T 0988/21 () of 28.11.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T098821.20231128
Datum der Entscheidung: 28 November 2023
Aktenzeichen: T 0988/21
Anmeldenummer: 15176526.0
IPC-Klasse: B41M 5/44
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Wärmeempfindliches Aufzeichnungsmaterial
Name des Anmelders: Mitsubishi HiTec Paper Europe GmbH
Name des Einsprechenden: Koehler Oberkirch GmbH
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 100(b)
European Patent Convention Art 111(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 011
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(6)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Schlagwörter: Zulassung von Dokumenten
Ausführbarkeit - erteiltes Patent (ja)
Neuheit - erteiltes Patent (nein)
Zurückverweisung (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0593/03
T 0063/06
T 0338/10
T 2403/11
T 2290/12
T 1305/15
T 2445/17
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 3 109 059 (Patent) zurückzuweisen.

II. Der Einspruch war gegen das Patent in vollem Umfang eingelegt und auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 54 EPÜ (fehlende Neuheit) und Artikel 56 EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit), nach Artikel 100 b) EPÜ und Artikel 100 c) EPÜ gestützt worden.

III. Mit ihrer Beschwerdebegründung vom 1. September 2021 reichte die Beschwerdeführerin die Dokumente D20 und D21 ein und nahm Bezug auf den Internet-Verweis D26.

IV. Mit ihrer Beschwerdeerwiderung reichte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) geänderte Ansprüche gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 9 ein.

V. In ihrem Schreiben vom 14. April 2022 nannte die Beschwerdeführerin noch den Internet-Verweis D27.

VI. Mit ihrem Schreiben vom 22. November 2023 reichte die Beschwerdegegnerin eine schematische Zeichnung (Skizze) mit erläuternden Anmerkungen ein und gab an, dass sie sich voraussichtlich in ihrem mündlichen Vortrag in der mündlichen Verhandlung darauf beziehen werde.

VII. Mit ihrem Schreiben vom 24. November 2023 reichte die Beschwerdegegnerin geänderte Ansprüche gemäß den Hilfsanträgen 1a, 2a, 3a und 4a ein.

VIII. Am 27. und 28. November 2023 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

IX. Anträge

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents, und hilfsweise die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchs­abteilung.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag) und hilfsweise die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung, und weiter hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des europäischen Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche gemäß einem der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1, 2 oder 7, oder einem der mit Schreiben vom 24. November 2023 eingereichten Hilfsanträge 1a, 2a, 3a oder 4a, oder einem der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 3, 4, 5, 6, 8 oder 9.

X. In dieser Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:

D1: JP H05 8541 A;

D1A: deutsche Übersetzung des Dokuments D1

D1B: englische Maschinenübersetzung des

japanischen Patentamts;

D1C: Kopie des Schriftverkehrs per E-Mail

zwischen dem Vertreter der Beschwerde-

führerin und dem Übersetzungsbüro, das

das Dokument D1A erstellt hat;

D2: JP H11 348430 A;

D2A: englische Übersetzung des Dokuments D2;

D3: EP 1 637 339 A1;

D4: JP 2006 095842 A;

D4A1: englische Übersetzung des Dokuments D4;

D4A2: https://patents.google.com/patent/

JP2006095842A/en?oq=jp2006095842

D5: EP 0 780 241 A1;

D6: EP 0 579 430 A1;

D10: "Untersuchungen zur Ausbildung einer Diffusions- schicht bei der Silikonisierung von Thermo- papieren" Untersuchungsbericht Omya,

Projekt Nr. M18267 und Untersuchungs-

bericht TU Graz, Abteilung Felmi ZFE,

Nr. A16040/1, 18. März 2019;

D11: Muster der Probe "Koehler KT 75 LL

silikonisiert";

D12: Muster der Probe "Mitsubishi LL 8077

silikonisiert";

D14: "Versuchsbericht", 2020;

D20: "Versuchsbericht D20", 2021;

D21: US 4,604,635;

D26: Verweis auf https://www.innoform-

testservice.de/de/mechanische-technologische-

eigenschaften/glaette-nach-bekk

D27: Verweis auf https://www.hitachihightech.com/ip/

sinews/technology/5217/.

XI. Der Wortlaut der unabhängigen Ansprüche 1, 12, 13 und 14 des erteilten Patents lautet wie folgt (die in der Entscheidung der Einspruchsabteilung verwendete Merkmalsgliederung ist in eckigen Klammern eingefügt):

"[1.1] Wärmeempfindliches Aufzeichnungsmaterial,

[1.2] - mit einem bahnförmigen Substrat (1), aufweisend eine Vorderseite und eine der Vorderseite gegenüberliegende Rückseite,

[1.3] - mit einer vorderseitig des bahnförmigen Substrats (1) angeordneten wärmeempfindlichen Aufzeichnungsschicht (3),

[1.3.1] wobei diese wärmeempfindliche Aufzeichnungsschicht (3) mindestens einen Farbstoffvorläufer und [1.3.2] mindestens einen mit diesem mindestens einen Farbstoffvorläufer reaktionsfähigen (Farb-)Entwickler enthält,

[1.4] - mit einer vorderseitigen Oberfläche (6) des wärmeempfindlichen Aufzeichnungsmaterials, welche dehäsiv ausgebildet ist gegenüber Klebstoffschichten (7), die auftragbar sind auf der Rückseite des bahnförmigen Substrats (1), [1.4.1] wobei das wärmeempfindliche Aufzeichnungsmaterial zur Ausbildung seiner dehäsiven vorderseitigen Oberfläche (6)

· eine oberhalb der wärmeempfindlichen Aufzeichnungsschicht (3) angeordnete mindestens ein Trennmittel aufweisende Beaufschlagung (5), [1.4.2] wobei die Beaufschlagung (5) als das mindestens eine Trennmittel eine Silikonkomponente enthält, und

[1.4.3] · eine zwischen der mindestens ein Trennmittel aufweisenden Beaufschlagung (5) und der wärmeempfindlichen Aufzeichnungsschicht (3) ausgebildete Diffusionsschicht (4) aufweist,

[1.5] wobei die Diffusionsschicht (4) ausgebildet ist durch flächiges Eindiffundieren von Teilen mindestens des Trennmittels aus der Beaufschlagung (5) in den zur Beaufschlagung (5) hin orientierten oberen Bereich der vor der Auftragung der Beaufschlagung (5) aufgetragenen wärmeempfindlichen Aufzeichnungsschicht (3) und wobei ein Anteil von 5 bis 50 Gew.-% der Gesamtheit der Trennmittel der Beaufschlagung (5), in den oberen Bereich der ausgebildeten wärmeempfindlichen Aufzeichnungsschicht (3) eindiffundiert ist,

[1.6] wobei die wärmeempfindliche Aufzeichnungsschicht (3) mindestens ein anorganisches Pigment enthält, ausgesucht aus der Liste, umfassend Kaolinit, Magnesiumsilikathydrat (Talk), Aluminiumhydroxid, Kalziumkarbonat und Siliziumdioxid (Kieselsäure)."

"[12.1] Verfahren zur Herstellung eines wärmeempfindlichen Aufzeichnungsmaterials nach einem der Patentansprüche 1 bis 11, wobei das Verfahren mindestens die Verfahrensschritte enthält:

[12.2] - Ausbilden eines bahnförmigen Substrats (1), aufweisend eine Vorderseite und eine der Vorderseite gegenüberliegende Rückseite,

[12.3] - optional:

- Vorbereiten einer ersten Beschichtungszusammensetzung, wobei diese erste Beschichtungszusammensetzung mindestens Hohlkörperpigmente umfasst,

- Aufbringen der vorbereiteten ersten Beschichtungszusammensetzung zur Ausbildung einer Hohlkörperpigmente aufweisenden Zwischenschicht (2),

- Trocknen der ersten Beschichtungszusammensetzung,

[12.4] - Vorbereiten einer zweiten Beschichtungszusammensetzung, wobei diese zweite Beschichtungszusammensetzung mindestens einen Farbstoffvorläufer und mindestens einen mit diesem mindestens einen Farbstoffvorläufer reaktionsfähigen (Farb-)Entwickler umfasst und wobei diese zweite Beschichtungszusammensetzung mindestens ein anorganisches Pigment enthält, ausgesucht aus der Liste, umfassend Kaolinit, Magnesiumsilikathydrat (Talk), Aluminiumhydroxid, Kalziumkarbonat und Siliziumdioxid (Kieselsäure),

[12.5] - Aufbringen der vorbereiteten zweiten Beschichtungszusammensetzung zur Ausbildung einer vorderseitig des bahnförmigen Substrats (1) angeordneten wärmeempfindlichen Aufzeichnungsschicht (3),

[12.6] - Trocknen der zweiten Beschichtungszusammensetzung,

[12.7] - Vorbereiten einer dritten Beschichtungszusammensetzung, wobei diese dritte Beschichtungszusammensetzung mindestens ein Trennmittel umfasst, wobei das Trennmittel eine Silikonkomponente ist,

[12.8] - Aufbringen der vorbereiteten dritten Beschichtungszusammensetzung,

[12.9] - Ausbildung einer Diffusionsschicht (4) durch flächiges Eindiffundieren von Teilen mindestens des Trennmittels aus der aufgebrachten dritten Beschichtungszusammensetzung in den oberen Bereich der ausgebildeten wärmeempfindlichen Aufzeichnungsschicht (3), wobei ein Anteil von 5 bis 50 Gew.-% der Gesamtheit der Trennmittel der dritten Beschichtungszusammensetzung, in den oberen Bereich der ausgebildeten wärmeempfindlichen Aufzeichnungsschicht (3) eindiffundiert,

[12.10] - Vernetzen der dritten Beschichtungszusammensetzung mittels energiereicher Strahlung zur Ausbildung der ein Trennmittel aufweisende Beaufschlagung (5),

[12.11] - optional:

- Vorbereiten einer vierten Beschichtungszusammensetzung,

- Aufbringen der vorbereiteten vierten Beschichtungszusammensetzung zur Ausbildung einer auf der Rückseite des bahnförmigen Substrats (1) angeordnete Klebstoffschicht (7),

- Trocknen bzw. Vernetzen der vierten Beschichtungszusammensetzung."

"[13.1] Verwendung eines wärmeempfindlichen Aufzeichnungsmaterials nach einem der Patentansprüche 1 bis 11 als selbstklebendes Ticket."

