T 2445/17 () of 28.7.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T244517.20210728
Datum der Entscheidung: 28 Juli 2021
Aktenzeichen: T 2445/17
Anmeldenummer: 10191330.9
IPC-Klasse: H01H 36/00
H03K 17/955
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Schaltvorrichtung für ein medizinisches Gerät und Verfahren zum Betrieb der Schaltvorrichtung
Name des Anmelders: TRUMPF Medizin Systeme GmbH + Co. KG
Name des Einsprechenden: MAQUET GmbH
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
RPBA2020 Art 013(2)
European Patent Convention Art 111(1)
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - (nein)
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0072/04
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0983/21
T 0988/21

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der festgestellt wurde, dass das europäische Patent Nr. 2 455 959 in der Fassung des Hilfsantrags 2 den Erfordernissen des EPÜ genüge.

II. In der angefochtenen Entscheidung war die Einspruchsabteilung insbesondere zu dem Schluss gelangt, dass der damalige Hilfsantrag 2 die Erfordernisse der Artikel 83, 84 und 123 (2) EPÜ erfülle.

III. In einer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Meinung mit, wonach der Hauptantrag, entsprechend dem der Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrag 2, dem Erfordernis des Artikels 83 EPÜ nicht genüge, und dass dies auch für sämtliche Hilfsanträge zu gelten scheine.

IV. Eine mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 28. Juli 2021 in Anwesenheit der Parteien statt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung gemäß dem Hilfsantrag 0, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2021 aufrecht zu erhalten, weiter hilfsweise die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung gemäß eines der Hilfsanträge 1 bis 9 eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 16. Mai 2018 oder eines der mit Schreiben vom 15. Juni 2021 eingereichten Hilfsanträge 0A bis 9C, in der unter Punkt 1.2 dieses Schreibens angegebenen Reihenfolge, aufrecht zu erhalten. Weiterhin, für den Fall, dass dem Hauptantrag nicht stattgegeben würde, beantragte die Beschwerdegegnerin die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung.

V. Anspruch 1 des Hauptantrags hat den folgenden Wortlaut (Merkmalsangaben in eckigen Klammern hinzugefügt):

[1.1] Schaltvorrichtung (1) zum Erreichen einer Erstfehlersicherheit für ein medizinisches Gerät (2)

[1.2] mit mindestens einem ersten Schaltelement, durch das eine zugeordnete Bedienfunktion schaltbar ist, und

[1.3] mindestens einem zweiten Schaltelement, durch das eine Schaltfunktion des mindestens einen ersten Schaltelements freigebbar ist,

[1.4] wobei das Schalten der Schaltelemente auf zwei verschiedenen Schaltprinzipien beruht,

[1.5] wobei das zweite Schaltelement so angepasst ist, dass es einen Erfassungsraum (24) aufweist, in dem es eine Anwesenheit eines Betätigungsobjekts erfasst, und

[1.6] mindestens eines der ersten Schaltelemente in dem Erfassungsraum (24) von mindestens einem der zweiten Schaltelemente angeordnet ist,

[1.7] wobei jedem ersten Schaltelement mindestens ein zweites Schaltelement zugeordnet ist, indem das erste Schaltelement in dem Erfassungsraum (24) des zweiten Schaltelements angeordnet ist, und

[1.8] eine Auswertevorrichtung (17) vorgesehen ist, die die Bedienfunktion des ersten Schaltelements schaltet,

[1.8a] wenn sowohl das erste Schaltelement

[1.8b] als auch das zugeordnete zweite Schaltelement durch das Betätigungsobjekt betätigt ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

[1.9] die Auswertevorrichtung (17) zur Auswertung von Schaltsignalen so ausgebildet ist, dass die Auswertevorrichtung (17) über ein Signal des zweiten Schaltelements erkennt, wenn das Betätigungsobjekt in einer Position ist, in der es das erste Schaltelement betätigt,

[1.10] und die Auswertevorrichtung (17) so ausgebildet ist, dass die Auswertevorrichtung (17) ein Fehlersignal ausgibt wenn die Auswertevorrichtung (17) über ein Signal des zweiten Schaltelements erkennt,

[1.10a] dass das erste Schaltelement betätigt ist, aber das erste Schaltelement kein Schaltsignal an die Auswertevorrichtung (17) gibt, oder

[1.10b] wenn das erste Schaltelement die Bedienfunktion schaltet, obwohl es über eine Taste (8) nicht betätigt wird.

VI. Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 9 weist jeweils das Merkmal 1.9 des Hauptantrags auf, wonach

die Auswertevorrichtung (17) zur Auswertung von Schaltsignalen so ausgebildet ist, dass die Auswertevorrichtung (17) über ein Signal des zweiten Schaltelements erkennt, wenn das Betätigungsobjekt in einer Position ist, in der es das erste Schaltelement betätigt.

VII. Angesichts der im Hinblick der Hilfsanträge 0, 0A, 0B, 0C, 1A, 2A, 3A, 4A, 4B, 4C, 5A, 5B, 5C, 6A, 6B, 6C, 7A, 7B, 7C, 8A, 8B, 8C, 9A, 9B, 9C getroffenen Entscheidung der Kammer, diese Anträge nicht im Verfahren zu berücksichtigen, erübrigt sich eine Wiedergabe dieser Anträge an dieser Stelle.

VIII. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Substantiierung des Einwands unter Artikel 83 EPÜ / Beweislast

Der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich sei in der Beschwerdebegründung ausreichend substantiiert worden. Der mögliche Vortrag der Beschwerdeführerin sei limitiert gewesen vor dem Hintergrund, dass das Patent keinerlei Angaben zu einer möglichen technischen Umsetzung einer Auswertevorrichtung im Sinne des Merkmals 1.9 enthalte.

