European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2022:T103819.20220906 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 06 September 2022 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1038/19 | ||||||||
Anmeldenummer: | 09176083.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | A23D 9/00 C12P 7/64 A23L 33/115 C12N 15/82 C11B 1/00 C12N 9/02 A23D 9/02 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Herstellung mehrfach ungesättigter Fettsäuren in transgenen Organismen | ||||||||
Name des Anmelders: | BASF Plant Science GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation |
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Kammer: | 3.3.08 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Hauptantrag, Hilfsanträge 1B bis 1D, 2A bis 2D, 3A bis 3C, 4A bis 4C - Änderungen - zulässig (nein) Hilfsantrag 6A - Erfordermisse des EPÜ erfüllt - (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden ("Beschwerdeführerin") richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent mit der Nummer 2 166 069 in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten. Das Streitpatent basiert auf der europäischen Patentanmeldung Nr. 09 176 083.5, die eine Teilanmeldung der früheren europäischen Patentanmeldung Nr. 04 763 291.4 ist, welche unter dem PCT als internationale Anmeldung eingereicht und als WO2005/012316 (nachfolgend als "Stammanmeldung" bezeichnet) veröffentlicht wurde.
II. Die Einspruchsabteilung kam in der angefochtenen Entscheidung zu der Auffassung, dass der Gegenstand des Hauptantrags (eingereicht als Hilfsantrag 3A am 26. September 2018) nicht erfinderisch sei, während der Gegenstand von Hilfsantrag 1, der während der mündlichen Verhandlung am 26. November 2018 eingereicht wurde, den Erfordernissen des EPÜ genügte.
III. Die Beschwerdeführerin erhob in ihrer Beschwerdebegründung Einwände wegen:
- unzulässiger Änderung des Gegenstands wie ursprünglich eingereicht bezüglich Anspruch 6 (Artikel 76(1) und 123(2) EPÜ),
- unzureichender Offenbarung (Artikel 83 EPÜ),
- mangelnder Neuheit des Gegenstands der Ansprüche 1, 5 und 6 gegenüber der Entgegenhaltung D12 (Artikel 54 EPÜ), sowie
- mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
Daher sei das Patent zu widerrufen.
IV. Die Beschwerdegegnerin hielt in ihrer Beschwerdeerwiderung den Hauptantrag (Ansprüche wie von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten) aufrecht und überreichte Hilfsanträge 1B, 1C, 1D, 2A, 2B, 2C, 2D, 3A, 3B, 3C, 4A, 4B, 4C, 5A, und 5B. Die Hilfsanträge 2A bis 2D entsprechen den Hilfsanträgen 5A bis 5D, die bereits am 26. September 2018 im Einspruchsverfahren eingereicht worden waren.
V. In Antwort darauf erhob die Beschwerdeführerin weitere Einwände wegen unzulässiger Änderung des Gegenstands wie ursprünglich eingereicht gegen Anspruch 1 des Hauptantrags, sowie gegen Anspruch 1 aller Hilfsanträge. Des Weiteren wurden Einwände wegen unzulässiger Erweiterung des beanspruchten Schutzbereichs gegen die Hilfsanträge 5A und 5B erhoben. Weitere Einwände wurden unter mangelnder Klarheit und erfinderischer Tätigkeit gegen die eingeführten Änderungen einiger Hilfsanträge erhoben. Des Weiteren sprach sie sich gegen die Zulassung aller Hilfsanträge aus, die erstmals im Beschwerdeverfahren eingereicht wurden, sowie gegen die Hilfsanträge die nicht im erstinstanzlichen Verfahren zugelassen wurden.
VI. Die Parteien wurden in einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK über die vorläufige Meinung der Kammer informiert.
VII. In Antwort darauf wurden von der Beschwerdegegnerin die Hilfsanträge 6A und 6B eingereicht.
VIII. Die mündliche Verhandlung fand am 6. September 2022statt. Die Beschwerdeführerin nahm in der Verhandlung den im schriftlichen Verfahren gestellten Antrag, die neu im Beschwerdeverfahren gestellten Hilfsanträge bzw. die nicht bereits zugelassenen Hilfsanträge nicht im Verfahren zu berücksichtigen, zurück. Die Beschwerdegegnerin nahm in der Verhandlung die Hilfsanträge 5A und 5B zurück.
IX. Anspruch 1 des Hauptantrags (Ansprüche wie von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten) und der Hilfsanträge 1B, 2A und 2B lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung von Verbindungen der allgemeinen Formel I
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
in transgenen nicht-humanen Organismen mit einem Gehalt von mindestens 1 Gew.-% dieser Verbindungen bezogen auf den Gesamtlipidgehalt des transgenen nicht-humanen Organismus, dadurch gekennzeichnet, dass es folgende Verfahrensschritte umfasst:
a) Einbringen mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta6-Desaturase-Aktivität kodiert, und
b) Einbringen mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta6-Elongase-Aktivität kodiert, und
c) Einbringen mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta5-Desaturase-Aktivität kodiert, und
d) Einbringen mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta5-Elongase-Aktivität kodiert, und
e) Einbringen mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta4-Desaturase-Aktivität kodiert, und
wobei die Variablen und Substituenten in der Formel I die folgende Bedeutung haben:
R**(1) = Hydroxyl-, CoenzymA-(Thioester), Lyso-Phosphatidylcholin-, Lyso-Phosphatidylethanolamin-, Lyso-Phosphatidylglycerol-, Lyso-Diphosphatidylglycerol-, Lyso-Phosphatidylserin-, Lyso-Phosphatidylinositol-, Sphingobase-, oder einen Rest der allgemeinen Formel II
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
R**(2) = Wasserstoff-, Lyso-Phosphatidylcholin-, Lyso-Phosphatidylethanolamin-, Lyso-Phosphatidylglycerol-, Lyso-Diphosphatidylglycerol-, Lyso-Phosphatidylserin-, Lyso-Phosphatidylinositol- oder gesättigtes oder ungesättigtes C2-C24-Alkylcarbonyl-,
R**(3) = Wasserstoff-, gesättigtes oder ungesättigtes C2-C24-Alkylcarbonyl-, oder R**(2) oder R**(3) unabhängig voneinander einen Rest der allgemeinen Formel Ia:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
n = 2, 3, 4, 5, 6, 7 oder 9, m = 2, 3, 4, 5 oder 6 und p = 0 oder 3, wobei die Nukleinsäure mit einer Sequenz, die für das Polypeptid mit Delta5-Elongaseaktivität kodiert, ausgewählt ist aus der Gruppe bestehend aus:
a) einer Nukleinsäure mit der in SEQ ID NO: 67 dargestellten Sequenz, oder
b) Nukleinsäuren, die sich als Ergebnis des degenerierten genetischen Codes von der in SEQ ID NO: 68 dargestellten Aminosäuresequenz ableiten lassen, oder
c) Derivate der in SEQ ID NO: 67 dargestellten Nukleinsäuresequenz, die für Polypeptide mit mindestens 40% Identität auf Aminosäureebene mit SEQ ID NO: 68 kodieren und eine Delta5-Elongaseaktivität aufweisen."
X. Anspruch 2 des Hauptantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags nur dadurch, dass im Verfahrensschritt a) das Merkmal "Delta6-Desaturase-Aktivität" durch das Merkmal "Delta9-Elongase-Aktivität" ersetzt wurde, und in Verfahrensschritt b) das Merkmal "Delta6-Elongase-Aktivität" durch das Merkmal "Delta8-Desaturase-Aktivität" ersetzt wurde.
XI. Anspruch 1 der Hilfsanträge 1C und 2C unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass im Begriff "in transgenen nicht-humanen Organismen" der Bezug auf "nicht-humanen" gestrichen wurde, und das Merkmal "wobei der transgene Organismus eine transgene Pflanze ist" hinzugefügt wurde.
XII. Anspruch 1 der Hilfsanträge 1D und 2D unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass im Begriff "in transgenen nicht-humanen Organismen" der Bezug auf "nicht-humanen" gestrichen wurde, das Merkmal "wobei der transgene Organismus eine transgene Pflanze ist" hinzugefügt wurde, sowie das Merkmal "mindestens 40% Identität" durch das Merkmal "mindestens 50% Identität" ersetzt wurde.
XIII. Die Ansprüche 1 und 2 von Hilfsantrag 3A, sowie Anspruch 1 von Hilfsantrag 3B unterscheiden sich von den entsprechenden Ansprüchen des Hauptantrags dadurch, dass das Merkmal "über den gesamten Aminosäuresequenzbereich" hinzugefügt wurde.
XIV. Anspruch 1 von Hilfsantrag 3C unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass im Begriff "in transgenen nicht-humanen Organismen" der Bezug auf "nicht-humanen" gestrichen wurde, und die Merkmale "wobei der transgene Organismus eine transgene Pflanze ist" sowie "über den gesamten Aminosäuresequenzbereich" hinzugefügt wurde.
XV. Die Ansprüche 1 und 2 von Hilfsantrag 4A, sowie Anspruch 1 von Hilfsantrag 4B unterscheiden sich von den entsprechenden Ansprüchen des Hauptantrags dadurch, dass das Merkmal "wobei Verbindungen der allgemeinen Formel I im Samen der Pflanze hergestellt werden" hinzugefügt wurde.
XVI. Anspruch 1 von Hilfsantrag 4C unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass im Begriff "in transgenen nicht-humanen Organismen" der Bezug auf "nicht-humanen" gestrichen wurde, und die Merkmale "wobei der transgene Organismus eine transgene Pflanze ist" sowie "und wobei Verbindungen der allgemeinen Formel I im Samen der Pflanze hergestellt werden" hinzugefügt wurde.
XVII. Anspruch 1 von Hilfsantrag 6A lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung der Verbindungen Docosahexaensäure (DHA) und Eicosapentaensäure (EPA) in transgenen nicht-humanen Organismen mit einem Gehalt von mindestens 1 Gew.-% dieser Verbindungen bezogen auf den Gesamtlipidgehalt des transgenen nicht-humanen Organismus, dadurch gekennzeichnet, dass es folgende Verfahrensschritte umfasst:
a) Einbringen mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta6-Desaturase-Aktivität kodiert, und
b) Einbringen mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta6-Elongase-Aktivität kodiert, und
c) Einbringen mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta5-Desaturase-Aktivität kodiert, und
d) Einbringen mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta5-Elongase-Aktivität kodiert, und
e) Einbringen mindestens einer Nukleinsäure mit einer Sequenz in den Organismus, welche für eine Delta4-Desaturase-Aktivität kodiert, und
wobei die Nukleinsäure mit einer Sequenz, die für das Polypeptid mit Delta5-Elongaseaktivität kodiert, ausgewählt ist aus der Gruppe bestehend aus:
a) einer Nukleinsäure mit der in SEQ ID NO: 67 dargestellten Sequenz, oder
b) Nukleinsäuren, die sich als Ergebnis des degenerierten genetischen Codes von der in SEQ ID NO: 68 dargestellten Aminosäuresequenz ableiten lassen, oder
c) Derivate der in SEQ ID NO: 67 dargestellten Nukleinsäuresequenz, die für Polypeptide mit mindestens 40% Identität auf Aminosäureebene mit SEQ ID NO: 68 kodieren und eine Delta5-Elongaseaktivität aufweisen."
XVIII. Die folgenden Entgegenhaltungen (Dokumente) werden in dieser Entscheidung genannt:
D9: WO2005/083093 (veröffentlicht 9. September 2005);
D11: US2003/0163845 (veröffentlicht 28. August 2003);
D12: WO2004/071467 (veröffentlicht 26. August 2004);
D13: Drexler H. et al., Journal of Plant Physiology,
2003, Bd. 160, 779-802;
D14: WO02/090493 (veröffentlicht 14. November 2002);
D15: Abbadi A. et al., European Journal Lipid Science
and Technology, 2001, Bd. 103, 106-113;
D57: Aktualisierte Liste mit 70 Fettsäuren, die von der
allgemeinen Formel I aus Anspruch 8 wie erteilt
umfasst sind (eingereicht mit der
Beschwerdebegründung);
Anhang A: Sequenzvergleich verschiedener Delta5-Elongasen
mittels Emboss Needle (eingereicht mit der
Einspruchsschrift);
Anhang C: Sequenzvergleich verschiedener Delta5-Elongasen
mittels BLASTp (eingereicht mit Schriftsatz
vom 26. September 2018).