"[14.1] Verwendung einer Silikonkomponente in einem Verfahren zur Herstellung eines wärmeempfindlichen Aufzeichnungsmaterials nach Anspruch 12, wobei eine Beschichtungszusammensetzung zur Ausbildung einer mindestens ein Trennmittel aufweisenden Beaufschlagung auf die wärmeempfindliche Aufzeichnungsschicht aufgebracht wird, wobei das Trennmittel eine Silikonkomponente ist, und eine Diffusionsschicht (4) ausgebildet wird durch flächiges Eindiffundieren von Teilen mindestens des Trennmittels aus der aufgebrachten Beschichtungszusammensetzung in den oberen Bereich der ausgebildeten wärmeempfindlichen Aufzeichnungsschicht (3), wobei ein Anteil von 5 bis 50 Gew.-% der Gesamtheit der Trennmittel der Beschichtungszusammensetzung, in den oberen Bereich der ausgebildeten wärmeempfindlichen Aufzeichnungsschicht (3) eindiffundiert."

XII. Der für die vorliegende Entscheidung relevante Vortrag der Beteiligten kann folgendermaßen zusammengefasst werden:

a) Zulassung des Dokuments D14

Die Beschwerdeführerin beantragte die Zulassung des Dokuments D14 in das Beschwerdeverfahren. Die Beschwerdegegnerin hatte keine Einwände gegen die Zulassung des Dokuments D14.

b) Zulassung der Dokumente D20, D26, D27

i) Beschwerdeführerin

Das Dokument D20 und die zwei Internet-Verweise D26 und D27 stützten den Einwand der fehlenden Ausführbarkeit und sollten aus folgenden Gründen in das Beschwerde­verfahren zugelassen werden.

Bei dem Dokument D20 handle es sich um einen Versuchsbericht, in dem das Beispiel 1 des Patents nachgearbeitet werde. Dieser Versuchsbericht zeige, dass es nicht möglich sei, eine eindiffundierte Trennmittelmenge im Bereich von 5 bis 50 Gew.-% des aufgebrachten Trennmittels zu bestimmen.

Die späte Vorlage mit der Beschwerdebegründung sei bedingt durch Beschaffungs­schwierigkeiten der Ausgangsprodukte. Ferner seien umfangreiche Versuche erforderlich gewesen, um die Rahmenbedingungen zur Durchführung des beanspruchten Verfahrens zu eruieren. Da diese fehlenden Informationen nicht im Verantwortungs­bereich der Beschwerdeführerin gelegen hätten, sei der Versuchsbericht nicht verspätet eingereicht. Des Weiteren stelle er eine legitime Antwort auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung dar und sei prima facie relevant.

Bei dem Internet-Verweis D26 handle es sich um einen Verweis auf die Prüfungsmethode "Glätte nach Bekk". Damit solle im Rahmen der fehlenden Ausführbarkeit gezeigt werden, dass die im Patent genannte Ober­flächen­glätte von 500 Bekk/s eine Oberflächen­rauheit aufweise, die in der Größenordnung der als Flüssigkeit aufgetragenen Schichtdicke des Trennmittels liege.

Der Internet-Verweis D27 zeige im Bild 7 mikroskopische Aufnahmen von Glanzpapieren mit Niveauunterschieden im Bereich von 0,5 bis 0,6 µm und ergänze somit das Fachwissen, dass Papieroberflächen im Mikrometerbereich nicht glatt seien. Dies stütze die Tatsache, dass das Abtragen einer Trennmittelmenge, die nur einem Anteil des gesamten aufgebrachten Trennmittels entspreche, nicht trivial sei und die von der Beschwerdegegnerin vorgeschlagene Bestimmungsmethode problematisch sei.

ii) Beschwerdegegnerin

Der Versuchs­bericht D20 hätte bereits im Einspruchs­verfahren eingereicht werden können und sollen. Daher solle er nicht zugelassen werden. Die von der Beschwerde­führerin geltend gemachten Beschaffungs­schwierigkeiten und die umfangreichen Vorversuche seien nicht konkretisiert worden. Auch liege keine Prima-facie-Relevanz vor, da das Dokument D20 keinen seriösen Versuch der Nacharbeitung der Beispiele des Patents darstelle. Insbesondere werde auf die falsche Nummer des Patents, die fehlende Unterschrift, die mit nur einem Versuch erhaltene angeblich exakte Überein­stimmung der Oberflächenglätte, die unkonkreten Versuchsangaben, die fehlenden Angaben über die Menge der eingesetzten Hilfsmittel und die fehlenden Angaben hinsichtlich der Art der verwendeten Rakel und hinsichtlich der Bezugsquelle der Chemikalien hingewiesen. Die Angabe im Versuchsbericht D20 "trotz einer im Labor kürzest möglichen Zeitdifferenz von nur ca. 1 sec. zwischen Auftrag und dem Versuch des Abrakelns von Silikon" entspreche nicht industriellen Fertigungsbedingungen, bei denen die Diffusion des eine Silikonkomponente enthaltenen Trennmittels beispiels­weise durch UV-Bestrahlung sehr rasch gestoppt werden könne. Ferner sei nur ein Versuch unternommen worden, ohne Maßnahmen zu ergreifen, um einen anspruchsgemäßen Gegenstand zu erreichen. Einige Versuche zum Auffinden geeigneter Bedingungen seien im Rahmen der gängigen Rechtsprechung zumutbar (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 10. Auflage, Juli 2022, "Rechtsprechung", II.C.6.6.1). Nach der Rechtsprechung (siehe Rechtsprechung, II.C.9.) eigne sich der Versuchsbericht D20 nicht als Nachweis, dass ein fachkundiger Leser des Patents anhand seines allgemeinen Fachwissens nicht in der Lage sei, die Erfindung auszuführen.

Die zwei Internetquellen D26 und D27 sollten angeblich unebene Oberflächen von wärmeempfindlichen Aufzeichnungs­schichten zeigen. Diese seien erstmals im Beschwerdeverfahren und damit verspätet vorgebracht worden. Zudem eigneten sich diese Dokumente nicht als Nachweis für generell unebene Oberflächen bei wärmeempfindlichen Aufzeichnungsschichten.

Bei dem Dokument D27 handle es sich um einen nach dem Prioritäts- und Anmeldetag des Patents veröffentlichten Artikel im Online-Magazin "Scientific Instrument News". Als solches stelle dieser Artikel nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern kein allgemeines Fachwissen dar. Ferner würden dort lediglich zwei bestimmte Glanzpapiere vermessen, woraus sich keine allgemeine Aussage ableiten lasse.

c) Patent wie erteilt: Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ - Ausführbarkeit

i) Beschwerdeführerin

Das Merkmal des Anteils von 5 bis 50 Gew.-% der Gesamtheit der Trennmittel der Beaufschlagung, der in den oberen Bereich der ausgebildeten wärmeempfindlichen Aufzeichnungsschicht eindiffundiert sei (Merkmal M1.5), sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann es ausführen könne. Insbesondere fehlten Informationen, wie die Menge des eindiffundierten Trennmittels bestimmt werden könne, welcher Anteil des Trennmittels in den Ausführungsbeispielen in die wärmeempfindliche Aufzeichnungsschicht eindiffundiert sei und wie das erfindungswesentliche Merkmal realisiert werden könne.

Aufgrund dieser fehlenden Informationen im Patent bestehe nur eine schwache Vermutung dafür, dass die Erfindung ausreichend offenbart sei. Gemäß der Recht­sprechung der Beschwerdekammern kehre sich daher die Beweislast um (siehe Rechtsprechung, III.G.5.2.2.c) und die Entscheidungen T 63/06 und T 338/10). In diesem Fall bedürfe es weniger gewichtiger Argumente; es genüge, ernsthafte Zweifel aufzuwerfen, z.B. durch eine umfassende und plausible Argumentation. Ferner sei es nicht möglich, einen Beweis über die Unmöglichkeit einer Herstellung zu führen. Ein solcher Beweis werde auch in der Entscheidung T 2445/17 (siehe Entscheidungsgründe, Punkt 2.6) für nicht notwendig erachtet. Vielmehr sei der Maßstab einer ausreichend nachvollziehbaren und plausiblen Begründung angewandt worden. Diese Unter­suchungen im Rahmen eines zumutbaren Aufwands seien mit den Dokumenten D10, D14 und D20 vorgelegt worden.

Um einen Anteil von 5 bis 50 Gew.-% an eindiffundiertem Trennmittel verifizieren zu können, müsse dieser Anteil zunächst generell irgendwie nachweisbar sein. Erst dann müsse dies an einem erfindungsgemäßen Thermopapier nachgewiesen werden. Der Versuchsbericht D10 zeige generelle Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Anteils des eindiffundierten Trennmittels. Die im Patent vorgegebene Diffusionsschicht habe mikroskopisch als direkter Nachweis nicht sichtbar gemacht werden können.

Bezüglich der fehlenden Angabe des Verfahrens zur Bestimmung der eindiffundierten Menge habe die Beschwerdegegnerin als Reaktion auf das Dokument D10 ein Rakelverfahren vorgeschlagen, bei dem nach dem Auftrag des Trenn­mittels überschüssige Trennmittelmenge abgerakelt und die Menge des eindiffundierten Anteils durch Differenz­wägung bestimmt werde. Allerdings könnten bei einer Trennmittelmenge von 1,2 g/m**(2) gemäß den Beispielen im Patent, einer daraus resultierenden Trennmittel­auftrags­dicke von etwa 1,2 µm und einer Restdicke des nicht eindiffundierten Anteils im Bereich von 1,14 µm bis 0,6 µm und unter Berücksichtigung der Oberflächen­rauigkeit des Papiers, die im Bereich von ca. 1,2 µm (500 Bekk/sec) liege, keine sinnvollen bzw. nur sehr ungenaue Ergebnisse erzielt werden bzw. würde der Anteil des eindiffundierten Trennmittels regelmäßig zu groß bestimmt werden. Im Dokument D10 sei die nicht vollständige Glätte der wärmeempfindlichen Aufzeichnungs­schicht sichtbar. Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass durch die von der Rakel aufgebrachte Kraft auf das Papier Unebenheiten ausgeglichen würden, trage nichts zur Genauigkeit des Messverfahrens bei. Insbesondere würden dann die Ergebnisse von der Anpresskraft und der Art der Rakel abhängen.

