T 0750/11 (BASF SE / INVISTA Technologies) of 3.3.2016

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2016:T075011.20160303
Datum der Entscheidung: 03 März 2016
Aktenzeichen: T 0750/11
Anmeldenummer: 05701204.9
IPC-Klasse: C07C 253/10
C07C 255/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG VON DINITRILEN
Name des Anmelders: BASF SE
Name des Einsprechenden: INVISTA Technologies S.à.r.l.
Kammer: 3.3.10
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 100(b)
European Patent Convention Art 123
European Patent Convention R 80
Schlagwörter: Hauptantrag: Änderungen veranlasst durch Einspruchsgrund - Änderungen zulässig (ja) - unzulässige Erweiterung (nein)
Klarheit (ja)
Ausreichende Offenbarung (nein)
Hilfsantrag I - Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1797/16
T 2172/17
T 2766/17
T 2212/18
T 0513/20
T 1891/22
T 2080/22

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher das europäische Patent Nr. 1 713 760 in geänderter Fassung gemäß des damals geltenden Hauptantrages aufrechterhalten wurde.

II. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung war das Patent in seinem gesamten Umfang von der Beschwerdeführerin wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ), sowie fehlender Ausführbarkeit des Gegenstandes von Anspruch 5 (Artikel 100 b) EPÜ), mangelnder Klarheit der geänderten Ansprüche (Artikel 84 EPÜ) und unzulässigen Änderungen (Artikel 123 EPÜ) angegriffen worden. Im Einspruchsverfahren wurden u.a. die folgenden Druckschriften genannt:

(1) US-A-3 773 809,

(2) US-A-3 564 040,

(3) Douglas J.M., Conceptual Design of Chemical Processes, 1988, McGraw-Hill, Inc., Seiten 163, 175 bis 177 und

(5) Process Economics Program report 31B "Hexamethylene diamine" März 1997.

III. Der angefochtenen Entscheidung lagen gemäß damaligem Hauptantrag die Ansprüche 1 bis 5 zugrunde. Der Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 1 lautet wie folgt:

"1. Verfahren zur Herstellung von Adipodinitril und Methylglutarnitril, gekennzeichnet durch die folgenden Verfahrensschritte:

(a) Umsetzung eines Pentennitrile enthaltenden Eduktstroms mit Cyanwasserstoff in Gegenwart mindestens eines Katalysators und mindestens eines Promotors unter Erhalt eines Reaktionsstroms, der Pentennitrile, den mindestens einen Nickel(0)Phosphorligand-Komplex als Katalysator, Katalysatorabbauprodukte, den mindestens einen Promotor aus der Gruppe bestehend aus den Lewis-Säuren ZnCl2, FeCl2, Et2AlCl, Et3Al2Cl3, EtAlCl2 und BPh3, Adipodinitril und Methylglutarnitril, enthält,

(b) Destillation des Reaktionsstroms unter Erhalt eines an Pentennitrilen auf 5 bis 30 Gew.-% abgereicherten Stromes 3, der den mindestens einen Katalysator, Katalysatorabbauprodukte, den mindestens einen Promotor, Adipodinitril und Methylglutarnitril enthält, als Sumpfprodukt und eines an Pentennitrilen angereicherten Stromes 4 als Kopfprodukt,

(c) Extraktion des Stromes 3 mit einem Extraktionsmittel, das ausgewählt ist aus der Gruppe, bestehend aus Cyclohexan, Methylcyclohexan, n-Hexan, n-Heptan, isomeren C6-, C7-, C8-, C9-Cycloaliphaten, isomeren C6-, C7-, C8-, C9-Isoaliphaten, cis-, trans-Decahydronaphthalin und Gemischen davon, enthalten in Strom 5 unter Erhalt eines mit Extraktionsmittel angereicherten Stromes 6 als Kopfprodukt, der den Katalysator enthält, und eines an Extraktionsmittel abgereicherten Stromes 7 als Sumpfprodukt, der Katalysatorabbauprodukte, den mindestens einen Promotor, Pentennitrile, Adipodinitril und Methylglutarnitril enthält,

