T 1418/17 () of 17.7.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T141817.20200717
Datum der Entscheidung: 17 Juli 2020
Aktenzeichen: T 1418/17
Anmeldenummer: 09008497.1
IPC-Klasse: B23P19/06
F16B37/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung und Verfahren zum Einpressen von Befestigungselementen
Name des Anmelders: Arnold & Shinjo GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Richard Bergner Holding GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 52(1) (2007)
European Patent Convention Art 54 (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
RPBA2020 Art 013(1) (2020)
RPBA2020 Art 015(8) (2020)
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (nein)
Neuheit - Hilfsantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
Spät eingereichter Antrag zugelassen
Zurückverweisung an die erste Instanz
Entscheidung teilweise in gekürzter Form
Öffentliche Zugänglichkeit einer offenkundigen Vorbenutzung
Orientierungssatz:

1. Hinsichtlich der von der Einspruchsabteilung vorgenommenen Feststellung der relevanten Fakten ist zu berücksichtigen, dass vor dem Europäischen Patentamt anerkanntermaßen der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt, was auch Auswirkungen auf die Überprüfung im Beschwerdeverfahren haben muss.

2. Soweit kein Rechtsanwendungsfehler vorliegt (etwa ein falscher Beweismaßstab angewandt wurde), sollte eine Beschwerdekammer daher die Beweiswürdigung eines erstinstanzlichen Spruchkörpers nur aufheben und durch ihre eigene ersetzen, wenn diese erkennbar

(i) wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt hat, oder (ii) sachfremde Erwägungen mit einbezogen hat oder

(iii) einen Verstoß gegen die Denkgesetze, etwa logische Fehler und Widersprüche in der Begründung, erkennen lässt.

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/97
G 0001/12
T 1553/07
T 2565/11
T 1107/12
T 0621/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1057/15
T 1604/16
T 2702/18
T 0041/19
T 0042/19
T 1138/20
T 0423/22
T 1199/22

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 2 140 968 in geänderter Fassung.

II. In der Zwischenentscheidung hat die Einspruchsabteilung die Ausstellung und Vorführung der Maschinen des Typs "UWS 500" auf Messen vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents als ausreichend bewiesen angesehen und ist somit zum Schluss gekommen, dass die Ausstellung einen Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) EPÜ darstellt.

Dagegen hat die Einspruchsabteilung den Verkauf solcher Maschinen als nicht offenkundig angesehen.

Ansonsten wurde von der Einspruchsabteilung folgende Patentliteratur berücksichtigt:

D3: WO2007/0597 42

D4: DE 195 35 537

D5 DE 197 00 271

III. Es wurde am 17. Juli 2020 vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des europäischen Patents auf der Grundlage des am 23. Dezember 2019 eingereichten Hilfsantrags.

VI. Der unabhängige Anspruch 9 in der aufrechterhaltenen Fassung des Patents (Hauptantrag der Beschwerdegegnerin im Beschwerdeverfahren) lautet wie folgt:

Verfahren zum Einpressen eines Befestigungselements in ein Loch eines Bauteils (2), bei dem das Bauteil (2) zwischen einer Matrize (1) und einem Stempel (7) festgehalten wird, ein Zapfen (5) von der Seite der Matrize (1) her mit seinem freien Ende in das Loch des Bauteils (2) hinein und durch das Loch hindurch geschoben wird, das Befestigungselement mit seinem mit einem Gewinde versehenen Schaft (14) von der Seite des Stempels in das Loch hinein und durch das Loch des Bauteils (2) hindurch in einen Kanal (3) der Matrize (1) geschoben wird, dabei der Zapfen (5) zurückgezogen wird, und das Befestigungselement im Bereich seines dem freien Ende abgewandten Endes mit dem Randbereich des Lochs verpresst wird.

