T 0972/14 () of 8.10.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T097214.20191008
Datum der Entscheidung: 08 October 2019
Aktenzeichen: T 0972/14
Anmeldenummer: 08163803.3
IPC-Klasse: F21S 8/10
F21V 5/02
B60Q 1/00
B60Q 1/26
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Beleuchtungseinrichtung für ein Kraftfahrzeug
Name des Anmelders: HELLA GmbH & Co. KGaA
Name des Einsprechenden: Hilgenberg, Markus
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(2)
Schlagwörter: Klarheit - Hauptantrag (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Neuheit und Erfinderische Tätigkeit
Neuheit - (ja)
Spät eingereichte Beweismittel - hätten bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können (ja)
Spät vorgebrachte Argumente - zugelassen (teilweise)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 2117/18
T 0114/19
T 0460/19
T 0724/20

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde des Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 2 161 494 (im Folgenden "Streitpatent") in geändertem Umfang gemäß damaligem Hilfsantrag 1.

II. Der Anspruch 1 des damaligen Hilfsantrags 1 lautet wie folgt:

"1. Beleuchtungseinrichtung für ein Kraftfahrzeug mit einer Vielzahl von Leuchtmitteln (1a, 1b, 1c), die als Scheinwerfer des Kraftfahrzeugs ausgeführt ist, wobei den Leuchtmitten (1a, 1b, 1c) verschiedenartige Lichtfunktionen in der Beleuchtungseinrichtung zugeordnet sind,

dadurch gekennzeichnet, dass wenigstens ein Lichtleitkörper (2) vorgesehen ist und die Leuchtmittel (1a, 1b, 1c) Licht verschiedenartiger Lichtfunktion gemeinsam in den Lichtleitkörper (2) einkoppeln und wobei der Lichtleitkörper (2) wenigstens eine Lichtaustrittsfläche (3) aufweist, um die verschiedenartigen Lichtfunktionen über die Lichtaustrittsfläche (3) bereitzustellen, und dass die Leuchtmittel (1a, 1b, 1c) verschiedenartiger Lichtfunktion gemeinsam auf einem Leuchtmittelträger (4) angeordnet sind,

wobei eine erste Lichtfunktion als ein Tagfahrlicht und als ein Positionslicht und eine zweite Lichtfunktion als ein Blinklicht zur Fahrtrichtungsanzeige ausgebildet ist, und

wobei weißes Licht aussendende LEDs (1a) und gelbes Licht aussendende LEDs (1b) auf dem Leuchtmittelträger (4) aufgenommen sind."

III. Die Einspruchsabteilung stellte in der Entscheidung fest, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß damaligem Hilfsantrag 1 neu sei, weil keines der im Verfahren zitierten Dokumente das Merkmal offenbare, wonach "eine erste Lichtfunktion als ein Tagfahrlicht und als ein Positionslicht und eine zweite Lichtfunktion als ein Blinklicht zur Fahrtrichtungsanzeige ausgebildet ist".

Zudem kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von dem in Dokument D6 (JP 2006-236588 A) offenbarten Scheinwerfer dadurch, dass er außer einer Positionslichtfunktion auch eine Tagfahrlichtfunktion aufweise. Die Aufgabestellung sei somit, einen Scheinwerfer mit einer zusätzlichen Lichtfunktion bereitzustellen. Im Stand der Technik zeige kein Dokument einen Scheinwerfer, der eine Tagfahrlichtfunktion in Kombination mit einer Positionslichtfunktion aufweise.

Bezüglich des Einspruchsgrunds gemäß Artikel 100 b) EPÜ kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluss, dass der Fachmann im Absatz [0027] der Beschreibung genügend Informationen finde, um die Erfindung auszuführen.

IV. Im Beschwerdeverfahren wurde auf die folgenden Dokumente Bezug genommen:

D6: JP 2006-236588 A

D6a: Maschinenübersetzung zur D6

D9: DE 10 2005 043 992 B4

D15: DE 10 2006 027 970 A1

D16: DE 10 2007 005 779 A1

Die Dokumente D15 und D16 wurden erstmals mit der Beschwerdebegründung eingereicht.

V. Mit der Beschwerdebegründung beantragte der Beschwerdeführer, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent in vollem Umfang zu widerrufen. Der Beschwerdeführer trug im Wesentlichen folgendes vor:

- Der Anspruch 1 des Patents in der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Fassung (im Folgenden "der geltende Anspruch 1") sei gegenüber der Offenbarung des Dokuments D6 nicht neu.

