T 1935/19 () of 2.5.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T193519.20220502
Datum der Entscheidung: 02 Mai 2022
Aktenzeichen: T 1935/19
Anmeldenummer: 06012772.7
IPC-Klasse: F03D 9/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Anordnung zum Vermessen einer Windenergieanlage
Name des Anmelders: Siemens Gamesa Renewable Energy Service GmbH
Name des Einsprechenden: Vestas Wind Systems A/S
GE Wind Energy GmbH
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
RPBA2020 Art 013(2)
Schlagwörter: Neuheit - breiter Anspruch
Erfinderische Tätigkeit - allgemeines Fachwissen
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1569/17
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden 1 und 2 richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des damaligen Hilfsantrags 2B (nun 1) die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.

In dieser hatte die Einspruchsabteilung u.a. festgestellt,

- der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag (wie erteilt) sei nicht neu,

- der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2B (nun 1) sei neu und beruhe auf erfinderischer Tätigkeit.

II. In einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 hat die Kammer die Befunde der Einspruchsabteilung hinsichtlich des Hauptantrags bestätigt, jedoch die vorläufige Auffassung vertreten, der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß sämtlicher Hilfsanträge beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

III. Am 2. Mai 2022 fand eine mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz unter Beteiligung aller Parteien statt.

Während der mündlichen Verhandlung ersetzte die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin ihre ursprünglichen Hilfsanträge 2 - 5 durch neu eingereichte Hilfsanträge 2 und 3. Die Beschwerdeführerin-Einsprechende 2 nahm ihren ursprünglichen Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr zurück.

IV. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung der Einsprüche, hilfsweise die eingeschränkte Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß Hilfsantrag 1, eingereicht bzw. erneut eingereicht mit Schreiben vom 7. November 2019, oder einem der Hilfsanträge 2 und 3, beide eingereicht während der mündlichen Verhandlung.

Die Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden beantragen die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den vollständigen Widerruf des Patents.

V. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren zum Vermessen einer Windenergieanlage (1), bei dem zugeordnete Messsätze (Ml, M2, M3) für eine Mehrzahl von Parametersätzen (PI, P2, P3) der Windenergieanlage (1) aufgenommen werden, wobei die Messsätze (Ml, M2, M3) zeitlich aufeinanderfolgende Messvektoren (VI....Vn) umfassen, dadurch gekennzeichnet, dass in Zyklen zwischen den Parametersätzen (PI, P2, P3) gewechselt wird und dass für jeden Parametersatz (PI, P2, P3) in mehr als einem Zyklus Messvektoren (VI...Vn) aufgenommen werden."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 enthält gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags die folgenden zusätzlichen Merkmale bzw. Schritte (Änderungen durch die Kammer hervorgehoben):

"... zeitlich aufeinanderfolgende und bei unterschiedlichen Windverhältnissen aufgenommene Messvektoren (VI....Vn) umfassen, wobei die Messvektoren (VI...Vn) eines Messsatzes (Ml, M2, M3) Daten enthalten, die mit demselben Parametersatz (PI, P2, P3) aufgenommen wurden, dadurch gekennzeichnet...".

Anspruch 17 des Hilfsantrags 1 und Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 haben folgenden Wortlaut:

"Anordnung zum Vermessen einer Windenergieanlage (1) mit einer Messeinrichtung (2) zum Aufnehmen von zeitlich aufeinanderfolgenden und bei unterschiedlichen Windverhältnissen aufgenommenen Messvektoren (VI...Vn), mit einem Parameterspeicher (6) zum Speichern von Parametersätzen (PI, P2, P3), mindestens einem Steuermodul (5) zum Einstellen der Windenergieanlage gemäß den Parametersätzen (PI, P2, P3), sowie einem Datenspeicher (7), der dazu ausgelegt ist, die Messvektoren (VI...Vn) in den Parametersätzen (PI, P2, P3) zugeordneten Messsätzen (Ml, M2, M3) zu speichern, wobei die Messvektoren (VI...Vn) eines Messsatzes (Ml, M2, M3) Daten enthalten, die mit demselben Parametersatz (PI, P2, P3) aufgenommen wurden, dadurch gekennzeichnet, dass das Steuermodul (5) weiterhin dazu ausgelegt ist, in Zyklen einen Parametersatz (Pm±) aus den Parametersätzen (PI, P2, P3) auszuwählen und nach jeder Auswahl den dem ausgewählten Parametersatz (Pm±) zugeordneten Messsatz (Mm±)im Datenspeicher (7) zu aktivieren."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 enthält gegenüber Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 die folgenden zusätzlichen Merkmale:

", wobei die Messvektoren (V1...Vn) Daten über die Netzverträglichkeit der Windenergieanlage (1) umfassen".

