T 1816/11 () of 22.11.2016

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2016:T181611.20161122
Datum der Entscheidung: 22 November 2016
Aktenzeichen: T 1816/11
Anmeldenummer: 08005016.4
IPC-Klasse: H01L 21/98
H01L 21/68
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Bonden von Chips auf Wafer
Name des Anmelders: EV Group E. Thallner GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.4.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 R 86(3)
European Patent Convention Art 111(1)
European Patent Convention R 103(1)(a)
European Patent Convention R 137(3)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Änderungen - Ermessen der Prüfungsabteilung
Weiterbehandlung - Antrag zulässig (ja)
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hauptantrag (nein)
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hilfsantrag (nein)
Orientierungssatz:

Falls eine Ermessensentscheidung der Prüfungsabteilung, einen Antrag nicht zuzulassen, aus materiellrechtlichen Gründen und nicht aus verfahrensrechtlichen Gründen getroffen wurde, können die in der Entscheidung G 7/93 aufgestellten Grundsätze nicht zur Anwendung kommen. Zur Überprüfung steht vielmehr die Ermessensentscheidung eingeflossene materiellrechtliche Wertung (Klarheit; erfinderische Tätigkeit u.s.w.), die den Kern der Überprüfungskompetenz der Beschwerdekammern betrifft (siehe Punkt 2.6 der Entscheidungsgründe).

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/92
G 0007/93
T 2221/10
T 0971/11
T 0556/13
T 0820/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1159/13
T 1771/13
T 1820/13
T 2342/13
T 2343/13
T 1774/14
T 1888/18
T 2669/18
T 0189/19

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 08 005 016 zurückzuweisen.

In der angefochtenen Entscheidung wurde der Hauptantrag mit Bezug auf Regel 137 (3) EPÜ nicht in das Verfahren zugelassen. Die Prüfungsabteilung entschied, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 der Hilfsanträge 1 und 2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (Artikel 52(1) und 56 EPÜ).

Außerdem führte die Prüfungsabteilung im Abschnitt III ("Weitere Bemerkungen") aus, dass die Anmeldung die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ nicht erfülle, weil Anspruch 1 gemäß erstem Hilfsantrag nicht klar sei. Diese Feststellung gelte ebenso für den zweiten Hilfsantrag.

II. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragte die Beschwerdeführerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent in der Fassung des Hauptantrags oder - hilfsweise - in der Fassung einer der Hilfsanträge 1 oder 2 zu erteilen, wobei Anspruch 1 des Hauptantrags die in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichte Fassung und Anspruch 1 der Hilfsanträge jeweils die mit der Beschwerdebegründung vom 9. Juni 2011 eingereichte Fassung erhalten sollten. Die weiteren Ansprüche des Hauptantrags sowie der Hilfsanträge (Unteransprüche 2 bis 19) sollten die Fassung gemäß Schreiben vom 16. Juni 2010 erhalten.

III. Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag lautet:

"Verfahren zum Herstellen von Chipstapeln aus mehreren Einzelchips (9) mit Chips (3), wobei zwischen vertikal benachbarten Chips (3) elektrisch leitfähige Verbindungen (7) bestehen mit folgenden Schritten in der genannten Reihenfolge:

a) Fixieren eines Basiswafers (1) auf einem Träger (5),

b) Platzieren mindestens einer Schicht von Einzelchips (9) in definierten Positionen auf dem Basiswafer (1),

c) Wärmebehandlung der Einzelchips (9) auf dem mit dem Träger (5) fixierten Basiswafer (1) zum Bonden der Einzelchips (9) auf dem Basiswafer (1) sowie Eingießen der Einzelchips (9) in eine Masse (11) und Aushärten der Masse (11) zur Stabilisierung des Basiswafers (1),

d) Ablösung des Trägers (5) und

e) Trennen der Chipstapel."

