T 1187/16 () of 13.7.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T118716.20200713
Datum der Entscheidung: 13 Juli 2020
Aktenzeichen: T 1187/16
Anmeldenummer: 08803225.5
IPC-Klasse: G08B25/04
G08B25/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Trennvorrichtung mit Energiespeicher für energieführende elektrische Leitung
Name des Anmelders: Siemens Schweiz AG
Name des Einsprechenden: Novar GmbH
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
RPBA2020 Art 013(2) (2020)
Schlagwörter: Änderungen Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 3
Änderungen - zulässig (nein)
Hilfsantrag - keine außergewöhnlichen Umstände - in das Beschwerdeverfahren zugelassen (nein)
Orientierungssatz:

Falls sämtliche in einer Mitteilung der Kammer behandelten Einwände bereits Gegenstand des bisherigen Verfahrens waren, kann diese Mitteilung das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände im Sinne von Art. 13 (2) VOBK 2020 nicht begründen (Punkt 3. der Entscheidungsgründe).

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0646/17
T 0664/17
T 1846/17
T 2563/17
T 2608/17
T 0277/19
T 2034/21

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 2 203 912 widerrufen wurde.

II. In der angefochtenen Entscheidung hatte die Einspruchsabteilung unter anderem festgestellt, dass der Hauptantrag zwar das Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ erfülle, dass jedoch der Gegenstand des Anspruchs 1 durch den Stand der Technik nahegelegt werde.

III. In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 hatte die Kammer ihre vorläufige Meinung mitgeteilt, wonach sie unter anderem das Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ für den Anspruch 1 des Hauptantrags vorläufig als nicht erfüllt ansehe, und dass dies auch für die Hilfsanträge 1 bis 3 zu gelten scheine.

IV. Eine mündliche Verhandlung fand am 13. Juli 2020 in Anwesenheit der Parteien vor der Kammer statt.

Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrags, hilfsweise auf der Grundlage des mit Schreiben vom 16. April 2020 eingereichten neuen Hilfsantrags, weiter hilfsweise auf der Grundlage eines der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3 aufrechtzuerhalten.

Die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

V. Anspruch 1 des Streitpatents in der Fassung vom 8. Oktober 2015 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:

"Trennvorrichtung für eine Energie führende elektrische Leitung (210), insbesondere für eine Leitung (210), welche von einer Zentrale (205) einer Gefahrmeldeanlage ausgeht und in Form einer Schleife zu der Zentrale (205) zurückgeführt ist, die Trennvorrichtung (120a/b/c) aufweisend

• eine Überstromerkennungseinheit (155a, 156a) zum Erkennen eines Überstroms in einem an die Trennvorrichtung (120a/b/c) angrenzenden Leitungsabschnitts der Leitung (210),

• ein Schaltelement (131a), welches mit der Überstromerkennungseinheit (155a, 156a) gekoppelt ist und welches derart eingerichtet ist, dass bei einem Überstrom der angrenzende Leitungsabschnitt abtrennbar ist,

• einen auf ein Absinken der Versorgungsspannung sensitiven Spannungsdetektor (152a),

• wobei das Schaltelement (131a), welches mit dem Spannungsdetektor (152a) gekoppelt ist, derart eingerichtet ist, dass bei Absinken der Versorgungsspannung unter einen vorbestimmten Spannungspegel der angrenzende Leitungsabschnitt abtrennbar ist,

• eine weitere Überstromerkennungseinheit (155b, 156b) und einen weiteren Spannungsdetektor (152b) zum Überprüfen der elektrischen Eigenschaften eines weiteren an die Trennvorrichtung (120a/b/c) angrenzenden Leitungsabschnitts der Leitung (210), und

• ein weiteres Schaltelement (131b), welches mit der weiteren Überstromerkennungseinheit (155b, 156b) und dem weiteren Spannungsdetektor (152b) gekoppelt ist und welche derart eingerichtet sind, dass bei einer Störung der Leitung (210) der weitere angrenzende Leitungsabschnitt abtrennbar ist,

• wobei die Trennvorrichtung einen Energiespeicher (140) aufweist, welcher mit der Überstromerkennungseinheit (155a, 156a) und dem Spannungsdetektor (152a) gekoppelt ist, so dass deren Funktion auch bei einer Störung der Leitung (210) aufrecht erhalten werden kann, und

• wobei die beiden Schaltelemente (131a, 131b) derart ansteuerbar sind, dass nach einem Öffnen beider Schaltelemente (131a, 131b) bei einem erkannten Leitungsdefekt auf dem angrenzenden Leitungsabschnitt das weitere Schaltelement (131b), welches dem weiteren angrenzenden Leitungsabschnitt zugeordnet ist, schließbar ist."

