T 1069/15 () of 17.6.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T106915.20200617
Datum der Entscheidung: 17 Juni 2020
Aktenzeichen: T 1069/15
Anmeldenummer: 08017594.6
IPC-Klasse: F41A21/44
F41A25/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Klein- oder mittelkalibrige Maschinenkanone
Name des Anmelders: Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Rheinmetall Waffe Munition GmbH
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54 (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
European Patent Convention Art 83 (2007)
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4) (2007)
Schlagwörter: Neuheit - offenkundige Vorbenutzung (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Ausreichende Offenbarung - unzumutbarer Aufwand (nein)
Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (nein)
Spät eingereichte Tatsachen - eingereicht mit der Beschwerdebegründung
Spät eingereichte Tatsachen - Antrag hätte bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können (ja)
Spät eingereichte Beweismittel - eingereicht mit der Beschwerdebegründung
Spät eingereichte Beweismittel - Antrag hätte bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2028/16

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent EP-B1-2 053 338 (im Folgenden: das Patent) betrifft eine klein- oder mittelkalibrige Maschinenkanone.

II. Gegen das erteilte Patent hatte die Einsprechende Einspruch eingelegt und ihn auf die Gründe der Artikel 100 a), b) und c) EPÜ gestützt.

III. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass der Einspruchsgrund des Artikel 100 a) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents zwar nicht wegen mangelnder Neuheit wegen öffentlicher Vorbenutzung gemäß D8.1 bis D8.6 und D9 entgegensteht, wohl aber wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit im Hinblick auf D1. Weiter hat sie entschieden, dass das Patent in geändertem Umfang gemäß dem während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 1 den Erfordernissen des EPÜ genügt.

IV. Gegen diese Entscheidung legten sowohl die Patentinhaberin als auch die Einsprechende jeweils Beschwerde ein. Nachdem somit beide Verfahrensbeteiligte Beschwerdeführerinnen und Beschwerdegegnerinnen sind, werden diese im Folgenden der Einfachheit halber weiter als die Patentinhaberin und die Einsprechende adressiert.

V. In der als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2007) teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Einschätzung des der Beschwerde zugrundeliegenden Sachverhalts mit.

VI. In einer weiteren Mitteilung vom 30. April 2020 wies die Kammer in Ergänzung auf den Anhang zur Ladung verfahrensleitend darauf hin, dass es in Hinblick auf die durch die Coronakrise bedingten Einschränkungen möglich erscheine, die Sache im Rahmen des schriftlichen Verfahrens zu entscheiden, sollte die Einsprechende ihren Antrag auf mündliche Verhandlung vorzugsweise bis zum 1. Juni 2020 zurücknehmen.

Mit einem Schreiben vom 28. Mai 2020 teilte die Einsprechende mit, dass sie ihren Antrag auf mündliche Verhandlung aufrecht erhalte. In einem weiterem Schreiben vom 10. Juni 2020 reichte die Einsprechende weitere Argumente zu den Einspruchsgründen gemäß Artikel 100 a) bis c) ein. Die Patentinhaberin reichte eine Erwiderung darauf mit Schreiben vom 15. Juni 2020 ein.

VII. Eine mündliche Verhandlung fand am 17. Juni 2020 statt.

Während der Verhandlung hat die Patentinhaberin erklärt, sie werde ihren Antrag, den Einspruch als unzulässig zu verwerfen, nicht mehr weiter verfolgen. Für den weiteren Verfahrensablauf wird auf die Niederschrift zur Verhandlung vor der Beschwerdekammer verwiesen.

VIII. Anträge

Am Schluss der mündlichen Verhandlung bestand folgende Antragslage:

Die Patentinhaberin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent wie erteilt aufrechtzuerhalten. Hilfsweise beantragte sie, das Patent in eingeschränkter Fassung auf der Grundlage der Hilfsanträge I.1 oder I.2, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 4. Februar 2016, aufrechtzuerhalten, weiter hilfsweise die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen, weiter hilfsweise, das Patent in eingeschränkter Fassung auf der Grundlage einer der Hilfsanträge II.2 , II.3, III, IV oder V, alle eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 4. Februar 2016, aufrechtzuerhalten.

Die Einsprechende beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

IX. Ansprüche

Anspruch 1 in der erteilten Fassung inklusive der in der angefochtenen Entscheidung vorgeschlagenen Merkmalsanalyse lautet:

1 "Klein- oder mittelkalibrige Maschinenkanone mit einem

in einer Waffenaufnahme oder Wiege gelagerten Waffenrohr (1),

2 wobei das Waffenrohr (1) von einer an der

Waffenaufnahme (2) oder Wiege befestigten und sich, unter Berücksichtigung des Rohrrücklaufs, bis in den Bereich unmittelbar hinter der Mündung (1.1) des Waffenrohres (1) erstreckenden Rohrabstützung umgeben ist,

3 welche als das Waffenrohr (1) allseitig umfassendes

Rohrelement (3) ausgebildet ist,

3a dessen Innendurchmesser um einen vorgegebenen Betrag

größer ist als der Außendurchmesser des Waffenrohres (1),

3b wobei zwischen der Innenwand des Rohrelements (3) und

der Außenwand des Waffenrohrs (1) mindestens am vorderen Ende des Rohrelements (3) Abstützelemente (4, 5, 6) angeordnet sind, die fest mit dem Rohrelement (3) verbunden sind und deren Abstand von der Außenwand des Waffenrohres (1) so bemessen ist, dass der ungehinderte Rücklauf des Waffenrohres (1) gewährleistet ist, aber radialen Schwingungen oder Verbiegungen des Waffenrohres (1) mittels der Abstützelemente (4, 5, 6) entgegengewirkt wird, dadurch gekennzeichnet, dass

4 der Innenquerschnitt des Rohrelements (3) mindestens

auf einem der Mündung (1.1) des Waffenrohres (1) zugewandten Teilabschnitt seiner Länge oval, elliptisch oder vieleckig, insbesondere rautenförmig, ist."

