T 0271/84 (Gasreinigung) of 18.3.1986

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1986:T027184.19860318
Datum der Entscheidung: 18 März 1986
Aktenzeichen: T 0271/84
Anmeldenummer: 80300826.7
IPC-Klasse: C01B 3/16
Verfahrenssprache: EN
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE | EN | FR
Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Air Products
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: 1. Ist ein Verfahren seit über 20 Jahren trotz damit verbundener wirtschaftlicher Nachteile erfolgreich kommerziell durchgeführt worden und löst die beanspruchte Erfindung die technische Aufgabe der Beseitigung dieser Nachteile, so spricht dies für erfinderische Tätigkeit.
2. Eine Anspruchsänderung, die der Behebung eines Widerspruchs dient, verstösst nicht gegen Artikel 123(2) oder (3), wenn der berichtigte Anspruch dasselbe zum Ausdruck bringt wie die zutreffende Auslegung des bisherigen Anspruchs aufgrund der Beschreibung.
3. Im Einspruchsbeschwerdeverfahren neu eingeführte Einspruchsgründe und Beweisunterlagen können je nach ihrer Relevanz und dem Verfahrensstadium im Ausübung des Ermessens nach Artikel 114(2) ünberücksichtigt bleiben.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 114(2)
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 123(3)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit
Anspruchsänderung/zulässige, klärende
Unterlagen (neue) im Beschwerdeverfahren
Beschwerdeverfahren/neue Unterlagen
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0210/86
T 0172/88
T 0248/88
T 0372/89
T 0673/89
T 0214/91
T 0762/95
T 0336/96
T 0365/96
T 1011/96
T 0106/97
T 0774/97
T 0438/98
T 0494/98
T 1066/98
T 0853/02
T 0314/03
T 0369/03
T 0139/05
T 1433/05
T 2020/09
T 1147/11
T 1041/16

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 80 300 826.7, die am 19. März 1980 eingereicht worden war und die Priorität einer Voranmeldung in den Vereinigten Staaten vom 19. März 1979 in Anspruch nahm, wurde am 16. Februar 1983 das europäische Patent Nr. 16 631 mit neun Ansprüchen erteilt. Anspruch 1 lautete wie folgt:

1. Verfahren zur Entfernung von Schwefelwasserstoff und Kohlenoxysulfid aus einem Gasstrom, der durch Vergasung von Kohle oder einem schweren Kohlenwasserstofföl erzeugt wurde und unter anderem Wasserstoff, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Schwefelwasserstoff und Kohlenoxysulfid enthält, dadurch gekennzeichnet, daß der Gasstrom in einer ersten Absorptionsstufe mit einem physikalischen Absorbens gewaschen wird, das ein organisches, mit absorbiertem CO2 und H2S beladenes Lösungsmittel enthält, um nahezu den gesamten Schwefelwasserstoff, jedoch höchstens 65 % (Vol.-%) des Kohlenoxysulfids im Gasstrom zu entfernen, das die erste Absorptionsstufe verlassende Gas mit Wasserdampf in Gegenwart eines schwefelbeständigen Shift-Katalysators umgesetzt wird, um wenigstens einen Teil des darin enthaltenen Kohlenmonoxids in Wasserstoff umzuwandeln und das Kohlenoxysulfid zu Schwefelwasserstoff zu hydrolisieren, das verbliebene Gas in einer zweiten Absorptionsstufe mit dem absorbiertes CO2 enthaltenden physikalischen absorbens gewaschen wird, um nahezu den gesamten darin enthaltenen Schwefelwasserstoff zu entfernen, und das die zweite Absorptionsstufe verlassende Gas in einer dritten Absorptionsstufe mit dem physikalischen Absorbens gewaschen wird, um CO2 aus dem Gas zu absorbieren, wobei wenigstens ein Teil des physikalischen Absorbens aus der dritten Absorptionsstufe durch die zweite und die erste Absorptionsstufe strömt, dabei regeneriert und in die dritte Absorptionsstufe zurückgeführt wird.

