T 2669/18 () of 4.3.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T266918.20220304
Datum der Entscheidung: 04 März 2022
Aktenzeichen: T 2669/18
Anmeldenummer: 13704358.4
IPC-Klasse: F24F 12/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VORRICHTUNG ZUR KÜHLUNG UND/ODER WÄRMERÜCKGEWINNUNG
Name des Anmelders: Kampmann GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 111(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 011
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Spät eingereichter Antrag - Antrag identisch mit dem im erstinstanzlichen Verfahren nicht zugelassenen Hilfsantrag
Ermessen, Vorbringen nicht zuzulassen - Vorbringen zugelassen (ja)
Neuheit - Hauptantrag (ja)
Zurückverweisung an die erste Instanz
Zurückverweisung - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0007/93
T 0971/11
T 1816/11
T 0820/14
T 1531/16
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Prüfungsabteilung hat die Europäische Patentanmeldung 13 70 43 58 (im Folgenden: "die Anmeldung") zurückgewiesen, nachdem sie weder den verspätet eingereichten Hauptantrag noch die ebenfalls verspätet eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3 wegen fehlender prima facie Gewährbarkeit in das Verfahren zugelassen hatte. In diesem Rahmen hat sie insbesondere den Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags für nicht neu befunden.

II. Gegen diese Entscheidung wendete sich die Anmelderin (im Folgenden "Beschwerdeführerin") mit ihrer Beschwerde.

III. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf Basis des Hauptantrags zu erteilen, hilfsweise auf Basis eines der Hilfsanträge 1 oder 2, alle eingereicht mit der Beschwerdebegründung.

IV. Die Kammer erließ eine Mitteilung gemäß Regel 100 (2) EPÜ, in der sie ihre Absicht mitteilte, den in der Beschwerde weiter verfolgten Hauptantrag in das Verfahren zuzulassen und die Angelegenheit nach Feststellung der Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 an die Prüfungsabteilung zur weiteren Verhandlung zurückzuverweisen.

V. Daraufhin nahm die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Artikel 116(1) EPÜ zurück und erklärte sich mit einer Zurückverweisung der Sache an die Prüfungsabteilung im schriftlichen Verfahren einverstanden.

VI. Für diese Entscheidung relevant sind die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge. Diese Anträge sind bezüglich den entsprechenden der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Anträge unverändert.

a) Anspruch 1 des Hauptantrags lautet (eine Merkmalsgliederung wurde hinzugefügt in "[]", die Änderungen gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags, dem die Ladung der Prüfungsabteilung zur mündlichen Verhandlung zu Grunde liegt, sind fett und durchgestrichen hervorgehoben):

"[1] Vorrichtung (10) zur Kühlung und/oder zur Wärmerückgewinnung mit mindestens einem Wärmetauscher (29),

[2] wobei [deleted: und mit] mehrere[deleted: n] zusammensetzbare[deleted: n] Wärmetauschermodule[deleted: n] (11) [deleted: die] jeweils einen Wärmetauscher (29) aufweisen

[3] und die Wärmetauschermodule (11) derart zusammensetzbar sind, dass ihre Wärmetauscher (29) in einer Parallelschaltung betreibbar sind,

dadurch gekennzeichnet,

[4] dass jedes Wärmetauschermodul (11) ein den Wärmetauscher (29) umgebendes Gehäuse (13) aufweist,

[5] welches an den Stirnseiten (16) jeweils eine Lufteintrittsöffnung (17) und eine Luftaustrittsöffnung (18) aufweist, wodurch jedes der aufeinanderfolgenden - Wärmetauschermodule (11) zwei Lufteintrittsöffnungen (17) und zwei Luftaustrittsöffnungen (18) aufweist, [deleted: wobei die Lufteintrittsöffnungen (17) und die Luftaustrittsöffnungen (18) von aufeinanderfolgenden ][deleted: Wärmetauschermodulen (11) übereinander liegen]

[6] und die dass den Wärmetauschermodulen (11) eine gemeinsame Zuluftführung (21) und eine gemeinsame Abluftführung (20) [deleted: aufweisen] zugeordnet ist, indem die Lufteintrittsöffnungen (17) und die Luftaustrittsöffnungen (18) aufeinanderfolgender Wärmetauschermodule (11) gleichermaßen von der gemeinsamen Abluftführung (20) und der gemeinsamen Zuluftführung (21) parallel mit Zuluft bzw. Abluft versorgbar sind."

b) Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 weist gegenüber dem Hauptantrag folgendes zusätzliche Merkmal auf:

"...