Anspruch 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag lautet:

"Verfahren zum Herstellen von Chipstapeln aus mehreren Einzelchips (9) mit einer Chips (3) aufnehmenden Halterung aus Silizium, wobei die Einzelchips (9) auf einem Basiswafer (1) mit einer Dicke von weniger als 200 mym gestapelt werden, und wobei zwischen vertikal benachbarten Chips (3) der Einzelchips (9) und des Basiswafers (1) elektrisch leitfähige Verbindungen (7) bestehen mit folgenden Schritten in der genannten Reihenfolge:

a) Fixieren des Basiswafers (1) auf einem Träger (5),

b) Platzieren mindestens einer Schicht von Einzelchips (9) in definierten Positionen auf dem Basiswafer (1),

c) Wärmebehandlung der Einzelchips (9) auf dem mit dem Träger (5) fixierten Basiswafer (1) zum Bonden der Einzelchips (9) auf dem Basiswafer (1) sowie Eingießen der Einzelchips (9) in eine Masse (11) und Aushärten der Masse (11) zur Stabilisierung des Basiswafers (1),

d) Ablösung des Trägers (5) und

e) Trennen der Chipstapel, und wobei Schritt b) und c) in unterschiedlichen Geräten ausgeführt werden."

Anspruch 1 gemäß dem zweiten Hilfsantrag lautet:

"Verfahren zum Herstellen von Chipstapeln aus mehreren Einzelchips (9) mit einer Chips (3) aufnehmenden Halterung aus Silizium, wobei die Einzelchips (9) auf einem Basiswafer (1) mit einer Dicke von weniger als 200 mym gestapelt werden, und wobei zwischen vertikal benachbarten Chips (3) der Einzelchips (9) und des Basiswafers (1) elektrisch leitfähige Verbindungen (7) bestehen mit folgenden Schritten in der genannten Reihenfolge:

a) Fixieren des Basiswafers (1) auf einem Träger (5),

b) Platzieren mindestens einer Schicht von Einzelchips (9) in definierten Positionen auf dem Basiswafer (1),

c) Wärmebehandlung der Einzelchips (9) auf dem mit dem Träger (5) fixierten Basiswafer (1) zum Bonden der Einzelchips (9) auf dem Basiswafer (1) sowie Eingießen der Einzelchips (9) in eine Masse (11), Druckbeaufschlagung der Masse (11) und Aushärten der Masse (11) zur Stabilisierung des Basiswafers (1),

d) Ablösung des Trägers (5) und

e) Trennen der Chipstapel."

IV. Die Entscheidungsgründe der Prüfungsabteilung können, soweit sie für die vorliegende Entscheidung relevant sind, wie folgt zusammengefasst werden:

Der am 17. Juni 2010 eingereichte Anspruch 1 und der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag beträfen zwei unterschiedliche Erfindungen. Nach der Stellungnahme der Großen Beschwerdekammer G 2/92 (Begründung der Stellungnahme, Punkt 2) gelte das Prinzip, dass für eine Prüfungsgebühr nur eine Erfindung zu prüfen sei, was auch für den vorliegenden Fall Anwendung finden könne.

Aus diesem Grund und weil der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag die Erfordernisse gemäß Artikel 84 EPÜ (unklare Definition der Chips im Basiswafer und in Einzelchips) und Artikel 56 EPÜ (angesichts einer Kombination von Dl und D2) prima facie nicht zu erfüllen scheine, werde der Hauptantrag gemäß Regel 137(3) EPÜ nicht zugelassen.

Anspruch 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag sei nicht klar. Das Wort "Chip" habe im Fachgebiet der Halbleitertechnik die übliche Bedeutung eines durch Vereinzeln (z.B. durch Sägen oder Brechen) einer fertig bearbeiteten Halbleiterscheibe (Wafer) gewonnenen rechteckigen Teils. Ein Chip enthalte üblicherweise eine integrierte Schaltung, die bei der Bearbeitung der Halbleiterscheibe an jeder Chipstelle entstehe.

In der vorliegenden Anmeldung scheine das Wort "Chip" demgegenüber zu bezeichnen, was in der Halbleitertechnik gewöhnlich "integrierte Schaltung" genannt werde.

