T 1057/15 (Datenträger für einen Straßenfertiger/VÖGELE) of 29.9.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T105715.20200929
Datum der Entscheidung: 29 September 2020
Aktenzeichen: T 1057/15
Anmeldenummer: 05017896.1
IPC-Klasse: G05B19/042
G06F9/445
G07C5/08
E01C19/48
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Baumaschine und Verfahren zum Installieren von Anwendungs-Software in einer Baumaschine
Name des Anmelders: Joseph Vögele AG
Name des Einsprechenden: ABG Allgemeine Baumaschinen-Gesellschaft mbH
Kammer: 3.5.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a) (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4) (2007)
Schlagwörter: Offenkundige Vorbenutzung - glaubhaft (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag, Hilfsantrag I (nein)
Zulassung ins Beschwerdeverfahren - Hilfsanträge II und III (nein): hätten bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/92
T 1210/05
T 1418/17
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das vorliegende europäische Patent wurde mit der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung in geänderter Fassung gemäß dem zweiten Hilfsantrag aufrechterhalten (Artikel 101 (3)a) EPÜ). Die Einspruchsabteilung entschied zudem, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags (Patent wie erteilt) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ). Zudem sei Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags nicht klar (Artikel 84 EPÜ).

Die Einsprechende hatte die folgenden Dokumente zum Nachweis einer offenkundigen Vorbenutzung von Straßenfertigern der Typen Titan 226, 326 und 5820 angeführt:

D9: ABG, Update Adapter, Zeichnung Nr. 80721137 K125517183 vom 20. Oktober 2004

D10: Datenblatt Amphenol

D11: ABG/Ingersoll-Rand Verkaufsinformation 05/2005

D12: Liste von ausgelieferten Straßenfertigern

D13: ABG, Steuerstand MCU Titan 426, Zeichnung

Nr. 80679475 K426510781

D23: Invoice No. 050533 vom 25.05.05, Titan 326

(entsprechend der Position Nr. 17 in D12)

D24: Invoice No. 050871 vom 28.07.05, Titan 226

(entsprechend der Position Nr. 20 in D12).

Zudem war der Zeuge Herr Christian Ortlieb in der Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zu der Vorbenutzung vernommen worden.

Die Entscheidung der Einspruchsabteilung zur erfinderischen Tätigkeit stützt sich auf die offenkundige Vorbenutzung in Kombination mit dem folgenden Dokument:

D17: US 2004/0095829 A1.

II. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung Beschwerde ein.

III. Mit der Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten (Hauptantrag), d.h. den Einspruch zurückzuweisen. Hilfsweise wurde die Aufrechterhaltung gemäß einem der mit der Beschwerde eingereichten Hilfsanträge I bis III beantragt, weiter hilfsweise die Aufrechterhaltung in der mit der Zwischenentscheidung aufrechterhaltenen Fassung (Hilfsantrag IV).

Die Beschwerdeführerin reichte das folgende Dokument als Beleg dafür ein, dass die Vorbenutzung nicht stattgefunden habe:

E1: Press Release / Presseveröffentlichung von

Ingersoll Rand: "Im Dienste der Einbaumannschaft:

Premiere der neuen Fertigersteuerung EPM/1",

undatiert.

IV. Die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) beantragte, die Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen.

V. Am 29. September 2020 fand die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und, als Hauptantrag, das Patent in erteilter Fassung oder hilfsweise auf der Grundlage von einem der Hilfsanträge I bis IV aufrechtzuerhalten. Zusätzlich beantragte die Beschwerdeführerin, das Vorbringen der Beschwerdegegnerin zur Vorbenutzung als nicht substanziiert unberücksichtigt zu lassen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen. Zusätzlich beantragte die Beschwerdegegnerin, die Hilfsanträge I bis III nicht in das Verfahren zuzulassen. Darüber hinaus werde die Gewährbarkeit der Ansprüche von Hilfsantrag IV nicht in Frage gestellt.