Anspruch 2 in der erteilten Fassung inklusive der in der angefochtenen Entscheidung vorgeschlagenen Merkmalsanalyse lautet:

1 "Klein- oder mittelkalibrige Maschinenkanone mit einem

in einer Waffenaufnahme oder Wiege gelagerten Waffenrohr (2),

2 wobei das Waffenrohr (1) von einer an der

Waffenaufnahme (2) oder Wiege befestigten und sich, unter Berücksichtigung des Rohrrücklaufs, bis in den Bereich unmittelbar hinter der Mündung (1.1) des Waffenrohres (1) erstreckenden Rohrabstützung umgeben ist,

3 welche als das Waffenrohr (1) allseitig umfassendes

Rohrelement (3) ausgebildet ist,

3a dessen Innendurchmesser um einen vorgegebenen Betrag

größer ist als der Außendurchmesser des Waffenrohres (1),

3b wobei zwischen der Innenwand des Rohrelements (3) und

der Außenwand des Waffenrohrs (1) mindestens am vorderen Ende des Rohrelements (3) Abstützelemente (4, 5, 6) angeordnet sind, die fest mit dem Rohrelement (3) verbunden sind und deren Abstand von der Außenwand des Waffenrohres (1) so bemessen ist, dass der ungehinderte Rücklauf des Waffenrohres (1) gewährleistet ist, aber radialen Schwingungen oder Verbiegungen des Waffenrohres (1) mittels der Abstützelemente (4, 5, 6) entgegengewirkt wird, dadurch gekennzeichnet, dass

4 der Innendurchmesser in Elevationsrichtung der Bewegung

des Waffenrohrs (1) größer ist als der Innendurchmesser in Azimutrichtung."

Die abhängigen Ansprüche 3 bis 6 betreffen bevorzugte Ausführungsformen der in den Ansprüchen 1 und 2 definierten Maschinenkanone.

X. Stand der Technik

Die Einspruchsabteilung hat in der Begründung ihrer Entscheidung die folgenden zusammen mit der Einspruchsschrift eingereichten Dokumente erwähnt:

D1: DE 707 201 C;

D3: EP 0 687 884 A1;

D8.1: Konstruktionszeichnung Rohrführung MLG-00-233000,

Ersterstellung 26. September 2002;

D8.2: Stückliste Rohrführung MLG-00-233000 vom

4. November 2003;

D8.3: Konstruktionszeichnung Waffenträger

MLG-00-230000, Ersterstellung 26.Januar 1999;

D8.4: Stückliste Waffenträger MLG-00-230000 vom

7. Oktober 2002;

D8.5: Konstruktionszeichnung Geschütz MLG-00-100000,

Ersterstellung 10. Januar 2003;

D8.6: Lieferschein über ein MLG-00-100000 an das

Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung vom

9. Dezember 2003;

D9: Pressebericht "Rheinmetall liefert

Marinegeschütze an Kuwait - Durchbruch für das

MLG 27 im internationalen Markt", 5.Juli 2006,

Ausdruck von der Internetseite www.goyax.de.

Folgendes Dokument wurde von der Einspruchsabteilung wegen verspätetem Vorbringen nicht in das Verfahren zugelassen:

D22: R. Lidschun, G. Wollert: "Illustrierte

Enzyklopädie der Infanteriewaffen aus aller Welt

(1918-1945)", Band 1, 1999, Seiten 200 bis 201.

In ihrer Beschwerdebegründung verwies die Einsprechende zusätzlich auf folgende Dokumente des Einspruchsverfahrens:

D4: FR 596 175 A;

D14: DE 31 48 265 A1;

und reichte die folgenden, erstmals im Beschwerdeverfahren zitierten Dokumente ein:

D8.5.1: Stückliste Lafette MLG -00-200000;

D8.5.2: Stückliste Marineleichtgeschütz MLG-00-100000;

D9.1: Beitrag "Strategie und Technik" (Zeitschrift)

August 2007, Seite 57;

D9.2: Beitrag "wf" (Zeitschrift) III/2006, Seite 79;

D9.3: Beitrag "Defence 21" (Magazine, publiziert in

Arabisch), Ausgabe Juni/Juli 2006;

D9.4: Beitrag "IMS-Magazin" (Zeitschrift) 4/06, Seite 55;

D23: Auszug aus der Online Enzyklopädie Wikipedia zu

"Barrett M82" vom 11. September 2015 sowie Vergrößerung;

D24: Auszug aus der Online Enzyklopädie Wikipedia zu

"SA 80" vom 11. September 2015 sowie

Vergrößerung;

D25: Auszug aus der Online Enzyklopädie Wikipedia zu

"Stoner 63" vom 11.September 2015 sowie

Vergrößerung;

D26: Auszug aus der Online Enzyklopädie Wikipedia zu

"Walther MP" vom 12. März 2015 inklusive Bild;

D27: Auszug aus der Online Enzyklopädie Wikipedia zu

"Maschinengewehr 42" vom 07. September 2015

sowie Vergrößerung;

D28: Auszug aus der Online Enzyklopädie Wikipedia zu

"Rückstoßverstärker" vom 7. September 2015;

D29: Auszug aus der Online Enzyklopädie Wikipedia zu

"MG 3" vom 07. September 2015 sowie

Vergrößerung;

D30: E.R. Hooton "Coast Protectors", "armada

International" (Zeitschrift) 5/2006,

Seiten 24 und 26;

D31: Massimo Annati "Small caliber guns", Naval

Forces IV/2006 (Zeitschrift), Seiten 9 bis 16;

D32: Messeauftritt IDEX 2001 Abu Dhabi, (MIM -

Betriebszeitung Fa. Mauser) sowie Frachtbrief

und Transportauftrag;

D33: Messespeditionsauftrag MLG für IDEX in Abu Dhabi;

D34: US 2,302,699 A.