(d) Destillation des Stromes 6 unter Erhalt eines den Katalysator enthaltenden Stromes 8 als Sumpfprodukt und eines das Extraktionsmittel enthaltenden Stromes 9 als Kopfprodukt, wobei Strom 9 weniger als 10 Gew.-% Pentennitrile enthält und wobei 3-Pentennitril als Zwischensieder zur Destillation gegeben wird,

(e) Destillation des Stromes 7 unter Erhalt eines Stromes 10 als Sumpfprodukt, der Katalysatorabbauprodukte, den mindestens einen Promotor, Pentennitrile, Adipodinitril und Methylglutarnitril enthält, und eines das Extraktionsmittel enthaltenden Stromes 11 als Kopfprodukt,

(f) Destillation des Stromes 10 unter Erhalt eines Stromes 12 als Sumpfprodukt, der Katalysatorabbauprodukte, den mindestens einen Promotor, Adipodinitril und Methylglutarnitril enthält, und eines Pentennitrile enthaltenden Stromes 13 als Kopfprodukt,

wobei der an Pentennitrilen angereicherte Strom 4 und/oder der Strom 13 cis-Pentennitril und (E)-2-Methyl-2-butennitril enthält und zumindest teilweise unter Erhalt eines an cis-Pentennitril und (E)-2-Methyl-2-butennitril abgereicherten Stromes 18 und eines an cis-Pentennitril und (E)-2-Methyl-2-butennitril angereicherten Stromes 19 destilliert und der Strom 18 zumindest teilweise in Verfahrensschritt (a) zurückgeführt wird,

(g) Destillation des Stromes 12 unter Erhalt eines Stromes 14 als Sumpfprodukt, der Katalysatorabbauprodukte und den mindestens einen Promotor enthält, und eines Stromes 15 als Kopfprodukt, der Adipodinitril und Methylglutarnitril enthält,

(h) Destillation des Stromes 15 unter Erhalt eines Adipodinitril enthaltenden Stromes 16 als Sumpf und eines Methylglutarnitril enthaltenden Stromes 17 als Kopfprodukt."

IV. In der Begründung der angefochtenen Entscheidung hatte die Einspruchsabteilung festgestellt, dass der Gegenstand der Ansprüche gemäß damaligem Hauptantrag keine Änderungen enthielt, die über die Offenbarung der ursprünglichen Anmeldung hinausgingen und dass die Änderungen den Erfordernissen der Regel 80 EPÜ genügten. Weiterhin stellte sie fest, dass der Wortlaut der Ansprüche klar sei und das Streitpatent ausreichende Informationen enthalte, die einem Fachmann die Ausführung der beanspruchten Erfindung erlaubten. Ausgehend von Druckschrift (1) als nächstliegendem Stand der Technik habe es indessen nicht nahegelegen, die spezifische Verknüpfung der einzelnen Verfahrensschritte (a) bis (h) herzustellen, um ein katalysatorschonendes Verfahren zur Hydrocyanierung von Pentennitrilen zur Verfügung zu stellen.

V. Die Beschwerdeführerin rügte in ihren Schriftsätzen vom 27. Mai 2011 und vom 20. April 2012, dass die Einspruchsabteilung in ihrer Begründung zur erfinderischen Tätigkeit lediglich die Argumentationslinie ausgehend von Druckschrift (1) begründet habe, nicht jedoch ausgehend von Druckschrift (5), die von der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren ebenfalls als möglicher nächstliegender Stand herangezogen worden sei. Folglich sei die angefochtene Entscheidung diesbezüglich nicht begründet und dieser schwerwiegende Verfahrensfehler rechtfertige ihren Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr. Diesen Einwand, sowie den Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr zog sie während der Verhandlung vor der Kammer am 3. März 2016 zurück und stützte sich bei ihrer Argumentation zur erfinderischen Tätigkeit nur noch auf Druckschrift (1) als nächstliegenden Stand der Technik.