- Die beanspruchten unterschiedlichen Lichtfunktionen seien nicht ausreichend offenbart im Sinne des Artikels 83 EPÜ.

- Die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente D15 und D16 seien in das Verfahren zuzulassen.

- Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 sei ferner ausgehend von Dokument D15 oder D16, jeweils in Kombination mit Dokument D6, nahegelegt.

VI. Mit ihrer Erwiderung auf die Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdegegnerin, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen (Hauptantrag). Zudem reichte sie Anspruchssätze gemäß ihren Hilfsanträgen 1 bis 4 ein, ohne jedoch entsprechende Anträge auf beschränkte Aufrechterhaltung zu stellen.

VII. Die Kammer lud die Parteien zu einer mündlichen Verhandlung am 8. Oktober 2019. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK teilte die Kammer den Parteien mit, dass nach ihrer vorläufigen Meinung der geltende Anspruch 1 neu gegenüber Dokument D6 sei. Ferner liege voraussichtlich kein Offenbarungsmangel im Sinne des Artikels 83 EPÜ vor. Darüber hinaus seien die Dokumente D15 und D16 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen, da die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Bedingung (noch) nicht eingetreten sei.

VIII. Mit Schreiben vom 6. September 2019 teilte der Beschwerdeführer mit, dass seinerseits niemand an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde und begehrte eine Entscheidung unter Berücksichtigung aller bisher im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren sowie in dem Schreiben vorgetragenen Argumente des Einsprechenden zu treffen. Er beantragte weiterhin, das angegriffene Patent in vollem Umfang zu widerrufen. In dem Schreiben wurde im Wesentlichen folgendes vorgetragen:

- Der geltende Anspruch 1 sei nicht klar.

- Der geltende Anspruch 1 sei im Hinblick auf die Dokumente D6 und D9 bzw. D16 nahegelegt.

- Der geltende Anspruch 1 sei unzureichend offenbart, insofern er als neu gegenüber Dokument D6 angesehen werde.

- Die Zulassung von D16 sei gerechtfertigt, da erst während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung im geltenden Anspruch 1 das "oder" in "und/oder" gestrichen worden sei.

IX. Die Beschwerdegegnerin brachte mit Schreiben vom 19. September 2019 vor, der geltende Anspruch 1 sei klar und neu und beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit. Durch das verspätete und beharrliche Vorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Dokumente D15 und D16 sei eine Kostenverteilung zu Lasten des Beschwerdeführers gerechtfertigt.

Zudem beantragte die Beschwerdegegnerin, die Dokumente D15 und D16 nicht zu berücksichtigen.

X. Eine mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 8. Oktober 2019 statt. Für den Beschwerdeführer war, wie schriftsätzlich angekündigt, niemand anwesend.

Der abschließende schriftliche Antrag des Beschwerdeführers (Einsprechender) war, die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und der Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin nahm ihren Antrag auf Kostenverteilung zurück und beantragte abschließend,

die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, das Patent in geänderter Fassung aufrechtzuerhalten auf der Grundlage der Hilfsanträge 1 bis 4, eingereicht mit Schriftsatz vom 27. November 2014.

Entscheidungsgründe

1. Klarheit und Auslegung des geltenden Anspruchs 1

1.1 Bezüglich des Einwands mangelnder Klarheit ist festzuhalten, dass das in Frage stehende Merkmal wonach "eine erste Lichtfunktion als ein Tagfahrlicht und als ein Positionslicht ... ausgebildet ist" bereits im erteilten Anspruch 1 enthalten war. Dies wurde von dem Beschwerdeführer anerkannt (vgl. Schreiben vom 6. September 2019, Seite 1, "Bereits im Anspruch 1 der Streitpatentschrift war in verdeckter Form insofern eine Unstimmigkeit vorhanden ...."). Die behauptete Unklarheit beruht somit nicht auf einer Änderung an dem Patent. Im Einspruchsbeschwerdeverfahren ist deswegen nicht zu prüfen, ob dieses Merkmal gegen ein Erfordernis des Artikels 84 EPÜ verstößt. Aus diesen Gründen braucht auf das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Unklarheit im Einzelnen nicht eingegangen werden. Es ist jedoch angebracht, dieses Merkmal auszulegen.