XIX. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lauten wie folgt:
Zulassung und Berücksichtigung ihres Vorbringens im Schriftsatz vom 15. Februar 2022 (u.a. Einwand wegen unzulässiger Erweiterung)
Die neu vorgebrachten Argumente unter unzulässiger Änderung des Gegenstands wie ursprünglich eingereicht gegen Anspruch 1 des Hauptantrags seien durch die Entscheidung T 1773/18 veranlasst. Diese Entscheidung sei den Parteien am 26. Januar 2022 in einem Parallelverfahren (über eine weitere Teilanmeldung) zugestellt worden. Damit seien der Schriftsatz und die Argumente unter unzulässiger Änderung, die auf diese Entscheidung Bezug nähmen, bereits 3 Wochen später eingereicht worden, d.h. zum frühest möglichen Zeitpunkt. Diese Argumente hätten nicht früher eingereicht werden können, weil die Entscheidung T 1773/18 zuvor nicht bekannt gewesen sei. Des Weiteren seien diese Argumente somit 6 Monate vor der anberaumten mündlichen Verhandlung eingereicht worden, d.h. alle am Verfahren beteiligten Parteien hätten ausreichend Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten. Unabhängig davon seien diese Argumente bereits von der Kammer in ihrer Mitteilung unter Artikel 15(1) VOBK aufgegriffen worden.
Hauptantrag (Ansprüche wie aufrechterhalten), Hilfsanträge 1B bis 1D, 2A bis 2D, 3A bis 3C, sowie 4A bis 4C
Unzulässige Erweiterung
Die Stammanmeldung enthalte keine direkte und eindeutige Offenbarung für die Streichung der Delta9-Elongase in Schritt a) sowie der Delta8-Desaturase in Schritt b) im Verfahren von Anspruch 1. Dies sei bereits in der Entscheidung T 1773/18 festgestellt worden, die bei einer weiteren Teilanmeldung des Streitpatents einen fast identischen Sachverhalt geprüft habe. Ähnliche Argumente träfen auf den Gegenstand von Anspruch 2 des Hauptantrags zu. Darüber hinaus träfen diese Argumente auch auf Anspruch 1 der Hilfsanträge 1B bis 1D, 2A bis 2D, 3A bis 3C, sowie 4A bis 4C zu.
Hilfsantrag 6A
Unzulässige Erweiterung
Die Stammanmeldung enthalte keine Basis für die in Anspruch 1 angegebene Herstellung von mindestens 1 Gew.-% der Verbindungen DHA und EPA in transgenen nicht-humanen Organismen bezogen auf den Gesamtlipidgehalt dieser Organismen. Absatz 2 auf Seite 36 der Stammanmeldung nenne zwar unter anderem 1% EPA und/oder DHA, allerdings sei dieser Gehalt auf den "Gesamtfettsäuregehalt" des (Produktions-) Organismus bezogen, und nicht auf den in Anspruch 1 genannten "Gesamtlipidgehalt". Lipide seien nicht nur Fettsäuren, sondern umfassten unter anderem auch Steroide. Des Weiteren nenne dieser Absatz keine Gewichtsprozente.
Die Seite 7 der Stammanmeldung offenbare in den Zeilen 7 bis 13 nur das in der ursprünglichen Anmeldung beschriebene Verfahren für die Herstellung von Verbindungen der allgemeinen Formel I. Verbindungen, die als freie Fettsäuren interpretiert werden könnten, seien dort nicht genannt. Für die Auswahl von EPA oder DHA als freie Fettsäure sei eine Auswahl aus mehreren Variablen zu treffen. Die Variable R**(1) in Zeile 25 auf Seite 7 der Stammanmeldung nenne zwar "Hydroxyl", was einer freien Fettsäure entspräche, allerdings seien dort insgesamt 10 Substituenten für R**(1)genannt. Für die bevorzugte Herstellung von EPA oder DHA als freie Fettsäure gebe es jedoch keinen Hinweis. Absatz 2 auf der Seite 15 der Stammanmeldung bestehe aus zwei Sätzen. Der erste Satz nenne explizit "Fettsäureester", die keine freien Fettsäuren darstellten. Die im zweiten Satz genannten DHA und EPA seien somit keine Fettsäuren, sondern Fettsäureester. Die Stammanmeldung nenne niemals die Herstellung von freien Fettsäuren alleine, sondern stets die Herstellung von freien Fettsäuren gemeinsam mit Fettsäureestern (siehe Seite 75, Absatz 1).
Unzulässige Erweiterung des Schutzumfangs
Unter den Begriff "Herstellung der Verbindungen Docosahexaensäure (DHA) und Eicosapentaensäure (EPA)" in Anspruch 1 fielen alle möglichen DHA- und EPA-Verbindungen bzw. Derivate davon. Anspruch 1 sei somit nicht auf DHA und EPA als freie Fettsäuren beschränkt, weil der Begriff "der Verbindungen" breit auszulegen sei. Dies ergebe sich auch aus der Stammanmeldung, die zum Beispiel auf der Seite 16 in den Zeilen 31 bis 36 offenbare, dass in einer "transgenen Pflanze als Endprodukte nur ARA, EPA oder nur DHA im erfindungsgemäßen Verfahren gebunden oder als freie Säuren hergestellt" würden. Dies bedeute, dass transgene Organismen immer Mischungen von gebundenen Fettsäuren, d.h. in ihrer Form als Ester, und freien Fettsäuren herstellten. Dies treffe auch auf Seite 15, Zeile 11 der Stammanmeldung zu, die "Fettsäureester" nenne. Somit fielen unter den Begriff "der Verbindungen" DHA und/oder EPA auch Derivate, die an der sn1- und/oder sn2-Position eine mehrfach ungesättigte Fettsäure trügen, sowie eine gesättigte oder einfach ungesättigte Fettsäure an der Position sn3. Solche EPA/DHA-Verbindungen/Derivate fielen jedoch nicht unter die Verbindungen der allgemeinen Formeln I und II des erteilten Anspruchs 8, weil die Anzahl der dort definierten Reste R**(1) bis R**(3) eine geschlossene Liste, und damit eine beschränkte Auswahl aller herstellbaren EPA/DHA Derivate darstelle. Da im geänderten Anspruch 1 somit mehr EPA/DHA-Derivate unter den beanspruchten Schutzumfang fielen als unter Anspruch 8 wie erteilt, liege eine Verletzung von Artikel 123(3) EPÜ vor.
Klarheit
Der Begriff "der Verbindungen" in Anspruch 1 sei unklar, da nicht ersichtlich sei, welche Formen von EPA/DHA unter den Schutzumfang fielen. Damit seien die Grenzen des Schutzumfangs nicht bestimmbar. Der Begriff "der Verbindungen Docosahexaensäure (DHA) und Eicosapentaensäure (EPA)" sei nicht in den Ansprüchen wie erteilt genannt, und könne somit unter Artikel 84 EPÜ angegriffen werden. Dieser Einwand unter Artikel 84 EPÜ müsse darüber hinaus im Verfahren berücksichtigt werden, da er Bezug nehme auf die Anspruchsauslegung der Kammer in ihrer vorläufigen Meinung, und somit nicht früher hätte erhoben werden können.
Unzureichende Offenbarung
Das Verfahren von Anspruch 1 sei nicht in der Lage, die geforderten mindestens 1 Gew.% von EPA- und DHA-Fettsäuren in transgenen nicht-humanen Organismen bezogen auf den Gesamtlipidgehalt dieser Organismen herzustellen. Aus der Patentanmeldung lägen hierzu keine Daten vor. Die Entgegenhaltung D9 zeige, dass dies nicht möglich sei. Dazu offenbare diese Entgegenhaltung, dass freie Fettsäuren in Organismen in einer ungefähren Verteilung von 1 bis 5 Gew.-% des Gesamtlipidgehalts vorlägen (siehe Seite 25, Zeilen 17 bis 22). Das Beispiel 61 der Entgegenhaltung D9 zeige ein Verfahren, welches dem beanspruchten sehr ähnlich sei. Die Tabelle 24, die die Ergebnisse des Experiments zusammenfasse, zeige auf der Seite 165, dass ein maximaler Gesamtgehalt von 9.5% EPA/DHA am Gesamtgehalt freier Fettsäuren durch dieses Verfahren in transgenen Pflanzensamen herstellbar sei. Da der Gesamtgehalt freier Fettsäuren, gemäß der Offenbarung auf Seite 25, Zeile 20 der Entgegenhaltung D9, nur maximal 5% des Gesamtlipidgehalts in Pflanzensamen ausmache, entsprächen diese 9.5% EPA/DHA bestenfalls nur 0.5% des Gesamtlipidgehalts. Dies liege weit unter dem beanspruchten Mindestgehalt von 1 Gew%. Darüber hinaus sei das Verfahren, auf dem die Fettsäureanalytik der transgenen Samen in Tabelle 24 beruhe, auf der Seite 156 der Entgegenhaltung D9 im letzten Absatz offenbart (Beispiel 59, Lipidextraktion aus Samen). Daraus sei ersichtlich, dass der in Tabelle 24 gezeigte Gehalt von 9.5% der tatsächlichen Gesamtmenge an gebildetem EPA/DHA entspreche, d.h. einschließlich ihrer Esterformen, und somit nicht nur den Gehalt an freie Fettsäuren darstelle. Dies bedeute, dass mit dem Verfahren sogar noch weniger als 0.5% freie Fettsäuren herstellbar seien.
Bereits in der Beschwerdebegründung sei auf die Entgegenhaltung D9 im Kontext der unzureichenden Offenbarung verwiesen worden (siehe Seite 25, Absatz 6 bis Seite 27, Absatz 1). Zudem sei die oben vorgebrachte Argumentationslinie eine Antwort auf die Auslegung von Anspruch 1 durch die Kammer in ihrer vorläufigen Meinung. Da diese Auslegung erst zu diesem Zeitpunkt eingeführt worden sei, sei es nicht möglich gewesen, diese Argumentationslinie früher vorzubringen.
Neuheit
Das Verfahren von Anspruch 1 sei nicht neu gegenüber der Entgegenhaltung D12. Diese Entgegenhaltung offenbare ein Verfahren zur rekombinanten Herstellung von mehr als 1 Gew.% EPA und/oder DHA in transgenen Organismen, die Nukleinsäuren enthielten, die für die in Anspruch 1 genannten fünf Enzyme kodierten (siehe Seite 61, Beispiel 11, Seite 71, Zeilen 7 bis 27, Tabellen 9 und 10 auf den Seiten 72 und 73). Die in dieser Entgegenhaltung offenbarte Aminosäuresequenz SEQ ID NO: 50 der Delta5-Elongase aus der Alge Pavlova sp. sei zu mindestens 40% identisch zu der in Anspruch 1 e) c) genannten Delta5-Elongase mit der Aminosäuresequenz SEQ ID NO: 68. Die Bestimmung der 40% Sequenzidentität in diesem Anspruch sei weder auf einen bestimmten Algorithmus/Parameter zur Berechnung der Identität, noch auf einen bestimmten Bereich der Referenzsequenz SEQ ID NO: 68 limitiert.
Anhang A zeige auf der Seite 9 einen mittels des Programms Emboss Needle durchgeführten Sequenzvergleich zwischen der SEQ ID NO: 68 (Gesamtaminosäurelänge: 1-300) aus Anspruch 1 und der SEQ ID NO: 50 (Gesamtaminosäurelänge: 1-277) aus der Entgegenhaltung D12. Als Identität der Sequenzen werde bei Verwendung der ebenfalls auf Seite 9 genannten Parameter der Wert 40.2% angegeben. Obwohl Anhang A keine Standardparameter zur Bestimmung der Sequenzidentität verwende, sei Anspruch 1 nicht auf einen bestimmten Parameter beim Sequenzvergleich beschränkt. Daher seien alle Parameter gültig, die für diesen Zweck verwendbar seien.
Anhang C zeige auf der Seite 9 einen mittels BLASTp durchgeführten Sequenzvergleich über einen Teilbereich (Aminosäuren: 28-264) der SEQ ID NO: 68 aus Anspruch 1 und einen Teilbereich (Aminosäuren: 17-248) der SEQ ID NO: 50 aus der Entgegenhaltung D12. Die berechnete Identität der beiden Sequenzen über diesen Teilbereich betrage 41%. Die in Anhang C verwendeten BLASTp-Parameter seien Standardparameter (siehe z.B. D11, Seite 46, Spalte 2). Der von der Beschwerdegegnerin vorgebrachte Einwand, dass die Bestimmung der Sequenzidentität in Anhang C nicht mittels Standardparameter von BLASTp durchgeführt worden sei, sei erstmalig in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden, und daher nicht zuzulassen.
Nach der Rechtsprechung sei jedes Verfahren geeignet, das im Stand der Technik zur Bestimmung von Sequenzidentitäten verwendet werde. BLASTp sei ein solcher Algorithmus. Darüber hinaus gäbe es nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern keinen Grund, einen übermäßig breiten Anspruch für die Beurteilung der Neuheit enger auszulegen. Daher könne eine Sequenzidentität auch über einen Teilbereich zweier zu vergleichenden Sequenzen bestimmt werden. Es bestünde kein Anlass, bei der Bestimmung einer Sequenzidentität nur solche Algorithmen zu verwenden, die die Identität über die Gesamtlänge der beiden Sequenzen berechne.
Erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei im Lichte der Lehre der Entgegenhaltung D11 alleine oder in Kombination mit den Entgegenhaltungen D13 bis D15 nicht erfinderisch.