Hauptantrag - Ausführbarkeit der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich

Die Erfindung nach Anspruch 1 des Hauptantrags sei nicht ausführbar, weil es unmöglich sei, dass die Auswertevorrichtung gemäß Merkmal l.9 zur Auswertung von Schaltsignalen so ausgebildet ist, dass sie über ein Signal des zweiten Schaltelements erkennt, wenn das Betätigungsobjekt in einer Position ist, in der es das erste Schaltelement betätigt. Dies sei zum einen bereits aufgrund von Toleranzbereichen existierender Sensoren, zum anderen auch aufgrund von üblicherweise vorhandenen Schalthysteresen mechanischer Schalter, unmöglich. Dies betreffe sämtliche in dem Patent genannte Typen von zweiten Schaltelementen, insbesondere auch Thermosensoren, optische Sensoren und Mikrofone. In diesem Zusammenhang werde auf die Absätze [0036] bis [0038] der Patentschrift verwiesen.

Die Erfindung müsse im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar sein, was im vorliegenden Fall nicht gegeben sei. Von Anspruch 1 seien auch Lösungen umfasst, bei denen das zweite Schaltelement als Mikrofon, Thermosensor oder optischer Sensor ausgeführt sei. Das angefochtene Patent enthalte jedoch keinerlei Hinweise im Hinblick auf eine mögliche technische Umsetzung bei der Ausführung des zweiten Schaltelements als Mikrofon, Thermosensor oder optischer Sensor. Das von der Beschwerdegegnerin vorgelegte Gutachten (D37) erwähne zwar auf Seite 4, vorletzter Absatz, diese Schaltprinzipien, nehme im weiteren Verlauf jedoch an keiner Stelle Bezug auf die Ausführbarkeit von zweiten Schaltelementen, die auf den Schaltprinzipien Mikrofon, Thermosensor oder optischer Sensor beruhen. Das Gutachten beziehe sich vielmehr lediglich auf die konkrete Ausführungsform nach Figur 4a und 4b unter Verwendung eines kapazitiven Sensors.

Die von der Beschwerdegegnerin dargelegten Beispiele für eine mögliche Implementierung entsprechender alternativer Sensoren überzeugen nicht, denn sie würden weitere Fragen aufwerfen, die nicht allein durch das Fachwissen des Fachmanns gelöst werden könnten. Im Übrigen fordere das Merkmal 1.9 das Erkennen einer Position des Betätigungsobjekts, in der es das erste Schaltelement betätigt. Dies sei nicht der Fall bei den von der Beschwerdegegnerin angeführten Beispielen, denn dort werde nicht die Position des Betätigungsobjektes erkannt, sondern vielmehr die Position der Taste. Ferner werde mit Nichtwissen bestritten, dass optische Sensoren existierten, welche die Position eines Betätigungsobjektes im Sinne des Anspruchs 1 im Bereich von Mikrometern genau erkennen können.

Berücksichtigung der neuen Beweismittel im Beschwerdeverfahren

Das von der Beschwerdegegnerin nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vorgelegte Gutachten (D37) sowie die eidesstattliche Versicherung (D36) des Mitarbeiters der Beschwerdegegnerin seien verspätet und daher nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen. Entsprechendes gelte auch für die angebotenen Zeugenbeweise.

Berücksichtigung des neuen Hilfsantrags 0 im Beschwerdeverfahren

Die der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügte Mitteilung der Kammer rechtfertige nicht die Einreichung des neuen Hilfsantrags 0 erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer. Anträge seien so früh wie möglich im Verfahren einzureichen. Die Beschwerdeführerin habe substantiiert zum Einwand der mangelnden Ausführbarkeit in der Beschwerdebegründung vorgetragen, sodass bereits mit der Beschwerdeerwiderung Veranlassung bestanden habe, entsprechende Hilfsanträge einzureichen. Es sei daher nicht glaubwürdig, dass die Beschwerdegegnerin von der nunmehr stattfindenden Diskussion über eine Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich überrascht worden sei.

Der erstmals in der Verhandlung eingereichte Hilfsantrag 0 sei somit verspätet und daher nicht im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen. Es lägen insbesondere keine außergewöhnlichen Umstände vor, welche die Änderung des Beschwerdevorbringens nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 rechtfertigen könnten.

Ausführbarkeit der Erfindung nach den Hilfsanträgen 1 bis 9

Der zum Hauptantrag erhobene Einwand unter Artikel 83 EPÜ gelte auch für die Hilfsanträge 1 bis 9, denn Anspruch 1 dieser Hilfsanträge enthalte keine Spezifizierung des zweiten Schaltelements. Das zweite Schaltelement sei vielmehr gegenüber dem Anspruch 1 des Hauptantrags unverändert geblieben und der Einwand unter Artikel 83 EPÜ bestehe daher fort.

Zulassung der mit Schreiben vom 15. Juli 2021 eingereichten Hilfsanträge 0A bis 9C

Der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich sei bereits in der Beschwerdebegründung substantiiert vorgetragen worden. Auf den Inhalt der der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung der Kammer komme es insoweit nicht an. Die Hilfsanträge 0A bis 9C seien damit verspätet und das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, welche ihre Einreichung erst nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich.

IX. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Substantiierung des Einwands unter Artikel 83 EPÜ / Beweislast

Die Beschwerdeführerin habe im Hinblick auf die Ausführbarkeit der Erfindung in der Beschwerdebegründung lediglich hypothetische Überlegungen bezüglich potenziell nachteiliger Situationen angestellt, ohne jegliche Nachweise zu erbringen. Insbesondere habe sie keine zusätzlichen Belege, beispielsweise in Form von nachgewiesenen erfolglosen Versuchen, erbracht. Dies sei im Lichte der von der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung getroffenen Feststellungen jedoch angebracht gewesen. Es handele sich somit bei dem entsprechenden Vortrag der Beschwerdeführerin im Hinblick auf den Einwand unter Artikel 83 EPÜ um eine bloße Wiederholung von Behauptungen aus dem erstinstanzlichen Verfahren. Ein substantiierter Vortrag fehle daher. Das angefochtene Patent enthalte ferner ein konkretes Ausführungsbeispiel, welches es dem Fachmann ohne Weiteres ermögliche, die von Anspruch 1 umfasste Erfindung umzusetzen. Die Umkehr der Beweislast auf die Beschwerdegegnerin sei daher nicht gerechtfertigt, sondern es obliege vielmehr der Beschwerdeführerin, entsprechende Nachweise für eine mangelnde Ausführbarkeit der Erfindung zu erbringen.