Die Bedeutung des Merkmals "Chip" in der vorliegenden Anmeldung weiche also von der im Fachgebiet der Halbleitertechnik üblichen Bedeutung ab, was den Gegenstand des Anspruchs 1 unklar mache. In einem solchen Fall müsse gemäß den Richtlinien C-III, 4.1 die spezielle (oder anmeldungsinterne) Definition dieses Merkmals im Hauptanspruch stehen, damit die inhaltliche Bedeutung des Hauptanspruchs für den Fachmann schon aus dem Wortlaut des Anspruchs allein klar hervorgehe (Richtlinien C-III, 4.2).

Der Anspruch enthalte aber in einem ersten Fall (Chip im Einzelchip) eine unklare Definition und in einem zweiten Fall (Chips im Basiswafer) gar keine Definition des Begriffes "Chip".

Nach Anspruch 1 seien die Einzelchips "mit einer Chips aufnehmenden Halterung aus Silizium" versehen, obwohl in der ursprünglichen Beschreibung auf Seite 12, letzter Satz im ersten Abschnitt stehe: "Die Einzelchips sind aus je einem Chip und einer den Chip aufnehmenden Halterung gebildet, die aus Silizium besteht". Die Diskrepanz zwischen dem Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag, der mehrere Chips in einem Einzelchip nicht ausschließe, und dem Wortlaut der ursprünglichen Beschreibung, der einen einzigen Chip in einem Einzelchip vorgebe, mache den Gegenstand des Hauptanspruchs unklar.

Darüber hinaus sei im Anspruch 1 das Merkmal "Chip" nur in Bezug auf die Einzelchips erläutert und nicht in Bezug auf den Basiswafer, welcher nach dem Wortlaut von Anspruch 1 auch Chips enthalte ("Chips der Einzelchips und des Basiswafers"). In Seite 11, zweiter kompletter Abschnitt der Beschreibung enthalte die Definition eines Chips in einem Basiswafer. Da Anspruch 1 diese Definition nicht enthalte, sei das Merkmal "Chip" in Bezug auf den Basiswafer unklar.

Außerdem beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 nach jedem der Hilfsanträge 1 und 2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ, sodass die Erfordernisse des Artikels 52 (1) EPÜ nicht erfüllt seien.

V. Die Argumente der Beschwerdeführerin, soweit sie für die vorliegende Entscheidung relevant sind, können wie folgt zusammengefasst werden:

Die Prüfungsabteilung habe in ihrer Entscheidung ihr Ermessen gemäß Regel 137 (3) EPU nicht nach Maßgabe der richtigen Kriterien, beziehungsweise in unangemessener Weise, ausgeübt.

In Bezug auf Klarheit sei festzustellen, dass sich - wie der Beschreibung zu entnehmen sei - die vorliegende Erfindung auf ein technisch ausführbares C2W ("Chip to Wafer") Verfahren zur Herstellung von 3D ICs beziehe (Seite 2, erster Absatz). Der Fachmann verstehe unter dem Begriff "Chip to Wafer" ein Verfahren, in dem einzele Chips ("Einzelchips") auf Chips, die auf dem Basiswafers gebildet seien, gestapelt würden.

In der Definition des Begriffs "Einzelchip", die in der Beschreibung gegeben werde ("Die Einzelchips 9 sind aus je einem Chip 3 und einer den Chip 3 aufnehmenden Halterung gebildet, die aus Silizium besteht" - Seite 12, erster Absatz, letzter Satz), sei der Ausdruck "Halterung" im Sinne von "Substrat" zu verstehen. Dies sei in den Figuren zu erkennen, weil die Darstellung des Basiswafers (d.h. Wafersubstrat mit Chip) und die Darstellung des Einzelchips (d.h. Halterung mit Chip) gleich seien. Hieraus werde es dem Fachmann klar, dass die Halterung ein Wafersubstrat sei.

