T 2084/11 (Dekorpapier/KRONOPLUS) of 15.1.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T208411.20140115
Datum der Entscheidung: 15 Januar 2014
Aktenzeichen: T 2084/11
Anmeldenummer: 02006502.5
IPC-Klasse: D21H 23/72
D21H 23/56
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Imprägnieren von Dekorpapieren
Name des Anmelders: Kronoplus Technical AG
Name des Einsprechenden: Vits Technology GmbH
Fritz Egger GmbH & Co. OG
Dekor-Kunststoffe GmbH
BASF SE
DAKOR Melamin Imprägnierungen GmbH
Kammer: 3.3.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 100(b)
Schlagwörter: Res judicata (nein) - Keine Bindungswirkung der Beschwerdekammerentscheidung zum Stammpatent auf das Einspruchbeschwerdeverfahren betreffend das auf eine Teilanmeldung erteilte Patent (Gründe Punkte 1 bis 1.8)
Ausreichende Offenbarung - Nacharbeitbarkeit über die gesamte Anspruchsbreite ohne unzumutbaren Aufwand (nein)
Ausreichende Offenbarung - Mehrdeutiger Anspruchswortlaut gepaart mit Mangel an Anleitung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/97
J 0027/94
T 0843/91
T 0934/91
T 0167/93
T 0720/93
T 1254/06
T 1832/06
T 1005/07
T 0051/08
T 2112/09
T 0790/10
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1666/14
T 1870/16
T 1266/19
T 1270/20
T 1434/21

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Einsprechenden 3 und 2 richten sich gegen die folgendermaßen lautende Entscheidung der Einspruchsabteilung betreffend das europäische Patent Nr. 1 270 811, das auf eine Teilanmeldung erteilt worden war:

"Das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, erfüllt die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ. Hiermit erlässt die Einspruchsabteilung eine gesonderte beschwerdefähige Zwischenentscheidung gemäß Artikel 106(2) EPÜ."

II. Das auf die entsprechende Stammanmeldung erteilte Patent Nr. 1 068 394 (Stammpatent) wurde per Beschwerdekammerentscheidung T 1832/06 vom 16. Oktober 2009 rechtskräftig widerrufen.

Anspruch 1 des Stammpatents in der erteilten Fassung lautet wie folgt:

"1. Verfahren zum Imprägnieren von zum Herstellen hochabriebfester Laminat-Fussbodenmaterialien verwendeter Dekorpapiere, bei dem das Dekorpapier zunächst mit einem Aminoharz angefeuchtet und dadurch imprägniert wird, wobei die Menge des Harzes mittels Dosierwalzen geregelt wird,

dadurch gekennzeichnet, dass

auf das angefeuchtete nasse Dekorpapier zusätzlich eine Schicht aus einem Aminoharz in spezieller Dispersion aufgedüst wird, wobei die endgültige Flächenmasse - bezogen auf die Trockenmasse des Rohpapiers - 100 % bis 250 % beträgt und die Dispersion partikelförmiges Abriebmaterial enthält."

Die abhängigen Ansprüche 5 und 6 des erteilten Stammpatents lauteten wie folgt:

"5. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, daß als abrasive Substanz Siliciumcarbid mit einer durchschnittlichen Korngröße von 60 bis 160 µm verwendet wird."

"6. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 4 dadurch gekennzeichnet, daß als abrasive Substanz Aluminiumoxid in Form von Korund oder aus der Schmelze mit einer Korngröße von 60 bis 160 µm verwendet wird."

Der Tenor ("Entscheidungsformel") von Entscheidung

T 1832/06 lautet:

"Die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom ... wird aufgehoben. Das Patent wird widerrufen."

In ihrer Begründung war die Kammer zu dem Schluss gelangt, dass die Verfahren gemäß den jeweiligen Ansprüchen 1 aller damals vorliegenden Anträge im Hinblick auf die darin enthaltenen Merkmale "die endgültige Flächenmasse - bezogen auf die Trockenmasse des Rohpapiers - 100% bis 250% beträgt" nicht ausreichend offenbart seien, und dass demnach "das Erfordernis des Artikels 83 EPÜ für die Ansprüche 1 aller Anträge nicht erfüllt sei".

III. In der durch die vorliegenden Beschwerden angefochtenen Entscheidung gelangte die Einspruchsabteilung, unter Berücksichtigung der Versuche Nr. 1 bis 9, die in Reaktion auf einen Bescheid eingereicht worden waren (mit den Schreiben vom 2. August 2010 und vom 11. März 2011), entgegen der von ihr ursprünglich im Hinblick auf T 1832/06 geäußerten Meinung zu dem Schluss, dass das Patent in seiner erteilten Fassung (Hauptantrag) unter Artikel 83 bzw. 100(b) EPÜ nicht zu beanstanden sei. Da die zu beurteilenden Ansprüche nicht identisch seien mit jenen, über die in T 1832/06 entschieden wurde, und da zudem weitere Versuchsberichte eingereicht worden waren und auch berücksichtigt wurden, sah sich die Einspruchsabteilung nicht als an die in der Entscheidung T 1832/06 erfolgte Beurteilung des Ausführbarkeit im Sinne einer res judicata bzw. im Hinblick auf Artikel 111(2) EPÜ gebunden.

