T 0361/06 (Steuerungssystem/PILZ) of 30.4.2008

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2008:T036106.20080430
Datum der Entscheidung: 30 April 2008
Aktenzeichen: T 0361/06
Anmeldenummer: 00951288.0
IPC-Klasse: G05B 19/05
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Steuerungssystem zum Steuern von sicherheitskritischen Prozessen
Name des Anmelders: PILZ GmbH & Co.
Name des Einsprechenden: Phoenix Contact GmbH & Co. KG
Kammer: 3.5.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention Art 54(3)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
European Patent Convention 1973 Art 112(1)
European Patent Convention Art 104
European Patent Convention 1973 Art 139(2)
European Patent Convention 1973 Art 54(3)
European Patent Convention 1973 Art 158(1)
European Patent Convention 1973 R 55(c)
Schlagwörter: Neuheit und erfinderische Tätigkeit - bejaht gegenüber den aus dem Einspruchsverfahren bekannten Dokumenten
Zurückverweisung an die erste Instanz
Antrag auf anderweitige Kostenverteilung - zur Entscheidung zurückverwiesen
Antrag auf Vorlage von Fragen an die Große Beschwerdekammer - abgelehnt
Orientierungssatz:

Vgl. Nr. 6 bis 6.8 der Entscheidungsgründe

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/91
J 0021/82
T 0170/83
T 1019/92
T 0113/96
T 0758/99
T 1182/01
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0078/11

Sachverhalt und Anträge

I. Ein Einspruch wurde gegen das europäische Patent Nr. 1188096 in seiner Gesamtheit gestützt auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 54 und 56 EPÜ eingelegt. Die Einspruchsabteilung hat in ihrer Entscheidung vom 16. Januar 2006 den Einspruch zurückgewiesen.

In ihrer Entscheidung berücksichtigte die Einspruchsabteilung die Dokumente

E1: DE 199 04 893 A

E2: Baginsky et al.: "Interbus-S - Grundlagen und Praxis", Hüthig Verlag, 1994, Seiten 27, 40, 41

E3: DE 197 42 716 A

E4: DE 197 54 769 A

und entschied, dass der Einspruch zulässig war und dass der beanspruchte Gegenstand die erforderliche Neuheit und erfinderische Tätigkeit gegenüber den Lehren dieser Dokumente aufwies.

II. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) mit einem am 6. März 2006 eingegangenen Schreiben Beschwerde ein. Die Beschwerde wurde mit einem am 16. Mai 2006 eingegangenen Schreiben begründet. Es wurde beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent vollständig zu widerrufen. Hilfsweise wurde eine mündliche Verhandlung beantragt. Es wurde erstmalig auf die Dokumente

EB1: WO 00/79352 A2

EB2: EP 1 192 511 B1

EB3: WO 00/76136 A2

Bezug genommen, wobei zu EB3 keinerlei sachliche Ausführungen gemacht wurden und EB2 das aus EB1 hervorgegangene europäische Patent ist.

III. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat in einem am 10. Oktober 2006 eingegangenen Schreiben beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Hilfsweise wurde eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Vorinstanz "zur weiteren Verhandlung" beantragt. Ferner wurde hilfsweise beantragt, das Patent auf der Basis der Ansprüche gemäß beigefügtem Hilfsantrag 1 und weiter hilfsweise auf Basis der Ansprüche gemäß beigefügtem Hilfsantrag 2 beschränkt aufrecht zu erhalten. Außerdem wurde hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt.

In ihrem Schreiben hat die Beschwerdegegnerin unter anderem vorgebracht, dass der Einspruch unzulässig sei, da er die Erfordernisse der Regel 55 c) EPÜ 1973 nicht erfülle. Der Antrag auf Zurückverweisung an die Vorinstanz wurde damit begründet, dass bei einer Berücksichtigung der neu eingereichten Dokumente EB1-EB3 die Patentinhaberin als Beschwerdegegnerin in ihren Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkt sei. Es wurde darauf hingewiesen, dass diese drei Dokumente eigene Patentanmeldungen bzw. Patente der Beschwerdeführerin seien.

IV. Die Kammer hat die Parteien mit Bescheid vom 21. Januar 2008 zur mündlichen Verhandlung geladen und in einer Mitteilung nach Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern zur Sache vorläufig Stellung genommen.