Es sei deshalb für den Fachmann klar, dass in der vorliegende Anmeldung die Begriffe "Chip" und "Einzelchip" jeweils in der oben genannten Weise zu verstehen seien.

Der Gegenstand nach Anspruch 1 des Hauptantrags sei nicht nur neu, sondern beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Diese Feststellung gelte ebenfalls für die Hilfsanträge 1 und 2.

VI. In einem Bescheid gemäß Artikel 15 (1) VOBK, teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung mit, dass der Gegenstand nach Anspruch 1 des Hauptantrags nicht erfinderisch sei und dass hinsichtlich der Hilfsanträge 1 und 2 kein überzeugender Grund bestehe, von der erstinstanzlichen Entscheidung abzuweichen. Außerdem werde die Frage der Klarheit in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erörtert werden.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag: Zulässigkeit

2.1 Die Prüfungsabteilung hat den Hauptantrag in Ausübung ihres Ermessens gemäß Regel 137(3) EPÜ nicht in das Prüfungsverfahren zugelassen.

Mit ihrer Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin denselben Antrag erneut gestellt und seine Zulassung in das Verfahren beantragt. Im Verlauf der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat sie einen neuen Anspruch 1 des Hauptantrags eingereicht. Die Kammer stellt fest, dass zumindest einige der behaupteten Mängel der vorherigen Fassung von Anspruch 1, die zur Nichtzulassung des Hauptantrags geführt haben, in der gegenwärtigen Fassung fortbestehen (siehe Punkte 1.3 bis 1.5 der Gründe der angefochtenen Entscheidung).

Es stellt sich somit die Frage der Zulässigkeit des Hauptantrags im Beschwerdeverfahren.

2.2 Gemäß Artikel 12 (4) VOBK hat die Kammer die Befugnis, Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen worden sind. Die Befugnis, solche Anträge nicht zuzulassen, impliziert im Umkehrschluss die Berechtigung zur Zulassung.

2.3 Dem steht nicht entgegen, dass die Beschwerdekammern nach ihrer ständigen Rechtsprechung in ihrer Kompetenz zur Überprüfung von Ermessensentscheidungen der ersten Instanz unter bestimmten Umständen beschränkt sind.

In ihrer Entscheidung G 7/93 befasste sich die Große Beschwerdekammer unter anderem mit der Überprüfbarkeit von Ermessensentscheidungen nach Regel 86 (3) EPÜ 1973 (entspricht Regel 137(3) EPÜ 2000), Änderungen der Europäischen Patentanmeldung im Prüfungsverfahren zuzulassen. Unter Punkt 2.6 der Entscheidungsgründe hat sich die Große Beschwerdekammer wie folgt geäußert:

"Wenn eine Prüfungsabteilung in einem konkreten Einzelfall in Ausübung ihres Ermessens nach Regel 86 (3) EPÜ gegen den Anmelder entschieden hat und dieser die Art und Weise der Ermessensausübung mit einer Beschwerde anficht, ist es nicht Aufgabe der Beschwerdekammer, die Sachlage des Falls nochmals wie ein erstinstanzliches Organ zu prüfen, um zu entscheiden, ob sie das Ermessen in derselben Weise ausgeübt hätte. Ein erstinstanzliches Organ, das nach dem EPÜ unter bestimmten Umständen Ermessensentscheidungen zu treffen hat, muß nämlich bei der Ausübung dieses Ermessens einen gewissen Freiraum haben, in den die Beschwerdekammern nicht eingreifen. In Fällen wie demjenigen, der bei der vorlegenden Kammer anhängig ist, sollte sich eine Beschwerdekammer nur dann über die Art und Weise, in der die erste Instanz ihr Ermessen ausgeübt hat, hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluß gelangt, daß die erste Instanz ihr Ermessen nicht nach Maßgabe der unter Nummer 2.5 dargelegten richtigen Kriterien oder in unangemessener Weise ausgeübt und damit den ihr eingeräumten Ermessensspielraum überschritten hat."