VI. Anspruch 1 des Streitpatents in der Fassung des neuen Hilfsantrags vom 16. April 2020 lautet wie folgt (Änderungen seitens der Kammer hervorgehoben gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags):

"Trennvorrichtung für eine Energie führende elektrische Leitung (210), insbesondere für eine Leitung (210), welche von einer Zentrale (205) einer Gefahrmeldeanlage ausgeht und in Form einer Schleife zu der Zentrale (205) zurückgeführt ist, die Trennvorrichtung (120a/b/c) aufweisend

• eine Überstromerkennungseinheit (155a, 156a) zum Erkennen eines Überstroms in einem an die Trennvorrichtung (120a/b/c) angrenzenden Leitungsabschnitts der Leitung (210),

• eine Kurzschlusserkennungseinheit (151a) zum Erkennen eines Kurzschlusses im angrenzenden Leitungsabschnitts der Leitung (210),

• ein Schaltelement (131a), welches mit der Überstromerkennungseinheit (155a, 156a) und mit der Kurzschlusserkennungseinheit (151a) gekoppelt ist und welches derart eingerichtet ist, dass bei einem Überstrom oder Kurzschluss der angrenzende Leitungsabschnitt abtrennbar ist,

• einen auf ein Absinken der Versorgungsspannung sensitiven Spannungsdetektor (152a),

• wobei das Schaltelement (131a), welches mit dem Spannungsdetektor (152a) gekoppelt ist, derart eingerichtet ist, dass bei Absinken der Versorgungsspannung unter einen vorbestimmten Spannungspegel der angrenzende Leitungsabschnitt abtrennbar ist,

• eine weitere Überstromerkennungseinheit (155b, 156b) und einen weiteren Spannungsdetektor (152b) zum Überprüfen der elektrischen Eigenschaften eines weiteren an die Trennvorrichtung (120a/b/c) angrenzenden Leitungsabschnitts der Leitung (210),

• eine weitere Kurzschlusserkennungseinheit (151b) zum Erkennen eines Kurzschlusses im weiteren angrenzenden Leitungsabschnitts der Leitung (210), und

• ein weiteres Schaltelement (131b), welches mit der weiteren Überstromerkennungseinheit (155b, 156b), [deleted: und] dem weiteren Spannungsdetektor (152b) und der weiteren Kurzschlusserkennungseinheit (151b) gekoppelt ist und [deleted: welche ]welches derart eingerichtet [deleted: sind ]ist, dass bei einer Störung der Leitung (210) der weitere angrenzende Leitungsabschnitt abtrennbar ist,

• wobei die Trennvorrichtung einen Energiespeicher (140) aufweist, welcher mit der Überstromerkennungseinheit (155a, 156a), der Kurzschlusserkennungseinheit (151a), [deleted: und ]dem Spannungsdetektor (152a), der weiteren Überstromerkennungseinheit (155b, 156b), der weiteren Kurzschlusserkennungseinheit (151b) und dem weiteren Spannungsdetektor (152b) gekoppelt ist, so dass deren Funktion auch bei einer Störung der Leitung (210) aufrecht erhalten werden kann, und

• wobei die beiden Schaltelemente (131a, 131b) derart ansteuerbar sind, dass nach einem Öffnen beider Schaltelemente (131a, 131b) bei einem erkannten Leitungsdefekt auf dem angrenzenden Leitungsabschnitt das weitere Schaltelement (131b), welches dem weiteren angrenzenden Leitungsabschnitt zugeordnet ist, schließbar ist."

VII. Der Anspruch 1 jeder der Hilfsanträge 1 bis 3 stimmt jeweils insoweit mit dem Anspruch 1 des Hauptantrags überein, dass eine Kombination aus Überstromerkennungseinheit und Spannungsdetektor ohne eine Kurzschlusserkennungseinheit beansprucht wird.