1.2 In der mündlichen Verhandlung trug die Beschwerdegegnerin vor, dass das in Frage gestellte Merkmal so auszulegen sei, dass die Leuchtmittel des Scheinwerfers, die der Lichtfunktion als ein Tagfahrlicht und als ein Positionslicht zugeordnet sind, in der Lage sein müssten, die dafür erforderlichen unterschiedlichen Helligkeiten zu erzeugen.

Die für Tagfahrlicht erforderliche Helligkeit entspräche in der Regel dem Vierfachen der für Positionslicht erforderlichen Helligkeit.

1.3 Im erteilten Anspruch 1 heißt es, dass "den Leuchtmitte[l]n (1a, 1b, 1c) verschiedenartige Lichtfunktionen in der Beleuchtungseinrichtung zugeordnet sind".

Aus der Beschreibung des angefochtenen Patents geht hervor (siehe EP 2 161 494 B1, Absatz [0014]):

"Die Bereitstellung sowohl eines Positionslichtes als auch eines Tagfahrlichtes kann über die gleichen Leuchtmittel erfolgen, wobei die Leuchtmittel lediglich mit unterschiedlichen Parametern betrieben werden, um eine verschieden ausgebildete Helligkeit zu erzeugen".

Zudem heißt es in Absatz [0015]:

"Wird ein Positionslicht eingeschaltet, so werden die Leuchtmittel mit geringerem Strom betrieben, so dass der Strom lediglich erhöht werden muss, um die Leuchtmittel zur Aussendung eines Tagfahrlichtes zu betreiben".

In Absatz [0027] steht zudem:

"Wesentlich voneinander abweichende Lichtfunktionen können beispielsweise ... Licht unterschiedlicher Helligkeit sein, wie dieses zwischen einem Positionslicht und einem Tagfahrlicht bekannt ist".

1.4 Angesichts der oben erwähnten Offenbarungen im Streitpatent, kann die Kammer der im Absatz 1.2 erwähnten, von der Beschwerdegegnerin vorgetragenen Auslegung des in Frage gestellten Merkmals folgen.

2. Offenbarung der Erfindung, Artikel 83 EPÜ

2.1 Für einen mit LED-Scheinwerfern befassten Fachmann stellt es keine Schwierigkeit dar, weiße LEDs so (z.B. mit unterschiedlich hoher Stromstärke) anzusteuern, dass sie unterschiedliche Helligkeite erzeugen, um dadurch nach Bedarf sowohl "Positionslicht" als auch "Tagfahrlicht" bereitzustellen. Dies ergibt sich sogar direkt aus den oben erwähnten Absätzen [0014] und [0015] des Streitpatents.

2.2 Die Kammer ist daher zu dem Schluss gekommen, dass die Erfindung im Sinne des Artikels 83 EPÜ ausreichend offenbart ist.

2.3 Der Beschwerdeführer bemängelt, in der Streitpatentschrift werde nicht beschrieben, wie die in Dokument D6 selbstverständlich vorhandene Ansteuereinheit für die weißes Licht aussendenden Leuchtmittel im Einzelnen zu ändern sei, damit diese mit unterschiedlichen Helligkeiten betrieben werden könnten (Beschwerdebegründung, Seite 2, letzter Absatz bis Seite 3, vierter Absatz).

Nach Ansicht der Kammer ist dieses Argument unzutreffend. Bei der Beurteilung, ob die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ erfüllt sind, geht es nicht darum, ob ausreichend offenbart ist, wie irgendein Gegenstand des Stands der Technik zu ändern wäre, um die Erfindung zu erreichen. Vielmehr geht es darum, ob die Offenbarung den Fachmann in die Lage versetzt, den beanspruchten Gegenstand an sich auszuführen.

2.4 Zudem wurde vom Beschwerdeführer vorgetragen, bei den mit der Konstruktion von Fahrzeugscheinwerfern befassten Ingenieuren handele es sich in der Regel um Optik-Fachleute bzw. Lichttechniker, bei denen tiefergehende Kenntnisse im Bereich der Elektronik nicht vorausgesetzt werden könnten.

Die Kammer ist auch von diesem Argument nicht überzeugt. Der Fachmann auf dem Gebiet der LED-Scheinwerfer dürfte über ausreichende Kenntnisse der Elektronik verfügen, um die einer LED zugeführte Strommenge variieren zu können. Die Hinweise in den Absätzen [0014] und [0015] der Patentschrift reichen deswegen aus.