V. In einem am 28. März 2008 eingegangenen Schreiben hat die Beschwerdegegnerin ihre vorhergehenden Anträge bestätigt und weiterhin hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der schon am 10. Oktober 2006 eingegangenen Hilfsanträge 3 und 4 beantragt.

VI. Die Beschwerdeführerin bestätigte in einem am 31. März 2008 eingegangenen Schreiben ihre vorhergehenden Anträge und äußerte sich zu dem zuvor eingereichten Dokument EB3.

VII. In der mündlichen Verhandlung, die am 30. April 2008 vor der Kammer stattfand, überreichte die Beschwerdeführerin folgende Fragen zur Vorlage an die Große Beschwerdekammer:

1. "Gibt es Möglichkeiten unter den Regelungen des EPÜ, nachveröffentlichte, jedoch vorangemeldete oder [sic] Rechte mit besserem Zeitrang im Einspruchs- oder Einspruchsbeschwerdeverfahren zu berücksichtigen, wenn diese nach nationalem Recht eines Mitgliedsstaates des EPÜ rechtsbeschränkende oder rechtsvernichtende Wirkung in Bezug auf das mit dem Einspruch angegriffene Patent entwickeln?"

2. "Können national in einem EPÜ-Mitgliedsstaat nachveröffentlichte, jedoch vorangemeldete oder [sic] Rechte mit besserem Zeitrang nach den Regelungen des EPÜ im Einspruchs- oder im Einspruchsbeschwerdeverfahren berücksichtigt werden, wenn das nationale Recht dieses Mitgliedsstaates die gleichen Regelungen wie das EPÜ aufweist?"

3. "Darf die Einspruchsabteilung oder die Beschwerdekammer in einem der unter 1. oder 2. beschriebenen Fall [sic] die Anfertigung eines geänderten Anspruchssatzes anregen oder einen derart geänderten Anspruchssatz auf dessen Rechtsbeständigkeit prüfen?"

Die Beschwerdeführerin bestätigte ihren Antrag auf Aufhebung der Entscheidung und auf Widerruf des europäischen Patents beziehungsweise hilfsweise auf Zurückverweisung an die erste Instanz. Ferner beantragte sie, die in der mündlichen Verhandlung überreichten Fragen der Großen Beschwerdekammer vorzulegen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte wie zuvor die Zurückweisung der Beschwerde oder hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz unter Anordnung einer anderweitigen Kostenverteilung oder weiter hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Hilfsanträge 1, 4, 2 oder 3 gemäß Schreiben vom 9. Oktober 2006.

Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.

VIII. Anspruch 1 des Patents lautet wie folgt:

"Steuerungssystem zum Steuern von sicherheitskritischen Prozessen (28, 30), mit einer ersten Steuereinheit (14; 14, 54) zum Steuern eines sicherheitskritischen Prozesses (28, 30), mit einer Signaleinheit (18, 20, 22, 24; 18, 20, 22, 24, 56), die über E/A-Kanäle (32) mit dem sicherheitskritischen Prozess (28, 30) verknüpft ist, ferner mit einem Feldbus (12), über den die erste Steuereinheit (14; 14, 54) und die Signaleinheit (18, 20, 22, 24; 18, 20, 22, 24, 56) verbunden sind, und mit einem Busmaster (36) zum Steuern der Kommunikation auf dem Feldbus (12), wobei die erste Steuereinheit (14; 14, 54) und die Signaleinheit (18, 20, 22, 24; 18, 20, 22, 24, 56) sicherheitsbezogene Einrichtungen (42, 52) aufweisen, um eine fehlersichere Kommunikation miteinander zu gewährleisten, dadurch gekennzeichnet, dass der Busmaster (36) getrennt von der ersten Steuereinheit (14; 14, 54) und der Signaleinheit (18, 20, 22, 24; 18, 20, 22, 24, 56) an den Feldbus (12) angeschlossen ist."

