T 1942/21 (Synthesegas/Baumit) of 19.1.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:T194221.20240119
Datum der Entscheidung: 19 Januar 2024
Aktenzeichen: T 1942/21
Anmeldenummer: 17181584.8
IPC-Klasse: C04B 2/10
C04B 7/44
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUM BRENNEN VON KALK ODER ZEMENT MIT SYNTHESEGAS
Name des Anmelders: Baumit Beteiligungen GmbH
Name des Einsprechenden: Südbayerisches Portland-Zementwerk
Gebr. Wiesböck & Co. GmbH
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(b)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Schlagwörter: nach oben offener Bereich - mangelnde Offenbarung (ja)
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0412/93
T 0136/04
T 1018/05
T 1697/12
T 0398/19
T 0615/19
T 1945/19
T 2843/19
T 1586/20
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) betrifft die Entscheidung der Einspruchsabteilung das europäische Patent EP 3 293 159 B1 wegen mangelnder Ausführbarkeit zu widerrufen.

II. Anspruch 1 des erteilten Patents ist wie folgt:

"1. Verfahren zum Brennen von Kalk oder Zement, bei dem Synthesegas erzeugt und gegebenenfalls zusammen mit fossilen Brennstoffen zum Brennen des Kalks oder Zements verwendet wird, dadurch gekennzeichnet, dass im Synthesegas der Anteil von Methan mehr als 12 Vol-%, vorzugsweise mehr als 14 Vol-%, beträgt und dass das Volumsverhältnis von Methan zu Kohlenmonoxid zumindest 6:10, vorzugsweise zumindest 8:10, beträgt."

III. In der mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2024 reichte die Beschwerdeführerin einen Hilfsantrag ein. Die unterstrichene Änderung wurde in Anspruch 1 aufgenommen.

"1. [...] vorzugsweise mehr als 14 Vol-% und maximal 16%, beträgt und [...]."

IV. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden.

Der nach oben offene Bereich stelle keine Problem dar, da bei Abwesenheit einer Mengenangabe von Methan sich ja auch kein Problem ergebe. Die Erfindung bestehe darin ein Synthesegas bereitzustellen, das einen Anteil von Methan von mehr als 12 Vol-% enthält. Das Beispiel zeige, dass dies erreicht werde. Es stimme, dass das Patent keine Lehre für einen Anteil von Methan von 20 bis 25 Vol-% enthalte.

Es habe keinen Anlass gegeben früher einen Antrag einzureichen, der den Bereich des Anteils an Methan nach oben abgrenzt. Dieser Einwand sei überraschend. Es habe viele Einwände gegeben und es sei nicht möglich auf alle zu reagieren.

V. Die wesentlichen Argumente der Beschwerdegegnerin (Einsprechenden) spiegeln sich in den unten angegebenen Entscheidungsgründen wider.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Einspruch zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage des per E-mail während der mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2024 eingereichten Hilfsantrags 1 aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag (Patent wie erteilt)

1. Artikel 100(b) EPÜ

Anspruch 1 betrifft ein Verfahren, in dem Synthesegas erzeugt wird. Der Anteil von Methan soll mehr als 12 Vol-% betragen. Eine obere Grenze für den Methananteil gibt es nicht.

Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung erfüllt, wenn der Fachmann die in den unabhängigen Ansprüchen definierte Erfindung über den gesamten Schutzbereich der Ansprüche anhand seines allgemeinen Fachwissens ohne unzumutbaren Aufwand ausführen kann (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, II.C.5.4).

Im vorliegenden Fall stellt sich somit die Frage, ob die Fachperson genügend Anleitungen im Patent erhält wie hohe Anteile an Methan im Synthesegas erhalten werden können. Der Argumentation der Beschwerdeführerin, dass diese Frage sich gar nicht stelle, da ohne Angabe einer Untergrenze für Methan, kein Ausführbarkeitsproblem vorgelegen hätte, kann nicht zugestimmt werden. Würde diese Argumentation gutgeheißen, so könnte eine Einschränkung eines Anspruchs durch einen nicht-ausführbaren Parameter nicht bemängelt werden, da der breitere Anspruch ohne den Parameter ja wahrscheinlich kein Ausführbarkeitsproblem aufwiese. Es ist jedoch etablierte Rechtsprechung, dass, wenn ein wesentliches Merkmal einer Erfindung durch einen Parameter ausgedrückt wird, sich die Frage stellt, ob der Parameter so definiert ist, dass es der Fachperson möglich ist, anhand der Offenbarung in ihrer Gesamtheit und mithilfe des allgemeinen Fachwissens ohne unzumutbaren Aufwand die technischen Maßnahmen zu identifizieren, die zum beanspruchten Gegenstand führen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, II.C.5.5).

Diese Sichtweise ist auch im Einklang mit Entscheidungen, die abhängige, also eingeschränkte Ansprüche als nicht ausführbar ansahen, ohne den breiteren unabhängigen Anspruch wegen fehlender Ausführbarkeit zu bemängeln (siehe z.B. T 412/93 (Gründe 29), T 136/04 (Gründe 3.3), T 1945/19 (Gründe 2) und T 1586/20 (Gründe 3.4)).

Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass das Patent ausreichend Anweisungen enthalten muss, wie das jetzt wesentliche Merkmal, das sozusagen das zu erreichende Ergebnis definiert, nämlich einen Methananteil von mehr als 12 Vol-% im Synthesegas zu erhalten, über die gesamte Breite verwirklicht werden kann. Dieses Merkmal ist das Wesen der Erfindung, da Synthesegas mit weniger Methan bereits bekannt war. Deshalb sollte die Lehre des Patents es erlauben, dieses neue Merkmal über den gesamten beanspruchten Bereich zu erhalten.