VI. Anspruch 1 des Streitpatents (Hauptantrag) hat den folgenden Wortlaut:

"Verfahren zum Installieren von zumindest Anwendungs-Software in einer Zentralrecheneinheit (Z) eines elektronischen Steuerungssystems eines Straßenfertigers (F), gekennzeichnet durch folgende Schritte:

in einen externen, mobilen und mit einem verstärkten und/oder abgeschirmten Außengehäuse (13) baumaschinentauglich ausgebildeten, für einen Straßenfertiger (F) bestimmten Wechseldatenträger (W), der einen Stecker (14) und eine im Außengehäuse (13) enthaltene Mikrospeichereinheit aufweist, werden die Anwendungs-Software für den Straßenfertiger und gegebenenfalls Parametergrunddaten für den Straßenfertiger beim Hersteller oder an einer Servicestelle vollständig geladen und abgespeichert,

der geladene Wechseldatenträger (W) wird mit dem Stecker (14) an einem mit der Zentralrecheneinheit (Z) verbundenen Datenaustauschanschluss (12) im Straßenfertiger (F) angebracht und zum jederzeitigen Installieren oder Aktualisieren mit einem

Bajonett- oder Schraubverschluss gegen Lösen gesichert und gegen Außeneinflüsse geschützt,

bei einem Systemstart oder veranlasst durch die Zentralrecheneinheit (Z) werden die Anwendungs-Software und gegebenenfalls die Parameter-Grunddaten zur Installation oder zum Aktualisieren in die Zentralrecheneinheit (Z) überspielt."

VII. Anspruch 1 des Hilfsantrags I lautet wie folgt:

"Straßenfertiger (F) mit einem elektronischen Steuerungssystem, das ein Bedienpult (B) mit einer Anzeige- und Eingabesektion (11), eine Zentralrecheneinheit (Z) mit zentralem Datenspeicher, und ein Bussystem umfasst, an das elektronische Subsysteme zum Betätigen und/oder Überwachen von Funktionskomponenten unter Verwendung in der Zentralrecheneinheit (Z) installierter

Anwendungs-Software und gegebenenfalls

Parameter-Grunddaten angeschlossen sind, dadurch gekennzeichnet, dass am oder im Bedienpult (B) des Straßenfertigers (F) ein mit der Zentralrecheneinheit (Z) verbundener, bidirektionaler Datenaustauschanschluss (12) vorgesehen ist, und dass am Datenaustauschanschluss (12) ein mit einem Stecker (14) versehener und einem verstärkten und/oder abgeschirmten Außengehäuse (13) baumaschinentauglich ausgebildeter, mobiler Wechseldatenträger (W) angesteckt und zum jederzeitigen Installieren oder Aktualisieren gegen Lösen durch einen Schraub- oder Bajonettverschluss gesichert ist, wobei das Außengehäuse (13) eine Mikrospeichereinheit enthält, in welchem Wechseldatenträger (W) die vollständige Anwendungs-Software und gegebenenfalls die Parameter-Grunddaten gespeichert und aus welchem bei einem Systemstart oder auf Veranlassung der Zentralrecheneinheit (Z) die Anwendungs-Software und gegebenenfalls die Parameter-Grunddaten zum Installieren und Aktualisieren in die Zentralrecheneinheit (Z) überspielbar sind."

VIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags II wurde gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags wie folgt geändert (Hinzufügungen unterstrichen, Streichungen durchgestrichen):

"Verfahren zum Installieren von zumindest Anwendungs-Software in einer Zentralrecheneinheit (Z) eines elektronischen Steuerungssystems eines Straßenfertigers (F), gekennzeichnet durch folgende Schritte:

in einen externen, mobilen und mit einem verstärkten und/oder abgeschirmten Außengehäuse (13) baumaschinentauglich ausgebildeten, für einen Straßenfertiger (F) bestimmten Wechseldatenträger (W), der einen Stecker (14), eine drehbar am Außengehäuse (13) angebrachte Überwurfmutter (16) und eine im Außengehäuse (13) enthaltene Mikrospeichereinheit aufweist, werden die Anwendungs-Software für den Straßenfertiger und gegebenenfalls Parametergrunddaten für den Straßenfertiger beim Hersteller oder an einer Servicestelle vollständig geladen und abgespeichert,

der geladene Wechseldatenträger (W) wird mit dem Stecker (14) an einem mit der Zentralrecheneinheit (Z) verbundenen Datenaustauschanschluss (12) im Straßenfertiger (F) angebracht, nachdem eine Schutzkappe (24) von einem den Datenaustauschanschluss (12) umgebenden mit einem Außengewinde (22) versehenen Schutzkragen (21) abgeschraubt wurde, und zum jederzeitigen Installieren oder Aktualisieren mit einem [deleted: Bajonett- oder] Schraubverschluss gegen Lösen gesichert und gegen Außeneinflüsse geschützt, indem die Überwurfmutter (16) auf das Außengewinde (22) des Schutzkragens (21) aufgeschraubt wird, und

bei einem Systemstart oder veranlasst durch die Zentralrecheneinheit (Z) werden die Anwendungs-Software und gegebenenfalls die Parameter-Grunddaten zur Installation oder zum Aktualisieren in die Zentralrecheneinheit (Z) überspielt."

