T 0446/88 () of 28.11.1990

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1990:T044688.19901128
Datum der Entscheidung: 28 November 1990
Aktenzeichen: T 0446/88
Anmeldenummer: 82101711.8
IPC-Klasse: E01C 13/00
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Bodenbelag für Freiflächen
Name des Anmelders: J.F. Adolff AG
Name des Einsprechenden: DLW AG
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Inventive step (no)
Erfinderische Tätigkeit (verneint)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0167/84
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf den Gegenstand der am 5. März 1982 angemeldeten europäischen Patentanmeldung Nr. 82 101 711.8 ist am 31. Juli 1985 das fünf Patentansprüche umfassende europäische Patent Nr. 0 064 140 erteilt worden:

Der erteilte Anspruch 1 lautet:

"Bodenbelag für Freiflächen, insbesondere für Spiel- und Sportanlagen, mit einem künstlichen Rasen als Oberflächenschicht und mit einer Füllung (16) aus körnigem Material, insbesondere Sand, zwischen den Polfäden (18) des Rasens, über die die freien Enden der Polfäden nach oben vorstehen, dadurch gekennzeichnet, daß als künstlicher Rasen ein wasserdurchlässiger künstlicher Rasen (10) vorgesehen ist und daß an die Rückseite des Rasens (10) eine wasserdurchlässige, für das körnige Material undurchlässige Filtermatte (12) ankaschiert ist."

II. Gegen das erteilte Patent hat die jetzige Beschwerdeführerin (vormals Einsprechende) Einspruch eingelegt und den Widerruf des Patents u. a. wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit im Hinblick auf die bereits im Prüfungsverfahren betrachteten Dokumente

(1) US-A-3 995 079

(2) DE-A-2 434 622 (FR-A-2 238 805) beantragt.

III. Die Einspruchsabteilung hat den Einspruch durch Entscheidung vom 6. Juli 1988 zurückgewiesen, mit der Begründung, daß das Dokument (2) einer andere Aufgabe diene und einen anderen Weg gehe als das angefochtene Patent.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin am 5. September 1988, unter gleichzeitiger Entrichtung der Gebühr, Beschwerde eingelegt und diese mit Schreiben vom 4. November 1988 begründet.

Zur Begründung ihrer Beschwerde führte die Beschwerdeführerin im wesentlichen aus, daß gegenüber dem Dokument

(3) EP-A-0 059 327 die Neuheit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 nicht gegeben sei, er jedenfalls im Hinblick auf eine Gesamtbetrachtung der Dokumente (1) und (2) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Mit Schriftsatz vom 10. März 1989 vertrat die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) die Auffassung, daß das Dokument (3) eine kollidierende europäische Patentanmeldung gemäß Artikel 54 (3) sei, dem Gegenstand des angefochtenen Patents aber nicht neuheitsschädlich entgegen stehe. Darüber hinaus widersprach sie den Vorträgen der Beschwerdeführerin bezüglich des Dokuments (2).

V. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der Entscheidung und den Widerruf des Patents, hilfsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Nächstkommender Stand der Technik Nächstkommender Stand der Technik ist unstrittig das in der Beschreibungseinleitung des Patents erwähnte Dokument (1), da aus diesem Dokument ein Bodenbelag 10 für Freiflächen, insbesondere für Spiel- und Sportanlagen, mit einem künstlichen Rasen 16, 18 als Oberflächenschicht und mit einer Füllung 20 aus körnigem Material, insbesondere Sand, zwischen den Polfäden 16 des Rasens, über die die freien Enden 18 der Polfäden nach oben vorstehen, d. h. mit sämtlichen Merkmalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1 bekannt ist.

3. Aufgabe und Lösung Nachteilig an diesem bekannten Bodenbelag ist es, daß das körnige Material der Füllung 20 wegen der wasserundurchlässigen Beschichtung 22 auf der Rückseite des künstlichen Rasens bei starkem Regen aus dem Pol des Rasens ausgeschwemmt wird, so daß der Bodenbelag schließlich nicht mehr die gewünschte gleichmäßige Oberflächenqualität besitzt (siehe Spalte 1, Zeilen 19 bis 30).