3. Neuheit im Lichte von Dokument D6, Artikel 54 EPÜ

3.1 Die Kammer schließt sich der auf Seiten 4 und 5 der Entscheidungsgründe dargestellten Auffassung der Einspruchsabteilung an, dass Dokument D6 im Sinne des Sprachgebrauchs des Streitpatents eine Beleuchtungseinrichtung für ein Kraftfahrzeug mit einer Vielzahl von Leuchtmitteln (81, 82) offenbart, die als Scheinwerfer des Kraftfahrzeugs ausgeführt ist, wobei den Leuchtmitteln (81, 82) verschiedenartige Lichtfunktionen in der Beleuchtungseinrichtung zugeordnet sind, so dass wenigstens ein Lichtleitkörper (72) vorgesehen ist, und die Leuchtmittel (81, 82) Licht verschiedenartiger Lichtfunktion gemeinsam in den Lichtleitkörper (72) einkoppeln und wobei der Lichtleitkörper (72) wenigstens eine Lichtaustrittsfläche (76, 74) aufweist, um die verschiedenartigen Lichtfunktionen über die Lichtaustrittsfläche (76, 74) bereitzustellen, und dass die Leuchtmittel (81, 82) verschiedenartiger Lichtfunktion gemeinsam auf einem Leuchtmittelträger (62) angeordnet sind, wobei eine erste Lichtfunktion als ein Positionslicht (Absatz [0020], "clearance-lamp CL") und eine zweite Lichtfunktion als ein Blinklicht (Absatz [0021]) zur Fahrtrichtungsanzeige ausgebildet ist, und wobei weißes Licht aussendende LEDs (81) und gelbes Licht aussendende LEDs (82) auf dem Leuchtmittelträger (62) aufgenommen sind. Dies wurde im Beschwerdeverfahren von den Parteien nicht bestritten. |

3.2 Bezüglich des beanspruchten Merkmals, wonach "eine erste Lichtfunktion als ein Tagfahrlicht und als ein Positionslicht ... ausgebildet ist" wird seitens des Beschwerdeführers vorgetragen, dass es sich hierbei um reine Betriebshinweise handele, welche den durch die baulich-konstruktiven Merkmale vorgegebenen Aufbau der Beleuchtungseinrichtung in keiner Weise modifizierten und daher bei der Neuheitsprüfung außer Acht zu bleiben hätten.

Dieses Merkmal wird jedoch von der Kammer nicht als reiner Betriebshinweis angesehen, sondern als funktionelles Merkmal, das von dem beanspruchten Gegenstand erfüllt werden muss. Wie oben in den Absätzen 1.2 bis 1.4 dargestellt, wird dieses Merkmal so ausgelegt, dass die Leuchtmittel des Scheinwerfers, die der Lichtfunktion als ein Tagfahrlicht und als ein Positionslicht zugeordnet sind, in der Lage sein müssen, die dafür erforderlichen unterschiedlichen Helligkeiten zu erzeugen.

3.3 In Dokument D6 gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Leuchtmittel 81 des Scheinwerfers, die das Positionslicht bereitstellen, auch in der Lage wären, die für Tagfahrlicht erforderliche, wesentlich höhere Helligkeit zu erzeugen. Es kann nicht einfach davon ausgegangen werden, dass LEDs, die für eine bestimmte Lichtstärke ausgelegt sind, mit dem wesentlich höheren Strom betrieben werden können, der für eine wesentlich höhere Lichtstärke (Helligkeit) erforderlich wäre. Die Kammer ist deswegen zu dem Schluss gelangt, dass eine Lichtfunktion als ein Tagfahrlicht und als ein Positionslicht in Dokument D6 nicht offenbart ist. Anspruch 1 ist daher neu gegenüber Dokument D6.

4. Zulassung der Dokumente D15 und D16 in das Verfahren

4.1 Beweismittel, die erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebracht werden, können von den Beschwerdekammern aufgrund des ihnen eingeräumten Ermessens nicht zugelassen werden, wenn diese bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können und sollen (Artikel 114 (2) EPÜ, Artikel 12 (4) VOBK). Das Beschwerdeverfahren ist als Überprüfungsinstanz konzipiert, die dem Beschwerdeführer die Möglichkeit geben soll, die Entscheidung der ersten Instanz anzufechten. Daher sollte sich das Verfahren vor der Kammer in der Regel auf die Beweismittel stützen, die zu der angefochtenen Entscheidung geführt haben.

