T 0379/10 (Tiotropiummikronisat/BOEHRINGER INGELHEIM) of 21.9.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T037910.20150921
Datum der Entscheidung: 21 September 2015
Aktenzeichen: T 0379/10
Anmeldenummer: 03708206.2
IPC-Klasse: C07D 451/10
A61P 11/00
A61K 31/40
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished | Unpublished v2
Bezeichnung der Anmeldung: KRISTALLINES MIKRONISAT DES TIOTROPIUMBROMIDS
Name des Anmelders: Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: NORTON HEALTHCARE LIMITED
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 112a
European Patent Convention Art 100(a)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention R 108(3)
European Patent Convention Art 117(1)(c)
Schlagwörter: Neue Vergleichsversuche und neue Argumentationslinie - nach Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens nicht zugelassen
Hauptantrag und Hilfsantrag 1: erfinderische Tätigkeit (nein)
Hilfsantrag 2: erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

Bei der Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens aufgrund einer Entscheidung gemäß Artikel 112a(5) EPÜ ist das wiederaufgenommene Beschwerdeverfahren auf die Behebung des in der Überprüfungsentscheidung festgestellten schwerwiegenden Mangels beschränkt (siehe Punkt 2.2 der Entscheidungsgründe).

Angeführte Entscheidungen:
R 0021/11
R 0016/13
T 0640/91
T 1110/03
Anführungen in anderen Entscheidungen:
R 0005/19
T 0695/18

Sachverhalt und Anträge

I. Das Europäische Patent Nr. 1 487 832 betrifft ein kristallines Mikronisat von Tiotropiumbromid.

II. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent zu widerrufen.

III. Am Ende der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2013 entschied die Kammer in der gegenwärtigen Besetzung, die angefochtene Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und die Angelegenheit an die erste Instanz mit der Anordnung zurückzuverweisen, das Patent mit den Ansprüchen des Hilfsantrags 2 und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.

IV. Die Beschwerdeführerin und Patentinhaberin beantragte die Überprüfung der Entscheidung vom 5. März 2013 gemäß Artikel 112a EPÜ durch die Große Beschwerdekammer. Mit der am 26. Mai 2015 zur Post gegebenen Entscheidung vom 8. Dezember 2014 (Rechtssache R 16/13) hob die Große Beschwerdekammer die Entscheidung der Kammer vom 5. März 2013 auf und ordnete die Wiederaufnahme des Verfahrens vor der Beschwerdekammer 3.3.01 an. Den Antrag, die Mitglieder der Beschwerdekammer zu ersetzen, welche an der aufgehobenen Entscheidung mitgewirkt hatten, wies die Große Beschwerdekammer zurück.

V. Entsprechend nahm die Kammer das Beschwerdeverfahren in unveränderter Besetzung wieder auf. Mit dem Formbrief vom 5. Juni 2015 lud sie die Parteien zur für den 23. September 2015 terminierten mündlichen Verhandlung. In dem der Ladung beigefügten Bescheid fasste sie die Entscheidung R 16/13 zusammen und lud die Parteien ein, zu den gemäß dieser Entscheidung im wiederaufgenommenen Verfahren zu behandelnden Punkten Stellung zu nehmen. Für den Fall, dass die Beschwerdeführerin und Patentinhaberin geänderte Anspruchssätze einreichen wolle, setzte ihr die Kammer eine Frist von zwei Monaten nach Zustellung der Ladung.

Mit Schreiben vom 10. Juni 2015 beantragte die Beschwerdeführerin, den Termin für die mündliche Verhandlung neu anzuberaumen. Mit dem Bescheid vom 19. Juni 2015 wurde die mündliche Verhandlung auf den 21. September 2015 verlegt.

Mit Schreiben vom 10. August 2015 legte die Beschwerdeführerin Vergleichsversuche und einen geänderten Hauptantrag vor.

VI. In der vorliegenden Entscheidung wird auf die folgenden Druckschriften Bezug genommen:

(1) WO-A-00/69 468

(2) CA-A-2 368 583

(4) X. M. Zeng et al., "Particulate Interactions in Dry Powder Formulations for Inhalation", Taylor & Francis, London und New York, 2001, 133-138

(7) WO-A-95/05 805

(9) X. M. Zeng et al., Particulate Interactions in Dry Powder Formulations for Inhalation", Taylor & Francis, London und New York, 2001, 86-95

(11A) Erwiderung der Anmelderin und Versuchsbericht vom 14. Oktober 2003, aus dem Prüfungsverfahren, elf Seiten

(12) Versuchsbericht "Tiotropium Bromide Monohydrate Milling, Conditioning and Characterisation" mit Datum vom 30. Oktober 2009, eingereicht von der Einsprechenden mit Brief vom 30. Oktober 2009, neun Seiten

(14) S. Byrn et al., Pharmaceutical Research, Band 12, Nr. 7 (1995), 945-954

(21) Versuchsbericht "Vergleichende Untersuchung von mikronisiertem Tiotropiumbromidmonohydrat vor und nach einem streitpatentgemäß durchgeführten Konditionierungsschritt" vom 21. Juni 2012, eingereicht von der Beschwerdeführerin mit Brief vom 22. Juni 2012, fünf Seiten

(22) "The Merck Index", 12. Auflage (1996), Merck & Co., Inc., Whitehouse Station, NJ/US, Seiten 1614-1615, Eintrag 9598

(23) WHO Drug Information, Band 7, Nr. 3 (1993), 135-144

(24) EP-A-0 418 716

(25) WO-A-00/47 200

(26) Versuchsbericht "Vergleichende Untersuchung von mikronisiertem Tiotropiumbromid vor und nach einem streitpatentgemäß durchgeführten Konditionierungs- schritt - Teil II" vom 29. November 2012, eingereicht von der Beschwerdeführerin mit Brief vom 4. Dezember 2012, neun Seiten

(27) "Expert Report of Professor Graham Buckton", eingereicht von der Beschwerdegegnerin mit Brief vom 21. Januar 2013, drei Seiten

VII. Der Einspruch stützte sich auf den Grund gemäß Artikel 100 (a) EPÜ, der Gegenstand der Ansprüche beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Die Einspruchsabteilung entschied,

- das von der Einsprechenden eingereichte Dokument (12) nicht in das Verfahren zuzulassen, da dessen Vorlage nach Ablauf der Frist gemäß Regel 116 EPÜ die Patentinhaberin der Möglichkeit beraubte, die dort vorgestellten Ergebnisse zu diskutieren oder zu überprüfen;

- das Dokument (2) stelle den nächstliegenden Stand der Technik dar. Die zu lösende Aufgabe habe darin bestanden, eine inhalierbare Form von Tiotropiumbromid-Monohydrat bereitzustellen. Die in den Ansprüchen des damals anhängigen Haupt- bzw. Hilfsantrags definierte Lösung dieser Aufgabe sei naheliegend gewesen im Hinblick auf Dokument (7) oder (4).

VIII. Grundlage der aufgehobenen Entscheidung der Beschwerdekammer waren die folgenden Ansprüche:

- die Ansprüche des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag), sowie

- die Ansprüche der Hilfsanträge 1 und 2, jeweils eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2013,

- die Ansprüche der Hilfsanträge 3 und 4, eingereicht als Hilfsanträge 2 und 3 mit Schreiben vom 22. Juni 2012, und

- die Ansprüche der Hilfsanträge 5 und 6, eingereicht als Hilfsanträge 4 und 5 mit Schreiben vom 4. Dezember 2012.

Der unabhängige Anspruch 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung lauten wie folgt:

"1. Kristallines Mikronisat von Tiotropiumbromid der Formel (I)

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

gekennzeichnet durch eine Partikelgröße X50 von zwischen 1,0 mym und 3,5 mym bei einem Wert Q(5.8) von größer 60%, durch einen spezifischen Oberflächenwert im Bereich zwischen 2 m**(2)/g und 5 m**(2)/g, durch eine spezifische Lösungswärme von größer 65 Ws/g sowie durch einen Wassergehalt von 1% bis 4,5%."

IX. In der aufgehobenen Entscheidung vom 5. März 2013 ließ die Kammer das Dokument (21) in das Verfahren zu, nicht jedoch die Dokumente (12) und (26)(siehe Punkte 2.1 bis 2.3 der Entscheidungsgründe).

Die Kammer hielt Dokument (25) für den nächstliegenden Stand der Technik (siehe Punkte 4.2.1 bis 4.2.4). Die zu lösende Aufgabe habe darin bestanden, eine für die Inhalation geeignete, mikronisierte Form von Tiotropiumbromid mit einer verbesserten Lagerfähigkeit bereitzustellen (siehe Punkt 4.3).

Die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Vergleichsversuche (11A) seien nicht geeignet, um glaubhaft zu belegen, dass die behauptete verbesserte Lagerstabilität ursächlich mit den anspruchsgemäßen Parameterwerten verknüpft sei (siehe Punkte 4.5.1 bis 4.5.3). Im Dokument (11A) sei das in den Absätzen [0035] bis [0044] des Streitpatents offenbarte Monohydrat und das nach dem bekannten Verfahren gemäß Dokument (24) (im Dokument (11A) als D1 bezeichnet) hergestellte Tiotropiumbromid unter identischen Versuchsbedingungen mittels einer Luftstrahlmühle mikronisiert worden. Jedoch sei im Anspruch 1 das Mikronisat nicht mit Hinweis auf einen bestimmten Ausgangsstoff mit einem bestimmten Wassergehalt definiert, sondern durch Parameterwerte. Im Dokument (11A) fehlten Angaben zu den Parametern (ii) bis (iv) nach Anspruch 1, nämlich:

- dem spezifischen Oberflächenwert,

- der spezifischen Lösungswärme und

- dem Wassergehalt.

Deshalb könne die zu lösende Aufgabe nur darin gesehen werden, ein weiteres Mikronisat von Tiotropiumbromid bereitzustellen (siehe Punkt 4.6). Die Lösung dieser Aufgabe gemäß den Ansprüchen des Hauptantrags und des Hilfsantrags 1 sei naheliegend gewesen im Hinblick auf das Dokument (25) (siehe Punkte 4.7 und 5).