IX. Anspruch 1 des Hilfsantrags III entspricht Anspruch 1 des Hilfsantrags I, wobei die Option eines

"Bajonett-Verschlusses" gestrichen und das folgende Merkmal an den Anspruch 1 angehängt wurde:

"ferner dadurch gekennzeichnet, dass das Außengehäuse (13) etwa zylindrisch ausgebildet ist, dass an einem Kragenabschnitt des Außengehäuses {13) eine Überwurfmutter {16) gehaltert ist, dass an dem Datenaustauschanschluss (12) an einem Schutzkragen (21) ein Außengewinde (22) für die Überwurfmutter (16) vorgesehen ist, und dass ferner eine Schutzkappe (24) vorgesehen ist, die lösbar auf den Schutzkragen (21) aufschraubbar ist, wenn der Wechseldatenträger (W) nicht an den Datenaustauschanschluss (12) angesteckt ist."

X. Der Wortlaut der Ansprüche von Hilfsantrag IV hat keine Relevanz für die vorliegende Entscheidung.

Entscheidungsgründe

1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum Installieren von Anwendungs-Software auf einem Straßenfertiger sowie einen entsprechenden Straßenfertiger. Zum Betreiben des Straßenfertigers wird Anwendungs-Software und werden Maschinenparameter-Grunddaten im Speicherbereich der Zentralrecheneinheit des Straßenfertigers installiert und gespeichert. Änderungen der Anwendungs-Software oder der Maschinenparameter-Grunddaten sind nur schwer durchzuführen und erfordern geschultes Servicepersonal. Der Erfindung liegt daher die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren sowie einen Straßenfertiger anzugeben, um auch unter den groben Arbeits- und Umgebungsbedingungen auf dem Straßenfertiger ein sicheres Installieren und/oder Aktualisieren durch wenig geschultes oder ungeschultes Personal zu ermöglichen.

Zur Lösung der Aufgabe wird am oder im Bedienpult des Straßenfertigers ein mit der Zentralrecheneinheit verbundener, bidirektionaler Datenaustauschanschluss vorgesehen und an diesem ein baumaschinentauglich ausgebildeter Wechseldatenträger angebracht, in dem die vollständige Anwendungs-Software und gegebenenfalls die Maschinenparameter-Grunddaten gespeichert sind (siehe Patentschrift, Absätze [0001], [0002] und [0006] bis [0008]).

2. Offenkundige Vorbenutzung

2.1 Die Einspruchsabteilung hat in ihrer Entscheidung die Zeugenaussage von Herrn Christian Ortlieb zur behaupteten offenkundigen Vorbenutzung (Straßenfertiger der Typen Titan 226, 326 und 5820) als glaubwürdig erachtet und entsprechende Sachverhaltsfeststellungen getroffen. Die Einspruchsabteilung hat der Aussage des Zeugen Ortlieb entnommen, dass die Vorbenutzung hinsichtlich des Bedienpults des Straßenfertigers im April/Mai 2005, also vor dem wirksamen Anmeldetag des Streitpatents, offenkundig wurde. Die offenkundige Vorbenutzung eines USB-Sticks durch eine Schulung von Kundendiensttechnikern im Januar 2005 und durch die Zusammenarbeit mit einer Zulieferfirma sei hingegen nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Ebenso seien die Funktion der Kontakte der zugehörigen Buchse als

USB-Schnittstelle und die Verwendung der Buchse zum Aktualisieren von Software nicht im Rahmen der offenkundigen Vorbenutzung offenbart worden (siehe Entscheidungsgründe, Punkte 2.2 bis 2.5).