VIII. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Hauptantrag - Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)

Der Anspruch 1 des Hauptantrags erfülle das Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ. Die Aufzählung "Kurzschlusserkennungseinheit, Spannungsdetektor und/oder Überstromerkennungseinheit" auf Seite 8, letzter Absatz sowie in Anspruch 6 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (entsprechend der internationalen Veröffentlichungsschrift WO 2009/049949 A1) sei zur Vermeidung von Wiederholungen als "Kurzschlusserkennungseinheit und/oder Spannungsdetektor und/oder Überstromerkennungseinheit" zu lesen. Ein Fachmann auf dem Gebiet der Gefahrenmeldetechnik erkenne sofort, dass es sich hierbei um drei voneinander unabhängige Einheiten zur Fehlererkennung handele, die auch beliebig miteinander kombinierbar seien und jeder entsprechende Fehlerfall für sich zu einem Ausfall der Gefahrenmeldeanlage führe.

Die Bezugszeichen im ursprünglichen Anspruch 1 wiesen ferner auf mögliche Ausführungsformen oder Ausführungskombinationen für eine Überwachungseinheit hin. Auch wenn in den Figuren 1a, 1b und 1c jeweils Kurzschlusserkennungseinheiten dargestellt seien, handele es sich lediglich um Beispiele bzw. Ausführungsformen für die Realisierung von Überwachungseinheiten. Dass eine Überwachungseinheit nicht alle der Realisierungs- und Kombinationsformen enthalten müsse, entnehme ein Fachmann den unterschiedlichen Ausführungsformen der Erfindung, die explizit Spannungsdetektoren und/oder Überstromerkennungseinheiten aufwiesen.

Im Übrigen wisse der Fachmann, dass eine Kurzschlusserkennung alternativ auch durch einen Spannungsdetektor in Verbindung mit einer Überstromerkennungseinheit erfolgen könne. Dies sei lediglich eine Frage der Dimensionierung der Grenzwerte. Eine Kurzschlusserkennungseinheit sei somit kein zwingendes Merkmal für die erfindungsgemäße Trennvorrichtung.

Der weitere auf den Wortlaut "...welche derart eingerichtet sind..." des Anspruchs 1 gerichtete Einwand einer unzulässigen Erweiterung sei nicht gerechtfertigt. Es handele sich um einen bloßen Formfehler, der jedoch keinen Verstoß gegen das Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ darstelle. Im Übrigen erkenne der Fachmann, dass nicht nur das Schaltelement, sondern weitere Elemente, insbesondere die im betreffenden Merkmal genannte Überstromerkennungseinheit und ein Spannungsdetektor für das Abtrennen des angrenzenden Leitungsabschnitts verantwortlich seien.

Hilfsantrag - Zulassung in das Beschwerdeverfahren (Artikel 13 (2) VOBK 2020)

Der mit Schreiben vom 16. April 2020 eingereichte Hilfsantrag sei in das Beschwerdeverfahren zuzulassen. Der neue Hilfsantrag sei in Reaktion auf die der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2020 beigefügten Mitteilung der Kammer erfolgt. Insbesondere habe die Kammer dort unter Punkt 5, Seite 3, Zeile 9 erstmals die Erfindungswesentlichkeit der Kurzschlusserkennungseinheit für die Ausführbarkeit der Erfindung angesprochen und damit einen neuen Aspekt in das Verfahren eingeführt, der die späte Einreichung des Hilfsantrags rechtfertige. Ferner sei die Einreichung des Hilfsantrags zwar in einem späten Verfahrensstadium, jedoch noch innerhalb der unter Punkt 14 der Mitteilung der Kammer genannten Einmonatsfrist erfolgt.

IX. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Hauptantrag - Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)

Sämtliche Ausführungsformen der ursprünglichen Anmeldung beschrieben eine Kurzschlusserkennungseinheit, die jedoch nicht von Anspruch 1 des Hauptantrags umfasst sei. Die von Anspruch 1 beanspruchte Kombination einer Überstromerkennung und Spannungsdetektion, ohne eine Kurzschlusserfassung, sei den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen somit nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen und stelle folglich eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar.

Ferner sei gemäß der ursprünglichen Offenbarung das Schaltelement dazu eingerichtet, bei einer Störung der Leitung den weiteren angrenzenden Leitungsabschnitt abzutrennen. Gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags seien jedoch die weitere Überstromerkennungseinheit und der weiteren Spannungsdetektor dazu eingerichtet, den Leitungsabschnitt abzutrennen ("...welche derart eingerichtet sind..."), wofür es in der ursprünglichen Anmeldung keine Grundlage gebe.