Daher liegt der Erfindung unbestritten die Aufgabe zugrunde, einen Bodenbelag zu schaffen, bei dem auftreffende Wassermengen abgeleitet werden, damit das Ausschwemmen der Füllung verhindert wird.

Die Lösung dieser Aufgabe besteht nach den Angaben im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 darin,

(a) daß als künstlicher Rasen ein wasserdurchlässiger künstlicher Rasen vorgesehen ist und

(b) daß an die Rückseite des Rasens eine wasserdurchlässige, für das körnige Material jedoch undurchlässige Filtermatte ankaschiert ist.

Auf diese Weise wird erreicht, daß Schmelzwasser und Regenwasser auch dann, wenn sie in erheblichen Mengen anfallen, durch den künstlichen Rasen und die Filtermatte hindurch abfließen, so daß ein Wegschwemmen des Füllmaterials zwischen den Polfäden des Rasens verhindert wird (siehe Spalte 1, Zeilen 53 bis 63).

4. Neuheit

4.1. Gegenüber dem aus Dokument (1) bekannten Bodenbelag unterscheidet sich der künstliche Bodenbelag gemäß Anspruch 1 des Patents durch dessen kennzeichnende Merkmale. Somit ist der Anspruch 1 neu im Hinblick auf Artikel 54 (1) und (2) EPÜ.

4.2. Das Dokument (3), das auf einer früheren europäischen Patentanmeldung der Beschwerdegegnerin basiert, ist nicht vorveröffentlicht, so daß ihre Offenbarung allein unter dem Aspekt der Neuheit des angefochtenen Patents zu berücksichtigen ist, Art. 54 (3) und 56 EPÜ.

In Dokument (3) ist keine Füllung aus körnigem Material zwischen den Polfäden 16 des künstlichen Rasens aufgebracht, so daß sich dort das Problem des Ausschwemmens des körnigen Materials bei starkem Regen gar nicht stellt. Außerdem ist die Filtermatte 14 nicht an die Rückseite des Rasens ankaschiert, sondern lediglich auf eine Unterbauschicht 12 aufgelegt.

Über diesem Unterbau wird dann die Oberflächenschicht, d. h. der künstliche Rasen 16, lose verlegt und anschließend verspannt (siehe Seite 8).

Mit Rücksicht auf die o. g. Unterschiede gegenüber dem Patentanspruch 1 ist das Dokument (3) somit nicht neuheitsschädlich.

4.3. Um ferner das Risiko einer "Selbstkollision" zu verringern, gilt seit jeher, daß bei der Neuheitsprüfung strenge Maßstäbe anzulegen sind. Es ist also im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdeführerin nicht richtig, die Lehre eines Dokuments bei der Prüfung auf Neuheit dahingehend auszulegen, daß sie allgemein bekannte Äquivalente, die in dem Dokument nicht offenbart sind, einschließt; dies gehört in die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit (vgl. T 167/84; ABl. 1987, 370, Punkt 6).

5. Erfinderische Tätigkeit

5.1. Das Dokument (1) zeigt einen künstlichen Rasen, bestehend aus u. a. einem gewobenen oder gewirkten Grundgewebe ("woven or knitted fabric material 14, 114, 214") - in (1) als "backing" bezeichnet - und von dem Grundgewebe nach oben abstehende Polfäden 16. Auch wenn es im Dokument (1) nicht ausdrücklich erwähnt wird, so weiß der Fachmann, daß ein solcher Teppich bzw. dessen Grundgewebe aufgrund seiner Herstellung und lockeren Struktur wasserdurchlässig ist.

Daher ergibt sich, daß bereits das Merkmal (a) des Patentanspruchs 1 durch das Dokument (1) ohne weiteres nahegelegt ist.