VII. Der einzige unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag lautet wie folgt:

Vorrichtung zum Einpressen von Befestigungselementen, mit einem Stempel (7) zur Auflage auf bzw. zur Anlage an einem ein Loch aufweisenden Bauteil (2), einem in dem Stempel (7) ausgebildeten Kanal (8) zur Aufnahme des Befestigungselements, einem Vorschubelement (12) zum Vorschub des Befestigungselements (9) in dem Kanal (8) und in das Loch des Bauteils (2), einer Matrize (1 ), die dem Stempel (7) gegenüberliegend angeordnet ist, und einen Kanal (3) aufweist, der den durch das Loch des Bauteils ragenden mit einem Gewinde versehenen Schaft (14) aufnimmt, sowie mit einem in dem Kanal (3) der Matrize (1) verschiebbaren Zapfen (5), der mit seinem vorderen Ende durch das Loch des Bauteils (2) bewegbar ist, wobei der Zapfen (7) durch das Loch des Bauteils (2) hindurch bis in Eingriff mit dem vorderen Ende des noch vollständig in dem Kanal (8) des Stempels (7) angeordneten Befestigungselements bewegbar ist, und wobei das vordere Ende des Zapfens (5) komplementär zu dem vorderen Ende des Befestigungselements ausgebildet ist.

Entscheidungsgründe

Offenkundige Vorbenutzungen

1. Die Kammer stellt fest, dass alle relevanten Argumente der Parteien im Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Frage der Offenkundigkeit der "UWS 500" Maschine durch den Verkauf durch die Rifast Systems GmbH + Co. KG an verschiedenen Kunden (im Folgenden Vorbenutzung A) sowie durch ihre Ausstellung und Vorführung auf Messen in Deutschland im Zeitraum 2003-2007 (im Folgenden Vorbenutzung B) bereits im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemacht und berücksichtigt wurden.

Gestützt auf die Zeugenaussage führt die Beschwerdeführerin nämlich aus, dass Maschinen des Typs "UWS 500" vor dem Prioritätsdatum an verschiedenen Kunden ohne Geheimhaltungsvereinbarung verkauft und geliefert wurden, und dass derartiger Maschinen in dem Zeitraum 2003-2007 auf Messen der blechbearbeitenden Industrie ausgestellt und vorgeführt wurden, und zwar aus den Gründen, die in der angefochtenen Entscheidung unter Punkten 2.1 bzw. 3.1 wiedergegeben worden sind.

Die Beschwerdegegnerin entgegnet der Argumentation der Beschwerdeführerin mit den Ausführungen, die unter den Punkten 2.1, 3.1, zweiter Absatz, sowie 3.4, erster Absatz der angefochten Entscheidung wiedergegeben worden sind.

1.1 Im Beschwerdeverfahren wurde von der Beschwerdeführerin betont, dass die "UWS 500" eine Standardmaschine ist. Es sei daher davon auszugehen, dass die "UWS 500" Maschine, unabhängig von der strittigen Frage des Vorliegens einer Geheimhaltungsvereinbarung bei einem etwaigen Verkauf, im Angebot an potenzielle Kunden der Blechbearbeitungsbranche vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents stand und damit durch die üblichen dazugehörigen Werbeprospekte für die Öffentlichkeit zugänglich geworden sei. Darüber hinaus sei ein Weiterverkauf an jeden Dritten möglich gewesen, wie vom Zeugen betätigt wurde. Diese Umstände sprächen eindeutig für die Offenkundigkeit der "UWS 500" Maschine mit sämtlichen Werbeprospekten, Bedienungsanleitungen und technischen Zeichnungen vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents.

1.2 Die Kammer merkt allerdings an, dass seitens der Beschwerdeführerin kein Verkaufangebot der "UWS 500" Maschine mit dem zugehörigen technischen Inhalt (z.B. Werbeprospekte und technische Zeichnungen), sowie kein einziger Weiterverkauf konkret substanziiert wurde. Es ist daher insbesondere nicht ersichtlich, welche Merkmale der Maschine bei einem angeblichen Verkaufsangebot offenbart worden sein könnten. Darüber hinaus stellt die bloße Möglichkeit eines Weiterverkaufs einer unter Geheimhaltungsverpflichtung gekauften Maschine alleine noch keine tatsächliche Offenbarung aller technischen Merkmale der Maschine dar. Die rechtliche Würdigung der Einspruchsabteilung lässt daher keinen Fehler erkennen.