Diese Auffassung ist in der Literatur auf Zustimmung gestoßen (siehe z.B. Günzel, Sonderausgabe ABl. EPA, 2/2007, Seite 30 - 47, Punkt 7).

Auch die Beschwerdekammern sind diesem Ansatz grundsätzlich gefolgt (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 8. Aufl. (2016), IV.C.1.2.2a).

2.4 Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass diese Beschränkung der Entscheidungsbefugnis der Beschwerdekammern nach der zitierten Passage der Entscheidung G 7/93 ausdrücklich nur in "Fällen wie demjenigen, der bei der vorlegenden Kammer anhängig ist" gelten soll.

Dieser Fall war dadurch gekennzeichnet, dass die Prüfungsabteilung die Anmelderin zunächst in einer Mitteilung nach Regel 51(4) EPÜ 1973 um ihr Einverständnis mit dem Text des zu erteilenden Patents gebeten hat, die Anmelderin ihr Einverständnis fristgemäß erklärt hat, die Prüfungsabteilung die Anmelderin deshalb aufgefordert hat, die nach Regel 51(6) EPÜ 1973 erforderlichen weiteren Handlungen (Zahlung der Gebühren und Vorlage von Übersetzungen) vorzunehmen und die Anmelderin daraufhin ihre Zustimmung zu dem Text widerrufen und Änderungen an der Anmeldung vorgenommen hat. In dieser Situation hat die Prüfungsabteilung in Ausübung ihres Ermessens nach Regel 86(3) EPÜ 1973 entschieden, diese Änderungen nicht zu akzeptieren und die Anmeldung zurückzuweisen.

Zusammenfassend betraf die Entscheidung G 7/93 eine Ermessensentscheidung der Prüfungsabteilung, die lediglich die Verfahrensführung vor dieser Abteilung zum Gegenstand hatte, wobei der späte Zeitpunkt der Änderung wesentlich war.

2.5 Im vorliegenden Fall ist der Sachverhalt hingegen anders gelagert. Die Prüfungsabteilung hat hier zwar ebenfalls nach Regel 137(3) EPÜ (entspricht Regel 86(3) EPÜ 1973) entschieden.

Regel 137(3) EPÜ hat jedoch einen breiten Anwendungsbereich. Nach dieser Vorschrift können nach der Erwiderung auf Mitteilungen des Europäischen Patentamts nach Regel 70a(1), (2) oder Regel 161 Absatz 1 EPÜ Änderungen einer europäischen Patentanmeldung nur mit Zustimmung der Prüfungsabteilung vorgenommen werden. Die Zulassung solcher Änderungen steht somit in das Ermessen der Prüfungsabteilung. Die Prüfungsabteilung hat die Ausübung ihres Ermessens zu begründen, einen Antrag nicht zuzulassen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes, 8. Auflage 2016, IV.B.2.6.1). Dabei ist die Nichtzulassung von Änderungen nach Regel 137 (3) EPÜ nicht auf Verspätungsfälle beschränkt. Vielmehr kann eine solche Ermessensentscheidung aus materiellrechtlichen Gründen, aus verfahrensrechtlichen Gründen oder auf eine Kombination beider Aspekte gestützt werden.

In vorliegenden Fall hat sich die Prüfungsabteilung nicht darauf berufen, dass der Hauptantrag verspätet eingereicht wurde; weder die verspätete Einreichung des Antrags noch andere verfahrensrechtlichen Einwände haben für die Ermessensentscheidung der Prüfungsabteilung eine Rolle gespielt. Vielmehr hat die Prüfungsabteilung den Hauptantrag allein mit der Begründung nicht in das Prüfungsverfahren zugelassen, dieser erfülle nicht die Erfordernisse der Artikel 84 und 56 EPÜ und missachte einen aus der Stellungnahme G 2/92 abgeleiteten Grundsatz. Damit waren allein materiellrechtliche Gründe ausschlaggebend.