[7] und dass die Wärmetauschermodule (11) zusammenkoppelbar sind."

c) Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 weist gegenüber dem Hauptantrag folgende zusätzliche Merkmale auf:

"...

[8] dass den Wärmetauschermodulen (11) ein gemeinsamer Befeuchtungswasserspeicher (27) für Befeuchtungswasser zugeordnet ist, der mindestens eine Pumpe (39) aufweist, mit der Befeuchtungswasser aus dem Befeuchtungswasserspeicher (27) den Wärmetauschermodulen (11) zuführbar ist,

[9] dass auch der Befeuchtungswasserspeicher (27) ein Gehäuse (13) aufweist,

[10] wodurch auf dem Befeuchtungswasserspeicher (27) die Wärmetauschermodule (11) übereinanderstapelbar

[11] sowie die übereinandergestapelten Wärmetauschermodule (11) und der Befeuchtungswasserspeicher (27) zu einer Einheit zusammenkoppelbar sind."

VII. Die folgenden Dokumente, die bereits Gegenstand des Prüfungsverfahrens waren, sind für die Entscheidung relevant.

D1: EP 0 859 203 A2;

D4: JP 2001 174021 A;

D5: US 2007/158049 A1.

VIII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen.

a) Hauptantrag - Neuheit gegenüber D1

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags sei neu über die Offenbarung von D1. Weder offenbare D1, dass jedes der Wärmetauschermodule ("units") ein Gehäuse aufweise, noch sei den einzelnen units eine gemeinsame Luftzu- und -abführung zugeordnet. Somit seien auch keine Stirnseiten mit Luftein- und -austrittöffnungen offenbart. Auch seien die Figuren 16 und 18 unterschiedlichen Ausführungsformen zugeordnet, so dass deren Merkmale nicht zusammen offenbart seien.

b) Hauptantrag - Neuheit gegenüber D4

Auch in D4 sei kein Gehäuse für jeden Wärmetauscher offenbart. Somit seien auch keine entsprechenden Stirnseiten mit Luftein- und -austrittöffnungen offenbart. Auch sei D4 keine gemeinsame Luftzu- und -abführung zu entnehmen.

c) Hauptantrag - Neuheit gegenüber D5

Schließlich seien auch in D5 keine Gehäuse für jeden der Wärmetauscher offenbart. Somit seien ebenfalls keine entsprechenden Stirnseiten mit Luftein- und -austrittöffnungen offenbart. Auch sei D5 keine gemeinsame Luftzu- und -abführung zu entnehmen. Im übrigen sei D5 kein modulares System, wie dies gemäß Anspruch 1 erforderlich sei. D5 offenbare vielmehr lediglich ein einziges Wärmetauschermodul.

Entscheidungsgründe

Von der Prüfungsabteilung nicht zugelassene Anträge -Zulassung

1. Gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 hat die Kammer ein Ermessen, Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren nicht zugelassen worden sind. Im vorliegenden Fall sind jedoch der Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 1 und 2 in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

1.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist es bei einer erstinstanzlichen Ermessensentscheidung nicht Aufgabe der Beschwerdekammer, die Sachlage nochmals wie ein erstinstanzliches Organ zu prüfen, um zu entscheiden,ob sie das Ermessen in derselben Weise ausgeübt hätte. Ein erstinstanzliches Organ, das nach dem EPÜ unter bestimmten Umständen Ermessensentscheidungen zu treffen hat, muss bei der Ausübung dieses Ermessens einen gewissen Freiraum haben, in den die Beschwerdekammern nicht eingreifen. Eine Beschwerdekammer sollte sich nur dann über die Art und Weise, in der die erste Instanz bei einer Entscheidung in einer bestimmten Sache ihr Ermessen ausgeübt hat, hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die erste Instanz ihr Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher bzw. unangemessener Weise ausgeübt hat und damit ihr eingeräumtes Ermessen überschritten hat (siehe dazu G 7/93, Ziffer 2.6).