VI. Nachfolgend wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:

E1: R. Bareiß: "Last-, Strömungsfeld- und Schallberechnug an Windkraftanlagen mit einem Panelverfahren zur Simulation einer starren, freien oder hybriden Nachlaufschicht", Dissertation, Institut für Aerodynamik und Gasdynamik, Universität Stuttgart, 20. März 1998

D6c: M. Geukes: "Konstruktion eines Windkonverters zur experimentellen Ermittlung seines Betriebsverhaltens",Institut für Technik und ihre Didaktik, Universität Münster , 1. September 2002

D6e: Anhang der D6c

E12: International Standard IEC 61400-12 "Wind turbine generator systems - Part 12: Wind turbine power performance testing", erste Ausgabe, Februar 1998

E13: K.A. Stol et al.: "Wind turbine field testing of state-space control designs", National Renewable Energy Laboratory, Colorado, US, September 2004

VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Den nächsten Stand der Technik stellen die E12 oder E13 offenbarten Verfahren zur Vermessung realer Windkraftanlagen dar, bei denen die Windkraftanlage jedoch rein sequentiell vermessen wird, also in einer bestimmten Parametereinstellung nach der anderen ohne Zurückwechseln auf eine vorherige Parametereinstellung. Selbst wenn man von den in E1 und D6c offenbarten Verfahren ausginge, böte sich keinerlei Veranlassung, die Zuordnung der für jeden Parametersatz jeweils ermittelten Messvektoren zu Messätzen derart zu ändern, dass jeder dieser Messsätze ausschließlich Messvektoren für einen einzigen Parametersatz enthielte.

Durch die Hilfsanträge 2 und 3 wird der Verfahrensgegenstand nicht geändert, weil in ihnen lediglich Ansprüche und alternative Anspruchsmerkmale der früheren Hilfsanträge 1 und 3 gestrichen sind.

Das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen- Einsprechenden 1 und 2 lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Die Messverfahren der D6c und E1 sind wie beansprucht nicht sequentiell, sondern wechseln in einem Messzyklus zwischen mehreren Parametersätzen. Eine Zuordnung zu Messsätzen an sich umfasst ohne weitere Einschränkung durch technische Merkmale auch rein gedankliche Konzepte. Sie ist deshalb bereits gegeben, wenn Datensätze bzw. Messvektoren wie in D6c die bei ihrer Erstellung eingestellten Parametersätze als Zuordnungskriterien enthalten und somit eine Zuordnung nach diesen ohne weiteres ermöglichen. Das führt zur mangelnden Neuheit des in Haupt- und Hilfsantrag 1 beanspruchten Verfahrens, zumindest aber zu dessen Naheliegen.

Die erst in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge 2 und 3 sind nach Artikel 13(2) VOBK nicht zuzulassen, weil sie Änderungen des Beschwerdevorbringens darstellen, die nicht durch außergewöhnliche Umstände gerechtfertigt sind.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig.

2. Das Patent und sein technischer Hintergrund

Das Patent betrifft ein Verfahren zum Vermessen einer Windenergieanlage.

Dabei gilt es, für alle möglichen Arten von Betriebsparameter-Einstellungen, sog. "Parametersätzen" jeweils einen Messsatz mit Messdaten (sog. "Messvektoren") zu füllen, insbesondere bei verschiedenen Windverhältnissen jeweils erreichte Leistungswerte, Schwingungsverhalten und verursachte Geräuschemissionen, siehe Absätze [0002] - [0004] der Patentschrift.

Das Patent stellt in Absatz [0005] als Stand der Technik nun eine rein sequentielle Vermessung der Parametersätze dar, bei der ein Parametersatz komplett vermessen wird, bevor zu einem nächsten gewechselt wird, d.h. jeweils erst nach Eintreten aller zu berücksichtigenden Windverhältnisse. Da dies schlimmstenfalls vermutlich Monate in Anspruch nehmen könnte, besteht die im Patent vorgeschlagene Lösung darin, bei einem bestimmten Windverhältnis so viele Messungen wie möglich durchzuführen werden, also nicht nur mit einem bestimmten Parametersatz, sondern mit wechselnden Parametersätzen zu arbeiten, und so alle parametersatz-bezogenen Messsätze quasi parallel nach und nach mit Messdaten/vektoren aufzufüllen, Absätze [0015], [0016].

3. Verständnis und Auslegung der verwendeten Begriffe

3.1 Das Patent definiert das beanspruchte Verfahren in eher allgemeiner und abstrakter Weise. Wie oben dargestellt, liegt das Hauptaugenmerk ausgehend vom darin beschriebenen Stand der Technik auf einem Messverfahren im eigentlichen Sinne, bei dem Messwerte oder Messdaten in einer bestimmten Reihenfolge, nämlich "quasi-parallel", erhoben werden. Daneben spielt die aus diesem Stand der Technik eigentlich bekannte Zuordnung der erhobenen Messdaten zu den jeweils eingestellten Betriebsparametern sowie zu Messsätzen eine Rolle.