IV. Der unabhängige Anspruch 1 des erteilten Streitpatents unterscheidet sich von Anspruch 1 des erteilten Stammpatents dadurch, dass die Merkmale betreffend die Zusammensetzung des Dispersion von

"und die Dispersion partikelförmiges Abriebmaterial enthält"

präzisierend geändert wurden zu:

"als abrasive Substanz Siliziumcarbid mit einer durchschnittlichen Korngröße von 60 bis 160 µm oder als abrasive Substanz Aluminiumoxid in Form von Korund oder aus der Schmelze mit einer Korngröße von 60 bis 160 µm in der Dispersion verwendet wird."

V. Gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung legten die Einsprechende 3 (Beschwerdeführerin I) und die Einsprechende 2 (Beschwerdeführerin II) Beschwerde ein. Beide machten in ihrer jeweiligen Begründung geltend, dass die Frage der ausreichenden Offenbarung der Erfindung bereits in der Entscheidung T 1832/06, betreffend das auf die Stammanmeldung erteilte Patent, entschieden worden sei, was demnach als res judicata anzusehen sei. Vorsorglich machten beide Beschwerdeführerinnen aber auch mangelnde Offenbarung der Erfindung geltend.

VI. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) wies in ihrem Antwortschreiben das Vorbringen der Gegenparteien zurück. Ihrer Ansicht nach läge kein Fall von res judicata vor. Ferner sei die beanspruchte Erfindung ausführbar, wie unter anderem durch die im Einspruchsverfahren eingereichten Versuche gezeigt worden sei.

VII. In einem in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erlassenen Bescheid teilte die Kammer den Parteien unter anderem ihre vorläufige Meinung mit, wonach keine res judicata vorläge und daher voraussichtlich auch die Frage der ausreichenden Offenbarung im Hinblick auf das Patent wie erteilt bzw. in geänderter Fassung gemäß den ggf. vorliegenden Hilfsanträgen zu erörtern sein werde.

VIII. In Reaktion auf diesen Bescheid reichte die Beschwerdegegnerin mit ihrem Schreiben vom 6. Dezember 2013 vier geänderte Anspruchssätze als Hilfsanträge 1 bis 4 ein.

Anspruch 1 laut Hilfsantrag 1 ist identisch mit Anspruch 1 laut Hauptantrag.

Anspruch 1 laut Hilfsantrag 2 unterscheidet sich vom Anspruch 1 laut Hauptantrag durch die am Ende des Anspruchs hinzugefügten Merkmale

"und die Dispersion einen Fließhilfsstoff enthält".

Anspruch 1 laut Hilfsantrag 3 unterscheidet sich vom Anspruch 1 laut Hauptantrag durch die am Ende des Anspruchs hinzugefügten Merkmale

"- auf die Beimischung von viskositätserhöhenden

Stoffen wie Cellulosederivate in der Aminoharz-

Dispersion verzichtet wird,

- und die Dispersion einen Fließhilfsstoff enthält und als Fliesshilfsstoff Polyglycolether, Epsilon-Caprolactam oder Butandiol verwendet wird."

Anspruch 1 laut Hilfsantrag 4 unterscheidet sich vom Anspruch 1 laut Hilfsantrag 3 durch die am Ende des Anspruchs hinzugefügten Merkmale

"und die Dispersion einen Silanhaftvermittler enthält".

IX. Die Beschwerdeführerin II beharrte in ihrem Schreiben vom 12. Dezember 2013 im Hinblick auf die Rechtsprechung der Beschwerdekammern darauf, dass eine res judicata vorliege, und dehnte ihre diesbezügliche Argumentation auf die Hilfsanträge der Beschwerdegegnerin aus. Ferner machte sie auch diesbezüglich nach wie vor mangelnde Offenbarung geltend.

X. Die mündliche Verhandlung fand am 15. Januar 2014 statt. Anwesend waren die Beschwerdeführerin II und die Beschwerdegegnerin. Die weiteren am Verfahren beteiligten Parteien waren, wie zuvor schriftlich angekündigt, nicht als Teilnehmer in der mündlichen Verhandlung anwesend.

In der Verhandlung wurde im Wesentlichen erörtert, ob der Grundsatz der res judicata im vorliegenden Fall zum Tragen kommen kann oder nicht, und ob der Gegenstand der Ansprüche gemäß Hauptantrag bzw. Hilfsanträge 1 bis 4 das Erfordernis der Ausführbarkeit gemäß Artikel 83 bzw. 100(b) EPÜ erfüllt.

XI. Die Beschwerdeführerinnen I und II (Einsprechende 3 und 2) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Beschwerden zurückzuweisen und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur Fortsetzung des Verfahrens auf der Grundlage des Hauptantrags, hilfsweise auf der Grundlage der Hilfsanträge 1 bis 4, eingereicht mit Schreiben vom 6. Dezember 2013.

XII. Die Argumente der Beschwerdeführerinnen können, insoweit sie für die Entscheidung von Belang sind, wie folgt zusammengefasst werden:

Res judicata

- Im Beschwerdeverfahren T 1832/06, betreffend das auf die Stammanmeldung erteilte Patent, sei bereits über die Ausführbarkeit der Erfindung entschieden worden, daher durfte bzw. dürfe nicht erneut über diesen Sachverhalt entschieden werden. Die vorliegenden unabhängigen Ansprüche 1 gemäß den vorliegenden Anträgen der Beschwerdegegnerinnen seien Kombinationen der Ansprüche 1, 5 und 6 des erteilten Stammpatents, welche im Fall der vorliegenden Hilfsanträge durch Aufnahme zusätzlicher Merkmale weiter eingeschränkt seien. Die im Vergleich zu Anspruch 1 des Stammpatents zusätzlich in die vorliegenden Ansprüche 1 aufgenommenen Merkmale seien bezüglich der Begründung der mangelnden Ausführbarkeit in Entscheidung T 1832/06 nicht relevant, da sie nicht die beanstandeten Merkmale beträfen. Da zumindest der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 im Verfahren zum Stammpatent, der laut Entscheidung T 1832/06 für nicht ausführbar erachtet wurde, enger sei als der Gegenstand des Anspruchs 1 laut vorliegendem Hauptantrag, sei eine res judicata gegeben. In diesem Zusammenhang bezogen sich die Beschwerdeführerinnen auch auf die Rechtsprechung der Beschwerdekammern.