Hauptantrag - Ausführbarkeit der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich

Es sei ausreichend, wenn in dem Patent ein Weg zur Ausführung der Erfindung beschrieben werde. Es sei jedenfalls nicht erforderlich, dass alle denkbaren Lösungen darin beschrieben seien. Eine Konkretisierung sei im vorliegenden Fall auch nicht zumutbar. Der konkrete Aufbau der Schaltvorrichtung sei in dem Patent anhand eines konkreten Ausführungsbeispiels unter Verwendung eines kapazitiven Sensors erläutert. Bei den anderen in Absatz [0038] genannten Arten von zweiten Schaltelementen handele es sich lediglich um Alternativen zu dem kapazitiven Sensor. Es sei zulässig ein konkretes Beispiel zu verallgemeinern.

Der Fachmann habe im Übrigen ausreichende Kenntnisse, um die Erfindung auch für einen optischen Sensor, einen Thermosensor oder ein Mikrofon als zweites Schaltelement auszuführen. Dem Fachmann sei insbesondere bekannt, dass es Mikrokameras gebe, die im Mikrometerbereich die Position eines Objekts bestimmen könnten. Ferner könne durch ein Mikrofon ohne Weiteres das durch das Umschalten eines als Knackfrosch ausgebildeten ersten Schaltelements bedingte Geräusch erfasst werden. Auch die Umsetzung unter Verwendung eines Thermosensors bereite dem Fachmann keinerlei Schwierigkeiten. So könne beispielsweise die Körpertemperatur durch einen entsprechenden Sensor erfasst werden.

Berücksichtigung des neuen Hilfsantrags 0 im Beschwerdeverfahren

Der neue Hilfsantrag 0 sei im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen. Es liege ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 vor, denn die Hauptdiskussion habe sich in der mündlichen Verhandlung überraschend auf die Ausführbarkeit der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich verlagert. Hierzu habe die Beschwerdeführerin nicht substantiiert vorgetragen, sondern lediglich pauschale Behauptungen aufgestellt. Auch aus der vorläufigen Meinung der Kammer sei nicht klar erkennbar gewesen, dass dieser Aspekt zum Gegenstand von vertieften Erörterungen werden würde. Die Beschwerdegegnerin sei somit davon überrascht worden, dass in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer die Ausführbarkeit der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich, insbesondere im Hinblick auf die in Absatz [0038] der Patentschrift genannten alternativen Ausführungsformen des zweiten Schaltelements, erörtert wurde. Dies stelle einen außergewöhnlichen Umstand dar, welcher eine Änderung des Beschwerdevorbringens in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer rechtfertige.

Ausführbarkeit der Erfindung nach den Hilfsanträgen 1 bis 9

Die Erfindungen nach den Hilfsanträgen 1 bis 9 seien im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar. Insbesondere enthalte Anspruch 1 der Hilfsanträge 5 und 9 weitere Konkretisierungen des zweiten Schaltelements, welche geeignet seien, den Einwand unter Artikel 83 EPÜ zu überwinden.

Zulassung der mit Schreiben vom 15. Juli 2021 eingereichten Hilfsanträge 0A bis 9C

Die Kammer habe erstmals in der der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung unter Punkt 10 eine Beweislastumkehr vorgenommen. Dies stelle einen außergewöhnlichen Umstand dar, welcher die Einreichung der Hilfsanträge 0A bis 9C erst nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung rechtfertige. Die Beschwerdegegnerin habe nicht damit rechnen können, dass sie die Beweislast für die Ausführbarkeit der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich zu tragen habe, denn dieser Einwand sei von der Beschwerdeführerin nicht substantiiert vorgetragen worden. Die Beweislast habe somit nicht auf die Beschwerdegegnerin übergehen können. Die von der Kammer vorgenommene Beweislastumkehr sei daher für die Beschwerdegegnerin überraschend gewesen, sodass die Einreichung der neuen Hilfsanträge unter Artikel 13 (2) VOBK 2020 gerechtfertigt sei.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Substantiiertheit des Einwandes unter Artikel 83 EPÜ - Beweislast

2.1 Die Beschwerdegegnerin hat bestritten, dass sie die Beweislast für die Ausführbarkeit der Erfindung zu tragen habe. Ihre Argumentation stützt sich im Wesentlichen darauf, dass der Einwand unter Artikel 83 EPÜ von der Beschwerdeführerin unsubstantiiert vorgetragen worden sei und eine Beweislastumkehr auf die Beschwerdegegnerin unter diesen Umständen nicht erfolgen durfte. Es seien vielmehr lediglich Behauptungen aufgestellt worden, etwaige Nachweise über die mangelnde Ausführbarkeit, insbesondere der Nachweis für das Anstellen erfolgloser Versuche, seien jedoch nicht von der Beschwerdeführerin erbracht worden. Die bloße Behauptung, die Erfindung sei nicht ausführbar, reiche jedenfalls nicht aus, um die Beweislast vollständig auf die Beschwerdegegnerin umzukehren.

2.2 Die Kammer kann der Beschwerdegegnerin nicht in ihrer Argumentation folgen. Der Vortrag der Beschwerdeführerin im Hinblick auf die geltend gemachte mangelnde Ausführbarkeit der Erfindung, insbesondere auch die mangelnde Ausführbarkeit im gesamten beanspruchten Bereich im Hinblick auf die alternativen zweiten Schaltelemente, ist bereits in der Beschwerdebegründung ausreichend substantiiert worden. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin waren auch geeignet, ernsthafte Zweifel an der Ausführbarkeit der Erfindung zu wecken. Dies gilt auch für die von der Kammer für relevant erachtete Frage, ob die Erfindung nach Anspruch 1 des Hauptantrags im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar ist.

