T 0855/19 (AlMg-Band/Speira) of 13.1.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T085519.20220113
Datum der Entscheidung: 13 Januar 2022
Aktenzeichen: T 0855/19
Anmeldenummer: 13756053.8
IPC-Klasse: C22C 21/06
C22F 1/047
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: HOCHUMFORMBARES UND IK-BESTÄNDIGES ALMG-BAND
Name des Anmelders: Speira GmbH
Name des Einsprechenden: Aleris Aluminum Duffel BVBA
Novelis Inc.
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Schlagwörter: Änderungen - unzulässige Erweiterung (ja)
Änderung nach Ladung - stichhaltige Gründe (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/10
G 0001/16
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Beschwerdeführerinnen 1 und 2 (Einsprechende 1 und 2) betreffen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent EP 2 888 383 B1 auf Grundlage des damaligen Hilfsantrags 1, eingereicht am 20. Juni 2017 aufrecht zu erhalten.

II. Die folgenden Dokumente werden u.a. in der Entscheidung zitiert:

E2|Rabet L., "Textuurontwikkeling tijdens de rekristallisatie van een koudvervormde Al-Mg-Legering voor automobieltoepassingen", Katholieke Universiteit Leuven, 1996|

E5|EP 0 681 034 A1 |

E7|US 4,151,013 A |

III. Im Beschwerdeverfahren hielt die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) als Reaktion auf die Beanstandungen der Beschwerdeführerinnen die von der Einspruchsabteilung als gewährbar angesehene Anspruchsfassung als Hauptantrag aufrecht und reichte zusätzlich insgesamt neun Hilfsanträge, als auch die folgenden Dokumente ein:

F1|Handbook of Aluminum Volume 1, 2003, S. 244-250 |

F2|Aluminium Taschenbuch Band 1, 2002, 16. Aufl., S. 270-273|

IV. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:

"Kaltgewalztes Aluminiumlegierungsband bestehend aus einer AlMg-Aluminiumlegierung,

dadurch gekennzeichnet, dass die Aluminiumlegierung die folgenden Legierungsbestandteile aufweist:

0,03 Gew.-% <= Si <= 0,10 Gew.-%,

Fe <= 0,35 Gew.-%,

Cu <= 0,15 Gew.-%,

0,2 Gew.-% <= Mn <= 0,35 Gew.-%,

4,1 Gew.-% <= Mg <= 4,4 Gew.-%,

Cr <= 0,1 Gew.-%,

Zn <= 0,25 Gew.-%,

Ti <= 0,1 Gew.-%,

Rest Al und unvermeidbare Verunreinigungen einzeln maximal 0,05 Gew.-%, in Summe maximal 0,15 Gew.-%, wobei das Aluminiumlegierungsband ein rekristallisiertes Gefüge aufweist, die Korngröße des Gefüges zwischen 15mym und 25 mym beträgt und die Schlussweichglühung des Aluminiumlegierungsbandes in einem Durchlaufofen durchgeführt worden ist."

V. Anspruch 1 des Hilfsantrags 0 enthält, im Vergleich zu Anspruch 1 des Hauptantrags, nach der Bereichsangabe für die Korngröße des Gefüges die Worte ", bestimmt nach ASTM E 1382,".

VI. In Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 wurde, bezogen auf Anspruch 1 des Hauptantrags, die obere Grenze des Mn-Gehalts auf 0,30 Gew.-% beschränkt.

VII. In Anspruch 1 der Hilfsanträge 2 und 3 wurde neben der in Hilfsantrag 1 vorgenommenen Änderung in Anspruch 1 auch ein Bezug auf die Verfahrensansprüche eingeführt, d.h. der Text "hergestellt nach einem der Verfahren nach einem der Ansprüche 8 bis 13", bzw. "... 8 bis 12" eingefügt.