Weiterhin brachte sie vor, dass die in den Ansprüchen gemäß Hauptantrag vorgenommenen Änderungen keine Basis in der ursprünglichen Anmeldung hätten, dass die Änderungen nicht den Erfordernissen der Regel 80 EPÜ genügten und dass durch die eingeführten Änderungen der Anspruch 1 unklar sei (Artikel 84 EPÜ). Die Formulierung des Anspruchs 5 gemäß Hauptantrag führe dazu, dass der Fachmann nicht wisse, wie er diesen Anspruch in seiner gesamten Breite ausführen soll (Artikel 83 EPÜ).

Die Neuheit des beanspruchten Verfahrens wurde nicht in Frage gestellt. Hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit ging die Beschwerdeführerin von Druckschrift (1) als nächstliegendem Stand der Technik aus, aus welchem bereits die Verfahrensschritte (a) bis (d) mit nur geringfügigen Abweichung bekannt seien. Die weiteren Verfahrensschritte (e) bis (h), die technisch nicht miteinander verbunden seien, seien dem Fachmann jedoch bereits aus dem Stand der Technik bekannt gewesen.

Zusammen mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin weitere Druckschriften ein, die zum Beleg des allgemeinen Fachwissens hinsichtlich des Prinzips des Lösungsmittelwechsels dienen sollten.

VI. Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2011 reichte die Beschwerdegegnerin die Hilfsanträge I bis VI ein.

Der Wortlaut der Ansprüche 1 bis 4 des Hilfsantrages I war identisch mit dem Wortlaut der Ansprüche 1 bis 4 des Hauptantrages, auf dem die angefochtene Entscheidung basierte. Die einzige Änderung gegenüber diesem Hauptantrag findet sich in Anspruch 5. Der Wortlaut dieses Anspruchs lautet wie folgt:

"5. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass Verfahrensschritt (g) als zweistufige Destillation ausgeführt wird, indem der in Verfahrensschritt (g) erhaltene Strom 14 in einem anschließenden Verfahrensschritt (m) bei einem absoluten Druck von 0,0001 bis 0,5 bar durch Destillation bei einer Temperatur im Sumpf der Destillationsapparatur von 60 bis 350°C ausgequetscht wird und der ausgequetschte Strom 14 mit mindestens einem Teil des in Verfahrensschritt (h) erhaltenen Stroms 17 enthaltend Methylglutarnitril, verdünnt wird."

VII. Die Beschwerdegegnerin beantragte im schriftlichen Verfahren, dass die im Beschwerdeverfahren von der Beschwerdeführerin eingereichten Druckschriften mangels Relevanz nicht in das Einspruchs-Beschwerdeverfahren zugelassen werden sollten.

Sie brachte vor, dass die Änderungen in Anspruch 1 den Erfordernissen des Artikels 123(2) und (3) EPÜ genügten. Die Änderung in Schritt (b) von Anspruch 1 genüge den Erfordernissen der Regel 80 EPÜ, da die Änderung den Anspruch beschränke und damit grundsätzlich geeignet sei, einem Einspruchsgrund zu begegnen. Weiterhin argumentierte sie, dass der Begriff "ausgequetscht" in Anspruch 5 möglicherweise unklar sei, die Patentschrift jedoch in jedem Falle ausreichende Informationen enthalte, welche den Fachmann in die Lage versetzten, das beanspruchte Verfahren über den gesamten beanspruchten Bereich auszuführen. Hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit brachte sie vor, dass ausgehend von Druckschrift (1) als nächstliegendem Stand der Technik die Aufgabe darin bestanden habe, ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, welches unter milderen Reaktionsbedingungen durchgeführt werden könne und bei welchem Reaktorfouling durch Katalysatorrückstände vermieden werde. Die Lösung dieser Aufgabe, nämlich der Zusatz von 3-Pentennitril als Zwischensieder in Schritt (d), sowie die zusätzlichen Verfahrensschritte (e) bis (h), sei in keiner der zitierten Druckschriften nahegelegt.

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1713760.

IX. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der Hilfsanträge I bis VI, alle wie eingereicht mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2011.

X. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurde die Entscheidung verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Hauptantrag - Anspruch 1

2. Änderungen

2.1 Artikel 123 EPÜ

2.1.1 Der Wortlaut des Anspruch 1 gemäß Hauptantrag basiert auf dem Wortlaut des erteilten Anspruchs 1, wobei in Merkmal (b) der Grad der Abreicherung von "Pentennitrilen auf 5 bis 30 Gew.-%" des Stromes 3 beschränkt wurde und am Ende des Merkmals (d) hinzugefügt wurde, dass "Strom 9 weniger als 10 Gew.-% Pentennitrile enthält" und "3-Pentennitril als Zwischensieder zur Destillation gegeben wird".

2.1.2 Basis für die Änderung in Merkmal (b) findet sich in der ursprünglichen Beschreibung auf Seite 16, Zeilen 29 bis 31. Basis für die Änderungen in Merkmal (d) finden sich im ursprünglichen Anspruch 10 (erteilter Anspruch 6), sowie in der ursprünglichen Beschreibung, Seite 19, Zeilen 38 bis 40.

2.1.3 Die Beschwerdeführerin rügte, dass die Änderung in Merkmal (b), betreffend die Beschränkung des Pentennitrilgehaltes in Strom 9 in der ursprünglichen Beschreibung zu finden sei, jedoch dort als "meist bevorzugte" Ausführungsform beschrieben sei. Die anderen technischen Merkmale des Anspruch 1 beträfen jedoch nur "bevorzugte" Ausführungsformen. Daher sei eine Kombination aus unterschiedlich bevorzugten Ausführungsformen beansprucht, welche in dieser Form nicht offenbart gewesen sei und die somit nicht den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ genüge.

2.1.4 Die zitierten Passagen beziehen sich jedoch auf allgemein offenbarte Einzelschritte des beanspruchten Verfahrens, die unabhängig voneinander jeweils einzeln eingeschränkt werden können. Es ist dabei unerheblich, bis zu welchem Grad die einzelnen Verfahrensschritte beschränkt werden, da nach der geltenden Rechtsprechung eine Beschränkung auch nur eines einzigen von mehreren Verfahrensschrittes auf eine bevorzugte oder meist bevorzugte Ausführungsform den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ genügt.

2.1.5 Da die zitierten Passagen jeweils allgemein bevorzugte oder meist bevorzugte Ausführungsformen des beanspruchten Verfahrens betreffen, und die Änderungen eine Beschränkung des erteilten Anspruchs darstellen, sieht die Kammer die Erfordernisse des Artikels 123(2) und (3) EPÜ erfüllt.

2.2 Artikel 84 EPÜ

2.2.1 Die Beschwerdeführerin rügte, dass durch die Änderung in Verfahrensschritt (d) der Wortlaut des Anspruchs 1 unklar sei, da gemäß Verfahrensschritt (d) 3-Pentennitril als Zwischensieder zugesetzt werde. Da einige der in Schritt (c) definierten Extraktionsmittel jedoch einen höheren Siedepunkt als 3-Pentennitril aufwiesen, könne dieses nicht als Zwischensieder fungieren. Folglich sei der Anspruch unklar.

2.2.2 Indessen ist festzustellen, dass die Liste der Extraktionsmittel sowohl die dort aufgezählten Einzelkomponenten, als auch Gemische davon umfasse. Der Fachmann kennt sowohl den Siedepunkt von 3-Pentennitril, als auch von den in Schritt (c) aufgelisteten Extraktionsmitteln. Er wird daher im Falle von Extraktionsmitteln mit einem höheren Siedepunkt als 3-Pentennitril durch Zumischen von anderen Extraktionsmitteln aus der Liste ein geeignetes System auswählen, bei dem 3-Pentennitril als Zwischensieder fungiert.

2.2.3 Die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ sind daher erfüllt.

2.3 Regel 80 EPÜ

2.3.1 Die Beschwerdeführerin rügte, dass die Änderung in Merkmal (b) des gemäß Anspruch 1 beanspruchten Verfahrens, nämlich die Destillation des Reaktionsstroms unter Erhalt eines an Pentennitrilen auf 5 bis 30 Gew.-% abgereicherten Stromes 3, nicht den Erfordernissen der Regel 80 EPÜ genüge. Ein an Pentennitrilen auf 5 bis 30 Gew.-% abgereicherter Strom werde nämlich bereits in Druckschrift (1) erreicht, mit der Folge, dass die von der Beschwerdegegnerin eingeführte Beschränkung keinen Einspruchsgrund beheben könne.

