T 2108/22 () of 18.3.2025

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2025:T210822.20250318
Datum der Entscheidung: 18 März 2025
Aktenzeichen: T 2108/22
Anmeldenummer: 17818146.7
IPC-Klasse: G02C 13/00
G06T 7/10
G06K 9/46
G06T 7/12
G06T 7/149
G06K 9/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN UND VORRICHTUNG SOWIE COMPUTERPROGRAMM ZUM ERMITTELN EINER REPRÄSENTATION EINES BRILLENGLASRANDS
Name des Anmelders: Carl Zeiss AG
Carl Zeiss Vision International GmbH
Name des Einsprechenden: Rodenstock GmbH
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention R 80
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(6)
Schlagwörter: Änderung veranlasst durch Einspruchsgrund - Änderungen zulässig (nein)
Orientierungssatz:

Inwiefern die Ersetzung eines Anspruchs durch einen Anspruch mit mehreren Alternativen unter Regel 80 EPÜ zulässig ist, muss im Einzelfall geprüft werden. Dabei ist nach Abwägung der gegenläufigen Interessen der Beteiligten zu prüfen, ob die Vervielfachung an sich von Alternativen in dem Anspruch eine sachdienliche und erforderliche Änderung darstellt (Entscheidungsgründe 1.10).

Angeführte Entscheidungen:
G 0007/93
T 0406/86
T 0937/00
T 0181/02
T 0263/05
T 0323/05
T 0993/07
T 0750/11
T 0428/12
T 0021/16
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Patentinhaberinnen (Beschwerdeführerinnen; im Folgenden Patentinhaberin) haben gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent Nr. 3542211 in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, Beschwerde eingelegt.

II. Mit dem Einspruch war das Patent in vollem Umfang im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 (1) und 56 EPÜ sowie auf Artikel 100 b) und c) EPÜ angegriffen worden.

III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß dem damaligen zweiten Hilfsantrag den Erfordernissen des EPÜ genügten.

Nach der angefochtenen Entscheidung stand der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (damaliger Hauptantrag) der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ entgegen, weil der abhängige Anspruch 7 in der erteilten Fassung über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausging. Der damalige erste Hilfsantrag wurde von der Einspruchsabteilung nicht zum Verfahren zugelassen, "da er keine notwendige und zweckmäßige Antwort auf einen Einspruchsgrund [war] (Regel 80 EPÜ)".

IV. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK, die als Anlage einer Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügt war, teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige und unverbindliche Meinung zu bestimmten, wesentlichen Aspekten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens mit.

V. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 18. März 2025 statt.

VI. Die Patentinhaberin beantragte, als Hauptantrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und festzustellen, dass die Nichtzulassung des damaligen ersten Hilfsantrags, eingereicht mit Schriftsatz vom 6. Mai 2022, durch die Einspruchsabteilung gemäß Artikel 12(6) VOBK ermessensfehlerhaft war, den ersten Hilfsantrag in das Verfahren zuzulassen und die Sache an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen. Hilfsweise beantragte sie, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und festzustellen, dass die Nichtzulassung des ersten Hilfsantrags, eingereicht mit Schriftsatz vom 6. Mai 2022, durch die Einspruchsabteilung gemäß Art. 12(6) VOBK ermessensfehlerhaft war, den ersten Hilfsantrag in das Verfahren zuzulassen und das Patent auf Grundlage des ersten Hilfsantrags aufrechtzuerhalten.

VII. Die Einsprechende (Beschwerdegegnerin und Verfahrensbeteiligte) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

VIII. Die Eingabe der Patentinhaberin wird wie folgt mit P1 bezeichnet:

P1: Beschwerdebegründung, eingereicht mit Schreiben vom 29. November 2022.

Die Eingabe der Einsprechenden wird wie folgt mit O1 bezeichnet:

O1: Beschwerdeerwiderung, eingereicht mit Schreiben vom 14. April 2023.