Hilfsantrag - Zulassung in das Beschwerdeverfahren (Artikel 13 (2) VOBK 2020)

Es werde beantragt, den mit Schreiben vom 16. April 2020 eingereichten neuen Hilfsantrag nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen. Nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 blieben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte habe stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

Die Beschwerdeführerin habe in ihrem Schreiben vom 16. April 2020 entgegen dem Erfordernis von Artikel 13 (2) VOBK 2020 keine Gründe für die späte Einreichung genannt und diese ließen sich auch nicht nachliefern. Ferner lägen keine außergewöhnlichen Umstände vor, welche die späte Einreichung des neuen Hilfsantrags rechtfertigen würden. Der Hinweis unter Punkt 14 der Mitteilung der Kammer, wonach weiteres Vorbringen der Parteien spätestens einen Monat vor dem für die mündliche Verhandlung anberaumten Termin zu geschehen habe, sei nicht als Einladung zu verstehen, neue Anträge einzureichen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag - Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)

2.1 Das Streitpatent in der Fassung gemäß Hauptantrag ist in der Weise geändert worden, dass sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung, entsprechend der internationalen Veröffentlichung WO 2009/049949 A1, hinausgeht (Artikel 123 (2) EPÜ).

2.2 Die Einspruchsabteilung vertrat in der angefochtenen Entscheidung die Auffassung, dass der ursprüngliche Anspruch 6 eine Grundlage für jedwede Kombinationen einer Kurzschlusserkennungseinheit, eines Spannungsdetektors und einer Überstromerkennungseinheit bilde (siehe Punkt 2.3.2 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung).

Die Kammer teilt diese Einschätzung der Einspruchsabteilung nicht. Anspruch 6 in der ursprünglichen Fassung ist auf eine Überwachungseinheit gerichtet, die

"- eine Kurzschlusserkennungseinheit (151a),

- einen Spannungsdetektor (152a) und/oder

- eine Überstromerkennungseinheit (155a, 156a)"

aufweist. Eine beliebige Kombinierbarkeit der drei vorgenannten Elemente ergibt sich im Lichte der Gesamtoffenbarung der ursprünglichen Anmeldung allein durch die "und/oder"-Verknüpfung des Spannungsdetektors mit der Überstromerkennungseinheit im ursprünglichen Anspruch 6 nicht. Sämtliche in der ursprünglichen Anmeldung beschriebenen Ausführungsformen gemäß den Figuren 1a bis 1c weisen eine Kurzschlusserkennungseinheit auf, wie die Beschwerdegegnerin zutreffend vorgetragen hat. Darüber hinaus enthält die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung keinerlei Hinweise dahingehend, dass es sich bei der Kurzschlusserkennungseinheit nicht um ein zwingend vorgesehenes, sondern um ein optionales Element handelt.

2.3 Die von der Beschwerdeführerin herangezogene ursprüngliche Beschreibung auf Seite 20, Zeilen 5 bis 16 als vermeintlicher Beleg dafür, dass es sich bei der Kurzschlusserkennungseinheit um ein fakultatives Merkmal handelt, lautet wie folgt:

"Selbstverständlich könnten die Überstromerkennungseinheiten 156a und 156b auch mit den in Figur 1a dargestellten Spannungsdetektoren 152a und 152b kombiniert werden."

Diese Offenbarungsstelle steht jedoch in eindeutigem Zusammenhang mit den Ausführungsformen gemäß den Figuren 1a und 1b, die jeweils Kurzschlusserkennungseinheiten aufweisen, und bietet somit höchstens eine Offenbarungsgrundlage für die Kombination einer Überstromerkennungseinheit und eines Spannungsdetektors in Verbindung mit einer Kurzschlusserkennungseinheit.

Ferner bemerkt die Kammer, dass, sofern der Fachmann alternative Ausführungsformen ohne Kurzschlusserkennungseinrichtung in Betracht ziehen würde, dies für die Frage der Zulässigkeit der Änderungen im vorliegenden Fall nur dann von Belang wäre, wenn sich diese alternative Möglichkeit unmittelbar und eindeutig aus dem Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ergibt. Dies trifft jedoch nicht zu und das entsprechende Argument der Beschwerdeführerin überzeugt die Kammer daher nicht.

Im Übrigen stellt die Kammer fest, dass auch angesichts der Tatsache, dass die Figuren 1a bis 1c Ausführungsformen der Erfindung beschreiben, wie die Beschwerdeführerin zwar zutreffend argumentiert hat, die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung jedoch insgesamt nichts enthält, was den Fachmann veranlasst haben könnte zu glauben, bei der Kurzschlusserkennungseinheit handele es sich nicht um ein notwendiges, sondern um ein optionales Element.

