T 0170/83 (Abbuchungsauftrag III) of 12.9.1984

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1984:T017083.19840912
Datum der Entscheidung: 12 September 1984
Aktenzeichen: T 0170/83
Anmeldenummer: 78300803.0
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: EN
Verteilung:
Download und weitere Informationen:
PDF nicht verfügbar
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE | EN | FR
Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Mobil Oil
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: Wurde durch ein Versehen für einen Abbuchungsauftrag ein für ein nationales Amt bestimmtes Formular gewählt und sind dadurch in ihm unzutreffende Angaben (z.B. Adressat, Kontonummer, Betrag) enthalten, so ist der Abbuchungsauftrag jedenfalls dann wirksam, wenn das Formular Angaben enthält, die einer EPA-Akte zugeordnet werden können (hier: Patentnummer), anhand deren die zutreffenden Angaben zweifelsfrei zu erkennen sind, und wenn damit die Umstände eindeutig ergeben, dass dieses Formular an das Europäische Patentamt gerichtet war.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 14(4)
European Patent Convention 1973 Art 14(5)
European Patent Convention 1973 Art 104(1)
European Patent Convention 1973 Art 112
European Patent Convention 1973 R 88
Arrangements for deposit accounts (Vorschriften über das laufende Konto)
Schlagwörter: Abbuchungsauftrag - Wertung der Umstände
Kosten der mündlichen Verhandlung - Auferlegung
Befassung der Großen Beschwerdekammer
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0014/12
T 0079/88
T 0544/94
T 0806/99
T 0778/00
T 0079/01
T 0684/02
T 0065/05
T 0971/05
T 0361/06
T 1167/06
T 1265/10
T 2364/12
T 0851/18
T 3023/18
T 1474/19
T 1146/20

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin, vertreten durch einen zugelassenen Vertreter, hat am 21. Januar 1983 - dem letzten Tag der Einspruchsfrist gegen das europäische Patent 0 002 606 - Einspruch eingelegt. Das betreffende Schreiben enthält die Nummer des europäischen Patents, die Anmeldenummer, die Bezeichnung der Patentinhaberin, den Antrag auf Widerruf des Patents sowie eine Einspruchsbegründung. Nach der Unterschrift folgt ein Hinweis des zugelassenen Vertreters auf seine Allgemeine Vollmacht und außerdem folgender Text: "Anlagen: Abbuchungsauftrag" ("Anlagen" unterstrichen).

Als Anlage beigefügt war ein in niederländischer Sprache abgefaßtes Abbuchungsformular des niederländischen Patentamts. In dem Formblatt wird vom zugelassenen Vertreter durch Unterschrift dem "niederländischen Patentamt" Abbuchungsauftrag erteilt und ist maschinenschriftlich folgendes eingefügt: als Zahlungszweck Einspruch gegen die Patenterteilung für die "niederländische Patentanmeldung 0 002 606" sowie der Name der Patentinhaberin, das Referenzzeichen der obengenannten Einspruchsschrift und der Betrag von 355,- hfl, der der Gebühr für einen Einspruch beim niederländischen Patentamt entspricht. Nachdem der Vertreter der Einsprechenden am 4. Februar 1983 durch das niederländische Patentamt telefonisch auf diese Umstände aufmerksam gemacht worden war, erteilte er dem EPA durch Fernschreiben vom 7. Februar 1983 einen Abbuchungsauftrag für eine Einspruchsgebühr in Höhe von 520,- DM.

II. Die Formalprüfungsstelle der Generaldirektion 2 des EPA teilte dem Vertreter der Einsprechenden mit Formschreiben vom 11. Februar 1983 mit, daß der Einspruch als nicht erhoben gelte, weil die Gebühr nicht rechtzeitig gezahlt worden sei. Daraufhin beantragte der Vertreter eine Berichtigung des Abbuchungsauftrags nach Regel 88 und eine Entscheidung nach Regel 69(2) EPÜ.