Weiterhin reichte die Einsprechende mit ihrer Beschwerdeerwiderung die folgenden Unterlagen ein:

D35: Auszüge aus dem Firmenprospekt "WEGMANN -

Systemtechnik", WEGMANN + Co GmbH;

D36: Firmenprospekt "DRAKON EO", MAUSER und CS

Défense, Druckdatum: 09/1996;

D37: Firmenprospekt ,,MN 27/30GS", MAUSER,

Druckdatum: 10/1996;

D38: Auszug aus der Online Enzyklopädie Wikipedia zu

"MLG 27";

D39: Auszug aus der Online Enzyklopädie Wikipedia zu

"Mauser BK-27";

D40: Ausdruck zu "Mauser BK 27" gefunden auf

http://www.whq-forum.de/cms/205.0.html;

D41: Ausdruck zu "CIWS im Zusammenhang der

Flugabwehr zur See" gefunden auf

http://www.die-marine.de/deutsch/ciws/CIWS%20%20EX.html;

D41.1: Ausdruck zu D41 von der WayBackmachine Google.

Mit dem Schreiben vom 10. Juni 2020 reichte die Einsprechende zusätzlich die Seite 199 der Enzyklopädie D22 als Dokument D22a ein.

Die Patentinhaberin verwies in ihrer Erwiderung vom 4. Februar 2016 auf folgendes Dokument des Einspruchsverfahrens:

D11: DE 10 226 534 A1.

XI. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Patentinhaberin in Bezug auf den Hauptantrag lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Der beanspruchte Gegenstand des Patents beruhe auf den ursprünglich eingereichten Ansprüchen und der technischen Lehre in Absatz [0008]. Die im Prüfungsverfahren vorgenommene Änderung gehe nicht über die Lehre der ursprünglichen Anmeldung hinaus.

Ferner seien keine nachprüfbaren Fakten vorgelegt worden, die Probleme bei der Nacharbeitung der beanspruchten Maschinenkanonen seitens des Fachmanns erkennen ließen.

Das spät eingereichte Dokument D22 beschreibe keine klein- oder mittelkalibrige Maschinenkanone, insbesondere keine Kanone mit einer Rohrabstützung gemäß den Ansprüchen 1 und 2 des Patents und sei daher zurecht wegen mangelnder Relevanz nicht in das Einspruchsverfahren aufgenommen worden.

Eine öffentliche Vorbenutzung einer Maschinenkanone gemäß den Ansprüchen 1 oder 2 des Patents werde durch die Unterlagen D8 und D9 nicht belegt, insbesondere gehe aus diesen Unterlagen nicht hervor, was genau, wann und durch Lieferung an wen sowie unter welchen Umständen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sein soll. Zudem seien die Konstruktionsbilder gemäß D8 nicht dafür geeignet zu zeigen, dass die darin dargestellte Kanone eine allseitige Rohrabstützung gemäß den Ansprüchen 1 und 2 aufweise.

Ausgehend von D1 liege der Gegenstand des Patents nicht nahe. D1 offenbare keine allseitig umfassende Rohrabstützung für das Waffenrohr gemäß den Ansprüchen 1 und 2. Daher sei auch die räumliche Ausgestaltung der Rohrabstützung nicht im Rahmen der experimentellen Routine vom Fachmann zu bewerkstelligen.

Die erst im Beschwerdeverfahren von der Einsprechenden eingereichten Dokumente D23 bis D41 und neuen Einwände sollten allesamt nicht in das Verfahren zugelassen werden, da diese bereits im Einspruchsverfahren hätten eingereicht werden müssen. Deren Einreichung sei zudem nicht durch die Begründung der angefochtenen Entscheidung veranlasst.

Die Stellungnahme der Einsprechenden vom 10.Juni 2020 sei im Verfahren wegen verspätetem Vorbringen nicht zu berücksichtigen.

XII. Das entsprechende Vorbringen der Einsprechenden in Bezug auf den Hauptantrag lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 2 des Patents gehe über die Lehre der ursprünglichen Anmeldung hinaus, insbesondere Absatz [0008] offenbare das jeweilige Merkmal 4 der Ansprüche 1 und 2 nicht in allgemein gültiger Form.

Ferner ermögliche das Patent keine Nacharbeitung der beanspruchten Maschinenkanonen durch den Fachmann, da es in Hinblick auf die Abstützelemente keinerlei Angaben zu deren Dimensionierung, Material und Positionierung enthalte. Auch sei unklar, was mit den Begriffen "vorgegebener Betrag" und "vorderes Ende" gemeint sei und wie diese realisiert werden können. Im Übrigen werde der beanspruchte Gegenstand aufgabenhaft definiert und erfordere seitens des Fachmanns bei der Nacharbeitung die Auswahl einer Vielzahl von Parametern ohne jegliche Anweisung dazu im Patent.

Die Unterlagen D8.1 bis 8.5 zeigten ein Marineleichtgeschütz gemäß den Ansprüchen 1 und 2, das gemäß D8.6 und dem Pressebericht D9 an diverse Kunden verkauft worden sei. Dieses Vorbringen werde durch die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente D8.5.1, D8.5.2, D9.1, D9.2, D9.3, D9.4 sowie durch D29 und D34 untermauert.

Das Dokument D22 beschreibe ein Maschinengewehr, das alle Merkmale des Anspruchs 1, insbesondere eine entsprechende Rohrabstützung aufweise. D22 sei daher für die Beurteilung der Patentfähigkeit des beanspruchten Gegenstands prima facie relevant und hätte ins Verfahren aufgenommen werden müssen.

Zusammen mit den Dokumenten D27 und D29 stelle D22 einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dar. Der Einsatz von Abstützelementen entlang eines Waffenrohrs und deren Einfluss auf die Biegefestigkeit werde dem Fachmann in D4 gelehrt.