2.2 Die Beschwerdeführerin zweifelte mit ihrer Beschwerde den Nachweis der offenkundigen Vorbenutzung an. Sie bestritt, dass ein Bedienpult mit einer Buchse für den "Update-Adapter" Stand der Technik geworden sei. Keines der angeführten Dokumente zeige eine solche Buchse. Ebenso sei die Auslieferung eines Straßenfertigers mit Bedienpult nicht ausreichend nachgewiesen. Abgesehen von der Zeugenaussage fehle jeglicher Beleg dafür, dass und vor allem wann eine Buchse zum Anschluss eines siebenpoligen Rundsteckers an dem Bedienpult vorhanden gewesen sein könnte. Die Presseveröffentlichung E1 zeige, dass das Steuersystem EPM 2 erstmalig auf der Messe "Intermat" im April 2006 der Öffentlichkeit präsentiert worden sei (El, siehe erste Seite).

Die Beschwerdeführerin argumentierte auch, dass der Beweismaßstab für den Nachweis einer offenkundigen Vorbenutzung nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern "up to the hilt" (d.h. "lückenlos") sei. Mit anderen Worten müsse die offenkundige Vorbenutzung über jeden Zweifel erhaben sein, da es der Patentinhaberin üblicherweise nicht möglich sei, einen Nachweis zu führen, dass es eine angebliche offenkundige Vorbenutzung nicht gegeben habe.

Die Beschwerdeführerin verwies zudem auf die Entscheidung T 1210/05. Allein die Anerkennung der Zeugenaussage als in sich "glaubwürdig" (wie sie auch im vorliegenden Verfahren von der Einspruchsabteilung vorgenommen worden sei), habe der Beschwerdekammer im Verfahren T 1210/05 nicht gereicht, um die Anerkennung der Vorbenutzung durch die Einspruchsabteilung in Zweifel zu ziehen (siehe T 1210/05, Entscheidungs-gründe, Punkte 2.5.4 bis 2.5.6).

2.3 Die Kammer erkennt an, dass die Presseveröffentlichung E1 belegt, dass das Steuerungssystem EPM 2 auf der Messe "Intermat 2006" erstmalig im Rahmen einer Messeveranstaltung einer breiten Öffentlichkeit präsentiert wurde. Dies steht jedoch nicht der Zeugenaussage von Herrn Ortlieb entgegen, wonach das Bedienpult mit USB-Buchse als Bestandteil von Straßenfertigern der Typen 226, 326 und 5820 bereits im April/Mai 2005 verkauft wurde.

2.4 Die Kammer stellt zudem fest, dass die Beweiswürdigung eines erstinstanzlichen Spruchkörpers nur dann zur Aufhebung der darauf basierenden Entscheidung oder zu einer Beweiswiederholung (durch eigene Zeugenvernehmung vor der Beschwerdekammer) zu führen hat, wenn jener einen Rechtsanwendungsfehler begangen hat (z.B. ein falscher Beweismaßstab bzw. Beweisgrad angewandt wurde), erkennbar wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt hat, sachfremde Erwägungen mit einbezogen hat oder einen Verstoß gegen die Denkgesetze, etwa logische Fehler und Widersprüche in der Begründung, erkennen lässt (vgl. T 1418/17, zweiter Orientierungssatz).

2.5 In Anbetracht des Umstandes, dass die Einspruchsabteilung aufgrund der aufgenommenen Beweise vom Vorliegen einer Vorbenutzung überzeugt war und dies auch überzeugend in ihrer Beweiswürdigung begründet hat, stellen sich Fragen zum Beweismaßstab hier nicht.

Es ist auch kein anderer Rechtsanwendungsfehler bei der Beweiswürdigung durch die Einspruchsabteilung erkennbar.

2.6 In der Entscheidung T 1210/05 ging es um die Frage, ob der Gegenstand eines Patents durch den Inhalt eines auf einer Konferenz präsentierten Posters offengelegt wurde. Die Einspruchsabteilung hatte die Veröffentlichung eines bestimmten Gegenstands nach Vernehmung zweier Zeuginnen anerkannt, weil diese Zeuginnen die relevanten Fragen "glaubwürdig beantwortet" hätten, auch wenn ihre Aussagen nicht zusätzlich durch die eingereichten Unterlagen gestützt wurden.