1.3 Hinsichtlich der von der Einspruchsabteilung vorgenommenen Feststellung der relevanten Fakten ist zu berücksichtigen, dass vor dem Europäischen Patentamt anerkanntermaßen der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt, vgl. G 3/97, Gründe Nr. 5, G 1/12 Gründe Nr. 31, was auch Auswirkungen auf die Überprüfung im Beschwerdeverfahren haben muss, vgl. T 1107/12, Gründe Nr. 1.2.2, T 621/14, Gründe Nr. 2.1. Soweit kein Rechtsanwendungsfehler vorliegt (etwa ein falscher Beweismaßstab angewandt wurde), sollte eine Beschwerdekammer daher die Beweiswürdigung eines erstinstanzlichen Spruchkörpers nur aufheben und durch ihre eigene ersetzen, wenn diese erkennbar

(i) wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt hat (T 1553/07, Gründe Nr. 20), oder

(ii) sachfremde Erwägungen mit einbezogen hat (vgl. T 2565/11 Gründe Nr. 1.2.1, 1. Fall) oder

(iii) einen Verstoß gegen die Denkgesetze, etwa logische Fehler und Widersprüche in der Begründung, erkennen lässt (vgl. T 2565/11 Gründe Nr. 1.2.1, 2. Fall).

Nichts von dem ist vorliegend erkennbar. Die Kammer erachtet die Entscheidung der ersten Instanz hinsichtlich der Frage der Offenkundigkeit der vorgebrachten offenkundigen Vorbenutzungen vielmehr als rechts- und logikfehlerfrei, so dass die Beweiswürdigung der Einspruchsabteilung nicht zu beanstanden ist.

1.4 Die Kammer schließt sich somit hinsichtlich der Frage des Vorliegens einer offenkundigen Vorbenutzung durch die Verkäufe der "UWS 500" Maschine an verschiedenen Kunden sowie durch ihre Ausstellung und Vorführung auf Messen vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents der Feststellungen der Einspruchsabteilung und der Begründung der angefochtenen Entscheidung an und hält es für sachdienlich, die vorliegende Entscheidung hinsichtlich dieser Punkte in gekürzter Form nach Artikel 15(8) VOBK 2020 abzufassen:

1.5 Nach Überprüfung der angefochtenen Entscheidung schließt sich die Kammer der zutreffenden Begründung und Feststellung der Einspruchsabteilung an, dass

Maschinen des Typs "UWS 500" durch Verkauf nicht offenkundig geworden sind und können somit für die Entscheidung nicht als Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) EPÜ berücksichtig werden, und dass

die Ausstellung und Vorführung einer Maschine des Typs "UWS 500" auf Messen vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents ausreichend bewiesen wurde und stellt somit einen Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) EPÜ dar,

und verweist hinsichtlich dieser Punkte auf die Entscheidungsgründe 2.2 bis 2.4 sowie 3.1 bis 3.4.

Hauptantrag

Neuheit im Hinblick auf die offenkundige Vorbenutzung B

2. Im Folgenden wird hinsichtlich des Anspruchs 9 des Hauptantrags auf die in der angefochtenen Entscheidung verwendete Merkmalsgliederung des erteilten Anspruchs 10 verwiesen, da der erteilte Anspruch 10 dem Anspruch 9 des Hauptantrags entspricht.