II. Die Einsprechende legte am 9. November 1983 gegen das europäische Patent Einspruch ein und beantragte, daß es wegen Nichtpatentier barkeit infolge mangelnder erfinderischer Tätigkeit in vollem Umfang widerrufen wird. Dieser Einspruchsgrund wurde auf eine im Juni 1973 erschienene Vorveröffentlichung, einen Prospekt über ein "Rectisol scrubbing process" (1), und auf die Entgegenhaltung DE-A-2 548 700 (2) gestützt.

III. Die Einspruchsabteilung wies den Einspruch mit Entscheidung vom 8. Oktober 1984 zurück. Als Begründung gab sie an, die Entgegenhaltung 1 lege ein Verfahren nahe, bei dem buchstäblich alles Kohlenoxysulfid (COS) aus dem Gas entfernt werde, während die Entgegenhaltung 2 empfehle, das Gas zunächst einer Shiftreaktion zu unterziehen und das COS-freie Produkt dann zur Trennung der Komponenten mit Methanol zu behandeln. Keine der Enthaltungen beschreibe die teilweise Entfernung des COS aus dem Gas in der ersten Absorptionsstufe und damit eine wesentliche Senkung des Lösungsmittelbedarfs; es sei also nicht gerechtfertigt, die beiden Entgegenhaltungen zu kombinieren und dann die erfinderische Tätigkeit des in Frage stehenden Patents anzugreifen. Angesichts der Vorteile, die das beanspruchte Verfahren mit sich bringe, müsse der Angriff auf die Rechtsgültigkeit des Patents scheitern. Im Einspruchsverfahren machte die Einsprechende ferner mangelnde erfinderische Tätigkeit gegenüber der Entgegenhaltung DE-A-1 567 696 (3) geltend, die im Prüfungsverfahren genannt worden war; dieser Einwand wurde jedoch mit der Begründung zurückgewiesen, daß die Entgegenhaltung 3 sich nur auf die chemische Absorption von schwefelhaltigen Gasen beziehe und damit für die beanspruchte Erfindung, bei der es um einen physikalischen Absorptionsvorgang gehe, wohl kaum relevant sei.

IV. Die Einsprechende legte am 12. November 1984 unter Entrichtung der Beschwerdegebühr Beschwerde ein und reichte am 8. Februar 1985 eine Begründung nach. In dieser Begründung wurden zwei neue Entgegenhaltungen zur Stützung der Beschwerde angeführt, nämlich "Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie", 4. Ausgabe, Band 14, Seiten 426 und 427 ("Ullmann") (4) sowie LANDOLT-BÖRNSTEIN, 6. Ausgabe, Band IV, Teil 4/c, Seiten 5, 26, 27, 184, 185, 238, 255, 280, 281 und ein Diagramm (5). Am 18. März 1986 fand eine mündliche Verhandlung statt.

V. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) erklärte, es sei bekannt, daß Schwefelwasserstoff (H2S) und COS nach der chemischen Absorption von H2S in Kohlendioxid (CO2) und H2S umgewandelt werden könne (s. Entgegenhaltung 3). Die generelle Anwendbarkeit dieser Umwandlungsreaktion werde durch Ullmann (4) bestätigt und sei unabhängig davon, ob die Reaktion nach einer physikalischen oder einer chemischen Trennungsstufe durchgeführt werde. Die Entfernung des restlichen H2S und CO2 könne dann durch Extraktion mit dem in der Entgegenhaltung 2 vorgeschlagenen Lösungsmittel durchgeführt werden. Außerdem verlange der Anspruch, daß "nahezu der gesamte Schwefelwasserstoff" (d. h. mindestens 99 %) in der ersten Absorptionsstufe beseitigt werde. Die Bedingung, daß höchstens 65 % des COS gleichzeitig mit "nahezu dem gesamten H2S" (im obigen Sinne) absorbiert werden dürfe, sei in vielen Fällen nicht erfüllbar, wie aus Berechnungen nach dem Diagramm 5 hervorgehe.