Die Kammer im Fall T 1210/05 entschied (siehe Entscheidungsgründe, Punkte 2.3.3 und 2.3.4), dass es im Beschwerdeverfahren keine Beweislastverschiebung hin zur Patentinhaberin gebe. Somit habe die Einsprechende nach wie vor die Verantwortung für den Nachweis der angeblichen offenkundigen Vorbenutzung. Tatsächlich sei nur die Aussage einer Zeugin hinsichtlich einer "kritischen Passage" auf dem Poster entscheidend gewesen.

Angesichts des Umstandes, dass im Verfahren T 1210/05 die vorgelegten Dokumente die Aussagen der relevanten Zeugin nicht unterstützten und es somit keine von der Zeugenaussage unabhängige Beweismittel gab, verlangte die Beschwerdekammer für die Anerkennung der Zeugenaussage als Stand der Technik "good reasons for treating this evidence alone as having established the facts beyond any reasonable doubt".

2.7 Die Kammer stimmt mit der angeführten Entscheidung T 1210/05 überein, dass es auch im vorliegenden Beschwerdeverfahren keine Beweislastverschiebung hin zur Patentinhaberin geben kann. Im vorliegenden Fall hat die Einspruchsabteilung jedoch überzeugend dargelegt, warum sie angesichts des von ihr aufgrund der Zeugenvernehmung unmittelbar gewonnenen Eindrucks von der Glaubwürdigkeit des Zeugen überzeugt war. Das ist nicht zu beanstanden.

Scheinbare Widersprüche in den vorgelegten Dokumenten konnten zudem von dem Zeugen erklärt werden, beispielsweise stimmen die auf den Rechnungen D23 und D24 angegebenen Rechnungsdaten mit den in der Liste D12 aufgeführten Lieferdaten überein (siehe Entscheidungsgründe, Punkte 2.1 und 2.7).

Die Kammer schließt sich auch der Argumentation der Beschwerdegegnerin an, dass der der Entscheidung T 1210/05 zugrundeliegende Fall nicht mit dem vorliegenden Fall vergleichbar ist, insofern als es bei der Zeugenaussage in T 1210/05 nur um das Vorhandensein einer einzigen Passage auf einem Konferenzplakat ging und dieses Plakat noch dazu im alleinigen Besitz der Zeuginnen gestanden und dennoch nicht im Original vorgelegt worden war (siehe Entscheidungsgründe, Punkte 2.5.1 bis 2.5.8), während es im vorliegenden Fall um eine Buchse an einem Bedienpult geht, welche "eine höhere Visualität aufweist" und es daher keiner zusätzlichen Beweismittel über die Aussage des Zeugen hinaus bedurfte.

2.8 Zusammengefasst bestehen daher keine Bedenken gegen die Beweiswürdigung der Einspruchsabteilung und die auf dieser Basis getroffene Sachverhaltsfeststellung, wonach der Aussage von Herrn Ortlieb entnommen werden kann, dass im April/Mai 2005 eine neuartige Elektronikplattform mit Bedienpult und Steuergeräten für Straßenfertiger der Typen Titan 226, 326 und 5820 offenkundig vorbenutzt wurde.

Das Bedienpult wies eine Buchse zum Anschluss eines siebenpoligen Rundsteckers auf, der so ausgestaltet war, dass Feld-Aktualisierungen unbeeinträchtigt von Feuchtigkeit und Schmutz durchgeführt werden konnten. Hierzu war insbesondere ein Gewinde zur Aufnahme einer Überwurfmutter vorgesehen. Der speziell zum Anschluss an die Buchse entwickelte USB-Stick gehörte nicht zum Standard-Auslieferungspaket der Straßenfertiger und ist daher nicht Stand der Technik.

3. Hauptantrag, erfinderische Tätigkeit

3.1 Gemäß der angefochtenen Entscheidung wurden die Merkmale des kennzeichnenden Teils von Anspruch 1 nicht im Rahmen der Vorbenutzung offengelegt. Die Einspruchsabteilung betrachtete es als allgemein wünschenswert, die Anwendungs-Software in programmierbaren Steuerungen zu aktualisieren. Insofern stelle sich für die Fachperson unstrittig die technische Aufgabe, einen Weg zu finden, die Anwendungs-Software des vorbenutzten Straßenfertigers zu aktualisieren. Ausgehend von der offenkundigen Vorbenutzung als nächstliegendem Stand der Technik sei die Fachperson also mit der Aufgabe befasst, "eine für Straßenfertiger geeignete Möglichkeit zur Aktualisierung der Anwendungs-Software zu finden".