2.3 Im Einzelnen finden sich zum Einwand der mangelnden Ausführbarkeit der Erfindung nach Anspruch 1 Ausführungen auf den Seiten 5 bis 10 der Beschwerdebegründung. Dort hat die Beschwerdeführerin auf Seite 5 unter Verweis auf die Absätze [0036] bis [0038] des Patents im Wesentlichen geltend gemacht, die Beschreibung des Streitpatents enthalte keine genaueren Angaben darüber, wie das Merkmal 1.9 des Anspruchs 1 implementiert werden könne, wie also eine Auswertevorrichtung über ein Signal des zweiten Schaltelements erkennen könne, wenn das Betätigungsobjekt in der Position ist, in der es das erste Schaltelement betätigt. Im zweiten Absatz wird konkret auf das zweite Schaltelement Bezug genommen und es wird insbesondere ausgeführt, dass das zweite Schaltelement als Näherungssensor, insbesondere als kapazitiver Sensor, Thermosensor, Mikrophon oder optischer Sensor, ausgebildet sei. Weiterhin führt der betreffende Absatz aus, dass jedoch offen bleibe, wie die Auswertevorrichtung eine Unterscheidung zwischen einem Berühren oder einer tatsächlichen Betätigung des ersten Schaltelements vornehmen könne. Ferner wird im letzten Satz des betreffenden Absatzes Folgendes ausgeführt: "Über die mögliche technische Umsetzung bei der Ausführung des zweiten Schaltelements als Mikrofon, Thermosensor oder optischer Sensor enthält das Patent überhaupt keinen Hinweis."

Entgegen der Behauptung der Beschwerdegegnerin beziehen sich diese Erläuterungen nicht ausschließlich auf die Frage, ob sich die Position des Betätigungsobjekts, in der es das erste Schaltelement betätigt, mit Sicherheit oder nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bestimmen lässt. Vielmehr ist klar ersichtlich, dass eine Implementierbarkeit der Auswertevorrichtung für die unter die beanspruchte Erfindung fallenden Arten von zweiten Schaltelementen grundsätzlich in Zweifel gezogen wird.

Auf den nachfolgenden Seiten der Beschwerdebegründung wird unter anderem dargelegt, dass es dem Fachmann aufgrund des Vorhandenseins einer Schalthysterese unmöglich sei, im Sinne des Merkmals 1.9 mittels eines Signals des zweiten Schaltelements zu erkennen, wenn das Betätigungsobjekt in einer Position ist, in der es das erste Schaltelement betätigt. Auf den Seiten 8 und 10 der Beschwerdebegründung beanstandet die Beschwerdeführerin explizit die mangelnde Ausführbarkeit der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich.

Hierbei ist es unbeachtlich, dass die Beschwerdeführerin im konkreten Zusammenhang mit den alternativen Arten von zweiten Schaltelementen nicht wörtlich eine resultierende mangelnde Ausführbarkeit im gesamten beanspruchten Bereich beanstandet hat, denn dies ergibt sich jedenfalls unmittelbar aus dem inhaltlichen Gesamtzusammenhang des betreffenden Vortrags. So hat sie, wie oben dargelegt, jedenfalls explizit unter Verweis auf die Absätze [0036] bis [0038] geltend gemacht, dass das Patent über die mögliche Umsetzung der zweiten Schaltelemente als Mikrofon, Thermosensor oder optischer Sensor keine Hinweise enthalte.

2.4 Zwar mag es sich bei dem Vortrag der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung um eine Wiederholung des Vortrags aus dem erstinstanzlichen Verfahren handeln, dieser Umstand spricht jedoch nicht per se gegen die erforderliche Substantiiertheit des entsprechenden Vortrags im Beschwerdeverfahren.

2.5 Der betreffende Vortrag der Beschwerdeführerin ist jedenfalls nicht eine reine Behauptung, sondern insofern objektiv zutreffend, als dass das Patent keinerlei Angaben darüber enthält, wie die Auswertevorrichtung im Sinne des Merkmals 1.9 über ein Signal des zweiten Schaltelements erkennen kann, wenn das Betätigungsobjekt in einer Position ist, in der es das erste Schaltelement betätigt. Dies gilt für sämtliche in den Absätzen [0036] bis [0038] genannten Arten von zweiten Schaltelementen, wie die Beschwerdeführerin auf Seite 5 der Beschwerdebegründung dargelegt hat.

2.6 Weitergehende Belege für die mangelnde Ausführbarkeit seitens der Beschwerdeführerin, wie sie von der Beschwerdegegnerin für notwendig erachtet wurden, waren für die ausreichende Substantiierung des Einwandes im konkreten Fall nicht erforderlich. Insbesondere konnte von der Beschwerdeführerin nicht erwartet werden, dass sie einen weitergehenden Nachweis über fehlgeschlagene Experimente vor dem Hintergrund erbringt, dass die Beschreibung, insbesondere auch im Hinblick auf die in Absatz [0038] als Alternativen genannten Sensortypen, jedweder Beschreibung über die Ausgestaltung der Auswertevorrichtung zur Umsetzung seiner in Merkmal 1.9 beanspruchten Funktion entbehrt. Mit anderen Worten war es der Beschwerdeführerin daher nicht zuzumuten, einen Nachweis über die Unmöglichkeit der Ausführung einer technischen Umsetzung des betreffenden Merkmals zu erbringen, wenn eine entsprechende Möglichkeit der technischen Umsetzung in dem Patent schlichtweg nicht beschrieben ist.

2.7 Die Kammer hat die Argumente der Beschwerdeführerin im Hinblick auf eine geltend gemachte mangelnde Ausführbarkeit der Erfindung für ausreichend nachvollziehbar und plausibel erachtet. Sie ist daher zu dem Schluss gelangt, dass nicht sofort ersichtlich ist, dass in dem konkreten Fall der Fachmann die fehlenden Informationen ohne Weiteres durch Fachwissen ergänzen kann, und dass vielmehr aufgrund des gänzlichen Fehlens der für die Umsetzung des Merkmals 1.9 relevanten Informationen in dem Patent, berechtigte Zweifel daran bestehen, dass die Erfindung das Erfordernis von Artikel 83 EPÜ erfüllt (siehe insbesondere Punkt 10 der der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung der Kammer).

Dies ist jedoch unbeachtlich, denn die Beschwerdegegnerin konnte jedenfalls nicht darauf vertrauen, dass sie die in der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Zweifel an der Ausführbarkeit der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich nicht zu entkräften habe, weil der entsprechende Vortrag der Beschwerdeführerin als unsubstantiiert angesehen werden würde.