Das Rakelverfahren sei im Versuchsbericht D14 angewandt worden, der zeige, dass der beanspruchte Anteil nur durch unrealistische Trennmittelauftragsmengen erreicht worden sei, bei denen die wärmeempfindliche Aufzeichnungsschicht deutlich durchtränkt worden sei und somit kein Thermopapier akzeptabler Güte vorgelegen habe. Die im Dokument D14 erzielten Werte lägen alle um die 50 Gew.-%. Werte an der unteren Grenze von 5 Gew.-% hätten nicht erzielt werden können, weshalb die Erfindung zumindest nicht über die gesamte Breite ausführbar sei. Für eine Beaufschlagung von 1,2 g/m**(2) sei die eindiffundierte Menge über das Rakelverfahren nicht mehr bestimmbar gewesen.

Somit sei zumindest eine Ausführung über den gesamten beanspruchten Bereich nicht möglich. Die eindiffundierte Menge gemäß Merkmal M1.5 hänge außerdem von vielen weiteren Parametern ab, die alle im Patent nicht angegeben seien. Es fänden sich beispielsweise im Patent keine Angaben zur Art des eingesetzten Silikon­harzes und zur Einwirkdauer. Die von der Beschwerde­gegnerin zitierten Absätze im Patent beträfen lediglich die Ausgangsmaterialien, aber nicht wie diese die Diffusion beeinflussten. Das Patent enthalte keine Lehre, wie das Merkmal M1.5 erreicht werden könne.

Selbst für die im Patent offenbarten Ausführungs­beispiele sei der eindiffundierte Anteil nicht offenbart, weshalb unklar sei, ob diese überhaupt das beanspruchte Merkmal eines eindiffundierten Anteils von 5 bis 50 Gew.-% der Gesamtheit der Trennmittel aufwiesen. Die Bezeichnung dieser Ausführungs­beispiele als "erfindungsgemäß" könne dies nicht bestätigen, da diese bereits in der Anmeldung als solche bezeichnet worden seien, wobei in der Anmeldung der eindiffundierte Anteil von 5 bis 50 Gew.-% der Gesamtheit der Trennmittel optional gewesen sei.

Durch die oben dargelegte Ungenauigkeit der Messmethode ergäben sich ferner Unklarheiten bezüglich des Schutzbereiches. Entgegen der Auffassung der Einspruchs­abteilung stelle die Nachweisbarkeit eines Arbeitens im beanspruchten Bereich nur dann eine Frage der Klarheit dar, wenn die Mehrdeutigkeit nur Randbereiche der Ansprüche betreffe. Ein Mangel an Ausführbarkeit könne sich jedoch ergeben, wenn eine Mehrdeutigkeit den Fachmann der Möglichkeit beraube, die Erfindung wie vorgesehen zu nutzen, wie beispielsweise in der Entscheidung T 2403/11 festgestellt. In dieser Entscheidung sei allgemein von einem schlecht definierten Parameter in einem Anspruch die Rede, der zu einer unzureichenden Offenbarung führen könne. Die Entscheidungen T 1305/15 und T 593/09 bestätigten ebenfalls, dass zwar die Behauptung, der Fachmann sei außerstande festzustellen, ob er sich innerhalb des Schutzbereichs des Anspruchs befinde, als solche kein triftiger Grund sei, die ausreichende Offenbarung zu verneinen. Entscheidend sei allerdings, ob der Parameter so ungenau definiert sei, dass es dem Fachmann nicht möglich sei, die zur Lösung der patentgemäßen Aufgabe erforderlichen technischen Maßnahmen (z. B. Wahl geeigneter Verbindungen) anhand der Offenbarung als Ganzes und mit Hilfe seines allgemeinen Fachwissens (ohne unzumutbaren Aufwand) zu identifizieren. Dies treffe vorliegend zu, da der Fachmann die Menge des eindiffundierten Trennmittel­anteils ohne unzumutbaren Aufwand nicht messen könne.

ii) Beschwerdegegnerin

In Übereinstimmung mit der Auffassung der Einspruchs­abteilung greife der Einspruchsgrund der mangelnden Offenbarung nicht. Der Fachmann könne den beanspruchten Gegenstand anhand der Anmeldung als Ganzes, einschließ­lich der Beispiele und unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens, ohne unzumutbaren Aufwand nacharbeiten.

Zur Bestimmung der eindiffundierten Menge würde der Fachmann, wie im Einspruchsverfahren vorgetragen, nach dem Abrakeln des nicht eindiffundierten Anteils eine Differenzwägung vornehmen ("Rakelverfahren", siehe angefochtene Entscheidung, Entscheidungsgründe, Punkt 3.3.4). Die von der Beschwerdeführerin zitierte Entscheidung T 2403/11 sei nicht übertragbar, da es sich im vorliegenden Fall um eine Gewichtsmessung handle, bei der keine Mehrdeutigkeit der Messparameter vorliege. Die theoretischen Ausführungen zur Schichtdicke des Trennmittels und zur Oberflächenglätte der wärme­empfindlichen Aufzeichnungsschicht und einer daraus resultierenden Unmöglichkeit, den nicht in die Papier­oberfläche eindiffundierten Anteil an Trennmittel mittels Abrakeln zu bestimmen, stellten lediglich Behauptungen dar. Da während des Rakelns eine Kraft auf das Papier einwirke, welche möglicherweise vorliegende Unebenheiten glatt drücke, sei es entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin möglich, eine aufgetragene Schicht vollständig abzurakeln, selbst dann, wenn das Papier im entspannten Zustand ohne Krafteinwirkung möglicherweise Unebenheiten aufweise. Rakeln gehöre in der Druck-, Papier- und Beschichtungs­technik zu den Standardtechniken, um Überschüsse von Papieroberflächen abzustreifen.

Die Beschwerdeführerin habe keinen Nachweis der mangelnden Offenbarung erbracht, da sich die vor­gelegten Versuchsberichte D10 und D14 nicht an die Vorgaben im Patent hielten. Im Dokument D10 würden lediglich die Handelsprodukte D11 und D12 untersucht. Im Dokument D14 habe die Beschwerdeführerin nicht die im Patent angegebenen Parameter umgesetzt. Vielmehr seien ein anderes Papier und andere Silikone verwendet worden und es seien entweder eine unüblich lange Einwirkzeit oder sehr hohe Mengen an Silikontrennmittel gewählt worden, weshalb die im Dokument D14 dargestellten Versuche für den vorliegenden Fall nicht relevant seien. Die Beschwerdeführerin habe im Gegenteil mit dem Versuchsbericht D14 sogar gezeigt, dass es möglich sei, das Merkmal M1.5 zu realisieren, selbst wenn die Ausgangs­materialien nicht erfindungsgemäß gewesen seien.

Auch wenn nicht offenbart sei, dass die im Patent genannten Ausführungsbeispiele einen eindiffundierten Anteil von 5 bis 50 Gew.-% der Gesamtheit der Trenn­mittel der Beaufschlagung aufwiesen, so stellten diese Beispiele für den Fachmann einen erfolgs­versprechenden Ausgangspunkt dar. Der Fachmann könne das Beispiel 1 des Patents nacharbeiten. Mit Hilfe seines Fachwissens und der Angaben im Patent wäre es dem Fachmann ohne Weiteres möglich, dass ein Anteil von 5 bis 50 Gew.-% der Gesamtheit der Trennmittel der Beaufschlagung in den oberen Bereich der wärmeempfindlichen Auf­zeichnungs­schicht eindiffundiere. Die eindiffundierte Menge könne der Fachmann durch die Einwirkdauer, durch die flächenbezogene Masse der Trennmittel aufweisenden Beaufschlagung, durch eine entsprechende Auswahl der Bindemittel und Pigmente, wie dies den Absätzen [0017] bis [0025] des Patents zu entnehmen sei, variieren. Daneben habe die Viskosität der Silikonkomponenten einen wesentlichen Einfluss auf die Diffusion (siehe Patent, Absatz [0015]).

Die von der Beschwerdeführerin zitierten Entscheidungen T 63/06 und T 338/10 seien vorliegend nicht relevant, da es sich dort um eine hochkomplexe Umgebung mit einer Mehrzahl von einzustellenden Parametern beziehungsweise um eine medizinische Verwendung handele. Die Beweislast für die behauptete mangelnde Ausführbarkeit liege bei der Beschwerde­führerin.

Die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage des Schutzbereiches stelle einen Aspekt der Klarheit dar, die kein Einspruchsgrund sei und daher nicht zu berück­sichtigen sei.

d) Patent wie erteilt: Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) i.V.m. Artikel 54 EPÜ - Neuheit des Gegenstands der Ansprüche 1 und 12 gegenüber dem Dokument D1

i) Beschwerdeführerin

Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sei nicht neu gegenüber dem Dokument D1. Die streitigen Merkmale seien das Vorliegen einer Diffusionsschicht gemäß dem Merkmal M1.4.3 und die beanspruchte eindiffundierte Menge gemäß dem Merkmal M1.5.

Bezüglich der Anspruchsauslegung werde der Beschwerde­gegnerin zugestimmt, dass gemäß der Figur 1 des Patents im beanspruchten Produkt jeweils eine Beaufschlagungs­schicht, eine Diffusionsschicht, d.h. ein Teil der wärmeempfindlichen Aufzeichnungs­schicht, in die das Trennmittel eindiffundiert sei, und eine wärmeempfindliche Aufzeichnungs­schicht ohne Trennmittel vorliege.

Bezüglich der angezweifelten Übersetzung D1A des japanischen Originaldokuments D1 liege vermutlich in der Übersetzung D1A in den Absätzen [0041] und [0043] ein Zahlendreher vor. Auch wenn eine englische Maschinen­übersetzung des japanischen Patentamts eingereicht werde, so bedeute dies nicht, dass diese Übersetzung D1B besser oder korrekt sei im Vergleich zu der vom Übersetzungsbüro angefertigten Übersetzung D1A. Bezüglich der Übersetzung D1A werde auf den Schrift­verkehr zwischen der Beschwerdeführerin und dem Übersetzungsbüro verwiesen (eingereicht während der mündlichen Verhandlung als Dokument D1C). In der englischen Maschinenübersetzung D1B seien teilweise die Zahlen verschoben. Es gäbe auch feine Unterschiede zwischen den Übersetzungen D1A und D1B, die allerdings den wesentlichen Inhalt der deutschen Übersetzung D1A nicht in Frage stellten.