- Schon allein aus diesem Grund sei die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Ausführbarkeit (Hauptantrag)

- Insbesondere die für die Umsetzung der Erfindung wesentlichen Begriffe "Rohpapier", "Endmasse" und das Verhältnis von "endgültiger Flächenmasse" zur "Trockenmasse des Rohpapiers" seien im Hinblick auf die restliche Offenbarung nicht ausreichend definiert.

- Die im Verfahren befindlichen Versuche zeigten, dass die Angaben im Streitpatent nicht ausreichten, um die Erfindung erfolgreich nachzuarbeiten.

Ausführbarkeit (Hilfsanträge)

- Die zusätzlich in die jeweiligen Ansprüche 1 der Hilfsanträge eingefügten Merkmale änderten nichts an der mangelnden Ausführbarkeit. Daher seien auch diese Anträge nicht gewährbar.

Die Argumente der Beschwerdegegnerin können, insoweit sie für die Entscheidung von Belang sind, wie folgt zusammengefasst werden:

Res judicata

- Durch den Grundsatz der res judicata solle gewährleistet werden, dass nicht über ein und denselben Streitgegenstand nochmals entschieden werde. Der Grundsatz sei äußerst eng anzuwenden. Im vorliegenden Fall unterschieden sich die unabhängigen Ansprüche 1, 6 und 8 vom einzigen unabhängigen Anspruch 1 des Stammpatents. Dass Anspruch 1 des Streitpatents aus einer Kombination von Ansprüchen des Stammpatents dargestellt werden könne, sei ebenfalls nicht ausreichend um eine res judicata Wirkung zu begründen. Zudem läge im vorliegenden Verfahren aufgrund der vorgelegten Versuche ein anderer Sachverhalt zugrunde.

Ausführbarkeit (Hauptantrag)

- Für den Fachmann sei bereits aufgrund des allgemeinen Fachwissens, sowie im Hinblick auf die im Einspruchsverfahren eingereichten Versuche klar, was unter den Begriffen "Rohpapier", "Endmasse" und dem Verhältnis von "endgültiger Flächenmasse" zur "Trockenmasse des Rohpapiers" zu verstehen sei.

- Es sei für den Fachmann ferner ohne Weiteres erkennbar, dass nicht jedes beliebige Verhältnis von Imprägnierung und spezieller Dispersion zum Erfolg führen könne.

- Daher sei der beanspruchte Gegenstand ausreichend offenbart.

Ausführbarkeit (Hilfsanträge)

Aus den gleichen Gründen sei auch der Gegenstand der Ansprüche gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 ausreichend offenbart.

Entscheidungsgründe

Verfahrensrechtliche Aspekte

1. Kein Vorliegen einer res judicata

1.1 Die Beschwerdeführerinnen machten geltend, dass die Frage der Ausführbarkeit der Erfindung bereits in der zum Stammpatent ergangenen Beschwerdekammerentscheidung rechtskräftig entschieden worden sei und im vorliegenden Verfahren in Anwendung des Grundsatzes der res judicata nicht neu entschieden werden könne.

1.2 Die Kammer stellt zunächst fest, dass der Grundsatz der res judicata im EPÜ nicht erwähnt, und daher dessen Anwendbarkeit im Verhältnis von Verfahren zu Stamm- und Teilanmeldungen, bzw. zu den darauf erteilten Patenten, auch nicht weiter geregelt ist.

1.3 Ferner ist das Verfahren vor dem EPA betreffend eine Teilanmeldung grundsätzlich unabhängig vom Verfahren betreffend die entsprechende Stammanmeldung (siehe etwa T 1254/06 vom 8. März 2007 (Punkt 1.1 der Gründe, fünfter vollständiger Absatz).

Schon alleine deshalb hat die Kammer grundsätzliche Bedenken bezüglich der Frage, ob eine in einem Einspruchsbeschwerdefall in Rechtskraft erwachsene Beschwerdekammerentscheidung, wie der Widerruf eines auf der Grundlage einer Stammanmeldung erteilten Patents, überhaupt - sozusagen "verfahrensübergreifend" - eine res judicata Wirkung auf ein davon unabhängiges Einspruchs- bzw. Einspruchsbeschwerdeverfahren betreffend ein für eine Teilanmeldung erteiltes Patent entfalten kann.

1.4 In der von der Beschwerdegegnerin herangezogenen Entscheidung T 0167/93 (Abl. 6/1997, 229; siehe Punkt 2.5 der Gründe) wurde bereits festgehalten, dass der allgemein anerkannte Grundsatz der res judicata äußerst eng auszulegen ist, und nur "für etwas gilt", das - unter anderem - "aufgrund der selben Tatfragen" entschieden worden ist.

Von einer im obigen Sinn "verfahrensübergreifenden" Anwendung des res judicata Grundsatzes ist in dieser Entscheidung aber nicht die Rede.