VIII. In Hilfsantrag 4 wurden die Produktansprüche 1-8 gestrichen. Der unabhängige Verfahrensanspruch 1 lautet:

"Verfahren zur Herstellung eines kaltgewalztes [sic] Aluminiumlegierungsband [sic] bestehend aus einer AlMg-Aluminiumlegierung, wobei die Aluminiumlegierung die folgenden Legierungsbestandteile aufweist:

0,03 Gew.-% <= Si <= 0,10 Gew.-%,

Fe <= 0,35 Gew.-%,

Cu <= 0,15 Gew.-%,

0,2 Gew.-% <= Mn <= 0,30 Gew.-%,

4,1 Gew.-% <= Mg <= 4,4 Gew.-%,

Cr <= 0,1 Gew.-%,

Zn <= 0,25 Gew.-%,

Ti <= 0,1 Gew.-%,

Rest Al und unvermeidbare Verunreinigungen einzeln maximal 0,05 Gew.-%, in Summe maximal 0,15 Gew.-%,

umfassend die folgenden Verfahrensschritte:

- Gießen eines Walzbarrens,

- Homogenisieren des Walzbarrens bei 480 °C bis 550 °C für mindestens 0,5 h,

- Warmwalzen des Walzbarrens bei einer Temperatur von 280 °C bis 500 °C,

- Kaltwalzen des warmgewalzten Aluminiumlegierungsbandes auf eine Zwischendicke, welche derart bestimmt ist, dass der abschließende Kaltwalzgrad an Enddicke 40 % bis 70 % oder 50 % bis 60 % beträgt,

- Zwischenglühen des Aluminiumlegierungsbandes bei 300 °C bis 500 °C,

- Kaltwalzen des Aluminiumlegierungsbandes an Enddicke mit einem Abwalzgrad von 40 % bis 70 % oder 50 % bis 60 %

- Weichglühen des fertig gewalzten Aluminiumlegierungsbandes bei 300 °C bis 500 °C in einem Durchlaufofen, so dass das Aluminiumlegierungsband ein rekristallisiertes Gefüge aufweist, die Korngröße des Gefüges zwischen 15 mym und 25 mym beträgt."

IX. In Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 wurden die Änderungen des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4 beibehalten und darüber hinaus die Enddicke und der Abwalzgrad beschränkt.

X. In Anspruch 1 des Hilfsantrags 6 wurden zusätzlich zu den Änderungen des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 5 die Temperatur und die Zeit des Weichglühschrittes spezifiziert.

XI. In Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 wurde neben den in Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 vorgenommenen Änderungen der Si, Mg und Ti-Gehalt weiter beschränkt.

XII. In Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 wurde neben den in Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 vorgenommenen Änderungen der Cu-Gehalt weiter beschränkt.

XIII. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerinnen können wie folgt zusammengefasst werden:

a) Zulassung der letzten schriftlichen Eingabe der Beschwerdegegnerin, sowie der F1 und F2

Die Beschwerdegegnerin habe bisher argumentiert, dass der strittige Parameter "Korngröße" im dritten Absatz auf der Seite 16 der ursprünglichen Anmeldung offenbart sei. Sie habe, gestützt auf die Dokumente F1 und F2, erst in der letzten Eingabe erstmals argumentiert, dass der Anspruch 1 so auszulegen sei, dass die beanspruchte Korngröße die mittlere Korngröße sei und der Begriff Korngröße als Synonym für den Begriff mittlere Korngröße zu verstehen sei. Somit habe sie ihr Vorbringen geändert.

Es seien keine stichhaltigen Gründe genannt worden, warum das neue Vorbringen nicht früher möglich gewesen sei. Außergewöhnliche Umstände seien nicht erkennbar. Artikel 123 (2) EPÜ sei bereits in der Vorinstanz ausführlich diskutiert worden.

b) Hauptantrag, Artikel 123 (2) EPÜ

Es gebe keine Basis für die in Anspruch 1 enthaltene Bereichsangabe für die Korngröße des Gefüges. Der dritte Absatz auf der Seite 16 der ursprünglichen Offenbarung erwähne zwar den beanstandeten Bereich für die Korngröße, allerdings beziehe sich dieser Absatz auf die Tabelle 4 und somit auf die mittlere Korngröße, weil dort gemäß dem zweiten Absatz der Seite 12 lediglich Werte für die mittlere Korngröße des Gefüges offenbart seien.