III. Mit Entscheidung vom 13. Juli 1983 stellte die Formalprüfungsstelle des EPA nach Regel 69(2) fest, daß der Einspruch wegen verspäteter Zahlung der Gebühr als nicht eingelegt gelte. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß das als Anlage zur Einspruchsschrift beim EPA eingegangene und in der dargelegten Weise ausgefüllte Abbuchungsformular des niederländischen Patentamts nicht als gültiger Abbuchungsauftrag im Sinne der "Vorschriften über das laufende Konto" (ABl. EPA 1982, 15; nachfolgend: VLK) angesehen werden könne. Auch wenn der Vertreter der Einsprechenden seine Absicht, die Gebühr zu zahlen, habe erkennen lassen, könne dies nicht als Ersatz für die Erfüllung der für eine gültige Zahlung notwendigen Förmlichkeiten angesehen werden. Eine Berichtigung des Abbuchungsauftrags nach Regel 88 EPÜ sei nicht möglich, da dieser an das niederländische Patentamt gerichtet gewesen sei und auch der angegebene Betrag von 355,- hfl keiner Gebühr beim EPA entspreche.

IV. Gegen diese Entscheidung legte der Vertreter der Einsprechenden am 8. September 1983 unter Zahlung der Gebühr Beschwerde ein und begründete diese zugleich.

V. Die Patentinhaberin und die Einsprechende wurden vom Berichterstatter der Kammer darauf hingewiesen, daß an diesem Verfahren in der Beschwerdeinstanz auch die Patentinhaberin beteiligt sei. Beide wurden auf die inzwischen ergangenen Entscheidungen "Abbuchungsauftrag I" (T 152/82 in ABl. EPA 1984, 301) und "Abbuchungsauftrag II" (T 17/83 in ABl. EPA 1984, 306) aufmerksam gemacht; insbesondere wurde der Patentinhaberin Gelegenheit zur Äußerung und zur Stellung von Anträgen gegeben.

VI. Auf Antrag der Patentinhaberin fand am 24. Mai 1984 eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Die Kammer entschied, daß sie ihre Entscheidung schriftlich treffen werde.

VII. Im Rahmen des schriftlichen und mündlichen Vorbringens der Beteiligten wurde die Frage eingehend erörtert, ob Regel 88 Satz 1 EPÜ überhaupt auf Abbuchungsaufträge angewandt werden könne und - falls dies zu bejahen sei - im vorliegenden Fall das niederländische Formblatt nebst den darin enthaltenen Eintragungen (vgl. Nr. I) so berichtigt werden könne, daß es einen gültigen Abbuchungsauftrag entsprechend VLK darstelle. In diesem Zusammenhang machte die Patentinhaberin geltend, daß Regel 88 Satz 1 EPÜ schon deshalb nicht zugunsten der Einsprechenden angewandt werden könne, weil das in niederländischer Sprache abgefaßte Abbuchungsformular nach Artikel 14(5) EPÜ als nicht eingegangen gelte und daher auch nicht nach dieser Regel berichtigt werden könne.

VIII. Die Beschwerdeführerin bezog sich im wesentlichen auf die Entscheidung "Abbuchungsauftrag II" und vertrat die Auffassung, daß ihre Einspruchsschrift bereits in erkennbarer Weise einen Willen zur Zahlung zum Ausdruck bringe und die beigefügte Anlage erkennbar mache, welche Art von Versehen unterlaufen sei. Die Beschwerdeführerin und Einsprechende beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben.

IX. Die Beschwerdegegnerin und Patentinhaberin beantragt,

1. die Beschwerde zurückzuweisen;

2. unabhängig vom Ausgang des Verfahrens ihr die durch die mündliche Verhandlung verursachten Kosten zu erstatten;

3. hilfsweise zu 1 die Große Beschwerdekammer mit folgender Rechtsfrage zu befassen:

