T 0779/20 () of 21.7.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T077920.20220721
Datum der Entscheidung: 21 Juli 2022
Aktenzeichen: T 0779/20
Anmeldenummer: 11784965.3
IPC-Klasse: C07D 311/58
C11C 3/00
C07D 311/72
C07J 9/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR GEWINNUNG VON PHYTOSTEROLEN UND/ODER TOCOPHEROLEN AUS RÜCKSTÄNDEN EINER DESTILLATION VON ESTERN PFLANZLICHER ÖLE, VORZUGSWEISE AUS DESTILLATIONSRÜCKSTÄNDEN AUS EINER UMESTERUNG VON PFLANZLICHEN ÖLEN
Name des Anmelders: Verbio Vereinigte Bioenergie AG
Name des Einsprechenden: BASF SE
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Neuheit
Erfinderische Tätigkeit
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/92
T 1626/11
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Entscheidung betrifft die Beschwerde der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung (angefochtene Entscheidung), wonach das europäische Patent Nr. 2 635 592 (Streitpatent) in geänderter Fassung den Erfordernissen des EPÜ genügt.

Mit Schreiben vom 28. April 2022 hatte die Einsprechende ihre Beschwerde und ihren Einspruch zurückgenommen. Sie war damit hinsichtlich der Sachfragen nicht länger am Verfahren beteiligt. In der Folge wird sie daher als ehemalige Einsprechende bezeichnet.

II. Die folgenden Dokumente aus dem Verfahren vor der Einspruchsabteilung sind für die vorliegende Entscheidung relevant.

D1 EP 1 179 535 A1

D2 EP 1 179 536 A2

D3 EP 0 656 894 B2

D10 WO 97/21697 A1

D12 WO 95/04731 A1

III. In Vorbereitung der auf Antrag der Beschwerdeführerin anberaumten mündlichen Verhandlung erließ die Kammer eine Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020.

IV. Mit Schreiben vom 7. Juli 2022 reichte die Beschwerdeführerin unter anderem einen Hilfsantrag 1 ein. Dieser besteht aus einem entsprechenden Anspruchssatz und einer daran angepassten Beschreibung.

V. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 21. Juli 2022 in Anwesenheit der Beschwerdeführerin statt. Die Beschwerdeführerin machte den mit Schreiben vom 7. Juli 2022 eingereichten Hilfsantrag 1 zu ihrem Hauptantrag und nahm alle übrigen Anträge zurück. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende den Tenor der vorliegenden Entscheidung.

VI. Zusammenfassungen der für die vorliegende Entscheidung relevanten Einwände der ehemaligen Einsprechenden finden sich in den Entscheidungsgründen.

Laut der Beschwerdeführerin unterscheide sich das Verfahren von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch von denen der D3, D10 und D12, dass es nicht nur auf einer sondern auf zwei basischen Umesterungsstufen basiere. Im Übrigen seien die von der ehemaligen Einsprechenden gegen den erteilten Anspruch 1 erhobenen Einwände für den Hauptantrag nicht relevant.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Streitpatents in geänderter Fassung auf Basis der Ansprüche 1 - 16 des Hauptantrags, eingereicht als Hilfsantrag 1 mit Schriftsatz vom 7. Juli 2022, und der mit gleichem Schriftsatz eingereichten Beschreibung.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag

1. Der Anspruchssatz des Hauptantrags besteht aus 16 Ansprüchen. Diese gliedern sich auf in zwei Anspruchsgruppen, nämlich

a) den unabhängigen Verfahrensanspruch 1 sowie die davon abhängigen Ansprüche 2, 3 und 6 bis 16

b) den unabhängigen Verfahrensanspruch 4 sowie die davon abhängigen Ansprüche 5 und 6 bis 16.

Die Ansprüche der Gruppe b) sind wortgleich mit den Ansprüchen, die die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung für gewährbar befunden hatte. Die Ansprüche der Gruppe b) sind daher im vorliegenden Fall, in dem die Patentinhaberin die alleinige Beschwerdeführerin ist und daher das Verbot einer reformatio in peius greift, keiner Überprüfung durch die Kammer zugänglich (G 9/92, Nr. 1 der Entscheidungsformel). Dem steht nicht entgegen, dass der Patentanspruchssatz des Hauptantrags neben den von der Einspruchsabteilung für gewährbar befundenen Ansprüchen der Gruppe b) die weiteren Ansprüche der Gruppe a) umfasst (T 1626/11, Nr. 1.1 der Entscheidungsgründe und dort zitierte Entscheidungen).