Die Entgegenhaltung D11 offenbare drei Delta5-Elongasen ("PELO1") (siehe Aminosäuresequenzen SEQ ID NO: 118, 121 und 122, Abbildungen 90, 93 und 94; Absätze [0199], [0202] und [0203]), die zu 36.5% identisch zu den in Anspruch 1 e) c) genannten Derivaten der Aminosäuresequenz von SEQ ID NO: 68 seien. Die Entgegenhaltung D11 offenbare zudem in Absatz [0106] in Zusammenschau mit der Abbildung 1 mehrere Biosynthesewege sowie die Enzyme, die für die Herstellung von DHA erforderlich seien. Diese Biosynthesewege und Enzyme seien auch in den Entgegenhaltungen D13 (siehe Seiten 794-795, und Abbildung 6), D14 (siehe Seite 8, Zeilen 10 bis 20, und Abbildung 1), und D15 (Seite 109, zweite Spalte und Abbildung 1) gezeigt. Die Fachperson würde somit die PELO1 Delta5-Elongase zusammen mit den anderen in Anspruch 1 zitierten vier Enzymen in einem transgenen nicht-humanen Organismus zur Herstellung von DHA exprimieren (siehe Absätze [0253] und [0254]). Darüber hinaus offenbare die Entgegenhaltung D11 nicht nur die spezifische Aminosäuresequenz SEQ ID NO: 121, sondern nenne auch Aminosäuresequenzen, die dazu mindestens zu 30% oder 50% identisch seien (siehe Absätze [0098] und [0099]). Eine Sequenz, die zumindest 30% identisch zur SEQ ID NO: 121 sei, überlappe mit den in Anspruch 1 e) c) genannten Derivaten der SEQ ID NO: 68.
Das mit der Delta5-Elongase der spezifischen Aminosäurensequenz SEQ ID NO: 68 durchgeführte beanspruchte Verfahren unterscheide sich von dem in der Entgegenhaltung D11 genanntem nur dadurch, dass im letztgenannten Verfahren eine Delta5-Elongase verwendet werde, die einen Sequenzunterschied von 3.5% aufweise. Das zu lösende technische Problem sei somit die Bereitstellung alternativer Delta5-Elongasen für die Herstellung von EPA und DHA durch ein solches Verfahren.
Die Fachperson sei durch die Lehre von der Entgegenhaltung D11 motiviert, diese alternativen Enzyme zu finden; diese Entgegenhaltung nenne bereits PELO1 Delta5-Elongasen, die zu 30% identisch zur SEQ ID NO: 121 seien. Absatz [0215] in der Entgegenhaltung D11 offenbare zudem eine Liste möglicher Bezugsquellen für alternative Enzyme. Darin seien Mikroalgen, und zwar "Mikroalgae" im Allgemeinen, als Quelle explizit genannt, d.h. eine engere Klasse von Algen. Die in der Entgegenhaltung D11 offenbarten spezifischen PELO1 Delta5-Elongasen stammten aus der Pavlova-Alge. Die Fachperson würde daher in Mikroalgen bzw. eng verwandten (homologen) Algenarten nach Enzymen suchen, die eine 30% Identität zur PELO1 Delta5-Elongase aufwiesen. Dadurch gelänge die Fachperson in naheliegender Weise zum Verfahren von Anspruch 1, insbesondere zu den in Anspruch 1 e) c) zitierten Delta5-Elongase-Derivaten. Dies erfordere lediglich Routinearbeiten, für die keine erfinderische Tätigkeit erforderlich sei. Dies gelte desto mehr, weil das beanspruchte Verfahren nicht auf die spezifische Delta5-Elongase aus O. tauri beschränkt sei, sondern auch Delta5-Elongase-Derivate umfasse, die in Anspruch 1 e) c) genannt seien.
Diese Argumentationslinie müsse im Verfahren berücksichtigt werden, da sie auf neue Argumente der Beschwerdegegnerin eingehe, die erst 3 Wochen vor der mündlichen Verhandlung eingereicht worden seien. Zudem stelle diese Argumentationslinie eine Reaktion auf den Verlauf des Beschwerdeverfahrens dar, insbesondere darauf, dass die Sequenzidentität über die Gesamtlänge der Sequenzen zu bestimmen sei.
XX. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lauten wie folgt:
Zulassung und Berücksichtigung des Vorbringens der Beschwerdeführerin in ihrem Schriftsatz vom 15. Februar 2022 (u.a. Einwand wegen unzulässiger Erweiterung)
Die im Schriftsatz vom 15. Februar 2022 vorgebrachten Argumente unter unzulässiger Änderung des Gegenstands wie ursprünglich eingereicht gegen Anspruch 1 des Hauptantrags seien von der Beschwerdeführerin erstmalig zu diesem späten Zeitpunkt im Verfahren vorgebracht worden und daher nicht zuzulassen. Die Beschwerdeführerin hätte dieses Argument früher vortragen müssen. Die vorliegende Situation unterscheide sich grundlegend von den Fällen T 1773/18 und T 1767/18, in denen das entsprechende Argument bereits im erstinstanzlichen Verfahren sowie in der Beschwerdebegründung vorgebracht worden sei. Dies zeige, dass der Beschwerdeführerin dieses Argument früher bekannt gewesen sei, sie aber bewusst auf das Vorbringen verzichtet habe. Darüber hinaus sei kein Grund genannt worden, warum dieses Argument nicht schon früher vorgebracht worden sei.
Hauptantrag (Ansprüche wie aufrechterhalten), Hilfsanträge 1B bis 1D, 2A bis 2D, 3A bis 3C, sowie 4A bis 4C
Unzulässige Erweiterung
Anspruch 1 des Hauptantrags betreffe ein Verfahren, das in den Verfahrensschritten a) und b) nur eine der ursprünglich vier offenbarten Enzymkombinationen für die Herstellung von Verbindungen der allgemeinen Formel I verwende. Die Verwendung von nur einer Enzymkombination in Anspruch 1 des Hauptantrags, anstatt von vier, stelle keinen Verstoß gegen Artikel 76(1) und 123(2) EPÜ dar. Dies gelte auch für den Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 1B bis 1D, 2A bis 2D, 3A bis 3C, sowie 4A bis 4C.
Hilfsantrag 6A
Unzulässige Erweiterung
Die Stammanmeldung enthalte auf der Seite 7, Zeilen 7 bis 13, der Seite 15, zweiter Absatz, und der Seite 36, Absatz 2, eine Basis für die Herstellung von mindestens 1 Gew.-% DHA und EPA in transgenen nicht-humanen Organismen bezogen auf den Gesamtlipidgehalt dieser Organismen. Die Seite 15, Zeile 23, nenne explizit omega-3-Fettsäuren wie EPA und/oder DHA, die bevorzugt mit dem erfindungsgemäßen Verfahren hergestellt würden. Die Herstellung freier Fettsäuren sei auch auf den Seiten 16, Zeilen 32 und 33 genannt. Darüber hinaus erwähne die Seite 29, Zeilen 14 bis 27, dass DHA und EPA Zwischenprodukte und Endprodukte des Biosynthesewegs seien.
Unzulässige Erweiterung des Schutzumfangs
Das Verfahren von Anspruch 1 sei auf die Herstellung der beiden Verbindungen DHA und EPA beschränkt. Der Rest R**(1)in Anspruch 8 wie erteilt nenne explizit "Hydroxyl", mit anderen Worten eine freie Fettsäure. Damit seien DHA und EPA vom Schutzumfang des erteilten Anspruchs 8 umfasst (siehe auch die Entgegenhaltung D57, Verbindungen mit den Nummern "23" und "29").
Klarheit
Das Argument der Beschwerdeführerin, dass der Begriff "der Verbindungen" in Anspruch 1 nicht klar sei, sei erstmalig in der mündlichen Verhandlung vorgebracht worden. Er sei somit verspätet und nicht zu berücksichtigen. Darüber hinaus sei Artikel 84 EPÜ kein Einspruchsgrund und könne daher im Beschwerdeverfahren nicht herangezogen werden. Der Begriff "Verbindungen" sei schon in den erteilten Ansprüchen enthalten. Unabhängig davon sei dieser Begriff klar und beziehe sich auf DHA und EPA, zwei konkrete Fettsäuren.
Unzureichende Offenbarung
Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Argumentationslinie gehe bei weitem über die in ihrer Beschwerdebegründung (siehe Seiten 25 bis 27) und im Schriftsatz vom 15. Februar 2022 (siehe Seite 6, fünfter Absatz) vorgebrachten Einwände hinaus. Sie sei daher zu spät und nicht zu berücksichtigen. Zwar verweise die Beschwerdebegründung auf die Entgegenhaltung D9, allerdings nur auf die Herstellung von DHA. Das beanspruchte Verfahren sei nicht auf die Herstellung von DHA beschränkt, sondern auf die Herstellung einer Mischung aus DHA und EPA.
Unabhängig davon enthalte die Entgegenhaltung D9 keinen Beweis, dass die geforderte Mindestmenge von 1 Gew.-% DHA und EPA mit dem beanspruchten Verfahren nicht herstellbar sei. Die Tabelle 24 in der Entgegenhaltung D9 zeige, dass über 9% EPA mit dem Verfahren herstellbar seien, d.h. deutliche höhere Mengen als die in Anspruch 1 geforderten 1 Gew.-%. Dies spreche für die Ausführbarkeit des beanspruchten Verfahrens. Die Entgegenhaltung D9 zeige nicht, dass nur 0.5 Gew.-% DHA und EPA in transgenen Pflanzensamen herstellbar seien. Dies beruhe alleine auf der spekulativen Annahme, dass die auf der Seite 25 genannten "1 bis 5 Gew.-% freie Fettsäuren" Maximalwerte in Pflanzen seien. Das sei aber nicht der Fall. Diese Passage auf der Seite 25 beginne in der Zeile 17 mit "In der Regel". Dies bedeute, dass auch wesentlich höhere Prozentsätze an freien Fettsäuren in Pflanzen vorliegen könnten. Außerdem seien EPA und DHA auf der Seite 25 nicht genannt und Pflanzen stellten viele freie Fettsäuren her. Es sei vorstellbar, dass DHA und EPA in einem überproportional hohen Anteil aller freier Fettsäuren in Pflanzen vorlägen, und damit in weitaus höheren Mengen im Verhältnis zur Gesamtmenge.
Beweise dafür, dass nur 0.5 Gew.-% EPA und DHA in Pflanzensamen herstellbar seien, ergäben sich auch nicht aus der Tabelle 24, da die dort erwähnte Fettsäureanalytik nicht erläutert sei, und somit nicht klar sei, was die Tabelle eigentlich zeige. Dies ergebe sich auch nicht aus den Beispielen 59 und 61 der Entgegenhaltung D9. Zum einen verweise Beispiel 59 auf Seite 155 im Zuge der Lipidextraktion aus Pflanzensamen auf Veröffentlichungen, die nicht im Verfahren seien. Zum anderen sage Beispiel 59 nichts darüber aus, was Beispiel 61, dessen Ergebnisse in Tabelle 24 zusammengefasst seien, zeige. Seite 155, vorletzter Absatz nenne nur verschiedene quantitative und qualitative Verfahren, um Lipide aus Pflanzen zu extrahieren. Seite 156 nenne sogar die "Analyse von Fettsäuren" (siehe Zeile 7). Damit sei vollkommen unklar, ob die Tabelle 24 Werte zeige, die aus der Bestimmung von Fettsäureestern, von freien Fettsäuren, oder von beidem stammten. Der Offenbarungsgehalt von Beispiel 59 sei damit so allgemein, dass sich nicht sagen lasse, was in Beispiel 61 bestimmt werde. Daher sei die Entgegenhaltung D9 ungeeignet, die Ausführbarkeit des beanspruchten Verfahrens in Zweifel zu ziehen.
Neuheit
Der Begriff "Derivate der in SEQ ID NO: 67 dargestellten Nukleinsäuresequenz, die für Polypeptide mit mindestens 40% Identität auf Aminosäureebene mit SEQ ID NO: 68 kodieren" in Anspruch 1 e) c) werde von der Fachperson so verstanden, dass sich die 40% Identität auf die Gesamtlänge der Referenzsequenz SEQ ID NO: 68 beziehe, und nicht auf zufällig ausgewählte Teilbereiche davon. Es sei gängige Praxis im Patentbereich, dass der Begriff "über die Gesamtlänge" in Ansprüchen, die sich auf Sequenzidentitäten bezögen, nicht verwendet werde. Vielmehr werde dieser Begriff von der Fachperson in den Anspruch hineingelesen, weil er dem normalen Verständnis in diesem technischen Gebiet entspreche. Eine Identitätsbestimmung über Teilbereiche einer Sequenz wäre unsinnig, da willkürliche Sequenzen von wenigen Aminosäuren/Nukleinsäuren Länge neuheitsschädlich für beanspruchte Sequenzen wären. Die Hineinlesung der Gesamtlänge in den Anspruch 1 erfolge zudem in Übereinstimmung mit der im Patent angegebenen Definition (siehe Absatz [0144]), und mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe T 1032/12, Entscheidungsgrund 15, und T 1713/19, Entscheidungsgründe 3, 7 und 8). Auch sei es in Ansprüchen unüblich, den verwendeten Algorithmus zu nennen.