"Gilt ein rechtzeitig beim EPA eingereichter Einspruch, dem eine Anlage beiliegt, die vom Einsprechenden als Abbuchungsauftrag für die Einspruchsgebühr gedacht, aber vom EPA nicht als solcher erkannt wird, als eingelegt i.S.v. Artikel 99(1) EPÜ?" Die Beschwerdegegnerin legte dar, daß der vorliegende Fall von den Fällen "Abbuchungsauftrag I und II" abweiche. Ein gültiger Abbuchungsauftrag i. S. v. Nummer 6.2 VLK liege in der Einspruchschrift allein nicht vor. Die Erfordernisse der Nummern 6.1 und 6.3 VLK (Angabe eines Betrags, Angabe des Zahlungszwecks und Nummer des Kontos) seien nicht erfüllt. In der Einspruchsschrift und ihrer Anlage könne bestenfalls die Absicht einer Zahlung, nicht aber eine Zahlung i. S. v. Nummer 6.3 Satz 3 VLK gesehen werden. Durch die Tatsache, daß die Beamten des EPA in der Einspruchsschrift und ihrer Anlage keinen Abbuchungsauftrag erkannt hätten, sei auch bewiesen, daß von der Eindeutigkeit i. S. der Entscheidung "Abbuchungsauftrag I" (Leitsätze II und III) hier nicht gesprochen werden könne. Der vorliegende Fall entspreche im Sachverhalt der Entscheidung J 03/81 (ABl. EPA 1982, 100), wo in Leitsatz III gesagt ist, daß eine Gebühr erst dann als entrichtet gilt, wenn das EPA einen Abbuchungsauftrag über die betreffende Summe zur Entrichtung dieser Gebühr erhalten hat. Die Anerkennung der Rechtzeitigkeit des Einspruchs im vorliegenden Fall sei daher ein Verstoß gegen das Europäische Patentübereinkommen.

Entscheidungsgründe

1. Die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung ist eine Entscheidung über den Eintritt eines Rechtsverlusts nach Regel 69(2) EPÜ. Der Rechtsverlust würde darin bestehen, daß der Einspruch nach Artikel 99(1) Satz 3 EPÜ als nicht erhoben gilt (zu dieser Fiktion - dargelegt am Fall der Beschwerde - siehe die Entscheidung J 21/80 vom 26. Februar 1981, ABl. EPA 1981, 101). Die Entscheidung wurde vom Formalsachbearbeiter des EPA aufgrund der ihm entsprechend der Nummer 4 der Mitteilung vom 8. Januar 1982 (ABl. EPA 1982, 61) erteilten Ermächtigung getroffen.

Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.

2. Nach der bisherigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann eine fällige Gebühr nicht allein dadurch als gezahlt angesehen werden, daß die betreffende Person beim EPA ein Abbuchungskonto mit ausreichendem Guthaben unterhält (J 03/81 vom 7. Dezember 1981, ABl. EPA 1982, 100). Mit der Entscheidung T 152/82 vom 5. September 1983 ("Abbuchungsauftrag I", ABl. EPA 1984, 301) wurde ein ansonsten korrekter Abbuchungsauftrag als dahingehend eindeutig angesehen, daß nicht die Abbuchung des angegebenen Betrags (frühere Gebühr), sondern des inzwischen erhöhten Gebührenbetrags gemeint war. In der Entscheidung T 17/83 vom 20. September 1983 ("Abbuchungsauftrag II", ABl. EPA 1984, 306) wurde die Erklärung eines Beschwerdeführers in der Beschwerdeschrift, er habe bereits Abbuchungsauftrag erteilt, selbst als Abbuchungsauftrag gewertet.