Im Dokument D1A sei es nicht ausgeschlossen, dass das Trennmittel in die wärmeempfindlichen Aufzeichnungs­schicht eindiffundiere. Ein Thermopapier sei an der Oberfläche nicht geschlossen, so dass eine aufgebrachte Flüssigkeit zwangsläufig teilweise von der Oberfläche aufgesogen werde. Eine Diffusionsschicht sei somit vorweggenommen. Das Vorliegen einer Diffusions­schicht könne nur dann ausgeschlossen werden, wenn die wärme­empfindliche Aufzeichnungsschicht komplett dicht oder mit einer Lackschicht bedeckt wäre. Beides sei im Dokument D1 nicht offenbart, weshalb das Trennmittel im Dokument D1 aller Wahrscheinlichkeit nach in die wärmeempfindliche Aufzeichnungsschicht eindiffundiere, ebenso wie im Patent. Auch im Patent seien keine expliziten Maßnahmen offenbart, die dieses Eindiffundieren ermöglichten. Für das Auftreten einer Diffusion im Dokument D1 sprächen die Fluidität der Beaufschlagung und die Auftragsart mit einem Gravur­beschichter, was äquivalent zu dem im Patent verwendeten Rasterwalzen-Auftragswerk sei (siehe Patent, Absatz [0047]), oder einem vertikal frei­fallenden Vorhangbeschichter. Für beide Auftragsarten seien fluide Systeme eine Voraus­setzung, so dass ein gewisses Einsickern/Eindiffundieren in die darunter­liegende Schicht nicht ausgeschlossen werden könne. Außerdem wiesen das Dokument D1 und das Patent sehr viele Parallelen nicht nur hinsichtlich des Verfahrens, sondern auch hinsichtlich der verwendeten Materialien und Eigenschaften auf. So würde die wärme­empfindliche Aufzeichnungsschicht sowohl im Patent als auch im Dokument D1 aus einer wässrigen Dispersion hergestellt (siehe Dokument D1, Absatz [0033] und Patent, Absatz [0044]), es würde in beiden Fällen eine ähnliche Menge an Beschichtung aufgetragen (siehe Dokument D1, Absatz [0034] und Patent, Absatz [0017]), das wärmeempfind­liche Aufzeichnungsmaterial mit einem UV-Silikonsystem beschichtet und anschließend mit einer UV-Lampe ausgehärtet (siehe Dokument D1, Absatz [0035] und Patent, Absätze [0047] und [0048]), so dass sich ein gewisses Eindiffundieren des Trennmittels auch im Dokument D1 nicht ausschließen lasse. Zusätzlich würden in beiden Fällen ähnliche Zusatzstoffe und Bindemittel verwendet (siehe Dokument D1, Absatz [0033] und Patent, Absätze [0018] und [0021]). All dies begründe eine starke Vermutung, dass im Dokument D1 eine Diffusions­schicht, bei der ein Anteil des Trennmittels im Bereich von 5 bis 50 Gew.-% der Gesamtheit des Trennmittels in den oberen Bereich der wärmeempfindlichen Auf­zeichnungs­schicht eindiffundiert ist, vorliege. Dies werde dadurch bestätigt, dass das resultierende Produkt vergleichbare Eigenschaften hinsichtlich Farb­intensität, Hintergrundnebel und Abriebfestigkeit aufweise (siehe Dokument D1, Tabelle 1, Absätze [0049] und [0050] und Patent, Absätze [0049] und [0051]). Zusätzlich sei es überwiegend wahrscheinlich, dass das Auftragen einer flüssigen Substanz auf ein poröses Substrat zu einem Einsickern/Eindiffundieren führe. Eine Vorab-Strahlungs­härtung stelle keine vollständige Härtung dar und somit könne diese das Eindringen nicht komplett verhindern. Ferner könne ohne ein gewisses Einsickern/Eindiffundieren eine Verbindung der beiden Schichten nicht sichergestellt werden.

Im Patent werde die Lagenhaftung durch die Diffusions­schicht verwirklicht. Wenn also im Dokument D1 die obere Schicht nicht abgerieben werden könne (siehe Dokument D1, Absätze [0048] und [0049]), dann impliziere dies das Vorliegen einer Diffusionsschicht. Andernfalls sei keine Lagenhaftung gewährleistet. Sämtliche Ausführungsbeispiele des Dokuments D1 wiesen eine gute Lagenhaftung auf, da keinerlei Veränderung der Oberfläche der Trennschicht aufgetreten sei (siehe Dokument D1, Absätze [0048] und [0049]).

Der von der Beschwerdegegnerin zitierte Satz in der Zusammenfassung, wonach das Silikonharz nicht in die wärmeempfindliche Aufzeichnungsschicht eindringe, sei so zu interpretieren, dass nicht so viel eindringen solle, dass die Farbdichte negativ beeinträchtigt werde. Eine generelle Verhinderung der Diffusion sei damit nicht ausgedrückt, da die beim Vorhangbeschichter erfolgende Vorab-Härtung das Silikonharz keinesfalls vollständig aushärte, sondern nur dessen Viskosität erhöhe, was zu einer Verlangsamung der Diffusion führe, diese aber nicht unterbinde. Selbst wenn diese Aussage, dass kein Silikonharz eindringe, für die Auftragsart des vertikal freifallenden Vorhangbeschichters gültig sei, so sei diese aufgrund der Fluidität der Beauf­schlagung nicht auf den Gravurauftrag übertragbar, da hierbei keine Vorab-Härtung stattfinde. In der Beschreibung des Dokuments D1 finde sich im Gegensatz zur Zusammenfassung an keiner Stelle ein Hinweis, dass das Eindringen von Trennmittel verhindert werden solle. Bei einer Diskrepanz zwischen der Zusammenfassung und der übrigen Offenbarung würde der Fachmann der Zusammen­fassung nicht das gleiche Gewicht beimessen wie der übrigen Offenbarung, zu der die Zusammenfassung gerade nicht gezählt werde.

Die obige Argumentation gelte analog für das den Merkmalen M1.4.3 und M1.5 entsprechende Merkmal M12.9. Folglich sei auch der Gegenstand des erteilten Anspruchs 12 nicht neu gegenüber dem Dokument D1.

ii) Beschwerdegegnerin

Aus der mit Schreiben vom 22. November 2023 einge­reichten Skizze (siehe unten) sei ersichtlich, dass im wärmeempfindlichen Aufzeichnungsmaterial immer die folgenden Schichten vorliegen müssten: die wärme­empfindliche Aufzeichnungsschicht (3), die das Trenn­mittel aufweisende Beaufschlagung (5) und dazwischen die Diffusionsschicht (4), also der obere Teil der wärmeempfindliche Aufzeichnungsschicht, in die das Trennmittel eindiffundiert sei. Das Trennmittel dürfe nicht so weit eindringen, dass keine wärme­empfindliche Aufzeichnungsschicht bestehen bleibe. Der Anspruch 1 enthalte eine Unklarheit, da mit der Beauf­schlagung einmal die Menge vor dem Eindiffundieren, also die Schicht 5, gemeint sei und einmal die Menge nach dem Eindiffundieren, also die Schicht 4 und 5. Dem Fachmann sei jeweils klar, was mit der Beaufschlagung gemeint sei. Die unten gezeigte Skizze veranschauliche den Anspruchsgegenstand.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Skizze, eingereicht mit dem Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 22. November 2023

Die Qualität der von der Beschwerdeführerin eingereich­ten Übersetzung D1A des japanischen Dokuments D1 sei zweifelhaft. Das sei insbesondere aus den Absätzen [0041] und [0043] der Dokumente D1 und D1A ersichtlich, in denen die im japanischen Original D1 angegebenen Temperaturen von 90°C und 60°C in der deutschen Übersetzung vertauscht seien. Die Übersetzung des Absatzes [0041] im Dokument D1A sei ferner unklar und nicht logisch.

In der von der Beschwerdeführerin eingereichten englischen Maschinenübersetzung D1B des Dokuments D1 sei insbesondere auf folgende Diskrepanzen zu der deutschen Übersetzung D1A hinzuweisen: Absatz [0005] "folgenden verschiedenen Mittel" im Gegensatz zu "the following means", "Ferner" im Gegensatz zu "In addition" und "Silikonharzgemisch nach Erhöhung der Viskosität auf die wärmeempfindlichen Aufzeichnungs­schicht aufträgt" im Gegensatz zu "irradiation is performed to increase the viscocity". Weitere Unterschiede/Unklarheiten lägen insbesondere in den Absätzen [0036], [0037], [0040], [0041], [0042], [0050] der Dokumente D1A und D1B vor.

Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sei neu gegenüber dem Dokument D1, da das Dokument D1 keine Diffusions­schicht zeige (Merkmal M1.4.3) und auch nicht den eindiffundierten Anteil von 5 bis 50 Gew.-% der Gesamtheit der Trennmittel der Beaufschlagung (Merkmal M1.5) offenbare. Diese Schlussfolgerung gelte analog für die erteilten unabhängigen Ansprüche 12 bis 14.

Das Dokument D1A rate von einer Diffusion ab. Dies gehe explizit aus der Zusammenfassung hervor, wo offenbart sei, dass es durch Vorab-Härtung und durch die Verwendung eines vertikal freifallenden Vorhang­beschichters möglich sei, auf das wärmeempfindliche Aufzeichnungs­material eine strahlungshärtbare Silikon­harzschicht aufzutragen, um eine gute Trennschicht zu erhalten, ohne dass das Silikonharz in die wärme­empfindlichen Aufzeichnungs­schicht eindringe. Dies sei auch aus der Tabelle 1 des Dokuments D1A ersichtlich, in der alle Ausführungsbeispiele des Dokuments D1A, sowohl die mit dem Vorhangbeschichter als auch die mit dem Gravurbeschichter durchgeführten Beispiele, vergleich­bare Resultate bei der Farbdichte erzielten. Hingegen sei die Farbdichte bei den Vergleichs­beispielen 2 und 3 des Dokuments D1A, bei denen eine Diffusion auftrete, deutlich schlechter. Daher sei die in der Zusammenfassung des Dokuments D1A getroffene Aussage nicht nur für den Vorhangbeschichter, sondern auch für den Gravurbeschichter zutreffend. Zumindest werde keine gegenteilige Aussage getroffen.