Der Absatz, der sich in der ursprünglichen Beschreibung von der Seite 3 auf die Seite 4 erstreckt, entspreche weitgehend dem Wortlaut des Anspruchs. Jedoch werde dort insbesondere nur eine mittlere Korngröße offenbart.

Die Figur 33 der F1 offenbare zwar breitere Korngrößenverteilungen, aber im Hinblick darauf, dass es sich um eine Erfindung handle, ziehe der Fachmann den eindeutigen Wortlaut nicht in Zweifel und erkenne die angegebene enge Korngrößenverteilung als Erfindungsmerkmal.

Ein Anspruch müsse für sich ausgelegt werden. Nur wenn er etwas Unsinniges definiere, müsse der Fachmann eine Auslegung vornehmen. Dafür werde aber nicht sofort die Beschreibung herangezogen, sondern erst dann, wenn eine Auslegung ohne sie nicht gelinge.

Die Wortwahl "die Korngröße des Gefüges zwischen 15 µm und 25 µm beträgt" bedeute eindeutig eine Korngrößenverteilung zwischen diesen Werten. Die Verwendung des Singlulars sei in diesem Zusammenhang nicht zu beanstanden. Es bedeute jedenfalls nicht, dass es sich bei der Korngröße um eine statistische Größe handle. Selbst wenn man davon ausginge, dass es sich bei der Korngröße um eine statistische Größe handle, kämen auch andere, wie z.B. der Median, infrage.

Ein Verweis auf eine Dissertation und ausgewählte Patentdokumente stellten keinen Beweis dar, dass die Korngröße ein Synonym für die mittlere Korngröße sei.

c) Zulassung des Hilfsantrags 0

Hilfsantrag 0 stelle eine Änderung des Beschwerdevorbringens dar, die nicht erst am Ende des Beschwerdeverfahrens veranlasst gewesen sei. Ein Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ sei vielmehr bereits im Einspruchsschriftsatz erhoben und in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung diskutiert worden. Die Einspruchsabteilung sah die Erfordernisse des Artikel 123 (2) EPÜ als erfüllt an. Die Beschwerdegegnerin habe jedoch damit rechnen müssen, dass die Beschwerdekammer zu einem von der Einspruchsabteilung abweichenden Schluss komme. Es sei nicht ersichtlich, welche außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Artikels 13(2) VOBK vorlägen, noch seien stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt worden.

d) Hilfsantrag 4, Artikel 123 (2) EPÜ

Hilfsantrag 4 enthalte den Produktanspruch, welcher Artikel 123 (2) EPÜ verletzt, zur Gänze. Die Herstellungsschritte enthielten keine zusätzliche Information zur Korngröße. Es sei nicht erkennbar, wie diese Herstellungsschritte den Mangel des Anspruchs 1 des Hauptantrags beheben könnten.

e) Hilfsanträge 1-3 und 5-8, Artikel 123 (2) EPÜ

Die erhobenen Beanstandungen würden sinngemäß auch für diese Hilfsanträge gelten.

XIV. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:

a) Zulassung der letzten schriftlichen Eingabe der Beschwerdegegnerin, sowie der F1 und F2

In der letzten Eingabe handle es sich nicht um ein neues Vorbringen, weil es sich nicht um neue Argumente handle, sondern um eine Fortführung des Arguments, dass kein Unterschied zwischen dem in der ursprünglichen Offenbarung im dritten Absatz der Seite 16, und dem in Anspruch 1 verwendeten Begriff bestehe. F1 und F2 seien Auszüge aus Fachbüchern und seien zitiert worden, um die ursprüngliche Argumentation zu untermauern. Es sei überraschend, dass derselbe Wortlaut auf der Seite 16 der ursprünglichen Offenbarung von der Kammer anders als im Anspruch 1 ausgelegt werde. Die F1 und die F2 zeigten, dass diese Auslegung nicht im Einklang mit der Natur und der gängigen Terminologie im Fachgebiet sei.

b) Hauptantrag, Artikel 123 (2) EPÜ

Es sei der Goldstandard im Sinne der G 2/10 anzuwenden. Der Anspruchswortlaut sei im Absatz, der sich in der ursprünglichen Beschreibung von der Seite 3 auf die Seite 4 erstreckt, praktisch wortgleich offenbart. Der Wortlaut des Anspruchs 1 unterscheide sich lediglich dahingehend, dass das Adjektiv "mittlerer" fehle. Allerdings sei dieses redundant, weil die Fachperson unter der Korngröße eines Gefüges immer die mittlere Korngröße des Gefüges verstehe.