X. Die Beschwerdeführerin und Patentinhaberin reichte einen Antrag auf Überprüfung dieser Entscheidung nach Artikel 112a EPÜ ein und machte geltend, die Beschwerdekammer habe ihr in schwerwiegender Weise das rechtliche Gehör versagt (Artikel 112a (2) c) und 113 (1) EPÜ), indem sie die Schutzfähigkeit des Haupt- und ersten Hilfsantrags wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit verneint habe, ohne dass die dafür maßgeblichen Gründe im Verfahren benannt und erörtert worden wären.

Dies gelte namentlich für die nicht diskutierte Auffassung der Kammer, die im Dokument (11A) gezeigten Versuchsdaten stützten die erfinderische Tätigkeit nicht. Wegen des unterbliebenen Hinweises der Kammer auf die Gründe, aus denen sie die erfinderische Tätigkeit des Hauptantrags nicht aus Dokument (11A) ableite, habe sie als Patentinhaberin keine Gelegenheit gehabt, eventuelle Missverständnisse auszuräumen und den Bedenken der Kammer Rechnung tragende Hilfsanträge einzureichen.

XI. Die Große Beschwerdekammer konstatierte in ihrer Entscheidung, der maßgebliche Grund der zu überprüfenden Entscheidung, das Dokument (11A) gäbe die Parameterwerte des mit dem Stand der Technik verglichenen Produkts unvollständig wieder, so dass die dort dokumentierten Vergleichsversuche zur Stützung der geltend gemachten verbesserten Stabilität und zur Bejahung einer erfinderischen Tätigkeit nicht ausreichten, sei in dem gesamten, der Entscheidung vorausgegangenen Verfahren nicht angesprochen worden. Dieser Grund sei weder von den Parteien vorgetragen worden, noch habe ihn die Kammer von sich aus zur Sprache gebracht, noch sei er in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erörtert worden (siehe R 16/13, Punkt 2.2 der Entscheidungsgründe).

Daraus schloss die Große Beschwerdekammer, dass die Patentinhaberin nicht die Möglichkeit gehabt habe, die Auffassung der Kammer, im Dokument (11A) seien die Parameter des mit dem Stand der Technik verglichenen, erfindungsgemäßen Mikronisats nicht vollständig angegeben bzw. die drei letzten in Anspruch 1 aufgelisteten Parameter fehlten vollständig, zu erkennen und sich dazu zu äußern (siehe R 16/13, Punkt 5.4 der Entscheidungsgründe). Somit habe die Kammer der Patentinhaberin mit Folgen für den Ausgang des Verfahrens und damit in schwerwiegender Weise das rechtliche Gehör abgeschnitten (Artikel 112a (2) c) und 113 (1) EPÜ). Denn das Patent sei durch diesen Verfahrensfehler bedingt nur eingeschränkt aufrechterhalten worden (siehe R 16/13, Punkt 6 der Entscheidungsgründe).

XII. Der vorliegenden Entscheidung liegen die folgenden Ansprüche zu Grunde:

- die Ansprüche 1-25 des Hauptantrags, eingereicht mit Schreiben vom 10. August 2015,

sowie die Ansprüche der Hilfsanträge, die auch der aufgehobenen Entscheidung der Beschwerdekammer zu Grunde lagen, nämlich

- die Ansprüche 1-25 des Hilfsantrags 1, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2013,

- die Ansprüche 1-6 des Hilfsantrags 2, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2013,

- die Ansprüche 1-16 des Hilfsantrags 3, eingereicht als Hilfsantrag 2 mit Schreiben vom 22. Juni 2012,

- die Ansprüche 1-16 des Hilfsantrags 4, eingereicht als Hilfsantrag 3 mit Schreiben vom 22. Juni 2012,

- die Ansprüche 1-25 des Hilfsanträge 5, eingereicht als Hilfsantrag 4 mit Schreiben vom 4. Dezember 2012, und

- die Ansprüche 1-23 des Hilfsanträge 6, eingereicht als Hilfsantrag 5 mit Schreiben vom 4. Dezember 2012.

a) Die Ansprüche des Hauptantrags unterscheiden sich von der erteilten Fassung (siehe oben unter Punkt VIII) lediglich dadurch, dass im Anspruch 1 der Wassergehalt auf "von 1,4% bis 4,2%" eingeschränkt, der Anspruch 5 gestrichen und die folgenden Ansprüche umnummeriert wurden.

b) Die Ansprüche des Hilfsantrags 1 entsprechen denen des Hauptantrags, wobei im Anspruch 1 der Wassergehalt auf "von 2,4% bis 4,1%" weiter eingeschränkt wurde.

c) Der einzige unabhängige Anspruch des Hilfsantrags 2 lautet wie folgt:

"1. Verfahren zur Herstellung des kristallinen Tiotropiumbromid-Mikronisats der Formel (I)

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

gekennzeichnet durch eine Partikelgröße X50 von zwischen 1,0 mym und 3,5 mym bei einem Wert Q(5.8) von größer 60%, durch einen spezifischen Oberflächenwert im Bereich zwischen 2 m**(2)/g und 5 m**(2)/g, durch eine spezifische Lösungswärme von größer 65 Ws/g sowie durch einen Wassergehalt von 1% bis 4,5% dadurch gekennzeichnet, daß

a) kristallines Tiotropiumbromid-Monohydrat, welches bei der thermischen Analyse mittels DSC ein endothermes Maximum bei 230 ± 5ºC bei einer Heizrate von 10 K/min aufweist, welches durch ein IR-Spektrum gekennzeichnet ist, das unter anderen bei den Wellenzahlen 3570, 3410, 3105, 1730, 1260, 1035 und 720 cm**(-1) Banden aufweist und welches durch eine einfache monoklinische Zelle mit folgenden Dimensionen: a = 18.0774 Å, b = 11.9711 Å,

c = 9.9321 Å, beta = 102.691º, V = 2096.96 Å**(3)

gekennzeichnet ist, mikronisiert und

b) anschließend bei einer Temperatur von 15 - 40ºC Wasserdampf einer relativen Feuchte von wenigstens 40% für einen Zeitraum von wenigstens 6 Stunden ausgesetzt wird."

XIII. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich, soweit sie für die vorliegende Entscheidung relevant sind, wie folgt zusammenfassen:

Zulassung der Dokumente (21) und (26)

Die Versuchsberichte (21) und (26) sollten in das Verfahren zugelassen werden. Der Versuchsbericht (21) sei als Entgegnung auf die von der Beschwerdegegnerin im Schreiben vom 15. November 2010 vorgebrachte Behauptung eingereicht worden, wonach sich bei der Mikronisierung des erfindungsgemäßen Tiotropiumbromid- Monohydrats amorphe Bereiche bildeten. Auch sei der Versuchsbericht (26) als Reaktion auf den Bescheid der Kammer vom 11. September 2012 und die mit diesem eingeführten Dokumente (24) und (25) anzusehen. Das Gutachten (27) zeige, dass die Beschwerdegegnerin ausreichend Zeit gehabt hatte, auf die Dokumente (21) und (26) zu reagieren.

Zulassung der von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 10. August 2015 eingereichten Vergleichsversuche und Gegenstand des wiedereröffneten Verfahrens

Die Beschwerdeführerin erklärte, weitere Daten zu den Vergleichsversuchen (11A) seien nach der langen Zeit nicht mehr auffindbar. Deshalb habe sie die weiteren Vergleichsversuche mit Schreiben vom 10. August 2015 vorgelegt, sobald wie möglich nach dem Zugang der Entscheidungsgründe von R 16/13. Diese Versuche bestätigten nur, was bereits aus Dokument (11A) hervorgehe. Sie seien weder komplex noch überraschend. Die Vorlage der Versuche sei auch nicht verspätet. Die Beschwerdeführerin habe die entscheidungserheblichen Erwägungen der Kammer zu Dokument (11A) erst der Entscheidung vom 5. März 2013 entnehmen können. Zu diesem Zeitpunkt sei die Feststellung des Sachverhalts abgeschlossen gewesen. Erst nach Aufhebung dieser Entscheidung im Überprüfungsverfahren habe sich die Möglichkeit eröffnet, weitere Daten vorzulegen. Laut Punkt 6 der Entscheidungsgründe von R 16/13 diene das wiederaufgenommene Beschwerdeverfahren dazu, der Beschwerdeführerin Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Gründen bezüglich Dokument (11A) zu geben, zu denen ihm das rechtliche Gehör versagt worden war. Eine solche Gelegenheit zur Stellungnahme sei nicht einschränkend als bloßes argumentatives Äußerungsrecht zu verstehen, sondern umfasse gemäß der Entscheidung T 1110/03 auch das Recht, bei faktischen Fragen zusätzliche Beweismittel einzureichen. Sonst bleibe der Anspruch auf rechtliches Gehör wirkungslos. Da die ursprünglichen Versuchsprotokolle nicht vorlägen, müsse es der Beschwerdeführerin zur Gewährleistung ihres Rechts, zu den Gründen betreffend die Daten in Dokument (11A) gehört zu werden, möglich sein, die entscheidungserheblichen Fakten zu belegen. Die am 10. August 2015 vorgelegten Vergleichsversuche stellten keine Erweiterung des Streitstoffes dar, sondern adressierten den in der Entscheidung R 16/13 festgestellten Verfahrensmangel. Die Parameter für das Mikronisat nach dem Stand der Technik sowie für das erfindungsgemäße Mikronisat seien ergänzt worden. Diese Daten belegten Fakten, die in der aufgehobenen Entscheidung vom 5. März 2013 in Zweifel gezogen worden seien und zu denen sich die Beschwerdeführerin nun äußern können müsse. Sie hätten folglich keine Änderung des faktischen Rahmens zur Folge.