VI. Die Beschwerdegegnerin wies nachdrücklich darauf hin, daß in den Entgegenhaltungen nirgendwo vorgeschlagen werde, die erste Extraktion in der beanspruchten Weise anzupassen.

Bei dem "Rectisol"-Verfahren (1) würden die schwefelhaltigen Verunreinigungen nahezu vollständig entfernt, was wegen der geringen Löslichkeit von COS große Mengen Lösungsmittel erfordere. Die Patentinhaberin habe entdeckt, daß COS wirksam umgewandelt werden könne, wenn der größte Teil des H2S erst einmal entfernt sei, und daß es nicht erforderlich sei, COS vollständig zu absorbieren. Die Lösungsmittelmenge könne so drastisch reduziert und nach dem Gegenstromprinzip, d. h. als Lösungsmittel mit einem gewissen H2S-und CO2-Gehalt, eingesetzt werden. Die Entgegenhaltungen offenbarten auch zusammengenommen nicht alle diese beanspruchten Merkmale des Verfahrens.

Auf Anregung der Kammer legte die Beschwerdegegnerin einen geänderten Anspruch, bei dem das Wort "nahezu" in Spalte 10, Zeile 1 durch die Worte "den größten Teil, aber nicht" ersetzt war, sowie eine entsprechende Änderung in Spalte 2, Zeile 23 der Beschreibung vor.

VII. Die Beschwerdegegnerin äußerte ferner erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit der Entgegenhaltungen 4 und 5, die von der Beschwerdeführerin zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereicht worden waren. Zweck des Beschwerdeverfahrens sei es, die Entscheidung der ersten Instanz zu überprüfen, und nicht, dem Einsprechenden Gelegenheit zu geben, neue Einspruchsgründe gegen das Patent vorzubringen. Die Einsprechende habe innerhalb der Einspruchsfrist von neun Monaten reichlich Zeit gehabt, der ersten Instanz Beweisunterlagen vorzulegen; deren Einführung im Beschwerdeverfahren könne für den Patentinhaber einen erheblichen Zeit- und Geldverlust nach sich ziehen. Die Zulassung dieser Beweisunterlagen verstoße gegen den vom Übereinkommen beabsichtigten Sinn und Zweck des Einspruchsverfahrens und könne Mißbräuchen Tür und Tor öffnen; so könne z. B. die Einführung neuer Beweisunterlagen im Beschwerdeverfahren das gesamte erstinstanzliche Verfahren gegenstandslos machen.

VIII. Am Schluß der Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents in der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten geänderten Fassung.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.

2. Gegen die Änderung des Hauptanspruchs ist formal nichts einzuwenden; sie ist sogar erforderlich, um einen Widerspruch zu beheben, der dadurch entsteht, daß sowohl bei der ersten als auch bei der zweiten Absorptionsstufe des Verfahrens dieselbe Formulierung "um nahezu den gesamten Schwefelwasserstoff zu entfernen" gebraucht wird (vgl. Spalte 10, Zeilen 1 und 2 und Zeilen 12 und 13). Eigentlich müßte dieselbe Formulierung in beiden Anspruchsteilen auch dieselbe Bedeutung haben.