Die Korngröße des Gefüges sei zusammen mit der beanspruchten Bereichsangabe in der ursprünglichen Offenbarung auf der Seite 16, Zeilen 16-20, im dritten Absatz der Seite, wörtlich zu entnehmen. Auch die Tabelle 4, auf die in diesem Absatz Bezug genommen wurde, bezeichne die entsprechende Spalte nur mit dem Wort "Korngröße". Dennoch sei die mittlere Korngröße gemeint, wie aus dem Kontext der Beschreibung zu entnehmen sei. Daher interpretiere die Fachperson auch die Korngröße im Anspruch 1 als die mittlere Korngröße.

Würde man den Wortlaut des Anspruchs 1 so verstehen, dass die Korngrößenverteilung innerhalb eines Bereichs von 15 µm - 25 µm liege, so müsste der Anspruch 1 lauten "die Korngrößen des Gefüges", d.h., es sei der Plural zu verwenden, was einen Widerspruch mit dem tatsächlichen Wortlaut darstelle. Es sei daher klar, dass es sich nur um eine einzige statistische Größe handeln könne, die das Gefüge beschreibt und keine Korngrößenverteilung. Für die Fachperson komme für diese statistische Größe nur die mittlere Korngröße infrage.

Zudem habe ein Gefüge, wie in F1, Seite 249 gezeigt, immer eine Korngrößenverteilung, die wesentlich breiter als der beanspruchte Bereich sei.

Eine derart enge Korngrößenverteilung anzunehmen sei technisch unsinnig, denn Aluminium sei polykristallin. Alleine im Kapitel 2 der E2 seien 15 Nennungen der Korngröße, ohne das Adjektiv "mittlere" zu finden. In der Tabelle auf der Seite 114 der E2 seien Korngrößen angegeben. Auch auf Seite 184 wird auf die Korngröße verwiesen. Dabei könne es sich nur um die mittlere Korngröße handeln, weil sie der einzige zugängliche Parameter sei.

Ebenso offenbarte die E5, Anspruch 6 einen Korndurchmesser, der gemäß Seite 5, Zeile 43 nach der Intercept-Methode gemessen wurde. Diese liefere nur den mittleren Korndurchmesser. Auch in E7, Spalte 2, Zeilen 6-14 müsse jedenfalls die mittlere Korngröße gemeint sein.

c) Zulassung des Hilfsantrags 0

Es sei überraschend, dass ein und derselbe Begriff unter Artikel 83 EPÜ und Artikel 123 (2) EPÜ völlig verschieden ausgelegt wurde, was eine Zulassung des neuen Anspruchs rechtfertige. Die Beschwerdegegnerin sei der Überzeugung, dass es sich nur um einen logischen Fehlschluss in der vorläufigen Meinung handeln könne. Wenn man den Anspruch 1 so lesen würde, dass er die beanspruchten Bereichsgrenzen der Korngrößenverteilung begrenze, mag ein Mangel an Klarheit offenbar werden. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Fachperson dann nicht die Beschreibung zur Interpretation heranziehen würde. Die Änderung werde vorgeschlagen, um jeden Zweifel über die beabsichtigte Bedeutung auszuräumen.

d) Hilfsantrag 4, Artikel 123(2) EPÜ

Der Hilfsantrag 4 enthalte neben der Definition des Produkts auch die erforderlichen Schritte zu dessen Herstellung. Jeder dieser Herstellungsschritte sei jedoch konventionell und der Fachperson grundsätzlich bekannt. Es sei für die Fachperson klar, dass eine Korngrößenverteilung innerhalb des Bereichs von 15-25 µm mit diesen Schritten nicht erreichbar sei. Daher würde die Fachperson, so es ihr noch nicht klar sei, dass es sich in Anspruch 1 um die mittlere Korngröße handle, die Beschreibung konsultieren, und selbiges unmittelbar erkennen.

e) Hilfsanträge 1-3 und 5-8

Sinngemäße Überlegungen würden auch für diese Hilfsanträge gelten.