Bei der Lösung dieser technischen Aufgabe würde sie die Umstände einer Software-Aktualisierung bei Straßenfertigern berücksichtigen, d.h. eine Möglichkeit zur Übertragung von Software suchen, welche "im Feld" unter widrigen Umweltbedingungen eingesetzt werden könne.

Dokument D17 zeigt einen Wechseldatenträger zum Überspielen von Software (Absatz [0001]), welcher speziell für den Einsatz im Feld ausgebildet ist. Im Licht der oben genannten technischen Aufgabe wäre es daher für die Fachperson naheliegend gewesen, den in D17 offenbarten Datenwechselträger zum Aktualisieren der Anwendungs-Software des vorbenutzten Straßenfertigers zu verwenden und damit zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen (siehe Punkt 4 der Entscheidungsgründe).

3.2 Die Beschwerdeführerin stimmte zwar der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe in der angefochtenen Entscheidung zu, da diese mit der im Streitpatent genannten Aufgabe übereinstimme (siehe Absatz [0006]).

Die Fachperson hätte jedoch nicht Dokument D17 zur Lösung dieser technischen Aufgabe herangezogen, da D17 keinen Bezug zu Straßenfertigern habe, der in D17 verwendete Stecker nach dem "62 GB" Militärstandard ausgeführt worden sei und damit mechanisch inkompatibel zu der Buchse mit Drehgewinde der Vorbenutzung und zudem auch keine elektrisch kompatible Verbindung zwischen dem Datenträger der D17 und der Buchse des Bedienpults möglich sei. Weiterhin sei die Buchse am Straßenfertiger der Vorbenutzung nicht als Datenaustauschanschluss, insbesondere nicht als

USB-Schnittstelle erkennbar. Es fehlten jegliche Unterlagen, die das Bedienpult des vorbenutzten Straßenfertigers mit der Buchse zeigten - die also insbesondere die Anordnung, Form, Größe oder Zugänglichkeit der angeblichen Buchse dokumentierten. Damit fehle eine entscheidende Grundlage, um überhaupt beurteilen zu können, ob und aus welchen Gründen die von der angeblichen Vorbenutzung ausgehende Fachperson eine Veranlassung gehabt haben sollte, die sehr genau definierte Speichervorrichtung von D17 zu einer Kombination mit dem Bedienpult in Erwägung zu ziehen.

3.3 Die Kammer ist von diesen Argumenten nicht überzeugt. Absatz [0002] von D17 weist explizit auf die Eignung "im Feld" hin, wo die Speichervorrichtung Wasser, Schmutz oder extremen Temperaturen, elektromagnetischer Interferenz oder Stößen ausgesetzt ist. Es ist zwar korrekt, dass die Speichervorrichtung von D17 mit einem 62-GB-Militärstecker versehen ist; dieser Stecker ist jedoch nur beispielhaft angegeben, wobei gleichermaßen äquivalente Stecker verwendet werden können, welche die notwendige Robustheit und Schirmung aufweisen (siehe Absatz [0005]). Die Anordnung, Form, Größe und Zugänglichkeit der Buchse am Bedienpult des Straßenfertigers wurden im Rahmen der Vorbenutzung offenkundig (siehe Punkt 2.8 oben).

3.4 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf die offenkundige Vorbenutzung in Verbindung mit D17 (Artikel 100 (a) und 56 EPÜ).

4. Hilfsantrag I, Zulassung

Der Hilfsantrag I wurde in das Verfahren zugelassen, da die Ansprüche 1 bis 7 von Hilfsantrag I identisch mit den Vorrichtungsansprüchen 4 bis 10 des Hauptantrags sind. Die Kammer ist daher der Auffassung, dass der Hilfsantrag I kein komplexes neues Vorbringen darstellt, welches die Kammer oder die Beschwerdegegnerin vor größere Herausforderungen stellt (Artikel 12(4) VOBK 2007).