Anhang A verwende bei der Identitätsbestimmung der Sequenzen keine Standardparameter. Die gezeigten Werte seien daher irrelevant.
Anhang C zeige auf Seite 9 einen mittels BLASTp durchgeführten Sequenzvergleich zwischen der SEQ ID NO: 68 aus Anspruch 1 und der SEQ ID NO: 50 aus der Entgegenhaltung D12. Dieser Vergleich ermittele eine Sequenzidentität von 41% über einen Teilbereich der Aminosäuren (AA) 28 bis 264 der SEQ ID NO: 68 und der AA 17 bis 248 der SEQ ID NO: 50. Die Sequenzidentität von 41% sei somit nicht über die Gesamtlänge der SEQ ID NO: 68 berechnet, da sich ansonsten ein Wert von 36.5% ergebe. Unabhängig davon sei der Teilbereich der AA von 17 bis 248 der SEQ ID NO: 50 als solcher nicht in der Entgegenhaltung D12 offenbart. Es sei zudem fraglich, ob dieser Teilbereich eine biologische Aktivität aufweise. Es sei des weiteren unklar, ob der Sequenzvergleich mittels BLASTp in Anhang C mit Standardparametern durchgeführt worden sei.
Erfinderische Tätigkeit
Keine der im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen nenne die Alge O. tauri bzw. enthalte einen Hinweis auf diese Alge, geschweige denn auf ihre Fähigkeit, PUFAs zu synthetisieren. Die Beschwerdeführerin habe in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgetragen, dass die Entgegenhaltung D11 Mikroalgen erwähne. Dies sei damit ein neues Argument und deswegen von der Kammer nicht zu berücksichtigen. Die Entgegenhaltung D11 offenbare in Absatz [0215] viele Organismen als potentielle Quelle für eine Elongase, u.a. Pilze, Moose, Nematoden, Säugetiere. Als Alge sei in diesem Absatz nur die spezielle Mikroalge "MK8805" genannt, nicht Mikroalgen im Allgemeinen. Der Begriff "Alge" sei sehr grob, da sich Algen in Mikro- und Makroalgen unterteilten. Es gebe allerdings viele Algenarten und, im Gegensatz zu O. tauri, sei "MK8805" keine Grünalge. Es sei nicht einmal bekannt, ob "MK8805" einen Stoffwechselweg für die Herstellung von PUFAs enthalte, geschweige denn, ob sie eine Delta5-Elongase enthalte die 40% identisch zu der im beanspruchten Verfahren verwendeten Delta5-Elongase sei. Da die Entgegenhaltung D9 somit für die Fachperson weder einen Hinweis auf Grünalgen im Allgemeinen noch eine Andeutung auf O. tauri im Besonderen enthalte, geschweige denn auf die Existenz einer Delta5-Elongase, die mindestens zu 40% identisch zur im beanspruchten Verfahren verwendeten Delta5-Elongase sei, gebe es für die Fachperson keine Aussicht auf Erfolg. Die Entgegenhaltung D11 enthalte für die Fachperson keine Hinweise, wo sie nach einer Delta5-Elongase suchen solle, die unter die in Anspruch 1 e) c) genannten Delta5-Elongase Derivate falle. Anders lautende Argumentationen beruhten auf einer ex-post facto Analyse.
XXI. Die Beschwerdeführerin beantragt, das Patent unter Aufhebung und Abänderung der angefochtenen Entscheidung zu widerrufen.
XXII. Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise das Patent unter Aufhebung und Abänderung der angefochtenen Entscheidung in geänderter Fassung auf Grundlage eines der Hilfsanträge lB, lC, lD, 2A, 2B, 2C, 2D, 3A, 3B, 3C, 4A, 4B, 4C, 6A und 6B aufrechtzuerhalten. Des Weiteren beantragte sie, das im Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 15. Februar 2022 enthaltene Vorbringen nicht zu berücksichtigen.
Entscheidungsgründe
Zulassung und Berücksichtigung des Vorbringens der Beschwerdeführerin in ihrem Schriftsatz vom 15. Februar 2022 (u.a. Einwand wegen unzulässiger Erweiterung)
1. Die Beschwerdegegnerin beantragt, dieses Vorbringen nicht zu berücksichtigen, unter anderem das Vorbringen unter unzulässige Erweiterung des Gegenstands von Anspruch 1 des Hauptantrags. Diese Argumente seien erstmals zu diesem Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren vorgebracht worden, und damit zu spät. Darüber hinaus seien diese Argumente der Beschwerdeführerin aus den parallelen Verfahren T 1773/18 und T 1767/18 bereits früher bekannt gewesen, weshalb sie bewusst auf ihr früheres Vorbringen in diesem Verfahren verzichtet habe.
2. Dem kann nicht gefolgt werden.
2.1 Für die Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Einwände in ihrem Schriftsatz vom 15. Februar 2022 gelten die Bestimmungen von Artikel 13(1) VOBK 2020, da die Ladung zur mündlichen Verhandlung an die Parteien erst im März 2022 erging. Danach liegt ihre Berücksichtigung im Ermessen der Kammer.
2.2 Die Beschwerdeführerin hat den fraglichen Schriftsatz am 15. Februar 2022 eingebracht, und damit nur rund 3 Wochen nach Zustellung der Entscheidung T 1773/18. In dieser Entscheidung (siehe Entscheidungsgründe 10 bis 11) gab die Kammer in einer anderen Zusammensetzung der Beschwerdeführerin in einer Teilanmeldung des vorliegenden Streitpatents erstmals Recht bezüglich eines Einwandes unter unzulässiger Erweiterung eines geänderten Verfahrens, welcher analog zu den Verfahren von Anspruch 1 des vorliegenden Falls ist.
2.3 Derselbe Einwand unter unzulässiger Erweiterung wurde von der Beschwerdeführerin auch in einem weiteren Beschwerdeverfahren (siehe T 1767/18, Entscheidungsgründe 3 bis 10) erhoben. Auch in diesem Fall war der beanstandete Sachverhalt analog zum Sachverhalt von Anspruch 1 des vorliegenden Falls.
2.4 Damit ist die Eingabe der Beschwerdeführerin vom 15. Februar 2022 zeitnah und nicht verspätet. Vielmehr stellen die Einwände der Beschwerdeführerin eine adäquate Reaktion auf die Situation in diesem Verfahren dar, vor allem in Hinblick auf die Entwicklungen in den beiden parallelen Beschwerdefällen T 1773/18 und T 1767/18.
2.5 Des weiteren erfolgte die Eingabe bereits, wie oben erwähnt, vor der Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung. Die Parteien wurden zudem von der Kammer in ihrer Mitteilung vom 27. Juni 2022 über die voraussichtliche Berücksichtigung dieser Einwände informiert (siehe Punkte 14 bis 14.2), sowie über deren potentielle Erfolgsaussichten (siehe Punkte 16 bis 18). Daher hatten alle Verfahrensbeteiligten ausreichend Zeit, sich mit diesem Einwand auseinanderzusetzen und angemessen darauf zu reagieren.
2.6 Die im Schriftsatz vom 15. Februar 2022 vorgebrachten Einwände der Beschwerdeführerin sind daher in diesem Verfahren zu berücksichtigen (Artikel 13(1) VOBK 2020).
Hauptantrag
Unzulässige Erweiterung - Anspruch 1
3. Der Inhalt der Teilanmeldung, die dem Patent zu Grunde liegt, ist identisch mit dem Inhalt der Stammanmeldung, abgesehen von den Ansprüchen. Es sind daher für den Gegenstand des Anspruchs 1 die Erfordernisse der Artikel 76(1) und 123(2) EPÜ zu prüfen. Nachfolgend beziehen sich alle Verweise auf die entsprechende Offenbarung in der Stammanmeldung.
4. Die Verbindungen, die mit den Verfahren von Anspruch 1 hergestellt werden, sind strukturell durch die allgemeinen Formeln I, II und Ia definiert, und beschreiben neben 70 definierten mehrfach ungesättigten Fettsäuren (nachfolgend "PUFAs" von poly unsaturated fatty acids, siehe z. B. Entgegenhaltung D57) eine unbekannte Anzahl weiterer Derivate dieser Verbindungen. Die Anzahl der durch die beanspruchten Verfahren herstellbaren Derivate ist jedoch begrenzt. Dies ist dadurch gegeben, dass die genannten Definitionen der Variablen n, m und p in den allgemeinen Formeln I, II und Ia, sowie der Substituenten der Reste R**(1) bis R**(3) der Formel I, bzw. der Reste R**(2) und R**(3) der Formel II, geschlossene Listen darstellen.
5. Die Beschwerdegegnerin brachte dazu vor, dass der Gegenstand von Anspruch 1 nach Streichung der Delta9-Elongase in Schritt a), sowie der Delta8-Desaturase in Schritt b), eine Basis in der Stammanmeldung besitze. Im beanspruchten Verfahren sei der Sachverhalt ein anderer als der, der den beiden Beschwerden T 1773/18 und T 1767/18 zu Grunde gelegen sei. Dies ergebe sich aus der Tatsache, dass die Ansprüche 1 und 2 jeweils eine der vier ursprünglich offenbarten Enzymkombinationen von Anspruch 1 wie eingereicht offenbarten.
6. Die Kammer teilt aus den folgenden Gründen diese Auffassung nicht.
6.1 Die zu prüfende Frage unter unzulässiger Erweiterung ist, ob sich der Sachverhalt bezüglich der Streichung von Enzymaktivitäten in den Verfahrensschritten a) und b) des Anspruchs 1 des vorliegenden Hauptantrags tatsächlich vom Sachverhalt der Streichungen von Enzymaktivitäten in den entsprechenden Verfahrensschritten von Anspruch 8 der Stammanmeldung unterscheidet, der in den Beschwerdefällen T 1773/18 und T 1767/18 bereits entschieden wurde.
6.2 Es ist unstrittig, dass das Verfahren in Anspruch 1 im Wesentlichen auf Anspruch 8 wie ursprünglich eingereicht beruht. Wie bereits in der Entscheidung T 1767/18 dargelegt (siehe Entscheidungsgrund 3), vertrat die Beschwerdegegnerin die Ansicht, dass das Verfahren des Anspruchs 1 eine Basis in den Ansprüchen 1 und 8 wie eingereicht in Verbindung mit der Offenbarung auf den Seiten 29, Zeilen 11 bis 17, und Seite 45, Zeilen 9 bis 21, der Stammanmeldung besitze. Eine weitere Basis für das Verfahren von Anspruch 1 in der Stammanmeldung wurde von der Beschwerdegegnerin in diesem Verfahren nicht genannt.
6.3 Dazu ist zunächst festzuhalten, dass den Verfahren aus Anspruch 1 die gemeinsame Aufgabe zu Grunde liegt, im wesentlichen alle Verbindungen, die unter die allgemeine Formel I fallen, in der geforderten Mindestmenge von 1 Gewichtsprozent (1 Gew.-%) in transgenen nicht-humanen Organismen herzustellen, wobei sich diese Menge auf den Gesamtlipidgehalt des Organismus bezieht. Diese Aufgabe liegt im wesentlichen auch den Verfahren der Ansprüche 8 der Hauptanträge zu Grunde, die in den Beschwerdefällen T 1773/18 und T 1767/18 behandelt wurden, sowie von Anspruch 8 wie ursprünglich eingereicht (siehe T 1767/18, Entscheidungsgründe 4.1 und 4.2; T 1773/18, Entscheidungsgrund 10.3).
6.4 Das Verfahren von Anspruch 1 unterscheidet sich von den oben genannten Verfahren der Ansprüche 8, die in den Beschwerdefällen T 1773/18 und T 1767/18 behandelt wurden, lediglich dadurch, dass von den fünf in Anspruch 1 genannten Enzymen nur die Delta5-Elongase strukturell durch die Bezugnahme auf bestimmte Nukleinsäure-/Aminosäuresequenzen definiert ist, während in Anspruch 8 eine Delta6-Desaturase (T 1773/18) oder eine Delta6-Elongase (T 1767/18) strukturell definiert ist.
6.5 Diese Änderung in Anspruch 1 hat somit keinen Einfluss auf den Zweck des beanspruchten Verfahrens im Vergleich zu den beiden Verfahren von Anspruch 8 der Beschwerdefälle T 1773/18 und T 1767/18. Jedes dieser Verfahren verlangt, dass im wesentlichen alle PUFAs, die unter die allgemeine Formel I fallen, durch das Einbringen von mindestens fünf Nukleinsäuren in den Organismus die für die jeweils in den Verfahrensschritten a) bis e) definierten Enzymaktivitäten kodieren, hergestellt werden.
6.6 Die Streichungen von Enzymaktivitäten in den Verfahrensschritten a) und b) des Anspruchs 1 bewirkt, dass von den in Anspruch 8 wie eingereicht ursprünglich vier offenbarten Enzymkombinationen:
(1) Delta9-Elongase und eine Delta8-Desaturase;
(2) Delta9-Elongase und eine Delta6-Elongase;
(3) Delta6-Desaturase und eine Delta8-Desaturase;
(4) Delta6-Desaturase und eine Delta6-Elongase
in den Verfahrensschritten a) und b) von Anspruch 1 nur eine Kombination übrig bleibt, nämlich Kombination (4).