IX. Der Wortlaut des Anspruchs 1 des damaligen ersten Hilfsantrags (des jetzigen Hauptantrags) lautet (die Bezeichnungen Alternative A und Alternative B wurden von der Kammer hinzugefügt):

"Computerimplementiertes Verfahren zum Ermitteln der Repräsentation des Rands (26) eines Brillenglases (28) oder eines linken Brillenglases (28) und eines rechten Brillenglases (29) für einen Brillenträger (20)

umfassend das

Bereitstellen eines Bildes (36) des Brillenträgers (20) mit Bilddaten b(x) zu dem Brillenträger (20) mit einer getragenen Brillenfassung (24), und das

Bereitstellen von Informationsdaten I(x), die aus den Bilddaten b(x) des Bildes (36) des Brillenträgers (20) berechnete Daten zu Informationen des Bildes (36) sind,

Berechnen einer die Informationsdaten I(x) mit Brillenglasdaten u(x) verknüpfenden deterministisch optimierbaren Kostenfunktion E(u), wobei die Brillenglasdaten u(x) die räumliche Ausdehnung wenigstens eines in der Brillenfassung (24) gehaltenen Brillenglases (28) beschreiben,

Festlegen eines Verlaufs eines Rands (26) des Brillenglases (28) oder des linken Brillenglases (28) und des rechten Brillenglases (29) durch Optimieren der Kostenfunktion E(u),

dadurch gekennzeichnet, dass

[Alternative A:]

die Informationsdaten I(x) ein aus den erfassten Bilddaten b(x) mittels eines Kantendetektionsalgorithmus ermitteltes Kanteninformationsbild (46) umfassen und der Kantendetektionsalgorithmus ein speziell auf Brillenkanten trainiertes maschinelles Lernverfahren enthält, das Brillenfassungskanten von Nicht-Brillenfassungskanten und/oder äußere von inneren Brillenfassungskanten unterscheiden kann

oder dass

[Alternative B:]

den bereitgestellten Bilddaten b(x) zu dem Brillenträger (20) aus wenigstens zwei unterschiedlichen Blickwinkeln aufgenommene Bilder zugrunde liegen und die Kostenfunktion E(u) für das Ermitteln des Rands (26) eines linken Brillenglases (28) und eines rechten Brillenglases (29) für einen Brillenträger (20) mit einer Stereobedingung aufeinander abgebildete Punkte in Brillenglasdaten u(x) zu Bildern bewertet, die unterschiedlichen Aufnahmerichtungen (19) einer Bilderfassungseinrichtung (14, 16, 18) entsprechen, indem zu einem jeden Bildpunkt in einem mit einer ersten Bilderfassungseinrichtung erfassten Bild i derjenige Bildpunkt in einem zweiten Bild j aufgefunden wird, auf den der gleiche 3D-Punkt abgebildet wird, und die Kostenfunktion eine Zwangsbedingung oder einen Kostenterm enthält, der eine als Stereobewertungsdaten d(x) fungierende Abweichung von Brillenglasdaten ui(x) von den zugehörigen Stereopunkten in den Brillenglasdaten uj(x) berechnet".

Entscheidungsgründe

1. Nichtzulassung des damaligen ersten Hilfsantrags

Der damalige erste Hilfsantrag (jetziger Hauptantrag) wird nicht zum Verfahren zugelassen (Artikel 12(6) VOBK).

1.1 Nach der angefochtenen Entscheidung, Punkte 20.1 und 20.2, wurde der damalige erste Hilfsantrag (jetziger Hauptantrag) "nicht zum Verfahren zugelassen, da er keine notwendige und zweckmäßige Antwort auf einen Einspruchsgrund ist (Regel 80 EPÜ). Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 wurde im Vergleich zum erteilten Anspruch 1 mit zwei unterschiedlichen Alternativen eingeschränkt. Die erste Alternative [A] beruht auf der vierten Alternative des erteilten Anspruchs 6 kombiniert mit dem erteilten Anspruch 3. Die zweite Alternative [B] des Anspruchs 1 basiert laut Patentinhaberin auf der Kombination der erteilten Ansprüche 8 und 9 mit der Offenbarung der Absätze 0107-0108 der Beschreibung".