5. Hilfsantrag I, erfinderische Tätigkeit

5.1 Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass sich Anspruch 1 des Hilfsantrags I nicht in der Wiedergabe entsprechender Vorrichtungsmerkmale zu Verfahrensanspruch 1 des Hauptantrags erschöpfe, sondern darüber hinaus zusätzliche Vorrichtungsmerkmale aufweise, nämlich

a) ein Bedienpult,

b) eine Anzeige- und Eingabesektion am Bedienpult,

c) ein Bussystem,

d) an das Bussystem angeschlossene, elektronische

Subsysteme zum Betätigen und/oder Überwachen von

Funktionskomponenten unter Verwendung in der

Zentralrecheneinheit installierter

Anwendungs-Software,

e) einen bidirektionalen Datenaustauschanschluss.

5.2 Die Kammer schließt sich der Bewertung der Merkmale a) bis d) durch die Beschwerdegegnerin an. Diese Merkmale betreffen nur die grundlegende Ausgestaltung eines Straßenfertigers, wie sie bei jedem Straßenfertiger standardmäßig vorgesehen sind (siehe auch Patentschrift, Absatz [0002]). Der Datenaustauschanschluss nach Merkmal e) ist Teil der offenkundigen Vorbenutzung, wobei es üblich ist, Datenaustauschanschlüsse bidirektional auszuführen. Im Übrigen gelten mutatis mutandis die Argumente hinsichtlich der Verfahrensmerkmale von Anspruch 1 des Hauptantrags.

5.3 Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, dass auch der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags I nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ).

6. Hilfsanträge II und III, Zulassung

6.1 Gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 hat die Kammer die Befugnis, Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können.

6.2 Anspruch 1 von Hilfsantrag II unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch das Merkmal einer "drehbar am Außengehäuse (13) angebrachten Überwurfmutter (16)", welches auf dem abhängigen Anspruch 6 des erteilten Patents basiert. Zudem beinhaltet Anspruch 1 von Hilfsantrag II auf das Abschrauben einer Schutzkappe des Datenaustauschanschlusses und das Sichern des Datenaustauschanschlusses mittels einer Überwurfmutter bezogene Merkmale. Diese Merkmale wurden der Beschreibung des Streitpatents entnommen (siehe Absätze [0025], [0026] und Figuren 4 und 5).

Anspruch 1 von Hilfsantrag III unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags I lediglich durch entsprechende Vorrichtungsmerkmale.

6.3 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass der Gegenstand von Hilfsantrag II in der ersten Instanz inhaltlich in Form des damaligen Hilfsantrags 1 diskutiert wurde. In der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung habe die Patentinhaberin dargelegt, dass das im damaligen Hilfsantrag 1 hinzugefügte Merkmal "anstelle einer Schutzkappe (24) des Datenaustauschanschlusses (12)" bereits implizit die Schritte "Abziehen einer Schutzkappe von dem Datenaustauschanschluss" sowie "Anbringen des Wechseldatenträgers am Datenaustauschanschluss" enthalte. Bei dem mit der Beschwerde eingereichten Hilfsantrag II handele es sich folglich nur um eine klargestellte Fassung des inhaltlich bereits in der ersten Instanz vorgelegten Hilfsantrags 1.

6.4 Die Kammer kann sich diesen Argumenten nicht anschließen. Anspruch 1 des von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgelegten Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von dem vorliegenden Hilfsantrag II dadurch, dass er statt der oben genannten zusätzlichen Merkmale das Merkmal enthält, dass der Wechseldatenträger "anstelle einer Schutzkappe des Datenaustauschanschlusses" angebracht wird. Die Einspruchsabteilung befand, dass das hinzugefügte Merkmal unklar sei. Die Beschwerdeführerin hätte daher in dem Einspruchsverfahren durchaus Veranlassung gehabt, klargestellte Ansprüche vorzulegen (Artikel 12(4) VOBK 2007). Die Vorlage dieser Ansprüche erst mit der Beschwerdebegründung wirft auch die Frage auf, ob die Merkmale überhaupt recherchiert wurden.

6.5 Die Hilfsanträge II und III wurden daher nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen (Artikel 12(4) VOBK 2007).

7. Hilfsantrag IV

7.1 Die Gewährbarkeit der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Ansprüche von Hilfsantrag IV wurde von der Beschwerdegegnerin nicht in Frage gestellt.

7.2 Da im vorliegenden Fall die Patentinhaberin die alleinige Beschwerdeführerin ist, kann aufgrund des Verbots von "reformatio in peius" im Beschwerdeverfahren dieser Hilfsantrag auch nicht angegriffen werden (siehe G 9/92, OJ EPO 1994, 875, Gründe 11 and 14).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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