6.7 Damit verwenden die Verfahren von Anspruch 1 für die Herstellung von PUFAs, die unter die allgemeine Formel I fallen, durch die oben genannten Streichungen in den Verfahrensschritten a) und b) nur noch eine der ursprünglich vier offenbarten Enzymkombination. Dabei hat sich die Anzahl der mit den beanspruchten Verfahren herzustellenden PUFAs nicht verändert, da sich die Präambeln von Anspruch 1 des Hauptantrags und von Anspruch 8 wie eingereicht nicht unterscheiden, abgesehen von der Herstellung in transgenen nicht-humanen Organismen (Anspruch 1), anstatt von transgenen Organismen (Anspruch 8 wie eingereicht).
6.8 Mit anderen Worten, der Anspruch 1 umfasst für die Herstellung der gleichen Anzahl an PUFAs ein Verfahren, das eine geringere Anzahl an Enzymkombinationen verwendet. Dieser Sachverhalt entspricht exakt dem Sachverhalt, der den Verfahren der Ansprüche 8 in den Fällen T 1773/18 und T 1767/18 zugrunde lag (siehe T 1767/18, Entscheidungsgründe 6 bis 6.2; T 1773/18, Entscheidungsgrund 10.5).
6.9 Wie zum Beispiel bereits in T 1767/18 ausführlich in den Entscheidungsgründen 7 bis 9.9 erläutert (siehe auch T 1773/18, Entscheidungsgründe 10.6 bis 11), enthält die Stammanmeldung keine Basis für die beanspruchten Verfahren, in welchen mit einer einzigen Enzymkombination alle PUFAs hergestellt werden können, die unter die allgemeine Formel I fallen.
6.10 Damit offenbart die Stammanmeldung an keiner Stelle die Verwendung von mindestens fünf der im Anspruch 1 genannten Enzyme zur Herstellung aller PUFAs der allgemeinen Formel I. Somit enthält das Verfahren von Anspruch 1 einen neuen Gegenstand, der sich nicht unmittelbar und eindeutig der Stammanmeldung entnehmen lässt.
7. Diese Argumentation ist auch für den Gegenstand von Anspruch 2 relevant, der analog zu Anspruch 1 eine einzige Enzymkombination verwendet (Kombination (1), siehe Sektion X und Punkt 6.6, oben), um damit alle PUFAs herzustellen, die unter die allgemeine Formel I fallen.
8. Daher stehen die Artikel 123(2) und 76(1) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents auf Basis des Hauptantrags entgegen.
Hilfsanträge 1B, 1C, 1D, 2A, 2B, 2C, 2D, 3A, 3B, 3C, 4A, 4B und 4C
Änderungen - Anspruch 1
9. Die Verfahren von Anspruch 1 sämtlicher Hilfsanträge 1B bis 1D, 2A bis 2D, 3A bis 3C und 4A bis 4C verweisen in ihrer Präambel jeweils auf ein "Verfahren zur Herstellung von Verbindungen der allgemeinen Formel I", das unter anderem dadurch charakterisiert ist, dass es dafür mindestens fünf der in Anspruch 1 a) bis e) genannten Enzyme (Delta6-Desaturase, Delta6-Elongase, Delta5-Desaturase, Delta5-Elongase, und Delta4-Desaturase) verwendet.
10. Aus den oben genannten Gründen für Anspruch 1 des Hauptantrags ist ein solches Verfahren der Stammanmeldung nicht unmittelbar und eindeutig entnehmbar. Daher erfüllen die Hilfsanträge 1B bis 1D, 2A bis 2D, 3A bis 3C und 4A bis 4C die Erfordernisse der Artikel 123(2) und 76(1) EPÜ ebenfalls nicht.
Hilfsantrag 6A
11. Anspruch 1 von Hilfsantrag 6A unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass das Merkmal "Herstellung von Verbindungen der allgemeinen Formel I" durch das Merkmal "Herstellung der Verbindungen Docosahexaensäure (DHA) und Eicosapentaensäure (EPA)" ersetzt wurde. Des Weiteren wurden die allgemeinen Formeln I, II und Ia gestrichen, sowie die dazu gehörenden Variablen und Substituenten.
Auslegung von Anspruch 1
12. Für die Beurteilung der Erfordernisse der Artikel 76(1), 123(2), 123(3) und 84 EPÜ ist es wesentlich zunächst zu bestimmen, wie eine Fachperson das Merkmal "Herstellung der Verbindungen Docosahexaensäure (DHA) und Eicosapentaensäure (EPA)" in Anspruch 1 auslegt.
13. Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass die Fachperson dieses Merkmal in Anspruch 1 so auslegen würde, dass davon alle chemisch herstellbaren DHA- und EPA-Verbindungen/Derivate umfasst seien.
14. Die Kammer kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. Die Fachperson würde dieses Merkmal eng auslegen, weil die Verwendung des bestimmten Artikels "der" im Begriff "der Verbindungen" im Zusammenhang mit "Docosahexaensäure (DHA) und Eicosapentaensäure (EPA)" darauf verweist, dass damit nur die Herstellung von DHA und EPA als spezifische, individuelle (chemische) Verbindungen umfasst ist. Damit besitzt der Begriff "der Verbindungen" keine weitere Bedeutung, d.h. er verweist nicht auf die Herstellung einer unbestimmten Anzahl aller theoretisch möglichen DHA- und EPA-Derivate. Mit anderen Worten, Anspruch 1 ist auf die Herstellung von DHA und EPA als Fettsäuren begrenzt.
15. Des weiteren war es unter den Parteien strittig, ob das Verfahren von Anspruch 1 die Herstellung von DHA und EPA alleine in der geforderten Mindestmenge von 1 Gew.-% umfasse, oder ob Anspruch 1 so auszulegen sei, dass mit dem Verfahren zwingend eine Mischung von DHA und EPA in der geforderten Mindestmenge hergestellt werde.
16. Die Kammer teilt die Ansicht der Beschwerdegegnerin, dass die Fachperson Anspruch 1 so auslegen würde, dass mit dem beanspruchten Verfahren eine Mischung aus DHA und EPA in der geforderten Mindestmenge hergestellt wird.
16.1 Das Verfahren von Anspruch 1 stellt DHA und EPA in der beanspruchten Mindestmenge von 1 Gew.-% in transgenen nicht-humanen Organismen her (siehe Präambel). Diese Aufgabe wird erfüllt, indem die Organismen mit mindestens den fünf in Anspruch 1 genannten Enzymen (Delta6-Desaturase, Delta6-Elongase, Delta5-Desaturase, Delta5-Elongase, und Delta4-Desaturase) transformiert werden. Aus der Abbildung 1 der Stammanmeldung ist ersichtlich, dass ausgehend von alpha-Linolensäure diese Enzyme in einem Biosyntheseweg EPA als Zwischenprodukt und DHA als Endprodukt herstellen (siehe "omega3-pathway").
16.2 Der omega3-Biosyntheseweg funktioniert allerdings auch in der umgekehrten Richtung, d.h. aus dem Endprodukt DHA entsteht bei Anwesenheit der Delta5-Elongase und der Delta4-Desaturase auch EPA, weil enzymatisch katalysierte Reaktionen stets Gleichgewichtsreaktionen sind. Da die Biosynthese von DHA und EPA in Anwesenheit der mindestens fünf in Anspruch 1 genannten Enzyme somit in beide Richtungen erfolgt, stellt das beanspruchte Verfahren notwendigerweise eine Mischung aus DHA und EPA her.
17. Des weiteren ist es für die Beurteilung der Neuheit im Sinne von Artikel 54 EPÜ wesentlich, wie die Fachperson das Merkmal "Derivate der in SEQ ID NO: 67 dargestellten Nukleinsäuresequenz, die für Polypeptide mit mindestens 40% Identität auf Aminosäureebene mit SEQ ID NO: 68 kodieren" in Anspruch 1 e) c) auslegt.
17.1 Der Begriff "Derivate" ist in Anspruch 1 e) c) nicht weiter definiert. Daher fallen alle Arten von Derivaten der SEQ ID NO: 67 unter den Anspruch. Dies beinhaltet strukturelle Derivate, die eine unterschiedliche Sequenz aufweisen, aber die gleiche Länge wie ihre Ausgangssequenz besitzen, sowie kürzere oder längere Sequenzen dieser Ausgangssequenz, solange alle diese Derivate für Polypeptide mit der geforderten Mindestidentität von 40% der Aminosäuresequenz SEQ ID NO: 68 kodieren und eine Delta5-Elongaseaktivität aufweisen.
17.2 Es war unter den Parteien auch strittig, wie das Merkmal "Polypeptide mit mindestens 40% Identität auf Aminosäureebene mit SEQ ID NO: 68 kodieren" in Anspruch 1 e) c) von der Fachperson auszulegen sei. Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass Anspruch 1 nicht festlege, mit welchem Algorithmus die Sequenzidentität zu bestimmen sei, sowie über welchen Bereich der Referenzsequenz. Daher würde die Fachperson dieses Merkmal in Anspruch 1 so auslegen, dass es nicht erforderlich sei, die Identität über die Gesamtlänge der SEQ ID NO: 68 zu bestimmen, sondern dass auch solche Sequenzen unter den Anspruch fielen, die die geforderte Mindestsequenzidentität über einen beliebigen Teilbereich mit SEQ ID NO: 68 aufweise, solange diese Identität mit einem dafür üblicherweise verwendeten Programm/Algorithmus bestimmt worden sei, wie z.B. BLASTp.
17.3 Nach der Rechtsprechung müssen Merkmale in einem Anspruch so breit interpretiert werden, wie sie technisch für eine Fachperson Sinn ergeben. Beschränkungen, die nur in der Beschreibung zu finden sind, aber nicht im Anspruch erwähnt werden, bleiben bei der Auslegung des Anspruchs unberücksichtigt (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 10. Auflage 2022 (nachfolgend Rechtsprechung), II.A.6.3.4, im besonderen T 58/13, Entscheidungsgründe 3.2). Dies gilt insbesondere bei der Prüfung der Neuheit (siehe Rechtsprechung, I.C.4.8).
17.4 Die Fachperson würde daher dem Merkmal "Polypeptide mit mindestens 40% Identität auf Aminosäureebene mit SEQ ID NO: 68 kodieren" in Anspruch 1, in Abwesenheit weiterer Angaben, seine übliche Bedeutung geben.
17.5 Dies bedeutet, dass die Fachperson die in Anspruch 1 genannte Mindestidentität von 40% sinnvollerweise so auslegen würde, dass sie das Ergebnis eines Sequenzvergleichs ist, der auf der Verwendung eines für diesen Zweck üblichen Programms/Algorithmus beruht, sofern es unter Standardparameterbedingungen durchgeführt wird. Da die Fachperson die Stärken und Schwächen dieser Programme/Algorithmen kennt, würde sie für diesen Zweck nicht ein Programm/einen Algorithmus verwenden, welche zu technisch unsinnigen Ergebnissen führen. Dazu gehören z.B. Programme/Algorithmen, die kurze Sequenzen finden, die eine hohe Identität zu einem Teilbereich der Referenzsequenz besitzen.
17.6 Diese Kammer schließt sich in diesem Punkt der Entscheidung T 1713/19 (siehe Entscheidungsgrund 8) an, in der die Kammer in einer anderen Zusammensetzung zu der Auffassung kam, dass bei der Berechnung der Identität zwischen zwei Sequenzen die Länge dieser Sequenzen berücksichtigt werden muss. Sinnvolle Ergebnisse lassen sich nur dann erzielen, wenn die längere der beiden Sequenzen als Referenz bei der Berechnung der Identität dient.
Unzulässige Erweiterung
18. Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass in Anspruch 1 die Herstellung von mindestens 1 Gew.-% DHA und EPA bezogen auf den Gesamtlipidgehalt des transgenen nicht-humanen Organismus keine Basis in der Stammanmeldung besitze. Die Seite 7, Zeilen 7 bis 13 der Stammanmeldung offenbare zwar das erfindungsgemäße Verfahren, aber keine bevorzugte Herstellung von DHA und EPA als freie Fettsäuren. Die Seite 15, Zeilen 22 und 23 offenbare keine Mengenangaben an hergestelltem DHA oder EPA, und darüber hinaus nur die Herstellung von Fettsäureestern, die keine freien Fettsäuren seien. Absatz 2 auf der Seite 36 nenne nicht den in Anspruch 1 genannten "Gesamtlipidgehalt", sondern nur einen "Gesamtfettsäuregehalt".