5.2. Das Dokument (1) beschreibt einen Kunstrasenaufbau, der aus einer wasserundurchlässigen Basisschicht 22 besteht, welche auf das die Polfäden tragende Grundgewebe aufgebracht wird. Aus der Wasserundurchlässigkeit dieser Haftschicht folgt, daß sie auch für das körnige Material undurchlässig ist.

Der Abbildung nach Fig. 4 (Bezugszeichen 214 und 222 müßten vertauscht werden) ist ferner zu entnehmen, daß die Haftschicht 222 an die Rückseite der Grundgewebeschicht 214 ankaschiert ist ("disposed", Spalte 5, Zeilen 26 bis 35).

Daher ist die Kammer der Auffassung, daß der wesentliche Unterschied zwischen dem Gegenstand des Dokuments (1) und dem verbleibenden Merkmal (b) des Patentanspruchs 1 lediglich darin besteht, daß die Haftschicht des Dokuments (1) wasserundurchlässig ist.

5.3. Das wesentliche Merkmal, daß an der Rückseite des Rasens eine wasserdurchlässige, für das körnige Material jedoch undurchlässige Unterschicht angeordnet ist, wird durch das Dokument (2) offenbart.

Daraus kann folgendes entnommen werden:

- Die aus porösem Kunststoffmaterial bestehende Basis40 ist wasserdurchlässig. Auch dort ist die Abführung des Wassers notwendig, damit die Pillen oder Körner20 nicht weggeschwemmt werden (vgl. Seite 3, letzter Absatz). Das Dokument (2) löst somit Punkt 3 der vorstehend angegebenen Aufgabe.

- Die Basisschicht 40 ist zwar porös, im übrigen jedoch so kompakt, daß auch Körner kleineren Durchmessers, wie etwa Sand, zurückgehalten werden. Die Basisschicht ist daher auch für Sand undurchlässig.

Da die Basisschicht 40 des Dokuments (3) gleiche Eigenschaften betreffend Durchlässigkeit bzw. Undurchlässigkeit besitzt, wie die für die Filtermatte 12 des angefochtenen Patents beschriebenen, können beide Elemente als funktionell äquivalent gesehen werden.

5.4. Um vom Stand der Technik gemäß Dokument (1) zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 zu gelangen, hat der Fachmann also lediglich die im Dokument (1) offenbarte Haftschicht durch eine wasserdurchlässige Schicht zu ersetzen. Da aus Dokument (2) eindeutig hervorgeht, daß die dort vorgestellte Basisschicht 40 die Eigenschaften aufweist, die in der Entgegenhaltung (1) gesucht werden, so ist sie ganz offensichtlich auch geeignet, die dem Patent zugrundeliegende Aufgabe zu lösen. Diese Alternative mußte sich dem Fachmann aufdrängen. Da außerdem mit der bekannten Basisschicht dasselbe Ziel verfolgt wird wie im vorliegenden Fall (vgl. Punkt 5.3), ist unbestreitbar, daß dieser Stand der Technik einen Hinweis auf die Anwendung dieser oder einer ähnlichen wasserdurchlässigen Schicht für den vorliegenden Fall liefert.

Ferner ist die Kammer überzeugt, daß der Fachmann die Lehren von Dokument (1) und (2) ohne weiteres zur Lösung der vorstehenden Aufgabe kombiniert hätte, da beide Dokumente die Herstellung eines künstlichen wasserdurchlässigen Bodenbelages und damit dasselbe oder zwei unmittelbar benachbarte technische Gebiete betreffen. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß in Dokument (2) nicht nur von einem künstlichen Bahnbelag für Gleitkörper, wie z. B. eine Skipiste, sondern auch von einem künstlichen Gras gesprochen wird (Seite 6, vierter Absatz). Im entsprechenden französischen Text (FR-A-2 238 805) wird dies noch deutlicher. Darin wird auf Seite 1, Zeile 12 ausdrücklich erwähnt: "L'invention concerne un gazon ou une pelouse artificielle"; d. h. einen künstlichen Rasen.