2.1 Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 9 in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung von der Vorbenutzung durch die Ausstellung und Vorführung der "UWS 500" Maschinen neuheitsschädlich getroffen sei. Die Beschwerdegegnerin ist hingegen der Auffassung, dass die Merkmale 10.2 bis 10.4 für die Messebesucher weder erkennbar noch als implizit vorhanden anzunehmen gewesen seien. Gestützt auf die Absätze [0014], [0027] und [0033] der Patentschrift führt die Beschwerdegegnerin insbesondere aus, dass dem Wortlaut dieser Merkmale die Lehre eindeutig zu entnehmen sei, dass die Bewegung des Zapfens, der in das Loch des Bauteils hinein und durch das Loch hindurch geschoben wird (vgl. Merkmal 10.2) und danach bei dem Einpressen zurückgezogen wird (vgl. Merkmal 10.4), durch eine aktive Steuerung der Vorwärtsbewegung bzw. des Zurückziehens des Zapfens umgesetzt wird. Eine solche aktive Steuerung des Zapfens sei bei der ausgestellten Maschine nicht vorhanden und auf jeden Fall für die Messebesucher nicht erkennbar gewesen. Die Kammer kann diese Argumentation aus folgenden Gründen nicht teilen:

2.2 Die Formulierung des Merkmals 10.2 ist für sich selbst klar und im Hinblick auf den technischen Zusammenhang des Anspruchs 9 breiter auszulegen. Entgegen der Interpretation der Einspruchsabteilung und im Einklang mit der Auslegung der Beschwerdeführerin erfordert diese Formulierung nicht zwangläufig eine aktive, gesteuerte Bewegung des Zapfens von unten in das Loch hinein und durch das Loch hindurch, sondern lediglich die Umsetzung einer relativen Bewegung zwischen dem Zapfen und dem Loch. Bei der vom Zeugen beschriebenen Bestückung der Maschine wird das Probeblech vom Messebesucher so in die Maschine eingelegt, dass der aus der Matrize hervorragende und nach oben vorgespannte Zapfen in das Loch hinein und durch das Loch hindurch geschoben wird. Es findet dabei eine relative Bewegung zwischen dem Zapfen und dem Loch des Probebleches statt, die das Merkmal 10.2 des Anspruchs 9 erfüllt, und die von den Messebesuchern ohne weiteres erkennbar war.

2.3 Es ist der Beschwerdegegnerin zuzustimmen, dass der durch das Merkmal 10.3 definierte Ablauf nicht unmittelbar für die Messebesucher erkennbar war; denn was mit dem Befestigungselement innerhalb des auf das Probeblech bereits abgesenkten Niederhalters vorging, war nicht einsehbar (vgl. Zeugenprotokoll, Seite 14, Zeilen 9-11). Beim Herausnehmen des vervollständigten Probebleches aus der Maschine musste jedoch für die Messebesucher vollkommen klar sein, dass der Schaft des Befestigungselements, während der Absenkung des Stempels, den Zapfen nach unten in die Matrize zurückgeschoben hatte, wobei der aus dem Blech herausragende Teil des Schaftes des eingepressten Befestigungselements zwangläufig in einem Kanal der Matrize aufgenommen wurde. Aus diesem Grund ist die Kammer der Auffassung, dass ein Ablauf gemäß Merkmal 10.3 des Anspruchs 9 auch beim Betrieb der ausgestellten Maschine zwangläufig stattgefunden haben musste, wobei dieser Ablauf bei der Vorführung der Maschine für die Messebesucher zwar nicht sichtbar, aber implizit aus seinen übrigen Beobachtungen zu entnehmen war.