1.2 Allerdings ist eine Kammer auch dann, wenn sich die Prüfungsabteilung an die anzulegenden Ermessenskriterien gehalten hat, nicht unabänderlich an diese Ermessensentscheidung der Prüfungsabteilung gebunden. Eine derartige Beschränkung der Überprüfung erstinstanzlicher Entscheidungen vermag die Kammer weder dem EPÜ noch der Entscheidung G7/93 zu entnehmen, und sieht sich dabei im Einklang mit gefestigter Rechtsprechung der Kammern (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Aufl., V.A.4.11.4). Insbesondere erscheint es interessenwidrig, wenn ein Antrag nur deswegen nicht inhaltlich von einer Kammer überprüft werden könnte, weil er von dem erstinstanzlichen Organ aufgrund von Ausführungen zur materiellen Rechtslage nicht zugelassen wurde, die die Kammer inhaltlich nicht teilt, wohingegen eine Überprüfung ohne weiteres möglich wäre, wenn der Antrag zugelassen worden und nur inhaltlich ohne Erfolg geblieben wäre. Vielmehr steht der Kammer ein eigenes Ermessen zu, Anträge in das Verfahren zuzulassen, die die Prüfungsabteilung zuvor nicht in das Verfahren zugelassen hatte (siehe T 820/14, Punkt 10, 11 unter Bezugnahme auf T 971/11, Punkt 1.3).

1.3 Im vorliegenden Fall entspricht der Hauptantrag dem mit Schreiben vom 07. Juni 2018 im Prüfungsverfahren eingereichten Hauptantrag. Zwar wurde dieser im Sinne von Regel 116(2) EPÜ verspätet vorgebracht. Die Prüfungsabteilung hat sich bei der Ausübung ihres Ermessens gemäß Regel 137(3) EPÜ jedoch lediglich darauf beschränkt, den Hauptantrag deswegen nicht in das Verfahren zuzulassen, weil der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags "prima facie nicht neu" sei. Dagegen haben weder die verspätete Einreichung des Antrags noch andere verfahrensrechtlichen Einwände für die Ermessensentscheidung der Prüfungsabteilung eine Rolle gespielt. Sie beruft sich vielmehr lediglich auf materiellrechtliche Gründe. Zur Überprüfung steht somit allein die materiellrechtliche Beurteilung der Prüfungsabteilung betreffend die Neuheit des Anspruchsgegenstandes (vgl. auch T 1816/11, Punkt 2).

1.4 Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde seitens der Prüfungsabteilung geltend gemacht, der Gegenstand des damaligen Hauptantrags sei nicht neu über jede der Offenbarungen von D1, D4 und D5. Anspruch 1 des Hauptantrags definiert nun als wesentliche Änderung gegenüber diesem Gegenstand ein "den Wärmetauscher umgebendes Gehäuse ...welches an den Stirnseiten (16) jeweils eine Lufteintrittsöffnung (17) und eine Luftaustrittsöffnung (18) aufweist" (Merkmale [4] und [5]).

1.5 Die Prüfungsabteilung hat entgegen der Formulierung in der angefochtenen Entscheidung bezüglich des Hauptantrags nicht lediglich eine prima facie Beurteilung der zusätzlich eingeführten Merkmale, sondern eine vollständige und detaillierte Neuheitsprüfung bezüglich aller Anspruchsmerkmale durchgeführt. Bezüglich der Beurteilung der Neuheit des Gegenstandes von Anspruch 1 des Hauptantrags vermag die Kammer allerdings der angefochtenen Entscheidung nicht zu folgen. Insbesondere bezüglich der neu eingeführten Merkmale [4] und [5] überzeugt die Argumentation nicht, da in der in der angefochtenen Entscheidung zitierten Figur 16 von D1 die Ein- und Austrittsöffnungen gerade nicht paarweise an den Stirnseiten angeordnet sind (siehe auch Punkt 2.). Somit ist ohnehin aus der angefochtenen Entscheidung auch nicht überzeugend ersichtlich, weshalb dieses neue Merkmal prima facie ungeeignet zur Ausräumung des Einwandes mangelnder Neuheit sein sollte.