19. Dies überzeugt nicht.
19.1 Das erfindungsgemäße Verfahren ist in der Stammanmeldung auf Seite 7, in den Zeilen 7 bis 13, wie folgt offenbart: "Diese Aufgabe wurde durch das erfindungsgemäße Verfahren zur Herstellung von Verbindungen der allgemeinen Formel I
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
in transgenen Organismen mit einem Gehalt von mindestens 1 Gew.-% dieser Verbindungen bezogen auf den Gesamtlipidgehalt des transgenen Organismus, dadurch gekennzeichnet, dass es folgende Verfahrensschritte umfasst [...]" (Unterstreichungen hinzugefügt).
19.2 Somit offenbart die Stammanmeldung die erfindungsgemäße Herstellung aller Verbindungen die unter die allgemeine Formel I fallen, in der Mindestmenge von 1 Gew. -% bezogen auf den Gesamtlipidgehalt des transgenen Organismus.
19.3 Es ist des weiteren unstrittig, dass DHA und EPA zu den Verbindungen gehören, die unter die allgemeine Formel I fallen (siehe z.B. Entgegenhaltung D57, Seite 1, Überschrift der Tabelle, und die Verbindungen mit den Nummern "23" und "29"). Außerdem offenbart die Seite 7, in der Zeile 25 der Stammanmeldung explizit, dass der Rest "R**(1) = Hydroxyl-" Gruppe der Formel I ist, mit anderen Worten, eine Fettsäure der herzustellen PUFAs. Die rekombinante Herstellung von DHA und EPA ist darüber hinaus in den Beispielen 8 und 32 der Stammanmeldung gezeigt (siehe Seite 29, Zeilen 11 bis 20, sowie die Seiten 88 und 113).
19.4 Die Stammanmeldung enthält auf Seite 15 in den Zeilen 11 bis 13, 22 und 23 zudem den folgenden Wortlaut: "Im erfindungsgemäßen Verfahren werden vorteilhaft Fettsäureester mit mehrfach ungesättigten C18-, C20- und/oder C22-Fettsäuremolekülen mit mindestens zwei Doppelbindungen im Fettsäureester [...]", "Ganz besonders bevorzugt werden, omega-3-Fettsäuren wie EPA und/oder DHA hergestellt" (Unterstreichungen hinzugefügt).
19.5 Obwohl die Zeilen 11 bis 13 auf der Seite 15 die Herstellung von "Fettsäureester" erwähnen, geht aus den Zeilen 22 und 23 hervor, dass mit dem erfindungsgemäßen Verfahren bevorzugt "omega-3-Fettsäuren wie EPA und/oder DHA hergestellt" werden, d.h. die Fettsäuren aus Anspruch 1. Das steht auch im Einklang mit der Aussage auf Seite 16, Zeilen 31 bis 33 der Stammanmeldung, die auf die Herstellung von EPA oder DHA als freie Säuren verweist.
19.6 Damit gibt die Stammanmeldung einen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass mit dem erfindungsgemäßen Verfahren in der beanspruchten Mindestmenge von 1 Gew. -% bezogen auf den Gesamtlipidgehalt des Organismus bevorzugt EPA und/oder DHA als Fettsäuren hergestellt werden.
20. Anspruch 1, und somit der Hilfsantrag 6A, erfüllt somit die Erfordernisse der Artikel 123 (2) und 76 (1) EPÜ.
Unzulässige Erweiterung des Schutzumfangs
21. Die Beschwerdeführerin brachte des weiteren vor, dass Anspruch 1 Artikel 123(3) EPÜ verletze, weil unter den Begriff "Herstellung der Verbindungen Docosahexaensäure (DHA) und Eicosapentaensäure (EPA)" alle möglichen DHA- und EPA-Derivate fielen, d.h. auch solche, die nicht unter Anspruch 8 wie erteilt fielen.
22. Wie oben unter der Auslegung von Anspruch 1 dargelegt, fallen unter Anspruch 1 nicht die Herstellung aller möglichen DHA- und EPA-Derivate, sondern nur die (freien) Fettsäuren DHA und EPA. Es ist unstrittig, dass die (freien) Fettsäuren DHA und EPA unter die allgemeine Formel I der herzustellenden PUFAs von Anspruch 8 wie erteilt fallen. Damit besitzt Anspruch 1 einen Schutzumfang, der im Vergleich zu Anspruch 8 wie erteilt eingeschränkt ist. Es liegt somit keine Erweiterung des Schutzumfangs vor.
23. Anspruch 1, und somit der Hilfsantrag 6A, erfüllen somit die Erfordernisse von Artikel 123(3) EPÜ.
Klarheit
Berücksichtigung eines Einwands unter mangelnder Klarheit
24. Die Beschwerdegegnerin beantragt, den Einwand der Beschwerdeführerin unter mangelnder Klarheit gegen den Begriff "der Verbindungen" im Zusammenhang mit DHA und EPA in Anspruch 1 nicht zu berücksichtigen, da er erstmalig in der mündlichen Verhandlung vorgebracht und somit verspätet sei. Darüber hinaus sei mangelnde Klarheit kein Einspruchsgrund. Auch aus diesem Grund sei der Einwand nicht zu berücksichtigen.
25. Dem kann nicht gefolgt werden.
25.1 Die Kammer hatte bereits in ihrer Mitteilung unter Artikel 15(1) VOBKihre vorläufige Auslegung des Begriffs "der Verbindungen" (siehe Punkte 26.3 und 26.4) dargelegt. Der Einwand der Beschwerdeführerin unter Artikel 84 EPÜ stellt somit eine adäquate Reaktion auf den bisherigen Verlauf des Beschwerdeverfahrens dar.
25.2 Zum anderen hat die Entscheidung G 3/14 (ABl. 2015, A102, vom 24. März 2015) klargestellt, dass bei der Prüfung nach Artikel 101(3) EPÜ, ob das Patent in der geänderten Fassung den Erfordernissen des EPÜ genügt, die Ansprüche des Patents nur auf die Erfordernisse des Artikel 84 EPÜ geprüft werden können, sofern - und dann auch nur soweit - diese Änderung einen Verstoß gegen Artikel 84 EPÜ herbeiführt (siehe Leitsatz). Der Begriff "der Verbindungen" im Zusammenhang mit DHA und EPA in der Präambel von Anspruch 1 findet sich in keinem der erteilten Ansprüche, sondern stammt aus der Beschreibung (siehe unter unzulässige Erweiterung oben). Somit ist diese Änderung in Anspruch 1 unter Artikel 84 EPÜ überprüfbar.
26. Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass das Merkmal "der Verbindungen Docosahexaensäure (DHA) und Eicosapentaensäure (EPA)" in Anspruch 1 nicht klar sei, weil die Fachperson die Grenzen des Schutzumfangs nicht eindeutig bestimmen könne. Dies liege daran, dass dieses Merkmal breit oder eng auslegbar sei.
27. Wie oben zu Anspruch 1 dargelegt, kann dieses Merkmal von der Fachperson nur eng ausgelegt werden. Das beanspruchte Verfahren ist auf die Herstellung der beiden Fettsäuren DHA und EPA beschränkt. Damit ist der Schutzumfang von Anspruch 1 eindeutig bestimmbar.
28. Anspruch 1, und somit der Hilfsantrag 6A, erfüllen die Erfordernisse von Artikel 84 EPÜ.
Unzureichende Offenbarung
Berücksichtigung einer neuen Argumentationslinie der Beschwerdeführerin basierend auf der Entgegenhaltung D9
29. Die Beschwerdeführerin brachte auch vor, dass basierend auf Tabelle 24 von der Entgegenhaltung D9 Beweise vorlägen, die zeigten, dass mit dem Verfahren von Anspruch 1 die beanspruchte Mindestmenge von 1 Gew.-% an DHA- und EPA-Fettsäuren gemessen am Gesamtlipidgehalt in transgenen nicht-humanen Organismen nicht herstellbar sei.
30. Die Beschwerdegegnerin beantragte, diese Argumentationslinie nicht zu berücksichtigen, da sie erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden sei.
31. Diese Argumentationslinie ist aus folgenden Gründen zu berücksichtigen:
31.1 Zum einen ist die Beschwerdeführerin bereits in ihrer Beschwerdebegründung unter unzureichender Offenbarung auf die Entgegenhaltung D9 eingegangen, darunter auch auf die Tabelle 24 (siehe Seite 25, Absatz 6 bis Seite 26, letzter Absatz). In diesem Zusammenhang wurde argumentiert, dass Tabelle 24 zeige, dass DHA alleine nicht in der geforderten Mindestmenge in Pflanzensamen herstellbar sei.
31.2 Zum anderen hat die Kammer in ihrer Mitteilung unter Artikel 15(1) VOBK (siehe Punkte 35 bis 35.2) die vorläufige Ansicht vertreten, dass das Verfahren von Anspruch 1 nicht so auszulegen sei, dass damit jede Verbindung alleine in der geforderten Mindestmenge hergestellt werde, sondern stets eine Mischung davon.
31.3 Damit ist die von der Beschwerdeführerin vorbrachte Argumentationslinie kein vollständig neues Vorbringen, sondern die Fortentwicklung eines bereits bekannten Arguments. Sie stellt somit eine adäquate Reaktion auf den Verlauf des Beschwerdeverfahrens dar.
Beurteilung in der Sache
32. Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass die Patentanmeldung die Herstellung von 1 Gew.-% der Verbindungen EPA und DHA durch das Verfahren von Anspruch 1 nicht zeige, im besonderen nicht in Pflanzen. Darüber hinaus belegten die experimentellen Daten der Entgegenhaltung D9, dass diese beiden Fettsäuren nicht in der geforderten Mindestmenge in transgenen nicht-humanen Organismen hergestellt werden könnten. Dies belege die Tabelle 24 in Zusammenschau mit der Seite 25, die zeigten, dass im besten Fall eine Mischung von DHA und EPA in einer Konzentration von 0.5 Gew.-% in Pflanzensamen herstellbar sei.
33. Die Kammer kann sich dieser Auffassung nicht anschließen.
34. Anspruch 1 beinhaltet als eine Ausführungsform, dass DHA und EPA in transgenen nicht-humanen Organismen in einer definierten Mindestmenge (1 Gew.-% bezogen auf den Gesamtlipidgehalt des Organismus) nach Einbringung der fünf genannten Enzyme hergestellt werden. Das Einbringen weiterer Enzyme ist in Anspruch 1 durch die Verwendung des Begriffs "umfasst" nicht ausgeschlossen. Allerdings verlangt Artikel 83 EPÜ, dass EPA und DHA in der beanspruchten Mindestmenge von mindestens den fünf im Anspruch genannten Enzymen in transgenen nicht-humanen Organismen ohne unzumutbaren Aufwand herstellbar ist. Diese Ausführungsform wird im nachfolgenden betrachtet.
35. Das EPÜ enthält keine Vorschrift, die erfordern würde, dass eine Patentschrift nur dann ausreichend offenbart ist, wenn ein konkret beschriebenes Ausführungsbeispiel für den beanspruchten Gegenstand enthalten ist. Laut ständiger Rechtsprechung ist eine detaillierte Offenbarung entbehrlich, wenn die Fachperson den beanspruchten Gegenstand aus der Lehre des Patents und/oder dem Stand der Technik in Verbindung mit ihrem allgemeinen Fachwissen ohne erfinderisches Zutun in die Praxis umsetzen kann (siehe Rechtsprechung, II.C.4.1). Eine Erfindung gilt als ausreichend offenbart, wenn sie sich im Wesentlichen im gesamten beanspruchten Bereich ohne unzumutbaren Aufwand ausführen lässt (siehe Rechtsprechung, II.C.5.4; II.C.6.1). Ein erfolgreicher Einwand der unzureichenden Offenbarung setzt ernsthafte und durch nachprüfbare Tatsachen erhärtete Zweifel voraus, wobei im inter-partes-Verfahren die Beweislast dafür im Allgemeinen bei der Einsprechenden liegt (siehe Rechtsprechung, II.C.9).
35.1 Die Beispiele 8 und 32 der Stammanmeldung zeigen, dass sich DHA und/oder EPA durch rekombinante Expression von drei der in Anspruch 1 genannten Enzyme in transgenen Hefen herstellen lassen. Dass nur drei anstatt der fünf beanspruchten Enzyme exprimiert werden, ist für die Ausführbarkeit unerheblich, da Expressionsvektoren für die beiden noch fehlenden Enzyme mit Standardmethoden eingebracht werden können. Es gibt außerdem keine Hinweise darauf, dass eine Expression aller 5 der in Anspruch 1 genannten Enzyme in transgenen nicht-humanen Organismen dazu führen würden, dass kein DHA und/oder EPA mehr hergestellt werden kann. Dies wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht vorgebracht.
35.2 Die Patentanmeldung nennt auf Seite 33, Zeilen 13 bis 33 nicht-humane Organismen, wie Pflanzen, Bakterien, Algen und Pilze, die für das Verfahren von Anspruch 1 geeignet wären. Hinweise sind nicht zu sehen, dass diese Organismen nicht für die Herstellung von DHA und EPA geeignet sind. Diese Organismen entsprechen im Wesentlich den in Anspruch 4 genannten transgenen nicht-humanen Organismen. Mehrere Beispiele der Stammanmeldung beschreiben die Transformation von Pflanzen mit einzelnen der in Anspruch 1 genannten Enzyme (siehe z.B. Beispiele 5, 6, 9 und 12). Es ist unstrittig, dass transgene Pflanzen hergestellt werden können, die alle 5 der in Anspruch 1 genannten Enzyme exprimieren.