2.6 Da die Ermessensentscheidung der Prüfungsabteilung, den Hauptantrag nicht zuzulassen, aus materiellrechtlichen Gründen und nicht aus verfahrensrechtlichen Gründen getroffen wurde, können die in der Entscheidung G 7/93 aufgestellten Grundsätze in dem vorliegenden Fall nicht zur Anwendung kommen. Zur Überprüfung steht vielmehr die Ermessensentscheidung eingeflossene materiellrechtliche Wertung (Klarheit; erfinderische Tätigkeit u.s.w.), die den Kern der Überprüfungskompetenz der Beschwerdekammern betrifft.

2.7 Diesen Gesichtspunkt hat inzwischen auch die Kammer 3.5.06 für ihre Entscheidung herangezogen, einen Hilfsantrag, der von der Prüfungsabteilung ermessensfehlerfrei nicht zugelassen wurde, und der mit der Beschwerde erneut gestellt wurde, in das Beschwerdeverfahren zuzulassen (T 820/14 vom 29. November 2016, Ziffer 11 der Entscheidungsgründe; in diesem Sinne auch: T 556/13 vom 14. Oktober 2016, Ziffer 2.1.8 der Entscheidungsgründe; und T 971/11 vom 4. März 2016 im Falle der verspäteten Vorlage von Dokumenten im Einspruchsverfahren). Die Kammer schließt sich dieser Rechtsprechung an.

2.8 Aus dem Gesagten folgt, dass die Entscheidung G 7/93 in einem Fall wie dem Vorliegenden, in dem die Prüfungsabteilung einen Antrag aus materiellrechtlichen Gründen nicht zugelassen hat, der Zulassung denselben Antrags in das Beschwerdeverfahren nicht entgegen steht. Die Kammer hat vielmehr das ihr durch Artikel 12(4) VOBK eingeräumte Ermessen vollumfänglich selbst auszuüben.

2.9 Mit Ausnahme des Umstands, dass der damals gültige Hauptantrag von der Prüfungsabteilung nicht zugelassen wurde, sind keine Gründe ersichtlich, aus denen der bereits mit der Beschwerdebegründung vorgelegte Hauptantrag nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen werden sollte. Soweit der Anspruch 1 des Hauptantrags in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer modifiziert wurde, geschah dies in Reaktion auf den Verlauf der mündlichen Verhandlung. Dabei haben die vorgenommenen Änderungen keine neuen und schwierigen Fragen aufgeworfen, die von der Kammer in der mündlichen Verhandlung nicht hätten behandelt werden können.

2.10 Folglich ist die Kammer in Ausübung ihres eigenen Ermessens zu dem Schluss gekommen, den Hauptantrag in der letztlich zur Entscheidung gestellten Fassung in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

3. Hauptantrag: Artikel 84 EPÜ 1973

3.1 Anspruch 1 definiert ein "Verfahren zum Herstellen von Chipstapeln aus mehreren Einzelchips (9) mit Chips (3)...". Die Chipstapel umfassen auch einen "Basiswafer".

Klar im Sinne von Artikel 84 EPÜ 1973 wäre diese Formulierung nur, wenn dem Fachmann die genaue Bedeutung der Begriffe "Chip", "Einzelchip" und "Basiswafer" in Anspruch 1 aus sich heraus ohne weiteres verständlich wären.

3.2 Das Herstellungsverfahren einer integrierten Halbleiterschaltungsanordnung beginnt normalerweise mit einer dünnen Scheibe, die von einem Halbleiteringot geschnitten wird. In der Terminologie des Fachgebiets wird diese Scheibe als "Wafer" bezeichnet.

Durch eine Reihe von Verfahrensschritten wird eine zweidimensionale Anordnung von identischen integrierten Schaltkreisen auf der Scheibe gebildet. Häufig wird die daraus resultierende Struktur ebenfalls als "Wafer" bezeichnet.