1.6 Hilfsantrag 1 entspricht dem mit Schreiben vom 07. Juni 2018 im Prüfungsverfahren eingereichten Hilfsantrag 1, der ebenfalls von der Prüfungsabteilung wegen prima facie mangelnder Neuheit nicht zugelassen wurde. Da auch dieser die Merkmale [4] und [5] aufweist, gelten die Überlegungen für den Hauptantrag in analoger Weise.

1.7 Hilfsantrag 2 entspricht dem mit Schreiben vom 07. Juni 2018 im Prüfungsverfahren eingereichten Hilfsantrag 2. Bezüglich Hilfsantrag 2 kommt die Prüfungsabteilung zu der Entscheidung, diesen nicht zuzulassen. Auch hier argumentiert die Prüfungsabteilung ausschließlich materiellrechtlich. Sie kommt zu dem Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 prima facie nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

1.8 Die Prüfungsabteilung argumentiert insoweit, D1 offenbare bereits eine Kombination von Wärmetauschermodulen und Befeuchtungswasserspeicher, die gemäß der Merkmale [9] bis [11]

- übereinander

- und auf dem Befeuchtungswasserspeicher stapelbar seien

- und hiermit zu einer Einheit koppelbar seien.

Auch hier ist nicht ersichtlich, wie die Prüfungsabteilung zu dieser Schlussfolgerung kommt. Weder in der zitierten Beschreibungsstelle (Spalte 4, Zeilen 48 bis 55) noch in den Figuren 1, 4, 6 oder 18 ist eine Anordnung der Wärmetauschermodule auf dem Befeuchtungswasserspeicher offenbart, die eine Kopplung zu einer Einheit ermöglicht. Es ist lediglich ausgeführt und dargestellt, dass die Wärmetauschermodule über dem Befeuchtungswasserspeicher angeordnet sind. Eine Kopplungsmöglichkeit wird zudem in keiner Weise auch nur angedeutet. Ohne Berücksichtigung aller neu hinzugefügten Unterscheidungsmerkmale kann jedoch selbst im Rahmen einer lediglich prima facie Überprüfung die erfinderische Tätigkeit nicht abschlägig beurteilt werden. Somit ist die Schlussfolgerung in der angefochtenen Entscheidung nicht nachvollziehbar.

1.9 Bei Würdigung dieser Gesamtumstände lässt die Kammer unter Ausübung ihres Ermessens den Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 1 und 2 zur rechtlichen Überprüfung in das Beschwerdeverfahren zu.

Hauptantrag - Neuheit

2. Neuheit im Hinblick auf D1

2.1 Die Figuren 13 bis 20 in D1 beziehen sich im Wesentlichen auf eine im Grundaufbau identische Ausführungsform. Gemäß dieser werden Wärmetauschermodule aus einer Reihe von parallel angeordneten Wärmetauscherplatten (13,14) aufgebaut (Spalte 8, Zeilen 17 bis 24), wie sie in der Figur 17 beispielhaft gezeigt sind. Eine solche Anordnung paralleler Wärmetauscherplatten ist inhärent in ein Gehäuse zur Strömungsführung eingefasst, wie dies in den Figuren 14 und 18 gezeigt ist. Solche parallel geschalteten und mit Gehäuse und Luftzufuhr- und -abfuhrkanälen versehenen Einheiten werden in D1 als "units 48" bezeichnet. Mehrere dieser units können gestapelt werden, so dass sich ein modularer Aufbau ergibt (Figur 18 und Spalte 8, Zeilen 24 bis 31). Sie stellen also zusammensetzbare Wärmetauschermodule im Sinne von Anspruch 1 dar. Das Argument der Beschwerdeführerin, es sei nicht offenbart, "dass den einzelnen units (48) eine gemeinsame Zuluftführung und eine gemeinsame Abluftführung zugeordnet ist", überzeugt nicht. Wie in Figur 18 ersichtlich ist, weisen die Module (units 48) gemeinsame Zu- und Abluftführungen auf (vgl. Spalte 8, Zeilen 19 bis 31: "... by piling several units 48 that are similar in shape on top of one another and by fitting them on a common inlet duct 49 and outlet duct 50"). Somit offenbart D1 die Merkmale [1] bis [4] und [6] von Anspruch 1.