Das Merkmal des Abriebs in Tabelle 1 des Dokuments D1A sei nicht unbedingt ein Merkmal einer guten Lagen­haftung, da gemäß Absatz [0048] des Dokuments D1A nur der Abrieb der Oberfläche beurteilt werde, aber nicht der gesamten Lage. Das Dokument D1A gebe daher keinen Aufschluss zur Lagenhaftung, die gemäß Absatz [0011] des Patents insbesondere auf die Diffusionsschicht zurückzuführen sei. Eine Haftung zwischen den Schichten könne außerdem auch auf andere Weise als durch Diffusion erreicht werden.

Die Diffusion im Dokument D1 erfolge auch entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin nicht zwangsläufig. Gemäß der allgemein anerkannten Rechtsprechung der Beschwerdekammern und insbesondere der Entscheidung T 1523/07 sei unter impliziter Offenbarung eine Offen­barung zu verstehen, die jeder Fachmann objektiv als sich aus dem expliziten Inhalt zwangsläufig ergebend ansehen würde, etwa aufgrund von allgemeinen natur­wissen­schaftlichen Gesetzen (siehe Rechtsprechung, I.C.4.3.). Dies sei vorliegend nicht der Fall. Für eine implizite Offenbarung einer Diffusions­schicht reiche es nicht aus, dass im Dokument D1A und im Patent jeweils gleiche Verfahren angewandt würden, strahlungshärtbare Silikone und ähnliche Mengen davon eingesetzt würden und die wärmeempfindliche Aufzeichnungs­schicht gleiche Pigmente und Bindemittel (Polyvinylalkohol) und vergleich­bare Eigenschaften aufweisen würde. Silikon­harze eigneten sich nicht generell und zwangsläufig dazu, in die wärme­empfindliche Aufzeichnungs­schicht einzudiffundieren. Deren Diffusionsfähigkeit hänge von deren spezifischen Ausgestaltung, Vernetzungsgrad etc., ab. Im Patent (siehe Absatz [0022] und Tabelle 2 im Absatz [0047]), und im Dokument D1A (siehe Absätze [0022], [0024], [0032]) würden unterschiedliche Silikonharze und Polyvinylalkohole verwendet. Bindemittel und Pigmente dienten zwar gemäß Absatz [0018] des Patents zur Beeinflussung der Menge des eindiffundierten Teils, was aber nicht bedeute, dass diese Bestandteile die Diffusion fördern würden, sondern diese Bestandteile würden die Diffusion vielmehr limitieren, so dass unter anderem damit das erforderliche Maß der eindiffundierten Menge eingestellt werden könne. Absatz [0019] des Dokuments D1A erwähne zwar Polyvinylalkohol als Hilfsstoff, offenbare aber nicht, welche Rolle dieser spiele.

Im Dokument D1 seien auch keine Einwirkzeiten angeben, von denen eine gegebenenfalls stattfindende Diffusion wesentlich abhänge. Auch wenn in den Ausführungs­beispielen des Dokuments D1, in denen ein vertikal freifallender Vorhangbeschichter verwendet werde, nur eine Vorab-Härtung zur Erhöhung der Viskosität stattfinde, so erfolge die Aushärtung ohne Einwirkzeit unmittelbar nach dem Beschichten (siehe Dokument D1A, Absatz [0036]).

e) Patent wie erteilt: Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) i.V.m. Artikel 54 EPÜ - Neuheit des Gegenstands der Ansprüche 1 und 13 gegenüber dem Dokument D3

i) Beschwerdeführerin

Der Gegenstand der erteilten Ansprüche 1 und 13 sei nicht neu gegenüber dem Dokument D3. Im Dokument D3 werde Diffusion nicht explizit verhindert. Aufgrund des allgemeinen Fachwissens sei bekannt, dass Diffusion zu einem gewissen Grad zwangsläufig erfolge.

Fraglich sei daher lediglich, ob im Dokument D3 die eindiffundierte Menge von 5 bis 50 Gew.-% des Trennmittels implizit offenbart sei. Da dieses Merkmal sehr ungenau sei, sei es implizit bereits dann erfüllt, wenn eine Diffusion stattfinde. Ferner handle es sich beim eindiffundierten Mengenanteil gemäß Merkmal M1.5 um ein Verfahrensmerkmal, welches nur während der Herstellung und nicht im endgültigen Produkt bestimmt werden könne. Das von der Beschwerdegegnerin vorge­schlagene Verfahren mittels Abrakeln des nicht eindiffundierten Anteils sei nur im Laufe des Verfahrens möglich. Der Vortrag der Beschwerde­gegnerin, dass die Bestimmung des eindiffundierten Anteils mittels Mikrotomie im Produkt am Querschnitt (Querschnittsverfahren) oder mit sehr feinen Längsschnitten (Hobelverfahren) möglich sei, sei das erste Mal in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerde­kammer erfolgt und somit verspätet vorgebracht worden. Dieser Vortrag solle nicht zugelassen werden. Seit Beginn des Verfahrens gehe es darum, wie der eindiffundierte Anteil bestimmt werden könne. Die Frage der strukturellen Abgrenzung des Produkts habe sich entgegen der Behauptung der Beschwerdegegnerin nicht erst in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer gestellt, sondern werde bereits seit Beginn des Einspruchsverfahrens diskutiert. Im Beschwerde­verfahren sei diese Frage im Zusammenhang mit der Ausführbarkeit und im Zusammenhang mit der fehlenden Neuheit aufgeworfen worden (siehe Beschwerdebegründung, Seite 7, dritter Absatz und Schreiben vom 23. Dezember 2022, Seite 1, Punkt 1).

Im Versuchsbericht D10 sei die Mikrotomie (Quer­schnitts­verfahren) zwar bereits angewandt worden, die vorgelegten Untersuchungen zeigten allerdings, dass nicht nachweisbar sei, wo die Diffusionsschicht beginne oder ende. Somit sei auch der eindiffundierte Anteil mittels Mikrotomie (hier dem Querschnittsverfahren) nicht bestimmbar.

ii) Beschwerdegegnerin

Es sei richtig, dass das Dokument D3 keine Maßnahmen zur Verhinderung einer Diffusion offenbare und somit die Diffusion nicht komplett ausge­schlossen werden könne. Das Dokument D3 offenbare aber nicht den eindiffundierten Anteil von 5 bis 50 Gew. %, weder explizit noch implizit. Daher sei der Gegenstand der erteilten Ansprüche 1 und 13 neu gegenüber dem Dokument D3.

Es sei nicht korrekt, dass das Merkmal M1.5 nicht im Produkt nachgewiesen werden könne. Zwar könne das Abrakeln des nicht eindiffundierten Anteils nur während der Herstellung erfolgen, es gebe aber weitere Möglichkeiten diesen Anteil am fertigen Produkt zu bestimmen, nämlich mittels der Mikrotomie. Fachleuten sei dieses Verfahren allgemein bekannt. Dies gehe auch daraus hervor, dass es von der Beschwerdeführerin im Dokument D10 angewandt worden sei. Fachleute könnten auch zwischen eindiffundiertem Silikon und Silizum­dioxid­partikeln des Papiers unterschieden. Im Dokument D10 werde unter Punkt 1.2.1 auf die quantitative Ermittlung eingegangen. Im Dokument D10 seien allerdings nicht erfindungsgemäße Produkte, sondern Standardprodukte untersucht worden. Neben der Mikrotomie am Querschnitt gebe es noch die Möglichkeit schichtweise das Produkt von der Oberfläche abzutragen und zu untersuchen. Diese Methode sei kein neuer Vortrag, sondern sei bereits früher vorgetragen worden (siehe Dokument D10). Außerdem habe sich die Frage der strukturellen Abgrenzung des Produkts erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer gestellt.

f) Zurückverweisung

Beide Beteiligten beantragten hinsichtlich der Diskussion der Hilfsanträge eine Zurückverweisung an die erste Instanz.

Entscheidungsgründe

1. Zulassung des Dokuments D14 (Versuchsbericht)

1.1 Das Dokument D14 wurde nach Ablauf der Einspruchsfrist gemäß Artikel 99 (1) EPÜ eingereicht, um die Argumentation der Einsprechenden (jetzt: Beschwerdeführerin) bezüglich der Nichtausführbarkeit der Erfindung zu belegen. In Ausübung ihres Ermessens hat die Einspruchsabteilung dieses nicht rechtzeitig vorgebrachte Beweismittel wegen fehlender Prima-Facie-Relevanz nicht zugelassen (Artikel 114 (2) EPÜ). Die Kammer gelangt zu der Auffassung, dass die Einspruchs­abteilung ein Ermessen besaß, das Dokument D14 nicht zuzulassen, und dass ihre Ermessensentscheidung nach Artikel 114 (2) EPÜ, das Dokument D14 nicht in das Verfahren zuzulassen, auf der Grundlage des richtigen Kriteriums getroffen wurde. Insofern liegt keine ermessensfehlerhafte Entscheidung der Einspruchsabteilung im Sinne von Artikel 12 (6) Satz 1 VOBK 2020 vor.

1.2 In ihrer Beschwerdebegründung beantragt die Beschwerde­führerin im Zusammenhang mit ihren Ausführungen zur Nichtausführbarkeit der Erfindung und der fehlenden erfinderischen Tätigkeit erneut die Zulassung des Dokuments D14. Die Beschwerdegegnerin hat keine Einwände gegen die Zulassung des Dokuments D14.

1.3 Eine Zulassung des Versuchsberichts gemäß dem Dokument D14 erachtet die Kammer im Zusammenhang mit den Einspruchsgründen der mangelnden Ausführbarkeit und der fehlenden erfinderischen Tätigkeit als sachdienlich, sodass Umstände vorliegen, die seine Zulassung rechtfertigen. Die Kammer hat daher entschieden, das Dokument D14 in Ausübung ihres eigenen Ermessens gemäß Artikel 12 (6) Satz 1 VOBK 2020 in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

2. Nicht-Zulassung der Dokumente D20, D26 und D27

2.1 Im Zusammenhang mit der behaupteten fehlenden Ausführ­barkeit bezieht sich die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung auf den Versuchsbericht D20 und den Internet-Verweis D26. Im Schreiben vom 14. April 2022 zitiert die Beschwerdeführerin noch den Internet-Verweis D27. Die Beschwerdegegnerin beantragt, diese Dokumente nicht zuzulassen.