3. Die "Vorschriften über das laufende Konto" (ABl. EPA 1982, 15) bezeichnen unter den Nummern 6.1 bis 6.3 verschiedene Erfordernisse des Abbuchungsauftrags. Diese Erfordernisse haben hinsichtlich der Bewirkung der Zahlung i. S. v. Nummer 6.3 Satz 3 nicht dieselbe Bedeutung. Hinsichtlich der Nummer 6.1 ist zunächst zu wiederholen (vgl. Entscheidung "Abbuchungsauftrag I", Gründe, Nr. 6), daß hier nicht die Angabe der zu belastenden "Beträge" in ihrer jeweiligen Höhe gefordert, sondern - wie der englische und der französische Text besser erkennen lassen - das Abbuchungskonto in seiner Zweckbestimmung begrenzt wird ("Entrichtung von Gebühren oder Auslagen"). Die schriftliche bzw. fernschriftliche Form nach Nummer 6.2 ist dagegen ein wesentliches Erfordernis. Unter Nummer 6.3 wird außerdem gefordert, daß der Abbuchungsauftrag "die notwendigen Angaben über den Zweck der Zahlung" enthält (siehe im folgenden Nr. 5).

4. Somit stellt sich erneut die Frage, (vgl. die genannten Entscheidungen "Abbuchungsauftrag I und II"), welches - ungeachtet aller Formfragen - die Wesensmerkmale eines Abbuchungsauftrags sind, was also dem EPA vorliegen muß, damit es über bei ihm deponiertes Geld durch Abbuchung verfügen kann und somit eine Zahlung als i. S. v. Nummer 6.3 Satz 3 VLK an einem bestimmten Tag erfolgt gilt.

5. Die Zahlung über Abbuchungskonto unterscheidet sich wesentlich von anderen Zahlungsformen. Im Falle des Abbuchungsauftrags sind (abgesehen von Fällen der Konto-Unterdeckung i. S. v. Nummer 6.4 ff. VLK) Geldmittel bereits beim EPA vorhanden; es bedarf nur noch einer rechtzeitigen Ermächtigung des EPA, damit dieses darüber für einen ganz bestimmten Zahlungszweck verfügen kann. Bei Zahlungen in anderer Weise (Eingang von Geld oder Zahlungsmitteln) genügt der rechtzeitige Eingang eines ausreichenden Betrags. Der Zahlungszweck hingegen kann nach Artikel 7(2) GebO im nachhinein bestimmt werden, obwohl in Artikel 7(1) GebO die Angabe des Zahlungszwecks bereits als notwendiges Erfordernis der Zahlung gefordert wird.

6. Beim Abbuchungskonto liegt also das Problem nicht im Vorhandensein bzw. rechtzeitigen Eingang von Geld, sondern in der rechtzeitigen Ermächtigung des EPA, über vorhandenes Geld für einen ganz bestimmten Zahlungszweck zu verfügen. Mit der Unterhaltung eines Abbuchungskontos wird zwischen dem Kontoinhaber und dem EPA ein besonderes Rechtsverhältnis begründet; dementsprechend kann sich die notwendige rechtzeitige Ermächtigung zur Verfügung über das deponierte Geld - trotz mancher Formmängel - auch aus einer Wertung der Umstände ergeben. Eine aus den gegebenen Umständen abzuleitende Ermächtigung des EPA zur Verfügung über das bei ihm hinterlegte Geld setzt zunächst voraus, daß der Auftraggeber (Kontoinhaber) bekannt und eindeutig erkennbar ist, daß ganz bestimmte, in einem bekannten Verfahren vor dem EPA fällige Gebühren im Wege der Abbuchung (und nicht etwa in einer noch offenstehenden Weise) gezahlt werden sollen. Am Kontoinhaber und seinem konkreten Willen darf also kein Zweifel bestehen. Darüber hinaus müssen die Umstände so sein, daß sich das EPA als ermächtigt ansehen kann und muß, die Abbuchung ohne weitere Rückfragen vorzunehmen.

7. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt folgendes: Das unterschriebene Abbuchungsformular, das aufgrund der notwendigen organisatorischen Gliederung des EPA von der Einspruchsschrift abgetrennt und der Kasse zugeleitet wird, ist nach seiner Form, Sprache, Kontonummer und Währung an das niederländische Patentamt gerichtet. In der Rubrik, die den Zahlungszweck näher bezeichnet, wird auf den beigelegten Einspruchsschriftsatz gegen die Erteilung eines Patents hingewiesen, das auf die Firma Mobil Oil Corporation lautet. Das Patent, gegen das eingesprochen wird, ist mit "niederländische Patentanmeldung Nr. 0 002 606" angegeben. Eine Nummer dieser Art und Größe entspricht offensichtlich weder einer mit beiden Endziffern des Einreichungsjahres bezeichneten niederländischen Patentanmeldung noch einem zu diesem Zeitpunkt durch Einspruch angreifbaren niederländischen Patent; die niedrige Seriennummer deutet vielmehr auf eine Patentnummer eines noch nicht lange bestehenden Amts wie des EPA hin. Dies um so mehr, als in der benachbarten Rubrik das Referenzzeichen des Anmelders "OEP 1358" aufgeführt ist, das auf einen Einspruch (O = opposition) gegen ein europäisches Patent (EP) hinweist. Diese Referenznummer allein hätte allerdings der Kasse keine Zuordnung des Formulars zu einem bestimmten gebührenpflichtigen Vorgang im EPA ermöglicht, weil solche - üblicherweise jedem Schriftsatz beigefügten - Referenznummern nicht ermittelt werden können. Hingegen konnte die Zuordnung aufgrund der angegebenen Endnummer 2 606, die als Patentnummer gedeutet werden konnte, durch einfache und zumutbare Rückfrage bei der Registratur oder durch Überprüfung der bibliographischen Daten auf dem Datensichtgerät erfolgen. Eine solche Überprüfung hätte das Bestehen eines europäischen Patents unter der angegebenen Nummer für den angegebenen Inhaber mit einer offenen Einspruchsfrist ergeben. Diese hätte in Zusammenhang mit dem Einspruchsschriftsatz geklärt, daß die auf den ersten Blick verwirrenden Angaben im Formular auf einem offensichtlichen Kanzleiversehen - der Verwendung eines Abbuchungsvordrucks des niederländischen Patentamts anstatt eines Vordrucks des EPA - beruhten.

Bei Würdigung aller am Tag des Eingangs des Abbuchungsauftrags erkennbaren Umstände bestand kein Zweifel daran, daß dieser an das EPA gerichtet war und daß die Beschwerdeführerin mit ihm beabsichtigte, die Einspruchsgebühr in zutreffender Höhe zu entrichten. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin handelt es sich daher nicht um eine bloß gewollte, sondern um eine tatsächlich getätigte Zahlung. Damit lag am letzten Tag der laufenden Einspruchsfrist, also rechtzeitig, eine wirksame Einspruchsschrift vor. Der Einspruch gilt daher i. S. v. Artikel 99(1) letzter Satz EPÜ als eingelegt. Der Umstand, daß im vorliegenden Fall die Kasse das Formular an das niederländische Patentamt weitergesandt und die Formalprüfungsstelle eine andere Wertung des Sachverhalts vorgenommen hat, ist auf eine unvollständige Wertung des maßgebenden Sachverhalts zurückzuführen.

8. Die Beschwerdegegnerin sieht das in niederländischer Sprache abgefaßte Abbuchungsformular als ein Schriftstück an, das gemäß Artikel 14(4) EPÜ übersetzungsbedürftig sei. Da keine Übersetzung erfolgt sei, gelte es nach der in Artikel 14(5) EPÜ vorgesehenen Sanktion als nicht eingegangen. Dem kann sich die Kammer nicht anschließen. Bei der Führung des laufenden Kontos handelt es sich um eine Dienstleistung des Amtes, die außerhalb des Erteilungs- oder Einspruchsverfahrens steht (vgl. zu Zahlungen allgemein: Rechtsauskunft Nr. 6/80, ABl. EPA 1980, 303). Diese Dienstleistung wird nach besonderen Vorschriften erbracht, zu deren Erlaß der Präsident des EPA in Artikel 5(2) GebO ermächtigt ist. Dabei ist er nicht an die für das Erteilungs- und Einspruchsverfahren geltenden Grundsätze des Übereinkommens gebunden. Daher konnte abweichend von Regel 36(5) vorgesehen werden, daß die Zahlung durch Fernschreiben ohne Bestätigung vorgenommen werden kann (Nr. 6.2 VLK). Abweichend von Artikel 6(4) GebO kann die Zahlung nur in Deutschen Mark, nicht aber in den festgesetzten Gegenwerten erfolgen (Nr. 3 VLK). Auch für die Regelung der Amts - und Verfahrenssprache in Artikel 14 EPÜ besteht keine Bindung. Ein Zahlungsbeleg braucht überhaupt keinen Text zu enthalten, der in einer Sprache abgefaßt ist. Er kann z. B. ausschließlich aus Zahlen und allgemeinverständlichen Abkürzungen (z.B. Währung, Gesetzesbestimmung) bestehen, ohne daß deswegen Unklarheiten auftreten müssen. Der vorliegende Abbuchungsauftrag kann nach Überzeugung der Kammer auch ohne seine Textbestandteile in seinem notwendigen Erklärungsinhalt verstanden und von der Kasse ausgeführt werden. Die Frage, ob ein wirksamer Abbuchungsauftrag auch in einer Nicht-Amtssprache vorgenommen werden kann, stellt sich daher hier nicht.