2.2 Gemäß der angefochtenen Entscheidung war die Prüfungsabteilung der Auffassung, aus Figur 16 sei ersichtlich, "dass das Modul ein den Wärmetauscher (2) umgebendes Gehäuse aufweist, welches an den Stirnseiten jeweils eine Lufteintrittsöffnung (3) und eine Luftaustrittsöffnung aufweist".

2.3 Dies wird jedoch in Figur 16 gerade nicht gezeigt. Merkmal [5] erfordert, dass an den Stirnseiten, also an zwei gegenüberliegenden Seiten des Wärmetauschers, jeweils zwei Öffnungen, und zwar paarweise eine Lufteintritt- und -austrittsöffnung, vorhanden sein müssen. In D1 sind die vier Öffnungen vielmehr auf insgesamt vier verschiedene Flächen des Gehäuses verteilt, von denen jeweils zwei senkrecht zueinander stehen. Diese können jedoch nicht alle in Bezug zueinander als "Stirnflächen" bezeichnet werden. Eine gegebenenfalls breitere und andere Auslegung der D1 wird auch nicht durch deren übrige Offenbarung gestützt. Auch in den Figuren 13, 14 und 18 von D1 ist jeweils nur eine Zu- und Abluftführung auf jeder Stirnseite jedes Moduls dargestellt; die weiteren Öffnungen liegen senkrecht zur Bildebene.

2.4 Der Beschwerdeführerin kann daher insoweit zugestimmt werden, dass in D1 nicht offenbart ist, je eine Lufteintrittsöffnung und Luftaustrittsöffnung auf jeweils gemeinsamen Stirnseiten des Gehäuses vorzusehen.

2.5 Das Merkmal [5] von Anspruch 1 des Hauptantrags stellt demzufolge als Unterscheidungsmerkmal die Neuheit über die Offenbarung von D1 her.

3. Neuheit im Hinblick auf D4

3.2 D4 zeigt in den Abbildungen 2 und 5 eine Reihe von Wärmetauschermodulen (1A) , die übereinander angeordnet sind. Die Beschwerdeführerin sieht in D4 weder die Wärmetauscher umgebende Gehäuse offenbart, noch eine den Modulen zugeordnete gemeinsame Zuluft- und Abluftführung, noch an den Stirnseiten jeweils eine Luftein- und -austrittsöffnung.

3.3 Anspruch 1 definiert bezüglich des Gehäuses keine weiteren funktionalen Anforderungen außer der, den jeweiligen Wärmetauscher zu "umgeben". So definiert Anspruch 1 nicht, dass eine Kopplung der Module über deren Gehäuse hergestellt wird oder dass die Gehäuse die gemeinsame Luftführung herstellen. Die Außenwandungen der Module 1A in D4 sind daher als Gehäuse im Sinne von Anspruch 1 auszulegen.

3.4 In D4 wird, wie auch von der Beschwerdeführerin argumentiert, die gemeinsame Luftführung der Wärmetauschmodule über die "plates" 2 und 3 gestützt und fixiert. Somit sind auch gemeinsame Zu- und Abluftkanäle realisiert (siehe auch Absatz [0038] von D4A: "to partition the air supply air passage and the exhaust air passage"), und den Modulen ist eine gemeinsame Zuluft- und Abluftführung im Sinne von Anspruch 1 zugeordnet.