2.2 Bei dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokument D20 handelt es sich um einen Versuchsbericht, in dem das Beispiel 1 des Patents nachgearbeitet wurde. Gemäß diesem Versuchsbericht war es der Beschwerde­führerin nicht möglich, eine eindiffundierte Trenn­mittel­menge im Bereich von 5 bis 50 Gew.-% des aufgebrachten Trennmittels zu bestimmen.

Die Kammer stellt fest, dass die Einreichung des Versuchsberichts D20 nicht die Erfordernisse des Artikels 12 (2) VOBK 2020 erfüllt und somit eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdeführerin gemäß Artikel 12 (4) Satz 1 VOBK 2020 dar­stellt. Daher steht die Zulassung des Versuchsberichts D20 im Ermessen der Kammer (Artikel 12 (4) Satz 2 VOBK 2020). Der Artikel 12 (6) Satz 2 VOBK 2020 ist vorliegend ebenfalls anwendbar ist, da das Dokument D20 bereits in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, vorzubringen gewesen wäre, und zwar spätestens nach Erhalt der vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung vom 23. Januar 2020, in der sie unter Punkt 4.3.1 Folgendes ausgeführt hat:

"Diesen Nachweis mangelnder Ausführbarkeit der Erfindung hat die Einsprechende vorliegend nicht erbracht, da sie sich nicht an den in der Patentschrift offenbarten Beispielen oder überhaupt an der Patentschrift orientiert hat, sondern lediglich angebliche Handelsprodukte (D11, D12) untersucht hat. Hierbei hat sie nicht angegeben, wie diese Handelsprodukte hergestellt wurden, damit diesseits geprüft werden kann, ob diese Handelsprodukte überhaupt unter den Anspruchsgegenstand fallen können. Die Einsprechende hat zusammenfassend gar nicht versucht, die Erfindung nachzuarbeiten, was jedoch Grundvoraussetzung für eine Prüfung im Sinne der Art. 100(b) und 83 EPÜ ist."

Die Kammer kann auch keine Umstände der Beschwerdesache erkennen, die eine Zulassung dieses Versuchsberichts ins Beschwerdeverfahren rechtfertigen würden. Behauptete Beschaffungsschwierigkeiten und aufwendige Vorversuche sind nicht belegt worden, und die Aussage­kraft des Versuchsberichts erscheint gering.

Daher hat die Kammer entschieden, das Dokument D20 in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12 (6) Satz 2 VOBK 2020 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

2.3 Bei dem in der Beschwerdebegründung angegebenen Internet-Verweis D26 handelt es sich um einen Verweis auf die Prüfungsmethode "Glätte nach Bekk". Diese stellt auch ohne erforderlichen Nachweis allgemeines Fachwissen dar, insbesondere da im Absatz [0046] des angegriffenen Patents auf dieses Messverfahren und die entsprechende ISO Norm verwiesen wird. Dieses Fachwissen wird anerkannt.

Da darüber hinaus das Dokument D26 in der vorliegenden Sache für das allgemeine Fachwissen keine Rolle spielt, hat die Kammer entschieden, das Dokument D26 in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12 (6) Satz 2 VOBK 2020 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

2.4 Der Internet-Verweis D27, der eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdeführerin i.S.v. Artikel 13 (1) VOBK 2020 ist, wurde von der Beschwerde­führerin als Nachweis für das allgemeine Fachwissen, dass Papieroberflächen im Mikrometerbereich nicht glatt seien, angeführt. Bei dem vorliegenden Internet-Verweis D27 handelt es sich allerdings um einen auf Japanisch verfassten Fachartikel in "Scientific Instrument News - Technical Magazine of Electron Microscope and Analytical Instruments", Vol. 59, No. 2, September 2016. Eine Übersetzung dieses Fachartikels wurde von der Beschwerde­führerin nicht vorgelegt. Aus diesem Fachartikel (Dokument D27) wurde im Schreiben der Beschwerdeführerin vom 14. April 2022 die Abbildung 7 zitiert und lediglich die Bildunterschrift übersetzt. Die Abbildung 7 des Dokuments D27 zeigt mikroskopische Glanzpapiere mit Niveauunterschieden zwischen 0,5 und 0,6 mym. Nach Auffassung der Kammer bedarf es für die Feststellung, dass derartige Papiere Niveauunterschiede in dem oben genannten Bereich aufweisen, keines speziellen Nachweises, insbesondere da im angegriffenen Patent für Papier mit wärmeempfindlichen Aufzeichnungsschichten eine Oberflächenglätte angegeben ist (siehe Patent, Absatz [0046]).

Aufgrund der fehlenden Relevanz des Dokuments D27 in der vorliegenden Sache hat die Kammer entschieden, das Dokument D27 in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13 (1) VOBK 2020 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

3. Patent wie erteilt: Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ - Ausführbarkeit

3.1 Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die Erfindung ausreichend offenbart sei (siehe angefochtene Entscheidung, Entscheidungsgründe, Punkt 3). Die Kammer teilt diese Auffassung und macht hierzu folgende Ausführungen:

3.2 Fehlende Angabe des Verfahrens zur Bestimmung der eindiffundierten Menge nach Merkmal M1.5

In der Beschreibung wird unbestritten kein Verfahren zur Bestimmung der eindiffundierten Menge nach Merkmal M1.5 angegeben. Dass kein unmittelbares, eigenständiges Verfahren speziell zur Bestimmung des Parameters beschrieben wird, ist nach gängiger Rechtsprechung (siehe Rechtsprechung, II.C.5.5.1 c)) dem ausreichenden Charakter der Beschreibung an sich nicht abträglich, wenn die Ansprüche nicht auf ein Verfahren zur Bestimmung des Parameters gerichtet sind. Die fehlende Angabe eines Verfahrens zur Messung eines Parameters betrifft gemäß der Rechtsprechung in den meisten Fällen die Erfordernisse nach Artikel 84 EPÜ. Die fehlende Angabe eines Verfahrens zur Messung der ein­diffundier­ten Menge hindert den Fachmann im vor­liegenden Fall nicht daran, die beanspruchte Erfindung auszuführen, und ist daher nicht nach Artikel 100 b) EPÜ zu beanstanden. Da die beanspruchte Erfindung nicht auf die mit einem bestimmten Verfahren gemessene eindiffundierte Menge beschränkt ist, steht es dem Fachmann frei, ein geeignetes Verfahren zu verwenden. Im vorliegenden Fall wurde seitens der Beschwerde­gegnerin eine Differenz­wiegung vor und nach dem Eindiffundieren des Trenn­mittels und dem Abrakeln des nicht eindiffundierten Teils des Trennmittels, im Folgenden Rakelverfahren, vorgeschlagen (siehe angefochtene Entscheidung, Entscheidungsgründe, Punkt 3.3.4). Dies ist eine mögliche, wenn auch mit Ungenauigkeiten behaftete Messmethode, die dem Fachmann bekannt ist. In der von der Beschwerde­führerin zitierten Entscheidung T 2403/11 waren dem Fachmann nicht nur die Methode, sondern auch die auszuwählenden Messparameter nicht bekannt, so dass diese Entscheidung für das von der Beschwerdegegnerin vorgeschlagene Rakelverfahren mit Differenzwiegung im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.

3.3 Ungenauigkeit der Messmethode

Unter Verweis auf die Größenordnungen der Dicke der Trennmittelschicht im Vergleich zur Oberflächen­rauigkeit des Papiers argumentiert die Beschwerde­führerin, dass das für die Bestimmung des Anteils des eindiffundierten Trennmittels vorgeschlagene Rakel­verfahren zu ungenau sei und der Anteil des eindiffundierten Trennmittels regelmäßig zu groß bestimmt werde. Dies kann nach Auffassung der Kammer, wie bereits oben festgestellt, zwar Fragen zur Klarheit des Anspruchsgegenstands aufwerfen, aber keinen Einwand einer fehlenden Ausführbar­keit darstellen (siehe Rechtsprechung, II.C.8.2.). Da kein bestimmter Grad an Haftung zwischen den Lagen und an Sensitivität der wärmeempfindlichen Aufzeichnungs­schicht beansprucht wird, ist die Kammer der Auffassung, dass die Auswahl und die Genauigkeit des Verfahrens zur Messung des eindiffundierten Anteils für die Ausführbarkeit der Erfindung nicht ausschlaggebend sind.

3.4 Beweislast

Die Beschwerdeführerin argumentiert des Weiteren, dass, da das Patent keine Informationen enthalte, wie das Merkmal M1.5 umzusetzen sei, nur eine schwache Vermutung bestehe, dass die Erfindung ausreichend offenbart sei. Deshalb sei die Beweislast umzukehren (siehe Rechtsprechung, III.G.5.2.2 c)). Die Kammer sieht keine Gründe für eine Beweislastumkehr. Nach der in der Recht­sprechung unter Punkt III.G.5.2.2 c) zitierten Entscheidung T 63/06 reicht eine "schwache Vermutung" aus, wenn das Patent keine detaillierten Angaben zur Bestimmung eines Parameters enthält. In diesem Fall bedarf es weniger gewichtiger Argumente; es genügt, ernsthafte Zweifel aufzuwerfen, z.B. durch eine umfassende und plausible Argumentation. Dies wurde in der ebenfalls von der Beschwerdeführerin zitierten Entscheidung T 338/10 so bestätigt. In der vorliegenden Sache enthält das Patent zwar keine Angaben zur Bestimmung des Parameters nach Merkmal M1.5, allerdings liegen bei der in der angefochtenen Entscheidung unter Punkt 3.3.4 der Entscheidungsgründe beschriebenen Methode nach Auffassung der Kammer aufgrund der obigen Ausführungen keine ernsthaften Zweifel vor, dass ein Fachmann zum Anspruchsgegenstand einschließlich des Merkmals 1.5 gelangen kann, so dass keine Gründe für eine Beweislastumkehr vorliegen.