Die Punkte 2.1, 2.2, und 4.3 und 5.3 der Entscheidungsgründe von R 16/13 beträfen den Verfahrensmangel, dass in der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2013 die für die aufgehobene Entscheidung wesentliche Frage nicht erörtert wurde, ob das Dokument (11A) das beanspruchte Produkt mit dem des Standes der Technik vergleiche und ob die belegten Vorteile wirklich auf die in den Ansprüchen aufgeführten Parameter zurückzuführen seien. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin bewege sich im Rahmen der ihr gemäß R 16/13 zuzugestehenden Gelegenheit zur Äußerung, die auch die Möglichkeit einschließe, faktische Fragen durch geeignete Beweismittel zu beantworten. Auch in Bezug auf die Bedeutung der Unterschiede im Wassergehalt des Mikronisats nach dem Stand der Technik und des erfindungsgemäßen Mikronisats beinhalteten die am 10. August 2015 vorgelegten Daten keine Änderung des Vorbringens der Beschwerdeführerin.

Zulassung der Hilfsanträge 1 und 2

Die Hilfsanträge 1 und 2 seien zuzulassen. Erst in der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2013 sei erkennbar geworden, dass nach Meinung der Kammer das Dokument (25) als nächstliegender Stand der Technik zu betrachten sei. Vor diesem Hintergrund sei die Einschränkung des Wassergehalts im Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 erfolgt. Bezüglich des Hilfsantrags 2 machte die Beschwerdeführerin geltend, dass dieser in der Sache kein neuer Antrag sei, da gegenüber dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrag lediglich die Produkt- und Verwendungsansprüche gestrichen wurden.

Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag

Dokument (24) sei als nächstliegender Stand der Technik anzusehen, da dieses als einzige der Entgegenhaltungen eine kristalline Form von Tiotropiumbromid einschließlich ihrer Herstellung offenbare. Dokument (25) unterstreiche die Einsetzbarkeit der aus Dokument (24) bekannten Form in Trockenpulvern zur Inhalation, und könne u. U. auch als geeigneter Ausgangspunkt angesehen werden. Dokument (2) komme hingegen nicht als nächstliegender Stand der Technik in Betracht, da es auf die Bereitstellung eines Kombinationspräparats gerichtet sei und nicht dem erfindungsgemäßen Zweck diene. Zudem offenbare Dokument (2) entgegen der Behauptung der Beschwerdegegnerin kein kristallines Tiotropiumbromid-Monohydrat. Der Fachmann hätte auch keinen Anlass gehabt, die nicht näher definierte Hydratform aus Dokument (2) als Ausgangspunkt in Erwägung zu ziehen.

Die zu lösende Aufgabe sei darin zu sehen, eine für die Inhalation geeignete, mikronisierte Form von Tiotropiumbromid mit einer verbesserten Lagerstabilität bereitzustellen. Diese Aufgabe werde durch das im Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Mikronisat gelöst.

Wie das Dokument (11A) zeige, zeichne sich das gemäß Dokument (24) bzw. (25) hergestellte Mikronisat aufgrund des geringeren Wassergehalts durch eine geringe Lagerstabilität aus. Aus dem mehrfachen Hinweis in (11A) auf das erfindungsgemäße Mikronisat gehe klar hervor, dass dieses die im Anspruch 1 des Hauptantrags genannten Bedingungen erfülle. Dessen Wassergehalt liege bei 2,8 bis 2,9 %. Nur dieser sei relevant, nicht aber die anderen Parameterwerte. Durch die erfindungsgemäße Mikronisierung von Tiotropiumbromid-Monohydrat werde ein besonders vorteilhaftes, lagerstabiles Produkt erhalten.

Die in dem Versuchsbericht (21) beschriebenen Experimente stellten zwar keine Vergleichsversuche gegenüber dem Stand der Technik dar, zeigten aber, dass eine weitere Verbesserung des Produkts durch eine nachfolgende Konditionierung erreichbar sei. Zudem sei dem Dokument (21) zu entnehmen, dass es bei dem erfindungsgemäßen Konditionierungsschritt um die Glättung von Rissen, Kantenabbrüchen und Oberflächen- rauhigkeiten, und nicht um die Kristallisation von amorphen Bereichen gehe.

Im Stand der Technik finde sich keinerlei Hinweis darauf, dass eine verbesserte Lagerstabilität durch die Einstellung eines erhöhten Wassergehalt gemäß Anspruch 1 erzielt werden könne. Der von der Beschwerdegegnerin geäußerten Einwand, dieser Vorteil werde nicht über die gesamte Breite der Ansprüche erzielt, sei rein spekulativ.

Selbst wenn man die Lösung der oben genannten Aufgabe durch das anspruchsgemäße Mikronisat verneinen würde, sei der Gegenstand der Ansprüche erfinderisch, da keines der Dokumente ein Tiotropiumbromid mit dem beanspruchten Wassergehalt nahelege.

Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 1

Mit der Einschränkung des Wassergehalts in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 auf "von 2.4% bis 4,1%" sei der beanspruchte Gegenstand weiter gegenüber dem nächsten Stand der Technik abgegrenzt worden. Aus keiner der zitierten Entgegenhaltungen lasse sich ein Hinweis darauf entnehmen, dass für die Stabilisierung des Mikronisats eine Erhöhung des Wassergehalts wichtig sei.

Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 2

Auch für diesen Antrag sei Dokument (24) als nächstliegender Stand der Technik anzusehen. Die zu lösende Aufgabe habe darin gelegen, ein Mikronisierungsverfahren bereitzustellen, das ein lagerstabileres Tiotropiumbromid-Mikronisat liefere. Diese Aufgabe werde durch die beanspruchte Mikronisierung eines Tiotropiumbromid-Monohydrats und die nachfolgende Konditionierung gelöst, wie die in den Dokumenten (11A) und (21) beschriebenen Vergleichsversuche belegten. Im zitierten Stand der Technik seien die genannten Maßnahmen nicht offenbart. Es finde sich auch sonst kein Hinweis auf diese Lösung der gestellten Aufgabe. Der Fachmann hätte gar keine Veranlassung gehabt, die Lehre der Dokumente (4) und (7) zu berücksichtigen, da diese lediglich die Entfernung von amorphen Bereichen mittels eines Konditionierungsschritts offenbarten. Dagegen würden bei der vorliegenden Konditionierung ausschließlich Risse, Kantenabbrüche und Oberflächenrauhigkeiten abgebaut.

Neue Argumentationslinie der Beschwerdegegnerin zum Hilfsantrag 2

Dieser Vortrag sei verspätet und auch aufgrund des Verbots der reformatio in peius nicht in das Verfahren zuzulassen.

XIV. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:

Zulassung der Dokumente (12), (21) und (26)

Die Einspruchsabteilung habe zu Unrecht das Dokument (12) als verspätet nicht zugelassen, obgleich dieses relevant sei und keinen neuen Sachverhalt in das Verfahren eingeführt hätte. Dieses Dokument sollte wegen seiner Relevanz zugelassen werden.

Dagegen sollten die Versuchsberichte (21) und (26) nicht in das Verfahren zugelassen werden. Diese seien ohne überzeugende Begründung zu einem sehr späten Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren eingereicht worden. Daher habe die Beschwerdegegnerin keine Zeit gehabt, angemessen auf diese Versuche zu reagieren. Außerdem seien die Angaben zu den Mikronisierungsbedingungen unvollständig und die Ergebnisse nicht als prima facie relevant anzusehen.

Zulassung der von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 10 August 2015 eingereichten Vergleichsdaten und Gegenstand des wiedereröffneten Verfahrens

Die mit dem Schreiben vom 10. August 2015 vorgelegten Vergleichsdaten gingen über das hinaus, was laut Punkt 6 der Entscheidungsgründe von R 16/13 als Stellungnahme zu den Argumenten der Kammer geboten sei. Die Gelegenheit zur Stellungnahme erfordere eine Möglichkeit, sich zur Würdigung der in Dokument (11A) aufgeführten Daten durch die Beschwerdekammer zu äußern, umfasse aber nicht auch das Recht, den faktischen Rahmen der Beschwerde zu ändern. Hätte die Kammer den gerügten Mangel vermieden und die Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2013 umfassend über ihre Bewertung der Versuche (11A) informiert, hätte die Beschwerdeführerin keine geänderten Versuchsdaten vorlegen können.

Es stelle sich die Grundsatzfrage, ob die Wiedereröffnung des Beschwerdeverfahrens den Parteien die Gelegenheit geben soll, den Fall gänzlich neu zu diskutieren, oder nur der Beseitigung des festgestellten Verfahrensfehlers dient. Im ersten Fall müsse allen Beteiligten offenstehen, mit neuem Vorbringen die aufgehobene Entscheidung vom 5. März 2013 in Frage zu stellen. Im zweiten Fall werde der Gegenstand des wiederaufgenommenen Verfahrens durch den festgestellten Mangel bestimmt.

Gegenstand des Überprüfungsverfahrens sei die Beanstandung gewesen, dass die Beschwerdekammer für die Beschwerdeführerin nicht erkennbar angenommen habe, die in den Vergleichsversuchen in Dokument (11A) mit dem Stand der Technik verglichenen, erfindungsgemäßen Proben 1-3 gäben die in Anspruch 1 angegebenen Parameter nicht vollständig wieder. Ihre Erwiderung hierauf habe die Beschwerdeführerin schon im Rahmen der Überprüfung vor der Großen Beschwerdekammer gegeben. Zusätzliche Daten seien nicht notwendig. Auch die Argumentation, der Unterschied im Wassergehalt sei für die geltend gemachte Lagerstabilität ursächlich, erfordere keine zusätzlichen Vergleichsversuche neben den Dokumenten (11A) und (21), sofern diese Argumentation - wie von der Beschwerdeführerin behauptet - stets im Verfahren gewesen sei. Die mit dem Schreiben vom 10. August 2015 neu vorgelegten Daten würden das Beschwerdeverfahren völlig neu aufrollen.