Der beanspruchte Gegenstand sei daher naheliegend. Eine entsprechende Argumentation gelte auch ausgehend von D25 oder D26.

Zudem sei der beanspruchte Gegenstand ausgehend von D1 oder D14 in Kombination mit D3 oder dem allgemeinen Fachwissen naheliegend.

Die Stellungnahme der Einsprechenden vom 15.Juni 2020 sei im Verfahren wegen verspätetem Vorbringen nicht zu berücksichtigen.

Entscheidungsgründe

1. Anwendbare Verfahrensordnung der Beschwerdekammern

Die revidierte Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) ist am 1. Januar 2020 in Kraft getreten. Vorbehaltlich der Übergangsbestimmungen des Artikels 25 VOBK 2020 ist die revidierte Fassung auch auf am Tag des Inkrafttretens bereits anhängige Beschwerden anwendbar. Im vorliegenden Fall wurden beide Beschwerdebegründungen und - erwiderungen vor dem 1. Januar 2020 fristgerecht eingereicht. Daher ist Artikel 12 (4)-(6) VOBK 2020 nicht anzuwenden. Stattdessen ist Artikel 12 (4) VOBK 2007 sowohl auf die Beschwerdebegründungen als auch auf die jeweilige Erwiderung anzuwenden (Artikel 25 (2) VOBK 2020).

2. Zulassung der erstmals oder erneut im Beschwerdeverfahren eingereichten Dokumente (Artikel 12(4) VOBK 2007) der Einsprechenden

2.1 Die Dokumente D8.5.1, D8.5.2, D9.1, D9.2, D9.3, D9.4 und D23 bis D41 wurden erstmals im Beschwerdeverfahren eingereicht. Das von der Einsprechenden erneut im Beschwerdeverfahren eingereichte Dokument D22 wurde von ihr zwar bereits zuvor im Einspruchsverfahren vorgelegt, dort aber wegen verspätetem Vorbringen nicht in das Verfahren zugelassen.

Die Zulassung dieser Dokumente fällt daher unter die Bestimmungen des Artikels 12(4) VOBK 2007, der es in das Ermessen der Kammer stellt, Beweismittel nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder darin nicht zugelassen wurden.

2.2 Zulassung der Dokumente D8.5.1, D8.5.2, D9.1, D9.2, D9.3, D9.4, D29 bis D34

Die Einspruchsabteilung hatte schon in Punkt 3 des Ladungszusatzes zur mündlichen Verhandlung ihre Meinung klar zum Ausdruck gebracht, dass eine öffentliche Vorbenutzung durch die Dokumente D8.1 bis D8.6 und D9 nicht ausreichend nachgewiesen wurde.

Damit bestand für die Einsprechende schon im Rahmen des Einspruchsverfahrens ein konkreter Anlass, gegebenenfalls weitere Belege einzureichen, um damit ihr Vorbringen diesbezüglich zu ergänzen.

Diese Möglichkeit wurde trotz des Hinweises der Einspruchsabteilung von der Einsprechenden im Rahmen des Einspruchsverfahrens nicht wahrgenommen. Insbesondere in der Eingabe zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vom 9. März 2015 wurden von ihr keine weiteren Dokumente oder Belege für die angebliche Vorbenutzung vorgelegt, die auch in der Einspruchsschrift selbst nur sehr knapp erläutert wurde.

Erst im Rahmen des Beschwerdeverfahrens die Substantiierung der Vorbenutzung durch Vorlage neuer Dokumente zu vervollständigen, entspricht nicht dem Sinn und Zweck des Beschwerdeverfahrens. Das Verfahren dient der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung, wodurch dem Unterlegenen die Möglichkeit gegeben wird, die ihm nachteilige Entscheidung anzufechten und ein gerichtliches Urteil über die Richtigkeit einer erstinstanzlichen Entscheidung zu erwirken (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, Kapitel V.A.4.1.1).

Vielmehr ist der faktische und rechtliche Rahmen des Einspruchsverfahrens weitestgehend für das weitere Beschwerdeverfahren bestimmend (a.a.O., Kapitel V.A.4.2.1).

Zudem ergänzen die für die behauptete öffentliche Vorbenutzung neu eingereichten Dokumente nicht nur die in D8 und D9 bereits angeblich gezeigten Vorbenutzungen, sondern betreffen teilweise weitere Vorbenutzungen, wie beispielsweise eine Zurschaustellung auf Messen in Abu Dhabi gemäß D32 und D33, die mit den angeblichen Vorbenutzungen gemäß D8.6 und D9 nicht in Zusammenhang stehen.

Die Dokumente D8.5.1, D8.5.2, D9.1, D9.2, D9.3, D9.4, D29 bis D34 hätten daher bereits im Einspruchsverfahren eingereicht werden können und müssen. Sie werden daher im Beschwerdeverfahren nicht mehr berücksichtigt.

2.3 Zulassung des Dokuments D22

2.3.1 Die Einspruchsabteilung hat unter Ausübung ihres Ermessens das für die behauptete mangelnde Neuheit verspätet, nämlich erst in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, eingereichte Dokument D22 wegen mangelnder Relevanz nicht in das Verfahren zugelassen. Diesbezüglich hat die Einsprechende weder in ihren schriftlichen Eingaben noch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erkennen lassen, inwiefern die Ermessensausübung seitens der Einspruchsabteilung fehlerhaft gewesen sein sollte.

Vielmehr argumentiert die Einsprechende selbst noch in Punkt V der Beschwerdebegründung, dass D22 lediglich das Fachwissen zum Maschinengewehr MG3 bzw. MG42 offenbare und einen weiteren möglichen Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellt. Die mangelnde Neuheit ist darauf jedenfalls dort nicht gestützt worden.