Wie die Einspruchsabteilung richtig feststellte, "sind zwei unterschiedliche Alternativen in einem einzigen unabhängigen Anspruch getrennt auf die Erfordernisse des EPÜs zu prüfen" (angefochtene Entscheidung, Punkt 20.3) und können demnach wie zwei unabhängige Ansprüche betrachtet werden.

1.2 Gemäß Regel 80 EPÜ können die Patentansprüche geändert werden, soweit die Änderungen durch einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ veranlasst sind, auch wenn dieser vom Einsprechenden nicht geltend gemacht worden ist. In der Rechtsprechung der Beschwerdekammern, Kapitel IV.C.5.1.2, 10. Auflage 2022, wurde diese Regelung so ausgelegt, dass die Änderungen

- "sachdienlich und erforderlich" sind (siehe T 406/86, Leitsatz),

- "angemessen und erforderlich" sind (siehe T 323/05, Leitsatz),

- "dazu dienen, einen Widerruf des Patents zu vermeiden" (siehe T 993/07, Nr. 1.2 der Entscheidungsgründe und T 21/16, Nr. 6.1 der Entscheidungsgründe),

- "als ernsthafter Versuch zu werten sind, einem Einspruchsgrund zu begegnen" (siehe T 750/11, Nr. 2.3.2 der Entscheidungsgründe).

Weitere Entscheidungen bestätigen diese Auslegung der Regel 80 EPÜ: So muss z. B. laut T 263/05, Nummer 4.8 der Entscheidungsgründe, "die Frage beantwortet werden, ob die vorgeschlagenen Änderungen eine zweckmäßige und notwendige Reaktion zur Vermeidung eines Widerrufs des Patents in dem Sinne sind, dass vernünftigerweise behauptet werden kann, dass sie durch die Einspruchsgründe bedingt sind".

1.3 Es ist unstrittig zwischen den Parteien, dass jede der beiden Alternativen A und B des Anspruchs 1 für sich alleine betrachtet durch Hinzufügung von Merkmalen so geändert wurde, dass sie jeweils dem Erfordernis der Regel 80 EPÜ genügen, d.h. die jeweilige Änderung durch einen Einspruchsgrund veranlasst ist. Insbesondere: "Mit diesen Änderungen begegnet die Patentinhaberin dem in der Ladungsmitteilung erhobenen Neuheitseinwand und schränkt den erteilten Patentanspruch 1 ein auf diese beiden ODER-Alternativen" (P1, Seite 4, sechster Absatz).

1.4 Die Gesamtwirkung einer Änderung, die sich aus mehreren Einzeländerungen zusammensetzt, ergibt sich nicht nur aus der Summe der Wirkungen der Einzeländerungen für sich einzeln betrachtet, sondern es ist auch zu berücksichtigen, wie sich die Einzeländerungen im Zusammenhang mit dem insgesamt geänderten Anspruchssatz auswirken. Im vorliegenden Fall besteht diese Gesamtwirkung u.a. auch darin, dass anstelle eines einzigen unabhängigen Anspruchs, der eine einzige Erfindung definiert, nun zwei Alternativen A und B in dem Anspruch definiert sind, die zwei unabhängigen Ansprüchen entsprechen. Eine solche zusätzliche Änderung des insgesamt zu betrachtenden Anspruchssatzes, die über die reine Hinzufügung der einzelnen alternativen Merkmale A und B hinausgeht, ist nicht augenscheinlich durch einen Einspruchsgrund veranlasst. Das Vorhandensein als solches von zwei Alternativen in Anspruch 1 erfüllt keine der oben in Punkt 1.2 genannten Anforderungen, die nach der Rechtsprechung an eine Änderung im Einklang mit Regel 80 EPÜ zu stellen sind, und stellt daher einen Verstoß gegen Regel 80 EPÜ dar.