2.3.2 Indessen ist eine Änderung nach Regel 80 EPÜ dann formal zulässig, wenn sie als ernsthafter Versuch zu werten ist, einem Einspruchsgrund zu begegnen. Damit steht formal eine Änderung, die den Gegenstand eines unabhängigen Anspruches weiter einschränkt, als im Einklang mit Regel 80 EPÜ. Ob aber jede einschränkende Änderung tatsächlich einen angezogenen Einspruchsgrund behebt ist eine Frage die erst bei der materialrechtlichen Prüfung zu klären ist.

2.3.3 Daher sieht die Kammer die Erfordernisse der Regel 80 EPÜ als erfüllt.

Hauptantrag - Anspruch 5

3. Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

3.1 Die Beschwerdeführerin rügte, dass die Formulierung des Anspruchs 5 gemäß Hauptantrag so unklar sei, dass der Fachmann nicht wisse, wie er diesen Anspruch in seiner gesamten Breite ausführen soll (Artikel 83 EPÜ). Insbesondere sei der Verfahrensschritt (m), wonach der Strom 14 "ausgequetscht" wird, dem Fachmann nicht bekannt.

3.2 In dem für den beanspruchten Gegenstand relevanten technischen Gebiet, das im weitesten Sinne die Trennung von flüssigen Gemischen betrifft, ist der Begriff "ausquetschen" nicht allgemein bekannt. Im allgemeinen Sprachgebrauch beschreibt der Begriff "ausquetschen" ein Trennverfahren unter Kraftanwendung. Jedoch kann der Fachmann auch mit dieser Interpretation nicht feststellen, welches Verfahren er im vorliegenden Fall für die Trennung eines Flüssigkeitsgemisches auswählen soll, um der beanspruchten Definition von "ausquetschen" gemäß Verfahrensschritt (m) zu genügen. In der Beschreibung des Streitpatentes erfolgt das "ausquetschen" vorzugsweise durch Destillation bei einem absoluten Druck von 0,0001 bis 0,5 bar durch Destillation bei einer Temperatur im Sumpf der Destillationsapparatur von 60 bis 350°C. Neben dieser vorzugsweise verwendeten Methode sind keine weiteren Methoden angegeben. Daher enthält das Streitpatent keine ausreichenden Informationen, die es dem Fachmann ermöglichen, den beanspruchten Verfahrensschritt (m) in seiner gesamten Breite ausführen zu können.

3.3 Daher ist die Kammer der Auffassung, dass der Einspruchsgrund unter Artikel 100 (b) EPÜ in Verbindung mit Artikel 83 EPÜ durchgreift und der Hauptantrag folglich nicht gewährbar ist.

Hilfsantrag I

4. Änderungen

Der Wortlaut der Ansprüche 1 bis 5 des Hilfsantrages I basiert auf dem Wortlaut der Ansprüche 1 bis 5 gemäß Hauptantrag mit der einzigen Änderung im unabhängigen Anspruch 5, in welchem der Begriff "ausgequetscht" durch Zusatz der Verfahrensparameter "bei einem absoluten Druck von 0,0001 bis 0,5 bar durch Destillation bei einer Temperatur im Sumpf der Destillationsapparatur von 60 bis 350°C" beschränkt wurde (siehe Paragraph VI supra).

Diese Änderung findet ihre Basis in der ursprünglichen Anmeldung auf Seite 28, Zeilen 4 bis 8.

Die Beschwerdeführerin hatte keine Einwände unter Artikel 123(2) und (3) EPÜ.

Daher sieht die Kammer die Erfordernisse des Artikels 123(2) und (3) EPÜ als erfüllt.