3.2 Einige Begrifflichkeiten des beanspruchten Verfahrens sind ab Absatz [0009] der Patentschrift definiert.

Danach sind in einem Parametersatz den Betriebszustand einer Windenergieanlage kennzeichnende, einstellbare Größen (Parameter) enthalten. Ein Parametersatz scheint mindestens einen "festgelegten" Parameter zu enthalten, von dem ein weiterer Parameter über eine Kennlinie abhängt (siehe Absatz [0010], "alle Parameter", demnach mehr als einer). Ein Beispiel für einen solchen Parameter ist der eingestellte Blattwinkel.

Die Kammer schließt sich den von der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin im letzten Absatz auf Seite 1 ihres Schriftsatzes vom 29. März 2022 getroffenen Aussagen an, wonach der in Absatz [0010] der Patentschrift erwähnte Betriebszustand ein momentaner ist, und bei Betrachtung eines hinreichend kleinen Zeitintervalls alle Parameter konstant sind, auch diejenigen, die sich im normalen Betrieb mit der Zeit ändern. Dass alle Parameter eines Parametersatzes einen festen oder über eine Kennlinie hiervon abhängigen Wert haben (Absatz [0010]) sagt aber nichts über eine notwendige Anzahl von Parametern in diesem Parametersatz aus (abgesehen von "mehr als einer", siehe oben). Insbesondere wird dadurch entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin nicht impliziert, dass der Parametersatz alle wesentlichen Parameter der Windenergieanlage umfasst, also deren "Gesamtkonfiguration" darstellt.

3.3 Während ein bestimmter Parametersatz eingestellt ist, werden in einem Messintervall Messwerte oder Messdaten erhoben, z.B. Leistungsabgabe des Generators, Geräuschpegel oder Schwingungsverhalten (Absätze [0003], [0020]). Diese bilden einen sog. "Messvektor", der dem Parametersatz zugeordnet ist. Auch ein einzelner Wert wie ein Durchschnittswert der während des Messintervalls aufgenommenen Messdaten kann anstelle von mehreren Einzeldaten Teil eines Messvektors sein, ggf. auch dessen ausschließlicher Bestandteil, siehe Absatz [0011].

3.4 Die im kennzeichnenden Teil des erteilten Anspruchs 1 enthaltenen Schritte des zyklischen Messverfahrens setzen mindestens voraus, dass zwei "Parametersätze während des Vermessens mindest zweimal eingestellt werden", siehe die entsprechende Definition von "Wechsel in Zyklen" in Absatz [0014] der Patentschrift, also dass zweimal auf einen Parametersatz gewechselt wird, wobei nach jedem Wechsel Messdaten eines Messvektors für den Parametersatz erhoben werden. Eine weitere Einschränkung des Begriffs "Zyklus" ist der Offenbarung der Patentschrift nicht zu entnehmen, insbesondere nicht irgendeine Art von Regelmäßigkeit, oder dass während eines Zyklus mehr als ein Parametersatz vermessen werden müsste.

3.5 "Zeitlich aufeinanderfolgend" besagt lediglich, dass ein Messvektor nur in einem bestimmten Messintervall aufgenommene Messdaten enthält.

Somit ist nicht ausgeschlossen, dass in einem Zyklus für einen Parametersatz bei unterschiedlichen Windverhältnissen mehrere zeitlich aufeinanderfolgende Messvektoren aufgezeichnet werden, bevor zu einem anderen Parametersatz gewechselt wird.

3.6 Die für jeden Parametersatz ermittelten Messvektoren sind schließlich Teil eines dem Parametersatz zugeordneten Messsatzes. Sie sind diesem insofern zugeordnet, als ein Messsatz (ausschließlich) Messvektoren für einen bestimmten Parametersatz enthält, wie im erteilten Anspruch 1 selbst definiert.

Anspruch 1 enthält keine weitergehenden technischen Einschränkungen des Begriffs "Messsatz". Weder dort, noch in Absatz [0012] der Beschreibung ist im Zusammenhang mit einem Messsatz ein Zweck des Vermessens erwähnt, beispielsweise ein Sammeln und/oder Auswerten der Messergebnisse unter bestimmten Gesichtspunkten oder mit bestimmtem Ziel. Auch gibt es in Anspruch 1 keine Merkmale, die einen Messsatz physisch konkretisieren, etwa als Datenspeicher. Daher sieht die Kammer in einer breiten Auslegung den Begriff "Messsatz" als gedankliches Konzept der Zuordnung und Zusammenfassung, das anstelle von "alle Messvektoren eines Parametersatzes" tritt.

3.7 Für die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin versteht der Fachmann das beanspruchte "Vermessen einer Windenergieanlage" im Licht der Beschreibung als klassische Feldvermessung einer Windenergieanlage. Dabei sind Kennlinien schon bekannt und Teil des Parametersatzes. Es werden für einige Parametersätze, die verschiedene Konfigurationen einer realen, voll operativen Windturbine widerspiegeln, Messsätze mit Messwerten befüllt. Parametersätzen zugeordnete Messsätze hätten somit als Zweck und eigentlicher Ausgangspunkt des gesamten Verfahrens eine ganz konkrete Bedeutung für den Fachmann, und seien nicht bloß das Ergebnis einer nachträglichen Zuordnung im Rahmen einer dem Messverfahren nachgeordneten und in gewisser Weise von ihm entkoppelten Auswertung.