3.5 Versuchsberichte D10 und D14

Die von der Beschwerdeführerin vorlegten Versuchs­berichte D10 und D14 eignen sich nach Auffassung der Kammer nicht als Nachweis für die fehlende Ausführbarkeit des beanspruchten Gegenstands, da die verwendeten Materialien nicht den Vorgaben des Patents entsprechen. Ferner liegen die in den Versuchen V2, V3 und V4 des Dokuments D14 bestimmten eindiffundierten Anteile mit 47, 47 und 31 Gew.-% im beanspruchten Bereich, so dass damit eher das Gegenteil gezeigt wird. Die von der Beschwerde­führerin zitierte Entscheidung T 2245/17 im Rahmen eines Beweises über die Unmöglichkeit einer Herstellung ist vorliegend somit nicht einschlägig.

3.6 Ausführung der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich

Nach der ständigen Rechtsprechung (siehe Recht­sprechung, II.C.5.4.) muss der Fachmann die in den unabhängigen Ansprüchen definierte Erfindung über den gesamten Schutzbereich der Ansprüche anhand seines allgemeinen Fachwissens ohne unzumutbaren Aufwand ausführen können. Dies muss von Fall zu Fall entschieden werden. In der vorliegenden Sache sind dem Fachmann die Einflussgrößen auf den eindiffundierten Anteil allgemein bzw. aus der Patentschrift bekannt. Die Kammer teilt daher die Sichtweise der Beschwerde­gegnerin, dass der Fachmann unter Variation beispiels­weise der Einwirkdauer, des verwendeten Silikonharzes, der verwendeten Bindemittel und Pigmente, eine wärmeempfindliches Aufzeichnungsmaterial herstellen kann, bei dem ein Anteil von 5 bis 50 Gew.-% der Gesamtheit der Trennmittel der Beaufschlagung in den oberen Bereich der ausgebildeten wärmeempfindlichen Aufzeichnungsschicht eindiffundiert ist.

3.7 Ausführungsbeispiel

Entgegen der Behauptung der Beschwerdegegnerin, dass die im Patent offenbarten Ausführungsbeispiele einen eindiffundierten Anteil von 5 bis 50 Gew.-% der Gesamtheit der Trennmittel zeigten, weist die Beschwerde­führerin darauf hin, dass der eindiffundierte Anteil für diese Beispiele nicht offenbart sei, und dass allein die Bezeichnung dieser Ausführungs­beispiele als "erfindungsgemäß" dies nicht bestätigen könne, da diese bereits in der Anmeldung als solche bezeichnet worden seien, wobei in der Anmeldung der eindiffundierte Anteil von 5 bis 50 Gew.-% der Gesamtheit der Trennmittel optional gewesen sei.

Die Kammer folgt diesbezüglich der Beschwerde­führerin, dass die Ausführungsbeispiele nicht (notwendigerweise) das Merkmal M1.5 zeigen. Regel 42 (1) e) EPÜ verlangt die Aufnahme von Beispielen nur dort, "wo es angebracht ist". Die Rechtsprechung der Beschwerde­kammern unterscheidet klar zwischen den in der Regel 42 (1) e) EPÜ genannten Begriffen "Weg zur Ausführung der beanspruchten Erfindung" und "Beispiele". Nach dieser Rechtsprechung ist die genaue Angabe eines Wegs zur Ausführung der beanspruchten Erfindung vor dem Hintergrund des Artikels 83 EPÜ zu sehen. Hierbei handelt es sich zweifellos um ein zwingendes Erfordernis, dem die Beschreibung als Ganzes genügen muss. Hingegen sind Beispiele nur dann unverzichtbar, wenn die Beschreibung diesem Erfordernis ansonsten nicht genügt (siehe Rechtsprechung, II.C.5.3.). Die Kammer ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen diesbezüglich erfüllt sind. Die eindiffundierte Menge kann der Fachmann beispielsweise über die Einwirkzeit steuern, so dass der Fachmann zu dem beanspruchten Gegenstand gelangen kann.

3.8 Schutzbereich

Die Beschwerdeführerin bemängelt, dass sich durch die Ungenauigkeit der Messmethode Unklarheiten bezüglich des Schutzbereiches ergäben und verweist insbesondere auf die Entscheidungen T 1305/15 und T 593/09.

Die Kammer verweist auf die gängige Rechtsprechung, die z.B. in der Entscheidung T 2290/12 (siehe Entscheidungsgründe, Punkt 3.1) zusammen­gefasst ist und wonach die Frage, ob ein Gegenstand in den beanspruchten Bereich fällt oder nicht, nach vorherrschender Meinung der Beschwerdekammern ein Erfordernis der Klarheit und nicht der Ausführbarkeit darstellt (siehe Rechtsprechung, II.C.8.2).

3.9 Schlussfolgerung hinsichtlich der Ausführbarkeit

Die Kammer ist zu der Auffassung gelangt, dass der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des erteilten Patents nicht entgegensteht.

4. Patent wie erteilt: Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 54 EPÜ - Neuheit des Gegenstands der Ansprüche 1 und 12 gegenüber dem Dokument D1

4.1 Die Beschwerdegegnerin zweifelt die deutsche Über­setzung D1A des Dokuments D1 an. Ein Vergleich des Dokuments D1A mit der von der Beschwerdeführerin während der Verhandlung eingereichten englischen Maschinenübersetzung D1B des Dokuments D1 durch das japanische Patentamt ergibt, dass die für die Frage der Neuheit entscheidungs­relevanten Passagen des Dokuments D1 in der deutschen Übersetzung D1A korrekt wiedergegeben sind. Insbesondere enthält das Dokument D1 in der Zusammenfassung die Aussage, dass das Silikonharz in die wärmeempfindliche Aufzeichnungsschicht nicht eindringe. In dieser Hinsicht sind die beiden Übersetzungen D1A und D1B unbestritten konsistent. Die in den Absätzen [0041] und [0043] des Dokuments D1A offensichtlich verwechselten Temperatur­angaben ändern nichts an dieser Offenbarung.

4.2 Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1, 12, 13 und 14 wie erteilt neu sei gegenüber dem Dokument D1. Auch wenn eine zumindest in einem geringen Ausmaß stattfindende Diffusion nicht ausgeschlossen werden könne, so offenbare das Dokument D1 nicht die eindiffundierte Menge von 5 bis 50 Gew.-% der Gesamtheit der Trennmittel der Beaufschlagung gemäß Merkmal M1.5 bzw. M12.9 (siehe angefochtene Entscheidung, Entscheidungsgründe, Punkt 5.4.1).

4.3 Die Beschwerdeführerin argumentiert in ihrer Beschwerde­begründung, dass der Gegenstand der erteilten Ansprüche 1 und 12 nicht neu sei gegenüber dem Dokument D1. Die Kammer ist von der Argumentation der Beschwerde­führerin nicht überzeugt und folgt in ihrer Auffassung dem Vortrag der Beschwerdegegnerin. Demnach wird in der Zusammenfassung des Dokuments D1 bei der Verwendung eines vertikal freifallenden Vorhang­beschichters explizit von einer Diffusion abgeraten: "(...), ohne dass das Silikonharz in die wärmeempfindliche Aufzeichnungsschicht eindringt." Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin zu, dass insbesondere die Ergebnisse der Ausführungsbeispiele 1, 2, 5 und 6, die mit einem Gravurbeschichter durchgeführt wurden, und die Ausführungs­beispiele 3 und 4, die mit einem Vorhang­beschichter durchgeführt wurden, bezüglich der Farb­dichte im Wesentlichen gleich und betreffend den Hintergrundnebel identisch ausfallen (siehe Dokument D1, Tabelle 1, Absatz [0049]), so dass davon auszugehen ist, dass die in der Zusammenfassung für den Vorhang­beschichter getroffene Aussage auch für den Gravur­beschichter zutreffend ist. Es gibt im Dokument D1 keine gegenteiligen Hinweise. Vielmehr erkennt man in Tabelle 1 des Dokuments D1a, dass die Vergleichs­beispiele 2 und 3, bei denen eine Diffusion statt­findet, deutlich schlechtere Werte für die genannten Parameter aufweisen.

4.4 Somit ist im Dokument D1 keine anspruchsgemäße Diffusionsschicht (Merkmal M1.4.3) - implizit oder explizit - eindeutig und unmittelbar offenbart.

4.5 Hinsichtlich der weiteren Argumente der Beschwerde­führerin ist die Kammer der folgenden Auffassung:

4.5.1 Die Argumente der Beschwerdeführerin, dass im wärmeempfindlichen Aufzeichnungsmaterial gemäß dem Dokument D1 trotz der gegenteiligen Aussage in der Zusammenfassung aller Wahrschein­lichkeit nach doch eine Diffusion stattfinde, überzeugen nicht, da dies nicht von einer Offenbarung im Dokument D1 gestützt wird, die eine zwangsläufig auftretende Diffusion untermauern würde. In der Beschreibung, den Figuren und den Ansprüchen des Dokuments D1 werden keine Maßnahmen für das Herbeiführen einer Diffusion oder das Unterbinden einer Diffusion genannt. Für eine implizite Offenbarung ist der Maßstab "überwiegend wahrscheinlich" nicht ausreichend. Daher kann damit die explizite Aussage der Zusammenfassung des Dokuments D1 nicht wider­legt werden.

4.5.2 Der Sichtweise der Beschwerdeführerin, dass der Fachmann im Lichte der Gesamtoffenbarung des Dokuments D1b die Zusammenfassung übergehen würde, kann die Kammer nicht folgen. Die Zusammenfassung des Dokuments D1 bildet ebenso wie die restliche Offenbarung des Dokuments D1 einen Stand der Technik unter Artikel 54 (2) EPÜ und kann daher nicht vernachlässigt werden. In Anbetracht der Tatsache, dass die Zusammen­fassung explizit darauf hinweist, dass kein Silikonharz in die wärmeempfindliche Aufzeichnungsschicht eindringt, kann diese Aussage nicht ignoriert werden. Sie steht auch nicht im Widerspruch zur restlichen Offenbarung des Dokuments D1.

4.5.3 Auch wenn das eingesetzte Verfahren (Gravurbeschichter, UV-Strahlenhärtung), die eingesetzten Materialien (wässrige Dispersion für die wärmeempfindliche Aufzeichnungs­schicht, Pigmente, Bindemittel) und die Menge der Beaufschlagung vergleichbar sind, so kann daraus nicht geschlossen werden, dass im Dokument D1 zwangsläufig eine Diffusion stattfindet. Insbesondere sind im Dokument D1 keine Angaben zur Einwirkdauer oder zum eindiffundierten Anteil gemacht. Auch werden andere Silikonharze eingesetzt (siehe Dokument D1A, Absatz [0022]; Patent, Absatz [0047]).