Zulassung der Hilfsanträge 1 und 2

Die in der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2013 eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 sollten als verspätet nicht zugelassen werden. Die Beschwerdeführerin habe zur Einreichung neuer Anträge vorher schon reichlich Gelegenheit gehabt. Durch die Aufnahme von Merkmalen aus der Beschreibung in den Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 sei eine überraschende Situation für die Beschwerdegegnerin geschaffen worden. Dieser Hilfsantrag hätte auch früher eingereicht werden können, da bereits im Bescheid der Kammer vom 11. September 2012 auf das Dokument (25) aufmerksam gemacht worden war. Auch kamen die Streichungen im Hilfsantrag 2 unerwartet und warfen völlig neue Fragen auf. Da während des ganzen Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens die erfinderische Tätigkeit der Stoffansprüche in Frage gestellt worden sei, hätte die Beschwerdeführerin diesen neuen Anspruchssatz bereits früher vorlegen müssen.

Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag

Zur erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag trug die Beschwerdegegnerin vor, dass die Dokumente (2), (24) und (25) alle auf den gleichen Zweck wie das Streitpatent gerichtet seien, nämlich, die Bereitstellung einer für die Inhalation geeigneten Form von Tiotropiumbromid. Allerdings offenbare das Dokument (2) als einziges Tiotropiumbromid-Monohydrat. Für den Fachmann sei klar zu erkennen, dass in der entsprechenden Offenbarung auf Seite 7, Zeilen 23 bis 26, ein offensichtlicher Schreibfehler in der Nomenklatur vorliege, der durch das Einfügen von "di" vor "2-thienyl" richtigzustellen sei. Die Beschwerdegegnerin argumentierte ferner, dass der Begriff "Monohydrat" implizit eine kristalline Substanz bezeichne, die ein Molekül Kristallwasser pro Molekül Tiotropiumbromid enthalte, und verwies dabei insbesondere auf Dokument (14). Auf der Seite 10 des Dokuments (2) werde die Verabreichung dieses Materials als inhalierbares Pulver sowie ein Beispiel einer entsprechenden Zusammensetzung offenbart. Dadurch sei die im Dokument (25) angegebene Partikelgröße von 1 bis 5 mym auch aus dem Dokument (2) implizit zu entnehmen. Dokument (9) bestätige das allgemeine Fachwissen, dass bei dieser Partikelgröße eine optimale Ablagerung in der Lunge erreicht werde. Aufgrund der größeren Anzahl gemeinsamer Merkmale mit dem beanspruchten Gegenstand sei Dokument (2) als der nächstliegende Stand der Technik anzusehen.

Selbst wenn man jedoch vom Dokument (25) als nächstliegendem Stand der Technik ausgehe, würde der Fachmann ohne erfinderische Tätigkeit zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.

Dokument (11A) gebe nicht die Kristallform des angeblich wasserfreien Ausgangsstoffes gemäß dem Stand der Technik an; daher vergleiche es lediglich das Monohydrat mit einer unbekannten, angeblich wasserfreien Kristallform. Es gehe aus (11A) nicht klar hervor, welches Merkmal den vorteilhaften Effekt verursache. Folglich könne aus den Vergleichsdaten nicht geschlossen werden, dass die Einhaltung der beanspruchten Parameterbereiche zu einer verbesserten Stabilität führe. Laut dem zweiten Absatz auf Seite 2 sei die "spezielle Kristallmodifikation" des erfindungsgemäßen Tiotropiumbromids wichtig. Es sei daher fraglich, ob unabhängig von dieser Kristallstruktur eine Verbesserung erzielt werde. Da diese Aufgabe nicht über die ganze Breite des Anspruchs 1 glaubhaft gelöst sei, könne die objektive Aufgabe nur darin gesehen werden, ein alternatives Mikronisat von Tiotropiumbromid bereitzustellen.

Bei den nun beanspruchten Bereichen für die Parameter handele es sich um übliche Werte, die durch gängige Mikronisierungsverfahren von kristallinen Wirkstoffen zu inhalierbaren Partikeln erhalten würden. So bringe die beanspruchte Größenverteilung lediglich zum Ausdruck, dass die Partikel für die Inhalation geeignet seien. Die spezifische Oberfläche sei eine Folge der Partikelgröße. Die Lösungswärme sei durch die Kristallinität und der Wassergehalt durch die Feuchtigkeit in den Proben und der Umgebung bedingt. Die willkürliche Auswahl zweckmäßiger Bereiche könne jedoch keine erfinderische Tätigkeit begründen.

Das Bereitstellen eines kristallinen Tiotropiumbromids mit dem im Anspruch 1 genannten Wassergehalt könne als solches keine erfinderische Tätigkeit begründen, da solche Wassergehalte üblicherweise im feuchten Produkt auftreten, beispielsweise durch Wasseraufnahme in der Luftstrahlmühle. Tiotropiumbromid sei wegen seiner quaternären stickstoffhaltigen Gruppe hygroskopisch. Das Wasser sei somit als Verunreinigung zu werten. Der Stand der Technik offenbare das Produkt in allen Graden seiner Reinheit.

Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 1

Aus den gleichen Gründen sei auch der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 nicht erfinderisch.

Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 2

Beim Hilfsantrag 2 gelte um so mehr, dass Dokument (2) als nächstliegender Stand der Technik gelten müsse, da das Tiotropiumbromid-Monohydrat im Anspruch 1 explizit als Ausgangsstoff genannt werde.

Die zu lösende Aufgabe habe darin gelegen, das Monohydrat so zu behandeln, dass es für die Inhalation geeignet ist. Diese Aufgabe werde durch die Mikronisierung und Konditionierung des Tiotropium- bromid-Monohydrats gelöst. Aus Dokument (4) und aus dem Streitpatent gehe hervor, dass die Mikronisierung die übliche Maßnahme sei, um entsprechende inhalierbare Pulver herzustellen. Bezüglich des Konditionierungsschritts verwies die Beschwerdegegnerin auf die Dokumente (4) und (7). Darin werde beschrieben, dass sich bei der Mikronisierung von kristallinen Wirkstoffen amorphe Bereiche bildeten und dass sich diese durch eine Konditionierung in feuchter Atmosphäre beseitigen ließen. Es sei daher auch naheliegend gewesen, diesen zusätzlichen Schritt durchzuführen.

Schließlich argumentierte die Beschwerdegegnerin, dass ausgehend vom Dokument (25) die gleichen Überlegungen gelten würden, da durch das Dokument (11A) keinerlei Vorteile für das Produkt des vorliegenden gegenüber dem des bekannten Verfahrens glaubhaft gemacht wurden.

Neue Argumentationslinie zum Hilfsantrag 2

In der mündlichen Verhandlung vom 21. September 2015 vor der Kammer vertrat die Beschwerdegegnerin die Auffassung, die Versuche (11A) könnten die erfinderische Tätigkeit der Verfahrensansprüche des Hilfsantrags 2 nicht stützen, da darin keine Konditionierung vorgenommen worden sei.

Sie habe sich nicht veranlasst gesehen, diese Argumentationslinie im schriftlichen Verfahren vorzubringen. Einerseits sei die Eingabe der Beschwerdeführerin vom 10. August 2015 nicht auf diesen Hilfsantrag eingegangen. Andererseits werde kein neuer Gegenstand geschaffen, da keine neuen Tatsachen oder Beweismittel eingeführt würden, sondern lediglich eine Würdigung der in (11A) dokumentierten Vergleichsversuche im Lichte der Erwägung gemäß Punkt 7.5 der aufgehobenen Entscheidung vom 5. März 2013 vorgenommen würde. Dieser Aspekt könne ohne weiteres während der mündlichen Verhandlung diskutiert werden.

XV. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des mit Schreiben vom 10. August 2015 eingereichten Hauptantrags, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 und 2, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2013, oder auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 3 und 4, eingereicht als Hilfsanträge 2 und 3 mit Schreiben vom 22. Juni 2012, oder auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 5 und 6, eingereicht als Hilfsanträge 4 und 5 mit Schreiben vom 4. Dezember 2012.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

XVI. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 21. September 2015 verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Umfang des wiederaufgenommenen Beschwerdeverfahrens

2.1 Vorliegend warf der Antrag der Beschwerdegegnerin, die von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 10. August 2015 vorgelegten Vergleichsversuche im wiedereröffneten Verfahren nicht zu berücksichtigen (siehe unten unter Punkt 3), die Frage auf, was der Gegenstand des wiedereröffneten Verfahrens sei. Weder Artikel 112a (5) EPÜ, noch die parallele Regel 108 (3) EPÜ geben hierüber Aufschluss. Wie die Beschwerdegegnerin ausführte, ließen sich zwei gegensätzliche Positionen vertreten: Entweder ist infolge der Aufhebung der fehlerbehafteten Entscheidung das Beschwerdeverfahren insgesamt zu wiederholen. Dann sollte es beiden Parteien gleichermaßen möglich sein, ihren Sachvortrag durch neues Vorbringen zu ergänzen. Oder das wiederaufgenommene Beschwerdeverfahren ist darauf beschränkt, den festgestellten, schwerwiegenden Mangel auszuräumen. Das Beschwerdeverfahren müsste in diesem zweiten Fall in dem Umfang wiederholt werden, wie es vom Mangel kausal für die getroffene Entscheidung behaftet ist. Der Verfahrensgegenstand richtet sich mithin nach dem gerügten und festgestellten schwerwiegenden Mangel.