1.5 Bereits die Hinzufügung einer einzigen der beiden, den beanspruchten Gegenstand einschränkenden ODER-Alternativen, z.B. Alternative A, zum erteilten unabhängigen Anspruch 1 ist als ausreichende und abschließende Reaktion auf einen Neuheitseinwand zu werten. Diese Änderung entspricht dem Erfordernis der Regel 80 EPÜ, wonach zulässige Änderungen durch einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ veranlasst sein müssen.

1.6 Die Hinzufügung der Merkmale der zweiten Alternative B, die inhaltlich komplett unterschiedlich von der ersten Alternative A ist, kann nicht dazu beitragen, den Neuheitseinwand zu beseitigen, der zur Hinzufügung der ersten Alternative A geführt hat, d.h. die Hinzufügung der Merkmale der zweiten Alternative B ist weder sachdienlich noch erforderlich. Die Hinzufügung der Alternative B zum geänderten Anspruch 1 mit der Alternative A kann also nicht durch einen Einspruchsgrund veranlasst sein (wie in Regel 80 EPÜ gefordert), sondern nur durch den von der Patentinhaberin vorgebrachten Wunsch nach einem "angemessenen breitestmöglichen [Schutz]" (P1, Seite 7, dritter Absatz). Eine Änderung mit dem Ziel des Erreichens des größtmöglichen Schutzumfangs ist jedoch nicht im Einklang mit dem Erfordernis der Regel 80 EPÜ.

1.7 Mit Verweis auf die Menschenrechtskonvention hinsichtlich des Schutzes des geistigen Eigentums, wonach niemandem sein Eigentum entzogen werden darf, trug die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung vor, dass sie ein Recht habe, ihr Patent so zu verteidigen, dass der Schutzumfang des geänderten Anspruchs 1 so groß wie möglich ist. Aufgrund dieser "Eigentumsgarantie" seien beide Alternativen A und B, die jeweils einen anderen Teil des ursprünglichen Schutzumfangs des erteilten Anspruchs definieren, notwendig um den größtmöglichen Schutzumfang zu erlangen.

1.8 Wie die Einsprechende in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt hat, führt eine zweite Alternative in Anspruch 1 zu einer erhöhten Komplexität des Verfahrens, zu einer Verzögerung des Verfahrens bei Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung zur weiteren Bearbeitung und zu einer Verschlechterung der Verfahrensökonomie. Diese zusätzlichen Hürden zur Erreichung des Wunsches der Einsprechenden, das Patent zu widerrufen oder zumindest weitestgehend einzuschränken, laufen den Interessen der Einsprechenden zuwider. Die Einsprechende forderte daher eine ausgewogene und faire Abwägung zwischen ihrem eigenen und dem Begehren der Patentinhaberin.

1.9 Ein Einspruchsverfahren ist seinem Wesen nach ein Inter-partes-Verfahren. Das bedeutet, dass die gegensätzlichen Interessen der Patentinhaberin und der Einsprechenden durch die Einspruchsabteilung und die Kammer, wie von der Einsprechenden beantragt, gegeneinander abgewogen werden müssen. Die von der Patentinhaberin angeführte Eigentumsgarantie kann daher nicht uneingeschränkt als einziges Kriterium für die Beurteilung, ob zwei Alternativen im Anspruch 1 gerechtfertigt sind, herangezogen werden. Wäre dies der Fall, so könnte die Patentinhaberin beispielsweise eine unbegrenzt hohe Anzahl unabhängiger Ansprüche zu einem Anspruchssatz hinzufügen mit der alleinigen Begründung, dass alle diese hinzugefügten unabhängigen Ansprüche vom ursprünglichen Schutzbereich des erteilten Patents erfasst werden. Ein solches an Verfahrensmissbrauch grenzendes Vorgehen wäre schon aus verfahrensökonomischen Gründen nicht wünschenswert. Es müssen daher auch die Interessen der Einsprechenden hinreichend berücksichtigt werden.