4.5.4 Bezüglich der behaupteten vergleichbaren Eigenschaften der Produkte im Dokument D1 und dem Patent stellt die Kammer fest, dass sich insbesondere zur Lagenhaftung im Dokument D1 keine Information findet. Der im Absatz [0048] des Dokuments D1A beschriebene Abriebtest lässt keinen zwingenden Rückschluss auf die Lagenhaftung zu, da lediglich der Abrieb der obersten Schicht beurteilt wird. Aus den in Tabelle 1 des Dokuments D1A (siehe Absatz [0049]) aufgeführten Eigenschaften hinsichtlich Farbdichte und Hintergrundnebel lässt sich vor allem die Schlussfolgerung ziehen, dass diese Werte von eindiffundiertem Trennmittel negativ beeinflusst werden, siehe Vergleichsbeispiele 2 bis 4 im Gegensatz zu den Ausführungsbeispielen 1 bis 6, bei denen die Farbdichte und der Hintergrundnebel qualitativ besser beurteilt werden.

4.6 Schlussfolgerung hinsichtlich Neuheit des Gegenstands der unabhängigen Ansprüche 1 und 12 wie erteilt gegenüber dem Dokument D1

Die obigen Aussagen gelten analog für den Anspruch 12. Die Merkmale der Diffusionsschicht (Merkmal M1.4.3) und der eindiffundierten Menge (Merkmal M1.5) des Anspruchs 1 sind im Merkmal M12.9 des Anspruchs 12 enthalten. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen können die Merkmale M1.4.3 und M12.9 nicht als unmittelbar und eindeutig im Dokument D1 offenbart angesehen werden. Daher ist der Gegenstand der erteilten Ansprüche 1 und 12 neu gegenüber dem Dokument D1.

5. Patent wie erteilt: Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 54 EPÜ - Neuheit des Gegenstands der erteilten unabhängigen Ansprüche 1 und 13 gegenüber dem Dokument D3

5.1 Zwischen den Beteiligten und der Einspruchsabteilung besteht Einigkeit, dass im wärmeempfindlichen Aufzeichnungsmaterial gemäß dem Dokument D3 eine gewisse Diffusion des Trennmittels zwangsläufig auftritt und damit implizit offenbart ist. Nach Auffassung der Einspruchsabteilung unterscheide sich der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 vom Dokument D3 lediglich in dem Merkmal M1.5. Aus diesem Grund stellte die Einspruchsabteilung die Neuheit des Gegenstands der Ansprüche 1, 12, 13 und 14 fest (siehe angefochtene Entscheidung, Entscheidungsgründe, Punkt 5.1 und 5.4.1).

5.2 Die Argumentation der Beschwerdeführerin zielt unter anderem darauf ab, dass sich der eindiffundierte Trennmittelanteil am fertigen Produkt ohne Kenntnis der bei der Herstellung aufgetragenen Trennmittelmenge nicht bestimmen lasse und daher nicht zur Abgrenzung des Produktanspruchs dienen könne. Die Beschwerdegegnerin bestätigt, dass die Bestimmung des eindiffundierten Trennmittelanteils durch das von ihr vorgeschlagene Rakelverfahren nur während des Herstellungs­prozesses durchgeführt werden könne.

5.3 In der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer wurden seitens der Beschwerdegegnerin allerdings zwei andere, dem Fachmann angeblich bekannte Verfahren angeführt, wie dieser Parameter im Produkt bestimmt werden könne. So könne der Fachmann mittels Mikrotomie am Querschnitt den eindiffundierten Anteil bestimmen (Querschnittsverfahren) oder von der Oberfläche dünne Schichten abtragen, in denen der Trennmittelanteil bestimmt werden könne (Hobelverfahren). Zuvor war von der Beschwerdegegnerin im Einspruchs- und im Beschwerdeverfahren hinsichtlich des Merkmals 1.5 einzig das Rakelverfahren genannt worden (siehe auch Beschwerdeerwiderung, Punkt 3.2.3).

5.4 Wie die Beschwerdegegnerin vorgetragen hat, war ihr Verweis auf das Querschnittsverfahren aufgrund des von der Beschwerdegegnerin eingereichten Dokuments D10 veranlasst worden. Die Kammer stellt fest, dass das Verfahren an sich zwar bekannt ist, dass die im Dokument D10 dokumentierten Versuche allerdings erfolglos verliefen. Gegenversuche sind von der Beschwerdegegnerin nicht vorgelegt worden. Insofern handelt es sich bei ihrem Vorbringen, dass sich der eindiffundierte Trennmittelanteil mittels des Querschnittsverfahrens auch am fertigen Produkt bestimmen lasse, um eine unbelegte Behauptung, die nicht zu überzeugen vermag.

5.5 Das Hobelverfahren wurde von der Beschwerdegegnerin unbestritten erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorgebracht. Ein solches Vorbringen bleibt nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen. Dass laut der Beschwerdegegnerin die Frage der strukturellen Abgrenzung des beanspruchten Produkts erst in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorgebracht wurde, kann die Kammer nicht anerkennen. Spätestens mit Schreiben der Beschwerdeführerin vom 23. Dezember 2022 ist diese Frage explizit aufgeworfen worden. Dort ist unter Punkt 1 Folgendes zu lesen:

"Es ist festzustellen, dass die Beschwerdegegnerin erneut keine Nachweise oder Belege vorgelegt hat, die die Einhaltung des Merkmals 'eindiffundierter Anteil des Trennmittels von 5 bis 50 Gew.-%' objektiv verifizieren könnten. Wie bereits in der vorherigen Eingabe vom 14. April 2022 ausgeführt, ist die Patentinhaberin dafür in der Beweislast, dass ein von ihr vorgegebenes Verfahrensmerkmal, das das Produkt kennzeichnet, im Stand der Technik nicht eingehalten wird (sh. Ausführungen auf S. 18 im Schriftsatz vom 14. April 2022). Dazu gehören Angaben zur praktischen Umsetzung eines Verfahrens zur Verifizierung dieses Merkmals. Solche Angaben liegen bisher nicht vor."

Die Kammer kann daher keine außergewöhnlichen Umstände erkennen, die für die Zulassung dieses erstmaligen Vorbringens hinsichtlich eines schichtweisen Abtragens der Oberfläche mittels Mikrotomie sprechen, und hat entschieden, dieses Vorbringen in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 nicht in das Beschwerde­verfahren zuzulassen.

5.6 Aus den genannten Gründen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass sich der eindiffundierte Trennmittelanteil gemäß Merkmal M1.5 am fertigen Produkt ohne Kenntnis der bei seiner Herstellung aufgetragenen Trennmittelmenge nicht bestimmen lässt. Dieses Merkmal kann daher nicht zur strukturellen Abgrenzung des wärmeempfindlichen Aufzeichnungsmaterials gemäß Anspruch 1 dienen und seine Neuheit folglich nicht begründen.

5.7 Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ist daher nicht neu gegenüber dem Dokument D3. Die analoge Schlussfolgerung gilt für den erteilten Anspruch 13, der auf die Verwendung des wärmeempfindlichen Aufzeichnungsmaterials gemäß Anspruch 1 gerichtet ist.

6. Ergebnis

Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) i.V.m. Artikel 54 EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt entgegen.

7. Zurückverweisung - Artikel 111 (1) Satz 2 EPÜ

7.1 Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung wurde der Einspruch zurückgewiesen, u.a. da der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1, 12, 13 und 14 als neu gegenüber den Dokumenten D1, D2 und D3 und als erfinderisch ausgehend vom Dokument D1 als nächstliegendem Stand der Technik angesehen wurde. Die Dokumente D4, D5 und D6, die von der Einsprechenden als weitere mögliche Ausgangspunkte genannt worden waren, waren laut der Auffassung der Einspruchsabteilung weiter von dem Gegenstand des Streitpatents entfernt als das Dokument D1 und daher hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit nicht relevant (siehe angefochtene Entscheidung, Entscheidungsgründe, Punkt 5.3.1, 6.).

7.2 Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ist nach Ansicht der Kammer allerdings entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung gegenüber dem Dokument D3 nicht neu. Da die angefochtene Entscheidung bereits aus diesem Grund aufzuheben ist, steht es gemäß Artikel 111 (1) Satz 2 EPÜ im Ermessen der Kammer, im Rahmen der Zuständigkeit der Einspruchsabteilung tätig zu werden, d.h. die vorliegenden Hilfsanträge der Beschwerdegegnerin zu prüfen, oder die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung ohne eine vorige Befassung mit den vorliegenden Hilfsanträgen der Beschwerdegegnerin zurückzuverweisen.

7.3 Aufgrund der zur Auffassung der Einspruchsabteilung konträren Beurteilung des Dokuments D1 (siehe Punkt 4.4 oben) hinsichtlich des Merkmals M1.4.3 und der konträren Beurteilung des Merkmals M1.5, insbesondere des eindiffundierten Anteils von 5 bis 50 Gew.-% der Gesamtheit der Trennmittel der Beaufschlagung (siehe Punkt 5.6 oben), durch die Kammer, ergibt sich eine im Vergleich zum Verfahren vor der Einspruchsabteilung wesentlich veränderte Ausgangslage für die Prüfung der vorliegenden Hilfsanträge der Beschwerdegegnerin.

7.4 Im Hinblick auf das vorrangige Ziel des Beschwerde­verfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (siehe Artikel 12 (2) VOBK 2020), hält es die Kammer bei der vorliegenden Sachlage nicht für zweckmäßig, im Rahmen der Zuständigkeit der Einspruchs­abteilung tätig zu werden und die Prüfung der Hilfs­anträge insbesondere hinsichtlich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit selbst durchzuführen.

7.5 Da also besondere Gründe im Sinne des Artikels 11 VOBK 2020 vorliegen, hält es die Kammer für geboten, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchs­abteilung zurückzuverweisen (Artikel 111 (1) Satz 2 EPÜ), zumal beide Beteiligte hilfsweise eine Zurückverweisung beantragt haben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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