2.2 Die Entscheidung R 16/13 äußert sich nicht zu dieser Frage, sondern beschränkt sich auf eine Feststellung des schwerwiegenden Verfahrensmangels. In der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 21. September 2015 hat die Kammer indes auf die Entscheidung R 21/11 vom 5. Juni 2012, Punkt 30 der Entscheidungsgründe, hingewiesen. Dort heißt es wie folgt (Hervorhebung durch die Kammer):

"...Im Rahmen des Antrags auf Aufrechterhaltung des Streitpatents vor der Kammer ist einzig und allein darüber zu entscheiden, ob das zusätzliche Beweismittel einen Unterschied macht. Eine Ersetzung der früheren Mitglieder würde bedeuten, dass eine Beschwerdekammer in neuer Besetzung das gesamte Beschwerdeverfahren mit dem zugehörigen Kosten- und Zeitaufwand erneut durchführen müsste, um zu einer abschließenden Entscheidung zu gelangen, was unter den vorliegenden Umständen unnötig und unverhältnismäßig wäre. Während es Sache der Beschwerdekammer ist, zu bestimmen, wie sie mit dem wiedereröffneten Verfahren verfährt, scheint es keinen Grund zu geben, warum sie den Fall nicht zügig wird entscheiden können. Dies liegt im Interesse der Öffentlichkeit und der Parteien, im Falle der Antragstellerin nicht zuletzt aufgrund der Bestimmungen des Artikels 112a (6) EPÜ."

Die Großen Beschwerdekammer gab damit zu erkennen, dass die Wiedereröffnung des Beschwerdeverfahrens nicht erfordert, dass den Parteien erneut die Möglichkeit zur Äußerung zum gesamten Streitstoff gegeben wird, sondern darauf abzielt, den festgestellten schwerwiegenden Verfahrensmangel auszuräumen. Dies begründete die Große Beschwerdekammer mit dem Interesse der Allgemeinheit an einer zügigen Durchführung des wiedereröffneten Verfahrens zur Erlangung von Rechtssicherheit. Nur die Ersetzung eines oder mehrerer, an der aufgehobenen Entscheidung beteiligter Mitglieder der Kammer erfordert nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer die erneute Durchführung des gesamten Beschwerdeverfahrens. Dementsprechend ist auch das vorliegende, wiederaufgenommene Beschwerdeverfahren auf die Behebung des in der Überprüfungsentscheidung festgestellten Mangels zu beschränken.

2.3 Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die Bedeutung für die Frage der Zulassung geänderten Vorbringens ist vorweg festzustellen, worin der schwerwiegende Verfahrensfehler besteht, der den Rahmen für das wiedereröffnete Verfahren vorgibt. Wie die Kammer bereits in ihrem Ladungsbescheid festgestellt hat, entschied die Große Beschwerdekammer, dass die Patentinhaberin nicht die Möglichkeit gehabt habe, die Auffassung der Kammer, in (11A) seien die Parameter des mit dem Stand der Technik verglichenen, erfindungsgemäßen Mikronisats nicht vollständig angegeben bzw. die drei letzten in Anspruch 1 aufgelisteten Parameter fehlten vollständig (siehe Punkt 4.5.1 der aufgehobenen Entscheidung vom 5. März 2013), zu erkennen und sich dazu zu äußern (R 16/13, Punkte 2.2, 5.3 und insbesondere 5.4 der Entscheidungsgründe). Die Große Beschwerdekammer folgte damit dem Vortrag der Beschwerdeführerin, die Kammer habe bei der Würdigung der Vergleichsversuche in (11A) außer Acht gelassen, dass die in (11A) untersuchten Proben 1-3 als Proben des erfindungsgemäßen Tiotropiumbromidmikronisats zu identifizieren gewesen seien, womit die anspruchsgemäßen Parameter implizit in (11A) offenbart gewesen seien. Die Kammer habe ihre Bedenken zu den fraglichen Parametern nicht geäußert und nicht zu erkennen gegeben, dass es ihr auf eine explizite Offenbarung dieser Werte ankomme. Deshalb habe die Beschwerdeführerin keine Gelegenheit erhalten, sich zu diesem Punkt zu äußern und die Bedenken der Kammer zu zerstreuen (siehe R 16/13, Punkt II.2.1 und II.2.3 des Sachverhalts sowie Punkte 2.2, 5.3 und 5.4 der Entscheidungsgründe).

2.4 Daher ist Gegenstand des wiederaufgenommenen Beschwerdeverfahrens,

- den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, ob die in (11A) untersuchten Proben 1-3 des erfindungsgemäßen Tiotropiumbromidmikronisats die anspruchsgemäßen Parameter aufweisen, und

- diese Stellungnahmen bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen.

3. Zulassung der von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 10. August 2015 eingereichten Vergleichsversuche

3.1 Die Beschwerdeführerin erachtete die Einreichung dieser Vergleichsversuche als notwendigen Bestandteil der ihr gemäß Entscheidung R 16/13 zuzugestehenden Möglichkeit zur Stellungnahme (siehe oben unter Punkt 2.3). Sie verwies zudem auf die Entscheidung T 1110/03 (ABl. EPA 5/2005, 302), die in Punkt 2.4 der Entscheidungsgründe feststellt, dass "das Recht, - insbesondere durch die Vorlegung von Urkunden - geeignete Beweise zu erbringen (Artikel 117 (1) c) EPÜ)", wie das rechtliche Gehör, zu den grundlegenden verfahrensrechtlichen Ansprüchen zähle.

3.2 Die Kammer stimmt mit der Entscheidung T 1110/03 überein, dass das Recht auf Beweis als Korrelat zum Äußerungsrecht als grundlegendes Verfahrensrecht anerkannt ist. Allerdings stellt sich in Bezug auf die Zulassung der mit Schreiben vom 10. August 2015 eingereichten Vergleichsversuche der Beschwerdeführerin vorliegend die Frage, ob diese nur ihre Entgegnung zum Einwand der Kammer stützen, zu dem sich die Beschwerdeführerin gemäß der Entscheidung R 16/13 äußern können soll, oder ob sie darüber hinaus gehen und so den Gegenstand des wiedereröffneten Verfahrens, wie er durch den Antrag auf Überprüfung und die gestützt darauf ergangene Entscheidung R 16/13 vorgegeben ist, erweitert.

Die Beschwerdegegnerin hat in dieser Hinsicht zutreffend ausgeführt, dass sich die Beschwerdeführerin schon im Rahmen des Überprüfungsverfahrens zur Sache geäußert habe, nämlich dahingehend, dass die Proben 1-3 in (11A) als erfindungsgemäßes Mikronisat des Tiotropiumbromids identifiziert und die anspruchsgemäßen Parameter somit implizit offenbart gewesen seien. Weitere Daten neben denen der Dokumente (11A) und (21) seien nicht erforderlich.

Die mit Schreiben vom 10. August 2015 vorgelegten Daten beschränken sich in der Tat nicht darauf, mangels Verfügbarkeit der ursprünglichen Versuchsprotokolle zu (11A) den Sachverhalt, dass die Proben 1-3 in (11A) die anspruchsgemäßen Parameter aufweisen, mit neuen Daten zu stützen. Sie gehen vielmehr darüber hinaus, indem es nicht mehr bloß um die Charakterisierung des erfindungsgemäßen Tiotropiumbromid-Monohydrats hinsichtlich der anspruchsgemäßen Parameter geht, sondern um zusätzliche Vergleichsversuche zur Stützung eines technischen Effekts gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik. Die mit Schreiben vom 10. August 2015 vorgelegten Daten gehen daher entgegen der Beschwerdeführerin nicht ausschließlich auf die Sachfrage ein, zu der sich die Beschwerdeführerin gemäß Entscheidung R 16/13 äußern können muss; sie verlagern damit den Gegenstand des wiedereröffneten Verfahrens in tatsächlicher Hinsicht in einem sehr späten Verfahrensabschnitt.

3.3 Aus den obenstehenden Erwägungen ließ die Kammer die von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 10. August 2015 eingereichten Vergleichsversuche nicht in das Verfahren zu.

4. Zulassung der neuen Argumentationslinie der Beschwerdegegnerin zum Hilfsantrag 2

Den gegen den Hilfsantrag 2 gerichteten Einwand, die Versuche (11A) könnten die erfinderische Tätigkeit der Verfahrensansprüche des Hilfsantrags 2 nicht stützen, da in (11A) keine Konditionierung des Mikronisats vorgenommen worden sei, trug die Beschwerdegegnerin erstmals während der mündlichen Verhandlung vom 21. September 2015 vor der Kammer vor.

Auch dieses Vorbringen geht über den Rahmen des wiederaufgenommenen Beschwerdeverfahrens hinaus, wie er oben unter den Punkten 2.3 und 2.4 definiert ist.

Ferner hätte die Zulassung dieses Vorbringens eine wesentliche Verzögerung des Verfahrens, wenn nicht gar eine Verlegung der mündlichen Verhandlung zur Folge gehabt. Deshalb war die Kammer auch gemäß Artikel 13 (1) bzw. (3) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK, siehe ABl. EPA 2007, 536) berechtigt, das Vorbringen nicht zuzulassen.

Dokument (11A) wurde bereits im Einspruchsverfahren als Anlage des Schreibens vom 2. November 2009 von der Patentinhaberin eingereicht. Der einzige unabhängige Anspruch des Hilfsantrags 2 ist identisch mit Anspruch 1 des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrags. Die Beschwerdegegnerin hätte folglich diese Argumentationslinie wesentlich früher vorbringen können, beispielsweise in ihrer Antwort auf die Beschwerdebegründung.

Aus diesen Erwägungen ließ die Kammer die neue Argumentationslinie der Beschwerdegegnerin zum Hilfsantrag 2 nicht in das Verfahren zu.

5. Zulassung der Versuchsberichte (12), (21) und (26)

5.1 Versuchsbericht (12)

Im vorliegenden Fall wurde von der Einspruchsabteilung gemäß Artikel 114(2) EPÜ der Versuchsbericht (12) als verspätet vorgebrachtes Beweismittel bewertet und nicht in das Einspruchsverfahren zugelassen.

Gemäß Artikel 12(4) der VOBK hat die Kammer die Befugnis, Beweismittel nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren nicht zugelassen worden sind. Im Rahmen einer solchen Entscheidung sollte sich eine Beschwerdekammer nur dann über die Art und Weise, in der die erste Instanz ihr Ermessen ausgeübt hat, hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die erste Instanz ihr Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher Weise ausgeübt hat (siehe T 640/91, ABl. EPA 1994, 918, Punkt 6.3 der Entscheidungsgründe).