Zudem war bzw. ist die hier aus T 0167/93 zitierte Bedingung im Einspruchsverfahren bzw. im vorliegenden Beschwerdeverfahren nach dem Dafürhalten der Kammer auch aus folgenden Gründen eindeutig nicht erfüllt:

1.4.1 Der Gegenstand des Verfahrens (das "etwas" im Sinne von T 0167/93), über den die Einspruchsabteilung zu entscheiden hatte bzw. die Kammer im vorliegenden Fall zu entscheiden hat, ist das auf der Grundlage der Teilanmeldung erteilte Patent in Form der vorliegenden Anträge bzw. deren Rechtsbeständigkeit im Hinblick auf die erhobenen Einwände, und nicht das auf der Basis der Stammanmeldung erteilte Patent.

1.4.2 Zusätzlich ist diesbezüglich festzuhalten, dass die in den beiden Verfahren zu beurteilenden Anträge (Anspruchssätze) nicht identisch sind (wie im Fall der zitierten Entscheidung T 0051/08 vom 7. Mai 2009, Punkt 3 der Gründe; siehe hierzu auch Punkt 1.7.1, infra). So umfassen etwa alle vorliegenden Anträge neben einem unabhängigen Anspruch 1 auf ein Verfahren jeweils, und im Gegensatz zu den Anträgen, über die im Verfahren T 1832/06 zum Stammpatent entschieden wurde, auch unabhängige Sachansprüche. Ferner unterscheiden sich alle unabhängigen Verfahrensansprüche 1 der vorliegenden Anträge von den unabhängigen Ansprüchen 1 der Anträge, über die in T 1832/06 entschieden wurde.

1.4.3 Nicht zuletzt wurden im vorliegenden Verfahren zum Nachweis der Ausführbarkeit der nunmehr beanspruchten Gegenstände weitere Beweismittel (Versuchsberichte) eingereicht. Auch insofern ist der zugrunde liegende Sachverhalt nicht identisch mit jenem im Verfahren zum Stammpatent.

1.4.4 Im Rahmen dieser Überlegungen kommt der von den Beschwerdeführerinnen angesprochenen Überlappung der Gegenstände der Ansprüche gemäß den jeweiligen, in den Verfahren zum Stammpatent beziehungsweise zum Streitpatent gestellten Anträgen nach dem Dafürhalten der Kammer demnach keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Zu diesem Schluss kommt die Kammer nicht zuletzt auch im Hinblick darauf, dass in der Entscheidung T 1832/06 lediglich die jeweiligen Ansprüche 1 der Anträge beurteilt wurden und dass, wie bereits erwähnt, keiner dieser Ansprüche identisch ist mit den im vorliegenden Fall zu beurteilenden Ansprüchen 1, und dass Auswirkungen der Unterschiede auf die Beurteilung der Ausführbarkeit nicht a priori ausgeschlossen werden können. Dies gilt, entgegen der von der Beschwerdeführerin II vertretenen Auffassung, auch für den Vergleich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 im Beschwerdeverfahren zum Stammpatent mit Anspruch 1 gemäß vorliegendem Hauptantrag. Die alleinige Tatsache, dass die Beschwerdeführerinnen die vorliegenden Anspruchsätze erneut aufgrund eines in ihren Augen weiterhin bestehenden Mangels an Ausführbarkeit beanstanden, und dies unter Berufung auf die ratio decidendi der Entscheidung betreffend das Stammpatent, kann nicht als Nachweis der im Fall einer res judicata erforderliche Identität des Streitgegenstands gewertet werden.

1.5 Auch die in der Entscheidung T 0934/91, Abl. 1994, 184 (Punkt 3 der Gründe) zitierte und in T 0051/08 erneut aufgegriffene Definition des Rechtsbegriffs res judicata lässt für die Kammer keine andere Beurteilung des vorliegenden Falles zu. Nach dieser Definition bezeichnet der Begriff "eine Sache, über die ein zuständiges Gericht rechtskräftig entschieden hat, womit die Rechte der Parteien und der mit ihnen in einer Rechtsbeziehung stehenden Personen in dieser Sache endgültig festgelegt sind (vgl. Black's Law Dictionary, 5. Ausgabe)". Im Anschluss wird in T 0934/91 Folgendes ausgeführt: "Ein solches Urteil eines zuständigen Gerichts steht somit als absolutes Hindernis einer weiteren Klage entgegen, die denselben Anspruch, Antrag oder Klagegrund betrifft..." (Hervorhebung durch die Kammer).

Letztlich wird auch in der Entscheidung T 0934/91 keine "verfahrensübergreifende" res judicata Wirkung anerkannt, sondern lediglich die Bindungswirkung einer ersten Beschwerdekammerentscheidung (Tenor der Entscheidung betraf lediglich Kostenverteilung) für das anschließend fortgesetzte Einspruchbeschwerdeverfahren betreffend das selbe Patent, gegen das Einspruch erhoben worden war.

1.6 Auch die meisten anderen, von den Parteien im Laufe des Verfahrens genannten Beschwerdekammerentscheidungen (wie T 0843/91, Abl. 1994, 832; G 0001/97, Abl. 2000, 322; und T 0720/93 vom 19. September 1995) befassen sich nicht mit einer derartigen "verfahrensüber­greifenden" res judicata Wirkung.

1.7 Die Beschwerdeführerinnen bezogen sich zur Untermauerung ihres Vorbringens insbesondere auf Entscheidungen anderer Kammern, in denen eine solche "verfahrensübergreifende" res judicata Wirkung anerkannt bzw. angesprochen wurde, und zwar die Entscheidungen T 0051/08, T 0790/10 vom 18. Dezember 2012 und T 2112/09 vom 20. Dezember 2010.