XV. Die Beschwerdeführerinnen beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

XVI. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerden, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 0 oder eines der Hilfsanträge 1 bis 8 wie eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung.

Entscheidungsgründe

1. Zulassung der letzten schriftlichen Eingabe der Beschwerdegegnerin, sowie der F1 und F2

Im Einspruchsverfahren wurde von der Beschwerdegegnerin argumentiert, dass die Angabe im dritten Absatz auf der Seite 16 der ursprünglichen Offenbarung eine Basis für den Wortlaut des Anspruchs 1 darstelle. Mit der letzten Eingabe wurde argumentiert, dass sowohl der Wortlaut auf der Seite 16 der ursprünglichen Offenbarung, als auch der Wortlaut des Anspruchs 1 auf eine mittlere Korngröße gerichtet seien.

Obwohl die Beschwerdegegnerin eine Präzisierung der Interpretation der Terminologie durchführte, wurde das bereits vorhandene Argument allenfalls aus einem anderen Blickwinkel beleuchtet.

F1 und F2 sind Auszüge aus Fachbüchern, die eine Korngrößenverteilung bzw. die Verwendung des Begriffes Korngröße zeigen. Der Umfang der F1 und F2 ist überschaubar, auf den strittigen Aspekt beschränkt und sie gehen nicht über das allgemeine fachmännische Wissen hinaus.

Deshalb wird die letzte Eingabe der Beschwerdegegnerin nicht als Änderung des Vorbringens, sondern als vertiefende Ausführung zur bereits vorliegenden Argumentation erachtet und die zitierten Dokumente F1 und F2 werden als Beleg für das allgemeine Fachwissen, auf das sich die Beschwerdegegnerin in ihrem Vorbringen stützte, in das Verfahren zugelassen.

2. Hauptantrag, Artikel 123 (2) EPÜ

Anspruch 1 enthält das Merkmal "... die Korngröße des Gefüges zwischen 15mym und 25 mym beträgt ...".

Die obere Grenze wurde in den ursprünglichen Ansprüchen mit 30 µm angegeben.

Der von der Beschwerdegegnerin genannte Absatz, der sich von der Seite 3 auf die Seite 4 erstreckt, offenbart den Wortlaut des Anspruchs 1, wobei aber ein Bereich für die mittlere Korngröße angegeben wurde. Eine bevorzugte Obergrenze dieses Bereichs wurde mit 25 µm angegeben.

Die von der Beschwerdegegnerin genannte Seite 16 der ursprünglichen Offenbarung lehrt im dritten Absatz, dass unter anderem "mit einer spezifisch gewählten Korngröße von ... 15µm - 25µm" der geltend gemachte Effekt erreicht wird. Dieser Absatz diskutiert die Beispiele, die in der Tabelle 4 angeführt sind. Tabelle 4 enthält eine Spalte mit dem Titel "Korngröße". Seite 12 offenbart im zweiten Absatz, dass die Tabellen 1 und 4 die mittlere Korngröße zeigen. Daher bezieht sich der oben zitierte Satz auf der Seite 16 auf die mittlere Korngröße. Diese Tatsache wurde von der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung bestätigt.

Für eine verallgemeinerte Verwendung des Begriffs "Korngröße", d.h. ohne den Zusatz "mittlere", existiert in der ursprünglichen Offenbarung daher keine explizite Angabe für eine Bereichsgrenze von 25 µm.