Während in der Erwiderung auf die Beschwerde der Patentinhaberin der Offenbarungsgehalt von D22 von der Einsprechenden nicht weiter diskutiert wurde, bringt sie schließlich erstmals im Schreiben vom 10. Juni 2020, also nur eine Woche vor der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer, vor, dass der Gegenstand des Patents in Hinblick auf D22 nicht neu sei. Wiederum lässt das Vorbringen allerdings nicht erkennen, aus welchem Grund die Einspruchsabteilung bei der Ausübung ihres Ermessens zur Zulässigkeit des verspätet vorgebrachten Dokuments D22 fehlerhaft vorgegangen sein sollte.

2.3.2 Es bestehen daher für die Kammer keine Zweifel, dass die Einspruchsabteilung völlig zu Recht von ihrem Ermessen gebraucht gemacht hat, das erst sehr spät, nämlich erst während der mündlichen Verhandlung vorgelegte Dokument D22 anhand seiner von ihr nicht als überzeugend angesehenen prima facie Relevanz zu beurteilen, um zu einer Entscheidung über seine Zulassung zu gelangen.

Diesbezüglich stellt die Kammer zudem fest, dass gemäß Punkt 5 der Niederschrift über die Verhandlung vor der Einspruchsabteilung die Einsprechende D22 auch nur hilfsweise für den Fall vorgelegt hatte, dass ihr Einwand der öffentlichen Vorbenutzung basierend auf D8 und D9 nicht bereits Erfolg haben würde. Ein derart taktisch bestimmtes Vorgehen durch wissentliches Zurückhalten von Dokumenten zeigt, dass die Einsprechende ihre Einwände entgegen den Regeln eines geordneten Verfahrens nicht frühestmöglich eingereicht hat. Weder die Einspruchsabteilung noch die Patentinhaberin hatten daher eine angemessene und frühzeitige Möglichkeit zur Beurteilung der Offenbarung der D22 im Detail.

Ein taktisches Zurückhalten von Dokumenten ist auch für die Kammer kein Anlass, ihr eigenes Ermessen nach Artikel 12(4) VOBK 2007 zu Gunsten der Einsprechenden auszuüben.

2.3.3 Auch in Hinblick auf die prima facie Relevanz des Dokuments D22 ist für die Kammer kein Grund erkennbar, der bei der Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12(4) VOBK zu einem von der Einspruchsabteilung abweichenden Ergebnis führen könnte. Zum einen ist es für die Kammer prima facie nicht nachvollziehbar, warum ein Maschinengewehr für ein Kaliber 7,92x51 (siehe D22, tabellarische Daten im letzten Absatz der Seite 200) für die Beurteilung einer Maschinenkanone überhaupt zu berücksichtigen sein sollte. Selbst die Tatsache, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 2 des Patents auch kleinkalibrige Maschinenkanonen umfasst, ist für den Fachmann keineswegs ein Hinweis darauf, dass der Begriff "Maschinenkanone" auch übliche Maschinengewehre umfasst.

Weiterhin ist in der auf Seite 201 von D22 dargestellten Explosionszeichnung des MG42 nicht prima facie erkennbar, dass das Maschinengewehr eine allseitig umfassende Waffenrohrabstützung aufweist, die mehrere Abstützelemente aufweist.

2.3.4 Selbst wenn ein Fachmann den in dieser Explosionszeichnung dargestellten Bauteilen des MG42 die Funktionen gemäß der von der Einsprechenden annotierten Fassung zuweist:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

wird in D22 dazu nicht offenbart, dass die von der Einsprechenden als Abstützelemente identifizierten Bauteile des MG42, die Rohrführungshülse und die Rückstoßdüse, wie von den Ansprüchen 1 und 2 gefordert fest mit dem das Waffenrohr umgebenden Rohrelement verbunden und ferner dazu ausgebildet sind, radiale Schwingungen des Waffenrohrs zu verringern.

2.4 Zulassung der Dokumente D23 bis D28 und D35 bis D41

Im Rahmen des Einspruchsverfahrens hatte die Einsprechende sowohl im Einspruchsschriftsatz als auch im Schreiben vom 9. März 2015 nur Einwände gegen die erteilten Ansprüche 1 und 2 unter Bezug auf die Dokumente D1, D3, D8 und D9 vorgebracht.

In Hinblick auf das knappe Vorbringen seitens der Einsprechenden im Rahmen des Einspruchsverfahrens ist kein Grund erkennbar, warum die weiteren Dokumente D23 bis D28 und D35 bis D41 erst im Beschwerdeverfahren eingereicht wurden, das nicht dazu dient, das Einspruchsverfahren unter Berücksichtigung neuer Angriffslinien fortzuführen oder gar neu aufzurollen (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, a.a.O., Kapitel V.A.4.11.1). Auch ist nicht nachvollziehbar, wie diese Dokumente und die zum Teil darauf beruhenden völlig neuen Angriffslinien zur erfinderischen Tätigkeit eine, wie die Einsprechende geltend macht, angemessene Reaktion auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung darstellen könnten, nachdem die Einsprechende das Patent wie erteilt bereits mit einem Angriff auf die erfinderische Tätigkeit erfolgreich zu Fall gebracht hatte. Die bloße Tatsache, dass eine Einspruchsabteilung den im Einspruchsverfahren vorgebrachten übrigen Argumenten zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit nicht gefolgt ist, stellt keine Rechtfertigung dafür dar, völlig neue Dokumente und Angriffslinien im Beschwerdeverfahren einzureichen.

2.5 Die Kammer kommt daher unter Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12(4) VOBK 2007 und Artikel 114(2) EPÜ zu dem Schluss, dass die Dokumente D8.5.1, D8.5.2, D9.1, D9.2, D9.3, D9.4 und D22 bis D41 im Beschwerdeverfahren nicht zu berücksichtigen sind.