In der angefochtenen Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde hervorgehoben, dass kein triftiger Grund für das späte Einreichen vorlag, und dass die Patentinhaberin der Möglichkeit beraubt wurde, die Ergebnisse zu diskutieren oder zu überprüfen (vgl. Seite 3, Punkt 2). Laut Protokoll über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung hatte die Einsprechende auch Gelegenheit ihre Auffassung zu der Relevanz des Versuchsberichts vorzutragen (Seite 1, Absätze 5 und 6).

Somit hat die Einspruchsabteilung die Kriterien der Relevanz und der Zumutbarkeit für die andere Partei auf das verspätet eingereichte Dokument angewandt, wie sie die Prüfungsrichtlinien vorschlagen (siehe die Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt, E-III 8.5 in der Fassung vom Dezember 2007).

Folglich hat die Einspruchsabteilung ihr Ermessen ausreichend begründet und die richtigen Kriterien angewandt.

Das weitere Argument der Beschwerdegegnerin, dass das Dokument (12) als eine angemessene Reaktion auf die Beschwerdebegründung angesehen werden soll, kann die Kammer nicht überzeugen. In der Beschwerdebegründung wurde bestritten, dass das Dokument (2) den nächstliegenden Stand der Technik darstelle. Die Kammer kann nicht erkennen, dass das Dokument (12) zur Klärung dieser Frage beiträgt. Das erneute Einführen von Dokument (12) kann daher nicht als angemessene Reaktion auf die Beschwerdebegründung betrachtet werden.

Folglich hat die Kammer entschieden, das Dokument (12) nicht in das Verfahren zuzulassen.

5.2 Versuchsbericht (21)

Die Beschwerdeführerin hat in dem Versuchsbericht (21) weitere Daten bereitgestellt, mit der Absicht, die bereits im Dokument (11A) gezogenen Schlussfolgerungen weiter zu untermauern. Dadurch ist keine wesentlich neue, für die Beschwerdegegnerin überraschende Sachlage entstanden. Es trifft auch nicht zu, dass im Dokument (21) die Angaben zu den Mikronisierungsbedingungen unvollständig sind (siehe Verweis in dem ersten Satz auf das Streitpatent; siehe auch die Absätze [0045] und [0046] des Streitpatents). Außerdem wurde das Dokument (21) bereits am 22 Juni 2012 eingereicht, d.h. bevor eine erste mündliche Verhandlung vor der Kammer anberaumt wurde und über acht Monate bevor sie stattfand. Die Beschwerdegegnerin hatte daher ausreichend Zeit, sich mit dem Bericht auseinander- zusetzen (vgl. auch das Gutachten (27), Absätze (11) bis (14), in dem zum Dokument (21) Stellung genommen wurde).

Unter diesen Umständen entschied die Kammer gemäß Artikel 13 VOBK, den Versuchsbericht (21) in das Verfahren zuzulassen.

5.3 Versuchsbericht (26)

Der Versuchsbericht (26) wurde von der Beschwerdeführerin am 4. Dezember 2012 eingereicht, d.h. nach Anberaumung der auf den 5. März 2013 angesetzten ersten mündlichen Verhandlung vor der Kammer. Die Beschwerdeführerin berief sich darauf, dass das Dokument (26) als Reaktion auf den Bescheid der Kammer vom 11. September 2012 zu sehen sei. Dazu ist festzustellen, dass in diesem Bescheid die Dokumente (24) und (25) lediglich als Bestätigung dafür zitiert worden sind, dass Mikronisate, wie sie im Dokument (11A) als Vergleichssubstanz gewählt wurden, zum vorliegenden Prioritätszeitpunkt bekannt waren. Daher konnte der Bescheid der Kammer kein Anlass zur späten Einreichung weiterer Versuche geben.

Darüber hinaus hätte die Zulassung dieser spät eingereichten neuen Beweismittel zur Folge gehabt, dass die Beschwerdegegnerin, besonders unter Berücksichtigung der arbeitsfreien Weihnachtszeit, nicht ausreichend Zeit gehabt hätte, beispielweise mit Gegenversuchen angemessen zu antworten. In diesem Kontext kann das Gutachten (27) (vgl. dessen Absatz (16)) nur als erster Versuch gewertet werden, auf das Dokument (26) zu reagieren.

Die Kammer machte daher von ihrem Ermessen gemäß Artikel 13 VOBK Gebrauch und lehnte die Zulassung des Dokuments (26) in das Verfahren ab.

6. Zulassung der Hilfsanträge 1 und 2

Die Hilfsanträge 1 und 2 wurden in der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2013 vor der Kammer eingereicht. Allerdings waren sie als Reaktion auf die Entwicklung des Verfahrens zu werten. So wurde erstmals in der mündlichen Verhandlung die erfinderische Tätigkeit ausgehend von Dokument (25) als nächstliegendem Stand der Technik in Frage gestellt. Die neu eingereichten Hilfsanträge sind als ein Versuch der Beschwerdeführerin zu sehen, diesen Einwänden zu begegnen.

Bei der Änderung im Hilfsantrag 1 handelt es sich um eine einfache Einschränkung des Wassergehalts im Anspruch 1, wodurch keine wesentlich neue, für die Beschwerdegegnerin überraschende Sachlage entstanden ist. Im geänderten Hilfsantrag 2 sind im Vergleich zu dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrag lediglich Ansprüche gestrichen worden. Da das nun beanspruchte Verfahren im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit ausführlich diskutiert worden ist, wurden auch hier keine neuen Fragen aufgeworfen, deren Behandlung der Beschwerdegegnerin nicht zuzumuten wäre.

Aus diesen Gründen wurden die Hilfsanträge 1 und 2 gemäß Artikel 13 VOBK in das Verfahren zugelassen.

Anspruch 1 des Hauptantrags

7. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 52(1) und 56 EPÜ)

7.1 Anspruch 1 des Hauptantrags betrifft ein kristallines Mikronisat von Tiotropiumbromid (vgl. obigen Punkt XIIa in Verbindung mit Punkt VIII). Dieses Mikronisat wird in Inhalationspulvern als Anticholinergikum bei der Therapie von Asthma und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) eingesetzt (vgl. z.B. Ansprüche 12 bis 25 des Hauptantrags).

7.2 Während die Beschwerdeführerin Dokument (24) oder alternativ Dokument (25) als nächstliegend angesehen hat, war die Beschwerdegegnerin der Meinung, dass Dokument (2) als nächstliegend betrachtet werden sollte.

7.2.1 Das im Absatz [0007] des Streitpatents zitierte Dokument (24), betrifft Thienylcarbonsäureester der allgemeinen Formel (I) (siehe Anspruch 1). Auf Seite 4, Zeilen 37 bis 54, wird die anticholinerge Wirksamkeit der Verbindungen sowie deren Verarbeitung mit bekannten Hilfs- und/oder Trägerstoffen zu gebräuchlichen galenischen Zubereitungen, wie zum Beispiel Inhalationspulvern, offenbart. Im Beispiel 4 wird die Herstellung von Tiotropiumbromid offenbart, wobei ein kristallines Produkt unter wasserfreien Bedingungen erhalten wird (siehe Seite 11, Zeile 57, bis Seite 12, Zeile 31).

7.2.2 Das Dokument (2) befasst sich mit pharmazeutischen Zusammensetzungen, die ein langwirksames Anticholinergikum und ein langwirksames beta-Mimetikum enthalten, und mit deren Verwendung in der Therapie von Atemwegserkrankungen (siehe Ansprüche 1, 14 und 15; Seite 1, Zeilen 6 bis 9). Als langwirksame Anticholinergika eignen sich grundsätzlich bereits aus dem Dokument (24) bekannte Verbindungen (siehe Anspruch 2; Seite 3, Zeilen 33 bis 37), wobei Tiotropiumbromid besonders bevorzugt wird (siehe Ansprüche 6, 10 und 11).

Die erfindungsgemäßen Wirkstoffkompositionen werden vorzugsweise in Form eines Dosierungsaerosols verabreicht (Seite 8, Zeile 24 bis Seite 10, Zeile 4), können aber auch in Form eines Pulvers inhaliert werden (Seite 10, Zeilen 6 bis 16). Für letztere Darreichungsform wird die folgende spezifische Zusammensetzung offenbart (siehe auch das Familienmitglied in deutscher Sprache, Dokument (1)):

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Die Argumente der Beschwerdegegnerin zum Offenbarungsgehalt von Dokument (2) können aus folgenden Gründen nicht überzeugen:

So kann sich die Kammer dem Argument der Beschwerdegegnerin, wonach im Dokument (2) das Tiotropiumbromid-Monohydrat eindeutig offenbart sei, nicht anschließen.

Der angeführte Absatz auf der Seite 7, Zeilen 23 bis 26, lautet wie folgt (Hervorhebung hinzugefügt):

"It is especially preferred that tiotropium salt - especially tiotropium bromide [(1alpha,2beta,4beta,5alpha,7beta)-7-[(hydroxy-2-thienylacetyl)oxy]-9,9-dimethyl-3-oxa-9- azoniatricyclo[3.3.1.0**(2,4))]nonane bromide monohydrate - abbreviated to tiotropium BR] - is used as an anticholinergic."

Es ist unbestritten, dass zum Prioritätszeitpunkt des Dokuments (2) der Begriff "Tiotropiumbromid" als Internationaler Freiname (INN, Abkürzung vom englischen International Nonproprietary Name) eine eindeutige Bezeichnung für eine bestimmte chemische Struktur darstellte, nämlich, für (1alpha,2beta,4beta,5alpha,7beta)-7-[(Hydroxy-di-2-thienylacetyl)oxy]-9,9-dimethyl-3-oxa-9- azoniatricyclo[3.3.1.0**(2,4))]nonanbromid (vgl. die Dokumente (22) und (23)). Es ist anzunehmen, dass in dem oben zitierten Absatz die Angaben in den äußeren eckigen Klammern als nähere Erklärung für den unmittelbar davor stehenden Begriff "Tiotropiumbromid" gedacht sind. Der Fachmann würde jedoch sofort erkennen, dass der in den eckigen Klammern angegebene Name nicht Tiotropiumbromid entspricht, nicht nur wegen dem Fehlen der Silbe "di", sondern auch wegen der Bezeichnung als "Monohydrat", der nur innerhalb der Klammern zu finden ist. Deshalb wäre, entgegen den Ausführungen der Beschwerdegegnerin, durch das Einfügen von "di" vor "2-thienyl" die Unstimmigkeit nicht beseitigt. Darüber hinaus müsste "Monohydrat" entweder in den Klammern gestrichen oder vor den Klammern eingefügt werden. Daher kann nicht von einer eindeutigen und unmittelbaren Offenbarung des Tiotropiumbromid-Monohydrats ausgegangen werden.