Obwohl der vorliegende Fall ein zu erreichendes Ergebnis einer chemischen Reaktion betrifft und nicht einen physikalischen Parameter, ist er trotzdem ähnlich gelagert wie der in der Rechtsprechung zitierte T 1697/12 (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, II.C.5.5.2). Dort wurde ein wasserabsorbierendes Mittel durch ein nach oben nicht begrenztes Absorptionsvermögen definiert. Es war unbestritten, dass bestimmte realistische Werte durch das offenbarte Verfahren nicht erreichbar waren. Deshalb wurde die Ausführbarkeit nicht anerkannt (Gründe 5.5). Im vorliegenden Fall führt die Einführung der Methanmenge im Synthesegas dazu, dass dieses Merkmal wesentlich ist (Regel 43(3) EPÜ) und sich somit die Frage stellt, wie das beanspruchte Ziel über den gesamten Bereich erreicht werden kann. Das Patent enthält Informationen wie die Untergrenze von 12 Vol-% Methan überschritten werden kann und offenbart ein Ausführungsbeispiel, in dem das erhaltene Synthesegas 16 Vol-% Methan enthält. Dieses Resultat ist auch im Einklang mit den Methanmengen von etwa 17 Vol. %, die in den Versuchen erreicht wurden, die in der Beschwerdebegründung (siehe Tabelle Seite 24), angegeben sind. Jedoch gibt es keinerlei Informationen im Patent, wie Methanmengen von 20 bis 25% erreicht werden können, die sicherlich nicht als unrealistisch angesehen werden. Dies wurde auch nicht von der Beschwerdeführerin bestritten. Es stimmt, dass der nach oben offene Bereich durch das Verfahren an sich (Reaktion mit Wasserdampf) beschränkt ist (siehe auch T 1018/05, Gründe 2.3), jedoch sind Werte im Bereich von 20 bis 25 Vol.% Methan unbestritten nicht durch diese Beschränkung ausgeschlossen.

Die Kammer ist sich bewusst, dass es Entscheidungen gibt, die jedoch einen physikalischen Parameter betreffen, in denen der nach oben offene Bereich als nicht problematisch angesehen wurde (z.B. T 398/19, sowie T 615/19). In beiden Entscheidungen wurde jedoch eine implizite Beschränkung des Bereiches festgestellt (siehe T 398/19 (Gründe 1.5.2 und 1.5.3) sowie T 615/19 (Gründe 1.2.4 und 1.2.5). Deshalb wurde die T 1697/12 in den Fällen als nicht relevant angesehen. Im vorliegenden Fall ist jedoch die Situation anders, da die implizite Einschränkung nur bei sehr hohen Methangehalten zum Tragen kommt, und die Lehre nicht ausreichend ist, um hohe, aber nicht unrealistische Methangehalte zu erreichen. Deshalb wird die T 1697/12, wie oben ausgeführt, als relevant angesehen.

Da es unstrittig zwischen den Parteien war, dass Methangehalte von 20 bis 25 Vol. % von dem Anspruch umfasst sind und die Lehre des Patents dahingehend nicht ausreichend ist, wird der Gegenstand des Anspruchs 1 als nicht ausführbar angesehen.

Artikel 100(b) EPÜ steht somit der Aufrechterhaltung des Patents entgegen.

Hilfsantrag

2. Artikel 13(2) VOBK 2020

Gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, stichhaltige Gründe werden dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

Im vorliegenden Fall liegen aus folgenden Gründen keine außergewöhnlichen Umstände vor.

Der jetzige Hilfsantrag, der eine Beschränkung des Bereiches des Methangehalts durch ein Merkmal aus dem Ausführungsbeispiel enthält, wurde in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereicht, nachdem die Kammer nach Beratung verkündet hatte, dass sie den Einwand unter Artikel 100(b) EPÜ als durchgreifend ansah.

Der Einwand unter Artikel 100(b) EPÜ betreffend die Ausführbarkeit über den gesamten Bereich war bereits Teil der Einspruchsschrift (siehe Seite 9, letzter und vorletzter Absatz). Dieser Einwand war dann Teil des gesamten Einspruchsverfahrens (siehe Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, Seite 2, zweiter und vierter Absatz sowie die angefochtene Entscheidung Punkt 3.3.1, letzter Satz). In der Beschwerdeerwiderung wurde der Einwand nochmals von den Beschwerdegegnerin bekräftigt (siehe Seite 6, erster Absatz und Seite 10, Punkt (i)). Die Beschwerdegegnerin hat jedoch daraufhin überhaupt keinen Hilfsantrag gestellt. Die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Replik ist in T 2843/19 (Gründe 3.3) abgehandelt.

Während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer wurde dieser Einwand nochmals diskutiert. Es gab also keine neuen Sachverhalte, die einen neuen Antrag zu einem solch späten Verfahrensstadium veranlasst hätten. Weder die Mitteilung oder die Diskussion in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer, noch die Änderung der Meinung der Kammer im Vergleich zur Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 können im vorliegenden Fall die erforderlichen außergewöhnlichen Umstände bedingen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, V.A.4.5.6 c) und i)).

Allgemein muss eine Patentinhaberin auch damit rechnen, dass die Kammer die Sachlage anders beurteilt, als die Patentinhaberin es mit größter Wahrscheinlichkeit erwartet hätte. Demzufolge hätte die Patentinhaberin sofort auf Angriffe der Einsprechenden reagieren müssen, selbst wenn die Patentinhaberin die Angriffe als unbegründet erachtet hatte.

Auch stellt die Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 an sich keine Einladung dar, neue Eingaben zu machen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, V.A.4.5.6 a)).

Der Antrag wird somit nicht berücksichtigt und ist nicht Teil des Beschwerdeverfahrens.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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