Somit oblag es der Beschwerdegegnerin, ungeachtet der von der Kammer vertretenen vorläufigen Meinung, zu einem frühest möglichen Zeitpunkt zu allen von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Einwänden Stellung zu nehmen und die aufgeworfenen Zweifel auszuräumen. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Vorlage von Hilfsanträgen als mögliche Rückfallpositionen (siehe die Punkte 5 und 7 dieser Entscheidung).

2.8 Da der Einwand unter Artikel 83 EPÜ gegen den Hauptantrag von der Beschwerdeführerin angesichts der konkreten Umstände des Falls substantiiert war, ist auch die auf einen unsubstantiierten Parteivortrag abstellende, von der Beschwerdegegnerin zitierte Entscheidung in dem Beschwerdeverfahren T 72/04 für den vorliegenden Fall irrelevant. Außerdem, da der Einwand nach Artikel 83 EPÜ nach Auffassung der Kammer substantiiert vorgetragen wurde und die Einreichung von Nachweisen bezüglich fehlgeschlagener Versuche im konkreten Fall nicht erforderlich war (siehe oben Gründe Nr. 2.6 und 2.7), oblag es der Beschwerdegegnerin, den Einwand argumentativ und/oder durch Vorlage entsprechender Nachweise zu entkräften.

3. Berücksichtigung neuer Beweismittel im Beschwerdeverfahren

3.1 Mit Schreiben vom 15. Juni 2021 hat die Beschwerdegegnerin nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer im Hinblick auf den Einwand der mangelnden Ausführbarkeit der Erfindung neue Beweismittel in Form einer eidesstattlichen Versicherung eines Mitarbeiters der Patentinhaberin (eingeführt als Dokument D36) sowie eines privat in Auftrag gegebenen Gutachtens (eingeführt als Dokument D37) vorgelegt. Ebenso hat sie Beweis durch Einvernahme der Verfasser der Dokumente D36 und D37 als Zeugen angeboten, nämlich zum Zweck der Bestätigung, der in den Dokumenten D36 und D37 jeweils enthaltenen Angaben sowie für den Fall weiterer Rückfragen durch die Kammer (vgl. Seiten 10 und 15 des vorgenannten Schreibens).

Die Beschwerdeführerin beantragt die Nichtberücksichtigung der neuen Beweismittel im Beschwerdeverfahren als verspätet.

3.2 Die Frage der Zulassung der neu eingeführten Beweismittel konnte vorliegend dahinstehen bleiben, denn die Kammer ist zu dem Schluss gelangt, dass sie für die Frage der Ausführbarkeit der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich keine Relevanz haben.

3.2.1 Im Hinblick auf die eidesstattliche Versicherung (D36) hat die Beschwerdegegnerin nicht bestritten, dass dort ausschließlich auf das Ausführungsbeispiel nach den Figuren 4a und 4b mit zugehöriger Beschreibung Bezug genommen wird, welches als zweites Schaltelement einen kapazitiven Sensor in Verbindung mit einem elektromechanischen Schalter als ersten Sensor vorsieht.

3.2.2 Im Hinblick auf das Gutachten (D37) hat die Beschwerdegegnerin auf Seite 4 verwiesen, wo unter Bezugnahme auf Absatz [0038] Thermosensoren, Mikrofone oder optische Sensoren als alternative Ausführungsformen des zweiten Schaltelements genannt werden. Weiterführende Anmerkungen zu diesen alternativen zweiten Schaltelementen enthält das Gutachten jedoch an keiner Stelle und die Beschwerdegegnerin hat nichts dergleichen vorgetragen. Vielmehr konzentriert sich das Gutachten auf kapazitive Sensoren als zweite Schaltelemente.

Die Kammer kann somit nicht erkennen, dass dem Gutachten eine Relevanz im Hinblick auf die Ausführbarkeit der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich, und somit nicht nur unter Verwendung von kapazitiven Sensoren, sondern auch von alternativen im Patent genannten Sensoren wie Thermosensoren, Mikrofonen oder optischen Sensoren zukommt.

3.3 Für die vorliegende Entscheidung war eine weitergehende inhaltliche Auseinandersetzung mit den Beweismitteln D36 und D37 somit nicht erforderlich, und die Frage, ob die neuen Beweismittel im Verfahren zu berücksichtigen waren, konnte daher dahinstehen bleiben.

3.4 Auch eine Vernehmung der angebotenen Zeugen war nicht sachdienlich, da diese in ihren schriftlichen Stellungnahmen (D36 und D37) zu der Frage der ausreichenden Offenbarung weiterer Ausführungsformen, die unter den Anspruch fallen, inhaltlich nichts ausgeführt haben, und die Zeugen lediglich zum Zwecke der Bestätigung ihrer schriftlichen Angaben bzw. für weitere Rückfragen der Kammer hierzu genannt wurden.

4. Hauptantrag - Ausführbarkeit der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich (Artikel 83 EPÜ)

4.1 Die von Anspruch 1 des Hauptantrags umfasste Erfindung ist in dem Patent nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie im gesamten beanspruchten Bereich ausführen kann.

4.2 Die von Anspruch 1 des Hauptantrags umfasste Erfindung ist im Hinblick auf die Art des ersten und des zweiten Schaltelements nicht beschränkt. Die einzige Beschränkung, die Anspruch 1 in diesem Zusammenhang enthält, ist die, dass beide Schaltelemente auf zwei verschiedenen Schaltprinzipien beruhen.

Das einzige in dem Patent in den Figuren 4a und 4b dargestellte und in der zugehörigen Beschreibung näher erläuterte Ausführungsbeispiel bezieht sich auf einen elektromechanischen Schalter als erstes Schaltelement und einen kapazitiven Sensor als zweites Schaltelement.

Weiterhin führt Absatz [0038] der Patentschrift Folgendes aus:

"Alternativ zu einem kapazitiven Sensor kann der Annäherungsschalter auch auf einem anderen Schaltprinzip basieren. Denkbar sind hier z.B. Thermosensoren zum Erfassen einer Wärmestrahlung, Mikrofone zum Erfassen von Geräuschen, z.B. Spracheingabe, oder optische Sensoren. Der Vorteil eines kapazitiven Sensors ist, dass elektromagnetische Felder und statische Aufladungen anhand spezifischer Muster erkannt und unterdrückt werden können."