2.4 Eine isolierte Betrachtung des Merkmals 10.4 des Anspruchs 9, insbesondere dass der Zapfen "zurückgezogen wird" könnte den Fachmann zu einer Auslegung führen, wonach der Zapfen - wie von der Beschwerdeführerin behauptet - aktiv und von unten gesteuert in die Matrize zurückgezogen wird. Der Begriff "dabei" deutet aber auf einen zeitlichen und kausalen Zusammenhang mit dem vorstehenden Verfahrensablauf des Merkmals 10.3 hin. Das Merkmal 10.4 ist daher im Hinblick auf das Merkmal 10.3 auszulegen, was von den Parteien nicht bestritten wird. Wie unter Punkt 3.3 oben ausgeführt wurde, wird der Zapfen beim Absenken des Stempels vom Befestigungselement durch das Loch des Bleches hinein geschoben und danach in den Kanal der Matrize zurückgedrückt. Diese Funktionsweise deutet aber auf ein passives Zurückweichen des Zapfens in die Matrize hin unter Wirkung des vorderen Ende des sich nach unten bewegenden Befestigungselements, was aber in Widerspruch zu dem von der Beschwerdegegnerin behaupteten aktiven und gesteuerten Zurückziehen des Zapfens in die Matrize stünde. Unter diesen Umständen vertritt die Kammer die Auffassung, dass eine Heranziehung der Beschreibung zur Auslegung des Merkmals 10.4 erforderlich und gerechtfertigt ist. Dem Absatz [0014] des Streitpatents entnimmt der Fachmann, dass der Zapfen entweder lediglich unter dem Druck einer Feder steht oder von einer Kolbeneinrichtung in beiden Richtung aktiv beaufschlagt werden kann. Bei dem ersten Ausführungsbeispiel erfolgt somit ein passives Zurückweichen des Zapfens entgegen der Spannung der Feder in die Matrize durch den vom Befestigungselement ausgeübten Druck. Im Hinblick auf die Beschreibung ist somit die Formulierung des Merkmals 10.4 breiter auszulegen, um beide im Absatz [0014] der Patentschrift beschriebene Ausführungsvarianten einzuschließen, nämlich ein passives Zurückziehen des Zapfens in den Kanal der Matrize unter Wirkung des Befestigungselements oder eine aktive Steuerung des Zapfens durch eine Kolbeneinrichtung. Eine engere Auslegung des Merkmals 10.4 ausschließlich im Sinne eines aktiven, gesteuerten Zurückziehens des Zapfens, wie von der Beschwerdegegnerin vorgeschlagen, ist daher nicht gerechtfertigt. Aus diesen Gründen ist die Kammer der Auffassung, dass ein Zurückziehen des Zapfens gemäß Merkmal 10.4 des Anspruchs 9 für die Messebesucher zwar nicht sichtbar war, aber aufgrund des durch das Merkmal 10.3 definierten Verfahrensablaufs implizit zu entnehmen.

2.5 Anders als von der Einspruchsabteilung eingeschätzt, ist die Kammer daher der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 9 des Hauptantrags von der vorgebrachten offenkundigen Vorbenutzung durch Ausstellung und Vorführung der "UWS 500" Maschine auf Messen neuheitsschädlich getroffen ist (Artikel 52(1) und 54 EPÜ).

2.6 Der Hauptantrag ist somit nicht gewährbar.

Hilfsantrag

Zulassungsfrage

3. Der Hilfsantrag entspricht dem in der ersten Instanz vorgelegten Hilfsantrag 2, in welchem die Verfahrensansprüche gestrichen wurden. Die Beschwerdeführerin beantragt, den Hilfsantrag wegen verspäteten Vorbringens nicht ins Verfahren zuzulassen. Die Beschwerdeführerin rügt, dass die Änderungen in Anspruch 1 gegenüber dem Anspruch 1 des Hauptantrags zu einem völlig neuen Sachverhalt führen, der bisher nie diskutiert wurde, was auch im Hinblick auf die gerügte verspätete Vorlage für die Position der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren nachteilig sei.

3.1 Die Beschwerdegegnerin erwidert, dass der Hilfsantrag sofort nach Erhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung vorgelegt wurde, und dass er bis auf die Streichung der Verfahrensansprüche dem bereits im Einspruchsverfahren vorgelegten Hilfsantrag 2 entspreche. Von einem völlig neuen und komplexen Sachverhalt könne somit nicht die Rede sein.