Vorliegend von der Kammer überprüft werden können also nur die Ansprüche der Gruppe a), d. h. die Ansprüche 1 bis 3 sowie die Ansprüche 6 bis 16, soweit sich diese auf die Ansprüche 1 bis 3 zurückbeziehen.

2. Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut (mit kenntlich gemachten Änderungen im Vergleich zum erteilten Anspruch 1):

"Verfahren zur Gewinnung von Phytosterolen und/oder Tocopherolen aus Rückständen einer Destillation von Estern pflanzlicher Öle[deleted: , vorzugsweise aus Destillationsrückständen aus einer Umesterung von pflanzlichen Ölen, insbesondere aus der pflanzenölbasierten Fettsäuremethylesterherstellung für das Einsatzgebiet Biodiesel (FAME)],

gekennzeichnet durch

eine zweistufige basische Umesterung mit einer zwischengeschalteten Abtrennung von Glycerinphase,

wobei

- in einer ersten basischen Umesterungsstufe eine Umsetzung von in den Destillations-Rückständen enthaltenen Partialglyceriden durchgeführt wird;

- aus einem aus der ersten basischen Umesterungsstufe unmittelbar resultierenden Reaktionsgemisch Glycerinphase abgetrennt wird;

und

- in einer zweiten basischen Umesterungsstufe eine Umsetzung von in dem Reaktionsgemisch enthaltenen Sterolestern durchgeführt wird

wobei das Verfahren aus einer zweistufigen basisch katalysierten Umesterung eines Fettsäuremethylester-Destillationsrückstandes aus der Biodieselherstellung mit einer Zwischenabtrennung einer bei der Umesterung anfallenden Glycerinphase zur Vervollständigung des Glyceridumsatzes in der zweiten Reaktionsstufe ausgeführt wird, ohne dass Methanol oder Katalysator durch Flashen, Destillieren oder eine Wäsche entfernt werden."

Das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags umfasst somit zwei basische Umesterungsstufen und eine zwischengeschaltete Abtrennung von Glycerinphase. Durch den Zusatz "wobei das Verfahren ... entfernt werden" (vgl. die zehn fettgedruckten Zeilen am Ende des Anspruchs) wird klargestellt, dass im Verfahren weder Methanol noch Katalysator durch Flashen, Destillieren oder eine Wäsche entfernt werden.

3. Änderungen und Klarheit (Artikel 123 (2), (3) und 84 EPÜ)

Die Kammer hat sich davon überzeugt, dass die Ansprüche 1 bis 3 sowie die Ansprüche 6 bis 16, soweit sich diese auf die Ansprüche 1 bis 3 zurückbeziehen, die Erfordernisse der Artikel 123 (2), (3) und 84 EPÜ erfüllen.

4. Mit der Beschwerdebegründung verfolgte die Beschwerdeführerin als Hauptantrag zunächst das Patent in seiner erteilten Fassung. Ferner reichte sie unter anderem einen Hilfsantrag 3 ein.

Gegen den erteilten Anspruch 1 brachte die ehemalige Einsprechende nur Einwände hinsichtlich fehlender Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit vor. Ferner führte sie aus, dass diese Einwände mutatis mutandis auch für Anspruch 1 von Hilfsantrag 3 gelten würden.

Anspruch 1 des obengenannten Hilfsantrags 3 ist wortgleich mit Anspruch 1 des nun anhängigen Hauptantrags. Die gegen den erteilten Anspruch 1 vorgebrachten Einwände können daher auch so verstanden werden, als richten sie sich gegen Anspruch 1 des nun anhängigen Hauptantrags.

5. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

5.1 Die Neuheitseinwände der ehemaligen Einsprechenden gegen den erteilten Anspruch 1 basierten auf D1 bis D3, D10 und D12.

Ähnlich wie das Streitpatent betreffen auch diese Dokumente ein Verfahren zur Gewinnung von Phytosterolen und/oder Tocopherolen.