Aufgrund der allgemeinen und sehr breiten Angaben in Anspruch 1, insbesondere zum Merkmal "Parametersatz", vermag die Kammer eine derartige implizite Einschränkung nicht zu erkennen. Auch sehr einfache Verfahren der Vermessung zur Ermittlung von Kennlinien der Windenergieanlagen, ob als Feldversuch oder als Experiment am Modell, scheinen ihr vielmehr abgedeckt zu sein. Die beanspruchte Zuordnung von Parametersätzen zu bzw. die Gruppierung der mit Parametersätzen jeweils ermittelten Messvektoren in Messsätzen kann angesichts des allgemeinen gehaltenen Charakters des Verfahrensanspruchs durchaus als eine Auswahl aus mehreren möglichen Zuordnungen bzw. Gruppierungen, wie nach bei Messung vorherrschender Windgeschwindigkeit oder nach jeweils gemessener Größe, zur Vorbereitung einer Auswertung der Messdaten betrachtet werden.

4. Hauptantrag - Neuheit

4.1 Zu Neuheit des Verfahrens nach Anspruch 1 hat die Kammer in ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK wie folgt Stellung genommen:

"Bei dem in E1,in Abschnitt 3.2. beschriebenen Messverfahren scheinen Messvektoren mit Messdaten für die Messgrößen Schub, Schlagbiegemoment und Geschwindigkeit im Nachlauf für zwei Parametersätze mit zwei unterschiedlichen Parameterwerten für den Blatteinstellwinkel sowie weiteren, in beiden Parametersätzen identischen Parameterwerten wie z.B. der Drehzahl (u = lambdavINF = const) ermittelt worden zu sein.

Für die beiden Parametersätze P1 (Blatteinstellwinkel -2°) und P2 (Blatteinstellwinkel 2°) wird zunächst bei einem Windverhältnis/einer Anströmgeschwindigkeit vINF = 7,54 m/s der Schub gemessen, wobei in 25 aufeinanderfolgenden Messserien oder Messzyklen jeweils von P2 auf P1 und wieder zurück auf P2 gewechselt wurde (siehe Abbildung 3.17). Von Interesse war offenbar das "Antwortverhalten", d.h. die Messungen nach einem Blattwinkel-/Parameterwechsel, siehe Seite 70, unten links. Somit scheinen insgesamt 25 Messvektoren eines ersten Messsatzes M1 für den Parametersatz P1 mit Schubmessdaten innerhalb des Zeitraums 0,5s - 1,5s eines Messzyklus und 25 Messvektoren eines zweiten Messsatzes M2 für den Parametersatz P2 mit Schubmessdaten innerhalb des Zeitraums 1,5s - 2,5s eines Messzyklus ermittelt worden zu sein. Jeder der 50 Messvektoren enthält dabei bei einer Samplefrequenz von 100 kHz (Seite 59 unten) 100.000 Einzelmesswerte.

Zusammenfassend scheinen also für die Parametersätze P1 und P2 jeweils zugeordnete Messsätze M1 und M2 aufgenommen worden zu sein, die jeweils 25 zeitlich aufeinanderfolgende Messvektoren umfassen, wobei in jedem Messzyklus zwischen den Parametersätzen P1 und P2 gewechselt wurde, und für jeden Parametersatz P1 und P2 in 25 Messzyklen jeweils Messvektoren aufgenommen wurden.

Da somit das aus E1 bekannte Verfahren alle Schritte des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag zu enthalten scheint, scheint dessen Verfahren nicht neu im Sinne von Artikel 54(1), (2) EPÜ gegenüber der Offenbarung der E1 zu sein."

4.2 Nachdem die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin in ihrem nachfolgenden Schriftsatz vom 29.03.2022 hierauf nicht eingegangen ist und während der mündlichen Verhandlung diesbezüglich auf ihr schriftsätzliches Vorbringen verwiesen hat, sieht die Kammer keine Veranlassung, von dieser Beurteilung abzuweichen.

Somit gelangt die Kammer zum Schluss, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht neu ist, Artikel 52 und 54 EPÜ.

5. Hilfsantrag 1 - Neuheit und erfinderische Tätigkeit gegenüber E1

5.1 Der unabhängige Anspruch 1 enthält das zusätzliche Merkmal, wonach die Messvektoren nicht nur zeitlich aufeinanderfolgend, sondern auch bei unterschiedlichen Windverhältnissen aufgenommen sind.