Aus der Beschreibung des beanspruchten Verfahrens geht jedoch ganz eindeutig hervor, daß mit dieser Formulierung in der ersten und in der zweiten Absorptionsstufe nicht dasselbe gemeint ist. In der ersten Stufe wird aufgrund einer durch die begrenzte COS-Entfernung bedingten Gleichgewichtseinstellung und entsprechend den Anforderungen an den Katalysator nur ein größerer Teil des H2S entfernt (s. Spalte 3, Zeilen 46 -58 und Spalte 4, Zeilen 1 - 9), während die Absorption in der zweiten Stufe bis zur völligen Entfernung geführt werden konnte. Die Änderung stellt also keine Erweiterung des Anspruchs 1 dar, da dieser bei zutreffender Auslegung aufgrund der obengenannten Offenbarung, die auch dem Beispiel in Spalte 6, Zeilen 36 und 62 entspricht, das eine 88%ige Entfernung von H2S in der ersten Stufe demonstriert, vor seiner Änderung dasselbe zum Ausdruck brachte wie nunmehr in der geänderten Fassung. Der geänderte Anspruch 1 entspricht somit Artikel 123 (2) und (3) EPÜ. Außerdem hat die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung der Feststellung ausdrücklich zugestimmt, daß die vorgeschlagenen Änderungen zulässig sind und nicht gegen Artikel 123 verstoßen.

3. Zur Frage der Zulässigkeit der Entgegenhaltungen 4 und 5, die zusammen mit der Beschwerdebegründung und somit lange nach Ablauf der Einspruchsfrist von neun Monaten eingereicht worden sind, ist festzustellen, daß diese Entgegenhaltungen nicht die Grundlage für einen neuen Angriff auf die Patentierbarkeit des beanspruchten Verfahrens bilden. Die Entgegenhaltung 4, die von der Beschwerdegegnerin als Teil des allgemeinen Fachwissens anerkannt worden ist, offenbart einschlägige Verfahrenstechnik, die bei der Beurteilung des beanspruchten Verfahrens berücksichtigt werden sollte.

Die Entgegenhaltung 5 ist von der Beschwerdeführerin zur Stützung eines Arguments herangezogen worden, das sich in erster Linie auf den Umfang des beanspruchten Verfahrens bezieht.

Die Beschwerdegegnerin hat in ihrem Vorbringen gegen die Zulässigkeit dieser Entgegenhaltungen (s. VII) Grundsatzfragen allgemeiner Art aufgeworfen; in der mündlichen Verhandlung hat sie eingeräumt, daß sie durch eine Zulassung der Entgegenhaltungen 4 und 5 im vorliegenden Fall nicht ungebührlich benachteiligt würde und daß der Antrag der Beschwerdeführerin auf ihre Zulassung nicht als grober Verfahrensmißbrauch bezeichnet werden könne.

Die Kammer räumt durchaus ein, daß das Vorbringen neuer Einspruchsgründe und die Einführung neuer Beweisunterlagen nach Ablauf der Einspruchsfrist von neun Monaten (insbesondere je nach Relevanz der Beweisunterlagen und nach Verfahrensstadium) abgelehnt werden kann, hat jedoch im vorliegenden Fall in der mündlichen Verhandlung beschlossen, die Entgegenhaltungen 4 und 5 im Hinblick auf die obigen Ausführungen im Beschwerdeverfahren zuzulassen.

4. Das Argument, das beanspruchte Verfahren sei nicht nacharbeitbar und der Anspruch in seinem Umfang insofern unklar, als bei Entfernung von etwas mehr als 65 % COS in der ersten Extraktionsstufe von verschiedenen Lösungsmitteln buchstäblich das gesamte H2S aufgenommen werde, geht fehl. Wie bereits erwähnt, zeigt das Beispiel im Patent, daß nicht mehr als 88 % des H2S entfernt zu werden brauchen. Wenn dies möglich ist, bleibt der Prozentsatz der COS-Entfernung unter der Höchstgrenze von 65 %. In einigen Fällen gilt dies auch dann, wenn die Entfernung von H2S einen hohen Wert erreicht. Der Fachmann hat bei der Einstellung z. B. des Verteilungskoeffizienten, des Druckes und der Temperatur einen gewissen Spielraum, innerhalb dessen er die in dem Anspruch genannten Ergebnisse erzielen kann. Jede diesbezügliche Unsicherheit ist jedenfalls durch die Änderung des Hauptanspruchs beseitigt worden.