3. Artikel 100 c) EPÜ - Hauptantrag

Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 2 gemäß Hauptantrag basiert auf dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1. Dabei entsprechen die Merkmale 1 bis 3 den Merkmalen des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1. Die jeweiligen Merkmale 4 der erteilten Ansprüche 1 und 2 entsprechen der Lehre in Absatz [0008] der ursprünglichen Anmeldung, der lautet:

"Die Rohrabstützung ist grundsätzlich als Rohrelement ausgebildet, dessen Innendurchmesser um einen vorgegebenen Betrag größer ist als der Außendurchmesser des Waffenrohres. Das Rohrelement kann unterschiedliche Querschnitte aufweisen. So kann sein Innenquerschnitt beispielsweise mindestens auf einem der Mündung des Waffenrohres zugewandten Teilabschnitt seiner Länge kreisförmig, oval, elliptisch oder auch vieleckig, beispielsweise rautenförmig, sein. Bei den Querschnitten mit unterschiedlichen Innendurchmessern hat es sich als vorteilhaft erwiesen, wenn der Innendurchmesser in Elevationsrichtung der Bewegung des Waffenrohres größer ist als der Innendurchmesser in Azimutrichtung."

Dieser Absatz vermittelt im zweiten Satz allgemein, dass das Rohrelement unterschiedliche Querschnitte aufweisen kann. Dazu werden in den folgenden Sätzen Ausführungsformen beschrieben. Einerseits werden mögliche Formen des Innenquerschnitts genannt und andererseits wird das Verhältnis der Länge des Durchmessers in Elevationsrichtung und Azimutrichtung zueinander beschrieben.

Die dabei verwendeten Begriffe "Innenquerschnitt" und "Innendurchmesser" stellen nach allgemeinem Sprachgebrauch keine Synonyme dar, sondern beschreiben die Form der Rohrabstützung in Hinblick auf unterschiedliche Ausführungsformen, die unabhängig voneinander in Betracht gezogen werden können.

Absatz [0008] enthält keinerlei Aussage, die in Frage stellt, dass jede der beiden Aussagen für sich alleine betrachtet gültig wäre. Die Aufnahme jeweils einer der beiden Aussagen in den Wortlaut des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 stellt daher keine Änderung dar, die über die Lehre der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.

Ferner impliziert das Merkmal "dass der Innendurchmesser in Elevationsrichtung der Bewegung des Waffenrohres größer ist als der Innendurchmesser in Azimutrichtung" bereits, dass das Rohrelement "Querschnitte mit unterschiedlichen Innendurchmessern" aufweist. Dieser erste Teil des letzten Satzes in Absatz [0008] ist daher inhärent von dem Wortlaut des Anspruchs 2 umfasst.

Anspruch 3 in seiner erteilten Fassung beruht auf den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 3 und 4 und stellt auf eine Kombination der in Absatz [0008] genannten Aussagen ab.

Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Streitpatents daher nicht entgegen.

4. Artikel 100 b) EPÜ - Hauptantrag

Die Einsprechende bestreitet die Ausführbarkeit des Merkmals 3b der Patentansprüche 1 und 2. Der Fachmann erhalte ungenügend Informationen, um die aufgabenhafte Definition in die Realität umzusetzen, also um Abstützelemente bereitzustellen, die den Rücklauf des Waffenrohrs gewährleisten und radialen Schwingungen oder Verbiegungen des Waffenrohrs entgegenwirken.

Die Einsprechende hat allerdings keine nachvollziehbare und durch nachprüfbare Fakten erhärtbare Zweifel an der Ausführbarkeit glaubhaft gemacht, die aber für einen überzeugenden Einwand bezüglich mangelnder Offenbarung erforderlich wären (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, a.a.O, Kapitel II.C.9.).

Es ist insbesondere kein konkreter Anhaltspunkt vorgetragen worden, der Zweifel daran aufkommen lassen könnte, dass ein Fachmann im Rahmen von Routineversuchen in der Lage ist, die Größe, die Lage, das Material und die Oberflächenqualität der Abstützelemente zu wählen, um eine ausreichende Abstützung zu gewährleisten und ein Klemmen des Rücklaufs zu vermeiden.

Insbesondere die thermische Ausdehnung des Waffenrohrs, die mechanische Belastung in Abhängigkeit des einzusetzenden Kalibers, der Schussbelastung und des Einsatzorts sind übliche und bekannte Parameter, die bei der Planung jeder Waffe zu berücksichtigen sind und daher vom Fachmann ohne erkennbare Probleme bei der Wahl des Materials berücksichtigt werden. Letztendlich ist bei der Dimensionierung der Abstützelemente nur das Spiel entscheidend, dass groß genug sein muss, um ein Verklemmen zu vermeiden, und klein genug sein muss, um eine ausreichende Abstützung zu gewährleisten. Die Feststellung des "richtigen" Spiels gehört klar in den Bereich der Routineversuche.

Die weiteren Argumente der Einsprechenden in Hinblick auf die Bedeutung der Begriffe "(der) vorgegebene Betrag" und "vorderes Ende" betreffen die Unbestimmtheit der Begriffe und gegebenenfalls daraus resultierende Widersprüche im Wortlaut der Ansprüche 1 und 2. Diese Argumente betreffen daher eher die Klarheit der Ansprüche, bedeuten aber nicht, dass der Fachmann an der Ausführbarkeit scheitern könnte.

Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Streitpatents daher nicht entgegen.

5. Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ - Hauptantrag

5.1 Die Einspruchsabteilung hat die dort bereits behauptete öffentliche Vorbenutzung nicht als bewiesen angesehen. Dem schließt sich die Kammer mit folgenden Überlegungen an. Die Dokumente D8.1 bis D8.6 und D9 betreffen eine angebliche Vorbenutzung durch ein Geschütz, nämlich MLG27. Dieses soll in unterschiedlicher Art und Weise, nämlich mittels einer Lieferung an das Bundesamt für Wehrtechnik gemäß D8.6 bzw. durch die Beschreibung einer Benutzung in der deutschen Marine sowie den Verkauf nach Kuwait gemäß Pressebericht D9, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sein.