Darüber hinaus wird die Zuordnung von Messsätzen zu Parametersätzen dadurch verdeutlicht, dass "die Messvektoren (V1 .... Vn) eines Messsatzes Daten enthalten, die mit demselben Parametersatz (P1, P2, P3) aufgenommen wurden".

5.2 Gemäß E1 wurden die 25 Messserien "jeweils innerhalb der betrachteten Zeitinkremente gemittelt". Nach Ansicht der Kammer sind dies die durch die Samplefrequenz bestimmten Messzeitinkremente, so dass für den Parameterwert P1 (Anstellwinkel -2°) und für den Parameterwert P2 (Anstellwinkel +2°) jeweils 100.000 Einzelmessungen aus 25 Messungen gemittelt wurden. Mit anderen Worten wurden aus ursprünglich 50 Messvektoren mit jeweils 100.000 Einzelwerten 2 Messvektoren (von der Kammer im folgenden als V1, V2 bezeichnet) mit jeweils 100.000 gemittelten Einzelwerten erhalten. Die beiden resultierenden Messvektoren V1, V2 für die Windgeschwindigkeit vINF = 7,54 m/s (lambda = 5, siehe Seite 67, unten) sind in den Abb. 3.18a) und 3.19a) als Messkurven zwischen 0,5 s und 1,5 s und zwischen 1,5 s und 2,5 s graphisch wiedergegeben.

Diese Prozedur wurde in folgenden Messzyklen für die Windverhältnisse/Anströmgeschwindigkeiten vINF = 5,03 m/s und vINF = 3,77 m/s wiederholt. Dabei wurde beim Übergang zu einem neuen Messzyklus nach einer Änderung der Anströmgeschwindigkeit analog zu Abb. 3.17 von dem aus der letzten Messserie des vorangegangenen Messzyklus noch voreingestellten Parametersatz P2 zunächst auf P1 und dann wieder zurück auf P2 gewechselt. In derselben Weise wie für den ersten Messzyklus wurden zwei weitere Paare von Messvektoren (von der Kammer im folgenden als V3, V4 und V5,V6 bezeichnet) mit gemittelten Werten von Schub- bzw. Induktionswerten für P1 und P2 bei lambda = 7,5 oder vINF = 5,03 m/s (Figuren 3.18 b) und 3.19 b)) und bei lambda = 10 oder vINF = 3,77 m/s (Figuren 3.18 c) und 3.19 c)) ermittelt.

5.3 Im Wortlaut des Anspruchs 1 sind also zeitlich aufeinanderfolgend und bei unterschiedlichen Windverhältnissen Messvektoren V1 - V6 aufgenommen worden, wobei in Zyklen zwischen den Parametersätzen P1 und P2 gewechselt wurde, und für jeden Parametersatz P1, P2 in insgesamt drei Zyklen Messvektoren aufgenommen wurden. Die Messvektoren V1, V3, V5 enthalten dabei Daten, die ausschließlich mit dem Parametersatz P1 aufgenommen wurden und damit einen Messsatz M1 bilden, der dem Parametersatz P1 zugeordnet ist. Die Messvektoren V2, V4, V6 enthalten wiederum Daten, die ausschließlich mit dem Parametersatz P2 aufgenommen wurden, und bilden so einen dem Parametersatz P2 zugeordneten Messsatz M2.

In der Abbildung 3.18 a), b), c) sind als Messsatz M1 alle mit dem Parametersatz P1 bei Windgeschwindigkeiten von jeweils 7,54 m/s (lambda = 5), 5,03 m/s (lambda = 7,5) und 3,77 m/s (lambda = 10)aufgenommenen Messwerte zwischen 0,5 s und 1,5 s untereinander angeordnet gezeigt, sowie als Messsatz M2 alle mit dem Parametersatz P2 aufgenommenen Messwerte untereinander jeweils zwischen 1,5 s und 2,5 s.

Somit ist ein Verfahren mit den Merkmalen des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 aus E1 bekannt.

5.4 Selbst wenn Anspruch 1 eine konkretere und eindeutigere Einschränkung von Zuordnungen zu Messsätzen enthielte, gäbe es für die einzelnen im Sinne des Anspruchs ermittelten Messvektoren V1 - V6, die jeweils sowohl einer Windgeschwindigkeit, als auch einem Parametersatz zugeordnet sind, genau zwei entsprechende Möglichkeiten einer "materiellen" Gruppierung zu Messsätzen: sozusagen "horizontal", um im Bild der Abbildung 3.18 zu bleiben, d.h. nach Windgeschwindigkeit zu drei Messsätzen V1+V2, V3+V4, V5+V6 oder "vertikal" nach Parametersätzen zu zwei Messsätzen V1+V3+V5 und V2+V4+V6.