5. Gegenstand des Patents ist die Reinigung von durch Vergasung von Kohle und schwerem Kohlenwasserstofföl erzeugtem Gas, insbesondere die Entfernung schwefelhaltiger Verunreinigungen. Ein kommerziell erfolgreiches Verfahren dieser Art ist das "Rectisol"-Verfahren (1), das den nächstliegenden Stand der Technik bildet. Bei diesem Verfahren werden zunächst sämtliche schwefelhaltigen Verunreinigungen, d. h. H2S und COS, durch Extraktion mit entsprechenden Mengen von Methanol entfernt, und dann wird das Gas in Gegenwart eines Katalysators mit Dampf behandelt, um das Kohlenmonoxid (CO) in CO2 zu überführen.

6. Die technische Aufgabe gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik bestand darin, das Verfahren dadurch wirtschaftlicher zu gestalten, daß der Material- und Energiebedarf reduziert wird, der mit der Verwendung großer Mengen des Absorbens verbunden ist. Bei der beanspruchten Lösung der Aufgabe werden die Bedingungen der Extraktion mit dem ersten Lösungsmittel, d. h. die Volumenverhältnisse, die Temperatur und der Druck, so eingestellt, daß nur ein größerer Teil des H2S und höchstens 65 % des COS entfernt werden. Außerdem wird das in dem Gas enthaltene COS zusammen mit CO in der darauffolgenden Stufe mit Dampf in Gegenwart eines schwefelbeständigen Shift-Katalysators umgesetzt. Die dabei anfallenden kleinen Mengen H2S und das gesamte CO2 werden dann nach dem Gegenstrom prinzip mit frischem Lösungsmittel extrahiert, das anschließend mit seinem CO2- und H2S-Gehalt teilweise wieder direkt in die erste Stufe eingespeist wird. Die Kombination dieser Bedingungen bewirkt offensichtlich, daß der Lösungsmittelfluß und damit der Energiebedarf für das Pumpen gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik erheblich reduziert werden kann (s. Angaben in Spalte 1, Zeile 32 bis Spalte 2, Zeile 11 der Beschreibung, die von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten worden sind). Offensichtlich ist die technische Aufgabe damit gelöst worden. Da kein Dokument vorliegt, das alle Merkmale des beanspruchten Verfahrens enthält, ist dieses neu. Dies ist auch nicht bestritten worden.

7. Was die Frage der erfinderischen Tätigkeit anbelangt, so werden bei den bekannten Verfahren entweder alle schwefelhaltigen Verunreinigungen sofort entfernt (vgl. nächstliegenden Stand der Technik (1)), oder es wird zunächst alles CO einer Shift-Reaktion unterzogen, bevor die "sauren" Verunreinigungen, also H2S und CO2, mit Methanol oder ähnlichen Lösungsmitteln entfernt werden (vgl. Entgegenhaltung 2 und auch das in der Entgegenhaltung US-A-3 505 784 beschriebene ursprüngliche "Purisol"-Verfahren). Bei der ersteren Lehre sind sehr große Mengen Lösungsmittel erforderlich, um tatsächlich alles COS zu entfernen (d. h. bis auf weniger als 1 ppm in Entgegenhaltung 1), bevor die Shift-Reaktion durchgeführt wird, um den hohen CO-Anteil des Gases in CO2 umzu wandeln. Anscheinend ist dieses Verfahren (d. h. das Verfahren der Beschwerdeführerin) schon vor dem Prioritätstag der vorliegenden Anmeldung über 20 Jahre lang trotz des damit verbundenen Nachteils erfolgreich kommerziell angewandt worden.