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit des Einspruchs (Regel 55 c) EPÜ 1973 = Regel 76 (2) c) EPÜ)

1.1 Die Beschwerdegegnerin hat vorgebracht, der Einspruch erfülle nicht die Erfordernisse der Regel 55 c) EPÜ 1973 = Regel 76 (2) c) EPÜ, derzufolge entsprechend gängiger Rechtsprechung Tatsachen so ausreichend angegeben sein müssen, dass das EPA und der Patentinhaber das Vorbringen ohne weitere Ermittlungen verstehen können. Sie hat argumentiert, dass sich der Einspruchsschriftsatz im Wesentlichen nur mit der Druckschrift E1 auseinandersetze, die keinen Stand der Technik nach Artikel 54 (2) oder (3) EPÜ darstelle. Der Teil des Einspruchs, der sich mit E3 auseinandersetzt, sei unzureichend begründet, da ein bloßer Hinweis auf das vorangehende internationale vorläufige Prüfungsverfahren nicht ausreichend sei und der Einspruch keine Angaben mache, an welcher Stelle E3 einen Hinweis auf einen separaten Busmaster enthalte.

1.2 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit berücksichtigt die Kammer, dass der Einspruchsschriftsatz eine ausführliche Merkmalsanalyse des Anspruchs 1 des Streitpatents enthält. Der Verweis auf das internationale vorläufige Prüfungsverfahren und die dortige Feststellung, dass E3 alle Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 zeigt, wird im vorliegenden Falle als ausreichend betrachtet, da diese Feststellung mit den Angaben in der Patentanmeldung übereinstimmt (komplette Seite 1 und Seite 2, die ersten beiden Zeilen). Insoweit ist das diesbezügliche Vorbringen der Einsprechenden nachvollziehbar. Die Argumentation bezüglich des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 und der entsprechende Hinweis auf die Master-Steuereinrichtung 20 in E3, die dem beanspruchten Busmaster entsprechen soll, ist zwar knapp, aber dennoch ausreichend, um sowohl die Patentinhaberin als auch die Einspruchsabteilung in die Lage zu versetzen, den geltend gemachten Einspruchsgrund ohne weitere eigene Ermittlungen abschließend zu beurteilen.

1.3 Daher ist der Einspruch zulässig.

2. Neuheit und erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf die Dokumente E1 bis E4:

2.1 E1 wurde am 10. August 2000 und somit nach dem Prioritätsdatum (22. Juni 1999) und dem Anmeldetag (21. Juni 2000) des Patents veröffentlicht.

Dieses Dokument bildet somit keinen Stand der Technik im Sinne des Artikels 54 (2) EPÜ.

2.2 E1 bildet aber auch keinen Stand der Technik im Sinne des Artikels 54 (3) EPÜ, da es sich bei diesem Dokument nicht um eine europäische Patentanmeldung oder um eine internationale Anmeldung handelt, für die das Europäische Patentamt Bestimmungsamt oder ausgewähltes Amt ist.

2.3 E1 ist somit bei der Prüfung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit nicht zu berücksichtigen (vergleiche auch unter Punkt 6).

2.4 Von den im erstinstanzlichen Verfahren eingereichten Dokumenten ist E3 als nächstliegender Stand der Technik anzusehen.

Die Einspruchsabteilung kam zu dem Schluss, dass sich das beanspruchte Steuerungssystem von dem aus E3 bekannten Steuerungssystem dadurch unterscheidet, dass der Busmaster (in E3 die Master-Steuereinrichtung 20) getrennt von der ersten Steuereinheit (in E3 die Steuereinheit 200) und der Signaleinheit (in E3 die Busteilnehmer 30, 40 und 50) an den Feldbus (in E3 der Interbus 10) angeschlossen ist. Dies wurde von der Beschwerdeführerin nicht bestritten.

Aus E3 ergibt sich nach Überzeugung der Kammer, dass die Steuereinheit 200 Teil der Master-Steuereinrichtung 20 ist (Spalte 6, Zeilen 27-29). Somit sind die erste Steuereinheit und der Busmaster gemäß E3 nicht voneinander getrennt an den Feldbus (der den gestrichelten Linien der Figur 3 entspricht) angeschlossen.

Der beanspruchte Gegenstand ist somit neu (Artikel 54 EPÜ).

2.5 Die durch den dargestellten Unterschied zu lösende Aufgabe besteht darin, für den Busmaster eine Standard-Vorrichtung verwenden zu können, die keine sicherheitsbezogenen Einrichtungen aufweist (vgl. Absatz [0010] des Streitpatents).