1.7.1 T 0051/08

In dieser Sache lehnte die Kammer es unter Berufung auf den Grundsatz der res judicata ab, im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens betreffend die Zurückweisung einer Teilanmeldung über einen Antrag (Anspruchssatz) zu entscheiden, der sich als identisch mit einem im Erteilungsverfahren betreffend die Stammanmeldung bereits geprüften, und als nicht erfinderisch zurückgewiesen Anspruchssatz, herausstellte (T 51/08, Punkt 3 der Entscheidungsgründe).

Im vorliegenden Fall ist jedoch, im Gegensatz dazu, die Identität der Anträge, über die in den beiden Verfahren - betreffend erteilte Patente - zu entscheiden war, gerade nicht gegeben. Ganz abgesehen von den unter Punkt 1.3 supra bereits angesprochenen, grundsätzlichen Bedenken (siehe auch T 1254/06, Punkt 1.1 der Gründe, fünfter und sechster vollständiger Absatz), sieht sich diese Kammer schon alleine aufgrund der Unterschiede der zugrunde liegenden Fallkonstellationen im vorliegenden Fall nicht veranlasst, eine res judicata Wirkung aus der Entscheidung zum Stammpatent anzuerkennen.

1.7.2 T 0790/10

i) Diese Entscheidung erging in einem Beschwerdeverfahren betreffend eine Teilanmeldung. Darin vertrat die befasste Kammer unter Berufung auf den Grundsatz der res judicata im Anschluss an die Entscheidung T 0051/08 die Auffassung, dass "etwas" ("subject-matter" im weitesten Sinn), das bereits in einem Verfahren zu einer Stammanmeldung Gegenstand einer rechtskräftigen Beschwerdekammerentscheidung war, nicht im Rahmen einer Teilanmeldung weiterverfolgt werden könne (siehe Gründe, Punkt 1).

ii) Im Beschwerdeverfahren T 1005/07 vom 25 Juli 2008 zur korrespondierenden Stammanmeldung war u.a. ein Antrag deshalb zurückgewiesen worden, weil der geänderte unabhängige Anspruch 1 ein Merkmal enthielt, das entgegen den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ nicht ursprünglich offenbart war. Im Beschwerde-verfahren T 0790/10 stellte die Kammer zunächst fest, dass der geänderte, unabhängige Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag nicht identisch mit dem im Verfahren

T 1005/07 zur Stammanmeldung vorgelegten Anspruch 1 war, jedoch ebenfalls das besagte Merkmal enthielt. Danach befasste sie sich mit der Frage, ob weitere, zusätzlich in den Anspruch 1 aufgenommene Merkmale Auswirkungen ("affect") auf das bestimmte Merkmal hätten, wobei sie zum Ergebnis kam, dass dies nicht der Fall sei (siehe T 0790/10, Punkt 3.2.1 der Gründe).

Daraus folgert sie, dass die Faktenlage bezüglich des Merkmals die gleiche sei, wie im Fall von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag im Verfahren T 1005/07 zur Stammanmeldung. Daher sei über die Frage der ursprünglichen Offenbarung des bestimmten Merkmals nicht erneut zu entscheiden (Punkt 3.2.2 der Gründe). Der im Verfahren zur Teilanmeldung vorliegende Antrag sei demnach im Hinblick auf Artikel 76(1) EPÜ ebenfalls nicht gewährbar (Punkt 3.2.3 der Gründe).

Die Entscheidung T 0790/10 geht also insofern noch weiter als die Entscheidung T 0051/08, als sie von einer Bindungswirkung der ratio decidendi (mangelnde ursprüngliche Offenbarung des bestimmten Merkmals) der in der Stammanmeldung ergangenen Entscheidung auf das die Teilanmeldung betreffende Verfahren ausgeht, und dies obwohl die jeweils beurteilten unabhängigen Ansprüche sich inhaltlich unterscheiden und demnach nicht identisch sind. Obwohl die Kammer in T 0790/10 trotz besagter Nicht-Identität unter Bezugnahme auf T 51/08 eine res judicata Wirkung anerkannt hat, scheint die Begründung der Zurückweisung der besagten Beschwerde nicht zuletzt auch auf einem festgestellten Verstoß gegen die Bestimmungen von Artikel 76(1) EPÜ zu beruhen. Auch diese Entscheidung vermag daher nicht, die mit dem vorliegenden Fall befasste Kammer zu veranlassen, eine res judicata Wirkung aus der Entscheidung zum Stammpatent anzuerkennen.

1.7.3 T 2112/09

Der T 2112/09 zugrunde liegende Fall ähnelt dem vorliegenden insofern, als dort das auf die Stammanmeldung erteilte Patent im Einspruchs­beschwerdeverfahren von der Beschwerdekammer rechtskräftig widerrufen wurde. Der unabhängige Anspruch 1 war in dem wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit widerrufenen Stammpatent enger als Anspruch 1 gemäß Hauptantrag im Beschwerdeverfahren zur Teilanmeldung. Die Kammer entschied, unter Bezugnahme auf Artikel 13(1) VOBK und unter Berücksichtigung der ratio decidendi (Begründung der mangelnden erfinderischen Tätigkeit) der Entscheidung im Beschwerdeverfahren zum Stammpatent, den im Beschwerdeverfahren zur Teilanmeldung eingereichten Hauptantrag nicht ins Verfahren zuzulassen, da er nicht eindeutig gewährbar sei. Es konnte daher "dahingestellt bleiben", ob "ein res judicata Effekt der zum Stammpatent ergangenen Beschwerdekammerentscheidung vorliegt".