3.2 Die Kammer stellt fest, dass der Hilfsantrag etwa 2 Jahre nach der Einreichung der Erwiderung der Beschwerdegegnerin vorgelegt wurde und somit eine Änderung des Beschwerdevorbringens darstellt. Unter Artikel 13(1) VOBK 2020, der gemäß Artikel 25(3) VOBK 2020 auf diese Beschwerde anzuwenden ist, steht die Zulassung von Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten im Ermessen der Kammer. Bei der Ausübung des Ermessens berücksichtigt die Kammer bestimmten Kriterien, unter anderen den Stand des Verfahrens, ob die Änderungen der Verfahrensökonomie abträglich sind, ob sie "prima facie" die von einem Beteiligten im Beschwerdeverfahren aufgeworfenen Fragen und Einwände ausräumen, und ob die Änderungen Anlass zu neuen Einwänden geben. Es ist ersichtlich, dass die Streichung der Verfahrensansprüche die hinsichtlich des Hauptantrags aufgeworfene Frage der fehlenden Neuheit vollkommen ausräumt. Darüber hinaus entspricht der Anspruch 1 des Hilfsantrags einer Kombination der ursprünglichen und erteilten Ansprüche 1, 3 und 4, nämlich einer Kombination des Anspruchs 1 des Hauptantrags mit dem ursprünglichen und erteilten Anspruch 3, so dass kein Anlass zu neuen Einwänden unter Artikeln 84 und 123 EPÜ besteht. Schließlich wurde der Hilfsantrag etwa 7 Monate vor der mündlichen Verhandlung vorgelegt, so dass eine angemessene Zeit zur Vorbereitung einer Reaktion der Beschwerdeführerin zu Verfügung stand. Eine negative Beeinträchtigung ihrer Position im Beschwerdeverfahren aufgrund der verspäteten Vorlage des Hilfsantrags bzw. aufgrund des sich angeblich ergebenden neuen Sachverhalts wird von der Beschwerdeführerin lediglich behauptet, aber weder schriftlich noch in der mündlichen Verhandlung konkret substantiiert. Die Kammer vertritt somit die Auffassung, dass die Einführung der Merkmale des ursprünglichen und erteilten Anspruchs 3 in den Anspruch 1 des Hauptantrags im Wesentlichen keine neue und für die Beschwerdeführerin überraschenden Diskussionspunkte bzw. keinen neuen Sachverhalt einführt, die die Verfahrensökonomie und die Position der Beschwerdeführerin in ihrer Verteidigung der Beschwerde negativ beeinträchtigen können.

3.3 Aus diesen Gründen und in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13(1) VOBK 2020 ist die Kammer der Auffassung, dass der Hilfsantrag ins Beschwerdeverfahren zuzulassen ist.

Neuheit

4. Die Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Hilfsantrags ist nicht bestritten.

Erfinderische Tätigkeit

5. In Folgenden wird das im Anspruch 1 neu eingeführte Merkmal, dass

"...der Zapfen (7) durch das Loch des Bauteils (2) hindurch bis in Eingriff mit dem vorderen Ende des noch vollständig in dem Kanal (8) des Stempels (7) angeordneten Befestigungselements bewegbar ist..."

als Merkmal 1.10 benannt, wobei das nachfolgende, letzte Merkmal des Anspruchs (entspricht Merkmal 1.10 des Anspruchs 1 des Hauptantrags) als Merkmal 1.11 unnummeriert wird. Ansonsten wird auf die Merkmalsgliederung des Anspruchs 1 des Hauptantrags der Beschwerdegegnerin verwiesen.

5.1 Die Beschwerdeführerin führt aus, dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 vom technischen Inhalt der offenkundigen Vorbenutzung durch Ausstellung und Vorführung der "UWS 500" Maschine lediglich durch das letzte Merkmal 1.11 des Anspruchs unterscheidet, nämlich dass

"...das vordere Ende des Zapfens komplementär zu dem vorderen Ende des Befestigungselements ausgebildet ist."

5.2 Dieses unterscheidende Merkmal trägt zur Einhaltung der korrekten Ausrichtung des Befestigungselement auf den Zapfen und somit auf das Loch des Bauteils bei, so dass eine präzise Verschiebung und Führung des Befestigungselements in das Loch des Bauteils hinein und durch das Loch hindurch gewährleistet wird.