Aus der Tatsache, daß die Führung des laufenden Kontos nicht Bestandteil des Erteilungs- oder Einspruchsverfahrens ist, ergibt sich umgekehrt, daß entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin Regel 88 Satz 1 EPÜ in diesem Bereich nicht anwendbar ist. Die Bewirkung einer Zahlung ist ein tatsächlicher Vorgang, d. h. daß dem EPA zum maßgebenden Zeitpunkt ein bestimmter Betrag verfügbar gemacht wird (Art. 9(1) Satz 1 GebO). Dies gilt auch für Zahlungen über das laufende Konto. Mit diesem faktischen Charakter der Zahlung wäre es nicht vereinbar, wenn ein Beteiligter auf dem Weg über einen Berichtigungsantrag nachträglich eine tatsächlich nicht erfolgte Zahlung als rechtzeitig bewirkt fingieren könnte.

9. Die Kammer sieht keinen Anlaß, die Kosten der auf Antrag der Beschwerdegegnerin und Patentinhaberin durchgeführten mündlichen Verhandlung der Beschwerdeführerin und Einsprechenden aufzuerlegen. Es trifft zwar zu, daß im Büro des Vertreters der Einsprechenden ein Versehen unterlaufen ist, durch das eine langwierige Formalprüfung nebst anschließender Beschwerde verursacht wurde, und daß dadurch auch der Beschwerdegegnerin Kosten entstanden sind. Artikel 104(1) EPÜ legt aber fest, daß im Einspruchsverfahren jeder Beteiligte seine Kosten selbst trägt. Ein Abweichen von diesem Grundsatz bedarf besonderer Umstände, etwa eines mißbräuchlichen Verhaltens, die eine einseitige Kostenauferlegung billig erscheinen lassen. Solche Umstände werden sich in aller Regel aus dem prozessualen Verhalten eines Beteiligten ergeben. Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin lediglich versucht, den durch ein Kanzleiversehen drohenden Rechtsverlust durch Anrufung der Beschwerdekammer abzuwenden. Das rechtfertigt noch nicht den Vorwurf, daß sie der Beschwerdegegnerin in vorwerfbarer Weise überflüssige Kosten verursacht hat (vgl. Mathély, Le Droit Européen des Brevets d'Invention, Paris 1978, S. 311; Singer, Das Neue Europäische Patentsystem, Baden-Baden 1979, S. 79).

10. Für eine Befassung der Großen Beschwerdekammer mit der von der Beschwerdegegnerin formulierten Frage besteht kein Anlaß, weil die Kammer auf der Linie der bisherigen Entscheidungen der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (siehe Nr. 2) bleibt.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen.

2. Der Antrag, die Kosten der mündlichen Verhandlung der Beschwerdeführerin und Einsprechenden aufzuerlegen, wird abgelehnt.

3. Der Antrag auf Befassung der Großen Beschwerdekammer wird abgelehnt.

Quick Navigation