4.3 Die Kammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass das angefochtene Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass der Fachmann ohne unzumutbaren Aufwand in der Lage ist, eine Auswertevorrichtung für die von der Erfindung umfassten Arten und Kombinationen von ersten und zweiten Schaltelementen zu implementieren, die gemäß Merkmal l.9 über ein Signal des zweiten Schaltelements erkennt, wenn das Betätigungsobjekt in einer Position ist, in der es das erste Schaltelement betätigt. Dies gilt insbesondere für die Ausführungsformen der Erfindung, in denen das zweite Schaltelement gemäß der Beschreibung des angefochtenen Patents in Absatz [0038] als Mikrofon, Thermosensor oder optischer Sensor ausgebildet ist.

4.4 Die Beschwerdegegnerin hat im Kern vorgetragen, in dem Patent müsse lediglich ein ausführbarer Weg beschrieben werden, jedoch nicht alle denkbaren Lösungen. Es sei ferner zulässig ein konkretes Beispiel zu verallgemeinern und eine Konkretisierung sei im vorliegenden Fall nicht zumutbar. Die in Absatz [0038] genannten Sensortypen stellten lediglich Alternativen dar, die Ausführbarkeit der Erfindung sei jedoch bereits durch die Beschreibung des den kapazitiven Sensor betreffenden Ausführungsbeispiels gegeben.

4.5 Im konkreten Fall konnte die Frage, ob die in den Figuren 4a und 4b gezeigte, und in der zugehörigen Beschreibung erläuterte, Ausführungsform der Erfindung ausführbar ist, obwohl die Beschreibung keine Angaben über einen möglichen Weg zur technischen Implementierung des Merkmals 1.9 liefert, dahinstehen. Die Kammer ist nämlich jedenfalls überzeugt, dass das Aufzeigen eines (einzigen) Weges im vorliegenden Fall nicht ausreicht. Die beschriebene Ausführungsform bezieht sich ausschließlich auf einen kapazitiven Sensor in Verbindung mit einem elektromechanischen Schalter. Die auf gänzlich anderen physikalischen Wirkprinzipien beruhenden weiteren von der Erfindung nach Anspruch 1 umfassten und in Absatz [0038] des Streitpatents benannten Arten von zweiten Schaltelementen (Thermosensor, optischer Sensor, Mikrofon) bedürfen jedoch weitergehender Informationen im Hinblick auf die Auswertung der von der Auswerteeinrichtung empfangenen Signale.

Selbst unter der Annahme, dass der Fachmann mithilfe seines Fachwissens die im Patent fehlenden Informationen über die Auswertung von Schaltsignalen eines kapazitiven Sensors in der Auswertevorrichtung ergänzen könnte, ist also nicht ersichtlich, dass sich diese Informationen auf die auf gänzlich anderen physikalischen Wirkprinzipien beruhenden alternativen zweiten Schaltelemente gemäß Absatz [0038] der Patentschrift einfach übertragen ließen und die Beschwerdegegnerin hat diesbezüglich nichts vorgetragen.

4.6 Der Beschwerdegegnerin ist zwar darin zuzustimmen, dass sich die Offenbarung des Patents grundsätzlich an den Fachmann richtet. Im vorliegenden Fall betrifft das Merkmal 1.9 jedoch eine komplexe Funktionalität der Auswertevorrichtung, die explizit die Bestimmung der Position des Betätigungsobjekts fordert, in der es das erste Schaltelement betätigt. Vor diesem Hintergrund ist das einzige Argument der Beschwerdegegnerin, der Fachmann sei ausreichend bewandert und kenne entsprechende Wege, wie er die Position des Betätigungsobjektes mittels eines optischen Sensors, eines Mikrofons oder eines Thermosensors erkennen könne, nicht ausreichend, um die Kammer von der Ausführbarkeit der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich zu überzeugen.

4.7 Vielmehr wirft die Verwendung dieser Sensortypen komplexe Fragen auf, wobei es für die Kammer nicht ersichtlich ist, wie der Fachmann diese allein mithilfe seines Fachwissens ausräumen kann und die Beschwerdegegnerin hat diesbezüglich keine überzeugenden Argumente dargelegt.

Die von der Beschwerdegegnerin genannten Implementierungsbeispiele im Hinblick auf die von der Erfindung umfassten alternativen Sensortypen überzeugen die Kammer ebenfalls nicht. Insbesondere ist der Beschwerdeführerin darin zuzustimmen, dass sich das Umschalten des "Knackfroschs" zwar akustisch nachweisen lassen mag. Über die Position des Betätigungsobjektes, wie von Merkmal 1.9 gefordert, lässt sich hierdurch jedoch keine Aussage treffen. Die Beschwerdeführerin hat in diesem Zusammenhang auch zurecht vorgetragen, dass nicht ersichtlich ist, wie eine Unterscheidung zu anderen Geräuschen erfolgen soll. Zudem wirft die von der Beschwerdeführerin genannte Messverzögerung bei der Verwendung von Thermosensoren Fragen auf, die sich allein mithilfe des Fachwissens des Fachmanns nicht ausräumen lassen. Es ist generell nicht nur fraglich, wie eine hinreichend zuverlässige Auswertung von Messsignalen unter Verwendung dieser Sensortypen als zweite Schaltelemente im Sinne der beanspruchten Erfindung zu erfolgen hat, denn bereits die konkrete Anordnung der entsprechend ausgebildeten zweiten Schaltelemente im Gesamtgefüge der beanspruchten Schaltvorrichtung wirft technische Fragen auf, die allein durch das Fachwissen des Fachmanns nicht beantwortbar sind.

4.8 Die Kammer ist daher zu dem Schluss gelangt, dass die von Anspruch 1 des Hauptantrags umfasste Erfindung in dem Patent nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie im gesamten beanspruchten Bereich ausführen kann (Artikel 83 EPÜ).

5. Berücksichtigung des neuen Hilfsantrags 0 im Beschwerdeverfahren (Artikel 13 (2) VOBK 2020)

5.1 Die Beschwerdegegnerin hat erstmals in der mündlichen Verhandlung einen neuen Hilfsantrag 0 vorgelegt, dessen Anspruch 1 zusätzlich zu den Merkmalen des Anspruchs 1 des Hauptantrags die Merkmale der erteilten abhängigen Ansprüche 4, 5 und 6 aufweist. Die Beschwerdeführerin hat beantragt, dass der neue Hilfsantrag 0 nicht im Verfahren berücksichtigt werde.