Des weiteren offenbart die Passage auf der Seite 10, Zeilen 5 bis 16, des Dokuments (2) nicht implizit ein mikronisiertes, kristallines Tiotropiumbromidhydrat. Zum einen wird nicht spezifiziert, ob die Komponenten der offenbarten Zusammensetzung erst jeweils mikronisiert und dann vermischt werden, oder umgekehrt. Daher kann ein Mikronisat des Tiotropiumbromid-Bestandteils nicht implizit offenbart sein. Zum anderen bedeutet der Begriff "Hydrat" im breitesten Sinn erstmals lediglich, dass die entsprechende Verbindung Wasser enthält. In dem von der Beschwerdegegnerin zitierten Dokument (14) wird dieser Begriff in einem bestimmten Zusammenhang verwendet, um kristalline Wirkstoffe, die Kristallwasser enthalten, zu bezeichnen; eine allgemeine Definition für "Hydrat" wird darin nicht angegeben (vgl. Seite 946, zweiter vollständiger Absatz). Auch gibt das im Dokument (2) zitierte Dokument (24) keinen weiteren Aufschluss über die genaue Struktur des offenbarten Tiotropiumbromid-hydrats, da darin keine entsprechende Herstellung offenbart wird. Die Kammer kann daher der Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass das offenbarte Hydrat zwangsläufig kristallin sein muss, nicht zustimmen.

Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass Dokument (2) kein Mikronisat von kristallinem Tiotropiumbromid oder dessen Hydraten unmittelbar und eindeutig offenbart, sei es explizit oder implizit.

7.2.3 Dokument (25) betrifft Kombinationen aus Formoterol und einem Tiotropiumsalz und deren Verwendung für die Behandlung entzündlicher oder obstruktiver Atemwegserkrankungen (siehe Seite 1, erster Absatz und Anspruch 1). Gemäß Seite 3, Zeilen 1 bis 4, ist Tiotropiumbromid als Tiotropiumsalz bevorzugt. Bezüglich dessen Herstellung wird auf "US5610163" verwiesen (ein Familienmitglied von Dokument (24); vgl. obigen Punkt 7.2.1). Aus diesem Verweis geht hervor, dass das verwendete Tiotropiumbromid kristallin ist. Gemäß einer Ausführungsform werden die Zusammensetzungen in inhalierbarer Form als Trockenpulver verabreicht (siehe Seite 4). In den entsprechenden Beispielen 3 und 93 werden Formoterolfumaratdihydrat und Tiotropiumbromid jeweils in einer Luftstrahlmühle auf einen mittleren Teilchendurchmesser von 1 bis 5 mym vermahlen und dann mit Lactosemonohydrat vermischt.

7.2.4 Aus den obigen Ausführungen unter den Punkten 7.2.1 bis 7.2.3 geht hervor, dass Dokument (25) als einziges der zur Auswahl stehenden Dokumente ein kristallines Mikronisat von Tiotropiumbromid offenbart. Demzufolge kommt die Kammer zu dem Schluss, dass Dokument (25) den nächstliegenden Stand der Technik darstellt.

7.3 Ausgehend von diesem Stand der Technik soll laut Vortrag der Beschwerdeführerin die zu lösende Aufgabe darin gesehen werden, eine für die Inhalation geeignete, mikronisierte Form von Tiotropiumbromid mit einer verbesserten Lagerstabilität bereitzustellen.

7.4 Zur Lösung dieser Aufgabe wird gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags das Mikronisat vorgeschlagen, welches durch folgende Parameter gekennzeichnet ist:

i) eine Partikelgröße X50 von zwischen 1,0 mym und 3,5 mym bei einem Wert Q(5,8) von größer 60%;

ii) einen spezifischen Oberflächenwert im Bereich zwischen 2 m**(2)/g und 5 m**(2)/g;

iii) eine spezifische Lösungswärme von größer 65 Ws/g; und

iv) einen Wassergehalt von 1,4% bis 4,2%.

Der Kennwert X50 bezeichnet den Medianwert der Teilchengröße, unterhalb derer 50% der Teilchenmenge bezüglich der Volumenverteilung der einzelnen Teilchen liegt, und Q(5,8) die Teilchenmenge der Partikel, die bezogen auf die Volumenverteilung der Partikel unterhalb von 5,8 mym liegt (siehe Streitpatent, Absatz [0011]).

7.5 Zunächst ist zu beurteilen, ob die unter Punkt 7.3 definierte Aufgabe durch den beanspruchten Gegenstand glaubhaft gelöst wird. Diesbezüglich hat sich die Beschwerdeführerin auf die in den Dokumenten (11A) und (21) vorgelegten Versuche gestützt.

7.5.1 Im Dokument (11A) wurde das in den Absätzen [0035] bis [0044] des Streitpatents offenbarte Monohydrat und das nach dem bekannten Verfahren gemäß Dokument (24) (im Dokument (11A) als D1 bezeichnet) hergestellte Tiotropiumbromid unter identischen Versuchsbedingungen mittels einer Luftstrahlmühle mikronisiert. Die Kammer möchte an dieser Stelle anmerken, dass auch das Dokument (25) die Mikronisierung eines gemäß dem Dokument (24) hergestellten Tiotropiumbromids in einer Luftstrahlmühle offenbart (vgl. obigen Punkt 7.2.3). Die gemahlenen Proben wurden hinsichtlich ihrer Teilchengröße mit folgenden Ergebnissen analysiert:

Tabelle 1 (Ausgangsstoff gemäß Streitpatent):

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Tabelle 2 (Ausgangsstoff gemäß Dokument (24)):

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Die Proben wurden dann für einen Zeitraum von drei Tagen bei einer Temperatur von 40ºC einer relativen Luftfeuchtigkeit von 75% ausgesetzt. Anschließend wurde die Analyse der Teilchengröße mit folgenden Ergebnissen erneut durchgeführt:

Tabelle 3 (Ausgangsstoff gemäß Streitpatent):

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Tabelle 4 (Ausgangsstoff gemäß Dokument (24)):

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Diese Ergebnisse zeigen, dass während der feuchten Lagerung die Abnahme des Feinanteils bei dem Mikronisat, welches aus kristallinem Tiotropiumbromid-Monohydrat erhalten wurde, geringer ist als bei dem Vergleichsprodukt gemäß dem Stand der Technik.

Jedoch ist im vorliegenden Anspruch 1 das Mikronisat nicht mit Hinweis auf einen bestimmten Ausgangsstoff mit einem bestimmten Wassergehalt definiert, sondern durch die unter dem obigen Punkt 7.4 aufgeführten Parameter. Im Dokument (11A) wurden jedoch - wie oben erwähnt - das erfindungsgemäße Tiotropiumbromid-Monohydrat als spezifische Kristallmodifikation mit der nach dem bekannten Verfahren gemäß Dokument (24) hergestellte kristalline Modifikation des Tiotropiumbromids verglichen (Dokument (11A), Seite 3, dritter Absatz), wobei die anspruchsgemäßen Parameter nicht vollständig angegeben wurden. Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin unterscheiden sich die verglichenen Mikronisate im Wassergehalt (Parameter (iv)), nicht jedoch in den anderen Parameterwerten (i) bis (iii). Dies kann dahingestellt bleiben. Wie die Beschwerdegegnerin nämlich bemerkte, betont Dokument (11A) die Wichtigkeit der speziellen Kristallmodifikation des erfindungsgemäßen Mikronisats. So wird bereits in der Einleitung folgendes festgestellt (siehe Seite 1, letzter Absatz):

"Aufgrund der beim Mahlvorgang (Mikronisierungsvorgang) wirkenden starken Kräfte auf den Arzneimittelwirkstoff ist es einerseits erforderlich, das der Wirkstoff als solcher durch eine ausreichend hohe Stabilität gekennzeichnet ist. Darüber hinaus sind allerdings auch die Feststoffeigenschaften des Wirkstoffs von hoher Bedeutung. Unterschiedliche Kristallmodifikationen ein und desselben Wirkstoffs weisen beim Mahlvorgang häufig unterschiedliche Eigenschaften auf. Wesentlich für die Anwendbarkeit als Arzneimittel (insbesondere als inhalativ zu applizierendes Arzneimittel) ist die Stabilität der Kristallmodifikation während und nach dem Mikronisierungsprozess. Veränderungen der Kristallstruktur oder unkontrolliertes Partikelwachstum führen u.U. zu einer mangelnden Reproduzierbarkeit der ausgebrachten, inhalierbaren Dosis des Wirkstoffs und sind mithin für die Verwendung als inhalativ zu applizierendes Arzneimittel ungeeignet."

Des Weiteren wird im zweiten Absatz auf der Seite 2 mit Verweis auf die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ausgeführt (siehe auch Dokument (11A), Seite 6, vierter Absatz):

"Als besonders vorteilhaft zur Darstellung der erfindungsgemäßen Mikronisate des Tiotropiumbromids hat sich allerdings nicht die in der D1 offenbarte Modifikation des Tiotropiumbromids, sondern das kristalline Monohydrat des Tiotropiumbromids, welches unter spezifischen Reaktionsbedingungen erhalten werden kann, erwiesen (Beschreibung S. 2, Zeilen 31-35). Diese spezielle Kristallmodifikation des Tiotropiumbromids wird detailliert im Rahmen der vorliegenden Erfindung beschrieben (vgl. Beschreibung S. 10, experimenteller Teil, Paragraph A).".