3.5 Allerdings sind, bedingt durch den hexagonalen Querschnitt des Wärmetauschermoduls, die Ein- und Austrittsöffnungen zueinander winklig angeordnet. Damit sind die jeweils eine Lufteintritts- und Luftaustrittsöffnung nicht an einer gemeinsamen "Stirnseite" angeordnet, wie das Merkmal [5] erfordert, sondern lediglich in einer gemeinsamen Hälfte des Moduls.

3.6 Das Merkmal [5] von Anspruch 1 des Hauptantrags stellt demzufolge auch die Neuheit gegenüber der Offenbarung von D4 her.

4. Neuheit im Hinblick auf D5

4.1 D5 offenbart in den Figuren 2 und 4 Wärmetauscher (140/240), die ebenfalls ein Gehäuse aufweisen. Zudem sind die folgenden weiteren Merkmale von Anspruch 1 in den Ausführungsformen der Figuren 2 und 4 offenbart.

- Zusammenkoppelbarkeit der Wärmetauschermodule im Parallelbetrieb (Absätze [0073] und [0074]),

- Zuordnung einer gemeinsamen Luftzu- und -abführung (Figuren 2 und 4: OA/RA und SA/EA).

4.2 Allerdings sind, bedingt durch den hexagonalen Querschnitt des Wärmetauschermoduls (siehe Figur 3), in den Ausführungsformen gemäß den Figuren 2 und 4 der D5 die Ein- und Austrittsöffnungen zueinander in einem Winkel angeordnet. Auch für D5 gilt somit das Verständnis, nach dem die jeweils eine Lufteintritts- und Luftaustrittsöffnung nicht paarweise in einer gemeinsamen "Stirnseite" angeordnet sind, wie dies Merkmal [5] erfordert.

4.3 Das Merkmal [5] von Anspruch 1 des Hauptantrags stellt demzufolge auch die Neuheit gegenüber der Offenbarung von D5 her.

5. Daher kommt die Kammer bezüglich der bisher im Prüfungsverfahren im Hinblick auf die Neuheit diskutierten Dokumente D1, D4 und D5 zu dem Schluss, dass keines dieser Dokumente neuheitsschädlich für den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist.

Zurückverweisung

6. Nach Artikel 11 VOBK 2020 ist eine Angelegenheit dann an die erste Instanz zurückzuverweisen, wenn besondere Gründe dafür sprechen. Die Kammer stellt fest, dass diese Bestimmung in Verbindung mit Artikel 12 (2) VOBK 2020 zu lesen ist, welcher vorsieht, dass es das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens ist, die angefochtene Entscheidung in gerichtlicher Weise zu überprüfen.

6.1 Die Angelegenheit ist vorliegend zwar insoweit für die Kammer entscheidungsreif, als die Beschwerdeführerin in überzeugender Weise die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung zur Frage der Zulassung des Hauptantrags sowie der Neuheit gegenüber der Offenbarung des Dokuments D1 dargetan hat. Damit liegen die Voraussetzungen für die Aufhebung der nach Artikel 12 (2) VOBK 2020 gerichtlich zu überprüfenden Entscheidung der Prüfungsabteilung vor.

6.2 Allerdings wurde die erfinderische Tätigkeit in den Prüfungsbescheiden nur kursorisch und für abhängige Ansprüche im Zuge der Neuheitsprüfung erwähnt, aber nicht als eigene Patentierungsvoraussetzung im Detail geprüft.

6.3 Eine Nichtzurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungsabteilung würde in dem vorliegenden Fall somit bedeuten, dass die Kammer die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit sowohl im erst- als auch im letztinstanzlichen Verfahren wahrnehmen müsste. Sie würde somit faktisch an die Stelle der Prüfungsabteilung treten, anstatt nur die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen.

6.4 Daraus folgt, dass besondere Gründe im Sinne der Artikel 11 und 12 (2) VOBK 2020 vorliegen. Die Kammer betrachtet es somit als sachdienlich, von ihrem Ermessen unter Artikel 111(1) EPÜ Gebrauch zu machen und den Fall an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung zurückzuverweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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