T 0010/82 (Einspruch - Zulässigkeit) of 15.3.1983

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1983:T001082.19830315
Datum der Entscheidung: 15 März 1983
Aktenzeichen: T 0010/82
Anmeldenummer: 78100803.2
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: A
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Fassungen: OJ | Published
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Bayer
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: 1. Legt ein zugelassener Vertreter in seinem eigenen Namen Einspruch ein, obwohl er - wie er später einräumt - berufsmäßig für einen Auftraggeber handelt, dann entspricht der Einspruch nicht der Regel 55 EPÜ.
2. Die Frage, ob in einem solchen Fall die Mängel des Einspruchsschriftsatzes gemäß Regel 56(2) EPÜ auch nach Ablauf einer längeren Frist noch beseitigt werden können, bleibt offen.
3. Gibt ein Verfahrensbeteiligter der Kammer kurz vor der mündlichen Verhandlung entscheidungserhebliche Tatsachen bekannt, die eine mündliche Verhandlung unnötig gemacht hätten, kann es der Billigkeit entsprechen, ihm die dem anderen Verfahrensbeteiligten durch die Wahrnehmung der mündlichen Verhandlung entstandenen Kosten aufzuerlegen.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 99(1)
European Patent Convention 1973 Art 104(1)
European Patent Convention 1973 Art 106(3)
European Patent Convention 1973 R 55
European Patent Convention 1973 R 56(1)
European Patent Convention 1973 R 56(2)
Schlagwörter: Einspruch
Zulässigkeit
Zwischenentscheidung
Kostenverteilung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0001/84
G 0003/97
G 0004/97
T 0582/90
T 0886/91
T 0649/92
T 0798/93
T 1022/93
T 0590/94
T 0301/95
T 0052/96
T 1178/04

Sachverhalt und Anträge

I. Mit einem am 18. Mai 1981 eingegangenen Schriftsatz haben die Beschwerdegegner, die beide in einer englischen Firma zugelassener Vertreter tätig sind, gegen das erteilte europäische Patent Nr. 1099 Einspruch eingelegt, ohne eine dritte Person als Auftraggeber anzugeben. Sie haben sich selbst und weitere Personen aus der gleichen Firma bevollmächtigt, sie zu vertreten.

II. Mit Schreiben vom 6. Juli 1981 hat die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts der Beschwerdeführerin eine Kopie des Einspruchs übersandt.

III. Mit Schreiben vom 10. Juli 1981 hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) die Verwerfung des Einspruchs als unzulässig beantragt. Sie machte u. a. geltend, daß der Einspruch folgende Voraussetzungen nicht erfülle:

a) die Erfordernisse der Regel 55a) EPÜ, weil aus der Einspruchsschrift nicht deutlich hervorgehe, ob die beiden Beschwerdegegner oder ihre Firma Einspruch eingelegt habe

b) das Erfordernis der Regel 55d) EPÜ, weil weder die Beschwerdegegner noch ihre Firma ihren Auftraggeber genannt, noch Vollmachten dieses Auftragsgebers vorgelegt hätten.

IV. In der angefochtenen Zwischenentscheidung vom 11. November 1981 hat die Einspruchsabteilung festgestellt, daß der Einspruch zulässig sei; sie hat jedoch gegen diese Entscheidung die gesonderte Beschwerde gemäß Artikel 106(3) EPÜ zugelassen.

V. Die Beschwerdeführerin hat am 2. Dezember 1981 Beschwerde gegen dies Entscheidung eingelegt, sie begründet und rechtzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Sie beantragt die Aufhebung der Entscheidung und die Verwerfung des Einspruchs als unzulässig.