1.10 Im vorliegenden Fall kommt die Kammer unter Berücksichtigung einerseits des Umstands, dass die Hinzufügung eines oder mehrerer unabhängiger Ansprüche nach Regel 80 EPÜ nicht ausdrücklich zulässig ist, sondern die Vervielfachung an sich unabhängiger Ansprüche eine Änderung darstellt, die entgegen der Regel 80 EPÜ weder sachdienlich noch erforderlich ist (siehe oben Punkte 1.4 bis 1.6), und andererseits unter Abwägung der gegenläufigen Interessen der Beteiligten zu dem Schluss (siehe oben Punkt 1.9), dass der Anspruch 1 mit zwei Alternativen gegen die Vorschrift der Regel 80 EPÜ verstößt.

2. Angefochtene Entscheidung

2.1 Nach Auswertung mehrerer Entscheidungen der Beschwerdekammern kam die Einspruchsabteilung zur Auffassung (angefochtene Entscheidung, Punkte 20.4 bis 20.6), dass eine Änderung, die einem Anspruchssatz ein oder mehrere unabhängige Ansprüche hinzufügt, "nur in Ausnahmefällen" unter Regel 80 EPÜ zuzulassen sei. "Als Ausnahmefall wurde das Weiterverfolgen von zwei klar definierten Ausführungsbeispielen definiert" (mit Verweis auf T 181/02). Das vorliegende Patent offenbare jedoch "keine klar definierten alternativen Ausführungsbeispiele". Die in den Alternativen A und B definierten "Merkmale sind in der Beschreibung Teil der gleichen beschriebenen Ausführungsbeispiele, die nicht als Alternative präsentiert werden. Diese unterschiedlichen Richtungen bilden daher keine zwei klar definierten Alternativen". Da "keine zwei klar definierten Ausführungsbeispiele verfolgt werden, ist die Einspruchsabteilung der Auffassung, dass der Hilfsantrag 1 keine zweckmäßige und notwendige Reaktion auf einen Einspruchsgrund darstellt. Dieser Antrag wird daher unter Regel 80 EPÜ nicht zugelassen".

2.2 Die Begründung der Einspruchsabteilung, den damaligen ersten Hilfsantrag nicht zuzulassen, basiert auf einem der Rechtsprechung der Beschwerdekammern entnommenen Kriterium. Wie bereits in der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15(1) VOBK, Punkt 5.2, dargelegt, kann die Kammer in dieser Begründung der Einspruchsabteilung keinen Ermessensfehler erkennen. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, da die Kammer den damaligen ersten Hilfsantrag aus anderen, in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erörterten und in Punkt 1.10 zusammengefasst erläuterten Gründen nicht zulässt.

3. Argumente der Patentinhaberin für die Zulassung des damaligen ersten Hilfsantrags

3.1 In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer betonte die Patentinhaberin, dass Regel 80 EPÜ eine materiellrechtliche Vorschrift sei und die Kammer daher die Kompetenz und die Pflicht habe, die Entscheidung in vollem Umfang und in der Sache zu überprüfen. Damit könnten die in der Entscheidung G 7/93 aufgestellten Grundsätze nicht zur Anwendung kommen. Es reiche somit nicht aus, dass die Kammer nur überprüfe, inwiefern die Einspruchsabteilung ihr Ermessen nach den richtigen Kriterien ausgeübt hat.

Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Regel 80 EPÜ eine rein materiellrechtliche Vorschrift oder eine rein verfahrensrechtliche Vorschrift ist. Die Kammer hat oben in Punkt 1. dargelegt, aus welchen inhaltlichen Gründen der damalige erste Hilfsantrag nicht zum Verfahren zuzulassen ist.

3.2 In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer widersprach die Patentinhaberin den Ausführungen in der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15(1) VOBK, Seite 5, zweiter Absatz, wonach "[d]ie Hinzufügung der zweiten Alternative... nicht dazu beitragen [kann], diesen Neuheitseinwand zu beseitigen, der zur Hinzufügung der ersten Alternative geführt hat".