5. Artikel 83 EPÜ

Gegen des Anspruch 5 des Hilfsantrages hatte die Beschwerdeführerin keinen Einwand unter Artikel 83 EPÜ. Da der im Hauptantrag gerügte Begriff "ausgequetscht" durch die Angabe von konkreten Verfahrensschritten auf spezifische Ausführungsformen beschränkt wurde (siehe Paragraph VI. und 4. supra), sieht auch die Kammer keine Veranlassung, die Ausführbarkeit des in Anspruch 5 des Hilfsantrages I beanspruchten Gegenstandes in Zweifel zu ziehen. Die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ sind daher erfüllt.

6. Die Neuheit des gemäß Hilfsantrag I beanspruchten Gegenstandes wurde nicht angegriffen.

7. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

7.1 Anspruch 1 betrifft ein Verfahren zur Herstellung von von Adipodinitril und Methylglutarnitril mit anschließender Auftrennung des Produktgemisches. Ein derartiges Verfahren offenbart auch die Druckschrift (1), die in der angefochtenen Entscheidung als nächstliegender Stand der Technik herangezogen wurde. Die Beschwerdeführerin zog im schriftlichen Verfahren zusätzlich die Druckschrift (5) als geeigneten nächstliegenden Stand der Technik heran, beschränkte sich jedoch während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nur noch auf Druckschrift (1) als nächstliegenden Stand der Technik.

7.2 Druckschrift (1) offenbart ein Verfahren zur Herstellung von Adipodinitril und Methylglutarnitril unter Verwendung eines Nickel(0)-Phosphorligandkomplexes als Katalysator (Anspruch 1 und Spalte 2, Zeilen 25 bis 27). Anschließend werden die Phosphorverbindungen und deren Metallkomplexe, sowie Mononitrile abgetrennt (Ansprüche 1, 3 bis 6, Spalte 4, Zeilen 28 bis 34).

Zur Erleichterung der Extraktion wird in der Reaktionsmischung die vorhandene Menge an Pentennitrilen reduziert. Diese Abreicherung an Pentennitril wird durch verschiedene Maßnahmen ermöglicht, nämlich entweder durch die Einstellung einer höheren Konversionsrate, durch Flashdestillation von überschüssigem Mononitril oder durch Zusatz von ADN (Spalte 1, Zeile 63 bis Spalte 2, Zeile 17).

Durch Extraktion mit einem Paraffin oder Cycloparaffin werden der Katalysator und die organische Phosphorverbindung abgetrennt (Spalte 3, Zeilen 15 bis 27) und in einem anschließenden Destillationsschritt wird das Extraktionsmittel aus der extrahierten Phase abdestilliert (siehe Beispiel 3 und 7).

7.2.1 Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass Druckschrift (1), zumindest implizit auch den Grad der Abreicherung auf 5 bis 30 Gew.-% an Pentennitril vor dem Extraktionsschritt Druckschrift (1) offenbare, sowie den Gehalt von weniger als 10 Gew.-% Pentennitril im Kopfprodukt der destillierten Extraktionsphase, entsprechend Strom 9 des Streitpatentes. Der Zusatz von 3-Pentennitril als Zwischensieder sei zwar nicht offenbart, aber da 3-Pentennitril bereits ein Bestandteil der Reaktionsmischung sei, sei ein technischer Effekt fraglich.

7.2.2 Zugunsten der Beschwerdeführerin geht die Kammer im Folgenden davon aus, dass die Druckschrift (1) zumindest nicht die streitpatentgemäßen Verfahrensschritte (e) bis (h), sowie den Zusatz von 3-Pentennitril als Zwischensieder bei der Destillation der Extraktionsphase entsprechend des Verfahrensschrittes (d) des Streitpatentes offenbart.

7.3 Ausgehend von diesem Stand der Technik bestand laut Beschwerdegegnerin die technische Aufgabe darin, ein Verfahren zur Herstellung von Adipodinitril und Methylglutarnitril bereitzustellen, welches eine effektive Abtrennung des Katalysators erlaubt, ohne dass dabei der Katalysator geschädigt wird oder ein Reaktorfouling auftritt.

7.4 Als Lösung bietet das Streitpatent das Verfahren gemäß Anspruch 1 an, welches dadurch gekennzeichnet ist, dass in Verfahrensschritt (d) 3-Pentennitril als Zwischensieder bei der Destillation der Extraktionsphase zugesetzt wird und die weitere Auftrennung der Reaktionsmischung entsprechend der Verfahrensschritte (e) bis (h) erfolgt.