VI. Die Beschwerdeführerin hat folgendes ausgeführt: Die Beschwerdegegner seien weder die tatsächlichen Einsprechenden noch die tatsächlichen Vollmachtgeber. Die Einspruchsabteilung sei verpflichtet zu klären, wer als Einsprechender und wer als Bevollmächtigter handle. Eine Selbstbevollmächtigung im Einspruchsverfahren sei dem europäischen System fremd. Obwohl das EPÜ wörtlich bestimme, daß "jedermann" beim EPA Einspruch gegen ein europäisches Patent einlegen könne, sei etwa zu fragen, ob ein zugelassener Vertreter, der erkennbar in beruflicher Vertretung die Interessen eines Dritten wahrnehme, Einspruch im eigenen Namen einlegen könne. Es sei nötig, eine Konfusion zwischen Mandanten und Vertretern zu vermeiden. Im übrigen gäbe es im öffentlichen Interesse verschiedene Gründe, warum ein beruflicher Vertreter im Einspruchsverfahren nicht für eine ungenannte Person handeln sollte. Artikel 99(1) EPÜ sehe vor, daß "jedermann" Einspruch gegen ein europäisches Patent einlegen könne. Andererseits gäbe es verschiedene Personengruppen, deren Recht zur Einlegung eines Einspruchs beschränkt sei; so sei das Recht beruflicher Vertreter, Einsprüche einzulegen, im Einklang mit ihren Standespflichten als beschränkt anzusehen. Im nationalen Recht von Vertragsstaaten seien solche Beschränkungen anerkannt.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragt eine mündliche Verhandlung, wenn ihrer Beschwerde ohne Verhandlung nicht stattgegeben würde. Mit Schreiben vom 29. Oktober 1982 wurden die Parteien zu einer mündlichen Verhandlung am 11. Januar 1983 geladen.

VIII. In einem Schreiben vom 23. Dezember 1982, das im EPA am 30. Dezember 1982 eingegangen war, aber zur Beschwerdekammer erst am 5. Januar gelangte, erklärten die Beschwerdegegner, daß ihre "Auftraggeber" sie angewiesen hätten, an der mündlichen Verhandlung nicht teilzunehmen. Die Beschwerdegegner machten in diesem Schreiben geltend, daß sie völlig in Übereinstimmung mit dem EPÜ gehandelt hätten, indem sie den Einspruch in ihrem eigenen Namen eingelegt hätten. Sie bezogen sich auf Singer "Das Neue Europäische Patentsystem" (Nomos: Baden-Baden, 1979, S. 76) zur Stützung ihres Arguments, daß jedermann Einspruch einlegen könne, ohne ein rechtliches oder berechtigtes Interesse zu haben oder es darlegen zu müssen. Die Geschäftsstelle der Beschwerdekammer unterrichtete am 5. Januar 1983 telefonisch von dem Eingang und dem Inhalt des Schreibens der Beschwerdegegner, die Beschwerdeführerin lehnte in Anbetracht ihrer abgeschlossenen Vorbereitungen eine Verschiebung der mündlichen Verhandlung ab.

IX. Die Beschwerdegegner waren, wie angekündigt, zur mündlichen Verhandlung am 11. Januar 1983 nicht erschienen und waren auch nicht vertreten. Die Beschwerdeführerin wiederholte ihre früheren Argumente und führte aus, daß die Beschwerdegegner jetzt dem EPA gegenüber zugestanden hätten, daß der Einspruch, den sie eingelegt hatten, für "Auftraggeber" eingelegt worden sei. Unter diesen Umständen sei es klar, daß Regel 55 EPÜ nicht eingehalten worden sei. Es sei nicht möglich, die Namen der Beschwerdegegner durch den Namen der Auftraggeber zu ersetzen. Ferner sei es nicht möglich, daß die Bevollmächtigung durch die Auftraggeber an die Stelle der Bevollmächtigung durch die Beschwerdegegner trete. Unter diesen Umständen müsse der Einspruch als unzulässig verworfen werden.

X. Nach der mündlichen Verhandlung reichte die Beschwerdeführerin ein Schreiben ein, in dem sie verschiedenen Behauptungen der Beschwerdegegner in ihrem Schreiben vom 23. Dezember 1982 widersprach. Diese Tatsachenbehauptungen sind für die Entscheidung der Beschwerdekammer nicht von Bedeutung, so daß auf sie nicht eingegangen zu werden braucht.