5.5 Die Kammer sieht eine Gruppierung von Messergebnissen zu Messsätzen als übliche fachmännische Maßnahme im Rahmen der Auswertung der Messergebnisse an, die vom zu vergleichenden und untersuchenden Aspekt abhängt. Will man beispielsweise in E1 zur Beurteilung der Berechnungsqualität feststellen, ob diese unabhängig von der Einstellung eines negativen oder positiven Anstellwinkels ist, wird man zunächst die in einem Messsatz M1 enthaltenen Messwerte für den Parametersatz P1 (-2°) getrennt von den in einem Messsatz M2 enthaltenen Messwerte für den Parametersatz P2 (+2°) mit den jeweils berechneten Werten vergleichen und Abweichungen feststellen. Darauf können die für den Messsatz M1 festgestellten Abweichungen mit den für den Messsatz M2 festgestellten verglichen werden.

5.6 Anders als die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin hält die Kammer die obige Betrachtungsweise nicht für eine rückschauend in Kenntnis des beanspruchten Verfahrens konstruierte Einführung von Messsätzen in E1. Die mit einem bestimmten Anstellwinkel/Parametersatz aufgenommenen Messdaten/Messvektoren sind diesem zugeordnet und bilden in dieser Eigenschaft in ihrer Gesamtheit bereits einen "virtuellen", dem Anstellwinkel/Parameter zugeordneten Messsatz. Im Zuge einer Auswertung ist es dann naheliegend, diesen Messsatz konkret zu verwenden, also sozusagen zu "materialisieren". Beide Konzepte sind von Anspruch 1 umfasst, der nicht verlangt, dass vor Beginn der Messung ein dezidiert einem Parametersatz zugeordneter Speicher bereit steht, in dem allein Messwerte für diesen Parametersatz abgelegt werden.

5.7 Zusammenfassend ist das Verfahren nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 deshalb bei breiter Auslegung des Merkmals "Messsatz" nicht neu im Sinne von Artikel 54(1), (2) EPÜ gegenüber der Offenbarung der E1, und beruht selbst bei engerer Auslegung nicht auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

6. Hilfsantrag 1 - Neuheit und erfinderische Tätigkeit gegenüber D6c

6.1 Mithilfe des in D6c beschriebenen Windkraftkonverters sollen Studierende der Energietechnik in einer technischen Übung ihre theoretischen Kenntnisse über die physikalischen Zusammenhänge eines Windkonverters vertiefen und praktisch überprüfen, Seite 34, Abschnitt "Zielsetzung". D6c richtet sich demnach nicht an Lehramtsanwärter, wie die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung vortrug, sondern an zukünftige Fachleute.

Diese sollen in einem Experiment lernen, das Betriebsverhalten einer Windenergieanlage zu ermitteln und auszuwerten, Seite 33, erster Absatz. Die Kammer kann keinen Grund erkennen, aus dem Anspruch 1 nicht auch ein wie in D6c beschriebenes experimentelles Verfahren zum Vermessen einer Windenergieanlage umfassen sollte, siehe Abschnitt 3.7 oben. Ausweislich der Seiten 30, 31 lassen sich die mit dem Modell der D6c ermittelten Ergebnisse auf das Betriebsverhalten großer Windkonverter übertragen.

6.2 Insbesondere werden auch hier Parametersätze eingestellt, nämlich Kombinationen aus Anstellwinkeln der Rotorblätter und (abgenommener) Kraft, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Drehmoment steht (M = Fd/2, Seite 16). Bei einer ersten Windgeschwindigkeit von 7 m/s soll in einem ersten Zyklus zwischen Anstellwinkeln von 9°, 12° und 30° und jeweils Kräften zwischen 0,25 N und 2,5 N gewechselt werden. In den folgenden Zyklen sollen bei einer Windgeschwindigkeit von 5 m/s die Parametersätze mit einem Anstellwinkel von 9° durchgewechselt werden sowie bei einer Windgeschwindigkeit von 5 m/s die Parametersätze mit den Anstellwinkeln 12° und 30°. Die Ergebnisse oder Messvektoren, die die jeweils gemessenen Drehzahlwerte enthalten, sollen zunächst für jede Windgeschwindigkeit in jeweils eine Tabelle der auf Seite 35 unten gezeigten Art eingetragen werden. Im Raster der Tabellen ist jedem Parametersatz und seinem Messvektor ein bestimmter Platz zugewiesen. Jeder Tabellenplatz repräsentiert somit einen Messsatz, der einem Parametersatz und dessen Messvektoren zugeordnet ist.

6.3 Anschließend wurden sämtliche erhobenen Messwerte und die zugehörigen eingestellten Parameterwerte und Windgeschwindigkeiten auch in Excel-Tabellen übertragen, Seite 36 "Auswertung", Seiten 40-42 sowie D6e. Hier sieht man einerseits, dass tatsächlich Parametersätze mit Anstellwinkeln von 9°, 12° und 30° in insgesamt drei Zyklen und Parametersätze mit dem Anstellwinkel 15° in zwei Zyklen unterschiedlicher Windgeschwindigkeit wiederholt vermessen wurden, andererseits, dass dabei nicht alle Parametersätze ein Messergebnis lieferten.