5.2 Es ist ohne weiteres ersichtlich, dass durch die Beschreibung Benutzung eines Geschützes in einem Presseartikel einerseits und durch die tatsächliche Lieferung desselben Geschützes andererseits der Öffentlichkeit in der Regel ein unterschiedlicher Gegenstand zugänglich gemacht wird. Denn ein Fachmann kann z. B. einem durch Verkauf uneingeschränkt öffentlich zugänglich gemachten System durch Zerlegen, Analyse etc. technische Informationen entnehmen, die nicht notwendigerweise auch in einer Pressemitteilung beschrieben sind. Die angebliche Zugänglichmachung eines Sachverhalts durch Lieferung an das Bundesamt für Wehrtechnik, die Beschreibung in einem Presseartikel, der Einsatz eines Geschützes in der deutschen Marine und der mögliche Verkauf an das kuwaitische Militär stellen daher jeweils unterschiedliche Fälle einer angeblichen Zugänglichmachung des Geschützes dar, von denen jede für sich nachgewiesen sein muss.

5.3 D8.6 ist ein Lieferschein über eine einzige Maschinenkanone an das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung. Diesbezüglich wurde von der Einsprechenden nicht belegt, unter welchen Umständen die Kanone geliefert wurde, also ob eine Geheimhaltungs-vereinbarung bestand oder nicht. Insbesondere in Hinblick darauf, dass es sich bei dem gelieferten Gegenstand um eine Maschinenkanone handelt und unter Berücksichtigung der minimalen Stückzahl und der Person des Abnehmers liegt es durchaus nahe, von einer Geheimhaltungsvereinbarung auszugehen.

D9 stellt einen Zeitungsartikel aus dem Jahr 2006 dar, gemäß dem das MLG 27 zum einen als Bordwaffe bei der deutschen Marine installiert wurde und des Weiteren an Kuwait geliefert wurde.

Die in den Zeichnungen D8.1 bis D8.5 dargestellte Kanone trägt allerdings die Bezeichnung ML-00-100000. Ein Nachweis darüber, dass das in dem Presseartikel D9 beschriebene MLG 27 genau der in den Konstruktionszeichnungen D8.1 bis D8.5 dargestellten Kanone entspricht, liegt nicht vor.

Ferner stellt der in D9 angesprochene Einsatz einer Kanone auf einem Schiff der deutschen Marine keine öffentliche Vorbenutzung dar, da das Waffensystem eines militärisch eingesetzten Schiffs nicht öffentlich zugänglich ist. Zudem können die Merkmale einer Kanone, die nicht von außen ohne weiteres erkennbar sind wie beispielsweise die Form des Innenquerschnitts eines Rohres, der Öffentlichkeit auch nicht ohne weiteres als zugänglich gemacht angesehen werden. Die gleichen Überlegung dürften in Hinblick auf Waffen gelten, die dem kuwaitischen Militär geliefert werden, da, wie erwähnt, Waffensysteme einer Militäreinrichtung in der Regel der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind und auch zur Wahrung von militärischen Geheimhaltungsinteressen seitens des Militärs in der Regel nicht öffentlich gemacht werden.

Die Dokumente D8.6 und D9 belegen daher nicht, dass eine in D8.1 bis D8.5 beschriebene Maschinenkanone der Öffentlichkeit vor dem Prioritätsdatum des Patents zugänglich gemacht wurde.

5.4 Auch inhaltlich bestehen Zweifel, dass das in den Konstruktionszeichnungen D8.1 bis D8.5 dargestellte Geschütz überhaupt eine Maschinenkanone gemäß den Ansprüchen 1 und 2 des Patents darstellt. Es ist insbesondere kein Hinweis darauf erkennbar, dass der Innenquerschnitt des Rohrelements oval, elliptisch oder vieleckig ist bzw. sein Innendurchmesser in Azimut- und Elevationsrichtung unterschiedlich ist.

5.5 In Übereinstimmung mit den Ausführungen in Punkt 2.5 der angefochtenen Entscheidung kommt die Kammer daher zu dem Schluss, dass D8.1 bis D8.5 in Kombination mit D8.6 und D9 nicht belegen, dass eine Kanone gemäß den Ansprüchen 1 und 2 vor dem Prioritätstag des Patents öffentlich zugänglich war.

Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ steht einer Aufrechterhaltung des Patents daher nicht entgegen.

6. Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ - Hauptantrag

6.1 D1 als Ausgangspunkt

6.1.1 D1 offenbart eine selbsttätige Feuerwaffe mit einem gleitenden Lauf und einer Rückstossverstärkung (Anspruch 1), die gemäß Seite 2, Zeilen 31 bis 38 für leichte und schwere Waffen geeignet ist. Die Waffe hat gemäß der von der Patentinhaberin mit "A" und "B" annotierten Fassung der Figur 1 folgenden Aufbau:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Die hinzugefügten Bezugszeichen A und B dienen der einfacheren Bezeichnung der Elemente, die für die folgende Diskussion von besonderer Bedeutung sind.

Dabei kann die Figur 1 mangels entgegenstehender Anhaltspunkte so ausgelegt werden, dass der Waffenlauf und entsprechend der Abschnitt B der Natur der Sache folgend jeweils einen runden Querschnitt aufweisen, auch wenn dies weder in der Figur noch in der zugehörigen Beschreibung explizit beschrieben wird.

D1 offenbart nicht die Funktion der in der obigen Figur zusätzlich dargestellten Abschnitte A oder B.

Aus der Tatsache, dass die Waffe der D1 gemäß Anspruch 1 einen gleitenden Lauf hat, folgt unmittelbar, dass der Bereich A zumindest so ausgelegt sein muss, dass der Rücklauf des Waffenrohrs gewährleistet ist.