Anschließend wird der Wafer z.B. durch Sägen in einzelne Elemente zertrennt. Jedes Element umfasst ein Stück des Wafers (Substrat), auf dem ein einzelner integrierter Schaltkreis gebildet ist. Der Ausdruck "Chip" in seinem herkömmlichen Sinne bezeichnet dieses zertrennte Stück des Wafers mit der darauf gebildeten integrierten Schaltung.

3.3 Weder Anspruch 1 noch die Anmeldung im Übrigen enthält einen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass diese Begriffe abweichend von der üblichen Terminologie des Fachgebietes zu verstehen sind. Daher geht die Kammer davon aus, dass die Ausdrücke "Chip" und "Wafer" (in "Basiswafer") im vorgenannten Sinn verwendet werden.

Es bleibt die Frage: was der Ausdruck "Einzelchip" bedeutet? Der Definition: "aus mehreren Einzelchips (9) mit Chips (3)" ist zu entnehmen, dass ein Einzelchip einen Chip umfasst. Die Vorsilbe "Einzel" deutet darauf hin, dass ein Einzelchip nur einen einzigen Chip enthält. Allerdings ergibt sich aus der logischen Struktur des Anspruchs 1, dass ein Chip und ein Einzelchip nicht identisch sind. Ein Einzelchip muss deshalb etwas mehr als ein Chip enthalten. Es fehlt jedoch in Anspruch 1 ein Merkmal, mit dem sich ein Einzelchip von einem Chip unterscheiden kann.

3.4 Grundsätzlich müssen die Patentansprüche für einen Fachmann in sich deutlich sein, so dass er nicht den Inhalt der Beschreibung hinzuziehen muss (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 8. Auflage, 2016, II.A.3.1).

Das Merkmal "Einzelchip" in Anspruch 1 ist weder ein Standardbegriff in dem Fachgebiet noch wird es durch den Anspruch selbst definiert. Auch erschließt sich seine Bedeutung nicht aus dem Kontext des Anspruchs. Schon alleine aus diesem Grund erfüllt der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ 1973.

4. 1. Hilfsantrag: Artikel 84 EPÜ 1973

4.1 Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags definiert ein Verfahren zum Herstellen von Chipstapeln "aus mehreren Einzelchips (9) mit einer Chips (3) aufnehmenden Halterung aus Silizium".

Nach Auffassung der Kammer kann diese Formulierung nur dahingehend verstanden werden, dass das Herstellungsverfahren Chipstapel ergibt, wobei jeder Chipstapel aus mehreren Einzelchips gebildet wird und wobei jeder Einzelchip aus einem Chip und einer entsprechenden Halterung besteht. Dies wirft in Zusammenhang mit den anderen beanspruchten Merkmalen weitere Klarheitsfragen auf.

4.2 Ein wichtiger Aspekt des Klarheitserfordernis gemäß Artikel 84 EPÜ 1973 ist, dass ein Anspruch widerspruchsfrei sein sollte. Insbesondere wenn, wie im vorliegenden Fall, der Anspruch ein Herstellungsverfahren sowie das auf diese Weise hergestellte Produkt definiert, muss außer Zweifel stehen, dass die Ausführung der beanspruchten Verfahrenschritte zu dem beanspruchten Produkt führt. Wenn in einem Anspruch mehrere alternative Herstellungsverfahren definiert werden, müssen alle Alternativen zu dem beanspruchten Produkt führen.

4.3 In der Reihe der in Anspruch 1 definierten Verfahrensschritte steht allein ein Schritt in unmittelbarem Bezug zur Bildung eines Stapels: "Platzieren mindestens einer Schicht von Einzelchips (9) in definierten Positionen auf dem Basiswafer (1)". Daraus folgt logischerweise, dass nachdem der Chipstapel getrennt wird, das so hergestellte Produkt aus nur einem Einzelchip auf dem Basiswafer bestehen kann. Dieses Produkt entspricht nicht einem Chipstapel "aus mehreren Einzelchips".