5.2 Im Gegensatz zu den in Anspruch 1 des Hauptantrags vorgesehenen zwei basischen Umesterungsstufen erfolgt in den Verfahren der D3 (Anspruch 1; Beispiel 1), D10 (Anspruch 1; Beispiel 1) und D12 (Anspruch 1; Beispiel 1) jedoch im ersten Schritt zumindest auch eine Veresterung von im Startmaterial noch enthaltenen freien Fettsäuren mit einem Alkohol. Eine solche Veresterung kann nur unter (ggf. Lewis-) sauren Bedingungen ablaufen. Entgegen Anspruch 1 des Hauptantrags wird die erste Stufe in diesen Dokumenten somit nicht unter basischen Bedingungen durchgeführt.

5.3 Die Verfahren der D1 (Anspruch 1; Beispiele 1 und 2) und D2 (Anspruch 1; Beispiel 6) verlaufen über zwei basische Umesterungsstufen. Zwischen beiden Umesterungsstufen wird eine erhebliche Menge an niederem Alkohol, nämlich Methanol, abdestilliert. Die Entfernung von Methanol im Verfahren wird aber explizit in Anspruch 1 des Hauptantrags ausgeschlossen, siehe oben.

5.4 Somit ist der Gegenstand von Anspruch 1 und der von ihm abhängigen Ansprüche 2, 3 und 6 bis 16, soweit sich diese Ansprüche auf Ansprüche 1-3 rückbeziehen, neu.

6. Erfinderische Tätigkeit

6.1 Der Einwand der ehemaligen Einsprechenden gegen den erteilten Anspruch 1 ging von D1 als dem nächstliegenden Stand der Technik aus.

Wie oben schon erwähnt, verläuft das Verfahren von D1 über zwei basische Umesterungsstufen, zwischen denen eine erhebliche Menge an niederem Alkohol, nämlich Methanol, abdestilliert wird. Erst nach der Abdestillation von Methanol erfolgt eine Abtrennung von Glycerin.

6.2 Vor dem Hintergrund, dass der erteilte Anspruch 1 den obigen Zusatz (vgl. Punkt 2) nicht aufweist und somit die Entfernung von Methanol durch Destillation nicht per se ausgeschlossen ist, argumentierte die ehemalige Einsprechende, dass Neuheit des erteilten Anspruchs 1 gegenüber D1 nur dann anerkannt werden könne, wenn die von der Beschwerdeführerin vertretene Anspruchsauslegung korrekt sei. Danach seien weitere Verfahrensschritte zwischen der ersten basischen Umesterungsstufe und der Abtrennung der Glycerinphase, wie die in D1 beschriebene Abdestillation von Methanol, ausgeschlossen. Die Korrektheit dieser Auslegung unterstellt würde aber immer noch ein Verfahren in den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 fallen, bei dem zunächst Glycerinphase abgetrennt und erst dann Methanol abdestilliert werde. Ein solches Verfahren unterscheide sich nur dadurch von dem der D1, dass die Schritte der Abtrennung der Glycerinphase und der Abdestillation von Methanol vertauscht seien. Eine bloße Vertauschung von Verfahrensschritten könne aber keine erfinderische Tätigkeit begründen. Anspruch 1 umfasse somit nicht erfinderische Ausführungsformen.

6.3 Wie oben schon erläutert, ist die Entfernung von Methanol im Verfahren von Anspruch 1 des Hauptantrags ausgeschlossen. Damit sind nun die von der ehemaligen Einsprechenden als nicht erfinderisch angesehenen Ausführungsformen (gerichtet auf eine Abtrennung von Glycerinphase gefolgt von einer Abdestillation von Methanol) von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht mehr umfasst. Der gegen den erteilten Anspruch 1 vorgebrachte Einwand kann daher gegen Anspruch 1 des Hauptantrags nicht mehr durchgreifen.

6.4 Somit beruht der Gegenstand von Anspruch 1 und der von ihm abhängigen Ansprüche 2, 3 und 6 bis 16, soweit sich diese Ansprüche auf Ansprüche 1-3 rückbeziehen, auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Hauptantrag ist gewährbar.

7. Die Kammer hat sich vergewissert, dass die mit Schriftsatz vom 7. Juli 2022 eingereichte Beschreibung an die Ansprüche des Hauptantrags angepasst ist und den Erfordernissen des EPÜ genügt.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgenden Ansprüchen und folgender Beschreibung aufrechtzuerhalten:

Ansprüche 1 - 16 des Hauptantrags, eingereicht als Hilfsantrag 1 mit Schriftsatz vom 7. Juli 2022, und der mit gleichem Schriftsatz eingereichten Beschreibung.

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