36. Die Beschwerdeführerin verwies des weiteren auf die Entgegenhaltung D9, insbesondere auf Tabelle 24 auf Seite 165 und auf Seite 25, Zeilen 17 bis 22, als Beweis, dass DHA und EPA nicht in der geforderten Mindestmenge mit dem Verfahren von Anspruch 1 herstellbar seien.
36.1 Die Entgegenhaltung D9 offenbart auf Seite 25, Zeilen 17 bis 22 folgendes: "In der Regel liegen die verschiedenen vorgenannten Verbindungen (Fettsäureester und frei Fettsäuren) in den Organismen in einer ungefähren Verteilung von 80 bis 90 Gew.-% Triglyceride, 2 bis 5 Gew.-% Diglyceride, 5 bis 10 Gew.-% Monoglyceride, 1 bis 5 Gew.-% freie Fettsäuren, 2 bis 8 Gew.-% Phospholipide vor, wobei sich die Summe der verschiedenen Verbindungen zu 100 Gew.-% ergänzt" (Unterstreichung hinzugefügt).
36.2 Tabelle 24 auf Seite 165 der Entgegenhaltung D9 offenbart eine Fettsäureanalytik von transgenen Samen, die mit dem Konstrukt pSUN-8G transformiert wurden. Es ist unbestritten, dass dieses Konstrukt die fünf in Anspruch 1 genannten Enzyme beinhaltet (siehe u.a. Beispiel 57, Seite 143, und Beispiel 58, Seite 154). Die Tabelle 24, Spalte "I", zeigt für drei transformierte Brassica juncea (Bj) Samen, die Werte von "8,65" (Bj-17-1-3), "9,14" (Bj-17-2-1), und "9,43" (Bj-17-4-3) für EPA, und "0,25" (Bj-17-1-3), "0,40" (Bj-17-2-1) und "0,23" (Bj-17-4-3) für DHA aufweisen; daraus ergibt sich ein Gesamtgehalt von EPA/DHA von "8,90" (Bj-17-1-3), "9,54" (Bj-17-2-1) und "9,66" (Bj-17-4-3).
36.3 Der von der Beschwerdeführerin angegebene Gesamtgehalt von EPA/DHA in den Samen von Brassica beträgt 0.5% vom Gesamtlipidgehalt. Diese Annahme der Beschwerdeführerin stützt sich alleine darauf, dass der Anteil aller freien Fettsäuren am Gesamtlipidgehalt in Pflanzen "1 bis 5 Gew.-%" beträgt (siehe Punkt 36.1 oben). Mit anderen Worten, 1 bis 5 Gew.-% stellen den Maximalgehalt an freien Fettsäuren in Pflanzen dar; dieser Maximalgehalt enthält, gemäß Tabelle 24, nur maximal etwa 9.5% EPA/DHA.
37. Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin nicht, dass die Entgegenhaltung D9 überzeugende Beweise dafür offenbart, dass das beanspruchte Verfahren EPA und DHA nicht in der geforderten Mindestmenge herstellen kann. Der oben genannte Absatz auf Seite 25 beginnt explizit mit dem Begriff "In der Regel". Dies schließt prinzipiell nicht aus, dass in Pflanzen auch ein höherer Gesamtgehalt an freien Fettsäuren als die angegebenen 1 bis 5 Gew.-% gemessen am Gesamtlipidgehalt vorliegen kann. Des weiteren offenbart die Seite 25 keine individuellen freien Fettsäuren, geschweige den eine Mischung aus DHA und EPA.
38. Darüber hinaus, selbst wenn sich mit dem in Beispiel 61 der Entgegenhaltung D9 gezeigten Verfahren nicht der in Anspruch 1 geforderte Mindestgehalt an freien EPA/DHA Fettsäuren erzielen ließe, schließt dies nicht aus, dass die Fachperson bei Anwendung der Lehre der Stammanmeldung und ihres allgemeinen Fachwissens dieses Ziel dennoch erreicht. Die Rechtsprechung hat dazu den Grundsatz entwickelt, dass das gelegentliche Misslingen eines beanspruchten Verfahrens dessen Ausführbarkeit nicht beeinträchtigt, wenn es nur einiger Versuche bedarf, um den Fehlschlag in einen Erfolg zu verwandeln, vorausgesetzt, dass sich diese Versuche in vertretbaren Grenzen halten und kein erfinderisches Zutun erfordern (siehe Rechtsprechung, II.C.6.6.1). Dies ist auch hier der Fall.
39. Die Beschwerdeführerin hat keine überzeugenden Beweise vorgelegt, wonach das Verfahren von Anspruch 1 nicht über die gesamte beanspruchte Breite ausführbar wäre. Damit erfüllt das Verfahren von Anspruch 1, und damit der Hilfsantrag 6A, die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ.
Neuheit
40. Das Verfahren von Anspruch 1 beschreibt verschiedene Ausführungsformen zur Herstellung der Verbindungen DHA und EPA. Eine Ausführungsform, die im nachfolgenden ausschließlich betrachtet wird, verwendet dazu eine Delta6-Desaturase, Delta6-Elongase, Delta5-Desaturase, Delta5-Elongase, und eine Delta4-Desaturase, sowie eine Nukleinsäure, die für die Delta5-Elongase kodiert, die aus Derivaten der in SEQ ID NO: 67 dargestellten Nukleinsäuresequenz ausgewählt wird, die für Polypeptide mit mindestens 40% Identität auf Aminosäureebene mit SEQ ID NO: 68 kodieren und eine Delta5-Elongaseaktivität aufweisen (siehe Anspruch 1 e) c)). Die Nukleinsäuresequenz SEQ ID NO: 67 und die davon abgeleitete Aminosäuresequenz SEQ ID NO: 68 stammen aus Ostreococcus tauri (O. tauri), einer Meeresalge, die zu den Grünalgen gehört (siehe Patent, Seite 11, Tabelle 1, Nr. "32.", Seite 17, Zeilen 22 und 23, und Seite 54, Beispiel 14).
41. Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass die oben genannte Ausführungsform von Anspruch 1 nicht neu gegenüber der Entgegenhaltung D12 sei. In diesem Zusammenhang wurde auf die Sequenzvergleiche in Anhang A und C verwiesen. Anspruch 1 e) c) sei bei der Bestimmung der 40% Sequenzidentität weder auf einen bestimmten Algorithmus/Parameter zur Berechnung der Identität, noch auf einen bestimmten Bereich der Referenzsequenz SEQ ID NO: 68 limitiert.
42. Es ist unstrittig, dass die Entgegenhaltung D12 die rekombinante Herstellung von mehr als 1 Gew.-% von unter anderem DHA/EPA in Embryonen von Sojabohnen offenbart (siehe Tabellen 9 und 10, Seiten 72 und 73). Diese Embryonen werden durch eine Co-Transformation der Plasmide pKR364 und pKR357 oder, alternativ, der Plasmide pKR365 and pKR357 erzeugt. In beiden Fällen entsteht durch diese Co-Transformation ein transgener Organismus (Pflanzenembryo), der Nukleinsäuren enthält, die für die fünf in den Verfahrensschritten a) bis e) von Anspruch 1 genannten Enzyme (Delta6-Desaturase, Delta6-Elongase, Delta5-Desaturase, Delta5-Elongase, Delta4-Desaturase) kodieren (siehe Beispiel 13, Seite 68 bis 73, und Seite 30, Tabelle 1). Die Delta5-Elongase stammt aus der Alge Pavlova sp.. Ihre Aminosäuresequenz ist in der SEQ ID NO: 50 dargestellt und besteht aus 277 Aminosäuren (siehe Seite 8, Zeile 33, und Seite 64, Beispiel 12).
43. Es ist dagegen strittig, ob die Aminosäuresequenz der SEQ ID NO: 50 (277 Aminosäuren) zu mindestens 40% identisch zu den in Anspruch 1 e) c) angegebenen Derivaten der Aminosäuresequenz SEQ ID NO: 68 (300 Aminosäuren) ist.
44. Anhang A zeigt auf Seite 9 einen mittels des Programms Emboss Needle durchgeführten Sequenzvergleich zwischen der Aminosäuresequenz SEQ ID NO: 68 (Länge: 1-300) aus Anspruch 1 e) c) und der Aminosäuresequenz SEQ ID NO: 50 (Länge: 1-277) aus der Entgegenhaltung D12. Als Identität dieser beiden Sequenzen ist bei Verwendung der ebenfalls auf Seite 9 genannten Parameter der Wert 40.2% angegeben.
44.1 Es ist unstrittig, dass die Berechnungen in Anhang A nicht mit den üblichen Standardparametern für Emboss Needle (nämlich EBLOSUM62 als Matrix, und 10.0 und 0.5 als "Gap penalty" und "Extend penalty") durchgeführt wurden. Daher ist das Ergebnis von 40.2%, das mit keinen Standardparametern (EBLOSUM62 als Matrix, 1.0 und 0.4 als "Gap penalty" und "Extend penalty") erzielt wurde, für die Prüfung der Neuheit nicht relevant, da es technisch keinen Sinn ergibt. Obwohl Anspruch 1 e) c) weder das Programm noch die Parameter für die Identitätsberechnung der zu vergleichenden Aminosäuresequenzen definiert und daher, wie die Beschwerdeführerin zu Recht vorträgt, der Umfang dieses Anspruchs breit auszulegen ist, ist der Auffassung der Beschwerdegegnerin zu folgen, dass der Wortlaut von Anspruch 1 e) c) von der Fachperson nur so weit ausgelegt wird, wie er technisch sinnvoll ist. Dies schließt die Berücksichtigung technisch unsinniger oder unlogischer Auslegungen aus - im vorliegenden Fall also die Verwendung von Nicht-Standard- bzw. zweckfremder Vergleichsparameter und Programme. Dies steht in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe Rechtsprechung, II.A.6.1).
44.2 Die Beschwerdeführerin hat auch kein Beweismittel vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass die in Anhang A verwendeten Parameter unter anderen Umständen und/oder für Zwecke des Sequenzvergleichs als Standardparameter angesehen werden könnten.
45. Anhang C zeigt auf der Seite 9 einen mittels BLASTp durchgeführten Sequenzvergleich über einen Teilbereich (Aminosäuren: 28-264) der SEQ ID NO: 68 aus Anspruch 1 und einen Teilbereich (Aminosäuren: 17-248) der SEQ ID NO: 50 aus der Entgegenhaltung D12. Die berechnete Identität der beiden Sequenzen über diesen Teilbereich beträgt 41%.
45.1 Wie oben zur Auslegung von Anspruch 1 von Hilfsantrag 6A ausgeführt, ist für die Fachperson das Ergebnis eines Sequenzvergleichs nur dann technisch sinnvoll, wenn bei der Berechnung der Identität die Länge der zu vergleichenden Sequenzen berücksichtigt wird. Die Kammer stimmt daher mit der von der Beschwerdegegnerin in diesem Zusammenhang zitierten Rechtsprechung, nämlich den Entscheidungen T 1032/12 (siehe Entscheidungsgrund 15) und T 1713/19 (siehe Entscheidungsgründe 3, 7 und 8), überein. Im vorliegenden Fall dient als Referenz die Sequenz mit der größeren Länge, hier die 300 Aminosäuren der SEQ ID NO: 68.
45.2 Das in Anhang C verwendete Vergleichsprogramm BLASTp berücksichtigt bei der Bestimmung der Identität nicht die Gesamtlänge der zu vergleichenden Sequenzen, wobei die längere der beiden als Referenz dient, sondern bestimmt die Identität über einen beliebigen, d.h. willkürlichen Teilbereich der beiden Sequenzen, in dem sich der höchste Anteil an identischen/ähnlichen Aminosäuren befindet (siehe oben und Anhang C, Seite 9). Im vorliegenden Fall wird die dadurch ermittelte Sequenzidentität von 41% daher als technisch nicht sinnvolles Ergebnis angesehen, die daher und bei der Prüfung der Neuheit unberücksichtigt zu bleiben hat.
45.3 Berücksichtigt man bei der Berechnung der Identität dagegen die Gesamtlänge der SEQ ID NO: 68, beträgt die Identität zwischen dieser Sequenz und SEQ ID NO: 50 aus der Entgegenhaltung D12 nur 36.5%, d.h. sie liegt unter der geforderten Mindestsequenzidentität von 40% aus Anspruch 1 (siehe Beschwerdeerwiderung vom 11. November 2019, Seite 18, letzter Absatz; die darin zitierte "SEQ ID NO: 122 of D11" ist identisch zu SEQ ID NO: 50 aus D12, siehe Anhang C, Seiten 8 und 9).