Aus keinem der zitierten Dokumente, auch nicht aus den im Einspruchsverfahren eingeführten Druckschriften E2 und E4, ist diese Aufgabe bzw. die beanspruchte Lösung bekannt.

E4 zeigt ein Steuerungssystem, bei dem zur Gewährleistung einer fehlersicheren Kommunikation der Feldbus redundant ausgelegt ist (Spalte 2, Zeilen 38-45). Das der beanspruchten ersten Steuereinheit und dem Busmaster entsprechende Rechnersystem 10 weist zwar mehrere Rechner auf, die aber jeweils für jeden Feldbus als Steuereinheit und Busmaster fungieren und nicht voneinander getrennt sind (Spalte 2, Zeilen 2-8).

Somit legt E4 für den von der Lehre von E3 ausgehenden Fachmann weder die der vorliegenden Erfindung zu Grunde liegende Aufgabe noch deren Lösung nahe. Hieraus folgt, dass E4 für sich genommen weder neuheitsschädlich ist noch die erfinderische Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands in Frage stellt.

E2 zeigt den schematischen Aufbau eines Interbusses, der als Feldbus in der Erfindung des Streitpatents (Seite 2, Zeilen 16 und 17) und gemäß E3 (Spalte 2, Zeilen 9-12) verwendet werden kann. Aus diesem Dokument geht hervor, dass ein Interbus einen Busmaster aufweist (Figuren 2-1, 2-8 und 2-9). Ein derartiger Busmaster entspricht dem beanspruchten Busmaster 36 und ist auch explizit in E3 als Master 20 gezeigt. Dies wurde weder von der Beschwerdegegnerin noch von der Einspruchsabteilung in Frage gestellt. Aus diesem Dokument geht aber nicht hervor, dass der Busmaster und die Steuereinheit getrennt anzuordnen sind, so dass auch dieses Dokument dem Fachmann keine Anregung für dieses Merkmal liefert.

2.6 Auch war nach Auffassung der Kammer dem Fachmann nicht möglich, ausgehend von E3 und seinem allgemeinen Fachwissen zum beanspruchten Gegenstand zu gelangen, da es allgemeiner Praxis entsprach, den Busmaster in der Steuereinheit anzuordnen.

Das Argument, es wäre für den Fachmann naheliegend gewesen, den Busmaster getrennt von der ersten Steuereinheit an den Bus anzuschließen, da dieser eine (zumindest von der reinen Sicherheitstechnik) getrennte Funktion erfülle, konnte die Kammer nicht überzeugen, da es dem Aufbau der Erfindung gemäß E3 widerspricht, in der der Busmaster genau diese, der reinen Sicherheitstechnik gewidmete, und der beanspruchten ersten Steuereinheit entsprechende Funktion übernimmt (Spalte 6, Zeile 25 - Spalte 7, Zeile 58).

2.7 Der Gegenstand des Anspruchs 1 weist daher gegenüber der Lehre von E3 für sich allein genommen oder in Verbindung mit E4 oder E2 eine erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) auf.

3. Dokumente EB1-EB3

3.1 Die Dokumente EB1-EB3 sind Patentanmeldungen bzw. Patente der Beschwerdeführerin selbst. Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, sie habe diese Dokumente an Stelle des erstinstanzlich nicht berücksichtigten Dokuments E1 gesucht und gefunden. Die Patentinhaberin habe laut Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vom 1.12.2005 angesichts des Dokuments E1 die Möglichkeit gehabt, zumindest für verschiedene EPÜ-Mitgliedstaaten verschiedene Anspruchsätze einzuführen, habe dieses jedoch nicht getan.

Die Kammer akzeptiert in der Regel neue Druckschriften, die mit der Beschwerde eingeführt werden, wenn diese relevant sind und dazu dienen, die Argumente der Einspruchsabteilung zu entkräften oder zu widerlegen (in diesem Punkt der Entscheidung T 113/96, Punkt 11 folgend). Im vorliegenden Fall war die Nichtberücksichtigung des Dokuments E1 durch die Einspruchsabteilung angesichts der klaren Rechtslage bei objektiver Betrachtung wenig überraschend. Hieraus kann allerdings nicht ohne weiteres auf einen Verfahrensmissbrauch geschlossen werden (vgl. T 1019/92, Punkt 2.2 der Gründe, 3. Absatz). Nichtsdestoweniger betrachtet die Kammer auf Grund der obigen Umstände die Dokumente EB1-EB3 als verspätet eingereicht und legt die üblichen Kriterien, also insbesondere deren prima facie Relevanz, für ihre Zulassung an.