5.2 Nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

5.3 Bei dem neuen Hilfsantrag 0 handelt es sich um eine Änderung des Beschwerdevorbringens, denn die von Anspruch 1 umfasste Merkmalskombination war nicht Gegenstand des bisherigen Beschwerdeverfahrens.

5.4 Das Argument der Beschwerdegegnerin, wonach sich die Diskussion über die Ausführbarkeit der Erfindung in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erstmals im Verfahren auf die Frage der Ausführbarkeit der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich konzentriere, überzeugt die Kammer nicht. Vielmehr ist kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 ersichtlich, der eine Änderung des Beschwerdevorbringens in Form der Einreichung des neuen Hilfsantrags 0 rechtfertigen könnte.

Insbesondere die Tatsache, dass die Frage der Ausführbarkeit im gesamten beanspruchten Bereich nicht Kern der angefochtenen Entscheidung und auch nicht die Hauptthematik des schriftlichen Beschwerdeverfahrens war, rechtfertigt keine Änderung des Beschwerdevorbringens seitens der Beschwerdegegnerin.

5.5 Wie die Kammer unter Punkt 2 dieser Entscheidung festgestellt hat, hat die Beschwerdeführerin zum Einwand der mangelnden Ausführbarkeit in der Beschwerdebegründung substantiiert vorgetragen. Sie hat insbesondere explizit geltend gemacht, das Patent enthalte keinerlei technische Informationen über die Umsetzung der Erfindung unter Verwendung der in Absatz [0038] der Patentschrift genannten Sensortypen als zweites Schaltelement (siehe insbesondere Seite 5 der Beschwerdebegründung). Diesen Einwand hat sie auf Seite 3, Absätze 1 und 2 ihres Schreibens vom 28. Juni 2021 zudem ausdrücklich wiederholt. Auf Seite 3, zweiter Absatz dieses Schreibens hat sie ferner darauf hingewiesen, dass das vorgelegte Gutachten auf die weiteren in Absatz [0038] genannten Schaltprinzipien keinen Bezug nimmt.

Dass die Beschwerdeführerin in diesem konkreten Kontext nicht wörtlich eine resultierende mangelnde Ausführbarkeit im gesamten beanspruchten Bereich genannt hat, ist unbeachtlich, denn dies ergibt sich jedenfalls aus dem inhaltlichen Gesamtzusammenhang des Vortrags. So hat sie, wie oben dargelegt, mehrfach explizit geltend gemacht, dass das Patent über die mögliche Umsetzung der zweiten Schaltelemente als Mikrofon, Thermosensor oder optischer Sensor keinen Hinweis enthalte.

Die Beschwerdegegnerin hatte ausreichend Zeit und Gelegenheit auf diesen Einwand zu reagieren, was sie jedoch im gesamten schriftlichen Beschwerdeverfahren unterlassen hat. Stattdessen hat sie ihren Vortrag ausschließlich auf das im Patent erläuterte konkrete Ausführungsbeispiel unter Verwendung eines kapazitiven Sensors als zweites Schaltelement konzentriert. Ferner hat sie mit der Beschwerdeerwiderung neun Hilfsanträge eingereicht, von denen jedoch keiner dem Argument der Beschwerdeführerin Rechnung trug, wonach das Patent keinerlei Angaben zu den in Absatz [0038] genannten alternativen Sensoren als zweite Schaltelemente macht.

Insgesamt ist die Kammer somit nicht überzeugt, dass die Beschwerdegegnerin von der Frage, ob die Erfindung nicht nur unter Verwendung eines kapazitiven Sensors, sondern auch unter Verwendung eines der weiteren als mögliche Alternativen in dem Patent genannten zweiten Schaltelemente ausführbar ist, überrascht sein konnte.

Jedenfalls konnte und musste der Beschwerdeführerin der Einwand bekannt sein und eine fehlende Auseinandersetzung hiermit ihrerseits, rechtfertigt jedenfalls keine Änderung des Beschwerdevorbringens in einem derart späten Verfahrensstadium.

5.6 Auch durch den Inhalt der der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung der Kammer konnte die Beschwerdegegnerin nicht überrascht sein, denn diese enthält unter Punkt 9 im Wesentlichen eine Wiederholung des Vorbringens der Beschwerdeführerin auf Seite 5 der Beschwerdebegründung, insbesondere unter Bezugnahme auf die Absätze [0036] bis [0038] sowie [0040] der Patentschrift. Ferner enthält die Mitteilung unter Punkt 9 nichts, was die Beschwerdegegnerin veranlasst haben könnte zu glauben, es komme wesentlich auf das im Patent beschriebene Ausführungsbeispiel eines kapazitiven Sensors an. Insbesondere enthält die entsprechende Passage der Mitteilung keinerlei Bezugnahme auf das in dem Patent beschriebene konkrete Ausführungsbeispiel, sondern verweist vielmehr allgemein auf die Absätze [0036] bis [0038] der Patentschrift, in denen u.a. die für das zweite Schaltelement infrage kommenden Arten von Sensoren genannt sind. Die Mitteilung der Kammer führte insofern keine neuen Aspekte in das Verfahren ein, die eine solch späte Einreichung eines neuen Antrags hätten rechtfertigen können.

5.7 Im Lichte der obigen Erwägungen ist die Kammer zu dem Schluss gelangt, dass keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen, welche die Einreichung des neuen Hilfsantrags 0 erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer rechtfertigen können. Die Kammer hat daher ihr Ermessen unter Artikel 13 (2) VOBK 2020 dahingehend ausgeübt, den Hilfsantrag 0 nicht zu berücksichtigen.

6. Hilfsanträge 1 bis 9 - Ausführbarkeit der Erfindung (Artikel 83 EPÜ)

6.1 Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 9 weist jeweils das Merkmal 1.9 auf. Die in diesen Ansprüchen vorgenommenen Änderungen spezifizieren weiterhin nicht die ersten und zweiten Schaltelemente im Hinblick auf das in der Beschreibung dargelegte Ausführungsbeispiel. Vielmehr sind weiterhin Ausführungsformen umfasst, welche insbesondere die in Absatz [0038] dargelegten alternativen zweiten Schaltelemente umfassen können.