Da in T 2112/09 zu diesem Punkt gerade keine Entscheidung getroffen wurde, vermag auch sie nicht, die mit dem vorliegenden Fall befasste Kammer von der Sichtweise der Beschwerdeführerinnen zu überzeugen.

1.8 Im Ergebnis kommt die Kammer daher zu dem Schluss, dass im vorliegenden Fall die im Beschwerdeverfahren betreffend des Stammpatents ergangene Entscheidung im Rahmen des Einspruchs- bzw. dieses Einspruchsbeschwerdeverfahren zu dem auf die Teilanmeldung erteilten Patent keine res judicata Wirkung bezüglich der Frage nach der Ausführbarkeit der Erfindung und, folglich, zur Rechtsbeständigkeit des Streitpatents, entfalten konnte bzw. kann. Die Einspruchsabteilung war demnach nicht veranlasst, das Patent ohne weitere Prüfung zu widerrufen, sondern war vielmehr verpflichtet, die beanstandete Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung ergebnisoffen zu prüfen.

2. Keine Bindungswirkung im Sinne von Artikel 111(2) EPÜ

Bei der Beurteilung des vorliegenden Falls war weder die Einspruchsabteilung noch die Beschwerdekammer durch die der Entscheidung T 1832/06 zum Stammpatent zugrunde liegende rechtliche Beurteilung ("ratio decidendi") gebunden. Der in der angefochtenen Entscheidung erwähnte Artikel 111(2) EPÜ bezieht sich lediglich auf die Bindungswirkung bei Zurückverweisung - im jeweils entschiedenen Fall (siehe hierzu etwa Entscheidung

J 0027/94, Abl. 1995, 831, Punkt 2 der Gründe), welche noch dazu einen unveränderten Tatbestand erfordert, der im vorliegenden Fall auch im Hinblick nicht zuletzt auf die unterschiedlichen Anspruchsätze und die im Einspruchsverfahren nachgereichten und berücksichtigten Versuchergebnisse nicht gegeben ist.

3. Zulässigkeit der Anträge der Patentinhaberin

Die vorliegenden Anträge in Form geänderter Anspruchssätze wurden von der Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin zwar erst im Verlauf des Beschwerdeverfahrens eingereicht, entsprechen jedoch Anträgen, die bereits im Einspruchsverfahren eingereicht wurden. Ihre Zulässigkeit im Hinblick auf Artikel 114(2) EPÜ und Artikel 12(4) bzw. 13(1)(3) VOBK steht außer Frage und wurde von den Gegenparteien auch nicht bestritten.

Hauptantrag - Unzureichende Offenbarung der Erfindung

4. Die Argumente der Beschwerdeführerinnen lassen sich im Wesentlichen wie folgt unterteilen:

- a) Im Streitpatent verwendete Begriffe wie "endgültige Flächenmasse", "Trockenmasse", "Rohpapier" oder "Endmasse" insbesondere aber das Verhältnis von "endgültiger Flächenmasse" zur "Trockenmasse des Rohpapiers" seien selbst unter Berücksichtigung der gesamten Offenbarung des Patents so unzureichend definiert, dass der Fachmann die beanspruchte Erfindung nicht nacharbeiten könne.

Die betreffende Merkmalgruppe von Anspruch 1 lautet wie folgt (Hervorhebung durch die Kammer):

"- auf das angefeuchtete nasse Dekorpapier zusätzlich eine Schicht aus einem Aminoharz in spezieller Dispersion aufgedüst wird, wobei die endgültige Flächenmasse - bezogen auf die Trockenmasse des Rohpapiers - 100 % bis 250 % beträgt,".

- b) Zudem zeigten die im Laufe des Einspruchsverfahrens nachgereichten Versuche der Beschwerdegegnerin, dass die Offenbarung des Streitpatents nicht ausreiche, dem Fachmann die erfindungsgemäße Herstellung von Dekorpapieren zur Herstellung hochabriebfester Laminat-Fußbodenmaterialien ohne unzumutbaren Aufwand zu ermöglichen.

4.1 Zu Aspekt a) - Bedeutung der verwendeten Begriffe

4.1.1 Zwischen den Parteien bestand Uneinigkeit darüber, ob und in welcher Menge bei der Bezifferung der ausschließlich im Anspruch 1 des Streitpatents explizit genannten "Trockenmasse des Rohpapiers" dessen Farbstoffgehalt und dessen Wassergehalt (Restfeuchte) zu berücksichtigen sei. Insbesondere aber bestanden unterschiedliche Sichtweisen bezüglich der Bedeutung des in Anspruch 1 verwendeten Begriffs "endgültige Flächenmasse".

Die Kammer stellt fest, dass keiner dieser Streitpunkte im Text des Streitpatents selbst ausdrücklich Klärung findet.

4.1.2 Selbst wenn im Sinne der Beschwerdegegnerin davon ausgegangen wird, das die in Anspruch 1 als Bezugsbasis angegebene "Trockenmasse des Rohpapiers" den Massenanteil der verwendeten Farbe und die Restfeuchte des trockenen Ausgangsdekorpapiers inkludiert, bleibt im Hinblick auf den reinen Wortlaut von Anspruch 1 aus folgenden Gründen offen, wie der Ausdruck "endgültige Flächenmasse" zu verstehen ist.

4.1.3 Laut der Beschwergegnerin beschreibt Beispiel 1 des Streitpatents die Herstellung eines Materials mittels eines Verfahrens nach Anspruch 1. Die in Beispiel 1 quantitativ angegebene "Endmasse" soll laut der Beschwerdegegnerin mit der in Anspruch 1 angesprochenen "endgültigen Flächenmasse" identisch sein.