Diese Passagen machen deutlich, dass auch nach Auffassung der Verfasser von (11A) nicht notwendigerweise die im Anspruch 1 des Hauptantrags aufgeführten Parameter allein, sondern auch oder sogar primär die "spezielle Kristallmodifikation", die in Anspruch 1 als Merkmal nicht zum Ausdruck kommt, zum dokumentierten Effekt beiträgt.

Folglich sind diese Vergleichsversuche nicht geeignet, um glaubhaft zu belegen, dass die geltend gemachte verbesserte Lagerstabilität ursächlich mit den anspruchsgemäßen Parameterwerten verknüpft ist.

7.5.2 Im Versuchsbericht (21) werden weitere Messungen an Mikronisaten des Tiotropiumbromid-Monohydrats vor und nach einem Konditionierungsschritt vorgestellt. Allerdings enthält dieses Dokument keine Vergleichsversuche gegenüber Dokument (25) als dem nächstliegenden Stand der Technik.

7.5.3 Zusammenfassend wird daher festgestellt, dass auf Basis der obengenanten Daten nicht beurteilt werden kann, ob gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik die unter Punkt 7.3 genannte Aufgabe durch den beanspruchten Gegenstand tatsächlich gelöst wird.

7.6 Folglich kann die zu lösende Aufgabe nur darin gesehen werden, ein weiteres Mikronisat von Tiotropiumbromid bereitzustellen.

7.7 Es bleibt nun zu untersuchen, ob die beanspruchte Lösung dieser umformulierten Aufgabe auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

Wie bereits unter obigen Punkt 7.2.3 ausgeführt, wird in den Beispielen 3 und 93 des Dokuments (25) kristallines Tiotropiumbromid in einer Luftstrahlmühle auf einen mittleren Teilchendurchmesser von 1 bis 5 mym vermahlen. In der Beschreibung wird auch allgemein offenbart, dass bei einem für die Inhalation geeigneten Pulver ein mittlerer Teilchendurchmesser von 1 bis 5 mym bevorzugt einzustellen ist und dass die gewünschte Teilchengröße durch herkömmliche Verfahren eingestellt werden kann, wie beispielsweise durch Mahlen in einer Luftstrahlmühle (vgl. Seite 4, zweiter vollständiger Absatz).

Die im Anspruch 1 des Hauptantrags angegebenen Parameter zur Partikelgröße bewegen sich somit innerhalb des in dem Dokument (25) vorgeschlagenen Bereichs. Da die Vergleichsversuche im vorliegenden Fall nicht geeignet sind, um glaubhaft zu belegen, dass die geltend gemachte verbesserte Lagerstabilität ursächlich mit den anspruchsgemäßen Parameterwerten verknüpft ist (vgl. obigen Punkt 7.5), werden die im Anspruch 1 angegebenen Bereiche als rein willkürlich angesehen. So kann der Fachmann, um zu der beanspruchten Lösung zu gelangen, im Rahmen der Lehre des Dokuments (25) ausgehend von der bekannten kristallinen Form des Tiotropiumbromids die Mikronisierungsbedingungen durch routinenmäßige Versuche ändern und die erfindungsgemäßen Parameter einstellen, ohne dass es eines erfinderischen Zutuns bedarf.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann deshalb die Bereitstellung des im Anspruch 1 des Hauptantrags definierten Mikronisats an sich keine erfinderische Tätigkeit begründen.

7.8 Folglich beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Hauptantrag ist daher nicht gewährbar.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1

8. Erfinderische Tätigkeit

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass der Wassergehalt auf "von 2.4% bis 4,1%" eingeschränkt wurde.

Wie unter obigen Punkt 7.5 dargelegt, sind die in den Dokumenten (11A) und (21) vorgelegten Versuche nicht dazu geeignet zu zeigen, dass der Wassergehalt in Kombination mit den restlichen festgelegten Parametern, unabhängig von der Kristallstruktur des Ausgangsstoffs und der Quelle des Wassers, zu einem vorteilhaften Effekt führt. Die Einschränkung des Wassergehalts im Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 ändert daran nichts. Somit ist auch hier die objektive Aufgabe wie oben unter Punkt 7.6 zu formulieren.

Die Tatsache, dass gemäß Dokument (25) der Ausgangsstoff unter wasserfreien Bedingungen hergestellt wird, bedeutet nicht, dass auch die Weiterverarbeitung unter Feuchtigkeitsausschluss erfolgt. Daher muss der nun beanspruchte Wassergehalt lediglich als ein weiterer willkürlicher Bereich gelten, der durch routinemäßige Versuche eingestellt werden kann.

Demgemäß kann der im Anspruch 1 eingeschränkte Bereich keine erfinderische Tätigkeit begründen, und die Ausführungen zum Hauptantrag gelten mutatis mutandis auch für den Hilfsantrag 1. Der Hilfsantrag 1 ist folglich ebenfalls nicht gewährbar.

Hilfsantrag 2

9. Änderungen (Artikel 123 EPÜ)

Die Zulässigkeit der Änderungen wurde von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten. Da die Kammer diesbezüglich auch keinen Einwand erkennen kann, erübrigen sich weitere Ausführungen hierzu.

10. Erfinderische Tätigkeit

10.1 Der Hilfsantrag 2 unterscheidet sich vom Hauptantrag dadurch, dass er nur noch Verfahrensansprüche enthält (vgl. obiger Punkt XIIc)). Der Anspruch 1 betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines kristallinen Mikronisats von Tiotropiumbromid, bei dem eine bestimmte Kristallmodifikation von Tiotropiumbromid-Monohydrat mikronisiert und anschließend Wasserdampf ausgesetzt wird (Konditionierungsschritt).

10.2 Aus den oben unter Punkt 7.2 abgehandelten Gründen ist auch hier Dokument (25) als nächstliegender Stand der Technik anzusehen.

10.3 Gemäß den Ausführungen der Beschwerdeführerin liegt diesem Antrag die Aufgabe zugrunde, ein Mikronisierungsverfahren bereitzustellen, das ein lagerstabileres Tiotropiumbromidmikronisat liefert.

10.4 Zur Lösung dieser Aufgabe wird das im Anspruch 1 beanspruchte Verfahren vorgeschlagen, welches durch die Wahl des kristallinen Tiotropiumbromid-Monohydrats als Ausgangsstoff und durch den Konditionierungsschritt gekennzeichnet ist.

10.5 Angesichts der in dem Dokument (11A) vorgelegten Vergleichsversuche, die bereits ausführlich oben in Punkt 7.5.1 abgehandelt worden sind, ist die Kammer überzeugt, dass die genannte Aufgabe durch das nun beanspruchte Verfahren tatsächlich gelöst wird.

Die Beschwerdegegnerin hat mit analogen Ausführungen wie für den Hauptantrag bestritten, dass das Dokument (11A) den behaupteten Vorteil glaubhaft machen würde. Dieses Argument kann allerdings nicht überzeugen. Im Verfahrensanspruch 1 wird eine bestimmte Kristall-modifikation von Tiotropiumbromid-Monohydrat als Ausgangsstoff definiert, die einer Mikronisierung und Konditionierung unter spezifischen Bedingungen ausgesetzt wird. Diese Merkmale wirken auch zwangsläufig einschränkend auf das resultierende Produkt. Deshalb können die Argumente, die für den Hauptantrag vorgebracht worden sind, nicht einfach analog gelten. Tatsächlich wird in den Versuchen gemäß Dokument (11A) die Lagerstabilität für das Produkt des vorliegenden Mikronisierungsverfahren gegenüber dem des bekannten Verfahren gemäß dem Dokument (25) unter feuchten Lagerungsbedingungen verglichen. Dabei wird erfindungsgemäß ein lagerstabileres Produkt erhalten. Somit hat die Kammer keinen Grund zu zweifeln, dass es sich hierbei um einen aussagekräftigen Vergleich handelt.

10.6 Es bleibt nun zu untersuchen, ob der Stand der Technik dem Fachmann Anregungen bot, die genannte Aufgabe durch die Bereitstellung des anspruchsgemäßen Verfahrens zu lösen.

In den von der Beschwerdegegnerin für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit angezogenen Dokumenten wird eine Kristallmodifikation des Tiotropiumbromid- Monohydrats gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 nicht offenbart. Wie bereits oben in Punkt 7.2.2 ausgeführt, hätte der Fachmann aus Dokument (2) keine verwertbare Lehre bezüglich der Herstellung eines Mikronisats von Tiotropiumbromid-Monohydrat ziehen können. Vor allem findet sich keinerlei Hinweis im zitierten Stand der Technik, dass durch die Verwendung des erfindungs-gemäßen Monohydrats anstatt der im Dokument (24) beschriebenen wasserfreien Form ein vorteilhafteres Mikronisat erhalten werden könnte. Aus den Dokumenten (4) und (7) ist zu entnehmen, dass unter Umständen eine Stabilisierung eines Mikronisats durch einen Konditionierungsschritt zu erzielen ist. Diese Dokumente enthalten aber keine Anregung, nach weiteren Kristallmodifikationen und Solvaten des Tiotropium-bromids als Ausgangsstoff zu suchen in der Erwartung, stabilere Mikronisate daraus herstellen zu können.

Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 dem Fachmann durch den Stand der Technik nicht nahegelegt wird und damit auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 6 betreffen weitere Ausgestaltungen des Herstellungsverfahrens gemäß Anspruch 1 und werden von dessen Patentfähigkeit getragen.

11. Da der Hilfsantrag 2 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt, kann diesem Antrag stattgegeben werden. Eine Entscheidung über die nachrangigen Hilfsanträge 3 bis 6 erübrigt sich somit.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der

Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit folgenden Ansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten:

Ansprüche Nr. 1 bis 6 des Hilfsantrags 2 eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2013.

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