Die Beschwerdegegnerin macht geltend, dass für die in Anspruch 1 enthaltene Korngröße lediglich die mittlere Korngröße infrage komme. Das Adjektiv mittlere sei daher redundant und die Begriffe Korngröße und mittlere Korngröße seien Synonyme. Insbesondere sei die Ansicht, dass die (absoluten) Korngrößen der Körner des Gefüges innerhalb des beanspruchten Bereichs lägen, nicht vereinbar mit der Erfahrung der Fachperson. Zudem müsse in diesem Fall das Merkmal Korngröße im Plural verwendet werden.

Der Begriff Gefüge bezieht sich auf die Gesamtheit der Gefügebestandteile. Zu den Gefügebestandteilen zählen neben den Kristalliten auch die anderen Bestandteile, die diese Gesamtheit ausmachen, darunter z.B. auch Ausscheidungen oder Einschlüsse. Ein Gefüge kann durch die Eigenschaften der Gefügebestandteile charakterisiert werden, z.B. durch ihre Art, Form, Größe, Verteilung oder Orientierung. In einem polykristallinen Material wie Aluminium sind es die Körner des Gefüges, die eine Korngröße aufweisen, nicht jedoch das Gefüge als solches. Auch die Beschwerdegegnerin geht offensichtlich von dieser Tatsache aus, wie aus dem drittletzten Absatz der Seite 4 der letzten Eingabe zu entnehmen ist.

Wenn, wie üblich, verkürzt von einer Korngröße des Gefüges die Rede ist, ist es der Fachperson klar, dass sich der Begriff auf die Korngröße der Körner des Gefüges bezieht. Es ist unmittelbar ersichtlich, dass auch im hier vorliegenden Kontext der Begriff mittlere Korngröße des Gefüges eine andere Bedeutung als der Begriff Korngröße des Gefüges hat und diese Begriffe keineswegs Synonyme sind, denn beide Begriffe können nur dann sinnvoll interpretiert werden, wenn man sie auf die Korngröße der Körner des Gefüges bezieht.

Es ist daher nicht überzeugend, dass für den Begriff Korngröße der Plural zwingend ist, wenn davon die Rede ist, dass die Korngröße des Gefüges zwischen 15 µm und 25 µm liegen soll.

Abgesehen davon, dass die Mehrzahl der zitierten Schriften keine Fachbücher sind, könnten sie zur Interpretation des Anspruchs 1 ohnehin nichts beitragen. Eine in einem anderen Dokument konsistente Verwendung des Begriffs "Korngröße" kann nicht zeigen, dass dieser, trotz denkbarer alternativer Möglichkeiten, im vorliegenden Kontext nur die in diesen Schriften verwendete spezielle Bedeutung "mittlere Korngröße" besitzt.

Es ist auch nicht überzeugend, dass wegen des engen Bereiches von 15 µm - 25 µm der Anspruch 1 derart umzudeuten ist, dass nicht die Korngröße der Körner des Gefüges in den beanspruchten Bereich fallen soll, sondern nur ein die Korngrößenverteilung beschreibender statistischer Parameter, insbesondere die mittlere Korngröße.

Im Vergleich mit der Fig. 33 der F1 fällt auf, dass der beanspruchte Bereich der Korngröße des Gefüges vergleichsweise eng ist. Der enge Bereich für die Korngröße erscheint zwar ambitioniert oder ungewöhnlich, aber weder unklar noch interpretationsbedürftig und muss im Hinblick darauf beurteilt werden, dass es sich bei Anspruch 1 um eine Erfindung handelt, die durchaus auch ambitionierte Ziele erreicht haben könnte. Die F1 zeigt zwar breitere Korngrößenverteilungen, aber daraus kann nicht abgeleitet werden, dass die enge Bereichsangabe unlogisch ist oder gar den Naturgesetzen widerspricht. Die Umdeutung des ansonsten klaren Begriffs Korngröße zum Begriff mittlere Korngröße, mit dem Zweck ein zur Beschreibung passendes technisches Merkmal zu erhalten, ist nicht zulässig.