5.3 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass unter dem Begriff "komplementäre Ausbildung" auch die Kombination von zwei flachen, gegenüberliegenden Oberflächen fällt, und dass es für den Fachmann naheliegend sei, das abgerundete Ende des Zapfens der "UWS 500" Maschine abzuflachen und somit eine Komplementarität mit dem flachen vorderen Ende des Befestigungselements zu realisieren. Darüber hinaus sei eine solche komplementäre Ausbildung zum Ausrichten einer einzupressenden Verpressmutter in Figuren 1-3 des Dokuments D3 offenbart. Da diese Entgegenhaltung ausdrücklich auch das Einpressen von Befestigungselementen mit einem Schaft betrifft (vgl. Seite 9, letzter Absatz, Verpressen von Bolzen), sei die Verwendung der in Figuren 1 bis 3 von D3 gezeigten komplementären Ausbildung des Zapfens und des vorderen Endes des Befestigungselements in der ausgestellten "UWS 500" Maschine zur Ausrichtung des Befestigungselements für den Fachmann naheliegend.

5.4 Alternativ geht die Beschwerdeführerin von Dokument D3 aus und argumentiert, dass die im D3 fehlenden konstruktiven Merkmale 1.2 und 1.3 des Anspruchs 1 dem Dokument D4 oder D5 ohne weiteres zu entnehmen seien. Eine Aufnahme der dort offenbarten konstruktiven Gestaltung des Stempels und des Vorschubelements in die aus dem D3 bekannte Maschine würde keine erfinderische Überlegung benötigen.

6. Die Beschwerdegegnerin ist hingegen der Auffassung, dass keines der Merkmale 1.2, 1.3, 1.8, 1.10 und 1.11 des Anspruchs 1 für die Messebesucher, die an der Vorführung der "UWS 500" Maschine teilgenommen haben, sichtbar gewesen sei. Hinsichtlich des Dokuments D3 führt die Beschwerdegegnerin aus, dass das einzige konkrete Ausführungsbeispiel einer Maschine zum Einpressen von Bolzen in Figur 6 des D3 offenbart sei. Bei diesem Ausführungsbeispiel sei allerdings kein dem Stempel gegenüberliegender Zapfen vorhanden. Außerdem wiesen der Zapfen und die Verpressmutter in den Figuren 1 bis 3 keine komplementäre Ausbildung im Sinne des Merkmals 1.11 auf.

7. Die Kammer kann sich der Argumentation der Beschwerdeführerin nicht anschließen und vertritt die Auffassung, dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 des Hilfsantrags aus folgenden Gründen auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne der Artikel 52(1) und 56 EPÜ beruht:

7.1 Ungeachtet der Frage, ob von einer Komplementarität auch im Fall von zwei gegenüberliegenden flachen Flächen tatsächlich die Rede sein kann, sieht die Kammer keinen naheliegenden Anlass für den Fachmann, das kugelförmige Ende des Zapfens der ausgestellten "UWS 500" Maschine abzuflachen bzw. kegelförmig auszugestalten. Wie von der Beschwerdegegnerin zutreffend vorgetragen, würde eine solche Modifizierung, aufgrund der sich am Ende des Zapfens ergebenden Kanten, das Hineinschieben des Zapfens in das Loch des Bleches erschweren, was von dem Fachmann nicht erwünscht ist.

7.2 Hinsichtlich des Dokuments D3 wird angemerkt, dass zwischen dem Zapfen und der inneren zylindrischen Fläche der in den Figuren 1 bis 3 gezeigten Spannmutter ein rein linearer Kontakt entlang eines Kreises stattfindet, so dass zumindest zweifelhaft ist, ob in diesem Fall - angesichts eines fehlenden flächigen Kontakts - von einer komplementären Ausbildung im Sinne des Merkmals 1.11 die Rede sein kann. Unabhängig davon teilt die Kammer die Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass der Fachmann auf der Suche nach einer Lösung für das technischen Problem des Ausrichtens eines Befestigungselements mit einem Schaft, nicht die das Einpressen einer Spannmutter betreffenden Ausführungsbeispiele der Figuren 1 bis 3 des D3 in Betracht ziehen würde, sondern das Ausführungsspiel in Figur 6, das das Einpressen eines Bolzens betrifft. In diesem Ausführungsbeispiel ist aber kein dem Befestigungselement gegenüberliegender Zapfen vorgesehen.