4.2 Ein wichtiges Kriterium für die Ausübung des Ermessens ist allerdings, ob es im konkreten Einzelfall einen triftigen und plausiblen Grund dafür gibt, die Beweismittel erst im Beschwerdeverfahren einzureichen. Grundsätzlich können verspätet vorgebrachte Dokumente zugelassen werden, wenn es sich z.B. um eine normale Reaktion auf eine späte Entwicklung (in der mündlichen Verhandlung) im Einspruchsverfahren, um eine außergewöhnliche Interpretation durch die Einspruchsabteilung zu einem späten Verfahrenszeitpunkt bzw. in ihrer Entscheidung oder um eine offenkundige Reaktion auf neu angeführte Dokumente und/oder Einwände handelt (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, V.A.4.11.3). Im vorliegenden Fall liegt keine dieser Ausnahmen vor. Das Streichen des Worts "oder" in dem Begriff "und/oder" des Anspruchs 1 erfolgte nicht in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, wie dies vom Beschwerdeführer behauptet wurde, sondern bereits einen Monat vor der Verhandlung mit der Einreichung des damaligen Hilfsantrags 1. Zudem war die verbleibende "und"-Alternative schon in dem erteilten Anspruch 1 enthalten. Die Einschränkung auf diese Alternative einen Monat vor der mündlichen Verhandlung kann daher nicht als überraschend angesehen werden.

4.3 Nach Angabe des Beschwerdeführers sei die nachträgliche Einführung der neuen Dokumente D15 und D16 in das Verfahren auch deswegen gerechtfertigt, weil davon auszugehen sei, dass "die Patentinhaberin versuchen wird, einen neuen Anspruch 1 zu formulieren, dessen Gegenstand nicht ein neuer Scheinwerfer sondern ein neues Betriebsverfahren für den aus D6 bekannten Scheinwerfer ist" (siehe Beschwerdebegründung, Seite 3, vorletzter Absatz). Diese Umstände sind jedoch nicht eingetreten.

4.4 Aus diesen Gründen ist die Kammer zu dem Schluss gekommen, dass die nachträgliche Einführung der Dokumente D15 und D16 nicht gerechtfertigt ist. Die Kammer hat ihr Ermessen deshalb dahingehend ausgeübt, die Dokumente D15 und D16 nicht in das Verfahren zuzulassen (Artikel 12 (4) VOBK).

5. Erfinderische Tätigkeit ausgehend von Dokument D6 als nächstliegendem Stand der Technik, Artikel 56 EPÜ

5.1 Der Einwand mangelnder erfinderischen Tätigkeit ausgehend von Dokument D6 als nächstliegendem Stand der Technik wurde erstmals mit Schreiben vom 6. September 2019 erhoben und gilt somit als Änderung des Vorbringens im Sinne des Artikels 13 (1) VOBK. Der Einwand stützt sich jedoch weitgehend auf Argumente, die bereits im Zusammenhang mit der Neuheit in der Beschwerdebegründung vorgebracht worden waren. Deswegen übte die Kammer ihr Ermessen dahingehend aus, den auf Dokument D6 gestützten Einwand gegen die erfinderische Tätigkeit zuzulassen.

5.2 Der Beschwerdeführer brachte vor, dass eine gegenüber Dokument D6 zu lösende Aufgabe allenfalls darin gesehen werden könne, die bekannte Beleuchtungseinrichtung so weiterzubilden, dass mit ihr nicht nur zwei Leuchtfunktionen sondern drei Leuchtfunktionen realisiert werden können. Im geltenden Anspruch 1 seien jedoch keinerlei baulich-konstruktive Merkmale enthalten, denen eine zur Lösung dieser Aufgabe führende, technische Lehre entnommen werden könne. Stattdessen werde "rein aufgabenhaft" angegeben, dass die Leuchtmittel zur Realisierung nicht nur von zwei sondern von drei Lichtfunktionen dienen sollen.