3.2 Von den beiden Dokumenten EB1 und EB2 ist EB1 das relevante Dokument im Sinne einer europäischen Patentanmeldung nach Artikel 54 (3) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 158 (1) EPÜ 1973. EB2 gibt ergänzend dazu die benannten Vertragsstaaten an, für die die erforderliche Bezahlung der Benennungsgebühren erfolgt ist.

Im Vergleich zu den bislang berücksichtigten, zur Beurteilung der Patentierbarkeit relevanten Dokumente E3 und E4 zeigt EB1 in dem Ausführungsbeispiel der Figur 3 ein Steuerungssystem zum Steuern von sicherheitskritischen Prozessen mit einem Sicherheitsanalysator 5" und einer Anschaltbaugruppe 41, über die ein Host 40 mit einem Bussystem 2 verbunden ist.

Es war zwischen den Parteien unumstritten, dass in einem solchen System der Busmaster normalerweise in der Anschaltbaugruppe 41 angeordnet ist. Ferner war unumstritten, dass die Busteilnehmer 33, 34 und 35 der beanspruchten Signaleinheit entsprechen.

Wenn man den Sicherheitsanalysator 5" mit der beanspruchten ersten Steuereinheit identifiziert, würde EB1 das Merkmal zeigen, dass der Busmaster getrennt von der ersten Steuereinheit und der Signaleinheit angeordnet ist. Um diese Annahme belegen zu können, wäre zu beurteilen, ob der Sicherheitsanalysator 5" sicherheitsbezogene Einrichtungen aufweist, um eine fehlersichere Kommunikation zwischen ihm und den Busteilnehmern zu gewährleisten.

Dieser Punkt war zwischen den Parteien umstritten. Die Beschwerdeführerin verwies auf Seite 4, Zeile 28 - Seite 5, Zeile 3 von EB1, und folgerte aus der Tatsache, dass der Sicherheitsanalysator "zur Überprüfung und/oder zum Verarbeiten von sicherheitsbezogenen Daten" ausgebildet ist, dass eine zweiseitige Kommunikation zwischen Sicherheitsanalysator und Datenbus und somit auch den Busteilnehmern stattfinde und dass diese Kommunikation Fehlersicherheit gewährleiste. Ferner verwies die Beschwerdeführerin auf Seite 15, Zeile 20 - Seite 16, Zeile 6. Diesem Zitat zu Folge führt der Sicherheitsanalysator 5, der die selbe Funktion hat wie der Sicherheitsanalysator 5", eine "sicherheitsbezogene Funktion" aus. Dadurch würde eine fehlersichere Kommunikation gewährleistet.

Die Beschwerdegegnerin verwies darauf, dass es der Busmaster sei, der primär eine fehlersichere Kommunikation gewährleiste (Seite 5, Zeile 32 - Seite 6, Zeile 3). Der Sicherheitsanalysator 5 bzw. 5" hätte nur die Funktion, die Kommunikation zwischen Busmaster und Busteilnehmern zu überprüfen und den sicherheitskritischen Prozess notfalls abzuschalten. Diese Funktion sei nicht mit dem Gewährleisten einer fehlersicheren Kommunikation gleichzusetzen. Außerdem könne man aus EB1 nicht unmittelbar entnehmen, dass der Sicherheitsanalysator 5" eine mit den beanspruchten sicherheitsbezogenen Einrichtungen identifizierbare Baugruppe aufweise.

3.3 Die Kammer kommt zu dem Ergebnis, dass EB1 unter der Voraussetzung einer positiven Identifizierung des Sicherheitsanalysators mit der beanspruchten ersten Steuereinheit ein relevantes Dokument zur Beurteilung der Frage der Neuheit ist und lässt dieses Dokument somit in das Verfahren zu.

3.4 Eine abschließende Beurteilung des Offenbarungsgehalts von EB1 wird jedoch Sache der Einspruchsabteilung sein (siehe Punkt 4).

