthält der nachgewiesene Stand der Technik keinerlei Hinweise auf die wendelförmige Wicklung eines Flachkabels; vlg. Pkt. VI-a. Nach Auffassung der Kammer muß es aber einem Fachmann im Rahmen der normalen Entwicklung der Technik freistehen, ein bekanntes Ausgangsmaterial - so wie hier ein Flachkabel mit Leitern aus Metallband - zur Ausnutzung seiner ohne weiteres erkennbaren vorteilhaften Eigenschaften für die Realisierung einer bekannten Raumform - so wie hier eine Leiterwendel - einzusetzen, wenn dabei - so wie hier bei der wendelförmigen Wicklung eines Flachkabels - weder ein allgemeines Vorurteil der Fachwelt noch technische Schwierigkeiten zu überwinden waren.

3.6. Entgegen der Meinung der Beschwerdegegnerin in Pkt. VI-c würde ein Fachmann sich bei der Lösung der dem Streitpatent objektiv zugrundeliegenden Aufgabe nicht mit dem aus Dokument D1 oder D4 bekannten Anordnungen begnügen. Er kann nämlich ohne weiteres erkennen, daß eine radial voneinander beabstandete Anordnung der Leiter einzelner Pole der durch bandförmige Leiter erzieltbaren Durchmesserverringerung entgegenwirkt.

Des weiteren bedingt der sich kontinuierlich längs der Wickelachse ausdehnende Isolierkörper dieser bekannten Anordung gegenüber über einem Isolierkörper, der durch Wicklung eines Flachkabels spiralförmig unterteilt ist, einen ohne weiteres erkennbaren Verlust an Geschmeidigkeit.

3.7. Die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte mechanische Entlastung des Metallbandes durch das Isoliermaterial (siehe Punkt VI-b) ist zur Stützung einer erfinderischen Tätigkeit nicht heranziehbar. Diese Wirkung eines Flachkabels ist in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen des Streitpatents nicht offenbart und fällt überdies dem Fachmann auf dem oben dargelegten naheliegenden Weg zum Gegenstand des Anspruchs 1 als Bonuseffekt in den Schoß; vlg. auch die Entscheidung T 192/82, OJ EPO 1984, 415.

3.8. Aus den vorstehenden Ausführungen geht ferner hervor, daß der in Anspruch 4 des Streitpatents beanspruchte Verfahrensschritt, ein "Flachkabel direkt ohne Stützkörper wendelförmig zu wickeln" für einen Fachmann als nachliegend anzusehen ist. Die anschließende "Umhüllung der Wendel mit einem äußeren Isolierschlauch" gemäß Anspruch 4 wird durch das Dokument D1 nahegelegt; vgl. D1, 14 in Fig. 3.

4. Wie oben in Pkt. 3.1 bis 3.8 im einzelnen dargelegt, genügen die Ansprüche 1 und 4 des Streitpatents nicht den Erfordernissen des Artikels 52 (1) i. V. mit Art. 56 EPÜ. Das Patent kann daher mit diesen Ansprüchen nicht aufrechterhalten werden. Mit Anspruch 1 fallen auch die von diesem abhängigen Ansprüchen 2 und 3.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.

2. Das europäische Patent 0 092 797 wird widerrufen.

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