XI. Für die Beschwerdegegner und ihre Firma liegt beim EPA eine allgemeine Vollmacht vor (eingegangen beim EPA am 24. August 1979), wonach sie ihre vorhin erwähnten Auftraggeber in den durch das EPÜ geschaffenen Verfahren vertreten können.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie den Regeln 1 und 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.

2. Ein Einspruch muß den Erfordernissen der Regel 55 EPÜ entsprechen. Wenn die Einspruchsabteilung feststellt, daß dies nicht der Fall ist, finden die Vorschriften der Regel 56 EPÜ Anwendung.

3. In dem vorliegenden Fall waren der Einspruchsabteilung die Tatsachen nicht bekannt, die der Beschwerdekammer durch das Schreiben der Beschwerdegegner vom 23. Dezember 1982 bekannt geworden sind, daß nämlich die Beschwerdegegner bei der Einlegung des Einspruchs durchaus nicht in ihrem eigenen Namen, sondern berufsmäßig für Auftraggeber gehandelt haben. Der Einspruch entspricht somit nicht der Regel 55a) und d) EPÜ. Das Ergebnis war eine Konfusion hinsichtlich der jeweiligen Rollen als berufsmäßige Vertreter und Mandanten, was die Beschwerdeführerin zu Recht beanstandet.

4. Die Beschwerdekammer teilt jedoch nicht die Auffassung der Beschwerdeführerin, daß der Einspruchsschriftsatz auf keinen Fall gemäß Regel 56(2) EPÜ berichtigt werden könne. Diese Frage muß zuerst einmal von der Einspruchsabteilung entschieden werden. Dabei wird besonders zu prüfen sein, welche Folgen eintreten, wenn eine von den nach Regel 55 EPÜ zu machenden Angaben in einer Weise unterdrückt wird, so daß die Einspruchsabteilung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung einen solchen tatsächlich vorhandenen Mangel überhaupt nicht feststellen und rügen kann. Daß das EPÜ der Klarstellung der Rechtsverhältnisse zwischen dem Rechtsinhaber oder Berechtigten und dem Vertreter auch in formeller Hinsicht besondere Bedeutung beimißt, insbesondere was das Verhältnis Patentanmelder und Vertreter betrifft, dürfte sich aus Regel 101(4) ergeben.

5. Da die mit der Beschwerde angegriffene Entscheidung erlassen worden war, ohne daß der Einspruchsabteilung alle für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen bekannt waren, muß sie aufgehoben werden. Die Angelegenheit ist daher an die Einspruchsabteilung zur weiteren Prüfung und Entscheidung zurückzuverweisen.

6. Die mündliche Verhandlung am 11. Januar 1983 wäre unnötig gewesen, wenn die Beschwerdegegner die obenerwähnten für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen dem EPA gegenüber zu einem früheren Zeitpunkt bekanntgegeben hätten. Es entspricht daher der Billigkeit, den Beschwerdegegnern nach Artikel 104(1) EPÜ aufzuerlegen, der Beschwerdeführerin die ihr durch die mündliche Verhandlung entstandenen Kosten zu ersetzen. Die Beschwerdegegner hatten die Möglichkeit, gegen die ausdrücklich nach Artikel 104 EPÜ mögliche Kostenentscheidung in ihrem Schreiben vom 23. Dezember 1982, in dem sie erklärt hatten, an der Sitzung nicht teilzunehmen, Stellung zu nehmen. Da davon auszugehen ist, daß die am Verfahren vor dem EPA Beteiligten die anzuwendenden vertraglichen Bestimmungen kennen, ist es nicht notwendig, sie ausdrücklich darauf hinzuweisen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:

1. Die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 11. November 1981 wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

3. Die Beschwerdegegner haben der Beschwerdeführerin die ihr durch die mündliche Verhandlung vom 11. Januar 1983 entstandenen Kosten zu ersetzen.

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