3.5 Im Hinblick auf EB3 stellt die Kammer fest, dass gemäß Artikel 10a (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VerfOBK) in der bei Einreichung der Beschwerde geltenden Fassung die Beschwerdebegründung den vollständigen Sachvortrag enthalten muss. Eine "provisorische" Erwähnung eines Schriftstücks, wie hier von EB3, ist nicht vorgesehen.

In der weiteren Eingabe vom 31. März 2008 führte die Beschwerdeführerin aus: "soweit der Vortrag zu EB3 bisher als provisorisch bezeichnet wurde, wird dieser Vortrag nunmehr vollständig in das Verfahren eingeführt und nicht mehr als provisorisch bezeichnet".

Die dieser Eingabe beigefügte Konkordanzliste, die die Merkmale des Anspruchs 1 und entsprechende Merkmale in u.a. der Druckschrift EB3 zeigen soll, stellt keinen überzeugenden Sachvortrag dar. So verweist diese Konkordanzliste z.B. in Bezug auf das Merkmal "mit einem Busmaster zum Steuern der Kommunikation auf dem Feldbus" auf eine Meinungsäußerung der Kammer ("nach Ansicht der Kammer"). Die Kammer hat sich jedoch zu diesem Dokument nicht sachlich geäußert.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung verzichtete die Beschwerdeführerin ausdrücklich auf einen Sachvortrag bezüglich der EB3.

3.6 Aus diesen Gründen lässt die Kammer unter Ausübung ihres Ermessens das Dokument EB3 nicht in das Verfahren zu.

4. Zurückverweisung an die erste Instanz (Artikel 111 (1) EPÜ)

4.1 Gemäß Artikel 111 (1) EPÜ wird die Beschwerdekammer im Rahmen der Zuständigkeit des Organs tätig, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, oder verweist die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an dieses Organ zurück. Die relevanten Kriterien für die Ausübung des Ermessens der Beschwerdekammer hinsichtlich einer möglichen Zurückverweisung sind auf der einen Seite die Verfahrensökonomie und auf der anderen Seite die Gewährleistung von zwei Instanzen für die Parteien.

4.2 Im vorliegenden Falle berücksichtigt die Kammer den Umstand, dass es sich bei dem neu in das Verfahren zugelassenen Dokument EB1 um eine eigene Patentanmeldung der Beschwerdeführerin handelt. Daher hätte man an sich erwarten können, dass dieses Dokument mit dem Einspruch eingereicht würde. Um die Beschwerdegegnerin nicht schlechter zu stellen, als sie es gewesen wäre, wäre dieses Dokument zusammen mit dem Einspruch eingereicht worden, ist eine Zurückverweisung zur Instanzenwahrung angemessen.

Ferner berücksichtigt die Kammer, dass beide Parteien als ersten Hilfsantrag eine Zurückverweisung an die erste Instanz beantragt haben.

4.3 Aus diesen Gründen entscheidet die Kammer, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückzuverweisen.

5. Kostenverteilung (Artikel 104 EPÜ)

5.1 Werden Tatsachen und Beweismittel zur Stützung des Einspruchs ohne zwingende Gründe in einem späten Verfahrensstadium eingereicht und entstehen dadurch einem anderen Beteiligten erheblich höhere Kosten, so entspricht es der allgemeinen Rechtsprechung, dass eine anderweitige Kostenverteilung angeordnet werden kann, soweit dies der Billigkeit entspricht (siehe T 1182/01, Punkt 4 der Entscheidungsgründe).

5.2 Im vorliegenden Fall ist das spät eingeführte Dokument EB1 eine Patentanmeldung der Beschwerdeführerin. Für das späte Einreichen dieses Dokuments wurden keine zwingenden Gründe angegeben. Die Einspruchsabteilung wird daher zu prüfen haben, ob die im Rahmen des weiteren Verfahrens entstehenden Kosten zugunsten der Beschwerdegegnerin gemäß Artikel 104 EPÜ anderweitig zu verteilen sind (vgl. T 758/99, Punkt 5 der Entscheidungsgründe).