Jedenfalls kann eine Zeile der Excel-Tabellen als Messvektor betrachtet werden, der die Windgeschwindigkeit, die eingestellten Parameterwerte, die gemessene Größe Drehzahl sowie hiervon unmittelbar abhängige und rechnerisch ermittelte Werte der Windleistung, Frequenz, Umfangsgeschwindigkeit, Schnelllaufzahl, Drehmoment, Drehleistung und Wirkungsgrad enthält, Seite 40 oben. Dadurch, dass jede Zeile eindeutig einem der Parametersätze zugeordnet ist, bilden alle einem bestimmten Parametersatz zugeordneten Zeilen oder Messvektoren zusammen einen Messsatz für diesen Parametersatz.

6.4 Auch eine "materielle" Gruppierung der Messvektoren nach Parametersätzen zu nacheinander aufgelisteten Messätzen wäre - obwohl dies nach Meinung der Kammer keinen zwingend beanspruchten Verfahrensschritt darstellt - mithilfe einfacher Excel-Funktionen ohne weiteres möglich und im Rahmen einer Auswertung ein naheliegendes Vorgehen. Um ein Rotorleistungskennfeld zu erstellen, bietet es sich beispielsweise an, die drei ursprünglichen Excel-Tabellen zusammenzufassen und in erster Ordnung nach dem Parameter Anstellwinkel zu sortieren, so dass alle für die Leistungskurve eines Anstellwinkels benötigten Schnelllaufzahl- und Wirkungsgradwerte in der Tabelle als ein Messsatz unmittelbar aufeinander folgen und entsprechend einfach abgelesen werden können.

6.5 In analoger Weise wie im Fall von E1 ist das Verfahren des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 deshalb unter Zugrundelegung eines breiten "Messsatz"-Begriffs nicht neu im Sinne von Artikel 54(1), (2) EPÜ gegenüber der Offenbarung der D6c bzw. beruht bei engerer Auslegung ausgehend vom Verfahren der D6c und unter Berücksichtigung von Fachwissen nicht auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

7. Hilfsanträge 2 und 3 - Zulassung

7.1 Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin hat die Hilfsanträge 2 und 3 während der mündlichen Verhandlung eingereicht. In diesen sind die Verfahrensansprüche gestrichen, so dass sie lediglich die Vorrichtungsansprüche 17 - 24 des Hilfsantrags 1 bzw. 16 - 23 des früheren Hilfsantrags 3 mit weiteren Streichungen enthalten.

7.2 Nach Artikel 13(2) VOBK bleiben Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

7.3 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin stellt eine Änderung des Patents, wie sie vorliegend durch die Einreichung eines geänderten Anspruchssatzes vorgenommen wurde, in der Regel eine Änderung des Beschwerdevorbringens dar. Auch das Streichen von Verfahrens- bzw. Produktansprüchen wird in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern als geändertes Beschwerdevorbringen angesehen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bestünde dann, wenn sich hierdurch keine geänderte Sachlage bzw. keine Neugewichtung des Verfahrensgegenstandes ergäbe (vgl. T 1569/17, Entscheidungsgründe 4.3.1, 4.3.2 mit detaillierten Verweisen auf die Rechtsprechung).

Genau dies wäre bei Zulassung der Hilfsanträge 2 und 3 vorliegend aber der Fall. Der bisher stets von der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin verteidigte unabhängige Verfahrensanspruch ist zum einen wesentlich breiter angelegt als das im unabhängigen Vorrichtungsanspruch 17 des Hilfsantrags 1 definierte Verfahren, zu dessen Durchführung die beanspruchte Anordnung ausgebildet ist. Im dem Vorrichtungsanspruch zugrundeliegenden Verfahren werden zusätzlich Parametersätze gespeichert sowie in Zyklen ausgewählt, darauf Messsätze in einem Datenspeicher aktiviert, schließlich auch die Messvektoren in den Messsätzen gespeichert. Weil andererseits ein dem Merkmal des Verfahrensanspruchs, wonach für jeden der Parametersätze in mehr als einem Zyklus Messvektoren aufgenommen werden, entsprechendes Merkmal im unabhängigen Vorrichtungsanspruch fehlt, beruht dieser nicht nur auf einem eingeschränkten, sondern einem anderen Verfahren (aliud). Dem Argument der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin, dass dieses Merkmal außer Acht gelassen werden könnte, weil ihm lediglich eine klarstellende, aber keine einschränkende Wirkung zukäme, kann die Kammer nicht folgen.

Was das aus ursprünglich drei Alternativen verbliebene Merkmal der "Netzverträglichkeit" im unabhängigen Vorrichtungsanspruch des Hilfsantrags 3 betrifft, so war dessen Offenbarung im oder Anregung durch den zitierten Stand der Technik weder Gegenstand der Einspruchsentscheidung, noch hat sich die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin bislang zu diesem Merkmal und seinen technischen Wirkungen gegenüber den gestrichenen Merkmalen ("Geräuschabgabe", "Schwingungsververhalten") geäußert.