Diese Ansicht der Patentinhaberin ist für die Kammer nicht nachvollziehbar und wurde von der Patentinhaberin auch nicht näher begründet. Ein Neuheitseinwand gegen die Alternative A des Anspruchs 1 kann nicht durch die Merkmale der Alternative B des Anspruchs 1 behoben werden.

3.3 Des Weiteren widersprach die Patentinhaberin den Ausführungen in der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15(1) VOBK, Seite 5, zweiter Absatz, wonach "[e]ine Änderung mit dem Ziel des Erreichens des größtmöglichen Schutzumfangs... jedoch nicht im Einklang mit dem Erfordernis der Regel 80 EPÜ" ist. Die Patentinhaberin verwies auf den in der Menschenrechtskonvention festgeschriebenen Schutz des geistigen Eigentums.

Die Kammer teilt diese Auffassung der Patentinhaberin aus den in Punkt 1.9 angegebenen Gründen nicht. Im Einspruchsverfahren sind die entgegenstehenden Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Eine uneingeschränkte Anerkennung des Interesses der Patentinhaberin an einem größtmöglichen Schutz ist daher nicht gerechtfertigt.

3.4 Die Patentinhaberin zitierte mehrere Entscheidungen der Beschwerdekammern (z.B. T 937/00, T 181/02, T 263/05, T 428/12), nach denen die Patentinhaberin ein Recht auf größtmöglichen Schutz habe und daher das Ersetzen eines einzigen unabhängigen Anspruchs durch mehrere unabhängige Ansprüche zulässig sei.

Die Kammer ist nicht überzeugt von diesem Argument. Keine der von der Patentinhaberin zitierten Entscheidungen der Beschwerdekammern besagt, dass eine Änderung eines Anspruchs, die darin besteht, einen einzigen unabhängigen Anspruch durch mehrere unabhängige Ansprüche zu ersetzen, in jedem Fall nach Regel 80 EPÜ zulässig ist. Vielmehr besteht in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ein allgemeiner Konsens darüber, dass "jeder Fall für sich genommen betrachtet werden muss" (T 263/05, Nr. 4.8 der Entscheidungsgründe). Die von dieser Kammer erwogenen Gesichtspunkte (zusammengefasst oben in Punkt 1.10) scheinen bisher in anderen Fällen noch nicht in Betracht gezogen worden zu sein. Auf der Grundlage dieser Erwägungen ist die Kammer im vorliegenden Fall zu der Überzeugung gelangt, dass die Änderung des erteilten Anspruchs 1, die darin besteht, zwei Alternativen A und B hinzuzufügen, nicht im Einklang mit der Regel 80 EPÜ steht.

3.5 In der mündlichen Verhandlung machte die Patentinhaberin geltend, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt habe, weil sie die der Patentinhaberin zustehende "Eigentumsgarantie" nicht ausreichend berücksichtigt habe.

Die Kammer kann diesen Einwand der Patentinhaberin nicht nachvollziehen. Wie bereits oben in Punkt 2.2 ausgeführt, ist eine fehlerhafte Ermessensausübung durch die Einspruchsabteilung nicht zu erkennen. Darüber hinaus hat die Patentinhaberin das Argument hinsichtlich der "Eigentumsgarantie" erst in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgetragen. Laut der angefochtenen Entscheidung, Punkt 20.7, hatte die Patentinhaberin im erstinstanzlichen Verfahren nur "in einer allgemeinen Formulierung behauptet, dass alle Hilfsanträge 1 bis 17 eine notwendige und zweckmäßige Reaktion auf den Einspruch darstellen".

4. Da die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den damaligen ersten Hilfsantrag nicht zuzulassen, weder ermessensfehlerhaft war noch die Umstände der Beschwerdesache eine Zulassung rechtfertigen, lässt die Kammer den damaligen ersten Hilfsantrag nicht zum Verfahren zu (Artikel 12(6) VOBK).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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