6. Fragen an die große Beschwerdekammer (Artikel 112 (1) EPÜ)

6.1 Die Beschwerdeführerin hat beantragt, die in der mündlichen Verhandlung überreichten Fragen der Großen Beschwerdekammer vorzulegen.

Gemäß Artikel 112 (1) EPÜ befasst die Beschwerdekammer, bei der ein Verfahren anhängig ist, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder wenn es sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, die Große Beschwerdekammer, wenn sie hierzu eine Entscheidung für erforderlich hält.

6.2 Allgemeiner Rechtsprechung folgend lehnen Kammern einen Antrag auf Vorlage immer dann ab, wenn keine widersprüchliche Rechtsprechung vorliegt und sie keinen Grund sehen, von früheren Entscheidungen abzuweichen (T 170/83, ABl. 1984, 605; Punkt 10 der Entscheidungsgründe).

6.3 Die formulierten Fragen 1 und 2 betreffen im Kern die Berücksichtigung prioritätsälterer nationaler Rechte.

Gemäß Artikel 54 (3) EPÜ in Verbindung mit Artikel 89 EPÜ zählen prioritätsältere, nachveröffentlichte Anmeldungen zum Stand der Technik für die Beurteilung der Frage der Neuheit, wenn es sich um europäische Anmeldungen handelt.

Nationale prioritätsältere Anmeldungen in den Vertragsstaaten des EPÜ gehören nicht zum Stand der Technik im Sinne des Artikels 54 (3) EPÜ. Lediglich für die Zwecke nationaler Nichtigkeitsverfahren bestimmt Artikel 139 (2) EPÜ, dass eine nationale Patentanmeldung und ein nationales Patent in einem Vertragsstaat gegenüber einem europäischen Patent, soweit dieser Vertragsstaat benannt ist, die gleiche Wirkung als älteres Recht wie gegenüber einem nationalen Patent haben.

Der Kammer sind keine Entscheidungen bekannt, die eine andere Interpretation der Rechtsnorm des Artikels 54 (3) EPÜ vorgenommen hätten.

6.4 Die Frage 3 betrifft die Möglichkeit einer Einspruchsabteilung oder einer Beschwerdekammer, bei Existenz eines älteren nationalen Rechts einen geänderten Anspruchssatz anzuregen und diesen auf Rechtsbeständigkeit zu prüfen.

6.5 Ältere nationale Rechte können in einer europäischen Patentanmeldung oder einem europäischen Patent im Rahmen der Regel 138 EPÜ in der Form unterschiedlicher Patentansprüche und gegebenenfalls unterschiedlicher Beschreibungen und Zeichnungen berücksichtigt werden.

Regel 138 EPÜ ist eine Kann-Bestimmung. Die Organe des Europäischen Patentamts haben keine Möglichkeit, einen Patentanmelder oder einen Patentinhaber zu einer entsprechenden Berücksichtigung älterer nationaler Rechte zu zwingen.

6.6 Darüber hinaus sind im Rahmen eines Einspruchs- bzw. Einspruchsbeschwerdeverfahrens die Organe des Europäischen Patentamts zur Neutralität gegenüber den Parteien verpflichtet (G 9/91, ABl. 1993, 408; Nr. 2 der Entscheidungsgründe). Aus diesem Grundsatz folgt, dass sie in der Regel keine Anregungen hinsichtlich der von den Parteien zu stellenden Anträge machen (für die Einspruchsabteilung siehe auch Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt D-VII, 4.4 und C-III, 8.4).

6.7 Werden jedoch im Rahmen der Regel 138 EPÜ unterschiedliche Patentansprüche und gegebenenfalls unterschiedliche Beschreibungen und Zeichnungen eingereicht, so prüfen die Organe des Europäischen Patentamts diese Unterlagen dahingehend, ob sie den Bestimmungen des EPÜ genügen (J 21/82, ABl. EPA, 1984, 65; Punkt 6 der Entscheidungsgründe).

6.8 Da sich die Antworten auf die von der Beschwerdeführerin formulierten Fragen in zweifelsfreier Weise aus dem EPÜ ergeben und die Kammer keinen Grund sieht, von der Linie der bisherigen Rechtsprechung abzugehen, ist eine Vorlage dieser Fragen an die Große Beschwerdekammer nicht erforderlich.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Prüfung zurückverwiesen.

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