46. Darüber hinaus hat die Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung erstmalig Zweifel daran geäußert, dass der mit BLASTp durchgeführte Sequenzvergleich in Anhang C auf der Verwendung von Standardparametern beruht. Die Beschwerdeführerin hat dazu beantragt, diesen Einwand als verspätet nicht zu berücksichtigen.
47. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass in der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK die Frage aufgeworfen wurde (siehe Punkt 43.4), ob der Sequenzvergleich in Anhang C durch BLASTp mit Standardparametern durchgeführt wurde. Das Vorbringen dieses Arguments durch die Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung ist somit bloß eine Reaktion auf den bisherigen Verlauf des Beschwerdeverfahrens. Allerdings kann diese Frage in Folge der Auslegung von Anspruch 1 (siehe oben) und der sich darauf stützenden Beurteilung der Neuheit von Anspruch 1 gegenüber den Ergebnissen in Anhang C dahinstehen.
48. Anspruch 1 des Hilfsantrags 6A ist daher neu gegenüber der Offenbarung der Entgegenhaltung D12 und erfüllt die Erfordernisse von Artikel 54 EPÜ.
Erfinderische Tätigkeit
Berücksichtigung einer Argumentationslinie der Beschwerdeführerin unter erfinderischer Tätigkeit
49. Die Beschwerdeführerin brachte während der mündlichen Verhandlung erstmals vor, dass die Entgegenhaltung D11 Mikroalgen explizit nenne, und stützte zum Teil ihre Argumentation unter mangelnder erfinderischer Tätigkeit des beanspruchten Verfahrens auf diesen Sachverhalt. Die Beschwerdegegnerin beantragt, dieses Argument als verspätet nicht zu berücksichtigen.
50. Diese Argumentationslinie ist im Verfahren zu berücksichtigen. Die Beschwerdeführerin hat bereits in ihrer Beschwerdebegründung vorgebracht (siehe Seite 17, Absatz 2 bis 4), dass die Entgegenhaltung D11 den nächsten Stand der Technik darstelle, weil darin drei Varianten einer sogenannten "PELO1" Delta5-Elongase offenbart seien, die mehr als 40% Sequenzidentität zur spezifischen Delta5-Elongase (SEQ ID NO: 68) aus Anspruch 1 aufwiesen. Alle drei PELO1-Varianten stammen aus dem Organismus "Pavlova sp. 459" (siehe D11, Absätze [0198] bis [0203]), d.h. aus einer Mikroalge. Der zusätzliche Hinweis, dass die Entgegenhaltung D11 darüber hinaus die Mikroalge "MK8805" in Absatz [0215] als potentielle Quelle nennt, um nach weiteren Elongase-Derivaten zu suchen, stellt somit keine neue und eigenständige Argumentationslinie dar, sondern entwickelt die Argumentation der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren nur fort.
Beurteilung in der Sache
51. Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass die oben unter Neuheit betrachtete Ausführungsform des Verfahrens von Anspruch 1 (siehe Punkt 40 oben) im Lichte der Entgegenhaltung D11 alleine oder in Kombination mit den Entgegenhaltungen D13, D14 oder D15 nicht erfinderisch sei.
52. Es ist unstrittig, dass die Entgegenhaltung D11 den nächstliegenden Stand der Technik für die zu betrachtende Ausführungsform von Anspruch 1 darstellt.
53. Die Entgegenhaltung D11 offenbart verschiedene Elongasen, die aus sechs unterschiedlichen Organismen stammen (Mortierella alpina (ein Pilz), Mensch, Maus, C. elegans (ein Fadenwurm), Thraustochytrium aureum (ein einzelliger Mariner Saprophyt), und Pavlova sp. 459 (eine Mikroalge)), und die Verwendung dieser Enzyme in der Herstellung von PUFAs (siehe Zusammenfassung, Absätze [0002], [0106] und [0211]).
53.1 Diese Entgegenhaltung nennt unter anderem drei sogenannte "PELO1" Varianten einer Delta5-Elongase aus der Alge Pavlova sp. 459 (siehe Aminosäuresequenzen SEQ ID NO: 118, 121 und 122, Abbildungen 90, 93 und 94; Absätze [0199], [0202] und [0203]), die zu 36.5% identisch zu den in Anspruch 1 e) c) genannten Derivaten der Aminosäuresequenz von SEQ ID NO: 68 sind (siehe Neuheit, oben). Absatz [0098] nennt darüber hinaus Aminosäuresequenzen, die zu mindestens 50% identisch zu den SEQ ID NO: 121 und 119 sind; Absatz [0099] nennt Sequenzen, die zu mindestens 30% identisch zur SEQ ID NO: 121 sind. Mit anderen Worten, die Entgegenhaltung D11 ist nicht auf die Offenbarung von drei spezifischen PELO1 Delta5-Elongasen beschränkt, sondern umfasst auch Varianten dieser Enzyme.
53.2 Absatz [0215] offenbart ferner Organismen, die als potentielle Quelle für die Suche nach weiteren Varianten der Elongasen dienen können. Neben zahlreichen Einzellern, Pilzen, und Tieren, sind auch einige Mikroalgen Arten aufgelistet. Dieser Absatz offenbart somit Mikroalgen im Allgemeinen. Die Abbildung 1 zeigt zudem verschiedene Biosynthesewege für die Herstellung von PUFAs, einschließlich DHA und EPA.
54. Das Verfahren der hier betrachteten Ausführungsform von Anspruch 1 unterscheidet sich von dem Verfahren aus der Entgegenhaltung D11 dadurch, dass zwischen den in diesen Verfahren verwendeten spezifischen Delta5-Elongasen ein Aminosäure-Sequenzunterschied von 3.5% besteht, und darin, dass aus D11 ein spezifischer Biosyntheseweg zur Herstellung von DHA und EPA ausgewählt werden muss.
55. Mit diesen Unterschieden ist kein besonderer technischer Effekt verbunden. Die zu lösende technische Aufgabe ist es somit, ein alternatives Verfahren zur Herstellung von EPA und DHA zur Verfügung zu stellen.
56. Durch die Beispiele 8, 14, 18, und 32 des Patents ist gezeigt, dass das Verfahren von Anspruch 1 diese Aufgabe löst.
57. Die sich zu stellende Frage bleibt somit, ob die Fachperson ausgehend vom Verfahren der Entgegenhaltung D11 angesichts der oben formulierten technischen Aufgabe, in naheliegender Weise zur beanspruchten Ausführungsform von Anspruch 1, insbesondere Anspruch 1 e) c), gelangt wäre.
58. Die Beschwerdeführerin brachte dazu vor, dass die Derivate der betrachteten Ausführungsform nicht auf ihre Herkunft aus O. tauri beschränkt seien, sondern alle Derivate umfasse, die die strukturellen Anforderungen von Anspruch 1 insbesondere Anspruch 1 e) c) erfüllten, unabhängig von ihrer Herkunft. Des weiteren sei die Entgegenhaltung D11 nicht auf die Offenbarung der spezifischen Aminosäuresequenz SEQ ID NO: 121 beschränkt, sondern offenbare Sequenzen, die zu 30% identisch damit seien. Dadurch bestünden nicht nur signifikante Überlappungsbereiche zwischen den Delta5-Elongase-Derivaten aus der Entgegenhaltung D11 und den in Anspruch 1 e) c) beschriebenen Derivaten, sondern die Fachperson hätte auch einen Anreiz besessen, nach diesen Derivaten zu suchen. Hinweise für die Suche nach diesen Derivaten gebe es auch in Absatz [0215], der als mögliche Bezugsquelle unter anderem Mikroalgen explizit nenne. Dies sei des weiteren eine Aufforderung gewesen, in die Suche auch andere verwandte (Mikro-)Algenarten einzuschließen.
58.1 Zudem sei es etablierte Rechtsprechung, dass der gleiche Standard anzulegen sei, wenn es um die Offenbarung des Streitpatents und einer Entgegenhaltung des Standes der Technik gehe. Da es bezüglich der Delta5-Elongase in Anspruch 1, insbesondere in Anspruch 1 e) c), keinen Zweifel gebe, dass die Fachperson im wesentlichen alle Derivate bekommen könne, die mindestens zu 40% identisch damit seien, gelte dies auch für die zu 30% und 50% identischen Derivate von z.B. der Aminosäuresequenz SEQ ID NO: 121 aus D11. Es wurde in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung T 1120/00 verwiesen.
58.2 Bei der Suche nach alternativen Delta5-Elongasen in (Mikro-)Algen hätte die Fachperson ohne erfinderisches Zutun und durch die Anwendung von Routineverfahren automatisch eine Sequenz erhalten, die unter die Ausführungsform von Anspruch 1 insbesondere Anspruch 1 e) c) falle.
59. Die Kammer kann sich dem nicht anschließen. Zwar nennt die Entgegenhaltung D11 Pavlova sp. 459 und einige andere Mikroalgen, einschließlich "MK8805" (siehe Absätze [0211] und [0215]), allerdings sind in diesen beiden Absätzen eine Vielzahl von Organismen (die keine Algen sind) genannt, die als potentielle Quelle für alternative Delta5-Elongasen dienen können (siehe oben). Ein konkreter Hinweis für die Suche nach alternativen Delta5-Elongase in anderen (Mikro-)Algen als den explizit genannten lässt sich in Absatz [0215] nicht finden. Es ist unbestritten, dass um die 10.000 Algenarten existieren. Photosynthese betreibende Algen, wie die Grünalgen, zu denen O. tauri gehört, sind in der Entgegenhaltung D11 nicht genannt. Es gibt in dieser Entgegenhaltung auch keine Hinweise darauf, welche (Mikro-)Algen, außer den explizit genannten, PUFAs herstellen können. Damit fehlt der Fachperson ein Anhaltspunkt, in welchen (Mikro-)Algen die Suche nach weiteren Delta5-Elongasen potenziell mit einer gewissen Erfolgserwartung verbunden sein könnte.
59.1 Somit kann auf Grund der großen Anzahl an in der Entgegenhaltung D11 erwähnten potentiellen Organismen für die Suche nach weitere Delta5-Elongasen, der großen Anzahl an bekannten (Mikro-)Algenarten, der Nichterwähnung von Grünalgen im Allgemeinen und von O. tauri im besonderen, die Fachperson dieser Entgegenhaltung keine Hinweise entnehmen, die sie auf Grund einer angemessenen Erfolgserwartung veranlasst hätte, Grünalgen bzw. O. tauri in die Suche nach weiteren Delta5-Elongasen einzuschließen.
59.2 Die Entscheidung T 1120/00 ist für den vorliegenden Fall nicht relevant. Die von der Beschwerdeführerin zitierten Passagen betreffen rein technische Aspekte, die für eine ausreichende Offenbarung von Sequenzen mit einer niedrigen Homologie (60%) in einer prioritätsbegründenden Anmeldung eine Rolle spielen. Diese Entscheidung behandelt jedoch nicht den Aspekt, ob eine Fachperson, die etwas technisch hätte machen können, dies auf Grund einer angemessenen Erfolgserwartung auch getan hätte. Dafür wären in der Entgegenhaltung D11 Hinweise erforderlich gewesen, dass es in Grünalgen Delta5-Elongasen gibt, insbesondere in O. tauri.
59.3 Dies bedeutet, dass die betrachtete Ausführungsform von Anspruch 1, insbesondere Anspruch 1 e) c), durch die Lehre der Entgegenhaltung D11 alleine für die Fachperson nicht in offensichtlicher Weise nahegelegt ist.
60. Die Beschwerdeführerin brachte letztlich vor, das die hier betrachtete Ausführungsform von Anspruch 1, insbesondere Anspruch 1 e) c), durch die Kombination der Lehren der Entgegenhaltungen D11 und D13, D14 oder D15 nahegelegt sei.
60.1 Die Kammer kann sich auch dem nicht anschließen. Die Entgegenhaltungen D13 bis D15 offenbaren nur einen Biosyntheseweg für die Herstellung von unter anderem DHA und EPA in Pflanzen, der auf der Verwendung der fünf Enzyme beruht, die auch in der hier betrachteten Ausführungsform genannt sind (siehe D13, Seiten 794 und 795, Abbildung 6; D14, Seite 8, Zeilen 10 bis 20, Abbildung 1; und D15, Seite 109, Spalte 2, Absatz 2). Allerdings ist es unbestritten, dass die Entgegenhaltungen D13 bis D15 keine Delta5-Elongasen offenbaren, die zu mindestens 40% identisch zu der Aminosäuresequenz SEQ ID NO: 68 sind. Daher kann die Fachperson auch durch die Kombination der Lehre der Entgegenhaltung D11 mit der Lehre von D13, D14, oder D15 nicht zum Gegenstand der hier betrachteten Ausführungsform von Anspruch 1, insbesondere Anspruch 1 e) c) gelangen.
61. Das Verfahren von Anspruch 1 des Hilfsantrags 6A erfüllt somit auch die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird mit der Anordnung an die
Einspruchsabteilung zurückverwiesen, das Patent auf der
Grundlage des Hilfsantrags 6A, eingereicht am 8. August
2022, und einer anzupassenden Beschreibung
aufrechtzuerhalten.