7.5 Zum Beleg dafür, dass die in Paragraph 7.3 supra definierte technische Aufgabe tatsächlich gelöst wird, verwies die Beschwerdegegnerin auf die Beispiele 1 und 2 des Streitpatentes.

7.5.1 Die Destillation des Stromes 6, welcher das Extraktionsmittel und den Katalysator enthält, wird gemäß Streitpatent unter Zusatz von 3-Pentennitril als Zwischensieder durchgeführt. Dabei wird die Destillation im Streitpatent bei Sumpftemperaturen von 353K (80°C; Beispiel 1) und 361K (88°C; Beispiel 2) durchgeführt, wodurch eine Zersetzung des Katalysators verhindert wird. In Druckschrift (1) wird nur in Beispiel 7 eine destillative Trennung des aus der Extraktion erhaltenen Gemisches von Extraktionsmittel und Katalysator durchgeführt. Dabei wird jedoch eine im Vergleich zum Streitpatent höhere Sumpftemperatur von 150°C erreicht, was eine stärkere thermische Belastung des Katalysators zur Folge hat. Obwohl die Beispiele des Streitpatentes und der Druckschrift (1) nicht direkt miteinander verglichen werden können, erscheint es dennoch glaubhaft, dass in dem Verfahren gemäß Streitpatent bei der Destillation eine geringere Menge an Katalysator zersetzt wird und damit eine effektivere Rückgewinnung des Katalysators erreicht wird.

Gemäß Beispiel 7 der Druckschrift (1) erhält man bei der Destillation im Sumpf einen zähflüssigen Rückstand, welcher den Katalysator enthält. Bei der streitpatentgemäßen Durchführung der Destillation liegt jedoch stets auch der Zwischensieder 3-Pentennitril im Sumpf vor, welcher den Katalysator in Lösung hält und damit ein Reaktorfouling verhindert.

Zusätzlich von Vorteil ist, dass 3-Pentennitril bereits als ein Bestandteil der Reaktionslösung vorliegt, so dass dessen zusätzliche Verwendung als Zwischensieder keine weiteren Abtrennungsschritte erfordert.

7.5.2 Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass die behauptete Verbesserung nicht über den gesamten beanspruchten Beriech glaubhaft sei, da die Menge an Zwischensieder nicht begrenzt sei. So könne mit einer sehr geringen Menge an 3-Pentennitril weder eine signifikant erniedrigte Sumpftemperatur, noch ein flüssiger Katalysatorrückstand im Sumpf der Destillation erreicht werden. Das Streitpatent selbst verweise in Paragraph [0096] auch darauf, dass eine zu große Menge an 3-Pentennitril nachteilig für das Verfahren sei.

Indessen ist festzustellen, dass dem Fachmann das Prinzip der Destillation mit Lösungsmittelwechsel oder Zwischensieder bekannt ist und er in der Lage ist, die jeweiligen Mengen an zugesetztem 3-Pentennitril anzupassen. Der Hinweis auf den negativen Einfluss einer zu großen Menge an 3-Pentennitril im Streitpatent betrifft jedoch die jeweilige Menge an 3-Pentennitril im abgetrennten Extraktionsmittel entsprechend Strom 9, wobei der Restgehalt an 3-Pentennitril unter 10 Gew.-% gehalten werden soll, um eine Aufpegelung des Zwischensieders zu verhindern. Die bei der Destillation im Strom 8 (Sumpf) verbleibende Menge an 3-Pentennitril ist unkritisch. Daher vermag das Argument der Beschwerdeführerin nicht zu überzeugen.

7.5.3 Daher ist die Kammer der Auffassung, dass die in Paragraph 7.3 supra genannte technische Aufgabe erfolgreich gelöst ist.

7.6 Es bleibt daher zu untersuchen, ob es zur Lösung der technischen Aufgabe nahegelegen hat, bei der Destillation des Stromes 6 gemäß Schritt (d) 3-Pentennitril als Zwischensieder einzusetzen und zur Auftrennung des Reaktionsgemisches die weiteren Verfahrensschritte (e) bis (h) durchzuführen.