8. Bei dem in Entgegenhaltung 2 beschriebenen Alternativverfahren wird das aus einem Umwandler kommende Gas mit einem Lösungsmittel behandelt, um H2S, CO2 und wahrscheinlich auch andere Verunreinigungen zu entfernen. Die vorliegende Erfindung folgt weder dem "Rectisol"- noch dem "Purisol"-Verfahren, sondern arbeitet mit einer besonders angepaßten Extraktionsstufe und einer daran anschließenden besonderen Umwandlungstechnik, die sich beide von den in den früheren Verfahren verwendeten unterscheiden. Der erste Unterschied besteht in der Abweichung von der üblichen Praxis, die schwefelhaltigen Verunreinigungen gemeinsam zu behandeln; es wird nämlich eine teilweise Trennung versucht, wodurch sich die Anteile der Komponenten ändern. Der zweite Unterschied liegt darin, daß das CO anschließend zusammen mit dem COS umgewan delt wird, das im Gas vorliegt, wenn der H2S-Anteil zwar reduziert, aber nicht vollständig entfernt worden ist. Obwohl eine solche gemeinsame Umwandlung aus Ullmann (4) bekannt war, deutete sich der Vorteil der beschriebenen Behandlung des im Gas enthaltenen H2S nicht speziell an (vgl. Spalte 1, Zeilen 49 - 55). Die teilweise Trennung von H2S und COS vor der Umwandlung war nirgendwo offenbart, und die vollständige Entfernung von H2S mit einem alkalischen, d. h. chemischen Absorbens (Entgegenhaltung 3) konnte kaum als nachahmenswertes Vorbild für die weitaus weniger perfekten physikalischen Trennungssysteme dienen.

9. Die beiden durch die Entgegenhaltungen 1 und 2 dargestellten Grundtechniken erschienen wohl eher unvereinbar und ließen nicht darauf schließen, daß ihre Kombination einen Vorteil, geschweige denn die Lösung der bestehenden technischen Aufgabe bringen würde. Der Umstand, daß diese Verfahren mit ihren offensichtlichen Nachteilen schon seit geraumer Zeit zum Stand der Technik gehörten, spricht dafür, daß kein Grund vorlag, die Entgegenhaltungen 1, 2 und 3 zu kombinieren. Insbesondere scheint es, daß der Beschwerdeführerin der gesamte einschlägige Stand der Technik schon einige Jahre vor dem Prioritätstag des europäischen Patents bekannt war und sie trotzdem nicht auf den Gedanken gekommen war, den - wie sie nun behauptet - naheliegenden Schritt von ihrem Rectisol-Verfahren zu dem beanspruchten Verfahren zu tun. Die erstrebte vorteilhafte Wirkung einer Kostenersparnis durch eine Reduzierung der Lösungsmittelmengen und der Regenerierungskosten war demnach unter diesen Umständen nicht vorhersehbar. Wie in der Mechanik, so sind auch in der Chemie neue Verfahrenstechniken oft das Ergebnis einer Kombination bekannter Bestandteile, deren Wirkungsweise im nachhinein ohne weiteres ersichtlich ist. In keinem der bekannten Dokumente, die einzelne Aspekte des beanspruchten Verfahrens aufweisen, wird diese neue Wirkung angedeutet oder angestrebt, mit der die technische Aufgabe, nämlich die spezifische Teiltrennung und die anschließende Reduzierung des Lösungsmittelbedarfs, gelöst wird. Der Gegenstand des Anspruchs 1 und der davon abhängigen Ansprüche weist somit eine erfinderische Tätigkeit auf. Da die Beschwerdeführerin die vorgeschlagenen Änderungen des Anspruchs 1 nicht beanstandet hat und mit den Änderungsgründen vertraut ist, hält es die Kammer nicht für erforderlich, den Beteiligten eine Frist zur Stellungnahme nach Regel 58 (4) EPÜ einzuräumen (vgl. T 219/83 vom 26. November 1985 Zeolithe/BASF, Leitsatz II, ABl EPA 1986, 211).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird mit den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Änderungen aufrechterhalten.

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