4.1.4 Wie von den Beschwerdeführerinnen vorgetragen wurde, gibt es selbst unter Berücksichtigung der Angaben in Beispiel 1 prima facie drei unterschiedliche, technisch denkbare Interpretationsmöglichkeiten für den Begriff "endgültige Flächenmasse". Letzter kann sich, auf

i) die Masse der aufgedüsten Dispersions-Schicht,

ii) die Summe der Massen der Aminoharz-Imprägnierung und der aufgedüsten Dispersionsschicht,

oder aber

iii) die Summe der Massen des Ausgangsdekorpapiers, der Aminoharzimprägnierung und der aufgedüsten Dispersionsschicht

beziehen. In diesem Zusammenhang machte die Beschwerdegegnerin geltend, dass bezüglich der "endgültigen Trockenmasse" jedenfalls auf das Produkt nach Trocknung abzustellen sei.

4.1.5 Im Beschwerdeverfahren vertrat die Beschwerdegegnerin die Auffassung, es sei für den Fachmann schon allein aufgrund des allgemeinen Fachwissens völlig klar, dass ausschließlich die Möglichkeit ii) gemeint sein könne (siehe Brief vom 26. April 2012, Seiten 6 bis 8). Die Auslegung i) sei technisch nicht sinnvoll, da auf ein bereits angefeuchtetes, imprägniertes Dekorpapier unmöglich 250% Dispersion aufgetragen werden könne. Die Auslegung iii) würde der Fachmann ebenfalls unmittelbar ausschließen, da der untere Grenzwert von 100% dann bedeuten würde, dass gar keine Dispersion aufgetragen wird. Ein Fachmann hätte demnach keine Versuche gebraucht, um zu diesem Schluss zu gelangen. Allerdings bestätigten die im Einspruchsverfahren eingereichten Versuche das Zutreffen dieser Auffassung.

4.1.6 Diese Argumentation steht jedoch im Widerspruch zu dem im Verlauf des Prüfungsverfahrens, das zur Erteilung des Streitpatents geführt hat, von der Beschwerdegegnerin geltend gemachten Verständnis der betreffenden Merkmale (siehe Schreiben vom 30. April 2003, Seite 1, letzter Absatz - Seite 2, erster Absatz). Damals hat die Beschwerdegegnerin, trotz der unteren Bereichsgrenze von 100%, offensichtlich die Variante iii) implizit als die zutreffende angesehen. Dies ergibt sich daraus, dass sie bei einer "Endmasse" von 155 g/m**(2), ausgehend von einem Dekorpapier mit einer Flächenmasse von 70 g/m**(2) explizit den "endgültigen Harzgehalt" bzw. eine "Harzflächenmasse" (Imprägnier-Harz plus aufgedüste Dispersion, nach Trocknung) von 85 g/m**(2), bzw. von 121,4% mit den 100 bis 250% "endgültige Flächenmasse" gemäß Anspruch 1 vergleicht.

4.1.7 In der mündlichen Verhandlung auf diesen Sachverhalt angesprochen, gab die Beschwerdegegnerin keine diesen Widerspruch möglicherweise auflösende Erklärung ab.

4.1.8 Für die Kammer widerlegt die Widersprüchlichkeit des Vortrags der Beschwerdegegnerin deren Argumentation, wonach es für den Fachmann bereits allein aufgrund des allgemeinen Fachwissens eindeutig sei, dass nur Auslegungsalternative ii) in Frage komme. Es ist somit weder aus den Ansprüchen in Verbindung mit der allgemeinen Beschreibung, noch aus den Beispielen des Streitpatents zweifelsfrei ersichtlich, was mit dem Begriff "endgültige Flächenmasse" in Anspruch 1 eigentlich gemeint sein soll.

4.2 Zu Aspekt b) - Versuchsergebnisse

4.2.1 Zusätzlich, um zu beweisen, dass nur die Auslegung ii) die einzig korrekte sein könne, reichte die Beschwerdegegnerin im Einspruchsverfahren neun Versuche ein, in welchen die "endgültige Flächenmasse" jeweils drei Mal entsprechend den Auslegungen i) - iii) eingestellt bzw. errechnet wurde. Nach Angaben der Beschwerdegegnerin waren nur die Verfahren gemäß den Versuchen 2, 5 und 8 erfolgreich, insofern als sie ein für den erfindungsgemäß vorgesehenen Zweck verwendbares Produkt ergaben, wobei bei diesen Versuchen die Auslegungsvariante ii) angewandt wurde.

4.2.2 Für die Kammer bedeutet dies im Umkehrschluss, dass Verfahren gemäß der anderen Versuche nicht dazu geeignet waren, die erfindungsgemäßen Dekorpapiere für hochabriebfeste Laminat-Fußbodenmaterialien herzustellen.

4.2.3 Wie von der Beschwerdeführerin II berechnet (Brief vom 5. Dezember 2011, Tabelle auf Seite 14 und Seite 15, 1. und 2. Absatz), fallen jedoch auch die Verfahren gemäß den Versuchen 3, 6 und 7 unter den Wortlaut von Anspruch 1 / Auslegungsvariante ii), wobei die entsprechenden Werte für die "endgültige Flächenmasse" 121%, 130% bzw. 177% betragen würden und somit mitten im anspruchgemäßen Bereich von 100 bis 250 % zu liegen kämen.