Die im Anspruch 1 gemäß Hauptantrag beanspruchte Kombination aus Überstromerkennungseinheit und Spannungsdetektor bzw. aus weiterer Überstromerkennungseinheit und weiterem Spannungsdetektor, ohne die Beanspruchung einer Kurzschlusserkennungseinheit bzw. einer weiteren Kurzschlusserkennungseinheit, stellt somit eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar und erfüllt folglich nicht das Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ.

2.4 Die Kammer ist ferner überzeugt, dass der nachfolgende Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag keine Grundlage in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hat:

"ein weiteres Schaltelement (131b), welches mit der weiteren Überstromerkennungseinheit (155b, 156b) und dem weiteren Spannungsdetektor (152b) gekoppelt ist und welche derart eingerichtet sind, dass bei einer Störung der Leitung (210) der weitere angrenzende Leitungsabschnitt abtrennbar ist" (Hervorhebung durch die Kammer)

Das vorstehend wiedergegebene Merkmal des Anspruchs 1 ist dem Wortlaut nach klar und bedarf daher keiner weitergehenden Interpretation, die auf Passagen der Anmeldungsunterlagen zurückgreift. Die Verwendung des Begriffs "sind" macht deutlich, dass die Abtrennung des Leitungsabschnitts auch durch entsprechende Einrichtung der Überstromerkennungseinheit und des Spannungsdetektors erfolgen soll. Der ursprüngliche Anspruch 7 ist hingegen auf "ein weiteres Schaltelement" gerichtet, "welches derart eingerichtet ist, dass bei einer Störung der Leitung (210) der weitere angrenzende Leitungsabschnitt abtrennbar ist" (Hervorhebung durch die Kammer). Die Einrichtung von weiteren Elementen derart, dass bei einer Störung der Leitung der weitere angrenzende Leitungsabschnitt abtrennbar ist, lässt sich den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hingegen weder explizit noch implizit entnehmen.

Das Argument der Beschwerdeführerin, es handele sich bei der Formulierung des betreffenden Merkmals um einen bloßen irrtümlich begangenen Formfehler, den der Fachmann unmittelbar erkennen (und korrigieren) würde, überzeugt die Kammer nicht. Der eindeutige Wortlaut des betreffenden Merkmals des Anspruchs 1 lässt einen Korrekturbedarf nämlich nicht erkennen.

Anspruch 1 gemäß Hauptantrag geht somit auch aus dem vorstehenden Grund über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.

2.5 Die Kammer ist daher zu dem Schluss gelangt, dass der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstößt.

3. Hilfsantrag vom 16. April 2020 - Zulassung in das Beschwerdeverfahren (Artikel 13 (2) VOBK 2020)

3.1 Die Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde im vorliegenden Fall am 26. Februar 2020, mithin also nach Inkrafttreten der revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, zugestellt, sodass Artikel 13 (2) VOBK 2020 anwendbar ist (Artikel 25 (3) VOBK 2020).

Mit Schreiben vom 16. April 2020 hat die Beschwerdeführerin einen neuen Hilfsantrag eingereicht. Der neue Hilfsantrag stellt folglich eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 dar.

Nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

3.2 Die Kammer folgt der Beschwerdegegnerin in ihrer Argumentation, wonach die Beschwerdeführerin keine stichhaltigen Gründe dafür aufgezeigt habe, dass außergewöhnliche Umstände im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 vorliegen, welche die Zulassung des mit Schreiben vom 16. April 2020 eingereichten Hilfsantrags rechtfertigen.

Das Argument der Beschwerdeführerin, die der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügte Mitteilung der Kammer habe unter Punkt 5, Seite 3, erster Absatz ("scheinen die Trennvorrichtungen sämtlicher Ausführungsformen ... als wesentliches gemeinsames Element eine Kurzschlusserkennungseinrichtung aufzuweisen") den Eindruck erweckt, es werde erstmals die Erfindungswesentlichkeit der Kurzschlusserkennungseinheit für die Ausführbarkeit der Erfindung angesprochen, überzeugt die Kammer nicht.