7.6.1 Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass die Verfahrensschritte des beanspruchten Verfahrens technisch nicht miteinander verbunden seien und durch die Druckschriften (1), (2) und (3) nahegelegt seien:

In Druckschrift (1) liege vor der Extraktion des Katalysators bereits nicht umgesetztes 3-Pentennitril in der Reaktionslösung vor, welches bei einer Destillation der abgetrennten Mischung aus Katalysator und Extraktionsmittel als Zwischensieder fungiere. Das Prinzip des Lösungsmittelwechsels zur schonenden destillativen Auftrennung eines Gemisches sei dem Fachmann aus seinem allgemeinen Fachwissen bekannt. Die Abtrennung von störendem cis-2-Pentennitril und (E)-2-Methyl-2-butennitril in einem Teilschritt des streitpatentgemäßen Verfahrensschrittes (f) sei bereits aus Druckschrift (2) bekannt. Die Destillationsschritte (e) bis (h) zur Auftrennung des Produktgemisches von Strom 7 entspreche der destillativen Auftrennung eines Mehrkomponentengemisches, wie es bereits in allgemeiner Form in Tabelle 7.3-1 der Druckschrift (3) gelehrt werde.

7.6.2 Indessen ist festzustellen, dass der Zusatz von 3-Pentennitril als Zwischensieder keiner der zitierten Druckschriften zu entnehmen ist. Auch wenn in Druckschrift (1), wie auch im Streitpatent, nicht umgesetztes 3-Pentennitril in der Reaktionsmischung vorliegt, so lehrt diese Druckschrift nicht, darüber hinaus noch weiteres 3-Pentennitril als Zwischensieder zuzusetzen. Keine der zitierten Druckschriften gibt einen Hinweis darauf, 3-Pentennitril als systemimmanenten Zwischensieder zuzusetzen.

7.6.3 Hinsichtlich der in den Druckschriften (2) gelehrten Abtrennung von cis-2-Pentennitril und (E)-2-Methyl-2-butennitril ist festzustellen, dass diese Maßnahme nicht im Zusammenhang mit den weiteren beanspruchten Verfahrensschritten genannt ist. Somit kann auch Druckschrift (2) das beanspruchte Verfahren nicht nahelegen.

7.6.4 Die Druckschrift (3) betrifft theoretische Überlegungen zur Trennung von flüssigen Mehrkomponentensystemen. Dabei verweist die Tabelle 7.3-1 bereits auf 14 mögliche Trennungssequenzen für eine Mischung aus 5 Komponenten und bereits 42 mögliche Trennungssequenzen für eine Mischung aus 6 Komponenten. Diese allgemeine Information lehrt jedoch weder die spezifischen Verfahrensschritte (e) bis (h), noch deren Kombination mit dem spezifischen Rezyklierungsschritt zur Abtrennung störender Nebenprodukte in Schritt (f) des Streitpatentes.

7.7 Daher wird das Verfahren gemäß Streitpatent weder von Druckschrift (1) alleine, noch in Kombination mit den Druckschriften (2), (3) und dem allgemeinen Fachwissen des Fachmanns nahegelegt.

7.8 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrages I auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht.

8. Der Gegenstand der abhängigen Ansprüche 2 bis 5 betrifft bevorzugte Ausführungsformen des Verfahrens gemäß Anspruch 1 und beruht daher ebenfalls auf einer erfinderischen Tätigkeit.

9. Da der Gegenstand des Hilfsantrages I als gewährbar erachtet wird, ist auf die nachrangigen Hilfsanträge II bis IV nicht weiter einzugehen. Da die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Druckschriften nicht für die Entscheidung der Kammer herangezogen wurden, kann auf eine formale Entscheidung, ob sie in das Beschwerdeverfahren zuzulassen sind, oder nicht, verzichtet werden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen zur Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Patentansprüche 1 bis 5, eingereicht als Hilfsantrag I mit Schreiben vom 19. Dezember 2011, und einer daran anzupassenden Beschreibung.

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