Selbst wenn, wie die Beschwerdegegnerin argumentiert, sich die Korngröße auf einen statistischen Parameter bezieht, weil die Korngröße eines Gefüges der Fachperson nur als statistische Verteilung zugänglich ist (letzte Eingabe, Seite 2, letzter Satz), kommt nicht nur der Mittelwert infrage. Tatsächlich existieren weitere statistische Parameter, wie z.B. der von der Beschwerdeführerin 2 genannte Median, um die Korngröße auf Basis einer Korngrößenverteilung zu bestimmen. Allerdings ist die beanspruchte Bereichsobergrenze von 25 µm nur in Kombination mit einer mittleren Korngröße offenbart.

Die statistischen Kennzahlen, mit denen eine Korngrößenverteilung charakterisiert werden können, sind auch nicht austauschbar. Zum Beispiel ist bei den üblichen rechtsschiefen Korngrößenverteilungen (siehe F1, Fig. 33) die Korngröße des Medians unterschiedlich von der mittleren Korngröße.

Eine Korngröße des Gefüges im Bereich von 15 µm bis 25 µm kann somit, unter Bezugnahme auf den in G 2/10 (Entscheidungsgründe 4.3) und G 1/16 (Entscheidungsgründe 18) erwähnten "Goldstandard", nicht als ursprünglich offenbart angesehen werden.

3. Zulassung des Hilfsantrags 0

Der Hilfsantrag 0 ändert das Beschwerdevorbringen der Beschwerdegegnerin. Gemäß Artikel 13(2) VOBK bleibt diese Änderung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, es werden stichhaltige Gründe aufgezeigt, dass außergewöhnliche Gründe vorliegen.

Der Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ war bereits in der Einspruchsschrift und in der mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung erhoben worden. Auch wenn die Einspruchsabteilung in dieser Hinsicht zugunsten der Beschwerdegegnerin entschieden hat, muss sie damit rechnen, dass die Beschwerdekammer zu einem anderen Schluss kommt.

Die von der Beschwerdegegnerin als widersprüchlich wahrgenommene Einschätzung in der vorläufigen Meinung der Kammer dürfte darauf beruhen, dass der dritte Absatz der Seite 16 der ursprünglichen Offenbarung eine Diskussion der Ergebnisse der Beispiele enthält, die sich jedoch nur auf eine mittlere Korngröße beziehen, während für die Interpretation des Anspruchs 1 in erster Linie sein Wortlaut maßgeblich ist.

Es ist nicht überraschend, dass ein der Analyse zugrundeliegender unterschiedlicher Kontext zu scheinbar widersprüchlichen Ergebnissen führen kann.

Es konnten daher keine stichhaltigen Gründe aufgezeigt werden, dass außergewöhnliche Gründe vorliegen, die im Hinblick auf Artikel 13(2) VOBK dazu führen würden, dass der spät eingereichte Hilfsantrag zu gewähren ist.

4. Hilfsanträge 2, 3, 7 und 8, Artikel 123 (2) EPÜ

Die Änderungen der jeweiligen Produktansprüche 1 dieser Hilfsanträge betreffen nicht die Korngröße und können daher den Mangel des Hauptantrags nicht beheben.

5. Hilfsantrag 4, Artikel 123 (2) EPÜ

Ein Einfluss der beanspruchten Herstellungsschritte auf die Korngrößenverteilung ist weder ersichtlich noch nachgewiesen. Die Annahme, dass die beanspruchte Korngrößenverteilung mit den in Anspruch 1 enthaltenen Herstellungsschritten nicht erreichbar sei, daher der Anspruch unklar werde und eine Interpretation des Anspruchswortlauts unter Zuhilfenahme der Beschreibung notwendig sei, ist daher spekulativ.

Daher fehlt auch dem Hilfsantrag 4 aus den gleichen Gründen wie der Hauptantrag eine Basis in der ursprünglichen Offenbarung.

6. Hilfsanträge 5 und 6, Artikel 123 (2) EPÜ

Die Änderungen der jeweiligen Verfahrensansprüche 1 dieser Hilfsanträge enthalten im Vergleich zu Hilfsantrag 4 keine Änderungen, die die Mängel betreffend die Korngröße beheben.

Daher werden die Mängel des Hilfsantrags 4 nicht behoben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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