5.3 Nach Ansicht der Kammer gibt das Merkmal bezüglich der "Lichtfunktion als ein Tagfahrlicht und als ein Positionslicht" jedoch nicht die Aufgabe, sondern die Funktion an, die die Beleuchtungseinrichtung erfüllen muss. Dieses funktionelle Merkmal gibt dem Fachmann eine klare Lehre und kann ohne unzumutbaren Aufwand ausgeführt werden, indem die Leuchtmittel mit unterschiedlichen Stromstärken betrieben werden. In einem solchen Fall sind die baulich-konstruktiven Merkmale zur Erfüllung der Funktion in dem Anspruch nicht erforderlich.

5.4 Die weißen LEDs in Dokument D6 sind so konzipiert und angeordnet, dass sie Positionslicht liefern und demzufolge mit der dazu notwendigen Stromstärke betrieben werden. Ohne erhebliche Modifikation könnten sie nicht die wesentlich höhere Helligkeit liefern, die für das Tagfahrlicht erforderlich ist, da sie dazu mit einer höheren Stromstärke betrieben werden müssten. Es würde der normalen Praxis widersprechen, anzunehmen, dass die LEDs einfach mit einer wesentlich höheren Stromstärke betrieben werden können als jener, für die sie ausgelegt sind, denn es ist aus Kostengründen in der Praxis üblich, die sparsamsten elektronischen Bauteile auszuwählen, die die gewünschte Leistung erbringen können.

5.5 Die von dem Beschwerdeführer vorgebrachte Argumentationskette erklärt darüber hinaus nicht, was den Fachmann veranlassen würde, zunächst die aus Dokument D6 bekannte Anordnung von weißen LEDs durch eine Anordnung mit viel helleren LEDs zu ersetzen, die ein Tagfahrlicht liefern kann. Für diesen Umbau fehlt jeder Anreiz.

5.6 Aus diesen Gründen ergibt sich der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ausgehend von Dokument D6.

6. Zulassung des auf Dokument D9 gestützten Einwands des Beschwerdeführers unter Artikel 56 EPÜ

6.1 Erstmals mit dem Schreiben vom 6. September 2019 brachte der Beschwerdeführer vor, es werde in den sechs letzten Zeilen von Absatz [0014] von Dokument D9 darauf hingewiesen, dass es möglich ist, Power-LEDs mit höheren Strömen zu betreiben, um einen entsprechend höheren Lichtstrom zu erzeugen. Diese im Bedarfsfall mit einem geringeren Strom anzusteuern, um eine geringere Helligkeit zu erzielen, stelle keine erfinderische Leistung dar.

6.2 Der Beschwerdeführer nannte keine Gründe, warum dieser neue Einwand erst in einem so späten Verfahrensstadium vorgelegt wurde. Zudem ist auch nicht ersichtlich, ob es sich dabei um einen Angriff ausgehend von Dokument D9 handelt, oder eine Ergänzung des Angriffs ausgehend von Dokument D6. Mangels hinreichender Substantiierung ist daher nicht ersichtlich, welche Relevanz das sechszeilige Zitat aus D9 haben soll.

6.3 Aus diesen Gründen hat die Kammer ihr Ermessen nach Artikel 13 (1) VOBK dahingehend ausgeübt, das auf Dokument D9 gestützte Vorbringen zu Artikel 56 EPÜ nicht in das Verfahren zuzulassen.

7. Pauschaler Verweis auf Vorbringen des Beschwerdeführers im Einspruchsverfahren

Soweit der Beschwerdeführer lediglich pauschal auf seinen Vortrag der ersten Instanz verwiesen hat, hat die Kammer sein Vorbringen mangels hinreichender Substantiierung nicht berücksichtigt.

Artikel 108 EPÜ und Regel 99 EPÜ normieren ebenso wie Artikel 12 (2) VOBK die Verpflichtung des Beschwerdeführers, seine Beschwerde ordnungsgemäß zu begründen. Hierzu hat der Beschwerdeführer ausdrücklich und spezifisch alle Tatsachen, Argumente und Beweismittel anzuführen, aufgrund derer er die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung begehrt. Der in den genannten Regelungen zum Ausdruck kommenden Substantiierungspflicht hat der Beschwerdeführer nicht nur in der Beschwerdebegründung, sondern auch im weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens nachzukommen. Ein pauschaler Verweis auf den Vortrag der ersten Instanz genügt dieser Substantiierungspflicht nicht.

8. Zusammenfassung

Aus den vorstehenden Gründen ist die Kammer zu dem Schluss gekommen, dass das Patent in der der Zwischenentscheidung zugrundeliegenden Fassung die Voraussetzungen des EPÜ erfüllt.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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