4.2.4 Die in den Versuchen 3 und 6 erhaltenen Laminat-Fußbodenmaterialien wurden von der Beschwerdegegnerin selbst als nicht hinreichend abriebfest eingestuft: IP- Werte von 300 bzw. 400 wurden erhalten, während die niedrigste für ein kommerzielles Produkt geeignete Abriebklasse AC 1 erst bei einem IP-Wert von 900 beginnt (Brief der Beschwerdegegnerin vom 26. April 2012, Seite 12). Beispiel 7 wurde aufgrund seiner optischen Eigenschaften von der Beschwerdegegnerin selbst als nicht verkaufsfähig eingestuft.

4.2.5 Somit wird durch einen Teil der von der Beschwerdegegnerin selbst durchgeführten Versuche nachgewiesen, dass manche Ausführungsformen, die bezüglich der Verfahrensschritte und der eingestellten "endgültigen Trockenmasse" unter den Wortlaut von Anspruch 1 / Auslegung ii) fallen, sich offensichtlich nicht zur Herstellung "hochabriebfester Laminat-Fußbodenmaterialien" eignen, wie von Anspruch 1 gefordert. Im Hinblick darauf, dass die Werte für die "endgültige Trockenmasse" gemäß den Beispielen 3, 6 und 7 mitten im anspruchsgemäßen Bereich zu liegen kämen, kann die Problematik im vorliegenden Falle keinesfalls, entgegen dem Vortrag der Beschwerdegegnerin, auf eine unklare Abgrenzung (im Sinn von Artikel 84 EPÜ) des Anspruchs reduziert werden.

4.2.6 Die Beschwerdegegnerin argumentierte diesbezüglich auch, dass es für den Fachmann ohne Weiteres erkennbar sei, "dass nicht jedes beliebige Verhältnis von Imprägnierung und spezieller Dispersion zum Erfolg führt" (mündliche Verhandlung und Schreiben vom 26. April 2012, Seite 17, letzter Absatz).

4.2.7 Anleitende Angaben zu geeigneten Verhältnissen sind aber im Streitpatent (abgesehen von Beispiel 1) nicht enthalten. Es ist daher für die Kammer glaubhaft, dass umfassende Versuchsreihen notwendig sind, um festzustellen, unter welchen Bedingungen das gewünschte, erfindungsgemäße Ergebnis, i.e. die Eignung des imprägnierten und beschichteten Dekorpapiers zur Herstellung hochabriebfester Fußbodenmaterialien, überhaupt erzielt werden kann.

4.3 Zusammenfassend ergibt sich für die Kammer folgendes Bild: Zum einen erschließt sich dem Fachmann offensichtlich nicht eindeutig und ohne Weiteres, wie das Merkmal "endgültige Flächenmasse" zu verstehen ist. Dieses Manko wird zudem dadurch potenziert, dass selbst bei Zugrundelegung der von der Beschwerdegegnerin zuletzt für zutreffend gehaltenen Auslegungsvariante ii) die in Anspruch 1 enthaltenen Merkmale offensichtlich nicht hinreichend jene Bedingungen definieren, unter denen dass erfindungsgemäß angestrebte Ergebnis erzielt werden kann. Mangels diesbezüglich ausreichender, anleitender Hinweise im Streitpatent ist der Fachmann beim Versuch, die Erfindung über die gesamte Breite von Anspruch 1 nachzuarbeiten, gezwungen, umfassende Versuchsreihen durchzuführen, schon alleine um geeignete Massen-Verhältnisse von Imprägnierungsharz zu spezieller Dispersion herauszufinden.

4.4 Daraus schließt die Kammer, dass das Streitpatent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ohne unzumutbaren Aufwand über die gesamte Breite von Anspruch 1 ausführen kann.

Das Erfordernis der Artikel 83 bzw. 100(b) EPÜ ist demnach nicht erfüllt.

5. Folglich ist der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin nicht gewährbar.

Hilfsanträge 1 bis 4 - Unzureichende Offenbarung der Erfindung

6. Ein Vergleich des jeweiligen unabhängigen Anspruchs 1 aller vier Hilfsanträge mit Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ergibt Folgendes:

6.1 Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags ist identisch mit Anspruch 1 des Hauptantrags.

6.2 Die jeweiligen Ansprüche 1 gemäß dem 2., 3. und 4. Hilfsantrag unterscheiden sich von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag jeweils durch zusätzlich aufgenommene Merkmale, welche das zwingende Vorliegen bzw. den Ausschluss bestimmter Komponenten zum Gegenstand haben.

7. Die zusätzlich aufgenommenen Merkmale haben keine offensichtlichen Auswirkung auf die bezüglich Anspruch 1 gemäß Hauptantrag angestellten Überlegungen (obige Punkte), und vermögen demnach nicht, die obigen Schlussfolgerungen der Kammer zur Ausführbarkeit der Erfindung zu relativieren.

8. Da die Argumentation bezüglich Anspruch 1 gemäß Hauptantrag in gleicher (1. Hilfsantrag) bzw. analoger Weise auch bezüglich der jeweiligen Ansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 2 bis 4 ihre Gültigkeit behält, kommt die Kammer bezüglich der entsprechenden Ansprüche 1 ebenfalls zum Ergebnis, dass das Streitpatent die Erfindung nicht so deutlich offenbart, dass ein Fachmann sie ohne unzumutbaren Aufwand über die gesamte Breite besagter Ansprüche ausführen kann. Das Erfordernis der Artikel 83 bzw. 100(b) EPÜ ist demnach nicht erfüllt.

9. Folglich ist auch keiner der Hilfsanträge 1 bis 4 der Beschwerdegegnerin gewährbar.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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