Punkt 5 der Ladung steht eindeutig unter der Überschrift "Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)". Die Formulierung "wesentliches gemeinsames Element" unter diesem Punkt lässt jedenfalls nicht den Schluss zu, die Kammer hätte trotz der anderslautenden Überschrift sowie der Tatsache, dass die Ausführbarkeit der Erfindung nie Gegenstand des Verfahrens war, überraschender Weise auf selbige Bezug genommen. Punkt 5 der Ladung nimmt vielmehr unmissverständlich Bezug auf den Einwand der Beschwerdegegnerin, die Verwendung eines Spannungsdetektors und/oder einer Überstromerkennungseinheit sei ursprünglich nur in Verbindung mit einer Kurzschlusserkennungseinheit offenbart.

Das Argument der Beschwerdeführerin, die Kammer habe mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung einen neuen Aspekt in das Verfahren eingeführt, ist somit unzutreffend und folglich als stichhaltiger Grund für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020, der die späte Einreichung des Hilfsantrags rechtfertigen würde, nicht geeignet.

Sämtliche von der Kammer in der der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung behandelten Einwände waren bereits Gegenstand des bisherigen Verfahrens und wurden insbesondere in der Beschwerdeerwiderung vom 8. Dezember 2016 ausführlich dargelegt. Die Beschwerdeführerin hätte somit bereits vor Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 26. Februar 2020 ausreichend Gelegenheit gehabt, im Hinblick auf die bestehenden Einwände vorsichtshalber Hilfsanträge einzureichen. Verfahrensökonomische Aspekte sowie die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin den Hilfsantrag mehr als einen Monat vor der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht hat, sind vor diesem Hintergrund unbeachtlich.

Im Übrigen stellt die Tatsache, dass die Kammer in der der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung eine von der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung abweichende vorläufige Meinung zum Ausdruck gebracht hat, keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 dar, der die späte Einreichung des Hilfsantrags rechtfertigen könnte. Das Beschwerdeverfahren dient der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung und die Beschwerdeführerin hätte daher zumindest mit der Möglichkeit rechnen können und müssen, dass die Kammer zu einer von der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung vertretenen abweichenden Auffassung gelangt.

3.3 Die Beschwerdegegnerin hat ferner vorgetragen, die Beschwerdeführerin hätte bereits mit der Einreichung des neuen Hilfsantrags am 16. April 2020 die Gründe für die späte Einreichung des neuen Hilfsantrags darlegen müssen, was sie jedoch nicht getan habe, sodass der neue Hilfsantrag bereits aus diesem Grund nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen sei.

Die von der Beschwerdegegnerin aufgeworfene Frage, ob die Beschwerdeführerin bereits mit der Einreichung des neuen Hilfsantrags am 16. April 2020 stichhaltige Gründe im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 hätte darlegen müssen, kann vorliegend dahinstehen bleiben, denn jedenfalls ist der von der Beschwerdeführerin erst in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer dargelegte Grund (siehe obigen Punkt 3.2) nicht geeignet, das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände zu rechtfertigen.

3.4 Der Vollständigkeit halber bemerkt die Kammer, dass die im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag vorgenommenen Änderungen prima facie weitere Probleme bezüglich des Erfordernisses von Artikel 123 (2) EPÜ mit sich zu bringen scheinen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf das von der Beschwerdegegnerin aufgegriffene Merkmal des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag, wonach das weitere Schaltelement mit der weiteren Überstromerkennungseinheit, dem weiteren Spannungsdetektor und der weiteren Kurzschlusserkennungseinheit gekoppelt ist.

3.5 Aufgrund der obigen Erwägungen hat die Kammer ihr Ermessen nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 dahingehend ausgeübt, den neuen Hilfsantrag vom 16. April 2020 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

4. Hilfsanträge 1 bis 3 - Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)

4.1 Der Anspruch 1 jeder der Hilfsanträge 1 bis 3 beansprucht jeweils die Kombination einer Überstromerkennungseinheit mit einem Spannungsdetektor ohne eine Kurzschlusserkennungseinheit.

4.2 Die unter den Punkten 2.1 bis 2.3 zum Hauptantrag getroffenen Feststellungen der Kammer gelten somit gleichermaßen für die Hilfsanträge 1 bis 3. Die Beschwerdeführerin hat hiergegen nichts eingewendet.

4.3 Anspruch 1 jeder der Hilfsanträge 1 bis 3 erfüllt somit jeweils nicht das Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ.

5. Schlussbemerkungen

Da der Anspruch 1 des Hauptantrags sowie der Hilfsanträge 1 bis 3 jeweils gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstößt und weil darüber hinaus der Hilfsantrag vom 16. April 2020 nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen war, war die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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