Dies gilt insbesondere auch für die Hilfsanträge 5 und 9, auf welche die Beschwerdegegnerin gesondert hingewiesen hat. Zwar umfasst der Anspruch 1 dieser Hilfsanträge das Merkmal "Sensorflächen" bzw. "Kontaktflächen" und "Schaltkontakte". Die spezifische Art des zweiten Schaltelements ist jedoch entsprechend dem Anspruch 1 des Hauptantrags unspezifiziert geblieben.

6.2 Somit gelten die für den Hauptantrag getroffenen Feststellungen der Kammer auch für die Hilfsanträge 1 bis 9, sodass auch diese Hilfsanträge nicht das Erfordernis von Artikel 83 EPÜ erfüllen. Zur Begründung wird auf die Feststellungen der Kammer unter Punkt 4 dieser Entscheidung verwiesen.

7. Hilfsanträge 0A, OB, 0C, 1A, 2A, 3A, 4A, 4B, 4C, 5A, 5B, 5C, 6A, 6B, 6C, 7A, 7B, 7C, 8A, 8B, 8C, 9A, 9B, 9C - Berücksichtigung im Beschwerdeverfahren (Artikel 13 (2) VOBK 2020)

7.1 Mit Schreiben vom 15. Juni 2021, und somit nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer, hat die Beschwerdegegnerin neue Hilfsanträge 0A bis 9C vorgelegt.

7.2 Nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

7.3 Bei den neuen Hilfsanträgen handelt es sich um eine Änderung des Beschwerdevorbringens, denn die von Anspruch 1 dieser Anträge umfassten Merkmalskombinationen waren nicht Gegenstand des bisherigen Beschwerdeverfahrens.

7.4 Die Beschwerdegegnerin hat geltend gemacht, die Kammer habe in der der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung erstmals eine Beweislastumkehr im Hinblick auf die Frage der Ausführbarkeit der Erfindung vorgenommen, was einen außergewöhnlichen Umstand darstelle, welcher die Einreichung der neuen Hilfsanträge erst nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung rechtfertige.

7.5 Zwar hat die Kammer in ihrer Mitteilung unter Punkt 10 die Frage der Beweislast erörtert. Dies stellt jedoch keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Artikels 13(2) VOBK 2020 dar, der die Einreichung neuer Hilfsanträge nach Zustellung der Ladung rechtfertigen könnte. Wie die Kammer unter Punkt 2 dieser Entscheidung festgestellt hat, wurde der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich unter Artikel 83 EPÜ in der Beschwerdebegründung substantiiert vorgetragen und es hätte somit für die Beschwerdegegnerin Veranlassung bestanden, bereits mit der Beschwerdeerwiderung auf diesen Einwand zu reagieren.

Ungeachtet der in der Mitteilung der Kammer erörterten Frage der Beweislast konnte die Beschwerdegegnerin jedenfalls nicht darauf vertrauen, dass sie die in der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Zweifel an der Ausführbarkeit der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich nicht zu entkräften habe, weil der entsprechende Vortrag der Beschwerdeführerin als unsubstantiiert angesehen werden würde. Dies gilt insbesondere für die von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Zweifel im Hinblick auf die technische Umsetzbarkeit der Erfindung unter Verwendung der in Absatz [0038] genannten alternativen zweiten Schaltelemente (Thermosensor, Mikrofon und optischer Sensor).

Insofern kommt es auf die Bemerkungen der Kammer in ihrer Mitteilung nicht an, denn sie ändern nichts an der Tatsache, dass die Beschwerdegegnerin bereits mit der Beschwerdeerwiderung auf alle im Hinblick auf den Einwand unter Artikel 83 EPÜ vorgebrachten Argumente hätte reagieren können und sollen, was sie jedoch unterlassen hat.

7.6 Die Kammer ist daher zu dem Schluss gelangt, dass keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen, welche die Einreichung der neuen Hilfsanträge 0A bis 9C erstmals mit Schreiben vom 15. Juni 2021 rechtfertigen können. Die Kammer hat folglich ihr Ermessen unter Artikel 13 (2) VOBK 2020 dahingehend ausgeübt, diese Hilfsanträge nicht zu berücksichtigen.

8. Antrag auf Zurückverweisung

8.1 Nach Artikel 111 (1) EPÜ liegt es im Ermessen der Kammer, ob sie in der Sache selbst entscheidet oder zur weiteren Erörterung der Sache an die Einspruchsabteilung zurückverweist. Über die Zweckmäßigkeit einer solchen Zurückverweisung entscheidet die Kammer nach Sachlage im Einzelfall.

8.2 Im vorliegenden Fall erfüllen der Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 1 bis 9 nicht das Erfordernis von Artikel 83 EPÜ. An diese rechtliche Beurteilung der Kammer ist die Einspruchsabteilung gebunden und kann hiervon nicht abweichen (Artikel 111 (2) EPÜ).

8.3 Ferner wurden die Hilfsanträge 0, 0A, 0B, 0C, 1A, 2A, 3A, 4A, 4B, 4C, 5A, 5B, 5C, 6A, 6B, 6C, 7A, 7B, 7C, 8A, 8B, 8C, 9A, 9B, 9C nicht im Verfahren berücksichtigt. Diese Anträge können somit bei einer Zurückverweisung dem Einspruchsverfahren nicht mehr zugrunde liegen.

8.4 Da kein gültiger Antrag vorliegt, der dem Einspruchsverfahren zur weiteren Erörterung zugrunde liegen könnte, sind die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung unter Artikel 111 (1) EPÜ nicht gegeben. Der Antrag der Beschwerdegegnerin auf Zurückverweisung der Angelegenheit für den Fall, dass der Hauptantrag nicht gewährt wird, war daher zurückzuweisen.

9. Ergebnis

Da der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 9 nicht das Erfordernis von Artikel 83 EPÜ erfüllen und die Hilfsanträge 0 und 0A bis 9C im Beschwerdeverfahren unberücksichtigt geblieben sind, war dem Antrag der Beschwerdeführerin stattzugeben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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