7.3 Ungeachtet der Fragen, ob die Merkmale 1.2, 1.3 und 1.8 für die Messerbesucher zumindest implizit der Vorführung der "UWS 500" Maschine zu entnehmen waren, ob das Dokument D3 einen naheliegenden Hinweis zum Merkmals 1.11 enthält, und ob eine Kombination des Dokuments D3 mit einem der Dokumente D4 und D5 im Hinblick auf das Problem des Ausrichtens des Befestigungselements für den Fachmann nachvollziehbar sei, vertritt die Kammer die Auffassung, dass keine der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Kombinationen in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen könnte.

7.4 Der Formulierung des Merkmals 1.10, nämlich dass

"...der Zapfen durch das Loch des Bauteils hindurch bis in Eingriff mit dem vorderen Ende des noch vollständig in dem Kanal des Stempels angeordneten Befestigungselements bewegbar ist..."

entnimmt der Fachmann die eindeutige Lehre, dass der Zapfen, beim Absenken des Stempels, aber vor Beginn des Einpressvorgangs, in Richtung des Befestigungselement aktiv bewegt wird, bis er in Eingriff mit dem vorderen Ende des Befestigungselement kommt. Ein solcher Vorgang ist weder der Ausstellung und Vorführung der "UWS 500" Maschine noch den restlichen Entgegenhaltungen zu entnehmen. Bei der Vorführung der "UWS 500" Maschine war der Bereich innerhalb des Stempels für die Messebesucher nicht sichtbar, so dass die Funktionalität des Zapfens gar nicht erkennbar war. Eine aktive Bewegung des Zapfens bis in Eingriff mit dem Ende des Befestigungselements wird vom Zeugen auch nicht beschrieben. Bei der in den Figuren 1 bis 3 des D3 offenbarten Maschine findet lediglich ein Zurückweichen des Zapfens in die Matrize unter Einwirkung des Befestigungselements statt (vgl. zum Beispiel Seite 5, zweiter Absatz sowie Figuren 1 bis 3) und keine gesteuerte Bewegung des Zapfens in Richtung des Befestigungselements. In der Ausführung gemäß Figur 6 von D3, sowie in den Maschinen der Dokumente D4 und D5 ist überhaupt kein Zapfen im Sinne des Anspruchs 1 vorgesehen.

7.5 Keine der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Kombinationen könnte somit zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen, weil das Merkmal 1.10 in dieser Kombination auf jeden Fall fehlen würde. Darüber hinaus findet der Fachmann auf der Suche nach einer konstruktiven Lösung, die eine Zentrierung des Bleches und eine gleichzeitige Ausrichtung des Befestigungselements gewährleisten kann, im Stand der Technik überhaupt keinen Anlass, den Zapfen der ausgestellten Maschine "UWS 500" im Sinne des Merkmals 1.10 aktiv zu steuern.

8. Die aktive Bewegung des Zapfens bis in Eingriff mit dem vorderen Ende des Befestigungselements in Kombination mit der komplementären Ausbildung gemäß Merkmal 1.11 bewirkt eine sichere und präzise Ausrichtung des Befestigungselements auf den Zapfen und somit auf das Loch des Bleches während des gesamten Verschiebens und Einpressens des Befestigungselements, die für eine störungsfreie Funktionalität der Maschine und eine präzise und zuverlässige Verbindung sorgt. Diese vorteilhaften technischen Wirkungen untermauern das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Hilfsantrags.

9. Die Kammer ist daher der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags neu in Sinne der Artikel 52(1) und 54 EPÜ ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne der Artikel 52(1) und 56 EPÜ beruht.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit den Ansprüchen 1 bis 7 des am 23. Dezember 2019 vorgelegten Hilfsantrags aufrechtzuerhalten und einer von der ersten Instanz anzupassenden Beschreibung.

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