4.4 Es stimmt zwar, dass Anspruch 1 auch das Merkmal "Chips (3)...des Basiswafers (1)" erwähnt, aber es ist nicht klar, was genau mit diesem Ausdruck gemeint ist: Chips, die nach der Trennung des Basiswafers gebildet werden, oder Chips, die auf irgendeine andere nicht definierte Weise mit dem Basiswafer verbunden sind.

Unabhängig von der genauen Bedeutung dieses Ausdrucks definiert dieses Merkmal "Chips" - und nicht "Einzelchips" - des Basiswafers. Bei dem beanspruchten Herstellungsverfahren, im dem nur eine Schicht von Einzelchips auf dem Basiswafer platziert wird, besteht das so hergestellte Produkt aus einem Stapel, der ein Chip des Basiswafers und ausschließlich ein Einzelchip umfasst, was dem beanspruchten Chipstapel aus mehreren Einzelchips nicht entspricht.

In diesem Fall stellt die Kammer fest, dass die Ausführung der beanspruchten Verfahrenschritte nicht zu dem beanspruchten Produkt führt, was Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags unklar macht (Artikel 84 EPÜ 1973).

5. 2. Hilfsantrag: Artikel 84 EPÜ 1973

Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags nur in Bezug auf Merkmale, die die vorangegangene Klarheitsanalyse des ersten Hilfsantrags nicht betreffen. Folglich erfüllt Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ 1973.

6. Auslegung unter Berücksichtigung der Beschreibung

6.1 Die Beschreibung wird bei der Auslegung der Ansprüche herangezogen und ist in einigen Fällen auch bei der Prüfung von Klarheit berücksichtigt worden (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 8. Auflage, 2016, II.A.3.1 und II.A.6.3).

Es ist nicht notwendig, dass die Kammer überprüft, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang dieses Vorgehen gerechtfertigt ist, da im vorliegenden Fall die Beschreibung keine Lösungen der oben erwähnten Klarheitsprobleme bietet.

6.2 In Bezug auf den Hauptantrag ist die fehlende Definition des "Einzelchips" in der Beschreibung (Seite 12, Zeile 7-8) zu finden. Aber eine solche Auslegung des Ausdrucks "Einzelchip" würde lediglich zu den Klarheitsproblemen führen, die bereits im Zusammenhang mit dem ersten Hilfsantrag erwähnt wurden.

6.3 Ferner wird in der Beschreibung (Seite 11, zweiter vollständiger Absatz) Folgendes ausgeführt:

"In Figur 2a ist ein aus Silizium bestehender Basiswafer 1 dargestellt, dessen Vorderseite 2 durch vorherige Behandlungsschritte mit Chips 3 bestückt ist, die in die Oberfläche 2 bündig eingearbeitet sind."

Diese Aussage klärt nicht, was genau mit "Chips des Basiswafers" gemeint ist und beseitigt nicht den oben unter Punkt 4.4 gemachten Klarheitseinwand.

7. Auslegung der Beschwerdeführerin

7.1 Auf der Grundlage ihres mündlichen Vorbringens versteht die Kammer die Auslegung der Beschwerdeführerin dahingehend, dass ein Chip einem integrierten Schaltkreis der zweidimensionalen Anordnung von integrierten Schaltkreisen auf der Wafer entspricht. Der Ausdruck "Chip des Basiswafers" ist in diesem Sinne zu verstehen. Der Ausdruck "Einzelchip" bezeichnet ein vom Wafer zertrenntes Stück des Wafers (Substrat) mit einer darauf gebildeten integrierten Schaltung, und die "Halterung" ist als "Substrat" zu verstehen.

7.2 Es ist nicht möglich einen Begriff, der eine im Fachgebiet eindeutige technische Bedeutung hat, neu zu definieren, selbst wenn die neue Definition im Text der Beschreibung erscheint (T 2221/10, Punkt 33 der Entscheidungsgründe).

Im vorliegenden Fall, in dem die Neudefinitionen erst im Vorbringen der Anmelderin/Beschwerdeführerin vorgeschlagen wurden, gibt es noch weniger Anlass solche Definitionen zu akzeptieren.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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