Somit stellen die Hilfsanträge 2 und 3 durchaus Änderungen des Gegenstands des vorausgegangenen Beschwerdeverfahrens dar, das sich vorrangig auf die zwischen den Beteiligten strittige Auslegung der Begriffe "Zuordnung" und "Messsatz" in den Verfahrensansprüchen konzentriert hat.

7.4 Als außergewöhnlichen und die Zulassung rechtfertigenden Umstand sieht die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin, dass sich die Kammer in der mündlichen Verhandlung über ihre in der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK geäußerte, negative Meinung zur erfinderischen Tätigkeit hinaus auch den Argumenten der Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden zur mangelnden Neuheit angeschlossen hat.

Da der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin sämtliche Gründe, die zur Zurückweisung ihres Hilfsantrags 1 geführt haben, seit geraumer Zeit vor der mündlichen Verhandlung bekannt waren, kann die Kammer darin jedoch keinen in irgendeiner Hinsicht außergewöhnlichen Verfahrensablauf erkennen. Die Argumente zur mangelnden Neuheit finden sich in den Beschwerdebegründungen und Erwiderungen der anderen Beschwerdeführerinnen, die der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin vor Ladung zur mündlichen Verhandlung zugingen. Die Kammer selbst hat in ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK das in sämtlichen damals gültigen Haupt- und Hilfsanträgen beanspruchte Verfahren als nicht erfinderisch erachtet und deshalb auf einen möglichen Widerruf des Patents als Konsequenz bei unveränderter Sachlage hingewiesen.

Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin war also nicht durch erstmals in der mündlichen Verhandlung zu Tage getretene Umstände überrascht und veranlasst, mit Umstellung ihrer Anträge auf solche zu reagieren.

7.5 Im Sinne der Verfahrensökonomie, der die Präklusionsvorschriften des Artikels 13 VOBK vordringlich dienen sollen, könnten gegebenenfalls in der mündlichen Verhandlung erstmals gestellte Anträge zugelassen werden, wenn zum Beispiel prima facie und ohne weiteres ersichtlich wäre, dass sie die bisher behandelten Einwände ausräumen, ohne neue Fragen aufzuwerfen (Artikel 13(1) VOBK, letzter Satz).

Dies erscheint der Kammer nicht offensichtlich der Fall zu sein. Neuheit und erfinderische Tätigkeit des Vorrichtungsanspruchs gemäß Hilfsantrag 2 (Anspruch 17 gemäß Hilfsantrag 1) werden von den Beschwerdeführerinnen-Einsprechenden bestritten.

Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin hat die Verteidigung der Vorrichtungsansprüche in ihrer Beschwerdeerwiderung vom 20. Mai 2020 darauf gestützt, dass deren Gegenstand aufgrund der automatischen Steuerung der Vermessung durch eine Steuereinheit noch weiter von der Offenbarung der E1 und D6c abgegrenzt und entfernt sei als das beanspruchte Verfahren.

Für die Kammer besteht dieser Unterschied zu E1 nicht unbedingt, denn die 25fach wiederholten Umstellungen der Rotorblätter zu präzisen Zeitpunkten nach 0,5 s und 1,5 s werden mithilfe einer "PC-Steuerung" durchgeführt, Seite 67, letzter Absatz. Auch müssen die 100.000 pro Sekunde aufgenommenen Messwerte notwendigerweise gespeichert werden, um später 100.000 Durchschnittswerte aus 25 Messungen zu bilden, genauso wie diese Durchschnittswerte gespeichert werden müssen, um die Graphen der Abbildungen 3.18, 3.19 wiederzugeben.

Folglich sieht die Kammer keine prima facie Gewährbarkeit des Vorrichtungsanspruchs gemäß Hilfsantrag 2.

Dies gilt umso mehr für den Hilfsantrag 3, als das Merkmal der "Netzverträglichkeit" eine völlig neue Diskussion eröffnen würde, was der Verfahrensökonomie bereits grundsätzlich abträglich ist.

7.6 Aus den voranstehenden Gründen hat die Kammer die Hilfsanträge 2 und 3 in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13(2) VOBK nicht zum Verfahren zugelassen.

8. Schlussfolgerung

Mit ihren Beschwerden wenden sich die Einsprechenden 1 und 2 erfolgreich gegen die Feststellung der Einspruchabteilung, das Patent genüge unter Berücksichtigung der gemäß Hilfsantrag 1 (vormals 2B) vorgenommenen Änderungen den Erfordernissen der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 54(1), (2), 56 EPÜ. Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Nachdem die verbleibenden Hilfsanträge 2 und 3 der Patentinhaberin unter Artikel 13(2) VOBK nicht zum Beschwerdeverfahren zugelassen wurden, ist das Patent somit zu widerrufen, Artikel 101(3)b) , 111(1) EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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