Allerdings kann daraus nicht unmittelbar abgeleitet werden, dass der Bereich A auch eng genug am Waffenlauf 2 anliegt sowie aus einem geeigneten Material besteht, um eine stützende Wirkung dafür zu gewährleisten. Hierfür fehlt jegliche Angabe in D1.

Selbst wenn die Figur der D1 so ausgelegt wird, dass der mit A gekennzeichnete Bereich zur Abstützung dienen kann, ist aber keineswegs erkennbar, dass weitere Abstützelemente am vorderen Ende des Rohres vorhanden sind.

Vielmehr offenbart D1 explizit auf Seite 2, Zeilen 52 bis 53, dass der Lauf 2 mit dem Verschluss im Waffengehäuse 1 gelagert ist. Die einzige mögliche Lehre hinsichtlich einer Abstützung betrifft daher nicht unmittelbar den Bereich A oder B der Waffe.

Wird der Lauf der Waffe wie in der Abbildung der D1 dargestellt bereits im Gehäuse mit dem Verschluss über eine breite Fläche gelagert, sind weitere Abstützelemente im Bereich B und insbesondere am vorderen Ende des Waffenrohres nicht unmittelbar nötig. Dieser Annahme vermochte die Einsprechende nichts Überzeugendes entgegenzusetzen.

6.1.2 Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 2 unterscheidet sich folglich von der Offenbarung der D1 dadurch, dass das Waffenrohr am vorderen Ende durch eine Mehrzahl von Abstützelementen gestützt wird und zudem durch die Form der Waffenrohrabstützung gemäß dem jeweiligen Merkmal 4 der beiden Ansprüche 1 und 2.

6.1.3 Das Patent offenbart unter Bezugnahme auf Figur 5 in Absatz [0018], dass ein Rohrelement mit einem runden Querschnitt durch ein Aufsatzstück mit einem U- oder V-förmigen Querschnitt zu einer Versteifung der Rohrabstützung dienen und einen geschützten Raum für elektrische Leitungen bieten kann.

Allerdings wird diese in Figur 5 dargestellte Ausführungsform nicht vom Gegenstand der Ansprüche 1 und 2 umfasst, da diese gerade kein Rohrelement mit kreisförmigen Querschnitt definieren und gemäß diesen auch kein in Figur 5 dargestelltes Aufsatzstück erforderlich ist. Auch ist nicht nachvollziehbar, dass der Einsatz eines Rohrelements mit einem Querschnitt, der in irgendeiner Weise von einer Kreisform abweicht, notwendigerweise immer die Aufgabe löst, die Biegesteifigkeit des Rohrelements zu verbessern und einen Kanal für die Zuleitung von Baugruppen zu ermöglichen. Vielmehr muss dazu die Abweichung von der Geometrie einer reinen Kreisform mehr als nur geringfügig sein bzw. eine dazu besonders geeignete anderweitige Form ausbilden.

6.1.4 Die objektive, technische Aufgabe kann folglich im breitesten Sinne der Argumentation der Einsprechenden folgend darin gesehen werden, eine alternative Maschinenkanone bereitzustellen.

6.1.5 D1 liefert keinerlei Anregung dazu, eine allseitig umfassende Rohrabstützung mit mehr als einem Abstützelement am vorderen Ende des Waffenrohrs einzusetzen, um Rohrschwingungen zu unterdrücken. Auch ist in D1 keinerlei Anregung dazu zu finden, die vorhandene Form der Waffenrohrabstützung in irgendeiner Weise zu verändern.

Ein derartiges Vorgehen wird auch von D3 nicht nahegelegt, das darauf abzielt, ein verstärktes Waffenrohr für großkalibrige Kanonen bereitzustellen, siehe Spalte 1, Zeilen 1 bis 3 und 49 bis 58.

Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 2 des Patents ist daher ausgehend von D1 in Kombination mit D3 nicht naheliegend.

6.1.6 Die Einsprechende legte zudem keinerlei Beleg für ihre Behauptung vor, dass es zum allgemeinen Fachwissen gehöre, radialen Schwingungen oder Verbiegungen des Waffenrohrs mittels einer umfassenden Rohrabstützung mit Abstützelementen im vorderen Bereich des Waffenrohrs entgegenzuwirken, oder dass es gängige Praxis sei, den Querschnitt der Rohrabstützung so auszugestalten, dass er von einer Kreisform abweicht.

Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 2 des Patents ist daher ausgehend von D1 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen nicht naheliegend.

6.2 D14 als Ausgangspunkt

Wie in Punkt 2.4 oben bereits festegestellt, hatte die Einsprechende im Einspruchsverfahren die erfinderische Tätigkeit in Hinblick auf die Ansprüche 1 und 2 wie erteilt nur sehr knapp unter Bezug auf die Dokumente D1 und D3 diskutiert.

Das Dokument D14 wurde im Rahmen des Einspruchsverfahrens von der Einsprechenden im Wesentlichen unberücksichtigt gelassen, insbesondere wurde kein daran anknüpfender Angriff gegen das Patent formuliert.

Bei der nun im Beschwerdeverfahren formulierten Angriffslinie ausgehend von D14 handelt es sich daher im Vergleich zum Einspruchsverfahren um eine völlig neue Argumentation, deren Berücksichtigung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 im Ermessen der Kammer liegt.

In Analogie zu den Ausführungen in Punkt 2.2 oben ist es nicht der Sinn und Zweck des Beschwerdeverfahrens, das Einspruchsverfahren neu aufzurollen. Vielmehr hätte die Einsprechende diese Angriffslinie bereits im Einspruchsverfahren geltend machen können und sollen.

Die Kammer sieht daher unter Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007davon ab, die Argumentationslinie ausgehend von D14 im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen.

6.3 Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ steht einer Aufrechterhaltung des Patents daher nicht entgegen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.

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