Die Kammer stimmt mit der Beschwerdeführerin darin überein, daß es unwesentlich ist, ob auf der künstlichen Bahn des Dokuments (2) nicht Tennis gespielt, sondern Ski gefahren werden soll, da die spezielle Verwendung nicht abhängig ist von der Ausbildung des künstlichen Rasens, sondern lediglich von der Wahl und dem Niveau der Füllung. Bestimmend ist nur, daß in Dokument (2) gleich wie im Streitpatent, die Aufgabe gelöst werden soll, zu große Wassermengen abzuleiten, damit ein Aufschwemmen des körnigen Materials verhindert wird.

5.5. Die Beschwerdegegnerin machte weiter geltend, daß die Gleitkörper der bekannten Bahn nach dem Dokument (2) mit einem körnigen Material, insbesondere Sand, wie es erfindungsgemäß verwendet wird, nicht vergleichbar seien, da eine über die Polfäden hinausgehenden Sandfüllung für eine Skipiste nicht zweckmäßig wäre.

Die Kammer vermag dieser Argumentation jedoch nicht zu folgen, da der Patentanspruch 1 nicht auf den Sand als körniges Material beschränkt ist. Durch den Ausdruck "insbesondere Sand" in Anspruch 1 sind die darauf folgenden Maßnahmen rein fakultativ, so daß sie nicht berücksichtigt werden brauchen. Somit werden ebenfalls die "Pillen oder Körner" gemäß dem Dokument (2) miteinbezogen.

5.6. Die Beschwerdegegnerin machte ferner geltend, daß im Dokument (2) keine "Filtermatte" im Sinne des Patents vorgesehen sei. Die Kammer macht jedoch darauf aufmerksam, daß eine diesbezügliche konstruktive Unterscheidung zu andern Basisschichten deshalb keine Bedeutung hat, weil die Beschreibung des Patents überhaupt keinen Hinweis auf die besondere Komposition oder Struktur dieser Filtermatte gibt. Somit ist der Begriff "Filtermatte" ausreichend allgemein definiert, so daß auch andere Ausbildungen - wie z. B. die poröse Schicht gemäß Dokument (2) - davon mitumfaßt werden.

5.7. Was den Begriff "ankaschiert" im Anspruch 1 des Patents anbelangt, so ist er unter Berücksichtigung der Beschreibung gemäß Spalte 2, Zeilen 33-54 auszulegen. Demnach erfolgt das Ankaschieren der Filtermatte an der Rückseite des Rasens entweder durch thermische Verschweißung oder durch Verklebung der Filtermatte im Laufe deren Aushärtens.

Der Begriff "ankaschiert" ist somit ausreichend generell formuliert, so daß er auch die Ausbildung gemäß Dokument (1), insbesondere der Figur 4, umfaßt, in welcher eine Haftschicht auf die Rückseite des künstlichen Rasens aufgebracht ("disposed") wird. Auch in Dokument (2) wird das Grundgewebe des Rasens vermutlich durch ein thermisches Verfahren in die aus porösem Kunststoffmaterial bestehende Basis eingebettet. Das "Ankaschieren" einer Filtermatte an die Rückseite des Rasens kann daher die erfinderische Tätigkeit des Patentanspruchs 1 ebenfalls nicht stützen.

5.8. Aus den vorstehenden Gründen genügt der Anspruch 1 des Patents den Erfordernissen des Artikels 52 in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ nicht.

Mit Anspruch 1 fallen auch die von diesem abhängigen Ansprüche 2 bis 5, bzw. sind auch diese nicht erfinderisch.

5.9. Der Hilfsantrag der Beschwerdeführerin auf mündliche Verhandlung ist gegenstandslos geworden, da dem Hauptantrag stattgegeben wurde.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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